Jeran
Jeran
Die nächsten paar Tage bekam Ruîn Jeran überhaupt nicht mehr
zu Gesicht. Sie hörte nur von Duir das er eine längerfristige
Trainingsparty angenommen hatte. Naja, so konnte sie ihre Zeit
wenigstens dadurch nutzen, sich auf ihr eigenes Training zu
konzentrieren. Nach einiger Zeit des Itemsammelns in den
düsteren Höhlen von Payon brauchte Ruîn mal wieder etwas
Licht. Nach einigem rätseln wo man sowohl ein wenig Geld
machen, als auch etwas trainieren konnte, landeten sie auf einem
sonnigen Hochtal nahe der Stadt Rachel wo sie die Vogel-
ähnlichen Hill Winds jagten.
„Irgendwie bist du in der letzten Zeit viel besser geworden.“ Sie
saßen unter einem Baum, nahe einer Hügelklippe und verstauten
gerade ein paar Items. „Keine Ahnung.“ Ruîn zuckte mit den
Schultern und betrachtete eine der Hill Wind Federn die in
mehreren Farben schimmerten. „Doch, ich find schon, du wirst
sicher vor mir zum Rebirth dürfen. Das wird vielleicht süß, wenn
du dann eine High Thief bist.“ Solar grinste und Ruîn schüttelte
den Kopf, musste dann aber doch lächeln. Teilweise hatte er
sogar Recht. Sie war wirklich besser geworden. Das lag
vermutlich an dem ganzen zusätzlichen Training mit Jeran und
Duir. „Wir werden ja sehen.“ Damit erhob sie sich und zückte
ihre Waffen. Sie wollte mit dem Training fortfahren. Sie
kämpften sich Richtung Osten bis zum Grenzposten von
Arunafeltz durch, das dort an die Schwarzwaldrepublik grenzte.
Von dort war es nicht mehr weit bis zur Stadt Lighthalzen.
Aber sie beschlossen trotzdem für die Nächte lieber zurück
nach Prontera zu reisen. Die Monster in der Gegend waren zu
gefährlich, als das man dort im freien Übernachten konnte, und
in einem Hotel der nahen Städte würden sie nur unnötig Geld
ausgeben.
Langsam wurde es hell in ihrem Zimmer und Ruîn guckte
unmotiviert unter ihrer Decke hervor. Die letzten Tage hatte
sie sich morgens immer ein wenig matt gefühlt. Sie musste sich
endlich mal angewöhnen früher einzuschlafen. Sie drehte sich
um und blickte in Solars grinsendes Gesicht. „Guuuuuten
Moooorgen!“ „Bäh.“ Sie zog sich die Decke wieder über den
Kopf und drehte sich weg. „Ach komm, is nen schöner Tag,
die Sonne scheint…“ „Und die Vögel zwitschern, jaja, mir egal.“
Sonst war sie es eigentlich immer gewesen die in aller herrgotts-
frühe als erste aufgesprungen war, aber heute hatte sie dazu echt
keine Lust. Solar zerrte noch ein wenig an ihr herum bis er
schließlich aufgab und das Zimmer verließ. Ruîn betrachtete die
hellen Reflexionen des Fensters, die langsam über den steinernen
Boden in Richtung des Bettes wanderten und beschloss
aufzustehen wenn sie eben jenes erreichten.
Den ganzen Tag über fühlte sie sich kraftlos und schlecht
und das Training war in diesem Zustand wirklich sehr
anstrengend gewesen. Erst zum Abendessen ging es ihr dann
wieder einigermaßen gut. Während Ruîn etwas lustlos an einem
Apfel knabberte nahm sie sich vor ein paar Tage lang ihr
nächtliches Zusatztraining etwas zu kürzen. Immerhin konnte
das ja so nicht weitergehen. Bei ihnen am Tisch saßen noch
ein paar von Solars Pvp Freunden die in eifrige Erzählungen
vertieft waren. Als sie gerade fertig war hörte sie jemanden
von draußen ihren Namen rufen. Auch Solar hatte das bemerkte
und sie guckten beide zum großen Tor das in die Vorhalle führte.
Mit einem kräftigen Ruck flog die große hölzerne Türe auf und
Jeran stürzte förmlich herein. „RUIN!! Es ist soweit!“ Er kam
an ihren Tisch, ergriff Ruîns Hände und zog sie auf die Beine
ehe diese auch nur einmal blinzeln konnte. „Isan bekommt ihr
Kind! Ich war mit Thuris in einer Trainingsparty, er ist schon
bei ihr, komm beeil dich!“ „Waaass echt? Wurd ja auch Zeit!“
Ruîn kicherte und stürmte mit Jeran zur Tür. „Wartet nicht auf
mich!“ Damit winkte sie Solar und den anderen an dem Tisch
zum Abschied nochmals zu.
Es dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Jeran und Ruîn
saßen im Flur des Gildenhauses und beobachteten das hin und
her Eilen der verschiedensten Leute. Aus Juno war ein sehr
bekannter Professor gerufen worden und dieser hatte auch gleich
zwei Hebammen mitgebracht. Je länger sie warteten desto
nervöser wurde Ruîn. Als sie endlich die ersten krähenden
Schreie hörten, kam eine der Frauen aus dem Zimmer und
winkte ihnen zu. „Es ist ein gesunder Junge, sie können jetzt
rein!“ So schnell sie konnte stürzte Ruîn ins Zimmer und warf
dabei beinahe die Hebamme um. Sie setzte sich zu Isan ans
Kopfende und umarmte ihre Freundin. „Jetzt sag bloß nicht das
ihr da draußen die ganze Zeit meinem höllischen Geschrei
zugehört habt.“ Isan hatte noch immer ein mit tränen überströmtes
Gesicht und Ruîn fuhr ihr mit einem kalten Tuch über die Stirn.
„Ach so schlimm wars nicht, und jetzt hast du ja endlich alles
überstanden.“ „Nyo ich würd halt nur gern auch mal mein Kind
sehen.“ Sie deutete nach hinten wo ihr Ehemann mit ihrem
neuen Sohn hin und her wanderte und nun mit Jeran zusammen
Grimassen schnitt. „Nyaaa, Männer halt…“ Die beiden Frauen
schüttelten ihre Köpfe.
Ruîn blieb die nächsten paar Tage bei Isan um ihr ein wenig zu
helfen. Solar war zwar ein wenig enttäuscht, das sie nicht
wenigstens zuhause schlafen wollte, aber die Aussicht auf ein
paar durchgemachte PvP Nächte mit seinen Freunden war
dann durchaus auch verlockend. Während sich ihr Mann um
das Kind kümmerte, hatte die Assassine alle Mühe damit die
Blacksmith von ihren Schmiedeutensilien fernzuhalten. Der
Arzt hatte nämlich darauf bestanden das sich Isan noch einen
Monat zu schonen hatte. Zum nächsten Woe wollte Ruîn dann
wieder zu ihrer Gilde zurückkehren. Sie und Isan schliefen bis
der Kleine nach einem langen Spaziergang endlich sein
Mittagessen haben wollte. „Ich sags dir, das wird ein Merchant,
das kann ich fühlen.“ Isan hatte ihren Sohn an der Brust und
nickte selbstgerecht während Ruîn Thuris ignorierte, der hinter
ihnen heftig den Kopf schüttelte und dann an sich auf und ab
zeigte, um ihr zu deutet das sein Sohn sicherlich mal in seine
Fußstapfen treten würde. Dann begannen sie langsam damit ein,
schon etwas spätes Mittagessen zu kochen. Während Ruîn
und Isan einige Früchte als Nachtisch zusammen schnibbelten
kam Jeran um sie abzuholen. Er war auch in den letzten Tagen
immer wieder vorbeigekommen und hatte sich dann
hauptsächlich mit Isans Ehemann um eine zukünftige
Trainingspartyplanung gekümmert. So setzten sie sich auch
jetzt gleich wieder zusammen und gingen einige Möglichkeiten
durch. „Sind sie nicht süß die zwei?“ Isan kicherte und naschte
an einer Grape. „Mhmm.“ Ruîn war sich da nicht so sicher. Die
Blacksmith beugte sich zu ihr und fuhr in leiserem Ton fort.
„Weißt du, die Entscheidungen die wir mit dem Kopf treffen
sind nicht immer die Richtigen.“ Ruîn hielt inne und blickte sie
fragend an. Was meinte sie denn damit? „Man muss auch mal
auf sein Herz hören.“ Mit einer schnellen Bewegung fegte Isan
einige Reste zur Seite und schnappte sich das Tablett mit den
Früchten. Vorsichtig balancierte sie ihr Werk an den Tisch und
winkte dann Ruîn ihr endlich zu folgen.
Es wurde dann doch ein wenig später als geplant als Jeran und
Ruîn schließlich zu ihrem Gildenhaus aufbrachen. Isans Worte
hängten ihr noch nach, da sie sich nicht vorstellen konnte was
diese damit gemeint hatte. Sie betrachtete Jeran der lächelnd
neben ihr in der beginnenden Dämmerung herspazierte. Sie hatte
Gefühle für ihn das konnte sie nicht leugnen. Aber was das für
welche waren, das wusste sie nicht. Als sie das große Haus
erreichten war es verdächtig still. In der Eingangshalle und dem
Gemeinschaftsraum war kein Mensch zu sehen. „Oha, sind wohl
schon alle am WoE Treffpunkt. Wir sind zu spät.“ Jeran zuckte
mit den Schultern und wandte sich an die Treppe. „Nur noch
kurz was holen und umziehen.“ Ruîn nickte während er die
Treppen nach oben sprang. Sie wanderte eine Runde durch den
Raum und als sie wieder an die Treppe kam, wurde ihr klar das
sie Jerans Zimmer noch nie gesehen hatte. Na gut, als sie
langsam die Stufen nach oben wanderte, musste sie sich
eingestehen das sie außer ihrem eigenen Raum eigentlich gar
keinen der anderen kannte. Gemächlich lief sie den langen
Säulengang entlang und blieb einen Augenblick vor der
geöffneten Tür stehen bevor sie hinein blickte. Der Barde war
nirgends zu sehen. Vermutlich war er im Bad. Der Raum so an
sich sah fast genauso aus wie Ruîns. Etwas kleiner vielleicht und
mit etwas anderen Möbeln. Allerdings war das Bett ein wenig
größer und hatte vier große Pfosten an den Ecken. Diese zogen
Ruîns Aufmerksamkeit sofort auf sich. Sie reichten beinahe bis
an die Decke und waren über und über mit tiefen Einschnitten
versehen. Alles mehr oder weniger gerade Linien die anscheinend
von oben nach unten eingeritzt worden waren. Es mussten wohl
über hundert davon sein. Sie fuhr langsam mit den Fingern
darüber, einige sahen irgendwie älter aus als andere. Plötzlich
hörte sie die Bodendielen im Flur knarren und fuhr herum. Jeran
stand in der Tür.