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Adventskalender 2011

Eine Kurzgeschichtensammlung
von

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Türchen 6 - Der Weihnachtself

Es war der Abend des fünften Dezembers und Julio saß mit angewinkelten Beinen auf der Couch, ganz vertieft ins Puzzeln.

Heute hatte er sich ein neues 1000-teiliges vorgenommen, auf dem schwimmende Eisschollen mit Spiegelbild auf klaren blauen Wasser trieben, im Hintergrund ein Antarktis-Gletscher.

Innerlich fühlte er eine Balance und Zufriedenheit, wie sie sonst nie vorhanden war. Sein Puls und Blutdruck standen im Einklang; er atmete den Duft der Pfefferminz-Zimtkerze, genoss das prasselnde Kaminfeuer und lauschte der neuen CD der Jazz-Pianistin Milloni.

Er fühlte sich so wohl wie seit langem nicht mehr. Er wusste nicht einmal mehr, wann er das letzte Mal geraucht hatte, und außerdem war ihm die Uhr heute sowieso mehr als egal.
 

Plötzlich vernahm er ein merkwürdiges Poltern im Haus, das ihn kurz innehalten ließ. Womöglich die Nachbarn im obersten Stock?

Kurz darauf sah es so aus, als explodierte der Kamin: Ein Knall, und Staubpartikelchen wurden herausgeschleudert. Rauchschwaden vernebelten ihm die Sicht und ein Gestank machte sich breit.

Julio hustete und wedelte mit den Armen. Wie war das passiert? Und vor allem, was würde die Reparatur wieder kosten?
 

„Au, au au…heiß!! Schlimme Arbeit für das bisschen Geld“, schimpfte eine hohe piepsige Stimme.

Julio saß wie erstarrt und versuchte im Dunst etwas zu erkennen. Eine kleine Gestalt, so groß wie ein Kind, das in einer roten Robe steckte, zeichnete sich in den Schwaden ab und trat aus dem Kamin heraus.
 

„Wer sind Sie?!“, rief Julio mit fester Stimme und griff sich als Waffe die Wohnzimmerlampe.

Große grüne Glubschaugen starrten ihn an. Dieses Etwas hatte spitze Ohren, eine verschrumpelte Haut und war das hässlichste, was er je gesehen hatte.

„Ich…ich bin ein Weihnachtself“, stotterte der kleine Eindringling.

Julio lachte kalt. „Ja klar. Und ich bin Darth Vader!“

„Halt deinen besserwisserischen Mund!“, keifte der Kleine nun zurück und stampfte mit seinem unförmigen Fuß auf den Boden. „Und hör mir zu!“

„Ich lass mir doch nicht von einem psychotischen Gnom etwas befehlen!“, bellte Julio zurück und verengte die Augen. „Ah, jetzt weiß ich wer du bist: Dieser schmierige GEZ-Typ von neulich, in Verkleidung! Aber ich habe hier nichts, was dich interessiert. Raus hier! Hier gibt es rein gar nichts!“ Er wollte ihn an seiner Kutte packen, doch der Elf schwebte mit Leichtigkeit in die Luft und entglitt ihm.

Atemlos blickte Julio zu ihm auf.

„Ich sagte, ich bin ein Weihnachtself, und meine Aufgabe ist es-…“

„Lass mich raten“, unterbrach Julio ihn. „Ihr verteilt Kindern Geschenke?“, sagte er mit sanfter Stimme. „Dann sag deinem senilen Herrn da oben, dass es in diesem Haushalt seit vier verdammten Jahren keines mehr gibt!“, fügte er in Rage hinzu.
 

Der Elf glotzte ihn nur verständnisvoll an. „Geschenke? Nö. Wer soll denn das alles bezahlen? Unsere Aufgabe ist es, Menschen glücklich zu machen!“

Julio lachte bitter. „Und wie?“

„Tja…ähm…“ Der Elf kratzte sich an der Nase. „Weiß ich auch nicht so genau, heute ist mein erster Arbeitstag.“

„Dann kannst du gleich wieder dorthin gehen, wo du herkommst! Aber mach vorher den Dreck weg!“

„Wie du meinst“, meinte der Elf traurig, „die werden mich sicher nicht mal feuern, wenn ich ihnen erzähle, was du für ein hoffnungsloser Fall bist.“
 

Mit diesen Worten holte er aus den Tiefen seiner Robe eine seltsame Pfeife heraus und blies hinein. Es kam jedoch kein Ton heraus, sondern nur eine unglaubliche Kälte machte sich breit, die Julio in alle Glieder kroch.
 

Julio schreckte aus seinem Traum, weil ihm die Eiseskälte um die Ohren schlug.

Es war kurz vor Sonnenaufgang, und er war auf der Couch eingeschlafen. Alles war säuberlich aufgeräumt und nichts deutete auf die Begegnung hin; er besaß noch nicht mal einen Kamin.

Anstelle des Puzzles und der Duftkerzen waren wie üblich eine Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug und eine Tasse kalten Tees auf dem Couchtisch.

Julio seufzte und streckte sich. Da hatte ihm der Traum irgendwie besser gefallen.

„Weihnachtselfen!“, meinte er kopfschüttelnd und zog die Pantoffeln an. Diese Teemischung würde er sich nicht noch einmal kochen.

Er wollte zum Briefkasten gehen und die neue Zeitung herausholen. Doch er drehte sich noch einmal um, schnappte sich die Zigarettenschachtel und warf sie draußen in die Tonne.

Als er zurückkam und die neue Zeitung auf den Tisch legte, drehte er als erstes die Heizung auf um die Kälte zu vertreiben und schrieb dann einen Einkaufszettel:

Duftkerzen, Karamelltee, Puzzle, neue CD, Lebkuchen.

Das letzte Wort strich er wieder durch. Man musste es ja nicht gleich übertreiben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AikaTadano
2011-12-06T19:32:33+00:00 06.12.2011 20:32
Hehe, da wurde der frostige Kerl doch mal mit seinem eigenen Element bekämpft.^^ Süße Geschichte. Vor allem das er am Schluss doch die Lebkuchen streicht. xD Ich würd ja eher auf die Duftkerzen verzichten...


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