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Die Magie der Worte

von

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Prolog: Ein seltsamer Fund

Manchmal findet man zufällig Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat.

Es kann etwas ganz Kleines, Unbedeutendes sein, was sich später jedoch als etwas Großes, Bedeutungsvolles herausstellen kann…

 

„Puhhhh, ist das heiß hier drin! Warum hat mich Yuko denn auch bitte gerade an so einem warmen Tag wie heute dazu verdammt, ihre Rumpelkammer abzustauben? Das ist doch so was von unnötig! Eigentlich müsste ich ja heim und Hausaufgaben machen…“, brummelte ich vor mich hin, als ich mit dem Staubwedel in der rechten Hand einige Dinge von Staub befreite, welche sich hier in Yukos Kammer eben so anstauten: Meist die Preise für irgendwelche erfüllten Wünsche.

Erschöpft wischte ich mir mit der linken Hand über die Stirn, um den Schweiß loszuwerden, doch ich musste feststellen, dass ich ihn durch diese Tat nur noch mehr verteilte und mit dem Staub an meiner Hand vermischte.

Toll. Eine Dusche war heute Abend Pflicht! Ganz eindeutig…

Ich lehnte mich gegen ein Regal und griff nach einem Besen, als ich mir einbildete, mit dem Abstauben fertig zu sein, doch ich wurde eines Besseren belehrt:

„Aha! Watanuki macht seine Arbeit nicht richtig! Das petze ich Yuko!“

Ich griff den Besenstiel fester, während ich mich verkrampfte. Dieses… Mokona!

„Was fällt dir ein zu behaupten, dass ich meinen Job nicht richtig mache, du kleines saufendes… Etwas?!?!?!“, wollte ich wissen und das schwarze Mokona kam näher gehüpft.

„Na, weil du das hier vergessen hast sauber zu machen! Da liegt eine so dicke Schicht drauf, das man noch nicht einmal erkennen kann, was unter dieser Glocke ist!“, sagte das Wesen und deutete hinter einer Buchreihe auf einen Gegenstand.

„Das… habe ich nicht gesehen…“, gab ich leise zu und räumte die Bücher, welche davorstanden, zur Seite.

„Was ist das nur?“, murmelte ich fragend und wog die Glasglocke in meinen Händen, um den Staub außerhalb des Regals mit Hilfe eines feuchten Lappens zu entfernen.

„Weißt du, was das ist, Mokona?“, stellte ich dem schwarzen Geschöpf erneut eine Frage, das daraufhin den Kopf schüttelte.

„Sieht aus wie eine Feder… Eine Schreibfeder! Was verstaubt die denn hier?? Da ist auch ein Stück Papier darunter… Sieht aus wie eine Unterschrift. Aber ich kann sie nicht lesen. Das sind keine japanischen Schriftzeichen.“

„Natürlich sind sie das nicht“, wurde ich in meinen Überlegungen unterbrochen.

„Yuko-san!“, rief ich überrascht aus.

Die Hexe der Dimensionen trat näher und nahm mir behutsam das rätselhafte Utensil ab.

„Das hier… ist etwas ganz Wertvolles, Watanuki. Und es ist…“, Sie atmete langsam den Rauch ihrer langen Pfeife aus, „… aus einer längst vergessenen Zeit“, endete sie geheimnisvoll und wiegte die Glocke in ihren Armen, als ob es ihr Kind wäre.

„Aha“, sagte ich spielend unbeeindruckt. Mich rußte es so was von gewaltig, dass Yuko um manche Dinge ein Geheimnis machte, als sei es weiß Gott etwas Wertvolles, dabei war es im Endeffekt doch nur wertloser Plunder.

„Warum sind Sie eigentlich hier? Haben Sie gerade eben nicht noch im Schatten draußen rumgejammert, wie warm Ihnen doch ist, Yuko-san?“, fragte ich nun direkt.

„Ich bin gekommen, um zu fragen, wann du mir endlich den eisgekühlten Sake bringst, ist doch klar.

Also? Wann kommt denn jetzt mein Sake?“

„GLEICH!“, schrie ich und stapfte an ihr vorbei in die Küche.

„Er wird immer so leicht wütend…“, hörte ich die Hexe kichern.

„Stimmt, er ist so leicht auf die Palme zu bringen… unser Watanuki“, fügte das Mokona hinzu.

„Das hab ich gehört!“, brüllte ich noch, dann ging ich ihren heißgeliebten Sake holen.

 

Yuko war nach draußen gegangen, wo endlich die Sonne unterging und dem heißen Tag damit ein Ende bereitete.

Wenig später war die Hexe mit einem leckeren Abendessen versorgt und durch genügend Sake zufriedengestellt worden.

„Kann ich nun endlich nach Hause gehen?“, wollte Watanuki wissen und die Hexe sah auf.

„Du hast es heute so eilig. Hast du noch etwas für die Schule zu erledigen?“, fragte sie ihn.

„Ja. Ich muss da leider noch was lesen…“, antwortete ihr Angestellter ausweichend.

„Oh? Was denn?“ Die Hexe war sofort interessiert.

„Romeo und Julia“, informierte Watanuki sie, man hörte ihm an, dass ihm diese Tatsache ganz und gar nicht passte.

Yukos Augenbrauen schnellten in die Höhe und sie schielte kurz zu dem Glasgefäß hinüber, welches nun auf ihrer Kommode stand.

„Ach, tatsächlich? Und was ist an dieser Tragödie so schlimm, dass du ein Gesicht machst wie drei Tage Regenwetter?“, hakte sie weiter nach und nahm einen erneuten Schluck Sake.

„Ich lese nicht gern. Ich hasse Bücher, außer es sind Kochbücher oder Mangas. Die lese ich ganz gern. Aber alles, was mehr als dreißig Buchseiten hat, schaue ich mir gar nicht erst an“, sagte Watanuki und Yuko stellte ihr Glas ab.

„Das ist ja die Höhe! Unser kleiner Watanuki hat noch nicht einmal ein gescheites Buch gelesen! Weißt du eigentlich, was du damit verpasst, mein Guter?

Wörter sind anziehend, wusstest du das nicht? Sie entführen einen in andere Welten! Und dazu bedarf es noch nicht einmal meiner Kräfte!“, erklärte die Hexe, dem jungen Mann war nicht entgangen, dass sie ihn „klein“ genannt hatte.

„So ein Quatsch! Ich muss es für die Schule lesen und fertig. Nicht mehr und nicht weniger. Ich werde jetzt gehen, wenn es recht ist. Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Watanuki. Bis morgen!“, verabschiedete sich Yuko und schielte weiterhin das Glas an, bis ihr Angestellter seine Schuhe angezogen und das versteckte Haus verlassen hatte.

„Was habt Ihr vor, Herrin?“, fragte Maru.

„Genau, was habt Ihr vor, Herrin? Wollt Ihr ihn etwa da hinzuschicken?“ Moru deutete auf die Schreibfeder, welche Yuko nun aus der Glasglocke genommen hatte und sachte in ihren Händen wiegte.

„Wenn er wüsste, wem diese Feder einmal gehört hat…“, flüsterte die Hexe.

„Also… schicken wir Watanuki weg?“, hakte das schwarze Mokona nach.

„Oh ja. Er muss lernen, was die wahre Schönheit der Bücher ausmacht. Und wie viel Liebe und Arbeit darin stecken. Und dafür… ist diese Situation einfach perfekt. Es muss so geschehen. Das ist Schicksal. So wie alles.“

Die Anwesenden nickten und die Hexe drehte sich in ihrem schwarzen Kimono zur offenen Seite des Hauses hin: „Watanuki, wenn du morgen kommst, wirst du die Reise deines Lebens machen!“, sagte Yuko grinsend und die Nacht antwortete ihr mit ihrer ruhigen Stille.

Akt 1: Eine Reise in die Vergangenheit

Wie sehr wünscht man sich noch einmal in seine eigene Vergangenheit zu reisen? Dinge anders zu machen, besser zu machen?

Wie aber sollte gehandelt werden, wenn man weit zurück in die vergangene Zeit reist und nichts verändern darf, um die eigene Gegenwart und Zukunft nicht zu gefährden? Stellt man sich dieser Herausforderung dann trotz aller Risiken?

Anders gestaltet sich die Situation allerdings, wenn man keine andere Wahl hat…

 

„Damit machen wir Schluss für heute!“

Seufzend klappte ich mein Buch zu, auf dem mir der Titel ‚Romeo und Julia‘ beinahe schon entgegen sprang.

Endlich war die Stunde vorbei! Ich quälte mich mit diesem Buch aber auch wirklich!!

Am Schlimmsten war ja immer noch, dass Himawari dauernd davon erzählte - wie toll und romantisch es doch war, wie dramatisch…

Für mich war es total unrealistisch. So etwas konnte doch niemals im wahren Leben passieren!

Klar, man konnte davon träumen. Aber das brachte einen im Leben doch nicht weiter!

War es denn nicht viel wichtiger, die Hausarbeit richtig meistern zu können und sich selbst etwas zu kochen, damit man überleben konnte, als sich in Tagträume zu flüchten?

Aber dennoch… genau das liebte ich so an Himawari. Vielleicht, weil ich es selbst nicht die Fantasie dazu aufbrachte und in ihr meinen Gegenpol sah?

Himawari war einfach nur bezaubernd… sogar wenn sie von Dingen schwärmte, die mich nicht wirklich interessierten, war sie immer noch faszinierend!!

„Mmh“, antwortete Domeki gerade auf Himawaris Frage, ob Romeo nicht unglaublich romantisch wäre.

„Domeki interessiert sich doch nicht für so was wie Romantik, Himawari-chan!! Der hat doch absolut keine Ahnung!“

„Und du? Wie viele Bücher hast du denn schon darüber gelesen?“

Erwischt. Verdammt!

Ich lief etwas rot an.

„Das… ist doch jetzt nicht so wichtig, oder?“

„Du könntest in Domeki-kuns Bibliothek gehen, er hat bestimmt viel zu lesen für dich, Watanuki!“, schlug Himawari vor, doch ich winkte ab, was sich mit meiner Schultasche in der rechten Hand als gar nicht so einfach erwies.

„Nein… lass mal… ich bin nicht so der Bücherfreund!“, erwiderte ich hektisch.

Dass ich außerdem nicht erpicht darauf war, mich in Domekis Bibliothek umzusehen, erwähnte ich natürlich nicht. Diesen Gedanken behielt ich für mich.

„Soooo, ich muss dann hier abbiegen. Bis morgen, ihr beiden!“

„Auf Wiedersehen, Watanuki-kun!“, winkte Himawari mir hinterher.

„Bis morgen, Himawari-chan!“, flötete ich ihr hinterher.

„Mmh“, brummte Domeki und erhielt von mir auch nur die nüchterne Antwort: „Wir sehen uns morgen.“ zurück.

 

„Ich weiß, ich habe dafür einen Preis zu bezahlen… meine wertvolle Schreibfeder soll nach meinem Tod Euch gehören, Yuko… Ich hoffe, Euch stellt dieser Gegenwert zufrieden!“

„Er genügt“, sagte Yuko, „Und ich habe ihn bereits erhalten…“ Sie hob die Feder in die Höhe und die Augen ihres Gegenübers weiteten sich.

„Aber wie könnt Ihr sie denn jetzt schon…“, fragte der Mann verdutzt, auch wenn Yuko ihn nur durch eine von Mokona erschaffene Scheibe sehen konnte, wusste sie doch genau seinen verwirrten Blick richtig zu deuten:

„Du vergisst, dass wir in verschiedenen Zeiten leben, Willy.

In meiner Zeit bist du schon lange tot. Daher habe ich den Gegenwert bereits erhalten. Doch nun werde ich dir deinen Wunsch erfüllen! Sobald mein Angestellter bei mir ist, werde ich ihn zu dir schicken!“

„In Ordnung. Ich erwarte ihn.“

„Gut. Dann viel Glück! Falls du nochmal einen Wunsch haben solltest… du weißt, wie du mich erreichen kannst.“

„Ja. Vielen Dank, Yuko!“

Die Verbindung verschwand gerade, als Watanuki in den Raum trat.

„Ahhhhh, da bist du ja!“, merkte die Hexe freudig an und hängte sich an den Arm des Oberschülers.

„Was ist denn jetzt passiert?“, fragte Watanuki misstrauisch.

„Watanuki, Watanuki!“, rief Yuko und schmiegte sich an ihn.

„Watanuki, Watanuki!“, äffte das Mokona nach und kuschelte sich in seine Halsbeuge hinein.

„Watanuki, Watanuki!“ Nun hingen auch noch die beiden Mädchen an ihm.

„Was ist denn nur mit euch allen los? Geht von mir runter! Hey!“

„Ich habe einen Auftrag für dich, Watanuki! Aber zuerst… gehst du mir einen Sake holen, mein Lieber!“

 

Meine Füße trugen mich schon automatisch in das Sakelager der Hexe, ging ich diesen Weg doch nahezu zehn Mal am Tag.

Ich seufzte beinahe lautlos, als ich ihr den gewünschten Alkohol brachte.

Doch irgendwo nagte auch diese Neugierde an mir: Was für eine Aufgabe hatte sie nun für mich?

Ich stellte die Flasche vor ihr ab und sie goss sich Sake in ihr kristallklares Glas.

„Watanuki, ich möchte, dass du mir jetzt gut zuhörst“, sagte die Hexe und ich horchte auf.

„Natürlich, Yuko-san.“

Sie hatte meine vollste Aufmerksamkeit, als ich mich ihr gegenüber setzte.

„Dieser Auftrag ist kein gewöhnlicher, welcher in unserer Zeit spielt. Du wirst in die Vergangenheit reisen, um ihn zu erledigen.“

„In die… Vergangenheit?“, wiederholte ich geschockt und beeindruckt zugleich.

„Ja. Die bereits vergangene Zeit existiert noch neben unserer Gegenwart, daran ist Fey Wan schuld. Durch seine egoistischen Handlungen haben sich die Zeitströme aufgespalten und existieren nun nebeneinander.“

„Aber… ist es denn dann ratsam, solch einen Auftrag anzunehmen? Kann man dadurch nicht… unsere Gegenwart verändern?“, hakte ich nach.

Yuko trank einen Schluck und sah dann auf.

Rauch umfing ihr Gesicht, ihre rubinroten Augen sahen mich ernst an.

„Oh ja“, bestätigte sie, „Das ist ein guter Einwand. Aber du vergisst, dass ich ein Geschäft besitze.

Wir sind sogar dazu verpflichtet, diese Aufgabe anzunehmen, Watanuki. Denn falls nicht - wird es eine Katastrophe geben und unsere Zeit würde sich grundlegend ändern. Das darf keinesfalls passieren.

Doch wir müssen vorsichtig sein. Es ist in der Tat ein zweischneidiges Schwert, sich in einer vergangenen Zeit aufzuhalten und darin mitzuwirken.

Watanuki… was auch immer du tun wirst, versuche keinesfalls, den Lauf der Dinge so zu ändern, dass unsere heutige Welt gefährdet wäre!

Versuche dein Möglichstes daran zu setzen, dass alles so wird wie es heute auch ist!“

„Aber… ich bin doch gar nicht in alle Vorgänge unserer heutigen Welt eingeweiht! Was ist, wenn ich etwas falsch mache?!“, fragte ich, allmählich wurde ich mir der Verantwortung bewusst, welche mir Yuko gerade auferlegte.

„Du wirst nicht die ganze Welt verändern können, Watanuki, sondern nur einen Bruchteil davon. Und dieser Bruchteil… wird dir bekannt vorkommen“, lächelte die Hexe und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.

Was… hatte sie nun schon wieder vor?!

„Wird mir Mokona zur Seite stehen?“, erkundigte ich mich.

„Nein“, sagte Yuko.

„Er wird dir bei diesem Auftrag leider nicht helfen können.“

„Was ist überhaupt meine Aufgabe in dieser anderen Zeit?“, wollte ich wissen.

„Das, mein lieber Watanuki… wird dir der Auftraggeber persönlich vor Ort sagen! Und nun wird es Zeit! Wenn du nicht bald aufbrichst, wird es zu spät sein!“

Yuko ging hinüber zu ihrer Kommode und hob die Schreibfeder von ihrem Samtkissen auf.

Jene Feder, welche ich gestern in ihrer Kammer wiedergefunden hatte.

Aber was bitte… hatte das jetzt zu bedeuten?

Die Hexe der Dimensionen stellte sich vor mich und hob das Utensil höher, welches plötzlich zu leuchten anfing und hastig seltsam aussehende Zeichen um mich herum schrieb.

„Viel Glück, Watanuki. Mögen die Worte mit dir sein!“, sagte die Hexe, danach verschwand sie für mich hinter einer Wand aus lilafarbenen Zeichen.

Was… hatte dieser letzte Satz denn jetzt bitte zu bedeuten?? Musste sie aber auch immer in Rätseln sprechen?

Ich fühlte mich seltsam.

In dieser Röhre, wenn man sie denn so nennen konnte, war es still, unglaublich still, unnatürlich still… beinahe so, wie ich mir eine gänzlich tote Welt vorstellte…

Ich schien zu schweben und mich langsam nach unten zu bewegen.

Mein Magen schlug einen Purzelbaum, da ihm diese unnatürliche Bewegung ganz offensichtlich missfiel.

So schnell wie es angefangen hatte, war es auch wieder vorbei:

Meine Füße fassten wieder Halt und die Zeichen um mich herum verschwanden.

Unter mir befand sich Kopfsteinpflaster, es war dunkel und es regnete.

Alte, schlicht gebaute Häuser nahmen in meiner näheren Umgebung Gestalt an, in einigen brannte noch Licht.

Und vor mir… stand eine Gestalt in Kapuze, welche eine helle Laterne bei sich trug.

„Sind Sie… Yukos Auftraggeber?“, fragte ich, nachdem ich mich ein wenig gefangen hatte.

Der Regen prasselte lautstark auf den Boden und sprang wieder von dem harten Stein ab, was ich für einen kurzen Moment fasziniert beobachtet hatte.

Der Vermummte nickte und machte sich die Kapuze zurück.

„Ja, der bin ich. Willkommen in meiner Zeit!“

Das Licht der Laterne beleuchtete den Mann.

Er war sehr zierlich, hatte kurzes, blondes Haar und trug einen dünnen Schnäuzer.

Nun trat er vor und hob mir seine rechte, freie Hand hin, dann senkte er leicht den Kopf.

„Darf ich mich erst einmal vorstellen? Ich heiße William. William Shakespeare!“

Akt 2: Autor auf Abwegen

Manchmal fehlt sogar dem besten Autor die rettende Idee, die Inspiration. Aber wie kann man sich Abhilfe verschaffen? Wie kann man diese Kluft der Leere überwinden? Wie soll man sich aus der Dunkelheit, welche die Ideenlosigkeit mit sich bringt, befreien?

Tja. So mancher Autor kommt selbst wieder aus diesem Loch heraus. Manch andere greifen zu eher ungewöhnlichen Mitteln, die so ihren Preis, ihren Gegenwert haben…

 

Ich starrte fassungslos den Mann vor mir an.

Das war… das war William Shakespeare?!?!

Ich war in einer Welt gelandet, welche nass, dreckig und dunkel war… und die erste Person, welcher ich begegnete, war der berühmte Schriftsteller William Shakespeare, der Autor des Buches, das ich gerade in der Oberschule lesen musste?

War das ein Zufall…!

Nein… es war unvermeidbar. Die Worte der Hexe schossen mir beinahe sofort in den Sinn.

Es war alles geplant. Auch meine Begegnung mit diesem Mann.

„Und wie heißt Ihr, junger Herr?“, wurde ich gefragt und verneigte mich ebenfalls kurz.

„Entschuldigen Sie mein Zögern, ich heiße Kimihiro Watanuki, sehr erfreut!“, antwortete ich langsam. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals mit so einer Persönlichkeit sprechen würde!

„Schnell, lassen Sie uns ins Haus gehen, hier ist es viel zu nass, um eine gesittete Unterredung zu führen!“, schlug der Schriftsteller vor und ich folgte ihm hastig.

Sein Haus war nicht besonders prunkvoll, es war relativ schlicht, aber es gefiel mir.

In der Küche roch es nach Kräutern, welche zum Trocknen von der Decke hingen.

Im Ofen brannte ein Feuer und eine Frau saß in einem Sessel und strickte.

„Darf ich vorstellen? Meine werte Frau Anne“, sagte Shakespeare und wir schüttelten uns die Hände.

Die Frau trug ein altrosafarbenes Kleid mit einer weißen Schürze, ihre hellbraunen Haare waren nach hinten gebunden und sie war etwas korpulenter.

„Guten Abend.“

„Du hast es wirklich getan, Willy. Du hast diese Hexe also um Hilfe gebeten. Irgendwann wird dich deine Lieblingsbeschäftigung noch auffressen.“

„Nicht Lieblingsbeschäftigung, meine Liebe, Bestimmung! Es ist mein Schicksal, dass ich schreibe!“

„Worum geht es denn? Wobei kann ich Ihnen denn helfen?“, fragte ich, nachdem ich mit einer Tasse Tee in den Händen in einem Sessel saß.

„Nun ja, es ist so: Ich würde gerne ein Stück schreiben. Allerdings habe ich einfach keine Ideen…

Also… es soll eine Tragödie, ein Drama werden. Aber ich möchte starke Gefühle mit einbringen, die große Liebe… Doch was mir fehlt, sind konkretere Details!“

Ich verschluckte mich an meinem Tee.

„Ähm… das wievielte Jahr schreiben wir hier gerade?“, wollte ich wissen und Anne lächelte mich an.

„Wir schreiben das Jahr 1584“, antwortete sie und ich überlegte scharf.

Romeo und Julia würde doch erst im Jahr 1595 veröffentlicht werden… wenn ich die Daten denn richtig im Kopf hatte!!

Das war doch erst in elf Jahren… er konnte doch unmöglich schon jetzt dieses Liebesdrama schreiben wollen, oder?

„Ich möchte etwas Neues kreieren, was noch niemand zuvor geschrieben hat!“, erklärte Shakespeare und war aufgestanden.

Er lief aufgeregt umher.

„William, bitte beruhige dich. Du weißt, dass ich ein Kind erwarte. Du beunruhigst mich!“

„Verzeih, Liebste. Komm mit, Watanuki, wir gehen in meine Schreibstube!“, sagte William und ich folgte ihm, zuvor wünschte ich seiner Frau noch eine gute Nacht.

„Das Erste, was ich brauche, ist ein Ort!“, überlegte Shakespeare und ich zerbrach mir darüber den Kopf, was ich nun sagen sollte.

Schließlich hatte mir Yuko sehr ins Gewissen geredet, keineswegs die Geschichte zu verändern, also sollte ich ihm die richtige Idee auch nicht zuflüstern, sondern er als Autor musste doch selbst draufkommen, oder??

„Wie wär’s, Sie nehmen einen Ort, der bereits existiert?“, fragte ich, so viel traute ich mich dann doch zu sagen.

„Aber was für ein Ort? Frankreich? Nein, da gab es schon so viele Liebesgeschichten, jeder lernt sich in Paris kennen… Paris hier, Paris da… Nein, das ist nicht gut. Wir nehmen… Italien! Eine Stadt in Italien! Dann nehmen wir doch am besten… Venedig!“

„NEIN!“, brüllte ich auf und hielt mir erschrocken den Mund zu.

„Ich… mag Venedig nicht“, fügte ich noch kleinlaut hinzu, um meinen Ausrutscher zu vertuschen, doch der Dichter war ja schließlich nicht blöd…

„Ach, Verzeihung, ich vergaß, Sie kommen aus der zukünftigen Zeit. Was mich interessieren würde… haben Sie denn mein Werk bereits gelesen? Ist es berühmt geworden?“

Ich schluckte, ertappt.

„Ja… ich bin gerade dabei, es zu lesen. Und Ihr könnt mich ruhig duzen, ich bin noch nicht so alt, als dass ‚Sie‘ angebracht wäre“, sagte ich ausweichend.

„In Ordnung! Ich fühle mich durch meine Werke auch noch nicht sonderlich alt! Ich bin William!“

Wir schüttelten uns erneut die Hände.

„Watanuki, sehr erfreut“, stellte ich mich erneut vor.

„Aber… wenn du mein Stück bereits kennst… kannst du mir doch sagen, wo es spielt, oder nicht?“

„Ich könnte…“, fing ich wieder zu sprechen an, „… aber das werde ich nicht tun. Ich möchte nicht, dass mein Einwirken in dieser Zeit Folgen für die Zukunft hat, aus der ich komme“, erklärte ich und der Mann mir gegenüber nickte nachdenklich.

„Ich verstehe… allerdings ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch, musst du wissen! Also… eine Stadt in Italien, welche nicht Venedig sein soll. Dann nehme ich die Stadt… Verona!“

Ich zuckte zusammen und sah den Schriftsteller an, welcher plötzlich eine Feder zückte.

„Aber das ist doch…“, setzte ich an und William sah auf.

„Ist etwas?“

„Diese Schreibfeder!“, sagte ich und er lächelte milde.

„Hast du sie schon einmal gesehen? Zufällig bei der Hexe?“

Ich nickte wortlos.

„Sie ist der Gegenwert für deine Hilfe, mein Junge“, erklärte der Schriftsteller und tauchte sie nun in ein Tintenfass.

„Aber ich bin doch so unkreativ! Ich kriege so was wie ein Buch doch niemals hin, auch nicht, wenn ich nur der Helfer dafür sein soll!!“

Shakespeare schien mir gar nicht zuzuhören, er erinnerte mich irgendwie ein bisschen an Yuko oder Mokona, sie hörten mir nämlich auch nie zu und setzten immer ihren eigenen Kopf durch.

„Diese Feder… ist etwas ganz Wertvolles. Bisher jedes meiner Werke ist ihr entsprungen. Sie ist nie kaputtgegangen. Ich weiß auch nicht, was sie so stabil und haltbar macht, aber es ist nun einmal so.

So… Stadt Verona, Italien.

Wie bringe ich denn eine Handlung ein?

Sollen die Liebenden gleich zusammenkommen? Was meinst du, Watanuki? Was findest du schöner?“

„Mmh…“, antwortete ich nichtssagend, aber dafür ausweichend.

„Ich kenne mich nicht so sehr mit Büchern und Liebesdingen aus. Ich meide sie“, gestand ich.

„Ein Bücherhasser! Welch Schande! Ein solch hübscher, junger Mann wie du hat außerdem noch nie eine Geliebte gehabt?

Du weißt ja gar nicht, was du alles verpasst! Diese Leidenschaft, der Reiz der Liebe, das Flattern in der Bauchgegend, das Rasen des Herzens, das Rauschen des Blutes in den Ohren…“

Ich lauschte ihm und war am Überlegen, ob alle Autoren so waren wie er… oder ob er einfach einen an der Klatsche hatte.

Wie konnte ein einzelner Mensch so viel in nur so kurzer Zeit philosophieren?

Ich betrachtete die brennende Kerze auf dem Tisch, welcher vor lauter Pergamenten beinahe überzuquellen schien. Irgendwie bestand da schon fast eine richtige Brandgefahr.

Ich sah mich weiter im Raum um.

Überall lagen Stapel voller Pergament herum, auf manchen sah ich rote Wachsversiegelungen.

Einiges befand sich auch in einem zerknüllten Zustand auf dem Boden.

Überall befanden sich Tintenfässer und Kerzen, soweit ich es in der doch schon stark vorangeschrittenen Nacht noch erkennen konnte, das Zimmer war nicht sonderlich hell.

Ich konnte das leichte Kratzen der Feder auf dem Papier hören, als der große Meister im schwachen Schein der Kerze die ersten Zeilen seines berühmten Meisterwerks verfasste.

„Erste Szene… im Schloss von Verona… Zwei verfeindete Familien treffen aufeinander.

Es war dunkel und es regnete, blitzte, donnerte, da selbst die Natur diesen Streit nicht duldete“, flüsterte der Schreiber und in diesem Moment donnerte es laut und Blitze erhellten die Nacht.

Gedankenverloren sah ich hinaus, wo der Regen immer noch die Straßen durchnässte.

Ich ging zum Fenster und schloss den Laden.

Danach setzte ich mich wieder auf einen Stuhl und beobachtete Shakespeare weiter.

Irgendwie… kam ich mir gerade so unnütz vor.

War es nicht mein Auftrag ihm zu helfen? Aber wie konnte man denn jemandem helfen, wenn man ihm nicht zu viel verraten durfte?

Ich blinzelte und gähnte anschließend.

Ich war auf einmal so müde… dieses Gefühl breitete sich weiter in mir aus, das stetige Kratzen der Feder beruhigte mein Gemüt und schlussendlich ließ ich los…

 

„Ein schrecklicher Mörder, der eine ganze Familie auslöschte… Und das war… der niederträchtige Duce Montague…!“, murmelte Shakespeare und sah weiterhin in den Regen hinaus.

„Die Einzige, welche von der ehrenwerten Familie der Capulets übrigblieb, war Juliet!“

„Na, hast du Ideen bekommen, großer Schreiber?“

„Oh ja, sogar sehr viele! Aber irgendwie… bemitleide ich diesen Jungen da hinter mir… Er hat keine Ahnung, was es heißt, mit den Charakteren einer Geschichte mitzufühlen, ihrem Schicksal teilzuhaben. Er scheint Bücher, wenn er denn überhaupt welche in die Hand nimmt, einfach nur zu lesen, aber er hat keine wirkliche Vorstellung davon, was sie ausdrücken wollen…“

„Du weißt, dass dich dies einen weiteren Gegenwert kosten wird, Willy“, betonte Yuko ausdrücklich und der Schriftsteller grinste.

„Darf ich auch mitmachen?“, fragte er vorsichtig und nun war es an der Hexe, die Lippen zu einem Grinsen zu verziehen.

„Der Preis… wird die Erstausgabe von deinem Buch sein!“, sagte Yuko und Shakespeare erschrak etwas. Der Autor schluckte.

„Das… ist ein hoher Preis für einen Schriftsteller. Aber… ich werde ihn bezahlen!“

„Dann… wird sich dein Wunsch erfüllen!“, endete die Hexe und verschwand.

Watanuki schlief weiterhin und merkte gar nicht, wie er und William in die Luft gehoben wurden und beide nebeneinander auf einem Bett landeten, friedlich schlafend.

Noch war er ruhig, versunken in den Tiefen seiner Träume.

Noch.

Akt 3: Mittendrin in... Neo Verona!!

Es waren einmal zwei reine Herzen, deren Verlangen zueinander entbrannte, sodass ein Wunder der Leidenschaft entstand. Doch ungeahnt dessen, wird zartes Gefühl und weiße Haut mit Dornen gespickt und bitterem Untergang geweiht sein.

Denn die Welt wird gehalten… von der Macht zweier Bäume… Einer dieser Bäume ist bereits verdorrt, seit die Familie der Capulets ermordet wurde.

Jetzt existiert nur noch Escalus.

Doch das Leben der beiden Bäume hängt voneinander ab…

Dennoch: Brennende Leidenschaft siegt und wird ewig verbleiben!!

 

„Escalus? Was ist das?“, hauchte ich verwirrt. War das ein Traum?

„Ja. Escalus enthält die Lebensmacht, die den ganzen Kontinent hält.“

„Ich spüre eine mysteriöse Kraft. Aber Geister sehe ich keine…“

Die Bäume, welche ich vor mir sah, waren wirklich riesig. Ihre Wurzeln verzweigten sich in alle Richtungen, gingen in jede kleinste Ritze.

„Hier nahm alles seinen Anfang. Und hier… wird auch alles sein Ende finden!“

„Wer bist du?“, fragte ich, endlich konnte ich eine Gestalt vor mir erkennen:

Es war eine Frau… Sie trug ein helles, weißes Gewand, ihre Augen besaßen blaugrüne Pupillen, welche unheimlich leuchteten, ihre Haare schimmerten hellblau.

Sie hatte eine rote Tätowierung auf der Stirn und unter den Augen, welche sich wie ein einzelner Strich über ihre Wange zog. Sie sah schön aus, aber auch mysteriös.

„Ich heiße Ophelia… Und du, Watanuki… bist nun mittendrin!“

„Mittendrin?“, hakte ich verwirrt nach.

Vor mir sah ich nur diese beiden Bäume, welche anziehend leuchteten und strahlten. Sie waren wirklich wunderschön.

Doch dieses Bild löste sich vor mir auf, da einer dieser Bäume augenblicklich verdorrte.

„Und den anderen wird es auch noch treffen… Der Wille des Escalus wird entscheiden, ob diese Welt noch eine Zukunft haben wird… Zwei Menschen werden sich dieser Herausforderung stellen müssen, ob sie wollen oder nicht…!“

Zwei Menschen? Baum? Zukunft? Ich verstand wirklich überhaupt nichts.

War ich eben nicht noch bei Shakespeare daheim gewesen?

Wo war ich denn nun?

 

„Achtung, aus dem Weg!“, schrie plötzlich jemand und ich wurde zur Seite geschubst.

Verwirrt blickte ich auf und sah einen jungen Mann an mir vorbeistürmen, sein roter Umhang wehte eilig hinter ihm her.

Er hatte eine Frau mit blonden Haaren am Arm gepackt und zerrte sie hinter sich her.

War das etwa eine Entführung?

„Nanu? Wer war das denn?“, fragte ich mich laut und bekam von der Verkäuferin neben mir auch prompt eine Antwort: „Das war der Rote Wirbelwind!“

„Roter… Wirbelwind? Was ist das denn für ein seltsamer Name?“, wollte ich verwirrt wissen.

„Sag nichts gegen den roten Wirbelwind!“, sagte ein kleiner Junge neben mir.

„Er beschützt uns alle! Ganz Neo Verona!“

Neo… Verona?

Ich blinzelte. Das hier war ein Traum, ganz eindeutig, es musste einfach einer sein.

Irgendwie war dieser „Rote Wirbelwind“ seltsam. Ich musste ihm hinterher! Ich musste herausfinden, was es damit auf sich hatte!

Ich rannte nach links um die Ecke, hinter welcher der junge Mann verschwunden war.

Ich hatte ihn aus den Augen verloren… Mist!

Wachen schrien weit über mir und ich sah hinauf. Dort oben standen die beiden Gestalten von eben ja!

Das nächste Ereignis wurde mir nur durch ein kurzes Knirschen angekündigt – die Überreste der alten Treppe, auf welchen der Rote Wirbelwind stand, brachen unter ihm zusammen.

Ich wich hastig den herunterfallenden Teilen aus und legte schützend meine Hände über den Kopf.

Plötzlich ertönte ein kreischendes Wiehern und ich wich entsetzt zurück, als der riesige Schatten eines weißen Flugtieres über mich hinwegsauste.

„Was zur Hölle ist das für ein Vieh?“, wagte ich mich laut zu fragen, da flog auch schon das nächste über meinen Kopf und sammelte die andere Frau auf. Dieses Mal war es hellbraun.

„Yuko… wo hast du mich denn nun wieder hingeschickt? Oder was für ein verdammt realer Albtraum ist das bitte sonst?“

Eine weiße Feder flog vor mir zu Boden, ich sammelte sie auf und betrachtete sie.

Irgendwie fühlte sich das alles so wirklich an…

Ich blickte nach oben und rannte erneut los.

Wo die Flugtiere waren, befanden sich auch die Frau und der Rote Wirbelwind.

Sie landeten in einer schmalen Gasse und ich versteckte mich hinter der Ecke.

Ein schlanker, junger Mann saß auf dem weißen Flugtier und half dem roten Wirbelwind abzusteigen. Dieser schien nicht sonderlich begeistert über diese waghalsige Rettungsaktion.

Ein anderer junger Mann half der blonden Frau von seinem braunen Tier herunter.

Die Geretteten verabschiedeten sich und verschwanden. Leise fluchend war ich dazu gezwungen zu warten, bis die beiden jungen Kerle mit ihren Flugtieren verschwunden waren, da ich den beiden seltsamen Gestalten nicht anders folgen konnte.

Zu meinem Glück sah ich, dass sie noch nicht weit gekommen waren.

„Das war wirklich sehr riskant, Juliet!“, sagte die Blonde und ich zog die Augenbrauen in die Höhe.

Juliet? War das nicht der englische Form von… Julia??

Shakespeare hatte doch nicht etwa…??

Ich bekam langsam Panik. Das hier war für mich so abstrakt, so unverständlich, dass ich Angst bekam. Diese „Romeo und Julia“-Version war mir völlig unbekannt.

Was zur Hölle hatte der Dichter angestellt?

Die jungen Frauen (zumindest vermutete ich nun, dass es sich bei dem Roten Wirbelwind um eine Frau handelte, da der Name Juliet doch sehr weiblich klang) erklommen eine Wendeltreppe und verschwanden hinter einer Holztür.

Ich stand vor dem Eingang und zögerte.

Sollte ich ihnen hinterher gehen?

Ich schluckte einmal und war mir bewusst, dass wenn ich hier noch länger stehen und Wurzeln schlagen würde, garantiert die Wachen kämen und mich erst einmal mitnehmen würden.

Damit hatte ich nichts gewonnen und entschied mich daher, ihnen zu folgen.

Ich ging durch mehrere Gänge und durch einen kleinen Innenhof, die Frauen immer im Auge behaltend.

„Hallo!“, grüßten die beiden jemanden und eine für mich bekannte Stimme antwortete ihnen.

Vorsichtig linste ich nach links in die offene Tür hinein, konnte jedoch niemanden sehen, da mir ein Vorhang die Sicht versperrte.

Ich wollte den jungen Frauen weiterhin folgen, als mich plötzlich eine Hand am Kragen packte und durch den mit Stoff verhangenen Türrahmen zog.

Eine Hand legte sich vor meinen Mund, um meinen Schrei zu ersticken.

Meine Augen weiteten sich, als ich ihn sah:

„WILLIAM?!?!?!“, brüllte ich nun fast und er grinste mich an.

„Hallo Watanuki! Wie schön, dich auch hier zu treffen!“

„Tu nicht so! Lügen sehe ich den Leuten an der Nasenspitze an!“, rief ich weiter und er winkte mit den Händen.

„Pssst! Nicht so laut!“, flüsterte er und ich konnte ihm über die Schulter sehen.

„Befinden wir uns hier… etwa in einem Theater oder so was in der Art?“

„Oh ja! Ich wollte schon immer ein eigenes Theater haben!“

„Aber… wo sind wir genau? Ist das auch kein Traum?“, fragte ich verzweifelt, beinahe wünschte ich mir, dass ich mit einem Eimer kalten Wassers geweckt werden würde, dann konnte ich mir immerhin sicher sein, dass dieser Albtraum ein Ende gefunden hatte!

„Wir befinden uns hier… in Neo Verona! Ist das nicht toll? Wir leben meine Geschichte!“

„Hääää?“, gab ich von mir, „Aber du hast Romeo und Julia doch in Verona spielen lassen! Oder hab ich da etwas falsch mitgekriegt?“

„Du hast geschlafen, mein Lieber. Ich habe meinen ersten Entwurf vernichtet und einen neuen angefangen! Wir befinden uns hier auf einem schwebenden Kontinent! Und diese Stadt hier heißt Neo Verona! Klingt auch viel besser als Neo Paris nebenbei… Ja!

Wir befinden uns hier auf dem Hauptwohnsitz meiner Familie! Meine Mutter habe ich aufs Land abgeschoben, ich brauche sie nicht so dicht bei mir. Aber ich besitze hier mein eigenes Theater! Und es wird gerade Otello aufgeführt… so ein tolles Stück von mir!“

Er deutete theatralisch nach unten. Ich erkannte, dass wir uns auf einer winzigen Loge befanden und unten auf der Bühne redete eine blonde Schauspielerin gerade hysterisch auf einen Baum ein.

Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Du musst es dir bei Gelegenheit unbedingt ansehen! Aber wir sind momentan noch am Üben, damit es klappt mit der Premiere.

Meine weibliche Hauptdarstellerin macht mir ein paar Probleme. Jedoch spüre ich, dass sie Talent hat! Ich muss es nur noch finden…“

„Halt… nochmal langsam für mich bitte: Wir sind hier… in deiner Geschichte?“, hakte ich nun völlig orientierungslos nach.

„Jaaaaa, du Frühversteher! Ist das nicht toll? Ich habe eine neue Version angefangen, also pass gut auf! Es geht hier um zwei Familien: Die Capulets und die Montagues…“

Ich nickte, soweit konnte ich dann doch noch folgen.

„Und der böse Duce Montague hat die komplette Familie der Capulets ausgelöscht, bis auf eine – Juliet! Sie ist noch am Leben und wird von meiner ehrenwerten Familie und einigen ehemaligen Wachen der Capulets beschützt!

Sie soll sich an ihrem sechzehnten Geburtstag gegen den bösen Tyrann erheben und die Stadt Neo Verona in den Frieden führen!“

„Aha… Und wie… sind wir in Gottes Namen in diese Geschichte reingekommen?“, wollte ich beinahe anklagend wissen.

„Na durch die Hexe, ich habe es mir gewünscht! Aber weißt du, Watanuki, du hast mich richtig inspiriert! Dank dir konnte ich mir Romeo so gut vorstellen!“

„R… Romeo?“, kreischte ich beinahe, die weibliche Schauspielerin schaute auffällig zu uns nach oben.

„Sei doch nicht so laut! Nun, wir verstecken Juliet, sie hat sich seit der Tragödie damals immer als Junge verkleidet und heißt Odin… ich habe mich selbst so eingebaut, dass Juliet glaubt, dass ich von ihrer zweiten Identität nichts weiß, ich möchte es ja spannend halten, das ist klar…“

„A… Also war das vorhin wirklich Juliet?“, überlegte ich laut.

„Vorhin?“, fragte Shakespeare nach.

„Ich wurde fast von ihr umgerannt! Sie scheint in der Stadt als der Rote Wirbelwind bekannt zu sein…“, antwortete ich ihm und der Dichter hob einen Zeigefinger.

„Ja! Das ist ihre dritte Identität! Sie rettet die Stadtbewohner vor der Herrschaft des bösen Duce! Wenn du meinen Text jetzt interpretieren müsstest, würde man sagen können, dass sie sich bereits jetzt schon auf ihre Aufgabe in der Zukunft vorbereitet!“

„Nun für mich nochmal langsam…

Juliet ist also die letzte Überlebende der Capulets. Sie ist aber auch Odin, weil sie sich seit ihrer Flucht damals als Junge verkleiden musste. Und, und sie ist der Rote Wirbelwind, eine Figur, welche die Menschen vor dem Unrecht dieses komischen Duce oder wie er heißt beschützen soll?“

„Korrekt! Du hast alles verstanden! Ich bin so stolz auf dich!“

„Aber das geht nicht!“, brauste ich auf.

„Warum denn nicht?“, wollte der Dichter wissen und zwirbelte sich seinen kleinen Schnurrbart zurecht.

Ich bemerkte eben erst, dass er sehr… gewöhnungsbedürftige Kleidung trug.

„Das… steht so niemals in Ihrem zukünftigen Stück! Sie können doch nicht einfach schreiben, was Sie wollen!“ Warum ich nun wieder ins „Sie“ rutschte, wusste ich in diesem Moment auch nicht so genau.

„Und ob ich das schreiben kann, was ich will! Dafür bin ich ja hier! Ich wollte schon immer mal einen Fantasyroman schreiben mit lauter fliegenden Pferdchen!

Ich hole mir Inspiration! Ich hole mir das, was ich verdient habe! Anerkennung! Künstlerische Freiheit! Ich hole mir…“

„Du hast leicht reden!“, unterbrach ich ihn. Nun wieder beim „Du“ angelangt.

„Hast du dir überlegt, dass sich durch deine kleine Laune vielleicht die Zukunft ändern könnte?“

Shakespeare legte den Kopf schief.

„Hast du dir schon mal überlegt, dass mein zukünftiges Werk vielleicht nur deshalb so geworden ist, weil ich genau diesen kleinen Ausflug hier gewagt habe?“

Ich wollte widersprechen, fand aber keinerlei Argumente.

„Und wie lange wird unser „Ausflug“ hier dauern?“, fragte ich resigniert.

„So lange, bis die Geschichte zu Ende ist, das ist ja klar!“, war die Antwort und ich seufzte.

Oh je. Das konnte dauern.

„Und wer bestimmt darüber, was in dieser Geschichte hier geschieht?“, wollte ich noch wissen.

„Das, mein lieber Watanuki… liegt ganz allein daran, was du daraus machst!“

Der Dichter wedelte mit einem Blatt Pergament und seiner Feder vor meiner Nase herum.

„Ich werde alles notieren, was du erlebst!“

Oh ja. Es würde noch dauern. Ganz, ganz lange, das sagte mir mein Bauchgefühl…

Aber ich sollte die Macht haben? Das gefiel mir irgendwie nicht. Apropos… wer war ich in dieser Welt eigentlich?

„Und welche Rolle hast du mir zugedacht?“, wagte ich mich noch zu fragen, doch bei dem Grinsen, welches der Autor aufsetzte, schwante mir nichts Gutes…

Du, mein lieber Watanuki… du wirst mein Assistent werden, das ist klar!

Und ich setze dich ab jetzt auf Juliet an! Du wirst sie auf Schritt und Tritt verfolgen, natürlich als Beschützer… Ich will dich jeden Abend in meinem Zimmer sehen. Du erstattest mir Bericht! Jeden Tag!“

„Aha“, erwiderte ich wenig begeistert.

„Komm, ich werde dich gleich den anderen vorstellen!“

„William, was ist nun mit meiner Rolle?“, rief die Blonde von der Bühne hinauf.

„Wir machen später weiter, Emilia, mach eine Pause!“, schrie der Dichter mit einer abwinkenden Handbewegung nach unten.

Ich trat zuerst aus dem Raum hinaus, kam jedoch leider nicht sonderlich weit, da ich beinahe sofort einen Schlag auf den Hinterkopf bekam und taumelnd zu Boden sank.

„Odin! Was machst du denn da?“, hörte ich Shakespeares Stimme wie aus weiter Ferne an mein Ohr dringen.

„Oh… äh… ich dachte, dass diese Person ein Eindringling ist, weil sie mir fremd war – ist dem etwa nicht so?“, hörte ich Juliet unsicher fragen.

„Nein, Odin, das ist mein neuer Assistent! Er heißt Watanuki und wird von heute an auch bei euch wohnen!“

„Watanuki? Das ist aber ein seltsamer Name! Und ich dachte schon, dass dein Name seltsam ist, Willy!“

„Du wirfst heute nicht gerade wieder mit Komplimenten um dich, Odin! Pass nur auf, sonst musst du in meinem nächsten Stück wieder ein Schaf spielen! Benimm dich!“

„Och, nicht doch… aber besser als den Geliebten von Emilia spielen zu müssen!“, schmunzelte die letzte Überlebende der Capulets.

Nachdem sie mir aufgeholfen hatte, wurde mein Blick wieder etwas klarer und ich konnte sie genauer betrachten. Sie sah wirklich aus wie ein Mann: Sie trug Hosen und ihr Haar war kurz.

„Ich möchte ihn nun auch den anderen vorstellen, gehen wir nach oben?“

„Natürlich! Verzeih, Watanuki, es war wirklich keine böse Absicht, welche hinter meinem Handeln steckte!“

Das war schwer zu glauben. Der Faustschlag hatte es in sich gehabt. Echt jetzt!

„Schon gut, allmählich bin ich es gewohnt, dass alles Negative mir passiert… es ist irgendwie nichts mehr Neues für mich!“ Ich grinste etwas schief, bevor ich William wütend anfunkelte, der aber entschuldigend die Schultern hochzog.

„Ich bin nicht dafür verantwortlich was hier passiert, es geschieht alles allein!“, flüsterte er mir noch zu, bevor wir in einen Geheimschacht stiegen, wo uns einige Treppen nach oben führten.

„Jaja…“, antwortete ich leise und folgte der Capulet-Tochter nach oben.

„Oh, William! Schön, dich auch mal wieder hier oben zu sehen!“, wurde er von einem älteren Mann begrüßt.

„Ich weiß, freut mich auch dich wiederzusehen, Conrad!“, erwiderte William.

„Darf ich euch vorstellen? Dies hier ist mein Spion! Er heißt Watanuki!“

„Das ist aber ein seltsamer Name!“, wiederholte sich die Aussage, dieses Mal von der blonden Frau, welche ich vorhin an Juliets Seite gesehen hatte.

„Odin, musst du dich nicht für die Probe umziehen?“, fragte William nun an Juliet gewandt, welche etwas zusammenzuckte.

„Stimmt! Ich werde nach oben gehen!“, sagte sie und verschwand augenblicklich.

„Er kommt von weit her, Cordelia. Watanuki - dies hier ist Cordelia, die beste Freundin von Juliet.“

„Juliet? Er weiß davon?“, fragte der Mann namens Conrad und William nickte.

„Watanuki war für mich viele Jahre lang spionieren, um Informationen über Montague herauszufinden, welche euch helfen könnten! Und er hat viele Pläne vom Schloss erstellt, die uns bei einem Angriff in späterer Zukunft sehr nützlich sein können! Ihr wisst schließlich, dass Montague nach der Übernahme einige Teile des Schlosses umgebaut hat und uns die alten Lagepläne daher nur noch bedingt nützen“, log der Dichter gekonnt und alle Anwesenden im Raum nickten beeindruckt.

Mir war das Ganze etwas unangenehm. Hoffentlich nahm das kein böses Ende…

„Das hier sind Francesco und Curio!“, stellte mir William weiter vor und ich nickte den beiden Männern anerkennend zu.

„Watanuki wird von nun an auch bei uns leben!“, bestimmte der Autor und Cordelia seufzte.

„Noch ein Maul mehr durchzufüttern, es ist wahrlich jetzt schon schwer alle durchzukriegen…“

„Ich esse nicht viel, wirklich!“, versprach ich kleinlaut, doch die blonde junge Frau winkte lächelnd ab.

„So war das nicht gemeint. Wir werden das schon hinkriegen!“, versicherte sie mir und diesmal seufzte ich.

„Du wirst das Zimmer neben Juliet bekommen, es ist zwar sehr klein, aber es wird reichen“, informierte mich Conrad und ich nickte.

„Vielen Dank!“, sagte ich.

„Ach ja und wundert euch nicht! Ich möchte, dass er ein bisschen auf Juliet aufpasst und sich mit ihr anfreundet! Das ist seine nächste Aufgabe von mir und ich will, dass ihr ihm die Chance gebt, sie auch zu erfüllen!“, erklärte William, Conrad klappte sein Buch zu und schob seine Brille weiter nach oben.

„Das geht in Ordnung. Je mehr Beschützer sie hat, desto besser. Aber, Watanuki… sie wird von ihrer Bestimmung erst an ihrem 16. Geburtstag erfahren! Noch sprichst du sie bitte mit „Odin“ an!“

„Jawohl!“, sprach ich und nickte.

Da war ich also nun.

Mittendrin… in Neo Verona.

Zusammen mit William Shakespeare. Na toll. Das konnte ja lustig werden…

Akt 4: Der Butler, der mal eben den Brunnen bedienen ging

Eine erste Begegnung im Mondenschein… oder war es nicht doch schon die zweite?

Zwei unschuldige Seelen… welche sich augenblicklich ineinander verliebten.

Diese beiden waren Romeo und Juliet.

Er liebt sie und sie liebt ihn. Und allem Widerstand zum Trotz versucht das junge Paar den Weg zu einander zu finden. Die Liebe gibt ihnen Kraft, die höchste Not mit höchster Freude zu verbinden. Kann das gelingen?

Die Masken fallen zu Boden… denn jeder ist so, wie er ist!!

 

„Nein! Stopp! So geht das doch nicht!“

„Was habe ich denn nun wieder falsch gemacht?“, fragte Emilia sichtlich genervt.

„Du spielst es mir nicht inbrünstig genug!“, erklärte Shakespeare mit wedelnden Händen.

„Bei diesem Partner ist das ja auch nicht verwunderlich! Odin? Möchtest du nicht mein Partner sein?“

„Aber ich spiele doch schon das Schaf!“, erwiderte Juliet. William hatte seine Drohung mit der Rolle für die junge Capulet tatsächlich wahrgemacht.

„Und was ist mit dir?“, wollte sie von mir wissen.

„Ohhh… ich bin ein ganz miserabler Schauspieler, wirklich ganz schlecht. Da solltest du wohl besser jemanden fragen, der mehr Erfahrung im Theaterspiel hat als ich!“, winkte ich ab.

Eigentlich wollte ich mich nicht einmischen. Und schauspielern wollte ich erst recht nicht!

Schon schlimm genug, dass William verlangte, dass ich mich um Juliet kümmerte.

Aber dieser Aufgabe stellte ich mich, schließlich war ich hier im Theatersaal und sah bei den Proben zu Willys neustem Stück „Otello“ zu, in welchen Juliet ebenfalls involviert war.

„Ihr wollt mich einfach nicht verstehen!“, rief Emilia erzürnt, „Ich kann nur mit einem Partner spielen, der auch mit mir als Person umgehen kann! Sonst können wir die Rolle vergessen! Ach, ich habe für heute keine Lust mehr! Außerdem muss ich langsam los, ich bin noch verabredet!“

„Emilia, du kannst doch nicht einfach - Emilia!!“, kreischte William entsetzt, doch die blonde Schauspielerin war schon verschwunden.

„Ich würde fast sagen, sie mag dein Stück nicht, Willy!“, betonte ich absichtlich amüsiert, doch ich wurde mit einem Tötungsblick fixiert.

 

„Wohin geht Ihr denn noch, Emilia?“, erkundigte ich mich, nachdem ich Juliet und ihr zum Umkleidungsraum gefolgt war.

Natürlich blieb ich wie ein Gentleman vor der Tür stehen.

„Es findet heute Abend der alljährliche Rosenball im Schloss des Duce statt!“, antwortete mir die blonde Schauspielerin.

„Ein Ball bei den Montagues?“, fragte Juliet sichtlich unwohl.

„Jaaaa! Möchtest du nicht mitkommen, Odin? Es wird ganz toll und wir verstecken unsere Gesichter alle hinter Masken! Ich bin so schüchtern, ich trau mich nicht allein hinzugehen! Los, Odin, zieh dir doch ein Abendkleid an!!“

„Muss ich das denn?“

„Jaaaa, du musst doch als Mädchen hingehen! Ach, komm schon, Odin, tu mir den Gefallen!!“

„Ich werde euch begleiten!“, sagte ich sofort, „Nicht, dass euch noch etwas passiert. Ich gehe mich nur schnell umziehen!!“

„Dankeschön, Watanuki!“, hörte ich Juliets Stimme, sie klang nun doch wesentlich unbesorgter.

Ich musste lächeln und ging schnell in den Raum nebenan und zog mir den nächstbesten Anzug an, den ich fand. Vermutlich ein Kostüm für Willys Theaterstück.

Er musste ja nichts Besonderes sein… oder?

Nur eine Maske fand ich einfach nicht. Egal. Darauf würde es schon nicht ankommen.

Ich trat vor den Spiegel und musterte mich.

Ich trug ein weißes Hemd und einen langen, schwarzen Mantel darüber.

Meine Haare waren gekämmt und ich sah doch relativ ordentlich aus.

„Ich wäre dann soweit!“, rief ich und als ich ins Zimmer trat, blieb mir die Luft weg.

Ich sah Juliet - das allererste Mal als Mädchen. Sie war wirklich wunderschön.

Das rote Abendkleid passte perfekt zu ihren roten, langen Haaren und stand ihr einfach prächtig - Moment mal! Lange Haare? Dann war das also nur eine Perücke, die sie bisher getragen hatte.

„Du… bist wunderschön!“, hauchte ich und sie lächelte schüchtern.

„Ah, da sind Sie ja, meine Verehrteste! Los, wir müssen uns beeilen! Der Ball hat schon lange angefangen!!“

Ehe ich den Mann erkennen konnte, der gerade hereingestürmt kam, hatte er die ärmste Juliet auch schon am Handgelenk gepackt und mit sich gezogen.

„Halt! Warten Sie! Was ist denn mit Emilia?? Halt! Ich komme mit!!“, brüllte ich und rannte ihnen beiden hinterher.

„Was suchen Sie hier?“, fragte der korpulente Mann, als wir in seiner Kutsche saßen.

„Ich? Ich bediene auf dem Rosenball! Ich hoffe, es kommt nicht ungelegen, dass ich in solchem Moment um Mitfahrt bitte“, redete ich mich heraus und hoffte, dass er mir diese Ausrede abkaufen würde.

„Nein, nicht doch. Na, dann wollen wir mal!“

Die ärmste Emilia. Wir fuhren ohne sie los.

Aber ich konnte nichts mehr für sie tun…

Die Kutschfahrt dauerte nicht lange, dann hielten wir an.

Eifriges Geplauder drang an meine Ohren, als ich ausstieg und Juliet aus der Kutsche half.

Wir gingen zu dritt durch den prächtigen Torbogen in den Eingangssaal des Schlosses, doch ehe ich mich versah, wurde ich auch schon von den zwei Bediensteten mitgezogen.

Eigentlich überreichten sie den Frauen Blumen, jetzt schleppten sie mich ab.

Juliet schien so verzaubert von ihrer Umgebung, dass sie noch nicht einmal mitzubekommen schien, dass ich nicht mehr an ihrer Seite war.

„Sie sind spät dran, jetzt aber los!“, sagte der eine Butler zu mir und drückte mir ein Tablett in die Hand.

„Geh bedienen! Oder der Duce lässt dich in die Kerker werfen!“

Ich musste schlucken.

Warum wieder ich? Das mit dem Butler… das war doch nur eine Idee gewesen! Warum machten die Bediensteten hier jetzt damit ernst? Sah ich denn wirklich wie ein Butler aus, nur weil mir die Maske fehlte?

Ich nickte verängstigt und wurde mitten in die Menschenmenge geschubst.

Ich räusperte mich und nahm eine aufrechte Haltung an, dann hielt ich das Tablett gerade, um die Getränke darauf nicht zu verschütten.

„Darf ich Ihnen einen Drink anbieten, Milady?“, fragte ich elegant eine Dame neben mir, welche nickte und sich ein Glas nahm.

Ich richtete mich auf und sah mich um.

Das Schloss war prächtig gebaut. Überall standen goldene Engelsstatuen mit Kerzen darauf, der Raum war in Weiß gehalten und hell erleuchtet.

Säulen hielten die große Deckenkuppel und überall waren rote Rosen aufgestellt. Das prächtige Familienwappen der Montagues war auf riesige Vorhänge gestickt worden, welche die Wände zierten.

Die Menschen um mich herum trugen alle bunte Masken und unterhielten sich leise, manche tanzten auch zur Musik.

Wo war denn Juliet nur hingegangen?

Ich kämpfte mich nach vorne, hielt verzweifelt nach ihr Ausschau.

Erst wurde sie von einem ihr fremden Mann einfach mitgenommen, dann hatten wir Emilia daheim vergessen und nun hatte ich sie auch noch verloren! Das gab es doch nicht! Dabei sollte ich doch auf sie Acht geben!

„Wo bist du nur?“, murmelte ich leise und balancierte mit dem Tablett in der Hand weiter vorwärts, sehr darauf achtgebend, dass ich auf dem blankpolierten Boden nicht ausrutschte.

Nachdem ich vier weitere Getränke auf meinem Tablett loswurde und mich unauffällig weiter umschaute, sah ich sie plötzlich:

Sie stand relativ weit vorne im Saal, dort führten an der linken und rechten Seite zwei Treppen in das obere Stockwerk, wo ein hochgewachsener Mann stand und auf seine Gäste hinunterblickte.

Ich schenkte ihm nur einen kurzen Blick, um meine Zielperson nicht erneut zu verlieren.

Juliet schien sich vor ihm zu fürchten, sie ließ ihre Rose und Maske fallen und rannte weg.

Ich fluchte und versuchte, mich mit dem Tablett voller Getränke weiter nach vorne zu drängeln und der Rothaarigen zu folgen.

Der Weg, den Juliet genommen hatte, führte mich nach draußen.

Völlig außer Puste sah ich die Capulet-Tochter an einem Brunnen sitzen. Na, welch ein Glück, ihr war nichts passiert!!

In diesem Moment bemerkte ich, dass noch jemand bei ihr war.

Ein gutaussehender junger Mann mit kurzen, meeresblauen Haaren stand ihr gegenüber.

War das… etwa Romeo? Der Romeo aus Neo Verona?

Es war beinahe so etwas wie ein „Magic Moment“ - Still standen sich die beiden gegenüber, keiner sagte etwas.

Ich traute mich gar nicht, näher zu kommen.

Nun schien der junge Mann etwas gesagt zu haben, da Juliet zu ihm aufsah, doch ich war zu weit weg, als dass ich verstanden hätte, worum es ging.

Ich pirschte mich im Schutz der Nacht näher an den gewaltigen Engelsbrunnen heran und versteckte mich dahinter.

„Der Duft dieser Iris… betört mich… mögt Ihr diese wunderschöne Blume?“

Juliet stutzte, ich beugte mich weiter vor, da ich durch die vielen kleinen Wasserfontänen, welche in den Brunnen schossen, Juliets Gesprächspartner nur sehr schlecht verstehen konnte.

„Ja!“, traute sich das Mädchen nun zu sagen.

„Und ähm… wie heißt Ihr? Darf ich Euren Namen erfahren?“, fragte der junge Mann sichtlich schüchtern.

„Ist das etwa… Romeo?“, flüsterte ich und beugte mich noch ein wenig weiter vor, ich wollte unbedingt mehr hören! Das Tablett in meinen Händen zitterte etwas, so weit hatte ich mich schon über das Wasser gebeugt.

„Seid so freundlich und sagt ihn mir!“

„Ähm… ich heiße…“

Plötzlich geschah es: Ich konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel vornüber in den Brunnen hinein, das Tablett voraus.

Ein lautes, für mich unter Wasser dumpfes Klirren ertönte, als die Gläser am Brunnenboden zerschellten, ich hörte das Rauschen von Wasser um mich herum, als ich prustend auftauchte. Zum Glück war der Springbrunnen nicht so tief gewesen, dennoch war es eiskalt und ich war über und über nass geworden.

Juliet schien die Situation ausgenutzt zu haben und rannte zum Ausgang, welcher von zwei Wachen versperrt wurde.

„Romeo! Dein Vater will dich sehen!“, hörte ich nun eine zweite Stimme hinter mir rufen.

Das Chaos war perfekt.

Eindeutig.

Ich stieg aus dem Brunnen und rannte Juliet hinterher.

„Jetzt warte doch!“, rief ich und tropfte den gesamten Platz voll, als ich ihr hinterher spurtete.

Wasser in den Schuhen zu haben war so… hinderlich!!

„Romeo! Jetzt weiß ich, wie er heißt! Romeo!“, rief Juliet sichtlich glücklich.

„Halt! Stehenbleiben!“, erklang eine Stimme von vorn.

„Geht Ihr etwa allein nach Hause? Ihr wisst, das ist verboten!“, sagte der andere der beiden Wachmänner und ich kam direkt neben ihr zum Stehen.

„Ich… begleite sie nach Hause!“, keuchte ich, doch die Wachen musterten mich misstrauisch.

Plötzlich tauchte auf der Straße eine Kutsche auf.

„Ich bin gekommen Euch abzuholen, junge Dame! Bitte steigt ein!“

„Darf ich fragen, welcher Familie Ihr angehört?“, wollte der erste Wachmann wissen.

„Ich bin empört! Erkennt ihr sie denn nicht?

Sie ist eine entfernte Verwandte der Montague-Familie! Sie gehört dem Haus Vanese an! Wenn ihr das Familienwappen sehen wollt, hier!“

Francesco war unsere Rettung. Er war urplötzlich, beinahe wie ein Baum aus dem Boden gewachsen und rettete uns vor den Wachen.

Ich bezweifelte, dass sie ein einsames Mädchen mit einem durchnässten Butler hätten gehen lassen. Wir waren schon sehr verdächtig, das musste ich dann doch zugeben.

„Das war knapp. Dankeschön!“, sprach ich, als wir in der Kutsche saßen.

Es war so eklig in nassen Klamotten zu sitzen und aufgrund des Kopfsteinpflasters durchgerüttelt zu werden.

„Was ist mit dir geschehen, Watanuki?“, fragte Conrad, der schon im Vorhinein in der Kutsche gesessen hatte.

„Er hat wohl ein kleines Bad im Brunnen genommen!“, kicherte Juliet.

„Es war mein Fehler! Ich bin gestolpert! Ich wollte so schnell wie möglich zu Euch kommen, Odin, weil ich Euch verloren hatte!“, schwindelte ich.

Sie musste nicht sofort wissen, dass ich lauschen wollte. Das würde mir kein gutes Verhältnis Juliet gegenüber bescheren, dessen war ich mir sicher.

 

Shakespeare saß in seiner Schreibkammer, als er die Ankömmlinge hörte.

Sofort öffnete er seine Tür.

„Watanuki? Könntest du bitte mal kurz kommen?“, fragte er, sah aber, dass sein Zielobjekt mehr als durchnässt war.

„Gut, vielleicht ziehst du dich vorher noch um, ich habe nämlich nicht die Muse, in meiner Stube schwimmen zu gehen!“, sagte der Dichter grinsend.

„Sehr lustig!“, war daraufhin die Antwort des Gepeinigten.

„Bis gleich!“, verabschiedete sich Shakespeare vorläufig und setzte sich erneut in seinen Sessel, welcher vor dem Feuer stand.

Sein Zimmer war sehr gemütlich eingerichtet, Teppichboden ließen seine Schritte verstummen, wenn er in schlaflosen Nächten auf und ablief, rastlos, ideenlos.

Die Wände hatten eine hölzerne Fassade, welche rot gestrichen war.

Vor seinen riesigen Fenstern hingen Vorhänge und sein Schreibtisch war mit Pergamentrollen übersät. Also eigentlich ein ganz normales Zimmer für einen darin wütenden Autoren.

Wenig später klopfte es.

„So, die abendliche Berichterstattung!“, forderte Shakespeare und Watanuki seufzte ergeben.

Er sah wirklich sehr erschöpft aus.

Dennoch fing er an zu erzählen…

„Also, das ist alles passiert? Klingt ja spannend!!“, kommentierte der Dichter, der hastig mitgeschrieben hatte.

„Warum schreibst du das alles auf?“, fragte Watanuki und William lächelte ihn an:

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir Inspiration hole!“

„Aha…“

„Aber was mich noch interessieren würde… wie hast du gefühlt?“, erkundigte sich Shakespeare.

„Wie ich… gefühlt habe?“, hakte Watanuki verständnislos nach.

„Ja! Was hast du dabei empfunden, als Romeo und Juliet sich gegenüberstanden? Hast du dich gefreut? Hast du eine Gänsehaut gehabt?“

„Ja… irgendwie schon. Es war so ein magischer Moment. Der Duft von Blumen lag in der Luft… Das Wasser plätscherte so beruhigend, die kühle Nachtluft streichelte meine Haare. Und Romeo und Juliet schienen das auch zu fühlen… Moment mal - Was rede ich da überhaupt?“

„Deine Seele redet, Watanuki. Endlich. Endlich begreift sie, was es heißt, mit jemand anderem mitzufühlen. Das ist fremd für dich, oder? Bist du allein aufgewachsen?“, fragte William und die Augen des Schwarzhaarigen weiteten sich.

„Woher weißt du…?“, setzte er an.

„Wenn man ganz allein ohne Familie und Freunde aufwächst, ist es schwer, mit anderen mitfühlen zu können, da man schließlich die ganze Zeit nur auf sich selbst fixiert ist. Doch hier wirst du lernen, deine Gefühle zu offenbaren, welche die ganze Zeit in dir geschlummert haben. Du wirst sie ans Tageslicht holen, da bin ich mir ganz sicher. Und jetzt… Geh schlafen, Watanuki. Morgen wird ein anstrengender Tag.

Juliet wird sechzehn Jahre alt. Das müssen wir feiern!“

Watanuki verließ mehr verwirrt als müde den Raum.

„Oh ja… du wirst lernen, in andere hinein zu blicken, du wirst dich mit ihnen freuen, aber auch mit ihnen leiden. All das werden wertvolle Erfahrungen sein, die du sammeln wirst, mein Junge. Warte nur ab. Es wird kommen und dich überraschen!“

William tauchte seine Schreibfeder in das Fass und schrieb hastig auf ein Pergament.

 

Und die Nacht wurde immer dunkler und dunkler und das Feuer loderte noch ein letztes Mal, es bäumte sich noch einmal auf, bevor es schlussendlich starb.

 

„Mann, bin ich müde! Und dann hatte ich auch noch so einen komischen Traum…“, gähnte ich, als ich mit Juliet und William zusammen im Theatersaal saß. Es war bereits der nächste Tag angebrochen und nach unserem für mich verwirrendem Gespräch am Vorabend konnte ich dementsprechend schlecht einschlafen.

Juliet hatte ich bereits zum Geburtstag gratuliert, ich hatte Cordelia geholfen das Geburtstagsfrühstück zuzubereiten und die Wäsche zu waschen.

Eigentlich machte ich auch hier nichts anderes als bei Yuko. Irgendwie deprimierend, aber bei Arbeiten im Haushalt war ich nun mal gut.

„Eine Frage, Willy: An was für einer Geschichte schreibst du denn gerade?“, fragte Juliet und ich sah William an.

Das war eine gute Frage…

„An einer Komödie!

Ein Mädchen namens Rosalind verwandelt sich in einen Jungen. Und am Ende wird aus ihr wieder ein Mädchen, und zwar aus großer Liebe! Ich nenne es: Wie es euch gefällt!

Gut, oder?“

„Und was soll daran toll sein?“, kommentierte ich, meine Laune war auf ihrem Tiefpunkt.

Zumal diese „Komödie“ wie er sie nannte, in meinen Ohren doch äußerst verdächtig nach der momentanen Geschichte von Juliet klang.

„Halt den Mund! So was verstehen solche Bücherhasser wie du nicht!“, kam die Antwort des Dichters prompt.

„Aber die anderen scheinen es auch nicht zu verstehen… es kommt ja fast niemand auf deine Aufführungen!“, erwiderte ich. Emilia hatte mir das erzählt.

William fuhr mir grob durch die Haare.

„Wirst du wohl still sein!“, zeterte er. Er redete beinahe so, als ob ich ein kleiner Junge wäre!

„Angenommen ein Prinz liebt eine Bürgerliche… Was meinst du, Willy, geht das gut?“

Wir hielten in unserem verbalen Kampf inne, als die Rothaarige uns unterbrochen hatte.

„Du kannst Fragen stellen!

Ich will dir mal etwas sagen, Odin: Die ganze Welt ist eine große Bühne und wir Menschen sind die Schauspieler. Die Liebe ist das Kind der Freiheit und hat mit Rang und Namen überhaupt nichts zu tun!“

„Ich geh dann mal… bis bald, Willy und Watanuki!“, sagte Juliet anscheinend nachdenklich geworden und verließ das Theater.

„William, findest du es denn ratsam, deinen eigenen Figuren Ratschläge zu erteilen?“, hakte ich nach.

„Veränderst du damit nicht irgendwas? Ich finde das seltsam! Sie ist genaugenommen eine von dir geschaffene Figur… Warum hilfst du ihr dann? Du könntest es doch einfach schreiben!“

„Ich habe dir bereits gesagt, Watanuki, dass ich das alles hier nicht schreibe, es passiert einfach so!“

„Nichts passiert einfach so!“, konterte ich. „Nichts ist Zufall! Es ist alles unausweichlich!“, meinte ich altklug.

„Wo hast du das denn her? Das ist ja richtig philosophisch!“, fragte Shakespeare.

„Von Yuko!“, antwortete ich patzig.

„Von der Hexe? Das sieht ihr ähnlich. Jetzt hör auf so unwichtige Fragen zu stellen, Watanuki, und geh Juliet hinterher!“

Und was tat ich? Richtig: Ich machte mich auf den Weg zu Juliet…

Akt 5: Der Tag der weißen Iris

Die Liebe, welche die Wangen entflammt wie das Morgenrot und das Herz zum Tanzen bringt, ist kurzlebig und die Verzweiflung klopft an die Tür des erregten Herzens. Eine grausame Wirklichkeit lässt Leidenschaft und Zauber im Nichts verschwinden.

Die weiße Iris… In der Blumensprache steht sie für „Unbeirrbar und immer stehe ich zu dir“. Ebenso wie Romeo zu Juliet und Juliet zu Romeo steht…

Eine Liebe, welche ihren Ursprung in der Unbeirrbarkeit einer Blume gefunden hat.

Ihr Duft… so lieblich wie ein Frühlingsmorgen… wird den Tag erhellen und die Unschuld für immer weiterleben lassen!

 

„Wo will sie denn nun schon wieder hin?“, fragte ich, doch ich folgte Juliet auf Schritt und Tritt, wollte nicht, dass sie sich verlief, oder schlimmer noch von den Wachen aufgegriffen wurde.

Wohin sie mich wohl führen würde? Die Sonne ging schon fast unter!

Immer höher führte sie mich, wir waren schon weit über der Stadt.

Sie ging immer mehr Treppen nach oben, bis wir auf einer blühenden Wiese standen.

„Das ist doch die weiße Iris?“, flüsterte ich leise und beugte mich zu einer weißen Blüte hinunter.

Die ganze Wiese war voll davon.

Ich meinte mich zu erinnern, dass Juliet gestern eine weiße Iris in der Hand gehalten hatte, als sie am Brunnen saß. Einige dieser Blumen waren auch im Wasser geschwommen, ich hatte durch mein unfreiwilliges Bad sogar nach ihnen gerochen.

Juliet schien diese Pflanze wirklich sehr zu lieben.

Zu meiner Überraschung bemerkte ich, dass wir nicht allein waren.

Schnell versteckte ich mich hinter einer Ruine. Hier schien wohl einst einmal eine Kirche gestanden zu haben und in ihren Überresten war diese herrliche Blumenwiese entstanden.

Hier traf Juliet… erneut auf Romeo!

Der Wind schien für einen Moment stärker zu werden und den Duft der Iris weiterzutragen.

„Da seid Ihr ja!“, ergriff nun der junge Mann das Wort.

„Prinz Romeo?!“

„Woher wisst Ihr meinen Namen?“, hakte der Adlige nach.

„Also, ähm… ich… das ist so…“, stotterte Juliet, sie schien nicht zu wissen, was sie antworten sollte.

„Dann darf ich auch erfahren, wie Ihr heißt, schönes Mädchen? Ich würde Euch gerne mit Eurem Namen ansprechen!“

Er sah sie an. Ein flehender Blick, dem sie sich da unterziehen musste. Konnte sie da überhaupt widersprechen?

„Ich heiße Juliet.“ Tja, die wahre Liebe fand wohl doch immer zusammen, was?

„Juliet… Das klingt ja wie… Musik in meinen Ohren!“, schwärmte Romeo.

„Das finde ich eher nicht“, meinte Juliet ernüchternd.

Auf einmal erklang eine Glocke aus weiter Ferne. Ich schreckte auf. War es schon so spät?

Ich musste Juliet zurückbringen, auf der Stelle!

„Ich muss nach Hause gehen“, sagte sie und ich war erleichtert, dass ich nun nicht als Spielverderber in diese Zweisamkeit hereinplatzen musste.

„können wir uns vielleicht“, rutschte es ihrem Gegenüber sichtlich enttäuscht heraus.

„Ich habe heute Geburtstag und viele Leute kommen. Sie wollen mit mir feiern, dass ich sechzehn geworden bin!“

„Ihr habt Geburtstag?“

„Ja!“, bestätigte sie ihm.

„Dann muss ich Euch ja… Eine Sekunde…“

Romeo suchte verzweifelt nach etwas, das er mit sich führte, schien bei seiner Suche jedoch erfolglos zu bleiben.

Dann beugte er sich hinunter und pflückte kurzerhand eine Blume, welche er Juliet in die Hand drückte: „Herzlichen Glückwunsch!“

Juliet schien sich wahnsinnig darüber zu freuen: „Ach, vielen Dank, wie schön!“

„Dann bin ich froh, können wir uns vielleicht wiedertreffen?“, fragte er zögerlich.

„Wann denn?“, kam die Gegenfrage.

„Morgen… ich meine, wenn Ihr Zeit habt?“

„Hier? Morgen, um die gleiche Zeit?“

Romeo nickte zustimmend.

„Dann bis morgen, schöne Juliet!“

„Ja, bis morgen, Romeo. Mach’s gut!“

Sie drehte sich um und lief auf mich zu.

Ich gab ihr noch einen Vorsprung bis zum Treppenabsatz, bis ich mich ihr anschloss.

Sie schien sichtlich überrascht zu sein, mich zu sehen.

„Watanuki! Was machst du denn hier?“, fragte sie und lief dunkelrot an, als sie merkte, dass ihre langen Haare umherflogen.

„Keine Sorge, ich bin auf deiner Seite, Juliet“, sagte ich und sie blieb wie festgefroren stehen.

„Woher weißt du…?“, setzte sie verwirrt an, doch ich lächelte beruhigend.

„Ich habe für deine Familie das Schloss der Montagues ausspioniert“, spann ich Williams Lüge weiter.

„Keine Angst. Ich werde dein Geheimnis für mich behalten.“

„Du weißt also vollständig über mich Bescheid, was?“, vermutete sie richtig und wir gingen weiter Richtung Williams Theater.

„So könnte man es sagen, ja“, antwortete ich ausweichend.

„Dann sag mir doch bitte, warum ich mich all die Jahre als Junge verkleiden musste! Wieso konnte ich nicht Juliet bleiben?“

Warum wollte eigentlich jeder von mir, dass ich ihm etwas sagte, was er zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht wissen durfte?

„Das… wird dir erklärt. Nach dem Abendessen. So lauten zumindest meine Informationen.“

Es stimmte, bevor William mich ihr hinterher geschickt hatte, hatte er erwähnt, dass Conrad heute Abend eine Versammlung auf dem Friedhof angekündigt hatte, auf welchem die Familie der Capulets begraben lag.

Ich ging davon aus, dass Juliet dort erfahren würde, dass sie ihr Erbe anzutreten hatte und sie von da an wissen würde, dass sie die letzte Überlebende der Capulets war.

„Ach Mensch, niemand darf mir etwas sagen!“, beschwerte sich die wunderschöne junge Frau und ich kicherte.

„Gedulde dich noch ein wenig, Juliet. Heute Abend wirst du alles erfahren!“

Beim gemeinsamen Abendessen wurde dieses Thema mit keinem Wort angeschnitten.

Erst, als die Teller weggestellt wurden, sagte Conrad: „Prinzessin Juliet. Es gibt einen Ort, an den du nun zu gehen hast.“

Im Gegensatz zu mir schien sie überrascht über die Anrede „Prinzessin“…

Wir gingen vor das Haus und stiegen in eine Kutsche, welche sofort losfuhr.

„Wo fahren wir denn nur hin?“, fragte Juliet, sie schien mehr Angst als Neugierde an den Tag zu legen.

„Wir sind gleich da!“, antwortete ihr Francesco beruhigend.

Tatsächlich bremsten die Ryubas, welche die Kutsche zogen, und wir hielten an.

 

„Aber das ist ja… ein Friedhof!“, hauchte Juliet entsetzt, als wir vor dem Tor standen.

„Ja. Gehen wir hinein!“, sagte Conrad und wir folgten ihm. Ich betete inständig, dass sich auf diesem Friedhof keine bösen Geister befanden. Wobei… konnten sie das denn überhaupt? Schließlich war das hier doch Williams Wunschwelt, oder nicht?

„Aber wieso…?“, setzte das junge Mädchen fragend an.

„Hier befinden sich die Gräber der Familie Capulet und der Familie Montague“, fing Conrad an zu erklären.

„Waren die Capulets auch Adlige?“, wollte die Rothaarige wissen.

„Die Sippe der Capulets hat früher jahrzehntelang Neo Verona gerecht regiert, bis vor 14 Jahren das damalige Familienoberhaupt der Capulets vom derzeitigen Regenten Montague  getötet wurde.“

Wir kamen vor einem geschändeten Grabstein an.

Hier lagen also die Capulets.

„Und Ihr, Prinzessin Juliet, seid die Tochter des ermordeten Fürsten Capulet!

Montague meuchelte nicht nur Euren Vater, er tötete auch Eure Mutter, Euren großen, sowie Euren kleinen Bruder und alle anderen Mitglieder der Familie.

Prinzessin Juliet… Ihr seid die einzige Überlebende der Capulets! Eine schwere Bürde lastet auf Euch!“, endete Conrad und wir drehten uns um.

Viele Menschen hatten sich hinter uns versammelt, ich schätzte ihre Anzahl auf über fünfzehn.

„Wer sind diese Menschen?“, fragte die Rothaarige beinahe verängstigt, doch alle fingen an, vor ihr niederzuknien.

Wir grüßen Eure Hoheit Juliet Fiammata Asto Capulet!“, riefen alle im Chor, in diesem Moment setzte heftiger Regen ein.

Und auch an meinem zweiten Abend in dieser Welt wurde ich durchnässt. Na ganz toll!

Dennoch kniete ich ebenso ruhig da wie die anderen auch.

Es war seltsam, sich vor jemandem zu verbeugen. Ungewohnt. Ganz so als ob… ich demjenigen mein Leben in die Hände legen würde, ihm voll und ganz vertraute, denn ich zeigte Juliet meinen Nacken, die wohl verwundbarste Stelle des Körpers.

Danach… Stille, bevor Conrad erneut das Wort ergriff und wir uns alle wieder erhoben.

„Zuerst… ermordeten sie Euren Vater, das Familienoberhaupt der Capulets.

Wir, die wir das Blutvergießen vor 14 Jahren knapp überlebten, schworen uns, Euch, Prinzessin Juliet, vor den Montagues zu retten.

So seid Ihr nun die Letzte, in deren Adern noch das Blut der Capulets fließt.

Wir schmiedeten den Plan, uns an Eurem sechzehnten Geburtstag hier zu versammeln, denn Ihr habt ein Recht einzufordern!

Ihr allein könnt aufgrund Eurer hohen Geburt Montague herausfordern.“

Conrad zog ein Schwert hervor, welches behutsam in weißes Tuch eingebunden war.

„Das hier ist für Euch. Dieses Schwert haben die Capulets von Generation zu Generation weitervererbt. Nehmt es als Andenken an Euren Vater!“

Juliets Augen weiteten sich.

„Das ist… von meinem Vater?“, hauchte sie und nahm das Schwert entgegen, ganz vorsichtig zog sie es ein Stück aus der Scheide und betrachtete das Familienwappen darauf, ihr Wappen.

Eine weiße Iris.

„Hiermit schwören wir gemeinsam, den Duce Montague zu schlagen um die Stadt Neo Verona für uns zurückzuerobern!“, rief Conrad laut.

Tod den Montagues!“, schrien die Überlebenden der Diener.

Ich spürte, wie viel Hoffnung sie in die Capulet-Prinzessin zu setzen schienen.

Ich blickte zu ihr und sah, wie sie plötzlich schwankte.

„Juliet!“, entfuhr es mir und schnellte vor, um sie aufzufangen.

Sie glitt in meine Arme. Ich hätte nie gedacht, dass sie so leicht war.

„Prinzessin Juliet!“

„Schlagt die Augen auf!“, riefen die Menschen um mich herum verzweifelt.

 

„Und dann ist sie umgekippt?“, fragte Shakespeare und Watanuki nickte.

„Das war sicherlich sehr anstrengend für sie und ein Schock. Sie hatte keine Ahnung, dass sie die letzte Überlebende der Capulets ist. Das muss sehr schwer für sie sein. Und wenn sie erst erfahren wird, dass Romeo der Sohn des Mörders ist, der ihre ganze Familie ausgelöscht hat…“, sagte Watanuki und schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu verscheuchen.

„Mal langsam mit den jungen Ryubas. Sie wird es wohl irgendwann erfahren, da bin ich mir relativ sicher. Aber vielleicht liebt sie ihn ja so sehr, dass es ihr nichts ausmachen wird?“

Nichts ausmacht?“, wiederholte der junge Japaner entsetzt, „So was ist doch schrecklich! Wie könnte sie es einfach übergehen? Es wird ihr das Herz brechen!“

„Das würde ich nicht sagen. Du kannst es ihr ja sagen, Watanuki, dann wissen wir es“, schlug William vor.

„Ganz sicher nicht!“, brüllte der junge Mann, doch der Dichter winkte beruhigend ab.

„Nicht so laut. Die Wände im Mittelalter sind noch nicht sonderlich schalldicht.“

„Sagt der, der selbst noch fast im Mittelalter lebt!“, erwiderte Watanuki und William lachte.

„Deswegen weiß ich es doch. Ich spreche aus Erfahrung!“

 

„Erfahrung, Erfahrung… dass ich nicht lache!“, fluchte ich auf dem Weg in mein Zimmer.

Ich musste unbedingt aus diesen nassen Sachen raus. Dringend!

Ich zog mich um und trocknete mich ab.

Als ich zum Fenster hinaussah, regnete es immer noch.

„Und der Himmel weint, weil er sich an das Drama vor 14 Jahren erinnerte, was?

Das würde Willy jetzt zumindest sagen…“, flüsterte ich und trat aus meinem Zimmer hinaus, wo ich auf Cordelia traf.

„Wie geht es Juliet?“, fragte ich.

„Sie hat gebadet und ist jetzt auf ihr Zimmer gegangen. Sie kann sich wieder an diesen schrecklichen Tag erinnern.“

„Ich werde zu ihr gehen und ihr einen Tee bringen“, schlug ich vor und Cordelia sah mich müde an.

„Das würdest du tun? Vielen Dank! Dann kann ich nach diesem langen Tag nun auch schlafen gehen!“

„Na klar, gute Nacht!“, wünschte ich ihr und setzte in der Küche einen heißen Tee auf, den ich auf ein Tablett verfrachtete.

Ich klopfte kurz an, bevor ich eintrat.

„Juliet? Ich bin’s, Watanuki! Ich bringe dir nur einen Tee vorbei!“

„Mmh“, hörte ich von oben und ging die paar Stufen zu Juliets Schlafgemach hoch.

Sie lag schon im Bett und ihre klaren rötlichen Augen sahen mich an.

„Hier… damit du dich wieder aufwärmst und besser fühlst!“, sagte ich und schenkte ihr ein.

„Wusstest du es, Watanuki? Wusstest du, wer ich bin?“

„Ja… ich wusste es!“, seufzte ich und reichte ihr die Tasse, welche sie dankend annahm.

„Schlaf erst mal eine Nacht darüber, morgen sieht die Welt bestimmt wieder ganz anders aus!“

„Weißt du eigentlich, Watanuki, dass deine Worte sich irgendwie so anhören, als ob du Recht behalten wirst?“, fragte Juliet und ich sah sie überrascht an.

„Wirklich?“, hakte ich nach und sie nickte.

„Ja, du klingst so zuversichtlich. Du kannst die Menschen um dich herum wirklich gut trösten!“

„Das freut mich! Ich wünsche dir eine gute Nacht, Juliet. Wenn du Probleme haben solltest, du weißt, dass mein Schlafzimmer direkt neben deinem liegt. Du kannst jederzeit kommen, wenn du reden möchtest“, bot ich ihr an und erhob mich.

Ich spürte, wie meine Hand festgehalten wurde.

„Danke, Watanuki. Vielen Dank!“

 

„Der Lebensbaum Escalus wird verdorren… es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Tragödie ihren Lauf nimmt. Der Baum kann nicht von Habsucht gehalten werden…

Er wird es nicht schaffen… niemals… Er wird… sterben!“

Der dicke Ast, auf dem ich lag, war warm und weich, ich seufzte zufrieden.

Ruhe um mich herum.

Der Baum war wunderschön. Er leuchtete hell, sein Stamm war dick und stabil. Seine Äste hingen voller grüner Blätter und daran wiederum hingen große Lampionblumen, die mich doch sehr an den Umzug der hundert Geister erinnerten.

Waren das die Früchte des Baumes?

Einige der Lampionblumen trennten sich von dem lebenserhaltenden Baum, verfärbten sich schwarz und landeten im Wasser, in welchem die gigantische Pflanze stand.

Ich drehte meinen Kopf ein wenig, beobachtete die Wellen, welche der Fremdkörper im Wasser ausgelöst hatte.

Kreisförmig wurden sie immer größer und größer, bis sie schließlich verschwanden.

Und die Lampionblume… ging unter…

Plötzlich wurde meine Unterlage eiskalt und als ich hinabsah, bemerkte ich, dass der Ast unter mir ebenfalls schwarz geworden war.

Dieses Phänomen zog sich den kompletten Baum entlang, bis dieser schließlich sämtliche Früchte und Blätter abwarf und vollends verdorrte.

Der Boden unter mir erbebte.

„Das Ende von Escalus bedeutet das Ende der Welt…“

Schreie. Schreie von Menschen ließen mich aufhorchen. Angstschreie, Todesschreie.

„Was geschieht hier nur?“, fragte ich mich laut, dann verschwand der Ast unter mir und ich stürzte schreiend in die Tiefe.

 

Ich wachte schweißgebadet auf, es war noch dunkel um mich herum.

Schon wieder dieser Traum…

Immer wieder träumte ich von diesem eigenartigen Baum. Aber was hatte das nur zu bedeuten?

Ich fasste mir an die Stirn, welche schweißnass war.

Gab es diesen Baum wirklich?

War er denn wichtig?

Unruhig wälzte ich mich den Rest der Nacht herum.

Es ließ mich einfach nicht los, dieses seltsame Gefühl…

 

„Guten Morgen!“, begrüßte mich Cordelia, als ich mehr schlafend als wach in die Küche geschlurft kam, um ihr beim Frühstück machen zu helfen.

„Morgen“, krächzte ich und klammerte mich verzweifelt an einen Topf, der gerade darauf wartete, gespült zu werden und irgendwie schien er laut und deutlich: „WATANUKI!“ zu brüllen. Vielleicht träumte ich aber auch noch…

„Du siehst aber gar nicht gut aus! Hast du schlecht geschlafen?“, wollte Cordelia wissen und ich grinste gequält.

„So, kann man es irgendwie ausdrücken. Ich habe schlecht geträumt.“

„Oh. Na dann, gehen wir den Tag heute etwas langsamer an!“

Versuchen würde ich es zumindest. Aber mein Gefühl sagte mir, dass dem nicht so sein würde… Und ich behielt Recht:

Als wir beim Frühstück saßen, richtete Conrad das Wort an mich:

„Watanuki, da du die Aufgabe hast, Juliet zu beschützen, brauchen wir eine wichtige Information von dir!“

Ich erstarrte, mein Löffel blieb mitten in der Luft stehen, gerade auf dem Weg zu meinem Mund.

Jetzt würde das passieren, wovor ich mich gefürchtet hatte!

William hatte laut herumposaunt, dass ich allerlei Infos über das Schloss der Montagues hatte - und nun forderten sie Beweise!!

„Kannst du ein Ryuba reiten?“, fragte Conrad, jetzt musste ich aufpassen, meinen Löffel nicht ganz fallen zu lassen.

„R… Reiten? I… Ich?“, stotterte ich verdattert.

„In unserem Land sind Ryubas an der Tagesordnung. Sie sind ein wichtiges Fortbewegungsmittel und wir werden sie des Öfteren nötig haben.

Also? Kannst du reiten?“

 

Und so kam es, dass ich mich im Freien wiederfand. Genauer gesagt, auf dem großen Flachdach des Theaters.

„Pass gut auf, Watanuki.“

Francesco stand vor mir. Lange, blonde Haare kennzeichneten ihn, ich schaute abwechselnd misstrauisch zu ihm und dann wieder zu dem braunen Ryuba, welches brav neben ihm stand.

William hatte mir erklärt, dass man diese fliegenden Pferde so nannte und sie in dieser Welt als Zugtiere oder aber auch als Flugtiere benutzt wurden und meist nur Adligen oder reichen Leuten vorbehalten waren.

„Wenn wir diese Tiere hier reiten können, gehören uns damit die Lüfte! Und die Frauen auch… Es sind tolle Wesen!“

Na ganz toll… Vier Beine und auch noch Flügel… Die Viecher waren ja noch gefährlicher als Mokona!! Und ich sprach aus Erfahrung… Mokona konnte einige unheimliche Dinge tun: Beispielweise die Überreste von Geistern verputzen. Aber davon abgesehen, konnte dieser kleine, schwarze Kloß nicht nur Geister, sondern auch Unmengen an Essen und Sake verspeisen.

Ich gab es zu: Meine Gedanken schweiften in diesem Augenblick ein wenig vom Thema ab.

Wahrscheinlich, damit ich die Realität verdrängen konnte.

Genau! Das nannte man „Schutzmechanismus des Körpers“! Das war reiner Selbsterhaltungstrieb!!

„Du setzt dich drauf und nimmst die Zügel auf… Rupf ihr aber bloß keine Federn aus, das mag sie gar nicht!“

„Na klasse. Das schreib ich mir gleich auf meine Bloß-Nicht-Tun-Liste!“, schwor ich und er sah mich etwas verwirrt an.

„Du machst dir eine Liste?“, hakte er verwirrt nach und ich winkte ab.

„Gedanklich ja“, antwortete ich unsicher.

Die Federn an den gigantischen Flügeln waren lang und vor allem zahlreich.

Ich streichelte vorsichtig darüber. Sie waren samtig weich.

Die Stute wieherte und blickte mit ihren dunkelbraunen Augen zu mir zurück.

„Also, setz dich mal drauf“, befahl Francesco und ich trat näher an das Ryuba heran.

„Sie beißt dich schon nicht, wir haben dir das Zahmste herausgesucht!“, merkte Curio an, welcher von hinten an uns herangetreten war.

Mühsam kletterte ich auf das Tier hinauf.

Noch niemals war ich auf einem Pferd geritten, geschweige denn auf einem Ryuba.

„Genau so, jetzt nimmst du die Zügel und ziehst es in die Richtung, in die du willst, dabei musst du es etwas mit deinen Schenkeln antreiben“, erklärte Francesco und ich gehorchte, indem ich vorsichtig am rechten Zügel zog und meine Fersen etwas an den Bauch des Tieres drückte.

Das Ryuba flatterte auf einmal mit den Flügeln.

„Nein! Stopp! Ich vergaß zu erwähnen, dass du es abwechselnd tun musst. Wenn du mit beiden Fersen gleichzeitig treibst, befiehlst du ihm zu fliegen!“, rief Francesco und hielt die Ryubastute am Halfter fest.

„Na ganz toll! Danke für die Vorabinformation!“, rief ich ironisch und Francesco grinste.

„Reite einfach mal über das Dach, dann sehen wir weiter!“, befahl nun Curio und ich tat wie mir geheißen.

Dieser Unterricht kam mir fast wie eine ganz schlimme Prüfung vor.

Ich lenkte die Ryubastute über die komplette Fläche des Dachs und wieder zurück, immer mal linksherum und rechtsherum, mal schneller, mal langsamer.

„Sehr gut! Jetzt probiere mal zu fliegen! Da ist es fast dasselbe! Du musst es fühlen!“, rief Curio und ich blickte genervt über meine Schulter.

Warum wollten alle von mir, dass ich fühlte? War ich etwa ein so gefühlsloser Brocken?

Dann wäre ich ja wie Domeki…

Geknickt ließ ich den Kopf hängen. Nein! Ich wollte nicht so sein wie der!

Entschlossen gab ich mit beiden Beinen Schenkeldruck und das Ryuba schlug erneut mit den Flügeln.

Mit einem Gefühl, als würde mir der Magen in meine Darmgegend rutschen spürte ich, wie wir den sicheren Boden verließen und uns in die Lüfte erhoben.

„Gut, Watanuki! Und jetzt ganz ruhig sitzenbleiben!“

Das war leichter gesagt als getan. Wenn ich nach links lenkte, neigte sich das Ryuba in die von mir gewünschte Richtung, woran ich mich ebenfalls erst noch gewöhnen musste.

Wir stiegen immer höher.

Bei jedem Flügelschlag sanken wir ein kleines Stück tiefer, bevor wir hochkamen, aber es fühlte sich toll an.

Die Morgenluft rauschte an meinen Ohren vorbei, hier oben war ich allein… und ich war frei!

Ich hatte das Gefühl, sämtliche Probleme hinter mir gelassen zu haben, mitsamt der Anziehungskraft.

Das Fliegen ließ mich meine Albträume von letzter Nacht vergessen, ebenso wie meine triste, elternlose Vergangenheit…

Ich konnte keine Geister mehr sehen, ich war nicht mehr allein, das Ryuba war bei mir, ich hatte keinerlei Verpflichtungen mehr, hier in der Luft war ich mein eigener Herr, ich bestimmte, wohin ich wollte, wie hoch ich flog, wie schnell ich durch die Luft glitt.

Das Ryuba und ich waren eins.

Ich spürte die kräftigen Flügelschläge, die Beine, welche sich noch ein wenig mitbewegten, um die Geschwindigkeit zu halten und den Luftstrom zu kontrollieren, der lange Schwanz, welcher das Gleichgewicht regulierte und unseren Flug ausbalancierte, der Kopf, welcher die Umgebung nach Hindernissen absuchte, die wehende Mähne, welche mir die rostbraunen Haare der Stute ins Gesicht trieb und es sanft streichelten.

Warum hatte ich das nicht schon früher ausprobiert?

Es war viel entspannender als der Flug auf dem riesigen Vogel zusammen mit Mokona, wo wir Zashiki Warashi und ihren Rabenkobolden hinterhergejagt waren.

Dieses Flugtier wurde schließlich nebenbei angemerkt auch nicht von Mokona gelenkt, sondern ganz allein von mir.

Als das Ryuba noch an Geschwindigkeit zulegte und ich in einen Sturzflug glitt, schrie ich begeistert: „Juhuuuuuuu!“

Mein Herz schien mir bald aus der Brust zu springen, so wild schlug es, Adrenalin wurde vermutlich gerade in Massen ausgeschüttet, doch ich fühlte mich fantastisch!

Ich flog über die Stadt, bis vor mir das riesige Schloss auftauchte, welches mich wieder in die Realität zurückbrachte und meine Sorglosigkeit wieder verdrängte:

Hier wohnte der Duce Montague… der Mörder von Juliets Familie… und momentaner Tyrann von Neo Verona.

Mit einem unruhigen Laut seitens meines Ryubas kehrte ich um.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich das riesige Haus mit dem Theater wiedergefunden hatte und erneut gelandet war.

Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Heute hatte ich wohl den schönsten Traum erlebt, den ein Mensch nur träumen konnte: Und zwar den der völligen Freiheit!!

Akt 6: Der Tod des Roten Wirbelwinds

Manchmal kann man anderen Menschen nur helfen, wenn man sich selbst opfert. Doch so ein Opfer muss wohlbedacht werden! Verletzt man damit nicht seine Freunde? Seine Familie? Wie sollen die Hinterbliebenen mit diesem Schmerz in ihrem Herzen weiterleben?

Muss ein Opfer wahrlich zum Tode führen?

Manch einer sagt, in einem Kampf muss es Opfer geben, um zum Ziel zu gelangen. Doch ist das Ziel wirklich schon so gefährdet, dass solch eine Tragödie notwendig wird?

Mit flammender Entschlossenheit gibt er sein Leben für die weiße Blume Iris dahin.

Das glühende Blut hat die steinerne Traurigkeit zu einem lodernden Feuer entfacht.

Denn der Wind der Hoffnung wird weiter durch die Straßen Neo Veronas wehen, solange die weiße Iris in voller Blüte steht… wird es immer einen neuen Wind der Hoffnung geben!

 

Ich fühlte mich wie auf Wolke sieben, hatte die beste Laune, die man überhaupt nur haben konnte.

Dieser Flug war einfach alles für mich gewesen.

Ich würde es jederzeit wiederholen wollen.

Francesco und Curio waren sehr zufrieden mit mir, sie sagten, noch ein wenig Übung und ich konnte das Ryuba perfekt reiten. Sie bezeichneten mich außerdem noch als Naturtalent, da ich das Fliegen so schnell gemeistert hatte.

Als ich gerade auf dem Weg nach unten war, um William von meinem Ritt zu berichten, kam mir der Dichter schon entgegen gestürmt:

„Watanuki! Es gibt schlimme Neuigkeiten!“

„Welche denn?“, fragte ich verwirrt, meine gute Laune bekam bei seinem panischen Ton einen Dämpfer.

„Lanzelot, Juliets Arzt, wurde gefangengenommen! Es gab anscheinend Hinweise, dass er mit dem Roten Wirbelwind in Kontakt stand und er wird nun von den Wachen im Gefängnisturm verhört!“, berichtete der Dichter und meine Augen weiteten sich.

„Sag es Juliet! Schnell! Sie muss es wissen!“

Ich nickte, kehrte auf dem Absatz herum und stürmte die Treppen empor.

Wir mussten etwas tun, sofort!

Wenn das stimmen sollte, was ich über Montague schon so alles gehört hatte, dann war es nicht gut, wenn man sein Gefangener wurde dann war es nicht gut, sein Gefangener zu sein, und erst recht nicht, wenn man etwas mit dem Roten Wirbelwind zu tun hatte, dem Störenfried, welcher ihm ein ganz besonderer Dorn im Auge war.

Als ich vor Juliets Kammer angekommen war, hämmerte ich gegen ihre Tür.

„Mach auf, ich bin’s Watanuki!“, rief ich hektisch.

Es verstrich nicht viel Zeit, bis die rothaarige Capulet mir den Eingang öffnete.

„Was gibt’s denn so Wichtiges?“, wollte sie wissen.

„Dein Arzt wurde festgenommen!“, berichtete ich und ihre Augen weiteten sich entsetzt.

Wir beide rannten an der Küche vorbei, wo Cordelia hastig fragte:

„Juliet, wo wollt ihr hin?“

Ihre Rufe ignorierten wir, dafür war die Zeit zu kostbar.

Der Weg war nicht sonderlich weit, wir stürmten durch die Straßen, ich hatte meine Erscheinung durch einen Mantel mit Kapuze versteckt, da ich mich in Neo Verona noch sehen lassen wollte. Juliet war als Roter Wirbelwind genug getarnt.

Wir überrumpelten die Wachen am Eingang und fanden heraus, dass sich der Arzt Lanzelot im vorletzten Stockwerk des Turms befand, und eilten die Treppen hoch.

Wir waren noch nicht ganz oben, da konnte ich bereits die Stimme der Wache hören:

„Ich frage dich zum letzten Mal: Wo ist der Rote Wirbelwind?“

Juliet trennte sich von mir und sprang durch das Dach in die Zelle.

Ich konnte ihre Worte deutlich hören:

„Ha! Wie ihr seht, bin ich schon hier! Ist dir etwas gescheh'n?“

„Es geht schon“, antwortete der Gefolterte.

„Na endlich zeigst du dich, Roter Wirbelwind! Nehmt ihn fest!“, befahl die Wache von eben.

„Jawohl!“, antwortete ein zweiter Wächter und ich stieß die Zellentür auf.

Juliet hatte mir ein Schwert gegeben, auch wenn ich nicht wusste, ob ich damit umgehen konnte. Wir mussten den Arzt retten, wir beide allein!

Zusammen schlugen wir die drei Wachen nieder, welche sich im Raum befanden.

Was mich besonders erleichterte war, dass ich Juliet nicht im Weg stand, im Gegenteil:

Ich half ihr sogar, indem ich eine der drei Wachen gegen eine Bank stieß und diese gequält ächzend zu Boden sank.

Gemeinsam halfen wir Lanzelot aus der Zelle.

Er war verletzt und konnte kaum laufen.

Da wir von unten weitere Wachen herannahen hörten, flüchteten wir nach oben auf das Dach.

„Er flieht schon wieder! Folgt ihm!“, schrie ein weiterer Wächter, dann tauchten plötzlich neben uns zwei weitere Männer auf, die uns mit Schwertern bedrohten und ihre Kameraden herbeirufen wollten:

„Ich hab ihn. Der Wirbelwind ist hier!“

„Ihr müsst allein fliehen. Es sind zu viele! Lasst mich hier liegen!“, sagte Lanzelot schwach.

„Kommt gar nicht in Frage! Wir sind gekommen, um dich zu retten!“, antwortete Juliet.

„Du bist die Hoffnung dieser Stadt. Dir darf nichts geschehen, Roter Wirbelwind!“

„Das wird es auch nicht!!“, versicherte ihm Juliet entschlossen.

Ich holte mit dem Schwert aus.

„Geht ihr voraus! Ich komme nach!“, ordnete ich an und die Capulet-Tochter gehorchte mir.

Es war nicht sonderlich schwer die Wachen abzuschütteln.

Ich trieb sie auf einen engen Steg hinaus und stieß sie hinunter.

Die würden uns keinen Ärger mehr machen.

Ein paar Probleme weniger.

Ich stürmte die Treppen nach oben, ich schmeckte meinen eigenen Schweiß auf den Lippen und legte dennoch einen Zahn zu, als ich die Rufe der Wachen vernahm, welche Juliet und Lanzelot galten:

„Jetzt bist du in der Falle!“

„Sprich dein letztes Gebet!“

„Diesmal entkommst du uns nicht!“

„Bleib hinter mir, Lanzelot!!“, befahl der Rote Wirbelwind.

Ich schlich mich unbemerkt auf das Dach und erfasste sofort die Situation:

Juliet war mit Lanzelot in die Ecke der Brüstung gedrängt worden und sechs Wachen bedrohten sie.

In diesem Moment wieherte ein Ryuba.

Ich sah zum Himmel empor, meine Brust hob und senkte sich erschöpft, es waren doch einige Stufen gewesen.

Da oben war ja… Romeo!

„Was ist denn da unten los?“, rief der junge Mann auf seinem fliegenden Pferd.

Die Wachen und traten etwas zurück, als das Ryuba landete.

„Was geht hier vor?“, fragte der Sohn der Montagues fordernd.

„Romeo...“, flüsterte Juliet, als ihr Geliebter vom Pferd stieg.

„Der Rote Wirbelwind, den wir schon so lange suchen, ist endlich gestellt. Wir werden ihn gefangen nehmen und dem Duce vorführen.“

Ich starrte ihn an. Würde er Juliet jetzt gefangen nehmen lassen? Und selbst wenn Juliet wusste, was sie für ein Schicksal erwartete… würde sie sich gegen Romeo wehren?

Meine Augen weiteten sich vor Angst.

Ich konnte die Situation so schwer einschätzen. Was sollte ich tun?

„Ich rieche den Duft der Irisblüte...“, hauchte Romeo und ich holte prüfend Luft und konzentrierte mich auf meinen Geruchsinn. Er hatte Recht!!

Romeo wandte sich an eine Wache: „Gib mir dein Schwert! Ich übernehme die Pflicht selbst. Ich liefere ihn aus.“

In diesem Moment hob ich mein Schwert erneut und stellte mich neben Juliet.

„Dann hast du von nun an zwei Gegner! Ich werde nicht zulassen, dass du Hand an den Roten Wirbelwind legst!“, sagte ich fast schon philosophisch und riss mir den Umhang hinunter, welcher mich nur störte.

Romeo nahm der Wache das Schwert ab.

Selbst der Wächter schien mit dem ganzen Geschehen nicht einverstanden zu sein:

„Aber... Hoher Herr... wir wollten...“

Doch der junge Mann hörte ihn nicht an, sondern stürmte stattdessen auf Juliet und mich zu.

„Los geht’s, du Wirbelwind!“, rief er und die Schwerter der beiden krachten unermüdlich aufeinander.

Auch ich mischte mich in den Kampf ein, aber Juliet drängte mich zurück.

„Achte auf Lancelot!“, sprach sie und knirschte angestrengt mit den Zähnen.

„Am Fuße des Turms ist ein Kanal. Wir tun nur so, als ob wir kämpfen und dann springen wir hinunter“, hörte ich Romeo leise sagen, als die Schwerter erneut aufeinandertrafen.

„Ich versteh nicht!“, flüsterte Juliet kaum hörbar.

„Los jetzt!“, hauchte der Montague-Sohn und zog Juliet mit sich, diese wiederum griff nach meinem Arm und ich hatte Lanzelot bei der Hand genommen. Zu viert stürzten wir die Brüstung hinunter.

Ich spürte, wie ich fiel, immer weiter und weiter… bis ich erneute Bekanntschaft mit dem kalten Wasser dieser Welt machte.

Irgendwie bekam ich hier wirklich viel zu oft ein unerwünschtes Bad…

Die Strömung riss uns eine Weile mit, doch wir konnten uns an das rettende Ufer klammern und wurden nicht weiter weggeschwemmt.

Ächzend hoben wir uns an Land.

„Schon wieder habe ich mein Leben für dich riskiert! Das war das letzte Mal! Ich bin heilfroh, dass es funktioniert hat“, beschwerte sich der Montague-Sohn und schien es wirklich ernst zu meinen.

„Ihr habt diesmal unser aller Leben gerettet“, korrigierte Juliet ihn.

„Könntest du dich denn vielleicht diesmal bedanken?“, fragte Romeo.

Lanzelot neben mir regte sich ein wenig und setzte sich auf.

„Wenn das kein Schicksal ist... Ausgerechnet Montagues Sprössling rettet unseren Roten Wirbelwind“, sagte der Arzt ironisch schmunzelnd und Juliet erschrak sichtlich.

Lanzelot erklärte weiter: „Das ist Romeo Candore Bando Montague.“

Bei der Erwähnung seines Namens ließ der Angesprochene ein wenig den Kopf sinken.

Juliet schien nach Fassung zu ringen, bevor sie ungläubig fragte: „Ihr seid... ein Montague?“

„Sagt bitte niemanden, dass ich Euch gerettet habe und passt besser auf Euch auf. Ich weiß nicht, ob ich es nochmal tun kann“, sprach Romeo mehr abweisend als freundlich und ging ohne ein weiteres Wort von dannen.

Ich fühlte mich wie am Boden festgewachsen.

Ich hatte gewusst, dass er der Sohn des Tyrannen Montague war. Und Shakespeare hatte vermutet, dass Juliet es irgendwann erfahren würde, doch sie schien es wahrlich sehr getroffen zu haben.

„Oh mein Gott!“, flüsterte sie und brach zusammen.

„Was hast du? Ist dir nicht gut?“, fragte Lanzelot und ich eilte zu Juliet und stützte sie an den Schultern.

„Juliet!“, redete ich eindringlich auf sie ein.

„Romeo... ist der Sohn vom Duce Montague!“, murmelte sie weiter und starrte wie betäubt in den Kanal.

 

„Du hast dich in ihn verliebt, nicht wahr?“, fragte ich, als wir in ihrem Zimmer saßen, beide umgezogen und mit einer Tasse Tee in den Händen.

Juliet hatte sich eine ganz schöne Predigt von Conrad anhören müssen, als wir zurückgekehrt waren.

„Ja… Aber du musst mir versprechen nichts zu sagen, ja?“, bat Juliet und ich nickte.

„Versprochen“, sagte ich und sie räusperte sich leise.

„Ich kann nicht mit ihm zusammen sein, er ist ein Montague! Ich… weiß einfach nicht, was ich denken oder tun soll… ich bin so verwirrt!“

„Es ist schwierig. Aber das muss dein Herz entscheiden, liebe Juliet! Ich… kann dir dabei nicht helfen. Ich lasse dich jetzt mal allein, weil ich glaube… damit musst du selbst klarkommen!“

Ich erhob mich und wünschte ihr noch eine gute Nacht, bevor ich das Zimmer verließ.

Nachdem ich William meinen heutigen, eher traurigen Bericht erstattet hatte und er mich wieder mit einigen Worten gehen ließ, die mich zum Nachdenken anregten, stand ich schlussendlich vor meinem Fenster und betrachtete den Vollmond.

„Mir scheint, als würde der Mond weinen…“, flüsterte ich leise, danach ging ich zu Bett.

 

Der nächste Tag verlief relativ unspektakulär: Ich half Cordelia die Wäsche zu waschen und das Essen zuzubereiten.

Allerdings ließ Juliet niemanden an sich heran und hatte sich die ganze Zeit über in ihrem Zimmer verkrochen.

Das bereitete mir etwas Sorge, wusste ich doch um den Grund.

Sogar Cordelia hatte sie heute eiskalt abgewiesen.

Niemand konnte mit ihr reden.

Als es schon Nacht war und alle zu Bett gegangen waren, klopfte ich leise an ihre Tür und öffnete sie einen Spalt weit, damit sie mich hören konnte.

„Juliet?

Es ist bereits Nacht, du hast dich den ganzen Tag über nicht blicken lassen…

Verlässt du dein Zimmer denn gar nicht mehr?

Hör mal… ich habe dir eine Suppe gekocht!

Dort, wo ich herkomme, sind sie alle ganz verrückt danach… Probier doch einen Bissen! Das wird dir deine Sorgen ein wenig erträglicher machen, da bin ich ganz sicher!

Ich möchte dich nicht weiter stören, eine gute Nacht und gute Besserung!!“, sagte ich leise und stellte den Teller mit Suppe neben die offene Tür.

„Hab vielen Dank, Watanuki…“, hörte ich Juliet seufzen, dann schloss ich den Durchgang und ging zu Bett.

Meine Gedanken waren bei Romeo, welchen Juliet aufgrund der Ereignisse versetzt hatte. Ob der junge Mann wohl lange auf sie gewartet hatte?

 

William war an diesem Morgen früh unterwegs. Er wollte noch einige Szenen seines Stückes umschreiben und war auf dem Weg in den Theatersaal.

Er stieß die Tür zum Foyer auf und sah eine ihm bekannte Person, welche in einen Umhang gehüllt war und ganz offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, um diese Uhrzeit jemandem zu begegnen.

„Sieh einer an! Wenn das nicht unser Odin ist, der schick angezogen ausgeht!“, sagte er und drückte das Buch mit seinen Aufzeichnungen dichter an sich.

„Hallo Willy“, antwortete die Angesprochene so gar nicht begeistert ihn zu sehen.

„Nanu...? Du ziehst ja heute ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.

Ich weiß schon: Du hast Liebeskummer, hab ich Recht?“

Ertappt blickte Juliet auf. „Nein, hab ich nicht! Wie kommst du darauf?“

„Ich kann so was erkennen. Aber keine Sorge. Es gibt keinen Nebel, der sich nicht auch irgendwann einmal wieder lichtet. Mit Liebeskummer ist es genauso. Er vergeht wieder“, sprach er weise und sein Gegenüber seufzte.

„Ich bitte dich, Willy. Sag niemanden, dass ich ausgegangen bin. Es darf keiner wissen!“, bat sie ihn mit gesenktem Kopf und der Dichter schien kurz zu überlegen, bevor er beiseitetrat:

„Geh! Triff dich mit deiner Liebe! Wie es euch gefällt, sag ich immer.“

„Habt vielen Dank!“, entgegnete Juliet und verschwand aus dem Haus.

Der Dichter hatte nun nicht mehr die Absicht, in den Theatersaal zu gehen.

Im Gegenteil, er machte sich sofort auf den Weg in die geheime Wohnung und kam unangekündigt in Watanukis Zimmer hereinspaziert, welcher noch selig am Schlafen war.

Die Betonung lag auf „war“.

„Watanuki! Aufstehen, du Schlafmütze! Juliet ist ganz allein auf dem Weg zum Friedhof! Jetzt wach doch endlich auf!“

Nach Shakespeares Besuch war er es nicht mehr…

 

„Ich glaub es nicht! Jetzt weckt mich dieser verrückte Mann auch noch so früh am Tag und schickt mich auf Erkundungstour!“, gähnte ich und schlurfte müde Richtung Friedhof.

Aber es war noch nicht schlimm genug: Ich musste den Weg auch noch laufen. Ohne Kutsche war er wirklich weit.

Der Morgen strich mit nebligen und kühlen Fingern über das Land. Ich hatte mich in meiner Eile jedoch sehr warm angezogen, weil William das gesagt hatte.

Ich streckte mich ausgiebig beim Laufen und führte wie immer Selbstgespräche:

„Irgendwie kaufe ich ihm einfach nicht ab, dass Juliet ihm erzählt haben soll, sie würde zum Friedhof gehen … Sie klang gestern Abend doch sehr deprimiert und abweisend… was sollte sie jetzt am Grab ihrer Eltern zu suchen haben?“, plapperte ich leise vor mich hin.

Ein Quietschen erregte meine Aufmerksamkeit.

Ich hob meinen Blick und sah, dass Juliet gerade das große Eisentor öffnete.

Tatsächlich, sie ging zum Friedhof.

Ich schlich mich hinterher, blieb ihr dicht auf den Fersen.

Die Bäume waren kahl und überall lagen Überreste von Grabsteinen herum.

Diese Ruhestätte war nur für die Familie der Montagues und Capulets gedacht, wobei alle Gräber von Juliets Familie geschändet worden waren. Und ich glaubte bereits zu wissen, wer dahintersteckte…

„Oh, hier blüht ja auch Iris...“, bemerkte Juliet, beugte sich zu der vom Nebel nassen Wiese hinunter und pflückte eine.

Sie roch daran und seufzte.

„Romeo... Candore... Bando... Montague...“, flüsterte sie kaum hörbar, ließ dann ihren Kopf sinken und blickte auf die Iris in ihrer Hand.

Danach schloss sie die Augen und sank mehr und mehr in sich zusammen, als würde sie Schmerzen haben.

„Warum nur... muss mein geliebter Romeo ausgerechnet ein Montague sein? Wenn diese Blüte keinen Namen hätte, würde sie nicht genauso bezaubernden Duft verströmen?“

Ich musste schlucken.

Sie hatte sich wirklich in ihn verliebt, sie schien sehr starke Gefühle für Romeo entwickelt zu haben.

Aber… behielt Juliet nicht Recht mit ihren Worten?

Ich schloss meine Augen für einen Moment.

Ja, sie würden noch genauso riechen, auch, wenn sie keinen Namen hätten.

Namen waren doch nur dazu da, damit Menschen etwas auseinanderhalten konnten.

Aber die Welt konnte auf sie verzichten, denn sie waren nicht vonnöten.

Juliet ging den restlichen Weg zum Grab ihrer Eltern und betrachtete die geschändete, graue Grabplatte.

Sie kniete sich demütigend nieder, bevor sie erneut sprach:

„Vater... Mutter... Ihr müsst mir verzeih‘n, mein Herz hat mich auf Abwege geführt. Ich liebe jemanden, den ich nicht lieben darf.“

Mitleid durchzuckte meine Gedanken.

Sie tat mir so leid. Irgendwo hoffte ich, dass diese Version von Romeo und Julia ein besseres Ende nehmen würde als die Version, die ich kannte und lesen musste…

Plötzlich wieherte ein Ryuba und ich erschrak, ebenso wie Juliet, die sich hastig erhob.

Das Tier landete und zu meinem Überraschen stieg Romeo ab, welcher sich gerade mit seinem Gefährten unterhielt:

„Ach so ist das. Du frisst gern Iris-Blüten. Und ich sehe sie mir gern an. Da haben wir was gemeinsam. Ach, was soll ich nur mit dir machen?“

„Da ist Romeo“, hauchte Juliet, ihre Augen verengten sich und sie schaute leidend zu Boden.

Für einen Moment geschah gar nichts. Sie schien zu überlegen.

Dann trat sie aus ihrem Versteck hervor, das Pferd des jungen Montague-Sohns bemerkte ihre Anwesenheit sofort.

„Oh, Verzeihung. Wir wollten dich nicht stören“, entschuldigte sich Romeo, der dem Blick seines Haustieres gefolgt war.

Er erkannte sie nicht, da die Capulet Tochter, wie meist auch, als Junge verkleidet war.

„Das – ähm – tut Ihr auch nicht“, antwortete sie förmlich und zögernd.

„Wir sind gleich wieder weg“, versicherte ihr Romeo.

Doch sein Pferd schien ganz offenbar andere Pläne zu haben: Es lief direkt auf Juliet zu.

„Na hör mal. Bleib steh‘n, Cielo!“, rief Romeo, doch sein Reittier gehorchte ihm nicht.

„Was?“, fragte Odin leise, scheinbar verwirrt, aber nicht verängstigt.

Cielo schnupperte an ihr. „Was will er?“, wollte sie wissen, nachdem sich das Tier vor ihr niedergekniet und auffordernd die Flügel eingezogen hatte.

Romeo kicherte. „Er möchte, dass du auf ihm reitest.“

Die Angesprochene schaute sichtlich verdutzt drein.

„Ich lade dich ein. Hast du Zeit eine Runde mit mir zu fliegen?“, erkundigte sich Romeo.

Cielo schnaubte und spielte mit den Ohren, um die Worte seines Herrn noch zu unterstreichen.

Juliet erschrak sichtlich.

Ich fluchte innerlich. Wenn sie jetzt mit ihm ging, dann konnte ich ihr nicht mehr folgen.

Andererseits… es war so schön, den beiden zuzusehen, wie sie sich immer wieder trafen und heute sogar einen kleinen Ausflug unternehmen wollten.

Zumindest wenn es nach dem Ryuba ging.

„Fliegen? Durch die Luft und so? Also, ich weiß nicht…“, meinte Juliet unsicher.

„War nur ein Vorschlag. Du musst ja nicht mitkommen“, entgegnete Romeo.

Juliet zögerte kurz.

„Doch, ja!“, rang sie sich durch und musste ein wenig schmunzeln.

„Ich versuch‘s gerne einmal“, fügte sie immer noch lächelnd hinzu.

„Gut, das freut mich. Kennst du dich mit Ryubas aus?“, wollte er wissen.

„Ein wenig“, gab Juliet zu.

„Fein. Dann steig einfach auf.“

Cielo stupste Juliet auffordernd in den Rücken, welche sich schlussendlich geschlagen gab:

„Ich hab schon verstanden. Ich komm ja mit!“

Juliet kletterte mit Romeos Hilfe auf Cielo.

Ich überlegte, ob ich mich nun einmischen musste, oder ob es egal war, was nun passierte. Konnte ich es überhaupt verhindern? War ich dazu in der Lage? Ich hatte bisher doch eher die passive Rolle übernommen, anstatt mich willentlich in das Geschehen einzumischen.

Romeo setzte sich hinter sie und nahm die Zügel auf.

Die beiden waren doch sehr dicht beieinander und berührten sich, ihr Rücken lehnte an seiner Brust.

„Verzeihung“, sagte Romeo.

„Was ist denn?“, fragte Juliet leicht errötet.

„Der Duft der Lilien hat mich verwirrt. Ach, ich verstehe. Du riechst auch nach Iris! Das mag Cielo.

Stimmt's, du liebst den Duft der Iris genauso sehr wie ich? Hüh!“

Cielo gehorchte augenblicklich und erhob sich majestätisch in die Lüfte.

Ich konnte noch sehen, wie der gewaltige Flügelschlag des Tieres einige Irisblüten über die Wiese segeln ließ, dann wurden die Reiter immer kleiner, bis sie ganz verschwanden.

Ich seufzte lange.

Diese Begegnung war irgendwie… so zufällig verlaufen.

Hatten sie sich wirklich nur zufällig getroffen? Oder war es Schicksal gewesen?

Irgendetwas sagte mir, dass auch dies unvermeidlich gewesen war…

Auf meinem Rückweg fing es dann auch noch an zu regnen. Na toll.

Und schon wieder wurde ich nass!! Was war das nur für eine feuchte Welt, in der ich da gelandet war??

Als ich zurückkehrte, bereitete ich mit Cordelia zusammen das Frühstück zu und sah zum Fenster hinaus, wo es immer noch in Strömen regnete.

„Watanuki… du musst für mich nachher bitte noch Gemüse holen, ich habe keine Zeit, ich muss Brot backen! Eigentlich will ich dich ja ungern in diesen Regen schicken… aber vielleicht hat es bis dahin ja aufgehört?“

Ich hörte ihre Worte nur flüchtig, andere Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher:

Was Juliet und Romeo wohl gerade machten in diesem Regen? Ob sie wohl immer noch flogen?

 

Shakespeare war gerade damit beschäftigt Emilia bei den Proben zuzuschauen.

Bald schon war die Premiere und es lief alles gut, zumindest mehr oder weniger.

Seine Ohren waren mehr der Tür als der Schauspielerin gewidmet, da er besagten Gegenstand endlich ins Schloss fallen hören wollte.

Es war schon früher Nachmittag. Endlich hörte der Blonde das lang ersehnte Geräusch und schlich sich zum Flur…

„Ach, was soll ich nur tun? Nun weiß Romeo über mich Bescheid“, flüsterte Juliet leise, doch den feinen Ohren von William entgingen ihre Worte nicht.

„Ahhhhh, da bist du ja, Odin!“, sagte er und die junge Frau erschrak sichtlich, wirkte aber dann doch erleichtert, als sie ihn erkannte: „Ach, du bist‘s, Willy.“

„Ja und wie! Und ein guter Beobachter bin ich noch dazu, mein Junge! Wo ist denn zum Beispiel dein Umhang geblieben?“, fragte der Dichter und hatte seinen Kopf zwischen dem roten Vorhang gesteckt, hinter welchem Emilia immer noch vor sich hin philosophierte, mit der Mühe es dem Autoren recht zu machen.

Juliet druckste herum und William trat nun ganz in den Flur hinaus.

„Und... wie lief denn deine Verabredung sonst so?“, bohrte er weiter.

„Was für eine Verabredung?“, stellte die junge Frau die Gegenfrage, doch sie kam etwas schnell…

„Beschwindle mich nicht. Ich höre dein pochendes Herz bis hierher. Es erzählt mir von Liebesfreuden und viel angenehmer Aufregung.“

Juliet erschrak, was William zum Kichern brachte: „Ich mach nur Spaß. Keine Angst!“

Juliet seufzte angespannt, offenbar nicht sicher, was sie nun sagen sollte.

Wichtigtuerisch hob Shakespeare den rechten Zeigefinger:

„Aber ich sag dir: Das Uhrwerk der Liebe ist von niemanden zu stoppen, wenn es einmal angefangen hat zu laufen. Ich wünsch dir jede Menge Liebesglut!“

Juliet holte angespannt Luft. „Liebesglut? Für mich?“, wiederholte sie und William verschwand wieder im Theatersaal.

Allerdings hatte er nicht lange seine Ruhe, da Watanuki zurückkehrte.

 

„William! William! Es ist was Schreckliches passiert!“

Ich stoppte vor ihm und hielt mir die Rippen, ich war wirklich sehr schnell gerannt.

Keuchend versuchte ich, wieder Luft zu bekommen.

„Was ist denn passiert, Watanuki?“, fragte der Dichter und hatte seine Schreibfeder beiseitegelegt.

„Die Bürger! Sie werden gefangen genommen, weil sie nach dem Roten Wirbelwind suchen. Jeder, der verdächtigt wird, wird von den Wachen verschleppt. Ich habe es gerade vom Gemüsehändler erfahren! Sie haben sogar eine Belohnung auf den Wirbelwind ausgesetzt!“ 

„Das ist wahrlich schrecklich…“, flüsterte William.

„Juliet darf das nicht erfahren! Watanuki… du darfst es ihr nicht sagen! Versprich es mir!“

„In Ordnung!“, sagte ich.

„Geh jetzt nach oben und verhalte dich ganz normal. Lenke Juliet am besten ab… sie darf in nächster Zeit nicht runter in die Stadt! Es wäre zu gefährlich!“

Der hatte leicht reden… Die Tochter der Capulets machte doch eh, was sie wollte!

Ich ging nachdenklich nach oben. Wie konnte ich sie nur für einige Tage im Haus behalten?

„Watanuki!“

Na toll, wenn man schon vom Teufel sprach…

„Ja? Was gibt es denn?“, wollte ich wissen.

Ihre Augen leuchteten so ungewohnt, das kannte ich gar nicht an ihr.

War etwa zwischen ihr und Romeo etwas geschehen?

„Komm mal bitte mit!“, bat sie und wir gingen auf ihr Zimmer.

„Ich möchte, dass du mir das Nähen beibringst! Das kannst du doch, oder? Du bist schließlich ein Meister in der Hausarbeit!“

„Ja, in der Hausarbeit, aber Handarbeit ist jetzt eher nicht so mein Fachgebiet…“

„Ach bitte, Watanuki, bitte!“

„Also schön…“, gab ich nach.

„Was möchtest du denn nähen?“

„Ein Hemd!“, sagte sie entschlossen und sah mich dabei so wunderbar naiv an.

„Ein Hemd?!?!?!“ Ich fiel beinahe aus allen Wolken.

„Das ist viel zu kompliziert für den Anfang. Wie wär’s, du übst dich erst einmal im Sticken? Zum Beispiel von einem Taschentuch? Wäre das etwas für den Anfang?“

„Okay, in Ordnung…“, meinte Juliet einlenkend und ich holte mit einem Seufzen das Kästchen mit den Nadeln und dem Garn aus dem Nebenzimmer.

William hatte gesagt, dass ich sie ablenken sollte.

Ich wusste zwar nicht genau, was zwischen ihr und Romeo vorgefallen war, aber es musste etwas sein, was sie sehr glücklich gemacht und irgendwie zum Sticken veranlasst hatte.

Also… brachte ich es ihr bei und hielt sie damit erfolgreich zwei Tage bei der Stange, oder besser gesagt, im Haus.

Ich prüfte ihre Fortschritte regelmäßig und korrigierte sie wenn nötig.

Juliet legte einen Eifer an den Tag, der mich staunen ließ.

So kannte ich sie gar nicht…

Am dritten Tag klopfte ich an ihrer Tür.

„Ich bin‘s, Watanuki. Darf ich reinkommen?“

„Natürlich!“, hörte ich ihre Stimme von drinnen und öffnete ihre Zimmertür.

„Ich hab‘s fertig!“, präsentierte sie mir stolz das vollendete Taschentuch.

Ich nahm es in meine Hände.

Sie hatte ein „R“ für „Romeo“ und eine weiße Iris darauf gestickt.

Ich sah, dass sie sich wirklich Mühe gegeben hatte und dafür, dass sie sich früher nie für Mädchensachen interessiert hatte, wie mir Cordelia letztens berichtete, sah es doch relativ gut aus.

Man konnte mit viel Fantasie erkennen, was sie da gestickt hatte.

„Schaut doch hübsch aus!“, lobte ich und sie strahlte mich an.

Allerdings schien sie mich allmählich zu durchschauen, denn ihr Blick wurde fragend… 

Ich fühlte mich unwohl, in Neo Verona wurden immer mehr Männer gefangen genommen, die zurückgelassenen Frauen weinten, die Kinder schrien und das Elend nahm einfach kein Ende…

„Was ist denn los, Watanuki?“

„Conrad ist ausgegangen, er trifft sich mit Doktor Lanzelot.“

Warum ich ihr das erzählte, wusste ich gerade selbst nicht so genau.

Ich hatte irgendwie im Gefühl, dass in Neo Verona im Moment etwas noch Schlimmeres vor sich ging…

„Ach ja?“, fragte Juliet, wir verließen zusammen ihr Zimmer und kamen Conrad entgegen, welcher gerade von seinem Treffen zurückkehrte.

„Conrad, was ist los? Ist in Neo Verona irgendetwas passiert?“, forderte Juliet zu wissen, ich hörte genau den Zweifel in ihrer Stimme.

Angesprochener schien es äußerst zu missfallen diese Frage gestellt zu bekommen:

„Nichts, worüber Ihr Euch Sorgen machen müsstet“, antwortete er daher ausweichend und Juliet drehte auf dem Absatz um und verschwand in ihrem Zimmer, ich folgte ihr.

„Was hast du vor?!“, fragte ich sie, als ich sah, wie sie sich ihre Perücke überzog.

„Ich gehe runter in die Stadt und schaue nach, was da vor sich geht!“, sprach sie entschlossen und schnallte sich ein Schwert um die Hüfte.

„Watanuki… begleitest du mich?“, bat sie mich mit einem flehenden Blick.

„In Ordnung, ich komme mit. Wir schauen aber nur kurz nach, was in der Stadt los ist, dann gehen wir wieder!“

„Natürlich! Versprochen!“, sagte Juliet und ich holte mein Schwert und einen langen Umhang aus meinem Zimmer.

„Juliet, bleib hier! Du darfst nicht in die Stadt runtergehen! Das ist viel zu gefährlich für dich!“, rief Cordelia als wir an ihre vorbei rannten, doch wir hielten nicht an.

„Wir sind gleich wieder zurück!“, informierte sie Juliet über die Schulter hinweg.

„Also da hört ja jetzt alles auf! Dann komm ich eben mit!“, entschied sie, doch wir warteten nicht auf sie.

Wir mussten nicht lange nach der Quelle der Unruhe in Neo Verona suchen:

Die Schreie der Menschen und ein helles Licht lenkten unsere Schritte in Richtung des Marktplatzes.

„Was ist da los?“, fragte Juliet, ich keuchte ebenso angestrengt wie sie und meine Augen verengten sich, ich konnte allerdings nichts erkennen.

„Ich weiß es nicht!“, erwiderte ich.

„Tu’s nicht, Juliet, du darfst da nicht hin!“, wiederholte Cordelia hinter uns, doch wir ignorierten ihre Wiederworte noch immer und kamen vor dem Marktplatz auf einer Überführung zum Stehen, wo wir einen perfekten Blick auf den Platz hatten.

Ein riesiger Käfig war darauf aufgestellt, in welchem einige Männer gefangen waren.

Unter dem Gefängnis befanden sich Holzscheite und um ihn herum standen einige Wachen mit Holzfackeln.

Sogar eine Gruppe mit Bogenschützen hatte über dem Platz ihre Stellung eingenommen, ihre brennenden Pfeile erhellten die Nacht.

Allerlei Menschen hatten sich um den Schauplatz versammelt, wurden jedoch von zahlreichen Wachen daran gehindert sich den Gefangenen zu nähern.

Sie hatten doch nicht etwa vor… die Menschen in dem Käfig zu verbrennen?!

Entsetzen packte mich und ich umklammerte die Brüstung fester.

Ich hätte nicht gedacht, dass es soweit kommen würde.

„Du lieber Gott… warum habt ihr mir das alles nicht erzählt?“, flüsterte Juliet beinahe schon anklagend und ich senkte den Kopf.

„Du hast es doch auch gewusst, Watanuki, und hast es mir verschwiegen!“

Ja, ich hatte es gewusst. Aber nicht, dass es so enden würde!!

„Ich durfte es dir nicht sagen! Die Leute wurden alle festgenommen, weil sie in den Augen des Duce der Rote Wirbelwind sind“, erwiderte ich und sah beschämt zur Seite.

„Oh nein!“, rief Juliet und wollte nach unten laufen, wurde jedoch von Curio und Francesco aufgehalten, welche gerade die Treppen nach oben gestiegen waren und zu uns stießen.

Der Blonde trat näher: „Ihr dürft nicht übereilt handeln. Zügelt Euren Unmut, Juliet. Denn wenn wir jetzt eingreifen, so scheitern wir. Wir sind noch in der Minderzahl!“

„Aber das wäre falsch! Ich muss es versuchen. Ihr müsst mir helfen!!“ Panisch wollte die Tochter des Fürsten Capulet an Curio vorbei spurten, doch dieser gab ihr eine heftige Ohrfeige, die sie zu Boden schlug.

Ich schnappte entsetzt nach Luft, mit solcher Gewalt seitens Curio hatte ich nicht gerechnet.

„Die Vorgänge in Neo Verona haben Euch nicht gekümmert, solange Ihr im Liebesglück geschwelgt habt. Und dann wollt Ihr auf einmal handeln – ohne Sinn und Verstand. Glaubt Ihr, wir haben Euch 14 Jahre lang beschützt um festzustellen, dass wir eine Egoistin großgezogen haben?“

Juliet erschrak sichtlich über seine Worte.

Francesco beugte sich zu ihr hinunter und hielt ihr die rechte Hand hin, welche sie annahm und sich von ihm hochziehen ließ.

„Wir haben uns alle für die Zukunft dieses Landes eingesetzt und wir erwarten noch Großes von Euch, Prinzessin. Curio, Cordelia, Watanuki und alle unsere Familien haben lange ihr Leben riskiert. Wir wollten in Euch eine gerechte Fürstin für Neo Verona heranziehen“, erklärte der Blonde.

Ein hilfloser Schrei ließ uns herumwirbeln: „Holt mich hier raus!“, schrie einer der gefangenen Männer.

Die Menschenmenge versuchte sich gegen die Wachen aufzulehnen, sie schrien, stöhnten und jammerten entsetzt durcheinander.

Doch die Wachen hatten die Fackeln bereits erhoben.

„Lieber Gott, hilf mir“, betete ein anderer Gefangener.

„Ich will meinen Papa wieder haben!“, weinte ein kleines Kind.

„Wie schrecklich…“, flüsterte ich geschockt.

Was sollte ich tun? Konnte ich denn etwas tun? Alleine würde ich mit einem Schwert nichts ausrichten können…

Juliet rannte los, dieses Mal einen anderen Weg als die Treppe wählend.

Francesco rief ihr hinterher: „Juliet, Ihr dürft das nicht tun!“

Doch die Flucht der Prinzessin fand erst in den Armen eines schwarzhaarigen, hochgewachsenen Mannes mit Brille sein Ende.

Er hatte seine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Es war Lanzelot.

„Doktor! Ihr hier?“, fragte Juliet verwirrt.

„Ja, ich bin hier und Ihr, Prinzessin Juliet, seid diejenige, an die ich geglaubt habe.

Wenn Ihr Euer Leben aufs Spiel setzt, dann nicht an diesem Ort.

Gebt Neo Verona eine bessere Zukunft!“, bat er, lächelte sie noch ein letztes Mal an, bevor er ihre Schultern losließ und auf dem Absatz kehrtmachte.

Juliet wollte ihn packen, bekam ihn aber nicht zu fassen und stürzte.

„Halt! Wartet!“, schrie sie noch, bevor sie ein zweites Mal hart auf dem Boden aufkam.

Ich half ihr auf, als sie verzweifelt dem Arzt hinterherschaute.

Was hatte Lanzelot denn nun vor?

Wir erhoben uns und gingen an die Brüstung zurück, um das schreckliche Grauen weiter mit zu verfolgen.

Lanzelot sprang als Roter Wirbelwind verkleidet von der Mauer auf den Käfig.

Die Menschenmenge schien erleichtert: „Er ist es wirklich!“

Lanzelot richtete sich dramatisch auf.

„Du bist in die Falle gegangen. Mein Plan hat funktioniert. Endlich zeigst du dich. Ich wurde des Wartens langsam müde!“, sprach der Anführer der Wächter, den man an seinem langen Umhang und einem Armbrustbolzen mit breiter Spitze, welchen er in seinen Händen wiegte, sehr gut erkennen konnte.

„Hilf uns hier raus, Roter Wirbelwind!“, rief einer der gefangenen Männer verzweifelt.

„Unser Retter! Er ist es tatsächlich!“

„Bitte, rette unseren Vater!“

„Bitte, befreie unseren Sohn!“

„Er ist unser Held!“

Die Menschenmenge schrie durcheinander, sie schienen ihre Hoffnung wiedergefunden zu haben, als der Rote Wirbelwind so plötzlich vor ihnen aufgetaucht war.

Juliet sah zu Lanzelot herüber und flüsterte ungläubig: „Es ist der Doktor. Er steht für mich ein.“

Lanzelot hob die linke Hand. „Lasst sofort die unschuldigen Menschen frei“, forderte er.

„Das ist die Höhe! Du Verbrecher wagst es noch Forderungen zu stellen?“, spottete der Anführer der Wachen.

„Ihr verhaftet Unschuldige und das dürft ihr nicht! Ich bin der echte Rote Wirbelwind! Seht her!“, sprach Lanzelot entschlossen.

Ich umklammerte die Brüstung noch härter.

Was geschah hier nur? Was würde noch passieren?

Was würden sie mit Lanzelot machen?

Ich hatte kein gutes Gefühl…

Die Menschenmenge schien nun fast die Beherrschung zu verlieren.

„So haltet ein! Ihr müsst die Bürger beschützen und nicht bedrohen.

Senkt das Schwert! Das ist nicht Recht!“, stellte Lanzelot klar und erntete zustimmende Rufe der Bürger:

„Der Wirbelwind hat recht!!“, bestätigte ein Mann aus der Menschenmenge brüllend.

„Wir sind seit Jahren nur geknechtet worden!!“

Auch die Gefangenen in dem gewaltigen Käfig fingen nun an zu randalieren:

„Wir sind unschuldig! Holt uns hier raus!“

„Wir wollen noch nicht sterben!“

„Ihr dürft nicht zurückweichen. Die Linie wird gehalten!“, befahl der Anführer den Wachen und die Soldaten zogen ihre Speere und Schilde nach oben.

Plötzlich geschah alles ganz schnell.

Ich sah noch aus dem Augenwinkel, wie ein brennender Pfeil durch die Luft schoss, bevor er Lanzelot in die Schulter traf. Dieser taumelte und stürzte nach hinten.

Die Menschen schrien durcheinander, ich schnappte entsetzt nach Luft.

Juliet machte Anstalten ihm zu Hilfe zu eilen, wurde jedoch von Curio aufgehalten.

„Das dürft Ihr nicht!“, sagte er, er hielt Juliet immer noch am Arm fest.

„Aber er stirbt!“, rief die Rothaarige verzweifelt.

Lanzelot zog sich den brennenden Pfeil aus der Schulter.

„Oh je, oh je. Ein Pfeil hat ihn erwischt. Das tut mir leid. Die Schützen waren so ungeduldig. Aber da ich kein Unmensch bin, lasse ich die zu Unrecht Verhafteten nun frei.

Ist das die Gerechtigkeit, die du wünscht, Wirbelwind?“, fragte der Hauptmann und es geschah wirklich, wie er befohlen hatte:

Die Gefangenen wurden freigelassen.

Frauen riefen wild durcheinander und Familienmitglieder fielen sich wieder in die Arme.

Dankende Rufe an Lanzelot erfüllten die Nacht.

Der Anführer der Wachen schien davon nicht begeistert: „Bei mir bedankt sich niemand... obwohl ich der eigentliche Wohltäter bin.

Nun zu dir, du gemeiner Verbrecher: Sobald wir dich getötet haben, werde ich dein wahres Gesicht zur Schau stellen, damit die Leute wissen, wer du bist.“

„So weit wird es nicht kommen!“, sagte Lanzelot und sah auf den brennenden Pfeil in seiner Hand hinab.

Er würde doch nicht etwa…??

Ehe ich einen Schrei ausstoßen konnte, hob der Arzt den Pfeil in die Luft empor, das Feuer spiegelte sich in seinen Augen wider.

„Der Rote Wirbelwind nimmt nun Abschied von euch! Doch ein neuer Wind wird aufkommen. Ein Wind der Freiheit und der Hoffnung. Weil die Hoffnung nicht sterben darf!! Wenn ihr den Wind weiter wehen lasst, habt ihr die Möglichkeit die Welt zu verändern.

Gebt nicht auf, Leute! Kämpft für das Recht!

Denn hier weht... der Wind der Freiheit!“

Lanzelot ließ den Pfeil lächelnd sinken und warf ihn dann in das ölgetränkte Holz unter dem Käfig.

Das Material ging schlagartig in Flammen auf und mit ihm das leere Gefängnis.

Ich bekam nichts mehr mit, weder was der Hauptmann sagte, noch was die Menschen da unten taten.

Lanzelot… er hatte sich geopfert. Für die Freiheit und für Juliet Fiammata Asto Capulet.

Das Feuer brannte immer höher, verschlang gierig sein Opfer, spiegelte sich in meinen Brillengläsern wider.

Ich war zu geschockt um etwas zu sagen oder zu tun.

Juliet versuchte sich währenddessen aus dem Griff von Curio und Francesco zu befreien, welcher seinem Freund zu Hilfe geeilt war.

„Lasst mich los! Ich will zu ihm!“, schrie sie von Sinnen.

„Das geht nicht!“, erwiderte Francesco und hielt sie weiterhin unerbittlich fest.

„Du kannst nichts für ihn tun!!“, rief Curio.

„Ich muss ihn retten! Ich muss ihn retten! Er darf nicht sterben!“

Die Rothaarige randalierte weiter, hatte aber gegen zwei Männer keine Chance.

Juliets Worte taten mir im Herzen weh. Sie hatte so recht… aber wir konnten von Anfang an nichts tun!

„Es ist zu spät!“, sagte Francesco eindringlich.

„Ihr werdet sonst auch getötet!“, fügte Curio noch hinzu.

Juliet schluchzte und wehrte sich gegen den harten Griff, bis sie schlussendlich zu Boden sank.

Rauch quoll nach oben, mit einem lauten Krachen brach der Holzkäfig zusammen.

Die Menschen auf dem Platz waren totenstill geworden, jeder starrte entsetzt auf das Feuergrab des Roten Wirbelwinds.

Francesco und Curio hatten Juliet losgelassen, als sich diese wieder einigermaßen gefangen hatte.

Ihre Tränen waren aber noch nicht versiegt.

„Ich bin schuld. Lanzelot musste meinetwegen sterben“, flüsterte sie, als das Feuer sogar so hoch stieg, dass es selbst den Himmel erleuchtete.

Ich senkte betrübt den Kopf.

Eigentlich hatte ich den Arzt wirklich gemocht…

„Ach, Odin...“, sagte Cordelia mitleidvoll.

Die Menschenmenge fing wieder an zu schreien. Sie trauerten um den Roten Wirbelwind, der sich für ihr Wohlergehen geopfert hatte.

Doch sie ahnten nicht, dass er sich auch für Juliet und ganz besonders für Juliet geopfert hatte.

Er hatte ihr damit eine Chance gegeben, Neo Verona wieder zurückzuerobern und die Bürger aus ihrem Elend zu holen.

Die Rothaarige rannte weg, Cordelia folgte ihr.

„Odin, halt! Warte auf mich!!“, rief sie aufgebracht, als sie ihre beste Freundin einzuholen versuchte.

Ich eilte ihr nicht hinterher. Sie sollte nun wohl besser mit ihrer langjährigen Freundin allein reden.

„Arme Juliet…“, murmelte ich, dann gingen wir alle betrübt nach Hause.

 

„Du riechst irgendwie nach Rauch, Watanuki!“

„Wen wundert das…“, brummte der Angesprochene.

Shakespeare erhob sich aus seinem Sessel.

„Was ist passiert?“, fragte er, er sah seinem Assistenten an, dass etwas Schlimmes geschehen war.

Watanuki senkte betrübt den Kopf.

„Der Arzt Lanzelot… er ist… er hat sich…“

„Na was denn? Setz dich erstmal!“

Es war das erste Mal, dass Shakespeare ihn zum Sitzen aufforderte.

Wie betäubt ließ sich der Schwarzhaarige in einen Sessel sinken.

Er starrte kurz in das Feuer im Kamin, dann wandte er seinen Blick davon ab.

„Er hat sich als Roten Wirbelwind ausgegeben und sich für Juliet geopfert. Er ist elendig verbrannt“, erzählte er leise.

William ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück.

„Das also haben diese Flammen zu bedeuten… Sie erhellen beinahe die ganze Stadt.

Allerdings ist es sehr bedauerlich, aber in einer Geschichte muss es Opfer geben, das ist nun mal so…“

„Das sagst du so einfach!“, donnerte Watanuki los, er hatte seine Faust auf die Sessellehne geschlagen.

„Er hätte nicht sterben müssen! Nur, wegen dem Duce, nur wegen ihm!“

„Verspürst du Hass, Watanuki?“, fragte der Dichter.

„Was… geschieht mit Menschen, die hier sterben, William?“, wurde der Schriftsteller mit einer Gegenfrage konfrontiert.

„Sie verschwinden“, antwortete er ihm ernst.

„Was passiert mit uns… wenn wir hier sterben sollten, William?“, fragte der junge Mann weiter.

Shakespeare musterte ihn mit einem besorgten Blick, kam dann aber näher und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du hast doch nicht etwa vor, dich in den Freitod zu stürzen, oder? Das wäre nicht gerade nach meinem Plan! Wer erzählt mir denn dann, was Juliet gerade so treibt? Außerdem… sind wir doch hier, um dich für Geschichten etwas sensibler zu machen!

Obwohl du den Tod eines Menschen hautnah miterlebt hast und auch sichtlich betroffen aussiehst, weinst du keine einzige Träne um ihn.“

Watanuki starrte schweigend zu Boden.

„Dennoch drückt dein Blick deine Gefühle aus. Das sehe ich heute das erste Mal an dir. Es scheint mir, als ob du dich langsam in diese Geschichte eingewöhnen würdest.

Du lernst, mit anderen mitzufühlen.“

„Die arme Juliet…“, flüsterte Watanuki, sein Blick war starr und schien leblos.

„Ja, die arme Juliet… Sie hat eine große Bürde zu tragen. Aber sie wird diese Last irgendwann meistern können, ebenso wie du lernen wirst, irgendwann einmal um andere zu weinen.

Merke dir meine Worte gut, Watanuki!!“, sagte Shakespeare eindringlich, sein Gegenüber blieb ihm jedoch eine Antwort schuldig.

„Leg dich schlafen. Morgen geht es dir bestimmt besser!“, riet ihm der Dichter.

„Juliet kann heute Nacht sicherlich nicht schlafen“, befürchtete Watanuki leise.

„Vielleicht nicht, nein… Aber sie kann die Sterne beobachten, welche ihr die unendlichen Weiten des Himmels weisen.

Und sie wird sich schwören, in Zukunft alles besser zu machen, damit so etwas nicht noch einmal geschehen muss.

Weißt du, wenn jemand ein Opfer bringt, dann fühlt er auch mit jemand anderem mit.

Er leidet mit ihm und versucht demjenigen zu helfen, ganz egal, was aus ihm selbst wird.

Vielleicht, Watanuki… wirst du dich auch einmal für jemanden opfern, wer weiß… Irgendwann einmal, wenn die Zeit gekommen ist?“

Blaue Augen starrten den Dichter an, bevor der Schwarzhaarige mehr als nachdenklich den Raum verließ.

„Ach, Watanuki… vielleicht werde auch ich irgendwann wieder Tränen finden, damit ich um etwas weinen kann. Vielleicht…“, seufzte Shakespeare und plötzlich erschien im Feuer eine durchsichtige Gestalt.

„Und, William? Wie macht sich mein Angestellter in deiner Wunschwelt?“, wollte Yuko wissen.

„Er macht Fortschritte, Hexe. Unser heutiges Treffen hat es bewiesen: Er leidet mit anderen.

Doch ich mache mir Sorgen um ihn… ich befürchte, dass er etwas Unkluges tun könnte…“

„Das wäre typisch für ihn. Er stellt oft unüberlegte Sachen an…“

„Yuko?“

„Ja?“

„Es geschieht uns doch nichts, falls Watanuki und ich hier sterben sollten, nicht wahr?

Es… bringt uns nicht wirklich um, oder?“, fragte der Dichter zögerlich.

Die Hexe musste lächeln.

„Nein. Ihr erwacht nur aus eurem langen Schlaf und seid wieder in London. Mehr wird nicht passieren. Obwohl ihr den Schmerz des Todes spüren werdet.

Und falls du hier zuerst sterben solltest, William… wird sich diese Welt auflösen und deine gesamten Notizen werden vernichtet“, erklärte die Hexe.

„Ich verstehe“, antwortete der Autor.

„Nur, wenn ihr beide willentlich und unbeschadet diese Wunschwelt verlasst, wirst du all deine Notizen mitnehmen können. Also, denk an deine Gegenleistung, die ich noch bekomme.

Denk an die Gegenleistung, die ich noch von dir bekomme. Das Gelingen dieser Aufgabe hängt ganz allein von dir ab!“

„Ich werde mir Mühe geben mich nicht in Gefahr zu begeben. Schließlich bin ich hauptsächlich derjenige, der die Fäden in der Hand hält, nicht wahr?“

„Ja. Nur durch dich hat diese Wunschwelt Gestalt angenommen. Nur deswegen existiert sie. Jedes Lachen, jedes Weinen eines Menschen… alles hat seinen Ursprung in einem einzigen Wort gefunden! Alle Charaktere, die du geformt hast sind so geworden, wie du sie dir vorgestellt hast. Doch vergiss nicht: Auch Watanuki ist für diese Welt von großer Bedeutung.

Alles wird sich bei eurem Tod auflösen, ausgelöscht werden. Diese Welt würde verschwinden und nie wieder existieren.“

„Aber mit dieser Welt hier ist mein größter Traum wahr geworden! Und das Beste ist immer noch, dass ich selbst mitspielen darf!“

„Denk an die Gegenleistung, Willy…“, sprach Yuko, dann war sie nach einem weiteren Aufglühen eines Holzscheites verschwunden.

Shakespeare trat gedankenverloren ans Fenster und hatte nachdenklich das Kinn auf seine Hand gestützt.

„Und so starb der Rote Wirbelwind… im roten Schleier des Verderbens… aber ein Feuer, welches so hell lodert, birgt auch die Hoffnung in sich. Ein Feuer, das in jedem Herz eines jeden Bürgers von Neo Verona weiter lodern wird.

Ein Feuer, welches die Hoffnung niemals sterben lassen wird. Denn der Wind wird das Feuer am Leben erhalten und weiter anfachen.

Und feuerrote Haare… werden die Angst aus den Herzen der Menschen vertreiben, sie staunen und vor Freude weinen lassen.

Weil ein Mädchen alle retten wird.

Wir werden ihr alles zu verdanken haben.

Doch zuerst muss auch sie erfahren, wie es ist, mit dieser Bürde umzugehen und wie man am besten handelt.

Denn wie Watanuki muss auch sie lernen mit andern mitzufühlen, um ihre Mitmenschen besser verstehen zu können. Es ist eine wichtige Lektion, die ich euch beiden nicht vorenthalten möchte…

Doch ihr werdet es sicherlich schaffen. Und zwar ihr beide gemeinsam!“

Akt 7: Von Rebellion und Verrat

Eine Minderheit versucht sich durchzusetzen; einen Kampf vorzubereiten, welcher unter gegebenen Bedingungen einfach aussichtslos erscheint. Genau in diesen Momenten braucht man Freunde an seiner Seite… um mit ihnen zusammen zu kämpfen! Doch was… wenn es jemanden gibt, welcher die Freundschaft nur vortäuscht?

Ein Verrat wiegt schwer und lässt den Getroffenen nur noch schwerer Vertrauen fassen…

Wir erleben, wie eine Einzelgängerin das Gewand wechselt, welches bestand aus karminrotem Gebet. Es waren ihm Gram und Tränen des Volkes anvertraut.

Stolz und Gerechtigkeit verbindet zwei Menschen und der Schwur, an ihrer Liebe festzuhalten.

 

Der nächste Tag neigte sich zur Abendstunde und Curio, Francesco, Juliet und ich befanden uns gerade auf dem Rückweg von Lanzelots Familie.

Wir hatten seiner Frau persönlich die schrecklichen Neuigkeiten überbracht, das war das Mindeste, was wir dem Arzt noch schuldig waren.

Nun saßen wir in einem Boot, da wir so unauffälliger vorankamen und Juliet zudem weinte.

Das musste nicht jeder sehen.

Ich kam mir ein wenig hilflos vor. Ich wusste nicht, wie ich sie trösten konnte, ich hatte einfach keine Worte für das, was gestern passiert war.

„Ich bin an ihrem Unglück schuld. Lanzelot ist meinetwegen gestorben. Wenn ich mich gestellt hätte, dann wäre seine Familie jetzt nicht schutzlos unterwegs“, flüsterte sie schluchzend.

Ich legte mitfühlend einen Arm um ihre Schultern.

„Lanzelot hat für dich gekämpft und dir ein Erbe hinterlassen“, unterbrach Curio das Schluchzen und tauchte das Ruder erneut ins Wasser.

„Und in dem Moment, in dem er gestorben ist, war er der Rote Wirbelwind. Ein richtig guter Roter Wirbelwind“, fügte Francesco noch hinzu.

Das Boot glitt weiter voran, ich lauschte der entspannenden Stille auf dem kleinen Fluss und starrte auf die Wasseroberfläche, bis mich Juliets Stimme aus meinen Gedanken riss:

„Da steht jemand!“

Tatsächlich. Als mein Blick das Ufer streifte, konnte ich eine maskierte Gestalt erkennen.

„Er gehört zu uns“, beruhigte Francesco sie, nachdem der Mann seinen Mantel etwas lüftete und ein Familienwappen zeigte, welches Curio und Francesco anscheinend bekannt war.

Die beiden Männer hielten das Boot an.

„Hast du uns etwas zu berichten?“, fragte der Blondhaarige den vermummten Spion.

„Die Familie von Victorio di Friscobaldi soll ermordet werden“, berichtete er.

„Ist das die Wahrheit?“, stieß Francesco entsetzt aus, auch ich schnappte nach Luft.

William hatte mir einmal erklärt, wer diese Familie war: Es war der Bürgermeister der Stadt mit seiner Frau und seinem Sohn.

„Montague hat vermutlich den Befehl dazu erteilt. Der Kutscher ihres Wagens ist ein gedungener Mörder. Er soll sie zur Ruine außerhalb der Stadt bringen und dort töten. Es soll nach einem Raubüberfall aussehen“, erklärte der Spion.

Wir zögerten nicht lange, zogen uns daheim schnell um und holten unsere Waffen, bevor wir erneut aufbrachen.

Hoffentlich kamen wir noch rechtzeitig, es dämmerte bereits.

„Diesmal werde ich sie retten! Das schwöre ich bei meinem Leben!“, rief Juliet und ich sah sie von der Seite her an.

Als wir bei den Ruinen ankamen, war schon die Nacht hereingebrochen.

„Jetzt lauft doch endlich weg!“, hörte ich die verzweifelte Stimme eines Mannes. Das musste wohl der Bürgermeister sein…

Wir waren gezwungen, die Situation schnell einschätzen.

Die dreiköpfige Familie, bestehend aus den Eltern und dem Sohn, war von den Wachen des Duce umzingelt worden.

„Auch ich werde nicht zulassen, dass wegen des Duce noch einmal eine Familie auseinanderbrechen wird!“, sagte ich und hob entschlossen mein Schwert.

Der Mörder, welcher als Kutscher getarnt war, sprang vom Kutschbock hinunter und kam von hinten auf die Familie zu.

„Wartet! Lasst mich noch etwas sagen!“, bat der Bürgermeister panisch, als die Soldaten ihre Schwerter erhoben und den Kreis um die Familie schlossen.

„Lasst die Waffen fallen!“, schrie Juliet und sprang mitten in das Geschehen hinein, Curio, Francesco und ich hinterher.

Wir mischten uns sofort in den Kampf ein.

Curio und Francesco verwickelten die Soldaten in ein Gefecht, welches sie von uns weglockte, Juliet und ich kümmerten uns mehr um den Schutz der Familie.

„Seid ihr verletzt?“, fragte die als Junge verkleidete Capulet besorgt.

„Nur ein bisschen“, antwortete der Bürgermeister, welcher einen kurzen Schnauzer trug.

„Ich rette euch! Ihr müsst mit mir mitkommen. Los, beeilt euch!“, forderte sie die Familie auf und sie machten auf dem Absatz kehrt.

Ich entschied mich, Curio und Francesco zu helfen, welche ganz allein gegen sechs Soldaten kämpfen mussten.

In der Panik der Situation vergaß ich den Mann hinter uns, der auf die Familie angesetzt war.

„Nicht mit mir. Stirb, du Schuft!“, rief der Auftragsmörder und ich blickte entsetzt über meine Schulter, wo ich den Dolch auf Juliet und die Familie di Friscobaldi zufliegen sah.

„Vorsicht! Passt auf!“, schrie ich ihnen hinterher, ich war bereits zu weit weg, um ihnen mehr helfen zu können.

Juliet warf sich vor den Familienvater, wehrte den Dolchwurf mit ihrem Schwert ab und sprang dabei ins Leere. Sie stürzte folglicherweise, wobei sie ihre Waffe verlor.

„Das Schwert!“, rief Francesco, der offensichtlich alles mitangesehen hatte.

„Odin! Nein!“, rief Curio entsetzt.

Ich hechtete auf Juliet zu und baute mich schützend vor ihr und der Familie auf.

„Wenn du ihr etwas antun willst, dann musst du erst einmal an mir vorbei!“, rief ich mutig.

„Watanuki…“, flüsterte Juliet und sah zu mir auf.

„Das ist unser Ende“, hörte ich die Frau des Bürgermeisters panisch sagen, ihr Sohn versuchte sie leise zu beruhigen.

Der Mörder trat näher und zückte einen weiteren Dolch aus seinem Ärmel.

„Und nun werde ich zuerst einmal dich erledigen. Das war's für dich. Stirb!“, schrie er und ich zitterte. Würde ich jetzt wirklich sterben, mich für jemanden… opfern?

Mein Gegner schien viel mehr Erfahrung mit Waffen zu haben und dazu noch viel begabter mit deren Umgang zu sein als ich.

Plötzlich ertönte der Schrei eines Ryubas.

Federn flogen vor mir zu Boden.

Schwarze Federn.

„Romeo?“, stöhnte Juliet erschöpft und hob den Kopf ein wenig, um in den Himmel zu schauen. „Er ist es“, schloss sie, doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein, er ist es nicht!“, entgegnete ich, als das dunkle Ryuba vor uns landete.

„Wer seid Ihr?“, fragte der Mörder, welcher in seiner Bewegung innegehalten hatte.

Ich atmete erleichtert auf.

Gerettet.

„Ich nenne niemandem, der so niederen Rang hat meinen Namen!“, antwortete der Neuankömmling und sprang schützend vor mich.

„Steht auf!“, befahl der dunkelhaarige Mann der am Boden liegenden Juliet.

Ich half der Rothaarigen auf, sie nahm dabei wieder entschlossen ihr Schwert in die Hand.

Unser ominöse Retter schien zu ahnen, was sie vorhatte: „Ich übernehme ab hier!“, stellte er klar und Juliet trat schützend vor die Familie di Friscobaldi.

„Du bist ein elender Bastard – stirb!“, schrie einer der übriggebliebenen Soldaten und gleich drei von ihnen stürzten sich auf den dunkelhaarigen Neuankömmling.

Ich wollte eingreifen, doch Juliet hielt mich zurück. Zu Recht, wie ich feststellte: Dieser Mann war wirklich schnell, er besiegte die Wachen innerhalb weniger Sekunden mithilfe zweier Langdolche, welche er blitzschnell aus seinem Umhang zog.

„Du bist ein Dreckskerl!“, meinte der beauftragte Attentäter, als der junge Kämpfer seinen Dolch nun auf ihn richtete.

„Los, lauf!“, befahl er ihm.

„Aber wieso?!“, fragte sein Gegenüber verwirrt.

„Richte dem Duce Montague Folgendes aus: Der Bürgermeister Vittorio di Friscobaldi und seine Familie sind tot!“

Francesco und Curio überwältigten noch die letzten beiden Soldaten, mit denen sie in einen Kampf verwickelt waren und der Attentäter schien zu wissen, dass er nun allein dastand und gegen uns alle keine Chance hatte.

„Verdammt!“, rief er schließlich verängstigt und rannte davon.

Curio machte Anstalten ihm zu folgen.

„Lasst ihn laufen!“, befahl der Besitzer des pechschwarzen Ryubas.

„Warum denn?“, forderte Curio zu wissen.

„Wenn der Attentäter nicht ins Schloss zurückkehrt, schicken sie uns neue Verfolger auf den Hals!“, kombinierte ich, der Mann mit den kurzen, schwarzen Haaren hatte seine blauen Augen auf mich gerichtet und nickte mir bestätigend zu.

„So ist es!“, stimmte mir auch Francesco zu.

Der Kämpfer mit dem Langdolch wandte sich an Odin: „Ich hab Euch lange nicht gesehen… Ihr seid groß geworden, Juliet Fiammata Asto Capulet!“

„Mein Gott, was sagt Ihr da?“, fragte der Bürgermeister sichtlich geschockt über diese Enttarnung.

„Wartet! Warum habt Ihr mich eben so genannt? Und wer seid Ihr?“, rief Juliet dem Mann hinterher, welcher gerade nach seinem Ryuba gepfiffen hatte und auf die Spitze eines Turms sprang, wo ihn sein Reittier besser finden konnte.

Das schwarze, geflügelte Tier tauchte hinter ihm am Nachthimmel auf.

„Ich heiße Tybalt und wir sehen uns wieder. Schneller als Ihr denkt!“, verabschiedete er sich und sprang nun auf sein Ryuba, welches mit dem Nachthimmel verschmolz und Tybalt einen beinahe majestätischen Abgang verlieh.

Einzig ein paar letzte schwarze Federn erinnerten an seine Existenz.

Ich hatte diesen Mann noch nie gesehen, selbst ein schwarzes Ryuba hatte ich noch nie in dieser Welt gesichtet.

Zum Duce gehörte er ganz offensichtlich nicht, sonst hätte er sich nicht auf unsere Seite geschlagen, das war mir klar.

Dennoch überlegte ich fieberhaft, wer dieser junge Mann nur sein konnte… er erinnerte mich irgendwie an jemanden.

Jedoch gab es zu diesem Zeitpunkt gerade wichtigere Dinge, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Schließlich stand hinter uns gerade eine mehr als verängstigte Familie, welche es in Sicherheit zu bringen galt.

Wir brachten die Familie di Friscobaldi in eine leerstehende Wohnung von Shakespeares Theaterhaus, denn wo wir wohnten, wägten wir auch sie in Sicherheit.

Benvolio, der Sohn, wurde dazu verdonnert Cordelia und mir im Haushalt zu helfen, was sich allerdings als nicht allzu leicht herausstellte, denn der Kerl hatte eindeutig zwei linke Hände.

Er hatte wohl noch nie in seinem Leben einen Besen angefasst, geschweige denn einen Kochtopf. Wahrscheinlich wusste er noch nicht einmal um die Funktion dieser Geräte.

Es stellte sich heraus, dass sich meine Vermutung bestätigte…

 

„Und? Wie war dein Tag heute? Ich habe dich ja kaum gesehen… Allerdings waren heute alle etwas spät dran und schienen mir betrübt, was kein Wunder ist nach dem gestrigen Abend.“

„Wir haben heute einen Mord an einer Familie vereitelt“, erzählte Watanuki.

„Das ist doch großartig!“, lobte William, „Dann lief dein Tag heute ja besser als der gestern!“

„Ja, doch…“, sagte sein Konversationspartner eher abwesend.

„Du schaust trotzdem so nachdenklich aus, was ist denn geschehen?“, wollte der Dichter wissen.

„Es ist so ein komischer, junger Kerl aufgetaucht. Irgendwie hat er mich an jemanden erinnert, aber ich weiß gerade partout nicht an wen genau…“

„Aha. Ein junger Mann?“

„Ja, er hieß Tybalt oder so und das Schlimmste ist, dass er Juliet bei ihrem wahren Namen genannt hat!! Er schien wirklich zu wissen, wer sie ist!“

„Das ist ja sehr mysteriös! Ich frage mich, wer das wohl gewesen sein könnte…“

„Ja, das würde ich auch gerne wissen!“, gab Watanuki zu.

„Ich bin mir sicher, dass ihr es noch erfahren werdet. Wahrscheinlich kann er es euch jetzt einfach noch nicht sagen. Vielleicht kommt da noch ein wichtiger Grund zum Tragen.“

„Ein wichtiger Grund? Weißt du etwa mehr als wir?“

„Oh nein, aber wir waren schließlich auch dazu gezwungen, Juliet all die Jahre lang als Junge zu verkleiden und ihr eine andere Identität zu geben.

Vielleicht ist das bei ihm ja so ähnlich?“

„Möglich… ich weiß es nicht.“

„Leg dich schlafen, Watanuki. Du gehst doch morgen auf das Blumenfest, oder nicht?“

„Blumenfest?“, hakte Angesprochener verwirrt nach.

„Jaaaaa! Das Blumenfest! Den normalen Bürgerlichen werden die Tore der Adligen geöffnet und die ganze Stadt ist mit Blumen geschmückt, so läuft das.“

„Aha. Und das ist einmal im Jahr?“

„Korrekt!“

„Ich denke nicht, dass hingehen werde. Allein ist das langweilig“, sagte Watanuki und nach diesem anstrengenden Tag fiel er auch entsprechend müde ins Bett.

 

„Escalus… Der Baum des Lebens… stirbt! Er weint um die Flammen des vorangegangenen Tages und das unschuldig vergossene Blut dieses Tages…

Die Tränen der Göttin können nicht fortgewischt werden… Denn die Göttin weint. Sie weint weiterhin!! Die Welt wird untergehen…“

„Warum… tröstet sie dann keiner?“, fragte ich, „Warum muss denn überhaupt jemand weinen?“

„Weil sie ganz allein zurückgelassen wurde. Das ist alles die Schuld der Menschen! Sie wissen nicht, was das wirklich Wichtige im Leben ist, denn sie haben es vergessen… Vergessen!!!“

 

Ich wachte keuchend auf.

Was war das Wichtigste für die Menschen?

Ich hatte die Augen weit aufgerissen, meine Hand tastete suchend nach meiner Brille.

Ruhm, Reichtum, Macht. Zumindest war das dem Duce am Wichtigsten… oder?

Es klopfte an meiner Tür.

„Watanuki? Hast du verschlafen?“

Oh verdammt, das war Cordelia!

„Ich komme!“, rief ich und zog mich hastig um, doch gerade, als ich meinen Gürtel zuzog, starrte ich wieder nachdenklich zum Fenster hinaus, erstarrte in meiner Eile.

Ich hatte William nichts von diesen Träumen erzählt, ich schämte mich ihrer, fand sie seltsam, unlogisch, verwirrend…

Ich wollte niemanden damit belästigen aus Angst, der Dichter oder jemand von Juliets Freunden könnte mich für verrückt erklären.

Ich wollte ganz normal sein, einfach ich selbst. Kimihiro Watanuki.

Ich half Cordelia dabei, den Brotteig zu kneten, während sie gerade Benvolio zusammenstauchte, der uns fasziniert zusah, anstatt selbst bei irgendetwas mit Hand anzulegen, da tauchte plötzlich Juliet neben mir auf.

„Watanuki, kommst du mit mir auf das Blumenfest?“, fragte sie und ich hielt kurz im Kneten des Teiges inne und strich mit dem Armrücken über die Stirn.

„Hat das noch Zeit, bis ich das Brot im Ofen habe?“

„Aber natürlich! Ich geh mich schon mal umziehen!“, sagte sie und verschwand wieder.

Ich wurde als doch auf das Blumenfest gezwungen. Woher hatte ich das jetzt nur gewusst?

„Wata, jetzt komm endlich!“, rief Juliet wenig später und ich blickte ihr hinterher:

„Wata?“, flüsterte ich mehr entsetzt als begeistert über meinen neuen Spitznamen, dann legte ich meine Schürze ab und sah zu Cordelia.

„Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich dich jetzt alleinlasse?“, wollte ich mich vergewissern und sie lächelte mich an.

„Na klar! Geh ruhig mit Juliet und beschütze sie!“

„In Ordnung!“, versprach ich ihr und machte mich mit der Capulet-Tochter auf den Weg in die Stadt.

Wir verbrachten unseren gesamten Tag dort, aßen gemeinsam zu Mittag und betrachteten die wunderschön angelegten Blumenfelder, welche sich über die gesamte Stadt zogen und das Elend vor drei Tagen, als der Rote Wirbelwind den Feuertod gefunden hatte, langsam verblassen ließen.

Es waren allerlei Figuren aus Blumen gesteckt worden, Schwäne und Engel wurden in großen Wägen durch die Stadt gefahren und die Menschen erfreuten sich an den umherfliegenden Blumenblüten.

Ich musste zugeben, der Duft all dieser Varianten war wirklich umwerfend.

„Ich hole uns etwas zu trinken!“, schlug ich vor, als bereits die Sonne unterging und Juliet nickte zustimmend.

Wir wurden teilweise schon etwas seltsam angesehen, weil sich Juliet als Odin verkleidet hatte.

Zwei Männer zusammen auf dem Blumenfest, das war anscheinend nicht gern gesehen.

Ich kaufte an einem Stand zwei Säfte und wollte gerade zu der Überführung zurückkehren, wo Juliet und ich auf den Umzug hinab geschaut hatten, da konnte ich gerade noch erkennen, wie sie davonrannte.

„Odin!“, brüllte ich, „Wo willst du denn hin? Odin!!“

Die Säfte waren vergessen, ich warf sie von mir und eilte ihr hinterher.

Hinter mir hörte ich einen weiteren Ruf, der an Juliet gerichtet war: „Halt! Warte!“

Als ich zurückblickte erkannte ich Romeo, der uns ebenfalls hinterherhetzte.

Vermutlich war er sogar der Grund, warum sie sich aus dem Staub gemacht hatte.

Ihm hatte ich es also zu verdanken, dass ich durch Neo Verona rennen durfte!!

„Warte auf mich! Halt, Juliet! Warte!“, schrie er, doch sie hielt nicht an.

Ich konnte einem Mann vor mir gerade noch so ausweichen, Romeo hinter mir gelang dies nicht mehr, ich kümmerte mich jedoch nicht weiter darum, um Juliet nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Fliehende schien gar nicht mitzubekommen, dass ich hinter ihr war.

Romeo hatten wir abgehängt, ich sah ihn nirgends mehr.

Sie rannte und rannte, ich konnte irgendwann nicht mehr die Straßen und Abbiegungen zählen, jedoch konnte ich einen verzweifelten Schrei hören: „Verflixt! Juliet, wo bist du denn? JUUUUUUUUULIEEEET!!“

Es war bereits dunkel, als besagte Rothaarige endlich an einer Brücke stehenblieb.

Ich selbst lehnte mich keuchend an eine Hauswand und wollte gerade zu ihr gehen, da sie selbst total erschöpft auf die Knie gesunken war, als mir jemand zuvor kam, der mindestens ebenso sehr schnaufte wie wir beide: Romeo.

Er hatte sie also tatsächlich eingeholt.

Ich schluckte und versteckte mich etwas.

Er musste mich nicht sofort sehen.

„Hab ich dich doch gefunden, Juliet“, flüsterte er leise, dann trat er langsam näher.

Juliet schien geschockt und wich ein gutes Stück zurück, bevor sie erneut auf dem Absatz kehrtmachte flüchten wollte, doch Romeo schaffte es, sie am Handgelenk zu packen und festzuhalten.

„Lauf nicht weg!“, brüllte er und zog sie danach besitzergreifend an sich.

„Ich kann nicht bleiben!“, rief Juliet, durch die heftige Bewegung des Widerstandes verlor sie ihre Perücke und ihre feuerroten Haare wehten im Wind.

Die junge Frau wehrte sich kurz in seinen Armen, aber Romeo umfasste ihr Gesicht und küsste sie.

In ihren Augen konnte ich Erstaunen, beinahe Entsetzen erkennen, bis sie schließlich entspannt losließ und die Augen schloss.

Alles schien stehenzubleiben für diesen Moment.

Es erschien mir irgendwie alles unwichtig, ich konnte mich nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen, sogar die Blumen auf der Brücke, welche dekorativ in zwei Vasen aufgestellt waren, schienen zu verblassen.

In diesem Moment setzte ein Feuerwerk ein.

Als sich die beiden nach einer schier endlosen Zeit wieder voneinander trennten, sah Romeo sie beinahe stolz an.

„Meine Juliet...“, flüsterte er lächelnd, dann hob er seine linke Hand und ich konnte eine weiße Iris darin erkennen.

„Hier. Es ist nur die, die du hast fallen lassen, aber...“

Juliets Augen waren vor Überraschung geweitet, nach kurzer Zeit jedoch stahl sich so ein gewisser Ausdruck in ihr Gesicht, welchen ich nicht genau beschreiben konnte, sie aber sehr glücklich aussehen ließ.

„Romeo...“, hauchte sie, als sie die Blume annahm. Danach betrachteten sie glücklich das Feuerwerk und mir entging nicht, dass Romeo Juliet dichter an sich heranzog.

Ich war sprachlos.

Diese Szene eben… sie hatte mir bewiesen, wie es war, wenn sich zwei Menschen wirklich liebten. Das war so… gefühlvoll gewesen!

Ich würde mir mit Himawari auch solche Mühe geben!

Doch hatte mir diese Situation gerade ebenfalls gezeigt, wie weit entfernt ich solch einem Kuss noch war.

Im Moment hatte ich das Gefühl, dass die Luft nach weißer Iris roch… süßlich…

Sie ließ die Zeit stillstehen und mein Herz höher schlagen.

„Ich lass dich nie wieder gehen, Juliet…“, sprach Romeo leise, doch ein trauriger Schatten legte sich über das Gesicht der Angesprochenen.

„Versprich mir lieber nichts…“, bat sie enttäuscht.

„Warum sagst du das?“, wollte Romeo getroffen wissen.

„Weil unsere Liebe eine Liebe ist, die nicht sein kann!“, erwiderte sie.

„Weil ich ein Sohn des Fürsten Montague und du die letzte Überlebende der Familie Capulet bist?“, fragte der junge Mann.

„Das hast du gewusst?“, staunte die Rothaarige.

„Ja. Ich hab mich bei meiner Mutter über dich erkundigt. Für mich bist du aber einzig und allein Juliet.“

Ich konnte Erstaunen, aber auch Verletzung in Juliets Gesicht erkennen.

Sie schien zu überlegen, was sie nun tun sollte, dann suchte sie etwas in den Taschen ihres Oberteils und zog etwas daraus hervor.

Ich keuchte erstaunt auf.

Sie hatte ja das selbstgestickte Taschentuch bei sich! Wortlos streckte sie es Romeo entgegen.

„Ist das für mich?“, fragte dieser erstaunt und Juliet blickte rot geworden zur Seite.

„Ich habe in der Hütte dein Hemd anbrennen lassen und dies ist eine kleine Entschädigung dafür. Eine ganz kleine.

Ich habe versucht zu sticken. Aber diese Mädchensachen liegen mir nicht.

Nimm es trotzdem als Liebesbeweis von mir für dich“, sagte sie ohne ihm in die Augen zu sehen.

Dann hob die den Blick und schaute ihm ein letztes Mal in die Augen, während sie ihm das Taschentuch schon beinahe aufzwang, indem sie es ihm an die Brust drückte und er es festhielt.

„Ich darf nicht bleiben, Adieu!“, verabschiedete sie sich hastig und drehte sich um.

„Halt, warte! Ich bitte dich, Juliet!“, rief Romeo, sie blieb noch einmal kurz stehen, drehte sich jedoch nicht mehr zu ihm um, sondern hechtete die Stufen zum Flussufer hinunter.

Ich wartete noch, bis Romeo ihr nicht mehr nachblickte, dann eilte ich ihr hinterher.

 

„Sie haben es getan! Mein lieber, lieber Schwan! Sie haben es getan! Und es war sogar spontan! Tralalalalala!“, sang Shakespeare fröhlich und hüpfte im Zimmer umher.

„Jetzt ist er ganz durchgedreht…“, flüsterte Watanuki kopfschüttelnd.

„Ist das nicht herrlich, Wata??? Sie haben sich geküsst! Wurde aber auch Zeit! Die haben doch die ganze Zeit soooooo verliebt getan!!“

„Du redest ja fast schon so, als wärst du tatsächlich dabei gewesen, Willy!“

Watanuki benutzte nun ebenfalls den Spitznamen des Dichters, wo er doch gerade mit seinem eigenen getriezt wurde.

„Ich bin mir sicher, dass ihr diese Tat geholfen hat, wieder Fuß in der Welt zu fassen!

Sie wird entschlossener sein denn je!! Du wirst schon sehen, Watanuki!!“

„Aha… verstehe…“, meinte der junge Mann und sah dem wild tänzelnden Dichter hinterher, welcher gerade eine Pirouette auf dem Teppich drehte.

„Ich bekomm gerade Angst. Ich geh schlafen!“, sagte der Japaner und wollte sich gerade umdrehen, als er an den Schultern gepackt und zurückgerissen wurde.

„Schön hier geblieben! Ich bestimme, wann du zu gehen hast!“

„Hallo? Nur weil ich dich auf dem Laufenden halte, darf ich mich immer noch dann schlafen legen, wann ich es für richtig erachte!“, widersprach der Bebrillte und Shakespeare schleuderte ihn durch das Zimmer.

„Das ist Liebe, Watanuki! Wahre Liebe! Da schäumen die Gefühle über! Es ist so herzzerreißend, so ehrlich, so nackt! Es ist alles offengelegt, es gibt keine Geheimnisse mehr!!“

„Ich geh dann mal…“, beschloss Watanuki, befreite sich geschickt aus dem Schraubstockgriff des blonden Autoren und flüchtete hastig aus dem Raum, bevor er erneut aufgehalten werden konnte.

„Also heute, Watanuki, hast du der wahren Liebe ins Auge geblickt! Ich bin sehr gespannt, wie es dir weiter ergehen wird!“

 

„Watanuki, darf ich dich kurz sprechen?“, fragte Conrad, er hatte mich wohl gehört, als ich an seinem Zimmer vorbeigegangen war.

Mist. Dabei dachte ich, endlich für heute in Ruhe gelassen zu werden.

„Natürlich, worum geht es denn?“, wollte ich wissen, als ich schlussendlich in seinem Zimmer stand.

Er bot mir einen Stuhl an und ich setzte mich.

„Ich möchte mich sehr bei dir bedanken, Watanuki. Du beschützt Juliet wahrlich sehr gut und alle hier sind sehr zufrieden mit dir. Du setzt dich außerdem sehr für den Haushalt ein und scheinst William auch gewaltig unter die Arme zu greifen, er ist ganz verändert, seit du da bist…“

Ich überlegte scharf. Es hatte für diese Menschen wohl schon eine gewisse Vergangenheit gegeben, bevor wir hier aufgetaucht waren.

„Das ist doch… nicht erwähnenswert!“, erwiderte ich abwinkend, doch der alte Mann schüttelte den Kopf:

„Das ist es wohl. Du machst deine Aufgabe wirklich sehr gut, Watanuki! Wir sind deutlich entspannter, seit wir deine Hilfe haben. Juliet handelt manchmal unvorhersehbar. Und sie ist verdammt stur…“

„Oh ja, das ist sie“, bestätigte ich, in diesem Moment klopfte es an der Tür.

Conrad öffnete sie und in den Raum trat - die letzte Überlebende der Capulets.

Wenn man vom Teufel sprach…

„Was wollt Ihr von mir zu dieser späten Stunde, Juliet?“, fragte der ältere Mann.

„Ich möchte das Schwert meines Vaters sehen. Jetzt gleich“, antwortete Juliet.

„Nun, dann werde ich es holen“, beschloss Conrad und öffnete unter Ehrfurcht ein großes Kästchen, wo die wertvolle Waffe aufbewahrt wurde.

Er hob das Erbstück in seine Hände und überreichte es Juliet, welche es vorsichtig an sich nahm.

„Dieses edle Schwert wurde in Eurer Familie von Generation zu Generation weitervererbt. Allerdings dürfte es etwas zu schwer für Euch sein“, erklärte Conrad.

„Das glaube ich nicht. Und selbst wenn es wirklich zu schwer ist, ich möchte es ab heute tragen“, sagte Juliet entschlossen.

„Was höre ich da? Ihr wollt das Erbe Eures Vaters antreten?“, fragte der alte Mann verwundert.

„Ihr habt richtig gehört. Ich trete das Erbe der Capulets an!“, bestätigte die Tochter des verstorbenen Fürsten.

„Ihr wisst ja gar nicht, wie stolz Ihr mich damit macht! Seit 14 Jahren warte ich auf diesen Moment“, flüsterte Conrad stolz.

Ich starrte Juliet an. Sie wirkte wirklich entschlossener. Dieser Kuss… schien etwas in ihr verändert zu haben.

„Ja, ich bin Juliet Fiammata Asto Capulet…“, murmelte Juliet deutlich, zog die Waffe aus ihrer Scheide heraus und betrachtete ihr eigenes Spiegelbild darin, „…und dieses Schwert ist alles, was ich brauche.“

Ich bekam eine Gänsehaut und die Härchen auf meinen Armen standen senkrecht.

Ihr Erscheinen… war wie das einer Erlöserin. Ich sah in ihr plötzlich eine mutige, rothaarige Capulet, welche die Stadt vor dem Duce retten würde.

Sie war die Entschlossenheit selbst. Eine wunderschöne, junge Frau, welche gerade das Erbe ihrer Familie angetreten hatte.

 

William Shakespeare übte den ganzen Tag über mit Emilia sein Theaterstück ein.

Watanuki unterstützte ihn dabei tatkräftig, weil er von Cordelia nicht mehr allzu sehr eingenommen wurde, schließlich hatte sie Benvolio unter ihre Fittiche genommen.

Der Dichter machte gegen Abend eine Pause und wollte sich diese an der frischen Luft vertreiben, da ging eine Gestalt mit Kapuze an ihm vorbei.

„Jaja… Mal wieder unterwegs für einen kleinen Ausflug im Alleingang?“

Angesprochene schien ihn erst jetzt zu bemerken und gab einen erschrockenen Laut von sich.

„Aber mach dir keine Sorgen, kleine Juliet!“, beruhigte William sie und ihm entging nicht, dass sie ihre Perücke nicht aufhatte und ihre langen, roten Haare etwas aus der Kapuze hervorlugten.

Juliets Augen weiteten sich und sie sog hastig Luft ein.

„Bist du erschreckt weil ich deinen Namen kenne? Keine Sorge. Ich sag ihn nicht weiter“, fuhr der Schriftsteller fort und sein Schützling schüttelte leicht den Kopf, um den ersten Schreck zu überspielen.

„Ihr habt ihn immer gewusst, Willy, stimmt's? Ihr habt Euch nur hinter der Maske der Unwissenheit versteckt“, konfrontierte ihn Juliet mit ihrer Vermutung.

William fing langsam an die Treppe hochzulaufen, welche auf das flache Dach des Hauses führte.

„Hmmm. Das habe ich aus gutem Grund. Ich musste dich unter meine Fittiche nehmen, denn ich wollte eine blutige Tragödie schreiben!“, William tänzelte auf der Treppe herum, „Doch dann hast du dich verliebt, kleine Maus! Es konnte dir jeder an der Nasenspitze ansehen.“

Juliet errötete und druckste verlegen herum.

„Du warst so voller Lebensfreude. Aber ich fürchte, es ist eine schmerzliche Liebe, oder?“

Juliets Blick wurde plötzlich traurig und sie senkte den Kopf.

Die Sonne, welche bereits sehr tief stand, tauchte den Dichter von hinten in ein dezentes dunkelrot.

„Und deswegen denke ich inzwischen, dass ich ein unsterbliches Liebesdrama schöpfen kann. Ich muss dich nur beobachten. Und weil ich dich so lange kenne, kann ich in dein Herz hineinschauen. Viel tiefer, als ein Anderer das könnte und vielleicht…“, Er schloss kurz die Augen, „… kleine Juliet, können wir beide eine Liebesgeschichte verfassen, die für immer und alle Zeit auf der Welt gelesen wird.“

Juliet streifte ihre Kapuze nach hinten, sodass ihr rotes Haar zum Vorschein kam und wandte sich von ihm ab.

„Ich glaube nicht, William, dass ich eine gute Heldin für eine Liebesgeschichte werden kann“, behauptete sie und ihre Haare verschwammen mit der roten Farbe des Sonnenunterganges.

„Nicht zu fassen. Ein Mädchen, das die Liebe aufgegeben hat. Wunderschön! Du wirst die wahre Heldin meiner Tragödie werden!“

Juliet wandte sich zum Gehen.

„Ach, Juliet?“

Sie drehte sich noch einmal zu ihm um.

„Vergiss nicht, immer gut auf dich aufzupassen!“, erinnerte William sie und hielt der letzten Überlebenden der Capulets ihre Perücke hin, welche sie noch hastig aufzog, bevor sie durch eine zweite Tür hinaus in den lauen Abend ging und mit der Sonne verschmolz.

 

Nachdem ich William bei den Proben geholfen hatte, sah ich nach Juliet, konnte sie jedoch auch in ihrem Zimmer nicht finden.

„Juliet ist verschwunden! Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen!! Was soll ich denn nur machen?!“, rief ich verzweifelt als ich zu William zurückgekehrt war, welcher gerade über einem halbvoll-geschriebenen Blatt Pergament brütete.

„Bei dem Gejammer kann ja niemand dichten!“, stöhnte er leidend, doch es war mir gerade egal.

„Was ist, wenn sie nun niemals wieder kommt – was wird denn dann? Sie hat sich gestern so seltsam verhalten, beinahe rebellisch…“

„Du hättest ja mitgehen können und aufpassen, du Dummkopf“, antwortete William und versuchte nun zum dritten Mal, seine Feder auf die Schreibunterlage aufzusetzen.

„Das wäre ich ja auch! Aber sie ist doch abgehauen! Nur weil ich dir geholfen habe, konnte sie meinem wachsamen Blick entkommen! So ein Mist…“

„Wie gut ich sie verstehen kann. Erwachsene sind gerne mal allein. Besonders wenn sie was dichten müssen. Da kann man solche Nervensägen wie dich nämlich nicht brauchen!“

„Nervensäge? Ja wie redest du denn mit mir, hä? Ich dachte, ich hätte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen in deiner seltsamen Welt hier??“, fragte ich erzürnt und Williams Körper zitterte plötzlich.

„Das wirst du auch irgendwann, aber solange halt den Rand!“

„Ich soll… den Rand halten?“

Das war doch die Höhe! Wie redete dieser Autor denn mit mir?!

„Ich muss hier was schreiben - was Wichtiges. Geh zu Conrad und frag ihn, was du tun sollst!“

Und so… stand ich vor Conrad.

„Geh ihr hinterher!“, befahl die ehemalige Leibwache der Familie Capulet, „Du kannst die braune Ryubastute nehmen, dann wirst du sie schneller finden! In solchen Fällen ist es geschickter aus der Luftperspektive nach ihr zu suchen. Außerdem wird es langsam dunkel, da ist es für dich ganz ohne Begleitung in der Luft sicherer.“

Ich schluckte.

Also sollte ich erneut auf einem Ryuba reiten? Nur ich, ganz allein?

„Ich habe verstanden, ich werde nach ihr suchen“, erwiderte ich und ging direkt in den Stall, wo ich das braune Ryuba fertigmachte und mich mit dem Tier in die Luft erhob.

Die Sonne ging bereits unter, ich musste mich wahrlich beeilen.

Wo könnte sie nur sein?

Die Ryubastute wieherte aufgeregt, sie schien wohl lange nicht mehr bewegt worden zu sein.

Ich musste sie zügeln, da sie viel zu schnell fliegen wollte, vermutlich um sich auszutoben.

Fieberhaft überlegte ich, wo sie sein könnte und irgendein Gefühl führte mich zum Marktplatz, wo Lanzelot vor wenigen Tagen seinen Tod gefunden hatte.

Vielleicht war sie ja dorthin zurückgekehrt, um sich seiner letzten Worte zu erinnern?

Ich lenkte das Ryuba tiefer und tatsächlich, da stand sie: Als Odin verkleidet und in einen braunen Umhang gehüllt.

Sehr gut, ich hatte sie gefunden.

Allerdings sah ich in weiter Ferne ein anderes Ryuba, welches gerade zum Landen ansetzte.

Es war schwarz wie die Nacht.

War das etwa…?

Meine Neugierde ließ mich näher an das fremde Tier heranfliegen, doch ich konnte es nicht mehr sehen, es war zu tief gesunken. Also flog ich zum Marktplatz zurück, wo ich Juliet mit jemandem reden sah.

Ich stellte fest, dass es tatsächlich dieser seltsame Tybalt war.

Die beiden gingen gemeinsam durch die Straßen, ich achtete darauf, in sicherer Entfernung zu bleiben und war froh, dass sich meine Ryubastute während dem Fliegen leise verhielt und nicht anfing freudig zu wiehern als sie Juliet entdeckte.

Plötzlich erblickte ich das schwarze Reittier von Tybalt, welches ruhig in einer Gasse stand.

Juliet setzte sich mit dem jungen Mann auf das Pferd und sie erhoben sich ebenfalls in die Lüfte.

Ich zügelte meine Stute und sank tiefer, damit die beiden uns nicht entdeckten.

Sie flogen an das andere Ende der Stadt, wo sie erneut landeten.

Ich kehrte ebenfalls zum Boden zurück und band meine Stute an, bevor ich den beiden bis zu einer Kneipe folgte.

Ich zog mir meine Kapuze über das Gesicht und trat in den muffigen Schankraum, wo bereits einige Männer saßen und sich schon mehr oder weniger betrunken unterhielten.

„Wo sind wir denn hier?“, fragte Juliet sichtlich unwohl.

„Ich zeige Euch ein Gesicht der Stadt, das Ihr mit Sicherheit noch nicht kennt“, antwortete Tybalt.

„Hey junger Mann, was darf’s denn sein?“, fragte mich der korpulente Wirt, da ich an die Bar getreten war.

„Ich hätte gerne ein Wasser“, antwortete ich abwesend, ich wollte hören, was die beiden zu besprechen hatten… Der Wirt störte!

„Was bist du denn für ein Milchbubi? Keinen Alkohol?“

„Nein, keinen Alkohol!“, murrte ich hastig und versuchte, das verwirrende Tuscheln um mich herum zu ignorieren und mich auf das Gespräch zu konzentrieren, welches mich gerade interessierte.

Juliet bemerkte gerade, dass auf dem Boden zwischen einigen Bierfässern ein Bild des Duce Montague stand und einige Gäste mit Messern darauf warfen.

„Aber das ist ja...“, setzte sie an und Tybalt hob ihr ein Messer hin.

„Wollt Ihr es auch mal versuchen? Ihr hasst den Duce Montague doch auch, oder?“

„Ich verstehe nicht“, widersprach die Tochter der Capulets abweisend.

„Ihr habt mich sehr gut verstanden“, entgegnete Tybalt.

Juliet nahm ihm das Messer ab und schleuderte es zu meinem Überraschen nicht auf den Duce selbst, sondern auf das Familienwappen darunter. Sie traf es genau in die Mitte.

Die Kneipenbesucher schienen von Juliets Treffer beeindruckt und schrien durcheinander.

„Es geht nicht darum, ob ich ihn hasse oder nicht! Ich will doch nur...“

Tybalt unterbrach sie barsch: „Ihr möchtet die Bürger retten, die unter einem despotischen Herrscher leiden. Das ist nichts als Heuchelei.“

Tybalt warf drei Messer auf einmal und traf den Fürsten perfekt im Gesicht, das Bild kippte um.

Die Kneipenbesucher jubelten.

Die beiden machten sich auf den Weg nach draußen, währenddessen sagte Tybalt:

„Jetzt hört mir mal genau zu, Juliet! Ich hasse diesen Montague bis aufs Blut.“

Die Rothaarige erschrak, sie verließen gemeinsam die Bar.

Ich erhob mich, zog meine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und folgte ihnen.

„Hey! Was ist mit deinem Wasser?“, rief mir der Wirt hinterher.

„Ich will‘s nicht mehr!“, teilte ich ihm über meine Schulter hinweg mit.

„Komischer Kerl…“, hörte ich den Wirt noch seufzen, dann war ich draußen.

„Und wohin gehen wir jetzt?“, wollte Juliet wissen.

„Ich will Eure Entschlossenheit prüfen. Ich muss wissen, ob Ihr Euch der Bürde bewusst seid, die das Schwert der Capulets mit sich bringt, das Ihr ab jetzt an der Hüfte tragt.“

Ich versteckte mich hinter einer Säule und wartete ab.

Sie schienen in Richtung Innenstadt gehen zu wollen, doch plötzlich flog ein Pfeil an Juliets Hinterkopf und riss ihr die Perücke von den Haaren.

„Wartet doch einen Moment, Tybalt. Eure verkleidete Begleitung finde ich gerade interessant, also bleibt schön stehen!“

Sie wirbelten herum, scheinbar sehr überrascht. Juliets lange, rostrote Haare wehten im Abendwind.

Meine Augen weiteten sich. Da stand ein Mann - und hinter ihm mehrere bewaffnete Soldaten des Duce.

„Camillo!“, rief Tybalt mehr entsetzt als überrascht aus, „Was tut Ihr hier?“

„Ich bin euch gefolgt!“

Er wandte sich nun an die Wachen:

„Und hier haben wir die letzte Überlebende der Capulets! Gut erkennbar an dem Schwert, welches sie an ihrer Hüfte trägt!

Aber jetzt… wird sie euch auch noch auf dem Präsentierteller dargelegt! Also! Nutzt die Chance und verhaftet sie!!“

„Nein! Da müsst ihr zuerst an mir vorbei!“, entgegnete Tybalt und zog seine zwei Langdolche.

„Aber Ihr seid doch… einer der Männer, welche damals auf dem Friedhof waren!“, setzte Juliet erschüttert an und legte eine Hand auf ihren Schwertknauf.

Auch ich erkannte den Mann und meine Augen weiteten sich. Tatsächlich, Juliet hatte Recht!

Wir waren verraten worden… von einem angeblichen Anhänger der Capulet-Familie!

Das war gar nicht gut, genauer gesagt sogar ziemlich schlecht!

Ich musste mich einmischen!

Mit einem lauten Schrei eilte ich an Tybalts Seite, wo ich meine Kapuze abnahm und meine Waffe zog.

„Du schon wieder!“, merkte der Schwarzhaarige neben mir an und ich starrte grimmig in sein Gesicht.

„Ich… wurde also verraten!“, flüsterte Juliet und ich sah zu ihr nach hinten.

„Hab keine Angst, wir sind bei dir! Flieh einfach! Wir werden die Wachen schon aufhalten und dich beschützen!“

„Nein! Ich werde mitkämpfen!“

Sie zog ihre Waffe. Das allererste Mal sah ich sie mit dem Schwert ihres Vaters in einem Kampf.

Aber würde Conrad Recht behalten? Konnte sie es denn wirklich schon führen, oder war es zu schwer für sie?

Ich hatte keinerlei Zeit mehr, um darüber nachzudenken.

Wir wurden augenblicklich angegriffen und Tybalt und ich schlugen zurück.

Ich schoss nach vorne und überraschte eine Wache, welche sich gerade Juliet und nicht mir zugewandt hatte.

Tybalt setzte sofort den ersten Kämpfer außer Gefecht.

Mein Schwert kollidierte mit dem meines Gegners und ich konnte im Augenwinkel erkennen, dass auch Juliet angriff.

Ich stieß mit einem Ruck voran und der Soldat taumelte aufgrund meines dadurch ausgeführten Schwertstreichs nach hinten.

„Juliet, halte dich hier nicht auf! Du müsst fliehen! Nun mach schon!“, rief ich ihr zu, doch sie griff gerade selbst einen Soldaten an. Ich konnte erkennen, dass sie das Schwert nur langsam bewegte.

Ganz offensichtlich war es doch zu schwer für sie.

„Jetzt!“, rief Camillo laut und zwei weitere Soldaten kamen von hinten auf die Prinzessin zu.

„Nein!“, schrie ich laut und stürzte mich auf einen der beiden Wächter, Tybalt auf den anderen.

Ich hatte mehr Glück als Verstand, der Soldat schien so sehr auf Juliet fixiert gewesen zu sein, dass er mich nicht kommen hörte und ich schlug ihm gezielt auf den Hinterkopf, was ihn beinahe sofort zur Seite kippen ließ.

Juliet schaffte es, den Soldat vor ihr nach hinten zu drängen, Tybalt neben mir war mit seinem Kämpfer auch fertig.

„Er hat Recht! Geht, Juliet! Wir schaffen das allein!!“

„Ich kann nicht! Es wird nicht noch einmal jemand wegen mir verletzt!“

„Achtung, hinter dir!“, brüllte ich und stürzte mich bereits auf den nächsten Feind.

Juliet wirbelte erschrocken herum und das scharfe Schwert der Familie Capulet bohrte sich direkt in meinen linken Oberarm.

Ich schlug mit einem schmerzerfüllten Schrei auf dem Boden auf, hörte noch, wie Juliet das Schwert fallen ließ und es klirrend neben mir auf dem Kopfsteinpflaster landete.

„Wenn Ihr so weitermacht, werdet Ihr die grausame Sippe der Montagues nie ausrotten können!!“, schrie Tybalt, welcher plötzlich über mir war und dem Soldaten, gegen welchen ich eben noch gekämpft hatte, wohl gerade den Gar ausgemacht hatte.

Schmerz schoss durch meinen Arm, warmes Blut durchtränkte meinen Ärmel.

Ich hörte hastige Schritte, welche sich entfernten.

„J… Juliet!“, flüsterte ich, dann wurde ich ohnmächtig.

 

„Nun fängt das Drama also langsam an, seinen Lauf zu nehmen. Unsere Juliet ist mit der Gesamtsituation überfordert und flieht“, kommentierte William und trat aus seinem Versteck heraus.

Tybalt hatte die Wachen allesamt erledigt und beugte sich besorgt über Watanuki, dessen Arm er gerade abschnürte.

Juliet rannte weinend durch die Straßen, William konnte sie genau beobachten.

„Kleine Juliet… du musst zuerst verzweifeln, um erlöst zu werden!“, flüsterte er und just in diesem Moment brach die Rothaarige auf der leeren Straße zusammen.

„Zuerst die Rebellion… und dann der Verrat. Doch die Rettung wird kommen, bestimmt!“, philosophierte Shakespeare weiter, in diesem Moment ertönte über ihm ein Wiehern und ein schneeweißes Ryuba landete.

Romeo.

Entsetzt sprang er von seinem Pferd und schüttelte die schluchzende und hilflos weinende Juliet, damit sie wieder einigermaßen zu sich kam.

Danach hob er sie auf sein Pferd und sie flogen davon.

„Sehr gut. Das Schicksal hat seinen Lauf genommen“, stellte Shakespeare fest und ging einige Treppen hinunter auf die Straße, wo er das braune Ryuba von Watanuki losband und zu Tybalt führte.

„Ab hier übernehme ich“, ordnete Shakespeare an und der Schwarzhaarige mit den bläulichen Augen sah zu ihm auf.

„Ich habe dich bereits erwartet“, erwiderte Tybalt und William musste grinsen.

„Das habe ich mir schon gedacht“, sagte der Schriftsteller und Tybalt hob den bewusstlosen Watanuki auf die Ryubastute, welche besorgt unruhige Geräusche von sich gab.

„Einen guten Nachhauseweg. Um Camillo werde ich mich gleich kümmern!“, versprach Tybalt, schnappte sich den wimmernden Verräter am Kragen und zerrte ihn wortlos mit sich fort.

William beugte sich hinunter und hob feierlich das Schwert der Capulets auf, band es sich um die Hüfte und stieg auf das Ryuba, welches sich in die lautlose Nacht erhob, und diese nur mit seinen leisen Flügelschlägen wiederzubeleben schien.

 

Ich schwamm… in einem warmen Schlossteich, auf dem Rücken, konnte die Sterne sehen.

Alles war friedlich und leicht.

Ich hatte keinerlei Sorgen mehr, alles hätte so wunderschön ruhig sein können…

Doch da tauchte neben mir plötzlich etwas leuchtend Grünes aus dem Wasser auf.

Was war das denn?

Ich drehte mich leicht zu dem riesigen Etwas um.

War es ein Flügel? Und wieso leuchtete er?

„Die ersten Anzeichen sind da, dass Escalus stirbt!

Der Lebensbaum verliert bereits seine Blätter!!“

Das waren die Blätter von Escalus? Sie waren riesig…

Ich berührte eines von ihnen, ihr Leuchten verblasste augenblicklich und sie wurden schwarz, tot.

Ihre Kälte schlug mir entgegen, breitete sich im Wasser aus und zog mich plötzlich in die Tiefe.

Ich bekam keine Luft mehr, hatte das Gefühl, tausend Nadeln würden meinen Körper durchstechen.

Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht.

Es ging einfach nicht.

Ich war dem Wasser hilflos ausgeliefert.

Und damit auch Escalus.

Akt 8: Die ausweglose Flucht zweier Liebenden

Ein paar Tage können helfen, ein neues Gleichgewicht zu finden. Sie führen einen doch schwachen Menschen ins Licht und lassen die zahlreichen Wunden heilen, körperliche sowie seelische.

Doch schon nach kurzer Zeit bedrohen dunkle Wolken die junge Liebe. Noch grollt das Unwetter in einiger Entfernung, aber es kommt näher. Und eine Quelle, die bereits versiegt schien, erwacht durch Tränenregen wieder zum Leben.

 

Als ich aufwachte, schnappte ich wie ein Ertrinkender nach Luft.

Meine Lunge füllte sich mit dem überlebenswichtigen Stoff, mein Herz raste.

Was mir überaus deutlich machte, dass ich mich wieder in der Welt der wachen Menschen befand, war mein schmerzender linker Arm.

Ich bemerkte, dass zwei Hände auf meiner Brust ruhten, welche meinen aufgerichteten Körper wieder in eine liegende Lage schoben.

„Du musst liegen bleiben! Sonst kann dein Arm ja nie heilen!“

„W… Willy?“, stöhnte ich verwirrt und er lächelte mich an.

„Willkommen zurück, Watanuki!“, begrüßte er mich.

„Was ist passiert?“, wollte ich wissen.

„Nun ja, man könnte sagen, der Rote Wirbelwind war etwas grob zu dir. Juliet hat dich mit ihrem Schwert erwischt, als du sie gerade verteidigen wolltest.“

„Oh ja, ich erinnere mich…“, flüsterte ich.

„Die Wunde ist nicht sonderlich tief, allerdings solltest du dich noch ausruhen“, erklärte William.

„Was ist mit Juliet?“, fragte ich.

„Romeo hat sie gefunden und ist mit ihr davongeflogen. Es ist alles gut!“

Ich realisierte seine Worte und nickte.

Ich wusste zwar nicht genau warum, aber ich vertraute Romeo.

„Schlaf noch etwas, Watanuki. Ich werde auch zu Bett gehen!“, meinte der Schriftsteller und ließ eine schwache Lampe neben mir stehen.

Ich glitt wieder in die mehr oder weniger guttuenden Wogen des Schlafes und versuchte Ruhe zu finden.

Versuchte es.

 

Ein weiter, heller Gang, vom Sonnenlicht durchflutet.

Lange Wurzeln durchbrachen das grelle Licht, zur Hälfte verdorrt, zur Hälfte lebend.

Und zu meiner Überraschung sah ich in diesem Traum von Escalus zwei mir bekannte Personen:

„Wo sind wir denn hier?“, fragte Romeo.

Juliet sagte nichts, sondern erschrak, als ein alter Mann seine Stimme erhob:

„Hier war mal ein Brunnen. Aber die dazugehörige Quelle ist ausgetrocknet.“

Wir sahen zu dem Mann auf, die Anwesenden konnten mich offensichtlich nicht wahrnehmen.

„Hier war eine Quelle? Das ist doch...“, setzte Romeo an.

„Unsere Welt, wie wir sie kennen, wird von den Wurzeln zweier Bäume getragen. Leider ist einer dieser Bäume bereits verdorrt. Ihm ist nun nicht mehr zu helfen und der zweite wird auch nicht mehr lange leben.“

Ich betrachtete die Wurzeln genauer.

Die grünen hatten sich teilweise um die verdorrten geschlungen und schienen erfolglos zu versuchen, sie wiederzubeleben.

Juliet keuchte, in ihren Augen spiegelten sich die Wurzeln wider. Sie ließ das Brennholz in ihren Armen fallen und drückte sich die Hände an die Ohren.

Auch ich sank zu Boden. Ich hörte diesen schrecklich hohen Ton… Was war das?

„Was hast du denn, Juliet?“, entfuhr es Romeo besorgt, sie atmete schwer, ebenso wie ich.

„Lass uns schnell wieder gehen!“, bat sie zitternd und die beiden gingen in den hellen Gang hinaus.

„Dies sind die ersten Anzeichen, dass Escalus sterben wird“, sagte der alte Mann mit dem grauen, krausen Haar voraus, dann verschwand auch er und ich fiel in die Dunkelheit.

 

Nach einer Woche ging es mir soweit wieder gut. Mein Arm schmerzte nicht mehr so sehr und ich konnte allmählich wieder die Hausarbeit aufnehmen, obwohl mich Conrad und die anderen lieber bei William sahen, weil ich bei ihm eher geistig als körperlich zur Hand ging.

Juliet blieb weiterhin verschwunden, niemand wusste etwas über ihren Aufenthaltsort.

Cordelia schickte entweder mich oder Benvolio zum Einkaufen, da wieder einige Mädchen gefangen genommen wurden, da sie im Verdacht standen, die letzte Capulet zu sein.

Als ich dann wieder bei William war, schien dieser schwer zu überlegen.

„Was ist denn los?“, erkundigte ich mich.

„Es ist sehr schwierig, das Drama zu Ende zu führen, an dem ich gerade sitze. Dennoch... Ich ziehe es vor, das Finale hinauszuzögern und einen dramatischen Höhepunkt muss ich auch noch einarbeiten!“

„Drama?“, hakte ich nach. Hatte er nicht noch vor einiger Zeit gemeint, dass er an einer Komödie schrieb?

Ich seufzte. Ob er denn wirklich schon an der „Romeo und Julia“-Version saß, welche wir in der Zukunft für die einzig wahre Geschichte hielten?

„Ob es Juliet wohl wirklich gut geht?“, fragte ich mich und William winkte ab.

„Sicherlich, sicherlich, Watanuki! Mach dir nicht so viele Gedanken! Sie ist schließlich bei ihrem Romeo! Sie wird sicher schon bald wiederkommen!“

„Hoffentlich“, entgegnete ich immer noch leicht besorgt.

 

Die nächsten Tage vergingen schleppend für mich. Ohne Juliet langweilte ich mich. Ich hatte niemanden mehr zum Beschützen und William ärgerte mich dafür umso mehr.

Ich befand mich gerade in der Stadt, um den neusten Klatsch und Tratsch aufzuschnappen, da sah ich auf einmal einige Menschen, welche an der Straße standen.

„Ja, die beiden haben sich anscheinend stolz den Wachen des Duce gestellt! Juliet Capulet wurde natürlich sofort gefangengenommen. Sie müssten jeden Moment mit dem Gefangenentransport hier sein!“, informierte eine Wache seinen unwissenden bewaffneten Nachbarn, die beiden standen ganz in meiner Nähe.

„Und es war wirklich der Sohn des Duce mit dabei? Seid Ihr Euch sicher?“, fragte sein Gegenüber eindringlich.

„Ganz sicher. Es sind Juliet Capulet und Romeo Montague!“

Ich ließ meine Einkäufe fallen.

Hatte ich da richtig gehört?

Sie hatten Juliet gefangen?

„Verzeiht mir die Frage, werte Herren“, setzte ich höflich an und die Wachen sahen auf mich hinab.

„Ist es wahr, dass die Capulet-Tochter endlich gefangen wurde?“, wollte ich wissen.

„Ja, sie kommt jeden Moment in die Stadt. Also geh nach Hause, verzieh dich!“, antwortete mir die Wache unfreundlich.

„Na endlich wurde sie gefasst! Ich dachte schon, sie könnte sich ewig verstecken! Dann wird wieder Ruhe in die Stadt einkehren und alle können friedlich leben!“, log ich, nahm meine Einkäufe wieder in die Hand und alarmierte Conrad und die anderen.

Francesco und Curio kamen mit mir.

Wir hörten einige Pferdehufe, welche die Ankunft von Juliet ankündigten. Die Kutsche wurde sogar seitlich und hinten von Ryubas flankiert.

„Sie haben die Tochter der Capulets gefangen!“

„Aber immerhin... Sie hat überlebt!“

„Sie soll ja sogar mit dem Sohn vom Duce Montague durchgebrannt sein“, redeten die Menschen durcheinander.

„Die Lage ist ernst. Was sollen wir tun?“, fragte Francesco.

„Welche Möglichkeiten haben wir?“, stellte Curio die Gegenfrage.

„Wir könnten die Kutsche stürmen. Ob das was bringt ist allerdings die Frage. Denn dann wären wir in der Falle und Juliet würde das gar nicht helfen“, gab ich zu bedenken.

„Aber irgendwas müssen wir doch tun!“, meinte Curio verzweifelt.

„Wir könnten uns in unser Versteck zurückziehen und einen neuen Plan machen“, schlug Francesco vor.

„Ich werde sie auf jeden Fall retten! Und wenn es mein Leben kostet!“, sagte ich entschlossen und ballte meine Hand zur Faust.

Nachdem wir einen ungefähren Plan zur Hand hatten und uns William in meinem Namen mit einer Karte weiterhalf, die ich ihm angeblich zum Aufbewahren anvertraut hatte und auf der eine Abkürzung zum Gefängnisturm eingezeichnet war, sattelten wir hastig unsere Ryubas und stürzten uns in die Befreiungsmission.

Ich betete, dass wir erfolgreich sein würden.

Curio und Francesco waren im Kämpfen besser als ich und so hatten wir den Plan gemacht, dass Francesco die Wachen außerhalb des Turms ablenkte und Curio und ich uns drinnen um die Soldaten kümmern würden.

Da Curio auch in Nahkämpfen besser war als ich, würde ich die Befreiung Juliets übernehmen und mein Partner würde die Ablenkung für die Wachen spielen.

Es lief alles nach Plan: Wir überrannten die Feinde mit Pfeil und Bogen von unseren fliegenden Ryubas aus, dann landeten Curio und ich und drangen ins Innere des Turms ein, während Francesco sich mit den letzten vier fliegenden Wachen beschäftigte, welche wir noch am Leben gelassen hatten.

„Sie wird wahrscheinlich ganz unten sein!“, vermutete ich keuchend, als wir die Treppen ins Untergeschoss hinuntereilten und dort die Aufmerksamkeit weiterer Wachen auf uns zogen.

„Ich komm dich holen, Juliet!“, rief ich, als ich um eine Ecke stürmte und die Rothaarige sah, deren Hände durch eine Stockfessel handlungsunfähig gemacht worden waren.

„Curio! Watanuki!“, entgegnete Juliet überrascht.

„Zurück!“, befahl der Wächter ihrer Zelle und griff an. Ich wich elegant zur Seite aus, damit der Soldat genau Curio in die Arme lief, welcher ihn kurzerhand in einen Kampf verwickelte.

Ich öffnete mit einem einzigen Schwerthieb das Gefängnis.

„Was tut ihr beide hier?“, fragte sie beinahe flüsternd.

„Wir befreien dich!“, erklärte ich kurz angebunden.

„Das bringt nichts! Wenn Ihr mich jetzt befreit, dann müssen doch an meiner Stelle wieder unschuldige Menschen leiden“, sagte Juliet leise und sah zu Boden.

„Nehmt Vernunft an! Glaubt Ihr, Ihr werdet Frieden finden, wenn Ihr Euch umbringen lasst? Ihr müsst an das Vermächtnis Eures Vaters denken. Ihr seid unsere Hoffnung! 14 Jahre lang haben die Überlebenden nur durch den Glauben an Euch weiterleben können! Seid Ihr nicht angetreten um Neo Verona zu befreien? Ihr dürft jetzt nicht aufgeben! Oder Ihr müsst Euch eingestehen, dass Lanzelot umsonst für Euch in den Tod gegangen ist! Um Euch zu beschützen habe ich so oft mein Leben riskiert. Wofür setzt Ihr Euer Leben aufs Spiel? Für die Liebe? Wem wollt Ihr etwas beweisen?“, rief Curio zu uns herüber.

Juliet stöhnte.

„Hör mir zu: Liebe ist schön und gut, aber sie wird keinem helfen, wenn du tot bist! Es gibt auch noch andere Ziele! Francesco wartet oben auf dem Dach auf uns. Los, wir müssen uns beeilen!“, drängte ich eindringlich und nahm Juliets Hand.

„Bitte, werte Juliet. Komm mit uns!“, fügte ich noch an.

Die Prinzessin sah mich noch einmal durchdringlich an, dann floh sie mit uns nach oben.

Die meisten Wachen waren bereits außer Gefecht gesetzt, doch für Curio blieben trotzdem noch einige wenige Gegner auf dem Rückweg übrig.

Plötzlich erschütterte ein leichtes Beben die Treppe unter unseren Füßen und ich hörte wieder diesen seltsam hellen Ton.

Ich ging in die Knie, ebenso wie Juliet, welche diesen ebenfalls wahrnehmen konnte:

„Da ist es wieder! Dieses Gefühl von damals...“, flüsterte sie panisch.

Dann stürzten plötzlich über uns Wassermassen hinab. Irgendjemand schien die Schleusen des Wehrs geöffnet zu haben, sodass das Wasser den leeren Graben um den Turm herum füllte und uns damit den Fluchtweg abschnitt.

 

Überall Wasser um mich herum. Luftblasen stiegen nach oben, ich sah noch rotes Haar, welches vom blauen Nass getragen wurde und im Wasser schwebte.

Dann wurde es kurz schwarz, bis schließlich wieder der riesige Baum auftauchte, welcher mir in letzter Zeit so vertraut geworden war: Escalus.

Heute leuchtete er besonders hell. Aber… warum war das so?

„Ein riesengroßer Baum...“, flüsterte Juliet. Ich konnte sie deutlich hören, ich wurde von der Luft getragen und in der Schwebe konnte ich alles überblicken.

Juliet lag im Wasser von Escalus.

Plötzlich erschien die Frau, welcher ich zuerst begegnet war, als ich in Williams Welt gerissen wurde: Die Priesterin Ophelia.

Während ihrer Worte tauchte sie langsam ihre Füße in das Wasser und ging zu Juliet.

Sie legte ihr einen Finger auf die Stirn:

„Das Lächeln der Göttin ist die Quelle für seligen Schlaf und feiner Flügelschlag zeichnet einen hellen Schein in den Himmel. Ein ungeborenes Kind regt sich leise. Ein neuer Morgen bricht an. Er… kennt immer noch nicht...“

Ich sah auf. Da kam eine hochgewachsene und bedrohliche Gestalt die Treppen hinunter, direkt auf uns zu.

Der Mann trug einen prächtigen, dunkelblauen Mantel, hatte langes, braun-schwarzes Haar, seine Gesichtszüge waren streng und sein Blick von Kaltblütigkeit gezeichnet.

Außerdem hatte er die Augenfarbe von… war er etwa… Romeos Vater?

Mich überkam ein Frösteln. Ich sah den tyrannischen Herrscher heute das erste Mal.

Dieser Mann hatte Juliets gesamte Familie getötet.

Ohne Zweifel. Er war es. Ich… konnte es spüren!

Dies war also unser Feind. Der Duce Montague.

Ich musste Juliet von hier fortbringen! Vielleicht würde ihr sonst noch etwas Schlimmes zustoßen, doch ich konnte mich nicht bewegen.

Ich wusste nicht, ob es Angst oder Machtlosigkeit war, welche meine Beine lähmte, mein Gemüt verdunkelte.

„Was soll das? Was tust du da? Ophelia, was geht hier vor? Was tut Juliet Capulet hier? Ophelia, antworte mir!“, rief der Duce und wollte zu uns kommen, doch Escalus schirmte ihn von uns ab.

Danke. Der Baum beschützte uns bereits. Mein Einsatz war nicht vonnöten.

„Die Liebe, die das Leben empfängt... kehrt immer zu Escalus zurück. Escalus ist der Lebensspender“, sprach Ophelia.

Juliet versank wieder im Wasser, sie schien zu schlafen.

Konnte sie denn nicht ertrinken? Vielleicht sollte ich sie doch retten?

In diesem Moment spürte auch ich, wie mich das Wasser ebenfalls zu sich zog, es war warm und angenehm.

Ich schloss beinahe automatisch meine Augen.

Die Worte Ophelias hatten eine beruhigende Wirkung und ließen mich den Duce vergessen...

Es zählte nichts, außer Escalus!!

 

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, fand ich mich am Fuße der Treppe wieder, welche wir eigentlich gerade hinaufgelaufen waren, bevor uns das Wasser überrascht hatte.

Alle waren verschwunden, ich war ganz allein.

Ich erhob mich langsam und hielt mir meinen linken Arm, welcher wieder zu schmerzen anfing.

Jetzt kam die Probe aufs Exempel. Ich hatte es noch nie aus dieser Entfernung ausprobiert:

Ich legte meinen Zeigefinger und Daumen an meine Lippen und pfiff.

Jetzt hieß es warten, die Sekunden schienen wie Minuten zu schleichen.

Dann… hörte ich ein Wiehern und einen Moment später schwebte die braune Ryubastute neben mir, groß und majestätisch.

„Da bist du ja!“, begrüßte ich sie und hievte mich erschöpft auf ihren Rücken.

„Wir müssen Juliet finden! Vorwärts!“, befahl ich ihr und sie legte an Höhe zu.

Die Capulet-Tochter fanden wir nicht, allerdings flogen vor uns zwei mir bekannte Ryubas.

„Sie ist weg! Wir haben Juliet verloren!“, rief Curio aufgebracht.

„Wo kann sie sein? Vorsicht! Die Leibwache! Sie haben uns im Visier!“, warnte Francesco laut, der Wind trug ihre Stimmen zu mir nach hinten.

„Curio! Francesco!“, brüllte ich nach vorne und die beiden drehten sich zu mir um, als ich mit meinem Ryuba die ihren aufholte.

„Da bist du ja, Watanuki! Weißt du, wo Juliet ist?“, fragte der Blonde.

„Leider nein!“, bedauerte ich.

Plötzlich schossen Pfeile an uns vorbei, Curio schrie panisch.

„Da oben sind sie!“, hörte ich eine Wache rufen, eine andere befahl: „Fliegt auf sie an!“

Erneuter Pfeilhagel setzte ein, ich riss meine Stute nach unten und trennte mich von der Gruppe, ganz so, wie wir es in solch einem Fall vereinbart hatten.

„Wo bist du nur, Juliet? Wo kann ich dich nur finden?“, fragte ich laut, da konnte ich sie plötzlich mit Romeo zusammen sehen, die beiden eilten in ein Gebäude hinein.

Ich lenkte mein Ryuba nach oben und passte Juliet ab, welche lächelnd hinter mir aufstieg.

„Wie schön, dir geht es gut!“, begrüßte ich sie.

„Ja, es ist alles in Ordnung mit mir! Lass uns fliegen!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und flog eine lange Schleife, um unsere Verfolger abzuhängen, bevor wir schlussendlich zu Williams Theater zurückkehrten und dort Curio und Francesco antrafen.

 

„Sie haben geheiratet????“, brüllte William Watanuki an.

„So hat sie es mir zumindest erzählt…“, bestätigte dieser, nachdem er zum Schutze seines Gehörs sicherheitshalber zwei Schritte zurückgewichen war.

„Zuerst hat er sie auf der Straße gefunden. Es scheint ein schwerer Schlag für sie gewesen zu sein, von einem ihrer Verbündeten verraten worden zu sein.

Ich kann sie voll und ganz verstehen. Das muss schrecklich sein, einen Verräter unter seinen Freunden zu haben“, sagte Watanuki.

„Nun ja übertreibe nicht, wirklich Freunde waren sie ja nicht gerade!“, entgegnete der Dichter.

„Aber Gleichgesinnte!“, erwiderte Watanuki und William nickte zustimmend.

„Das stimmt. Gleichgesinnte. Kampfgefährten. Ich habe übrigens gesehen, wie er sie auf seinem Ryuba mitgenommen hat. Romeo hat ja dieses wunderschöne weiße…“

„Nicht mehr“, wurde er von dem Japaner unterbrochen.

„Er hat es… er hat Chielo freigelassen, weil er wenigstens seinem Ryuba die Freiheit schenken wollte, die er selbst nicht erreichen kann.“

„Wie schade… so ein hübsches Tier! Na ja, kann man nichts machen, fürchte ich! Was gescheh’n ist, ist gescheh’n!“

„Dann haben sie ein Boot gefunden und sind damit weitergereist, bis sie in einem verlassenen Dorf angekommen sind“, erzählte Watanuki weiter.

„Und da haben sie dann eine Weile gelebt?“, wollte William wissen.

„Ja. Sie haben sich ganz allein ernährt und in einer kleinen, abgelegenen Kapelle geheiratet. Juliet hat erzählt, dass sie voller weißer Iris war, denn sie wurde schon teilweise zerstört und die Natur hat sich den Raum zurückerobert.“

„Wie romantisch! Eine Hochzeit nur zu zweit! Ich beneide die beiden ja so!“

„Warum denn? Du hast doch auch eine Frau!“, entgegnete sein Gegenüber.

„Ja, ich weiß, ich weiß, aber unsere Hochzeit war nicht annähernd so romantisch wie die von Romeo und Juliet!“

„Auf jeden Fall haben die beiden sogar mit dem Gedanken gespielt, einfach dort zu bleiben. Aber sie haben sich dann um ihrer beider Verantwortung den Wachen gestellt, als sie erfahren haben, dass die bewohnten Dörfer in der Umgebung abgebrannt wurden, da man nach Juliet gesucht hat“, endete Watanuki.

„Ihre Flucht war ausweglos. Sie konnte einfach nicht gelingen.

Es war klar, dass sie irgendwann erwischt werden würden. Die beiden können ihrem Schicksal nicht entfliehen, nicht vor ihrer Bestimmung weglaufen. Das kann niemand von uns!

Denn alles ist vorherbestimmt und wird auch genauso eintreffen.

Daran glaube ich zumindest“, sagte William ernst und schaute Watanuki an, welcher seinem Blick kurz auswich, bevor er antwortete:

„Du hast vielleicht Recht… Aber ich fand es war wirklich sehr mutig von den beiden, einfach ihre vollen Namen den Wachen zu nennen! Sie haben in diesem Moment zu ihren wahren Identitäten gestanden, welche sie den anderen doch die ganze Zeit verheimlichen wollten.“

„Das stimmt. Aber ich fürchte ab jetzt wird einiges anders, mein Lieber!

Ihr habt mit eurer Befreiungsaktion den Duce eiskalt herausgefordert! Das wird bestimmt noch Folgen haben!“, vermutete William und Watanuki starrte ihn an.

„Ja, vermutlich…“, befürchtete er leise und blickte in die knisternden Flammen.

Es würde Folgen haben, für alle Beteiligten.

Akt 9: Ein Ferienhaus voller Überraschungen

„In meinem Drama geht es um einen Zwist zweier Familien, sie heißen Montague und Capulet. Vor etwa 14 Jahren geschah die Tragödie, doch ein Mädchen hat sie überlebt: Juliet, die Fürstentochter. Durch diesen Gewaltakt konnte Fürst Montague den Platz des ehemaligen Machthabers Capulet einnehmen. Sein Sohn heißt Romeo.

Das Schicksal von Juliet ist es, die Familienehre der Capulets reinzuwaschen, aber unglücklicherweise hat sie sich in Romeo unsterblich verliebt.

Doch diese große und unschuldig reine Liebe der beiden kann sich dem heftigen Wirbel des Schicksals nicht entziehen. Sie wird hineingezogen, herumgestoßen und schließlich auseinandergerissen.

Juliet, wie willst du diese wilden Wellen besiegen? Wie erträgst du es, diesen dornigen Weg weiterzugehen, der sich doch nie lange mit dem deines geliebten Romeo kreuzt?

Noch habe ich die Tragödie nicht zu Ende geschrieben, ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht!!“, flüstert der Dichter und taucht erneut seine Feder in das Tintenfass. Schwarze Buchstaben der Tragödie vermischen sich mit dem reinen, weißen Pergament der Unschuld.

 

Wir saßen in der Kutsche, welche hin und her ruckelte.

Es war klar, dass Juliet weggebracht werden musste. Schließlich war ganz Neo Verona wild darauf, sie zu fangen und der Jagd nach Mädchen eine Ende zu bereiten.

Allerdings gingen mir Williams Worte an Juliet nicht aus dem Kopf:

„Du weißt, ich bin auf dein Überleben angewiesen. Die Geschichte muss weitergehen. Die unerfüllte Liebe zwischen euch beiden kann nur noch durch ein Wunder eine glückliche werden.

Sobald die Luft rein ist, komme ich auf den Familiensitz in Mantua nach. Bis dann!“

Er schrieb an irgendetwas, das war sicher. Noch hatte ich keine wirklich zufriedenstellende Antwort erhalten, wenn ich mich erkundigen wollte.

Juliet starrte wohl gedankenversunken aus dem Fenster, ich war mir unsicher, ob ich etwas sagen sollte oder nicht. Da es bis zur Ferienresidenz von Williams Mutter ein weiter Weg war, döste ich ein wenig und schlief schließlich ein, das Schaukeln der Kutsche unterstützte mich dabei.

 

Ein Erdbeben erschütterte die Erde, einige Steinbrocken lösten sich von den Felsen und donnerten in das Tal hinunter.

„Die Träne der Göttin fällt trauernd auf die Erde. Flügel falten sich zusammen mit einem Donnern, das laut im Orbit widerhallt“, hörte ich Ophelias Stimme.

Ich stand auf einem Felsen, der Untergrund brach plötzlich weg und ich stürzte ins Leere.

 

Ich schreckte aus dem Schlaf und stellte fest, dass wir zu einer Rast angehalten hatten.

Nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, stieg ich aus und bemerkte, dass Juliet besorgt zu den Sternen empor sah.

„Nun schau nicht so ängstlich. Das Sommerhaus von Lady Ariel ist ein sicherer Ort“, beruhigte ich sie.

„Ich habe keine Angst! Ehrlich gesagt: Ich freue mich darauf, im Haus einer Adeligen zu sein“, antwortete sie und lächelte.

„Viele Ferienresidenzen stehen leer seit Montague an der Macht ist. Man muss viel mehr Zeit in der Hauptstadt verbringen. Deswegen wirkt die Gegend wie ausgestorben“, merkte Francesco an, bevor er die Ryubas an einem Fluss tränkte.

„Eines Tages werden wir uns wiedersehen. Das weiß ich sicher! Und mein Herz ist immer bei dir und ich weiß, dass deins bei mir ist, Romeo“, flüsterte Juliet leise zu sich selbst, nachdem sie sich von mir abgewandt hatte.

„Sag mal... Denkst du oft an ihn? Willst du Romeo wiedersehen? Mir kannst du es sagen, das weißt du“, bot ich ihr an und sie sah mir in die Augen, dann legte sie ihre Hände auf meine Schultern.

„Ja, das will ich. So sehr... Aber die Zeit ist noch nicht gekommen. Romeo ist weit weg, sein Vater hat ihn in ein Bergwerk geschickt“, antwortete sie wehmütig und ich senkte den Kopf.

„Ich weiß, ich habe es gehört. Ich verstehe jetzt, warum du manchmal so traurig aussiehst“, erwiderte ich und sie sah erneut zu den Sternen hinauf.

Die restliche Fahrt nach Mantua verstrich ohne weitere Zwischenfälle, was uns sehr beruhigte.

Wir hatten Angst, von den Wachen des Duce angehalten zu werden.

Obwohl wir Williams Familienwappen bei uns trugen, waren wir nicht erpicht darauf mit den Häschern Montagues zusammenzutreffen.

Als wir in Mantua angekommen waren, wollte Curio seinen Klatsch und Tratsch-Wissensstand aktualisieren und da Francesco die Lust verspürte, sich etwas die Beine zu vertreten, begleitete er seinen Freund.

Ich blieb bei Juliet und wir warteten, bis die beiden zurückkehrten.

„Tut uns Leid! Es hat etwas länger gedauert“, stellte Curio fest, als sie die letzten Meter auf uns zuliefen.

„Wir haben etwas Schlimmes gehört! In dem Bergwerk, in dem sich Prinz Romeo befindet, hat es einen Unfall gegeben!“

Juliet und ich erschraken.

„Und habt ihr noch mehr darüber gehört?“, fragte ich.

„Anscheinend war ein Erdbeben daran schuld und es hat Verletzte gegeben. Aber genaues weiß man noch nicht“, erklärte Curio und ich erstarrte.

Ein Erdbeben? Genau wie in meinem Traum vorhin…

War das Zufall? Nein… es war kein Zufall, denn nichts geschah ohne Grund.

Also war das kein Traum gewesen… sondern Realität!!

„Verstehe...“, sagte Juliet relativ gefasst.

„Der Vorfall wird sicher sehr ernst genommen. Da es sich bei Romeo um den Sohn des Duce handelt passt man auf. Er wurde zwar verbannt, aber er bleibt ein Fürstensohn. Ich bin sicher, er wurde rechtzeitig aus dem Stollen gebracht. Vielleicht ist er jetzt schon wieder Zuhause“, wollte Francesco die Fürstentochter beruhigen.

„Du hast Recht. Kommt! Lasst uns fahren, damit wir das Haus bald erreichen!“, bat Juliet und ihrer Bitte wurde Folge geleistet.

Die Bäume der Auffahrt waren grasgrün und die Sonne schien, als wir vor dem Ferienhaus ankamen.

Ich stieg zuerst aus der Kutsche und richtete mich auf.

Nach mir kam Francesco und zum Schluss erschien Juliet.

Curio sprang vom Kutschbock, als sich die Tür des Hauses öffnete.

Der Butler trat heraus und wollte uns begrüßen, doch in diesem Moment fielen mir beinahe die Augen heraus.

„I… Ich glaub‘s nicht!“, brüllte ich, „Wie kommst du hierher? Hä???“, schrie ich, alle sahen mich verwirrt an.

„Sag bloß du kennst Balthasar, Watanuki?“, fragte mich nun Curio und ich starrte ihn verdutzt an.

„B… Balthasar?“, hakte ich nach.

„Das ist Domeki!“, rief ich aufbrausend und deutete mit einer Mischung aus Unhöflichkeit und Forderung auf den Butler.

„Verzeihen Sie, werter Herr, aber mein Name ist Balthasar!“, widersprach der Butler ungerührt meines Wutausbruchs, doch ich knirschte mit den Zähnen.

„Warte nur, bis ich dich erwische, WILLIAM SHAKESPEARE! Das wirst du mir büßen! Wie konntest du mir nur so etwas antun? Jetzt bin ich einmal in eine andere Welt gesprungen und dachte, ich sei sicher vor diesem blöden Typen und jetzt? Hab ich ihn wieder an der Backe! Und er erkennt mich noch nicht einmal! So eine Frechheit! Der will mich doch aufs Dach nehmen!“

„Wovon redest du da, Watanuki?“, erkundigte sich Juliet, anscheinend amüsiert über meinen Gefühlsausbruch, leider kam ich nicht mehr dazu, ihr eine Antwort zu geben, da gewisser Butler soeben das Wort ergriff:

„Ich habe Euch bereits lange erwartet, Prinzessin Juliet.

Lady Ariel hat mir alles erzählt. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, denn hier seid Ihr sicher.

Dies hier ist meine Verlobte Legan. Sie wird Euch jeden Wunsch erfüllen, wenn Ihr etwas begehrt.“

Eine hübsche Frau erschien hinter ihm.

Sie hatte lange, lockige braune Haare, welche sie an ihrem Hinterkopf in zwei Zöpfe aufgeteilt hatte…

Moment mal…!!!!

Ich starrte von der jungen Frau zu dem Butler und wieder zurück.

Dann bekam ich einen erneuten Schreikrampf.

„VERLOBTE?!“, brüllte ich und deutete nun auf das Mädchen.

„Himawari… ist DEINE VERLOBTE???!!!!“

Ich spürte, wie ich hyperventilierte und mich ganz dezent auf den Boden platzierte – ich kippte mit einem Schlag um.

Diese Neuigkeit haute mich im wahrsten Sinne des Wortes um.

Was taten Domeki und Himawari hier? Und warum waren sie, waren sie…

Nein. Zu kompliziert, um darüber nachzudenken.

Ich sollte meinen Kopf leeren und zwar schnell.

„Ich bringe Euch ins Haus. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt“, sagte Domeki unbeeindruckt und alle gingen wortlos an mir vorbei.

„Kommst du, Watanuki?“, fragte Juliet freundlich und hielt mir ihre Hand zum Aufstehen hin.

Ich warf ihr einen verzweifelten Blick zu, bevor ich ihre Hand ergriff.

 

Wir folgten ihm. Doch ich bewarf ihn mit sämtlichen Tötungsblicken, die ich im Repertoire hatte.

Ich konnte ihn jetzt schon nicht ausstehen. Aber wie war das möglich, dass er Domeki zum Verwechseln ähnelte? Und dass diese Legan wie Himawari aussah und sogar mit ihm verlobt war?

Es brach mir das Herz, ließ es ausbluten und wurde mir danach von meinem Peiniger wieder in die Brust gequetscht.

Hatte William da wirklich nicht seine Finger im Spiel? Es war beinahe unmöglich, dass dies purer Zufall war…

Oder war es etwa ein Streich von Yuko, um mich zu ärgern?

„Wir haben hier ein Wohnzimmer sowie ein großes Esszimmer und einen Salon im Erdgeschoss. Die Schlafgemächer befinden sich in der oberen Etage“, erklärte der Butler, dann zeigte er uns auf der Terrasse einen kleinen Tisch mit vielerlei Sorten Kuchen darauf.

Nachdem wir uns gestärkt hatten, erhob sich Juliet.

„Ich werde mal ein bisschen im Garten spazieren gehen“, informierte sie uns und ging die Stufen zum Garten hinunter.

Ich blickte ihr nachdenklich hinterher.

Als sie gegen Abend immer noch nicht im Haus war, begab ich mich auf die Suche nach ihr.

Ich fand sie bei einem kleinen Schrein, wo sie vor einer Statue niederkniete und gerade betete.

Lautlos trat ich von hinten an sie heran.

„Romeo... Ich glaube an dich, Geliebter... und bete … dass du sicher wieder heimkommst“, hoffte sie und hatte den Kopf gesenkt.

„Du musst ihn wirklich sehr lieben“, schlussfolgerte ich und sie stand auf, ohne sich zu mir herumzudrehen.

„Ja, das tue ich. Aber ich habe vorher auch für dich gebetet, Watanuki. Und zwar, dass du irgendwann einmal ebenfalls deine große Liebe finden wirst! Du warst vorhin so seltsam… was war denn mit dir los?“

„Das ist wirklich nett von dir, dass du dir Gedanken um mich machst.

Du weißt doch, dass ich von weit herkomme und Balthasar und Legan, sie… sehen zwei Freunden von damals sehr ähnlich!“

„Warst du denn in dieses Mädchen verliebt?“, hakte Juliet nach und ich errötete augenblicklich.

„Ich bin es immer noch, ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß und Juliet überreichte mir eine der weißen Iris, welche hier im Garten blühten.

Überrascht sah ich zu ihr auf, hielt verdutzt die Blume in meiner rechten Hand.

„Dann wünsche ich dir, dass sie dich auch einmal von ganzem Herzen lieben wird!“

„Vielen Dank… Juliet“, lächelte ich und roch an der weißen Iris, welche silbrig hell im Licht des Vollmondes leuchtete.

 

Am nächsten Tag begleiteten Curio, Francesco und ich die Tochter der Capulets auf den Markt, wo wir einkaufen gingen.

Ich schaute mich in dem regen Treiben um und erkannte plötzlich Camillo, welcher Juliet auf offener Straße verraten und ihr mit den Wachen des Duce nachgestellt hatte.

„Francesco!“, zischte ich, „Das ist der Typ, der uns verraten hat!“, knurrte ich und deutete unauffällig auf den korpulenteren Mann.

Die Augen des Blonden weiteten sich erstaunt.

„Camillo…“, flüsterte er und gab sofort den anderen Bescheid. Schon war unser kleiner Einkaufsbummel vergessen.

Wir verfolgten den Verräter bis zu seiner Villa und rissen die Eingangstür hinter ihm auf.

Offenbar hatte er sich nach dem Scheitern seines Planes hier versteckt, weit von der Hauptstadt weg. Wobei… hatte sich nicht eigentlich Tybalt um ihn gekümmert?

„Lange nicht gesehen, alter Freund!“, erhob Curio seine Stimme.

„Wie günstig, dass niemand Zuhause ist. Wir wollten uns in Ruhe mit Euch unterhalten“, meinte Francesco und Camillo erschrak sichtlich. Mit unserer Anwesenheit hatte er wohl nicht gerechnet.

„Ich habe nichts verbrochen! Wie kommt ihr eigentlich hierher?“, wollte der Verräter wissen, seine Antwort klang für mich jedoch nicht sonderlich überzeugend.

„Es zeugt nicht gerade von den besten Manieren, so in ein Haus einzubrechen“, mischte sich eine andere Stimme ein und wir blickten die Treppe empor.

„Tybalt! Was macht Ihr denn hier?“, fragte Juliet und sprach damit eine Frage aus, die uns im Moment wohl allen auf der Seele brannte.

„Tybalt, hilf mir! Die wollen mir ans Leben!“, rief Camillo und wollte sich an den Rockzipfel des jungen Mannes hängen.

Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

Arbeitete Tybalt etwa mit diesem Camillo zusammen?!

„Das ist doch nur verständlich bei solch einer Ratte wie dir!“, antwortete Angesprochener verächtlich und legte dem Verräter ein Messer an den Hals, was meinen Verdacht wieder unlogisch erschienen ließ.

„Nimm sofort das Messer weg! Ich bin dein Vater! Wie kommst du dazu, mich auch noch zu bedrohen?“, schrie Camillo.

„Vater?“, stieß Juliet halb entsetzt, halb verstört aus.

„Verschwinde, du widerlicher Wurm, bevor mir aus Versehen das Messer ausrutscht.

Ich verabscheue dich!“, zischte Tybalt und stieß ihn von sich weg. Camillo flüchtete aus dem Haus, Curio, Francesco und ich wollten ihm folgen, doch Juliet hielt uns davon ab.

„Sag uns die Wahrheit, Tybalt! Ist Camillo, der Verräter tatsächlich dein Vater?

Wer bist du wirklich? Ich will mit dir reden!“, sagte sie und ging entschlossen zu Tybalt, der sich von uns abgewandt hatte und die Treppe hochlief.

Wir gingen den beiden mit einem gewissen Abstand hinterher und blieben vor der Zimmertür stehen, hinter welcher Juliet und Tybalt miteinander sprachen.

Ich kam noch gerade rechtzeitig, um das Wichtigste mitanzuhören:

„Die Frau dort rechts hinten auf dem Gemälde... Das ist meine Mutter. Sie war eine Capulet. Aber mein Vater ist... Leontes Candore Bando Montague. Mein Vater ist der Duce“, gestand Tybalt gerade und ich sog scharf die Luft ein.

Sein Vater war der Duce??

„Das bedeutet, Ihr seid der Bruder von Romeo...“, schlussfolgerte Juliet.

„Meine Mutter wurde von dem Duce verführt und verlassen als sie schon schwanger war. Er heiratete dann eine andere Frau, die Mutter von Romeo.

Meine Mutter blieb ihrem Schicksal überlassen. Geschwängert und allein stand sie da. Sie starb kurz nach meiner Geburt. Sie hat nie gewollt, dass der Duce erfährt, dass ich sein Sohn bin. Camillo nahm mich dann in seine Obhut. Aber als ich 15 war bin ich von hier weggegangen. Ich habe es nicht mehr ertragen!“, erzählte Tybalt.

„Dann verstehe ich, warum Ihr Montague so hassen müsst“, seufzte Juliet verständnisvoll.

„Ja. Warum er die Capulets auslöschen wollte, weiß ich nicht. Aber meine Mutter hat er schändlich behandelt. Ich kann niemanden achten, der sich an die Macht mordet.

Und genau das hat er getan! Der Duce Montague ist mein Feind genauso wie Eurer. Lasst uns zusammen kämpfen!“, forderte er sie entschlossen auf.

Es war wirklich eine wahre Kampfansage.

Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, auch als wir ins Ferienhaus zurückfuhren und ich schließlich in meinem Zimmer zum Fenster hinausstarrte, musste ich wohl ziemlich nachdenklich wirken.

Dann sah ich Domeki zusammen mit Himawari im Garten stehen und ballte augenblicklich die Fäuste.

„Wann kommst du endlich, Willy, damit ich dir den Hals herumdrehen kann…?“, flüsterte ich und als ob mich ein höheres Wesen gehört hätte, fuhr plötzlich eine Kutsche vor und der Schriftsteller stieg zusammen mit Conrad und Emilia aus.

„Sie kommen!“, rief ich laut und polterte die Treppen hinunter.

Francesco, Curio und Juliet, welche von meinem Rufen aus ihren Zimmern gelockt wurden, folgten mir nach unten, als die Gäste eintraten.

„Hallöchen, alle zusammen! Hier sind wir! Pünktlich wie das Eichhörnchen, das die Nüsse vor dem Winter vergräbt!!“, sagte Shakespeare und Emilia schielte über seine Schulter zu Juliet herüber.

„Nanu, dich kenn ich doch. Bist du nicht der freche Odin? Warum verkleidest du dich denn auf einmal als Mädchen?“, wollte sie wissen.

„Früher hat sie sich als Junge verkleidet. In Wirklichkeit ist sie ein Mädchen“, erklärte Willy, der sich ihr zugewandt hatte.

„Was? Das gibt’s nicht! Dann bist du in Wirklichkeit wohl diese Juliet!“, stellte Emilia völlig überrascht fest.

„Ja, und für das Versteckspiel möchte ich mich auch bei Euch entschuldigen“, meinte Juliet aufrichtig.

„Ich glaub, mich trifft der Schlag! Unfassbar! Juliet Capulet in voller Lebensgröße!“

Emilia wollte kreischend davonrennen, doch William packte sie an ihrer Halskette und zog sie zurück.

„Kind, mach nicht schon wieder die Ryubas scheu! Das bringt überhaupt nichts! Du spielst eine wichtige Rolle dabei! Du hast auch mitgeholfen, sie zu verstecken!“, merkte der Schriftsteller an.

„Aber unfreiwillig...“, maulte die Schauspielerin, dann war sie still.

„Ich habe dir etwas mitgebracht. Das ist für dich!“, fuhr William fort und überreichte Juliet das Familienschwert der Capulets, welches sorgsam in ein weißes Tuch eingewickelt war.

„Erst jetzt habe ich die Reife erlangt, die nötig ist, dieses Schwert zu tragen. Ich bin würdig geworden“, sagte die Tochter der Capulets entschlossen und nahm die Waffe an sich.

„So ist es“, bestätigte Willy.

„Ich werde mich von jetzt ab der Verantwortung stellen, die dieses Schwert mit sich bringt. Und ich werde dem Familienwappen keine Schande mehr bereiten!“, schwor sie laut und ich trat langsam vor:

„Ach, William, wir haben da noch etwas Wichtiges zu klären… Ihr entschuldigt uns bitte?“

Ich hatte mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen… und zwar ein ganz, ganz fettes! Um die Dringlichkeit meines Anliegens zu verdeutlichen, packte ich den Dichter am Arm und zog ihn hinter mir her.

„Was ist denn, Watanuki? Au! Du hast ja Hände wie Schraubstöcke, du tust meinem zarten Oberarm weh!“

„Oh entschuldige! Aber wenn man mich ärgert, bekommt man auch meinen Zorn zu spüren!“, fauchte ich so gar nicht bedauernd und knallte die Tür hinter uns zu, als wir in meinem Zimmer angekommen waren.

„Oh, ich kriege ja Angst!

Was gibt es denn so Wichtiges?“, fragte Willy und betrachtete die weiße Iris, welche in einer Vase stand, doch ich baute mich vor dem Dichter auf, um ihm zu zeigen, dass ihm sein Möchtegern-Ablenkungsmanöver gerade nicht gelungen war.

„Warum in Gottes Namen sind Domeki und Himawari hier? Häää?“

„Wer und… wer bitte?“, hakte der Dichter nach, anscheinend sagten ihm diese Namen nichts.

„Der Butler und seine Verlobte! Klingelt’s jetzt?“, wollte ich zähneknirschend wissen und stemmte die Hände in die Hüften.

„Ja… und weiter? Kennst du die beiden etwa?“, fragte William interessiert.

„Kennen? Sie sind meine Freunde in meiner Welt und in meiner Zeit! Also, was haben sie hier in Neo Verona zu suchen? Hast du etwas damit zu tun?“, stellte ich beinahe schon anklagend eine Gegenfrage, dann führte ich einen Monolog gegen die Wand:

„Meine geliebte Himawari… sie ist mit Do… Do… Domeki… verloooooobt!!“

Ich heulte los wie ein Schlosshund.

„Ach, du bist also in diese Himawari verliebt? Interessant…“, hauchte Shakespeare.

„NEIN!“, brüllte ich laut.

„Die Antwort kam zu schnell. Hättest du sie emotionslos rübergebracht, würde man sie dir vielleicht abkaufen. Aber so mein Lieber hast du dich verraten!

Lass dir von mir einen Tipp geben: Die Liebe ist wie ein scheues Tier, das davonläuft, wenn man es gefangen nehmen will.“

„Ach, lass mich doch mit deinen philosophischen Sprüchen in Ruhe!“

„Ich hätte da etwas, was dich ablenken könnte…!“, schlug William vor und ich sah augenblicklich auf.

 

„Ich muss ihn nun in die Hölle schicken!“, sagte Juliet inbrünstig. Sie trug einen weißen Umhang und erhob ihr Schwert.

„In dieser korrupten Welt existiert keine Gerechtigkeit. Wen wundert's? Selbst der Glanz deines Schwertes ist nicht mehr als güldener Plunder! Siehst du das nicht?“, fragte ich mit verstellt dunkler Stimme. Ich hatte einen Eimer auf dem Kopf, ließ meinen Umhang umherwirbeln und setzte mich beinahe majestätisch auf einen Stuhl, wo ich daraufhin auch gleich meine Beine übereinanderschlug.

„Mein Schwert nennt Ihr Plunder? Das dürft Ihr nicht! Nein!“, rief Juliet und trat näher.

„Nein! Schluss! Aus! So geht das nun wirklich nicht! Juliet, Ihr seid ein Ritter der Gerechtigkeit, der den bösen König niederstreckt!“, winkte William ab und ich richtete meinen „Hut“, der sich allerdings nicht sonderlich begeistert über den Stellungswechsel zeigte, da der Henkel genau auf meine Nase herunterknallte.

Tränen und Schmerzensschreie unterdrückend, hörte ich gerade noch, wie Juliet daraufhin etwas schüchtern erwiderte:

„Ähm, ja...“

Die Rothaarige nahm das Schwert höher und kam noch einen Schritt auf mich zu.

„Streng dich gefälligst ein bisschen mehr an!“, bat William, doch es klang mehr wie ein Befehl, seine fast drohende Körperhaltung bestätigte mich in meiner Vermutung.

„Aber sie hasst mich doch gar nicht!“, warf ich ein, nachdem ich den Henkel wieder erfolgreich nach oben dirigiert hatte.

„Nein, Watanuki, ich hasse dich wirklich nicht! Du bist mein bester Freund!“, bestätigte Juliet und kicherte, als ich die Augen verdrehte.

Sie wusste haargenau, was ich gemeint hatte!!

„Ich meinte auch nicht, dass du mich hasst, sondern die Figur, die ich spiele! Den Duce Montague!“, erwiderte ich und schloss die Augen, um meine innere Ruhe wiederherzustellen.

„Habt Ihr ihm denn niemals den Tod gewünscht, diesem Tyrannen? Er hat Eure Familie auf dem Gewissen! Ihr müsst ihn doch hassen!?“, fragte Conrad und Juliet sah ihm durchdringend in die Augen.

„Weil ich seinen Sohn liebe... hasse ihn nicht mehr. Diese Liebe in meinem Herzen hat es möglich gemacht, dass ich ihn nicht hassen muss“, antwortete sie und William brach bei ihren Worten beinahe in Tränen aus.

„So romantisch, oder, Watanuki?“

„Mmh“, machte ich beinahe gelangweilt.

„Und dennoch werde ich wohl... um meiner Familie willen und um all derer, die sich für Neo Verona eingesetzt haben... den Duce Montague töten müssen“, flüsterte Juliet leise, sodass nur ich sie hören konnte.

Mitleidig betrachtete ich sie.

Wieso hatte ich mich noch mal auf dieses Theaterstück eingelassen?

Ach ja… William wollte mich „ablenken“… War ihm ja toll gelungen.

Ich konnte nicht schauspielern. Ich war einfach mies darin!

Wobei… spielte ich nicht eigentlich schon die ganze Zeit Theater? Machte ich den Personen hier nicht weis, dass ich nach Neo Verona gehörte und schon immer ein Teil dieser Welt war?

In diesem Moment… fiel mir der Henkel wieder ins Gesicht.

 

Als wir am nächsten Morgen Flugblätter verteilten, um für das große Theaterstück Werbung zu machen, hörte ich, dass die Leute aus Romeos Bergwerk angeblich in ein Dorf gezogen waren, welches ganz in der Nähe von Mantua lag.

Mit dieser Neuigkeit eilte ich sofort zu Juliet ins Ferienhaus zurück, welche aus Sicherheitsgründen nicht mit zum Marktplatz gekommen war und in ihrem Zimmer auf dem Bett saß.

„Nein“, entschied Juliet, als ich ihr die doch eigentlich frohe Botschaft mitteilte.

„Aber wieso denn nicht? Na, hör mal! Dein Romeo ist wahrscheinlich ganz in der Nähe!“, protestierte ich.

„Trotzdem... ich kann nicht einfach von hier weggehen. Es wäre zu gefährlich...“, widersprach mir die Capulet-Tochter erneut.

„Ach, komm! Du wolltest ihn doch so gerne wiedersehen“, versuchte ich sie zu überreden.

„Deine Gefühle zu unterdrücken bringt dir überhaupt nichts. Es zerreißt dir nur das Herz. Nach der Premiere werdet ihr vielleicht sehr berühmt sein.

Dann wird es viel schwieriger, ihn zu treffen. Aber das Publikum wird euch lieben, diesbezüglich habe ich nicht die geringsten Zweifel“, kommentierte William, der urplötzlich an der Tür aufgetaucht war.

„Niemand wird dir einen Vorwurf machen. Folge einfach deinem Herzen. Gib dir einen Ruck! Ich komme auch mit, um dich zu beschützen!“, forderte ich sie auf.

„Habt vielen Dank. Dann fliege ich sofort hin!“, rief Juliet strahlend und rannte aus dem Zimmer. Ich folgte ihr, dennoch entgingen mir Williams gefühlsgeschwängerte Worte nicht:

„Schließ den Liebsten in die Arme und lass ihn nicht mehr los! Ach, das wahre Leben ist viel interessanter als jedes Theaterstück!“

„Ich bin rechtzeitig zur Vorstellung wieder zurück!“, verabschiedete sich Juliet über ihre Schulter hinweg.

Die Ryubas waren schnell gesattelt. Juliet war nicht mehr zu bändigen, sie strahlte und lachte, als wir durch die Luft flogen.

Es war keine lange Strecke, es verstrich höchstens eine halbe Stunde, bis das Dorf in Sichtweite kam.

Ich sah die unter uns vorbeiziehende Landschaft und hielt nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau.

„Da unten können wir landen, Juliet!“, schlug ich vor und wollte mein Ryuba gerade nach unten lenken, da hörte ich, wie mir die Rothaarige widersprach:

„Nein, lass uns da vorne bei der kleinen Kathedrale landen!“

„Sag… ist das vielleicht die Kirche in der ihr…?“, setzte ich an und sie nickte strahlend.

„Ja! Da haben wir geheiratet!“, erinnerte sie sich freudig und wir setzten direkt davor auf einer Wiese auf.

Leise gingen wir in die Ruine hinein und ich konnte seine Stimme hören, ganz leise:

„Sobald wir unser Gemüse geerntet haben und die Erde neu bestellt werden kann, will ich Blumen sähen. Ihr Duft und ihre Farbenpracht soll alle Herzen erfreuen!“

Juliet und ich lächelten. Der leichte Wind wehte das Kleid der jungen Frau nach hinten und die Sonne beleuchtete die weißen Irisblumen, welche überall in dieser kleinen Kathedrale wuchsen. Dass eine verlassene und teilweise schon zerstörte Kirche so schön sein konnte, hätte ich nicht gedacht. Dort zu heiraten… welch wundervoller Ort!!

„Welche Blumen, Juliet, möchtest du am liebsten haben?“

„Ach, wenn du schon soooo fragst...“, erhob die Angesprochene die Stimme und ich bemerkte, dass sie rot geworden war. Aber ich konnte ein Gefühl aus ihren Gesichtszügen lesen: Unbeschreibliches Glück.

Ich sah durch eine Lücke hindurch, dass Romeo bei ihren Worten herumwirbelte.

Er hielt eine weiße Iris in der Hand.

Eine einzelne, besonders starke Windböe ließ viele weiße Blütenblätter nach oben flattern.

„Ich mag ja viele Blumen, aber...“, Juliet trat langsam aus unseren Versteck heraus, „wenn ich... eine Lieblingsblume wählen könnte...“

„Meine Juliet...“, flüsterte Romeo leise, er lächelte überrascht und errötete ebenfalls.

„... dann wär's die Rose!“, vollendete die Rothaarige ihren Satz und rannte unter Lachen und Freudentränen auf Romeo zu, welcher ihr ebenfalls entgegenlief, bis sich beide schlussendlich in den Armen lagen.

Die Rose… das Wappensymbol der Montagues… ich schmunzelte, als ich den Sinn hinter ihren Worten verstand. Sie meinte mit ihren Worten nicht nur die Blume…

„Romeo!“, rief sie freudig und sie küssten sich innig im Schein der Sonne, welche diesen Wiedersehensakt durch ein noch helleres Licht begrüßte.

Ich fühlte, wie ich eine Gänsehaut bekam.

Erst jetzt realisierte ich, wie sehr Juliet ihren Geliebten vermisst haben musste.

Was bürdete ihr das Schicksal nur auf? Warum konnte sie Romeo nicht öfters sehen?

Warum nur?

Nachdem Juliet mich vorgestellt hatte, gingen wir alle zusammen in das Dorf hinunter, ich führte unsere beiden Ryubas, wollte die beiden so wenig wie nur möglich stören und verhielt mich dementsprechend unauffällig.

Als wir unten im Dorf ankamen, sah sich Juliet fasziniert um.

„Wie wunderschön!“, staunte sie.

„Ja schon, aber wir müssen noch ein besseres Bewässerungssystem entwickeln. Und die Felder sind auch zu klein. Im Moment sieht es so aus als könnten wir gerade eben so überleben. Ich will, dass alle, die wir lieben, aus Neo Verona hierher kommen können. Und dafür brauchen wir mehr Ackerfläche. Sonst haben wir nicht genug zu essen“, erklärte Romeo.

Er machte auf mich einen sehr vertrauenswürdigen und verantwortungsvollen Eindruck.

Diesen Mann liebte Juliet also? Eine gute Wahl…

„Du hast es geschafft. Hier weht wirklich ein neuer Wind!“, stellte die Capulet-Tochter fest.

„Ach ja?“, fragte Romeo und nahm Juliets Hände, welche die seinen interessiert musterte.

„Deine Hände... haben sich irgendwie verändert. Sie sind kräftiger“, war es nun an ihr festzustellen.

Romeo küsste Juliet noch einmal, ich streichelte währenddessen mehr als interessiert unsere Flugtiere.

„Deine Lippen haben sich gar nicht verändert.“

Diese Antwort seitens des jungen Mannes brachte mich zum Grinsen, welches ich im Fell meiner Ryubastute versteckte.

Allerdings beschäftigte mich die Tatsache, dass es bereits Abend wurde… Wir mussten zurück!

Eines der Ryubas wieherte und erregte damit die Aufmerksamkeit des Liebespaares.

Ich war erleichtert, dass ich die beiden nicht mehr unterbrechen musste.

„Ich muss leider los“, bedauerte Juliet.

„Schade. Weißt du noch... was wir uns damals geschworen haben? Bis dass der Tod uns scheidet... und nichts was geschieht... soll uns je wieder trennen … Das schwören wir“, erinnerte der Montague sie an ihr Versprechen.

„Mein Romeo...“, seufzte Juliet.

„Und ich werde... mein Leben daran setzen, dieses Versprechen wahrzumachen“, schwor er, während Juliet sich lächelnd auf das Ryuba setzte.

„Lass uns gehen, Watanuki!“, forderte sie mich auf und ich nickte, als auch ich aufgestiegen war.

„Pass gut auf sie auf! Ich habe sie dir anvertraut!“, legte mir Romeo ans Herz und ich war überrascht, dass er mich so plötzlich ansprach.

„Ja! Versprochen!“, antwortete ich lächelnd und nickte, während die Ryubas unruhig mit den Hufen scharrten.

„Ich weiß, du schaffst es, Romeo. Du stößt die Tür zur Zukunft auf und gibst den Menschen Hoffnung! Auch ich will den Wind der Hoffnung wehen lassen, der den Menschen Mut verleiht!“, sagte Juliet entschlossen und wir erhoben uns in die Lüfte.

 

Er war angebrochen: Der Abend meines Unterganges…

William steckte seinen Kopf durch den Vorhang und wackelte mit seinem Allerwertesten vor meiner Nase herum.

„Unglaublich! Das hätte ich mir nie träumen lassen! Es ist aaaaaaausverkauft! Oh, das wird mein Durchbruch!! Endlich bekomme ich den Ruhm, der mir zusteht! Man wird Autogramme fordern, ich komme groß raus! Glück, Ruhm, ich komme!“, frohlockte William und ich musste mit einem mulmigen Gefühl schlucken.

„Ich bin so nervös vor der Premiere“, gab ich von mir.

„Nun reiß dich doch ein bisschen zusammen!“, forderte Willy und schlug mir hart auf die Schulter.

„Aber alle Plätze sind ausverkauft!“, erwiderte ich, der Schriftsteller schien mir jedoch nicht zuzuhören: „Seid ihr bereit, Kinder?“

„Bin ich nicht!“, antwortete ich, doch wieder wurde ich ignoriert.

„Der Vorhang geht hoch! Wir dürfen zeigen, was wir können!“

Das Publikum fing an zu klatschen und es ging los.

Ich betrat die Bühne und ballte meine Hände zu Fäusten, dann streckte ich meine rechte Hand nach unten.

„Ich werde sie alle töten lassen! Ihre Familie ist verflucht! Weder ihr Fleisch, noch ihr Blut oder ihre Seele haben ein Anrecht darauf, in dieser, unserer Welt zu existieren! Hinfort mit ihnen allen!“, rief ich und zog nun mein Schwert.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich überzeugend rüberkam… Wirklich nicht.

 

„Du erscheinst mir wie eine Flügelbotin des Himmels! Oh, Sphärenfee, wer hat dich zu mir geschickt? Sprich zu mir, du holder Engel, auf dass ein Liebeslied erklinge!!“

Ich knirschte hinter der Bühne mit den Zähnen.

Warum musste Willy… ausgerechnet Himawari und Domeki zu Romeo und Juliet machen?

„Das war Absicht!“, zischte ich ihm entgegen, doch er wurde so sehr von seinem eigenen Theaterstück mitgerissen, dass ihn meine Worte wohl wieder nicht erreichten.

Na danke!!

Francesco und Curio standen etwas abseits und sahen dem Theaterstück zu, dennoch konnte ich die Stimme des Blonden sehr deutlich vernehmen:

„Er hat eine tragische Heldin erfunden. Ihre Familie ist tot, aber sie hat sich in den Sohn ihres Feindes verliebt. Dennoch trägt sie tapfer das Schicksal, das ihr auferlegt wurde, denn sie muss ihre Vorfahren rächen.

Einmal hat sie sich schon erhoben, doch ihr Versuch schlug fehl. Sie wurde gefangengenommen. Zum Glück wurde sie durch den unendlich mutigen Einsatz ihrer Freunde und ihres Liebsten gerettet. Stolz entschied sie, sich erneut zu erheben und ihren Gegnern zu trotzen.

Das ist tatsächlich die Geschichte von unserer Juliet.

Die Menschen sind berauscht von der Dramatik der Geschichte und wollen, dass die Prinzessin gerettet wird.

Die Zuschauer werden darüber reden, was sie heute Abend hier gesehen haben und mit ihrer Begeisterung für Juliet werden sie andere anstecken.

Das wird eine Lawine der Unterstützung auslösen.“

Ich sah getroffen zu Boden. Oh ja. Francesco hatte Recht. Es war Juliets Geschichte.

Auch mir war das nicht entgangen.

Ich beobachtete den weiteren Verlauf des Stückes und für die letzte Szene ging ich auf die Bühne.

Ich richtete mein Schwert gegen Himawari… äh… Juliet.

Sehr entschlossen wohlbemerkt: Sie von Domeki zu trennen, welcher direkt neben ihr stand, war mein eigentliches Ziel. Am liebsten hätte ich ihn gelyncht, aber er war ja schließlich mein „Sohn“.

Jetzt kam Juliets Auftritt als weißer Ritter der Gerechtigkeit. So war es zumindest geplant.

Ich verharrte in meiner Position – und wartete.

Das Publikum wurde allmählich unruhig und fing an zu murmeln.

Wo blieb denn nun Juliet?

Plötzlich sah ich einen Schatten über den Zuschauern. Ein roter Umhang wehte.

Juliet sprang auf die Bühne – als Roter Wirbelwind verkleidet.

Ich musste mich bemühen, dass mir nicht die Kinnlade herunterfiel.

„Ist das der echte Rote Wirbelwind? Ich dachte, der sei längst tot!“

„Vielleicht ist das ein Gespenst“, redeten die Menschen durcheinander.

„Ich bin kein Gespenst!“, widersprach die Rothaarige laut und zog ein Schwert.

„Obwohl unser Volk weiter von dem Tyrannen unterdrückt wird, konnte der Wind der Freiheit und der Mut der Rebellion nicht zerstört werden! Dieses Schwert hier in meiner Hand wird nicht mit Blut besudelt werden! Dieses Schwert ist die Hoffnung!

Die Hoffnung auf ein freies Neo Verona! Ich lasse den Wind der Hoffnung durch Neo Verona wehen! Ich werde euch das zurückgeben, was euch zusteht! Gemeinsam können wir es schaffen! Tut euch zusammen und schließt euch mir an!“, forderte sie die Zuschauer auf, sie erntete Applaus und zustimmende Rufe.

„Jetzt verstehe ich. Sie wird den Duce Montague niederschlagen. Nicht als Juliet Capulet, sondern als Roter Wirbelwind. Und das fällt dann nicht unter simple Rache. Das ist dann ein Volksaufstand!“, murmelte ich leise.

 

Nach der Premiere war William sehr erschöpft und schon halb eingedöst, als ich in seine Schreibstube kam.

Eine vermutlich bereits erkaltete Tasse Tee stand auf seinem Arbeitstisch und einige beschriebene Blatt Pergament lagen darauf verteilt.

Das Feuer brannte noch munter im Kamin und ich schloss die Tür hinter mir.

„Ja, was ist denn?“, fragte Willy, der gerade aufwachte.

„Die Aufführung heute Abend ist viel interessanter gewesen als deine Fassung. Ich habe mich amüsiert“, gab ich widerwillig zu.

William grinste beinahe selbstzufrieden.

Er beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne, die Augen immer noch geschlossen.

„Die Wirklichkeit ist immer interessanter als eine Geschichte. Andererseits brauchen Menschen Geschichten, um mit der Wirklichkeit fertig werden zu können. Theaterstücke und Märchen helfen sie zu ertragen. Und deswegen werde ich weiter welche schreiben“, erklärte er mir.

Seine Worte brachten mich zum Lächeln.

„Ich werde schlafen gehen. Ich wollte dir das nur schnell sagen“, antwortete ich und verließ wieder sein Zimmer.

Bevor ich meine Worte William gegenüber nachgehen konnte, verspürte ich das Verlangen, in den Garten zu gehen. Ich gab dem Gefühl nach, noch einen kleinen Spaziergang zu machen und sah eine mir bekannte Person vor dem Schrein stehen.

„Kannst du nicht schlafen?“

Juliet erschrak und wirbelte zu mir herum.

„Ach, du bist‘s“, bemerkte sie erleichtert.

„Was hast du denn?“, fragte ich und trat neben sie.

„Nun ja...“, antwortete die Rothaarige ausweichend.

Ich versuchte ihr Zögern zu deuten, irgendwie wusste ich, was sie wohl gerade dachte:

„Der Duce Montague ist Romeos Vater. Daran lässt sich nichts ändern.“

„Meine Entscheidung steht fest“, erwiderte sie entschlossen.

„Das begrüße ich... und du solltest wissen: Wir folgen dir, wo immer es hingeht... denn du bist der Rote Wirbelwind!“, versicherte ich ihr und sie sah mich an.

„Der Kampf gegen die Willkür ist bald vorbei. Ich werde den Hass aus der Welt schaffen. Und dazu muss ich noch einmal zum Roten Wirbelwind werden“, beschloss sie und ich nickte zufrieden.

 

Ich schlief unruhig in dieser Nacht.

Am nächsten Morgen hatten wir alle Waffen und Rüstungen angelegt und machten uns auf den Ansturm von Neo Verona bereit.

Die Bewohner von Mantua deuteten mit den Fingern auf uns, als unsere Gruppe auf Ryubas über sie hinwegflog.

Mindestens ein halber Tag verstrich, bis Francesco das Wort ergriff:

„Dann trennen wir uns hier wie geplant, Conrad.“

Angesprochener grummelte zustimmend.

„Viel Erfolg“, wünschte Conrad und unsere Gruppe von Ryubas splittete sich in zwei auf und wir flogen in verschiedene Richtungen davon.

Conrads Plan war, dass Francescos Gruppe die Ryuba-Flotte des Duce ausschalten sollte, während wir direkt nach Neo Verona flogen.

Ich betete, dass unser Plan funktionierte.

Für Juliet, für die Welt und für Neo Verona.

Akt 10: Ein Kampf der Gerechtigkeit?

Die Zeit ist gekommen. Der lang ersehnte Sturm bricht los. Eine längst vergessene Finsternis bricht über alle herein und das Schwert des Hasses vernichtet die abscheuliche Hoffnungslosigkeit. Der scharfe Blick ist kalt, weil er den Schmerz kennt und die Liebe dagegen nicht.

Das grausame Schicksal hält für jeden von uns eine ganz persönliche Herausforderung bereit und manchmal erscheint uns eine Last schier erdrückend. Doch dann regt sich urplötzlich ein Windhauch, der die Funken der Hoffnung wieder aufglimmen lässt…

 

Es war bereits früher Morgen, als Conrad uns mitteilte, dass Neo Verona sich jetzt in Sichtweite befand.

Ich fror mittlerweile schon ziemlich, den ganzen Tag und die ganze Nacht auf dem Ryuba zu verbringen und zu fliegen war sehr anstrengend, für sämtliche Körperteile.

Die Nachricht, dass wir zurückkehren würden, schien uns wohl vorausgeeilt zu sein, denn wir wurden bereits erwartet:

Juliet war als Roter Wirbelwind verkleidet und die Bürger der Stadt fingen an zu jubeln, während wir über sie hinwegflogen.

Wir landeten auf einem hohen Gebäude und die Menschen versammelten sich davor.

Juliets Umhang wehte majestätisch, als sie elegant von ihrem Ryuba sprang und sich zu den Menschen herumdrehte.

Ich sah zum Horizont und hüllte mich dichter in meinen dunkelgrauen Mantel.

Ich stellte fest, dass es bereits dämmerte.

„Bürger Neo Veronas, hört mich an! Ich bin zurückgekehrt! Die Flammen konnten mir nichts anhaben! Ich werde Montague stürzen und Neo Verona zurückerobern!“, rief die Capulet entschlossen und die Menschen jubelten noch euphorischer.

„Lasst uns gemeinsam für die Freiheit kämpfen, denn zusammen sind wir stark! Und ihr, die ihr dem Duce dient, werft eure Waffen weg! Wir verschonen jeden, der sich ergibt!

Euch Bürgern gebührt die Macht und nicht einem solchen Tyrannen!“, führte Juliet fort.

Ich konnte in der Menschenmenge mehrere Wachen erkennen, die meisten jedoch waren zu erschrocken, etwas zu unternehmen.

Doch rechts von uns sah ich plötzlich, wie jemand auf Juliet anlegte.

„Pass auf!“, rief ich erschrocken und die Rothaarige duckte sich, allerdings nicht tief genug.

Der Pfeil streifte zum Glück nur ihren Hut und beförderte diesen mitsamt ihrer Perücke zu Boden.

So viel dazu, dass sie Neo Verona als Roter Wirbelwind erobern wollte.

Die Bürger schienen entsetzt, doch auf Juliets Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und als sie sich wieder aufrichtete, ging die Sonne auf und beleuchtete ihre wunderschönen roten Haare, welche im Morgenwind leicht umher wehten.

„Ja, der Rote Wirbelwind wird immer wieder wehen... in Neo Verona und überall auf der Welt!“, schrie sie und die Menschen stimmten ihr jubelnd zu.

Sie wussten, dass Juliet Fiammata Asto Capulet vor ihnen stand und sie retten wollte, ich erkannte ein gewisses Leuchten in ihrer aller Augen.

Es war ein magischer Moment, Juliet war eine starke Frau geworden; ihr Blick strahlte die pure Entschlossenheit aus; ganz egal, wie sehr sie der Flug und die Sorge über ihren Plan auch angestrengt haben mag, man merkte ihr nichts an.

Wir zogen uns in das Gebäude zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Curio und Francesco, welche erfolgreich die Ryuba-Flotte außer Gefecht gesetzt hatten, berichteten, dass sich bereits einige Wachen des Duce ergeben hatten und Conrad und Juliet beschlossen, am übernächsten Tag das Schloss der Montagues zu stürmen.

Als wir mit den Besprechungen fertig waren, brach bereits der Nachmittag an.

Ich war mehr als müde, Juliet und den anderen erging es garantiert nicht anders.

Als wir am nächsten Tag mehr oder weniger ausgeruht aufgestanden waren und gerade frühstückten, stürmte Curio in die Küche: „Romeo steht vor den Toren der Stadt und will eingelassen werden!!“

Ich verschluckte mich an meinem Brötchen.

War Romeo nicht immer noch in dem Bergarbeiterdorf? Was wollte er plötzlich in Neo Verona??

Auch Juliet sah sichtlich erschrocken aus.

„Er behauptet, den Duce zum Rücktritt auffordern zu wollen.“

„Oh mein Romeo...“, flüsterte Juliet.

„Los! Lass uns nachsehen! An welchem Stadttor, Curio??“, wollte ich wissen und war aufgestanden.

„Dem westlichen!“, antwortete mir der Schwarzhaarige und wir machten uns sofort auf den Weg. Rennend bahnten wir uns einen Weg durch die Menschenmenge.

Zum Glück lag das Westtor nicht weit von unserem derzeitigen Aufenthaltsort entfernt und bei unserer Ankunft wurde es sofort geöffnet.

„Ich bin nicht wie mein Vater! Ich möchte euch helfen, das Blutvergießen zu beenden! Ich will keine Macht!“, hörte ich Romeo rufen.

„Ihr dürft ihm nichts tun! Lasst ihn los!“, befahl Juliet und die Wachen gehorchten ihr augenblicklich

„Juliet...“, grüßte sie Romeo erleichtert.

„Warum bist du hier?“, wollte die Capulet-Tochter wissen.

„Ich wollte sehen... ob es dir auch gutgeht. Außerdem möchte ich versuchen mit meinem Vater zu reden. Ich möchte verhindern... dass noch mehr Blut vergossen wird“, erklärte der junge Mann.

„Das verstehe ich gut“, konnte Juliet nachvollziehen, danach wandte sie sich gebieterisch an die Wachen:

„Prinz Romeo darf die Stadt betreten!“

Der Montague-Sprössling durfte augenblicklich passieren.

Ich musste unwillkürlich lächeln. Ihre entschlossene Stimme und ihr selbstbewusstes Auftreten fand ich bewundernswert. Sie würde wahrlich eine gute Herrscherin abgeben.

Doch zuerst mussten wir den Duce töten.

Ich sah zu dem großen, prächtigen Schloss empor. Wir mussten es schaffen! Wir mussten einfach…

 

Alles erblühte im roten Licht der Hoffnung. Wehendes Haar im Sonnenschein, das Neo Verona von der Tyrannei befreite!

War das ein Traum? Oder Realität? Ich war so verwirrt…

Ich hörte eine Stimme… eine Stimme, welche ich bisher nur ein einziges Mal gehört hatte: Und zwar in meinem Traum, in welchem Romeo und Juliet damals bei dem alten Mann und Escalus waren.

Dieser Mann… er sprach zu mir!

„Die Mutter Erde trauert... weil das Ende der Welt sich nähert!“

Ich sah Juliet, wie sie vor dem Grab ihrer Eltern stand und sich die Brust hielt.

Ein grünes Leuchten ging davon aus… was hatte das zu bedeuten?

Ich wollte ihr helfen, lief zu ihr, doch sie konnte mich nicht sehen.

Plötzlich materialisierte sich vor uns eine weitere mir bekannte Person.

„Wenn die Tränen der Göttin ihre güldenen Wangen befeuchten, wirst du die Auserwählte sein. Du kannst die Tränen der Göttin fortwischen... mit deinem flammenden Haar.

Escalus ist dem Tode geweiht... aber er bäumt sich noch ein letztes Mal auf.“

Irgendwie erinnerte mich diese Situation an jenen Abend, als ich bei William war…

 

Escalus war wie das Feuer im Kamin…

Die Nacht wurde immer dunkler und dunkler und das Feuer loderte noch ein letztes Mal, es bäumte sich noch einmal auf, bevor es schlussendlich starb.

 

„Escalus? Den Baum kenne ich doch! Den hab ich schon mal gesehen!“, fiel Juliet auf.

„Du kannst herauskommen, Watanuki“, sprach Ophelia plötzlich und sah mich direkt an, „Es ist nicht länger nötig, dass du dich versteckst!“

Ich starrte sie überrascht an.

Noch nie hatte sie mich direkt angesprochen oder angesehen.

Ich war zwar immer ein Teil des Traumes gewesen, hatte jedoch nie aktiv mitgewirkt, sondern immer nur die Rolle des Zuschauers innegehabt.

Ich betrachtete meine Hände, welche plötzlich immer mehr an Konsistenz gewannen.

„Watanuki, du hier?“, fragte Juliet beinahe entsetzt und ich nickte leicht.

„Ja… ich habe alles mitbekommen. Von Anfang an, Juliet“, gestand ich ihr und fiel erschöpft auf die Knie.

„Es gibt einen Kontinent, der im Himmel schwebt und Neo Verona genannt wird. Die Welt, soweit wir sie kennen, wurde seit jeher von zwei Bäumen getragen.

Der kraftvolle Regen, der von diesen Bäumen hervorgebracht wurde, hat Fruchtbarkeit und Harmonie gebracht. Alles war im Einklang... bis die Menschen irgendwann eine große Sünde begingen... Sie wussten die Geschenke der Bäume nicht mehr zu würdigen.

So vertrocknete einer von ihnen, obwohl er ewig hätte weiterexistieren können.

Die Welt wird nur noch vom Baum Escalus gehalten. Wenn es ihn nicht mehr gibt... stürzen wir in die Leere“, erklärte Ophelia.

„Zerstören wir die Welt... unwiderruflich?“, hauchte Juliet tonlos und die Priesterin trat näher.

Es schien alles so ausweglos.

Ich legte Juliet eine Hand auf die Schulter, während ich selbst meine Brust umfasste. Was waren das nur für Schmerzen?

Die Priesterin streckte ihren linken Arm aus, ihre Hand war vertrocknet, es sah beinahe so aus, als bestünde sie… aus Holz…

„Du bist dazu auserwählt, unsere Welt von dieser Sünde zu bereinigen, du hast die erhabene Pflicht, den Keim des Lebens wieder reifen zu lassen. So wie eine Mutter ein Kind in ihrem Leib wachsen lässt...

Opfere dich... für das Gleichgewicht auf unserer Erde. Lass den Samen von Escalus... in deinem Körper keimen. Gebäre den Ableger! Rette die Welt!“, flehte Ophelia und meine Augen weiteten sich.

Juliet sollte sich opfern? Für die Welt? Für uns alle?

„Und du, Watanuki… musst nun gehen!“, befahl mir Ophelia und ich sank bei ihren Worten kraftlos zu Boden. Hatte sie etwa Macht über mich?

„Watanuki!“, rief Juliet beinahe panisch und versuchte, mich anzusprechen, doch ich hörte sie kaum.

Dann verlor ich alles: Die Umgebung des Friedhofs, Ophelia und auch Juliet.

Ich fiel in die Dunkelheit und schrie, aus vollen Kräften.

 

„Watanuki! Wach auf! Watanuki!“, rief eine Stimme besorgt und ich öffnete flatternd die Augen.

„J… Juliet?“, fragte ich verwirrt. War sie eben nicht noch auf dem Friedhof gewesen?

„Ja… ich bin es!“, hörte ich ihre Antwort und setzte mich schweißgebadet auf.

„Endlich bist du aufgewacht! Ich dachte schon, du träumst immer noch!“ Sie klang besorgt.

„Wie bist du so schnell hergekommen?“, wollte ich wissen.

„Ich bin zwar hierher gerannt… aber wirklich schnell war ich nicht. Der Samen… hat meine Kräfte geraubt. Ich habe mindestens eine halbe Stunde gebraucht!“, antwortete sie und ich sah sie an. Solange war ich in die Dunkelheit gefallen?

„Du wusstest also von Anfang an von Escalus?“

Juliet klang beinahe anklagend, ich richtete meinen Blick zu Boden.

Ich schluckte, danach sah ich ihr in die Augen.

„Ja. Ich habe von ihm geträumt. Diese Ophelia ist mir auch erschienen. Ich weiß nicht… zuerst habe ich es nur für Träume gehalten. Aber dann fing irgendwie alles an Sinn zu machen und ich habe dich gesehen…

Aber das heute hat mir bewiesen, dass alles wahr ist. Diese Welt… wird wirklich untergehen!“

„Wenn ich mich nicht opfere“, vollendete Juliet und an ihrer Brust glühte es wieder kurz grün auf.

Ich wusste nicht, was ich tat, ich zog sie einfach in meine Arme.

Sie tat mir so leid, sie hatte das alles nicht verdient.

Zuerst hatte sie wie ich auch ihre Familie verloren. Dann fand sie endlich ihre große Liebe, doch sie sollte sich opfern, um die Welt zu retten.

Damit würde sie alles verlieren. Nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Liebe.

„Es tut mir alles so leid, Juliet!“, flüsterte ich als wir uns trennten und sie lächelte.

„Du kannst doch nichts dafür… Watanuki! Aber bitte erzähl niemandem davon… ich möchte nicht, dass meine Freunde traurig sind“, entgegnete sie beinahe ebenso leise und ich nickte.

Ein Erdbeben rüttelte das Gebäude durch und wir sahen zum Fenster hinaus, da wir plötzlich Schreie vernahmen.

„Was ist das für ein Licht?“, fragte Juliet und auch ich sah dieses gewaltige Leuchten, welches die Nacht erhellte.

„Feuer…“, hauchte ich und meine Augen verengten sich.

Schnell warf ich mir einen Umhang über und wir eilten aus dem Haus.

„Der Duce lässt die Stadt abbrennen! So helft uns doch!“, riefen viele Menschen durcheinander und flohen in alle Richtungen davon.

„Wir sollten zum Westtor laufen! Das ist der Treffpunkt für solche Notfälle!“, schlug ich vor und Juliet nickte, als sie aufgeholt hatte.

Als wir am Tor ankamen, fanden wir niemanden unserer Gruppe, weder Conrad, noch Curio oder Francesco.

„Mach dir keine Sorgen, Juliet! Sie helfen bestimmt den Leuten in der Not!“

„Das beruhigt mich“, sprach die Rothaarige und sie sah schon wesentlich weniger panisch aus.

Eine bekannte Stimme ließ uns herumfahren:

„Juliet! Wie schön! Dir scheint nichts passiert zu sein!“

„Emilia! Willy!“, begrüßte Juliet ihre Freunde.

Natürlich hatte diese Stimme Emilia gehört. Ich glaubte bisher niemanden in meinem Leben zu kennen, deren Stimme einen solchen Wiedererkennungseffekt hatte wie die Emilias.

Neben ihr ließ sich William mitsamt seiner Tasche zu Boden fallen.

„Nun langt's! Ich bin völlig erledigt! Ich hab mir den Hintern in der Kutsche durchgesessen! Und dann ist die auch noch liegen geblieben!“, klagte der Schriftsteller.

„Aber sonst geht’s Euch gut, oder habt Ihr was abgekriegt?“, fragte Juliet schon wesentlich entspannter.

„Ich gebe zu: Es könnte schlimmer sein, aber so ein Erdbeben stört schon ganz gewaltig. Ich hab doch soooooo ein unglaublich sensibles Gemüt! Und wenn's auch noch breeeeeennt, dann muss ich andauernd husten!“

Ich verdrehte die Augen. Hatte der im Moment wirklich keine anderen Probleme?

„Man könnte meinen, ganz Neo Verona wäre dem Untergang geweiht“, berichtete Emilia besorgt. Juliet neben mir zuckte zusammen und ich sah sie mit einem vielsagenden Blick an.

Leider schien er auffälliger gewesen zu sein als beabsichtigt.

„Stimmt irgendwas nicht? Was hast du denn?“, erkundigte sich Emilia.

„Ach, nein, nein. Schon gut! Es ist nichts! Wirklich nicht!“, winkte die Rothaarige ab.

„Lüg nicht, Juliet! Du verschweigst uns doch schon wieder irgendetwas“, bemerkte William und sah sie ernst an.

„Willy... Wenn sich... in der Geschichte... die du gerade erfunden hast... die Hauptdarstellerin zum Wohle der Welt opfern soll... Wie würdest du die Geschichte enden lassen? Was würdest du sie tun lassen?“

Ich hielt den Atem an.

Ja… was würde er tun?

Seine Antwort überraschte mich:

„So eine Geschichte schreibe ich nicht! In meinen Theaterstücken geht es um Selbstfindung. Das Feuer, die Flamme, das Liebesglück mag erlöschen, aber die Selbstbestimmung und der eigene freie Wille überleben bis zum Schlussakkord! Ein Applaus für diese beiden Tugenden!“

Er würde so etwas nicht schreiben? Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Er schien wohl doch so etwas wie ein Gewissen zu besitzen…

„Selbstbestimmung... Freier Wille...“, wiederholte Juliet nachdenklich.

„Ganz genau!“, stimmte ihr der Schriftsteller zu.

„Du bist aber auch immer komisch“, stellte Emilia fest und fing an zu lachen.

Mir war überhaupt nicht nach Lachen zumute. Doch Juliet stimmte ein, auch wenn es gespielt war, was ich ihr sofort anmerkte.

Bald schon trafen wir auf Conrad und die anderen, welche die Flammen gelöscht hatten.

Zusammen beschlossen wir, den Duce sofort im Morgengrauen anzugreifen, damit er nicht noch mehr Pläne aushecken konnte, die Stadt zu zerstören, bevor wir sie übernehmen und den Menschen zu einem besseren Leben verhelfen konnten.

 

In dieser Nacht setzte Schnee ein.

Ich erinnerte mich an das letzte Mal, wo ich Schnee gesehen hatte: Es war bei mir daheim gewesen. Wie weit weg mir das erschien.

Irgendwie hatte ich mich schon so an diese Welt gewöhnt, hatte eine lange Zeit hier verbracht, die Menschen um mich herum liebgewonnen und zusammen mit ihnen gelacht.

Ich hatte versucht, immer für Juliet da zu sein, ihr zu helfen und zu beschützen.

Und jetzt? War es bereits Winter und die weißen Flocken bedeckten den Boden.

Dennoch wuchsen wie durch ein Wunder noch überall weiße Iris…

Sollte mich diese Tatsache hoffnungsvoll stimmen?

Vielleicht fand Juliet irgendwie einen Ausweg, der keines Opfers bedurfte?

Ich betrachtete sie von hinten. Sie war auf die Wiese zurückgekehrt, wo sie Romeo das erste Mal getroffen hatte, nachdem sie sich im Schloss des Duce kennengelernt hatten.

Sie trug einen Strauß weißer Iris in ihren Händen, welche sie gerade gepflückt hatte.

Meine Kapuze befand sich auf meinem Kopf, um den Flocken standzuhalten und ich hielt unsere Ryubas fest, während ich auf die Stadt hinabsah.

Der Himmel war dunkel und bedeckt.

Ein leichter Wind ging, der Juliets leise gemurmelte Worte zu mir hinübertrug:

„Romeo... Ich gehe nach diesem Kampf zu Escalus... für das Glück und die Freiheit der Menschen in Neo Verona. Wir bleiben zusammen... bis dass der Tod uns scheidet.

Und nichts was geschieht soll uns je wieder trennen. Das schwören wir.

Verzeih, aber ich musste unseren Schwur brechen. Doch eins weiß ich sicher, Romeo.

Neo Verona ist bei dir in guten Händen. Du bist das große Glück meines Lebens. Ich bin dankbar, dass ich dich lieben durfte, Romeo...“

Ich senkte den Kopf. Sie hatte sich entschieden.

„Na, wen haben wir denn da? Der Rote Wirbelwind!“ Ich hob den Blick.

Diese Stimme gehörte doch…?

„Tybalt!“, sprach Juliet meinen Gedanken aus.

„Ich werde Montague töten, bevor Ihr das tut. In dem Fall gehe ich auf Nummer sicher“, wechselte Romeos Halbbruder gleich zum eigentlichen Thema.

Ich seufzte. Eigentlich war ich froh, dass er ihr diese Last, diese Verantwortung abnehmen wollte.

„Hass und Rache bringen niemanden weiter. So etwas fällt auf einen selbst zurück.

Das ist nicht gut. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden. Und deshalb weiß ich... dass ich mich opfern muss, um die Sünden zu tilgen. Nur dann wird alles wieder gut... auf der ganzen Welt... für immer.“

„Ihr wollt Euch für die ganze Welt opfern? Warum sollte das nötig sein?“, wollte Tybalt wissen.

„Es gibt einen Baum, der die Welt trägt und den man im Schloss versteckt hat.

Er heißt Escalus“, fing Juliet an zu erklären und mich überraschte, dass sie dieses Geheimnis noch jemandem außer mir anvertraute.

„Der Baum heißt Escalus?“

„Es ist ein Lebensbaum, der dafür sorgt, dass wir in Wohlstand und Frieden existieren können. Escalus droht zu sterben, was dazu führen würde, dass unsere Erde untergeht“, erzählte Juliet und meine Ryubastute schnaubte.

„Neo Verona hatte immer eine Schutzgöttin, die Escalus hieß. Alle Töchter der Capulet-Familie haben seit jeher diese Göttin sehr verehrt“, erinnerte sich Tybalt.

Juliet öffnete ihr Oberteil ein wenig.

„Siehst du dieses Mal? Ein Samenkorn des Lebensbaumes ist in mich gepflanzt worden. So ist es nun mein Schicksal, diesen Samen reifen zu lassen. Ich bin dazu ausersehen.

Ich muss die Welt retten. Zu fragen warum ist sinnlos. Außer dir hab ich es nur Watanuki gesagt.“

Sie nickte in meine Richtung und Tybalt sah zu mir herüber.

„Du bist Romeos Bruder. Mit dir kann ich darüber sprechen. Und wenn ich nicht mehr da bin, dann musst du deine Hand über ihn halten. Ich will, dass du deinen Bruder beschützt.“

„Aber wieso müsst Ihr denn gleich Euer Leben opfern? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“, fragte Tybalt und sprach mir damit aus der Seele.

„Nein, gibt es nicht! Denn dann wäre es kein Opfer. Meine Entscheidung ist endgültig.

Vielen Dank, dass du mir zugehört hast, ich muss jetzt gehen.“

Juliet kam auf mich zu.

„Halt! Wartet!“, forderte Tybalt und Juliet blieb tatsächlich kurz stehen und schenkte ihm ihr Lächeln, ging dann aber trotzdem weiter, nahm mir wortlos die Zügel ihres Ryubas aus der Hand und erhob sich in die Luft. Ich folgte ihr schweigend.

Ich hatte das Gefühl, der Himmel ließ weiche Tränen der Trauer auf Neo Verona fallen, unschuldig, weiß und rein.

 

Als der Morgen richtig anbrach, hatten wir unsere Kampftruppen versammelt und standen vor dem verschlossenen Tor des Montague-Schlosses.

Ich zitterte vor innerer Erregung. Wie viele Wachen sich uns wohl in den Weg stellen würden?

Wie fühlten sich wohl die anderen, beispielsweise Conrad, die das Schloss nach so langer Zeit wieder betreten würden? Montague hatte sich dieses Schloss, welches doch eigentlich der Familie der Capulets gehörte, einfach genommen, nachdem er kaltblütig die komplette Familie außer Juliet ausgelöscht hatte.

Nun stand die letzte Überlebende vor dem Eingang dieses Schlosses und forderte ihren rechtmäßigen Platz zurück.

Juliet trug eine rote Rüstung, welche ihre Haare einfach perfekt zur Geltung brachte.

Sogar ich hatte eine Rüstung bekommen, sie war dunkelblau und ich trug einen schwarzen Umhang darüber.

Keine einzige Wolke war mehr zu sehen und die Sonne schien hinter uns.

Juliet trieb ihr Ryuba voran und hielt wenige Meter vor den Wachen an, welche das Tor flankierten.

„Ich bin Juliet Fiammata Asto Capulet! Ich verlange, dass ihr das Tor öffnet! Wir haben nicht vor jemanden zu verletzten! Ich bin hier um die Macht zu übernehmen, die mir zusteht!

Möge Montague Einsicht in sein Schicksal zeigen!

In dem Neo Verona, das wir aufbauen, braucht man weder Schwert noch Dolch! Wir geben den Bürgen ihre Freiheit zurück!

Tretet zur Seite und lasst mich durch! Ihr könnt mit uns gemeinsam einen Weg in eine neue Welt beschreiten!“

Der Anführer der fürstlichen Leibwache trat vor und ging auf die Knie. Ich erinnerte mich, dass er derjenige war, der damals für den Tod des Arztes Lanzelot verantwortlich gewesen war.

Nun war er wohl endlich auch zur Vernunft gekommen…

„Euer Hoheit Juliet, wir öffnen Euch das Schloss!“

Seine Worte wurden sofort erhört, es öffneten sich die gigantischen Holztore und alle waren zurückgetreten, um uns durchzulassen.

„Uns steht nichts mehr im Weg...“, sagte Conrad tonlos und sprach damit meinen Gedanken aus.

„Macht euch bereit! Wir durchschreiten jetzt das Schlosstor!“, rief Juliet nach hinten und erhob ihr Schwert.

Alle um mich herum jubelten zustimmend.

Ich nahm die Zügel meiner Ryubastute etwas kürzer.

Warum war ich eigentlich hier? Warum kämpfte ich mit ihnen? Wer hatte mir diese Rolle zugeteilt? Geschah das alles einfach so? War ich derjenige, der diese Geschichte in der Hand hielt?

Allmählich glaubte ich nicht mehr daran, sonst könnte ich doch etwas an ihrem Verlauf ändern, oder? Bei mir hätte es keinen Baum Escalus gegeben… damit hätten wir einige Probleme weniger gehabt.

Wir ritten durch das Tor in den Vorhof, wo wir unsere Ryubas zurückließen und uns weiter in das Schloss vorwagten. Conrad führte uns zusammen mit Juliet, auch ich lief neben ihnen, da alle davon ausgingen, dass ich den Weg ebenfalls kannte.

Dank William hatte ich eine ungefähre Ahnung…

Die Menschen, die uns auf unserem Weg begegneten, wichen aus oder starrten uns ängstlich hinterher.

Romeo hatte wahrlich viel zu erledigen, wenn der Duce erst einmal tot und Juliet nicht mehr da war, um die Verhältnisse zum Besseren zu bewenden…

Wir traten in den Thronsaal.

„Leontes Candore Bando Montague! Macht Euch bereit! Wir übernehmen die Macht!“, rief Conrad, wir zogen unsere Schwerter und traten vor.

Der Duce sah genauso aus wie damals in meinem Traum - er war furchteinflößend, wie er regungslos vor seinem Thron stand.

Doch eine Tatsache überraschte mich… Romeo und Tybalt bedrohten den Herrscher bereits mit ihren Waffen.

Dass Tybalt vorhatte den Duce umzubringen, wusste ich… aber Romeo auch?

„Da kommt sie, die infame Tochter der Capulets“, kommentierte der Duce Juliets Erscheinen geringschätzig, als sie sich ihm entschlossen gegenüberstellte.

Romeo ließ bei Juliets Anblick seine Waffe sinken.

„Was hast du, das dich dazu berechtigt... die Macht zu übernehmen? Hast du den Schlüssel zur Welt?“, fragte der Duce.

Alle warteten gebannt auf ihre Antwort und sie kam, wortlos: Juliet warf das heilige Schwert ihrer Familie zu Boden, wir alle starrten sie überrascht und gebannt zugleich an.

Sie trat noch näher an den tyrannischen Herrscher heran, sodass sogar Tybalt zurückwich und ihr Platz machte.

„Ich brauche weder Schlüssel noch Schwert. Durch so etwas kommt man nicht an die Macht.

Obwohl Ihr auf grausame Weise meine Familie umgebracht habt, hasse ich Euch nicht mehr.

Ich habe auch nicht vor Euch zu töten, Montague. Ich spiele dieses Spiel nicht weiter! Ich will keine Rache.

Ich fange neu an. Ich möchte den Bürgern aus unserer Stadt die Herrschaft über Neo Verona wiedergeben!

Duce Montague, tretet zurück und macht den Thron frei! Verlasst Neo Verona! Ich schenke Euch das Leben!“, bot ihm Juliet an und ich fing an, sie immer mehr zu bewundern.

Wie konnte sie ihm das einfach vergeben? Er hatte ihre gesamte Familie auf dem Gewissen!

Es herrschte eine Totenstille im Thronsaal, bevor der Duce dieses angespannte Schweigen brach:

„Ich habe gedacht, dass ich das Schicksal besiegen kann, wenn ich die Macht dazu habe. Doch das erweist sich als Trugschluss. Ich werde immer noch nicht gelie…“

Montague unterbrach sich selbst, riss sein Schwert in die Höhe und schien Juliet angreifen zu wollen.

Wir stürmten los, um sie zu beschützen, doch das war nicht nötig: Der Duce rammte sein Schwert vor Juliet in den Boden.

„Glück, Glanz und Ruhm verschwinden im Nichts... wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt. Eine kreisförmige Welle verläuft am Horizont. Es bleibt nichts zurück.“

Wenn ich es nicht gerade aus Montagues Mund gehört hätte, hätte ich gedacht, dass dieser Satz von Yuko stammen würde.

Plötzlich wurde die gerade wieder eingetretene Stille von einem grausamen Geräusch erneut durchbrochen: Jemand rammte dem Duce von hinten eine Waffe in den Körper.

Ich sah genauer hin: Tybalt stand noch immer wie vorher da, Romeo befand sich an Juliets Seite, welche ebenfalls noch an Ort und Stelle stand.

Wer bitte hatte dieses Attentat soeben begangen?

Die Mordwaffe wurde wieder aus dem Duce herausgezogen. Er umklammerte stöhnend sein eigenes Schwert, welches immer noch im Boden steckte.

„Ihr seid selbst Schuld. Ihr habt meinem Vater und mir Schreckliches angetan“, sagte ein junger Mann zitternd, der hinter dem Thron aufgetaucht war.

„Mercutio…“, hauchte Romeo ungläubig und ich erinnerte mich: In der Originalversion von Romeo und Julia war er ein guter Freund und Verwandter von Romeo gewesen.

„Hast du... Hast du das Schwert vergiftet, du Verräter?“, fragte der Duce keuchend.

Mercutio lachte wie ein Wahnsinniger und zog sich zurück.

Montague versuchte nach Juliet zu greifen, scheiterte jedoch bei diesem Versuch und kippte röchelnd nach vorne, in Juliets Arme.

Romeo half ihr seinen Vater zu stützen.

Mercutio kam wieder hinter dem Thron hervor und lachte so besessen, dass man seine folgenden Worte beinahe nicht verstehen konnte:

„Ich hab den Duce... Ich hab den Duce getötet! Ich bin's gewesen! Ich bin ein Held!!“

„Er weiß nicht, was er sagt“, stellte ich fest und Conrad neben mir nickte zustimmend.

„Verschwinde!“, rief Tybalt aggressiv und trat bedrohlich näher.

„Aber warum denn? Ihr müsstet mir doch dankbar sein. Ich hab Montague erstochen.

Ich hab das getan, was ihr tun wolltet! Ich bin der Held des Tages!“, befand Mercutio, doch Tybalt belehrte ihn eines Besseren: „Du bist ein Wurm, der es nicht wert ist, zertreten zu werden!“

Mercutio schien nun auf seinen Rat zu hören und verschwand immer noch lachend aus dem Raum.

„Warum nur? Warum... liebt mich keiner? Warum liebt mich kein Mensch?“, fragte der Duce leise und ich blickte überrascht auf den Punkt an seinem Rücken, wo sein Blut weiter das Familienwappen der Montagues durchtränkte, welches an seinem Umhang angebracht war.

„Wolltet Ihr denn geliebt werden? Oder vielleicht nur geachtet oder gar gefürchtet?“, wollte Juliet wissen.

„Ich wollte, dass die Menschen Angst vor mir haben. Und auf Euer Mitleid kann ich gern verzichten.

Das widert mich an… Capulet!“

Mit diesen Worten erschlaffte er endgültig in den Armen von Romeo und Juliet.

„Vater...“, murmelte Romeo bedauernd.

Tybalt zog einen seiner Langdolche aus dem Halfter, welches er um die Brust trug und schleuderte ihn in einer einzigen fließenden Bewegung Richtung Thron, wo er in mitten des Montague-Wappens stecken blieb.

Romeo bettete seinen Vater zuerst auf den Boden und bedeckte ihn dann mit dessen Umhang.

Es war vollbracht. Der Duce war tot!

Irgendwie… war diese Tatsache so endgültig.

„Das Schwert hat ihn gestützt, das Schwert hat ihn gebrochen. Er hat mehr an die Macht als an die Liebe geglaubt und am Ende hat die Macht ihn vernichtet“, schlussfolgerte Romeo und blickte auf den Leichnam seines Vater hinab.

Juliet drehte Romeo ihren Rücken zu.

„Er hatte vielleicht nur Angst... vor der Liebe. Er hatte Angst davor, jemanden wirklich zu lieben. Deswegen hat er sein Schwert um Hilfe gebeten“, stellte Juliet ihre Vermutung auf.

„Aber warum hätte er Angst vor der Liebe haben sollen?“, fragte Romeo.

„Weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, denjenigen, den er liebt, einmal verlieren zu müssen“, antwortete Juliet und sah mich vielsagend an.

Ich erwiderte ihren Blick, bevor ich mich abwandte.

„Oh meine Juliet...“, murmelte Romeo leise.

Die Rothaarige nahm ihr Schwert wieder an sich, welches noch auf dem Boden gelegen hatte.

„Ich muss dir etwas sagen!“, ergriff der junge Montague Sprössling wieder das Wort.

Juliet drehte sich noch nicht einmal zu ihm um. Ich wusste, wieso. Es musste ihr so unglaublich schwerfallen, ihm jetzt noch in die Augen zu blicken.

Für Juliet… war es noch nicht vorbei.

Sie würde sich Escalus opfern. Irgendetwas sagte mir, dass dies unvermeidbar war…

Romeo kniete vor Juliets Rücken nieder, sie drehte sich leicht um, überrascht über seinen Niederfall.

„Juliet Fiammata Asto Capulet! Ich schwöre Euch ewige Treue!

Ich überlasse Euch als Mitglied der Montague-Familie den Rang des Staatsoberhauptes und trete selbst zurück! Ab sofort werdet Ihr dafür sorgen, dass die Bürger in Freiheit leben!

Unter Euren Händen wird Neo Verona neu erblühen!

Was mich selbst angeht... Ich gehe in das Dorf zurück, das ich gemeinsam mit meinen Freunden wieder aufbaue. Und irgendwann wirst du mir dorthin folgen.“

Juliet ging in Richtung Ausgang des Thronsaals.

„Leb wohl, Romeo.“

Ihre Stimme klang traurig, beinahe leidend. Tybalt und ich sahen ihr nach, bis sie aus dem Raum verschwunden war.

„Und wir hissen nun die Flagge der Familie Capulet! Bereitet die Krönungszeremonie vor! Neo Verona wird wieder einer gerechten Herrscherin unterstehen!“, ordnete Conrad feierlich an und erntete Jubelrufe der Capulet-Anhänger.

Ich jedoch jubelte nicht. Juliets Blick eben hatte Bände gesprochen, die nur Tybalt und ich verstanden. Ich musste etwas unternehmen! Und zwar schnell!!

 

William stand auf der Terrasse des Capulet-Schlosses und blickte auf die Stadt hinunter.

„Es ist eine Veränderung vor sich gegangen“, stellte der Dichter fest und musste lächeln.

„Der Wind weht weiter. Sowohl über einem klaren als auch über einem stürmischen Himmel. Man kann das Schicksal verändern! Hast du es verstanden, Watanuki?“

Der Himmel, welchem er gerade seinen Blick schenkte, antwortete ihm nicht, doch die Menschen taten es durch ihren Jubel, denn Neo Verona hatte sich verändert:

Der Duce war tot.

„Watanuki… ich befürchte so langsam neigt sich unsere Zeit hier dem Ende zu.

Machen wir das Beste daraus, und zwar beide!

Dennoch bin ich sehr auf deine Entscheidung gespannt… denn sie zeigt mir, ob du das wirklich Wichtige begriffen hast!“, sagte William und schloss für einen Moment die Augen.

„Der Höhepunkt… steht kurz bevor!“

In diesem Moment fing die Erde wieder an zu beben.

Die Menschen schrien und der Schriftsteller runzelte missmutig die Stirn:

„Es ist noch nicht vorbei… denn die Entscheidung steht noch aus!“

 

Ich rannte den Flur entlang. Tybalt hatte ich damit beauftragt, die Anhänger Juliets zu beruhigen und wollte nun zu Romeo.

Ich wusste genau, dass ich sie nicht davon abhalten konnte sich zu opfern, aber Romeo würde dies garantiert zu verhindern wissen.

Schließlich liebte sie ihn und daher war er der Letzte, in den ich meine Hoffnung setzte.

Ich öffnete die Tür zum Gebetsraum, in dem Romeo seinen toten Vater auf einen Altar gebettet hatte und neben ihm stand.

„Ach du bist es… was willst du?“, fragte Romeo und ich trat näher, bis das Licht der Kerzen mein Gesicht erhellte.

„Er hat den Tod bekommen, der ihm gebührte. Dieser Tyrann hat kein besseres Ende verdient!“, fing ich an zu sprechen und sah auf den Duce herab.

„Willst du wirklich in dieses Dorf zurückkehren?“, wechselte ich das Thema, da ich eigentlich nicht hergekommen war, um über einen toten Tyrann zu sprechen…

„Ja“, bestätigte Romeo.

„Und Juliet lässt du hier?“, fragte ich anklagend.

„Du kannst mir glauben, es ist besser so. Entschlossen hat sie ihr Schwert wieder in die Hand genommen, was bedeutet, sie wird ihre Position als Fürstin einnehmen und die Stadt Neo Verona gerecht regieren.

Ich dagegen bleibe der Sohn eines Montague. Ich will nicht, dass Juliet meinetwegen Schwierigkeiten bekommt. Darüber hinaus haben mich die Erfahrungen der letzten Wochen sehr verändert.

Ich habe mit meinen Händen einen Acker gepflügt. Wenn die Menschen unser Erdreich nicht hegen und pflegen, verliert es seine Lebenskraft“, entgegnete Romeo und ich schüttelte verständnislos den Kopf.

„Du kümmerst dich zu viel um fremde Leute! Wieso tust du das?

Hast du dir eigentlich überlegt, wie es den Menschen geht, die dich am liebsten haben? Du übersiehst bei aller Hilfsbereitschaft, wer dir am nächsten steht! Deine Geliebte braucht dich jetzt am meisten und du lässt sie einfach allein!

Hast du schon mal was vom Baum Escalus gehört?“

„Mein Vater, der Duce, hat mich einmal in den geheimen Garten geführt“, erzählte mir Romeo.

„Die Töchter der Capulet-Familie leben seit Generationen mit Escalus zusammen.

Dieses Familiengeheimnis habe ich auch erst kürzlich erfahren“, erklärte ich.

„Zwischen den Frauen der Capulets und dem Lebensbaum besteht eine Verbindung?“, fragte der Montague-Sohn überrascht und entsetzt zugleich und ich nickte traurig.

„Genauso ist es! Juliet hat vor, ihr Leben zu opfern um unsere Welt vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren!“

„Das... Das kann ich nicht glauben!“

Romeo schien geschockt, was mir nur allzu verständlich war.

Juliet hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie sich opfern musste, um Neo Verona den endgültigen Frieden zu bringen.

Aber ihre traurige Ausstrahlung ließ erahnen, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

Ich war am Überlegen, ob ich wütend auf ihn sein sollte, weil ihm das nicht aufgefallen war, schließlich war er in sie verliebt! - Doch ich entschloss mich dagegen.

Romeo hatte seinen Vater verloren und Neo Verona bebte immer noch. Das sorgte bei ihm sicherlich für Verwirrung und in einem solchen Fall fielen einem solche Anzeichen nicht auf.

„Und doch ist es so. Der Überlieferung nach soll sie stellvertretend für Escalus seine Schmerzen und Qualen erleiden und dadurch die Erde retten!“, endete ich und sah zu dem steinernen Engel hinauf, vor welchem einige brennende Kerzen standen.

Als ob der Kontinent meine Worte unterstreichen wollte, erschütterte ein weiteres Beben die Stadt.

Sie wurden immer stärker…

„Wie schrecklich! Meine geliebte Juliet wird sterben? Ist das wirklich wahr?“

Romeo sank zu Boden.

Langsam ebbte das Beben wieder ab.

„Was wirst du jetzt tun?“, wollte ich wissen. Wir mussten endlich etwas unternehmen!

„Was kann ich denn tun? Ist ein Opfer wirklich die einzige Möglichkeit Neo Verona zu retten?“, fragte Romeo.

„Ich weiß ebenso wenig wie du, ob das die einzige Möglichkeit ist! Aber wenn sie jemand zurückhalten kann, dann bist du es! Sie hat ihr Herz an dich verloren. Nur du kannst sie noch retten!“, erklärte ich eindringlich.

Zur Antwort konfrontierte er mich mit einem Satz, der mich doch stark an meine seltsamen Träume erinnerte:

„Die großen Sünden der Menschheit können nicht getilgt werden. Jetzt versteh ich. Ich weiß endlich, was der alte Mann damit gemeint hat!“

Das Puzzle hatte sich nun auch für ihn zusammengesetzt.

Ein Teil der Decke stürzte ein, ich wich zurück, während Romeo sich schützend über die Leiche seines Vaters warf.

Kleinere Brocken trafen seinen Rücken.

„Ich weiß, was ich tue! Ich werde Juliet suchen und ihr Leben retten!“, beschloss er.

„Dann… werde ich dir helfen! Beeilen wir uns!“, forderte ich ihn auf und wir rannten die Korridore entlang.

Ich vernahm noch die Schreie der Menschen, welche durch die Scheiben gedämpft an mein Ohr drangen.

Sie schienen wirklich panische Angst zu haben.

Ich wusste nicht, wie weit wir hinunter ins Schloss vordrangen.

Irgendwann hörte ich auf, die vielen Treppen und Flure zu zählen, durch die wir stürmten.

Ich vertraute einfach darauf, dass Romeo den Weg fand.

Schmerz schoss durch meinen Körper, ich sank stöhnend in mich zusammen.

„Watanuki! Was hast du denn?“, fragte Romeo panisch.

„Ich weiß nicht… ich glaube langsam, dass Juliet und ich miteinander verbunden sind… irgendwie…“, keuchte ich und richtete mich auf.

„Geht es wieder?“, wollte mein Gegenüber besorgt wissen und ich nickte, bevor ich losstürmte.

Mein Wille trieb mich voran. Der Wille, Juliet zu retten!

Wir blieben am Fuße einer Treppe stehen, die auf eine lange Brücke führte, welche von unzähligen, gewaltig hohen Steinsäulen gestützt wurde.

Es war dunkel hier unten, nur wenig Licht erhellte den Übergang.

Juliet befand sich bereits am Ende der Brücke, sie tastete sich langsam vorwärts.

Der Samen von Escalus schien sie bereits sehr zu schwächen.

„Juliet, warte!“, rief Romeo und ich stützte mich keuchend an einer Wand ab.

Ich sah, wie Juliet ihr Schwert fester umklammerte und urplötzlich stehenblieb.

„Mein Romeo...“, murmelte sie leise, doch der Hall trug ihre Worte auch zu uns herüber.

„Ich weiß alles! Warum hast du nie davon erzählt, dass du dich Escalus opfern willst?“, fragte er fordernd und wir eilten auf sie zu.

Sie richtete sich etwas auf.

„Komm bitte nicht näher. Geh! Das hier ist allein meine Sache“, bat Juliet und wir blieben einige Meter hinter ihr stehen.

„Da bin ich anderer Meinung! Wir haben uns etwas geschworen, erinnerst du dich noch? Wir bleiben zusammen, bis dass der Tod uns scheidet!“

Ich musste lächeln, als ich ihn so reden hörte. Oh ja. Sie liebten sich wirklich…

„Ich habe diesen Treueschwur schon längst vergessen!“, behauptete die Capulet-Tochter.

„Selbst wenn du ihn vergessen hättest, was ich nicht glaube, würde ich trotzdem nicht zulassen, dass du dich opferst, denn ich will nicht in einer Welt leben, die durch dein Leid gerettet wurde.

Egal, ob du dich opferst oder nicht... Du kannst das Schicksal von Neo Verona nicht ändern!“, wollte Romeo ihr begreiflich machen.

„Unsere Stadt hat ihr Schicksal und ich habe meins.

Ich habe gelernt, es anzunehmen. Ich bin mit der Pflicht geboren Neo Verona zu schützen. Ich trage die Verantwortung dafür! Und wenn du dich mir in den Weg stellen willst...“, Juliet zog zu meinem Entsetzen ihr Familienschwert und richtete es direkt auf Romeo, „... dann sei Gott deiner Seele gnädig!“

Sie meinte es ernst. Todernst. Ich sah es in ihren Augen.

„Bitte, kehr um, Romeo! Ich will dir doch nicht wehtun. Lass mich meinen Weg alleine zu Ende gehen“, sagte sie fordernd, schon fast befehlend.

Die Säulen um uns herum stürzten ein, da die Erde erneut bebte.

Ich wich den riesigen Gesteinsbrocken aus, welche Romeo und Juliet jedoch noch nicht treffen konnten.

„Ich habe vor, dich vor der ewigen Qual zu beschützen! Dafür gehe ich durchs Höllenfeuer. Ich widersetze mich dem Schicksal!“, beschloss Romeo und zog ebenfalls sein Schwert.

Er trat langsam näher.

„Und selbst wenn ich dich töten muss... Das schmerzt mich weniger als dich ewig leiden zu sehen! Lieber versündige ich mich, als dass ich zusehe, wie du dich quälst!“

Romeos Klinge berührte die Juliets und strich beinahe sanft darüber.

Um mich herum spritzte Wasser empor, als die Steinbrocken der Säulen hineinfielen.

Die Brücke stand glücklicherweise noch.

Allerdings traute ich meinen Augen kaum: Romeo und Juliet wollten… kämpfen? Hier und jetzt?

„Bleib zurück, Watanuki. Dies ist ein Kampf zwischen uns beiden, und nur zwischen uns“, bat Romeo und ich musste einmal tief durchatmen, bevor ich einige Schritte zurückging.

Sie standen sich gegenüber, beide die Schwerter erhoben.

Warum musste das nur so kommen? War jetzt etwa ich Schuld, dass sie sich bekämpften? Aber was hätte ich sonst tun sollen?

Das war nicht gerecht… das war nicht fair! Die beiden liebten sich und mussten nun gegeneinander kämpfen? War das etwa ein Kampf der Gerechtigkeit? Nein! Es war schrecklich… Und als ich begriff, wie die beiden jungen Personen vor mir nun empfinden mussten, kämpfte ich mit aufkommenden Tränen.

Doch ich schluckte sie hinunter. Ich musste stark sein! Stark für die beiden… damit sie sich schnell im Klaren wurden, dass dieser Kampf sie nirgendwo hinführen würde…

Nein! Zwei, die sich liebten, durften sich einfach nicht bekämpfen!! Oder?

Akt 11: Ein unvermeidliches Schicksal - Ein Zusammenspiel zwischen Priesterjagd und Lebensbaum

Trotz aller Härte bleibt eine schwache Hoffnung. Doch ohne die Bereitschaft Schmerz zu ertragen führt der Weg ins Nichts. Es wird geschworen immer ehrlich zu sein. Hier und jetzt und auch in der Zukunft. Was getan wird, muss aus Überzeugung geschehen.

Das Schwert des Schicksals wird gezückt, doch die Lüge kann die Wahrheit nicht täuschen…

Ein absurdes Glück erblüht, als der Nebel sich lichtet, aber das Schicksal lässt Glück auf Dauer nicht zu. Das zu akzeptieren fällt nicht leicht.

Eine schwere Entscheidung wird einem großen Herzen abverlangt…

Erkenne Dankbarkeit, erkenne Schande, erkenne deine Mutter, erkenne deinen Vater und deine Freunde.

Erkenne deine eigene Machtlosigkeit und du erkennst dich selbst!

 

Romeo holte zum Schlag aus, ebenso wie Juliet.

„Um unserer Liebe willen! Lass mich tun, was ich tun muss!“, rief sein Gegenüber, als sie seinen Schlag parierte.

„Das kann ich nicht!“, erwiderte er.

Meine Augen waren geweitet, ich kämpfte immer noch mit Entsetzen, mein Herz schmerzte in meiner Brust. Was war das nur für ein Gefühl, welches mich so fesselte?

Plötzlich konnte ich Juliets Stimme in meinem Kopf hören:

„Durch die Streiche seines Schwerts fühle ich, was Romeo fühlt. Und ich spüre seine Liebe.“

Auch Romeos Gedanken konnte ich wahrnehmen:

„Liebste Juliet, ich verlasse dich in dieser schweren Stunde nicht! Ich gehe mit dir den Weg bis zum Ende!“

Juliet erinnerte sich an das erste Treffen, wo Romeo sie vor der einstürzenden Treppe gerettet hatte, auch ich sah die Bilder klar und deutlich vor mir: Ein schneeweißes, fliegendes Ryuba.

Juliet als der Rote Wirbelwind. Romeo…

Andere Erinnerungen überdeckten die ersten: Ich sah, wie ein Hemd im Feuer verbrannte.

Also deswegen hatte sie das Taschentuch gestickt…

Dann der erste Kuss der beiden auf der Brücke. Das Feuerwerk.

Sie konnten sich gar nicht hassen oder bekriegen. Das ging nicht! Es war unmöglich!

„Oh Romeo, wir können an unserem Schwur nicht mehr festhalten. Unsere Wege müssen sich trennen... weil wir uns lieben.

Die Liebe ist das Kind der ewigen Freiheit. Und die letzte Freiheit ist der Tod. Ich habe dir nichts von Escalus erzählt, um unsere Liebe zu bewahren. Ich konnte diese Wahrheit nicht mit dir teilen, weil Zweifel und Mutlosigkeit mich sonst übermannt hätten. Es hätte mir das Herz gebrochen.

Ich liebe dich. Mehr als mein Leben. Und selbst wenn ich nicht mehr da bin, wird diese Liebe ewig bleiben.“

War ich nun verrückt? Wieso konnte ich ihre Stimmen wahrnehmen?

„Weil ich sie hören kann“, hörte ich Ophelia antworten und erschauderte augenblicklich.

Sie war hier… Ich drehte mich suchend um, konnte jedoch niemanden entdecken.

Romeo schlug Juliet nach einem erbitterten Kampf das Schwert aus der Hand, welches mehrere Meter weit von ihr wegflog.

Eigentlich war dieser Kampf etwas unfair gewesen… schließlich hatte Juliet nicht mehr ihre vollen Kräfte! Der Samen von Escalus musste sie ungemein schwächen.

Beide atmeten flach.

Romeo warf sein eigenes Schwert weg, während Juliet erschöpft auf die Knie sank.

Der junge Montague ging auf seine Geliebte zu und zog sie hoch in seine Arme, bevor er sie innig küsste.

Hinter uns brachen noch die restlichen stehenden Säulen auseinander.

Selbst die Decke bekam Risse und stürzte ein. Romeo und Juliet trennten sich voneinander und blickten verängstigt nach oben, wo nun Wasser aus der Öffnung strömte.

Ich vermutete, dass wir uns unter dem riesigen Schlossteich befanden und daher auch das ganze Wasser kam.

Plötzlich schoss etwas aus der klaren Flüssigkeit, das ich sofort wiedererkannte:

Es waren die Wurzeln des Baumes Escalus. Dennoch waren sie anders als sonst: Sie flimmerten schwarz.

Ich hatte diesen Baum noch nie in der Realität gesehen, immer nur in meinen Träumen.

Ich begriff plötzlich, was es mit diesem riesigen Geschöpf von Lebewesen auf sich hatte, das die ganze Welt hielt…

Neo Verona war verloren.

Eindeutig!

„Romeo!“, rief Juliet verzweifelt, als sich die einzelnen Steine unter der Brücke bereits hoben.

„Juliet!“, erwiderte der Montague ihr Rufen, er hatte die Hand ausgestreckt und schien stehenbleiben zu wollen.

„Romeo, zurück!“, brüllte ich, als ein besonders großer Ast zwischen Romeo und Juliet schwebte und schließlich die Brücke zwischen ihnen entzwei schlug.

Wir wurden von Juliet getrennt, zwei dicke Äste versperrten uns x-förmig den Durchgang.

Escalus schien sich noch ein allerletztes Mal aufzubäumen…

„Was geschieht hier nur?“, fragte ich panisch, immer mehr Äste tauchten aus dem Wasser auf, welche allesamt schwarz waren und eine Art Durchgang um die Grundrisse der Brücke bildeten.

Ich bekam die Antwort auf meine Frage. Ich hätte es wissen müssen…

„Ich hole die Tochter der Capulets. Die Vereinbarung muss eingehalten werden.

Der Samen muss keimen!“, sagte Ophelia und Juliets Augen weiteten sich ängstlich, als auch sie die Sprecherin erkannte.

Ihre rostrote Rüstung zerbrach an ihren Schlüsselbeinen, genau an der Stelle, wo sich der Samen befand… er leuchtete hell und das Symbol, das winzige Mal, das aussah wie ein Tropfen, breitete sich weiter aus.

Ich zuckte zusammen und ging keuchend in die Knie.

Dieser Schmerz… er war wieder da!

Juliet wurde in die Luft gehoben und fing an zu schreien, als ihr grün leuchtende Flügel aus dem Rücken brachen. Dann sprang das mystisch grüne Licht auf ihren ganzen Körper über, was sie hell erstrahlen ließ.

„Juliet! Was geschieht mit dir?“, entfuhr es Romeo entsetzt.

„Oh Romeo...“, stöhnte Juliet leise, bevor sie von uns weggezogen wurde.

Vor uns war die Brücke zerbrochen. Wir konnten ihr nicht zu Hilfe eilen!

„ROMEO!“, schrie die Capulet-Tochter verängstigt.

„JULIET!“, brüllten Romeo und ich durcheinander.

„Sie ist verschwunden!“, rief ich entsetzt.

Mein Körper stand unter Strom. Ich konnte es immer noch nicht so ganz realisieren, dass Juliet wirklich sterben würde.

Ich bückte mich, hob Romeos Schwert auf und hielt es ihm hin.

„Komm, Romeo. Wir beide werden jetzt über den Spalt kommen!“

Der Montague-Sohn nahm seine Waffe wieder an sich und ich blickte zu den Wurzeln.

Auch, wenn die Kluft uns nicht durchlassen würde, ich würde einen Weg finden!

Entschlossen legte ich meine Finger an die Lippen und pfiff so laut ich konnte.

Es dauerte nicht lange, dann hörte ich ein mir bekanntes Wiehern und meine Ryubastute flog durch das Loch in der Decke zu uns hinunter.

Ich lobte sie für ihr schnelles Erscheinen und Romeo und ich stiegen auf.

Mithilfe des fliegenden Tieres war es kein Problem über die zerstörte Brücke auf die andere Seite zu kommen.

Ich landete und schickte mein Ryuba fort. Ich wollte sie in Sicherheit wissen.

„Wieso fliegst du nicht weiter?“, wollte Romeo wissen.

„Weil es nicht geht. Der Baum würde es nicht zulassen. Wir benötigen eine andere Strategie“, sagte ich entschieden und er starrte mich an.

„Was meinst du damit?“

„Diese Wurzeln… sind von bösen Geistern besessen. Ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass Escalus wegen dieser bösen Geister stirbt. Wir müssen versuchen, sie zu vernichten!“, erklärte ich schnell. Die Zeit lief uns davon!

In der Ferne konnten wir Juliet schreien hören.

„Böse Geister? Aber… woher willst du das wissen? Und wie können wir sie vernichten?“, fragte Romeo weiter und in diesem Moment musste ich schmunzeln, so gefährlich und skurril diese Situation auch gerade war.

„Ich ziehe Geister an seit ich ganz klein bin. Ich kann sie sehen. Sie sind überall um uns herum im Baum. Und die einzige Möglichkeit, sie uns vom Leib zu halten, ist folgende: Wir müssen Wortketten spielen!“

„Wortketten? Warum spielen? Wir haben jetzt keine Zeit für solche Albernheiten!“, kommentierte Romeo leicht gereizt.

„Es ist ein magischer Bannkreis. Er hält die Geister ab. Dadurch können wir uns schützen!“, erklärte ich ihm.

„Und wie geht das?“, wollte er wissen.

„Ganz einfach. Ich bilde ein Wort, welches aus zwei aneinandergereihten Wörtern besteht, welche man auch einzeln verwenden kann. Und du musst dann mit diesem letzten Wortteil eine neue Wortkette bilden.

Wenn ich zum Beispiel sage: „Schreibfeder“, dann sagst du ein Wort mit „Feder“, beispielsweise „Federhut“. Dann muss ich wieder mit „Hut“, weitermachen, verstanden? Wir müssen uns immer abwechseln und die Kette darf nicht abbrechen, das ist wichtig!“, betonte ich.

„Gut, verstanden!“, sagte Romeo knapp und hob sein Schwert in Angriffsposition.

„Ich fange an: Priesterjagd!“, begann ich und Romeo erwiderte: „Jagdhunde!“

Wir rannten los, während ich mir hastig ein neues Wort überlegte: „Hundeschwanz!“

Die Wurzeln von Escalus schlugen nach uns aus, prallten jedoch an einem unsichtbaren Schild ab.

Sehr gut! Mein Plan funktionierte tatsächlich! Ich erinnerte mich an das letzte Mal, wo ich Wortketten gespielt hatte: Es war mit Mokona zusammen gewesen und wir waren mit einem Käfig unterwegs, in dem sich zwei Mondvögel befanden, welche nur bei Vollmond sichtbar waren.

Romeo und ich kämpften uns den Weg frei, während wir unsere Wortkette aufrechterhielten:

Schwanzwirbel!“, sprach der Montague-Sprössling.

Wirbelwind!“, entgegnete ich.

Windspiel!“

Spielfolge!“

Folgeherrscher!“

Herrscherschwert!“

Ich konnte Ophelia sehen, sie stand mit dem Rücken zu uns dem Baum Escalus zugewandt, vor welchem Juliet schwebte.

„Die Harmonie und die göttliche Vorsehung, die ewig erfüllt werden muss... Wenn die Tränen der Göttin die Erde befeuchten, wische sie mit deinem flammenden Haar fort, denn du bist die Auserwählte“, sagte die Priesterin feierlich und streckte ihre verdorrte Hand nach der Capulet-Tochter aus, welche panisch anfing zu schreien und sich zu winden.

Schwertschmied!“, hielt Romeo hastig die Wortkette weiter am Leben.

Schmiedeofen!“, erwiderte ich.

Ofenfeuer! Ich komme!“, rief Romeo und wir mussten vor einer besonders dicken Wurzel lange anhalten, da es einige Zeit in Anspruch nahm, sich durch den Ast zu kämpfen.

Irgendwie musste ich augenblicklich an Lanzelot denken, als ich mein nächstes Wort formte:

Feuertod…“

„ROMEO!“, schrie Juliet und wir arbeiteten uns die steilen Stufen zum Baum hoch, sprangen über Lücken in diesen und rammten unsere Schwerter in die Treppe, als ein erneutes Beben den Boden aus dem Gleichgewicht brachte und wir abzustürzen drohten.

„Wortketten? Ihr seid ja doch schlauer, als ich erwartet hatte. Aber es wird euch nichts nutzen! Denn eure Ketten sind vielleicht stabil genug, um dem geschwächten Baum zu entkommen… Aber mir nicht! Ich werde das Ritual abschließen, die Tochter der Capulets kann mir nicht entkommen!“

„Du kriegst sie nicht! Nicht meine Juliet!“, brüllte Romeo verzweifelt und wollte Ophelia angreifen, doch wir wurden von ihr nach hinten geschleudert und kamen stöhnend auf dem harten Boden auf. Na toll. Sie hatte uns gleich die gesamte Anhöhe hinuntergeworfen. Wir waren wieder so weit weg von ihr und der Rothaarigen.

Ophelia nutzte ihre Chance und schwebte zu Juliet hinauf, damit sie ihr direkt ins Antlitz sehen konnte.

Die Prinzessin war mittlerweile am Baumstamm von Escalus gefesselt und konnte sich nicht mehr bewegen.

„Wunderschön bist du, Tochter der Capulets!“, sagte sie grinsend und beugte sich zu ihr vor.

Juliets Augen weiteten sich panisch, als Ophelia sie küsste.

Ich rappelte mich auf. Verdammt! Warum konnten wir nur hilflos zusehen!?

„Juliet...“, wimmerte Romeo verzweifelt.

Langsam wich der entsetzte Ausdruck aus Juliets Augen und sie sah ins Leere, bis schließlich ihr Kopf auf ihre Brust sank.

„Versinke im Fluss des Todes! Verschmelze mit dem Baum Escalus! Der Samen beginnt zu keimen...“

Nach Ophelias Worten fiel Juliet in ihre Arme.

„Juliet, du... du darfst nicht... JULIEEEEET!“, schrie Romeo.

Nein! Es durfte nicht so kommen! Sie war doch nicht etwa…?!

„Was hast du Juliet angetan?“, fragte ich bebend.

„Sie hat den Kuss des Todes empfangen. Der Lebensbaum verlangt dieses Opfer. Sie wird nie wieder erwachen. Sie bleibt hier“, antwortete uns die Priesterin und ich spürte, wie Romeo neben mir erzitterte.

„Das nehme ich nicht hin!“, beschloss der junge Montague neben mir und hob entschlossen sein Schwert auf.

Todeskuss…“, setzte Romeo unsere Wortkette beinahe betäubt fort.

„Ich hole mir meine Geliebte zurück!“, schrie er feurig, in diesem Moment jedoch wackelten die übriggebliebenen Reste der Brücke unter uns und die Treppe, welche uns zu Juliet gebracht hätte, stürzte vor unseren Augen in die Tiefen des Wassers, in welchem Escalus stand.

Ich sah die Wurzeln an: Das Grün, welches noch vereinzelt auf ihnen zu finden war, verdorrte, dieser Vorgang zog sich langsam bis nach oben hin weiter fort.

Kusshand!“, erwiderte ich verängstigt.

Handdruck!“

Druckgefühl!“

Irgendwie wurden unsere Worte immer skurriler. Aber ich konnte nichts daran ändern, mir fiel in dieser stressigen Situation einfach nichts Besseres ein.

„Die Zeit drängt. Escalus stirbt“, versuchte Ophelia zu erklären und ein dicker Ast schirmte Juliet und sie vor unseren Blicken ab, doch ich schüttelte verbittert den Kopf.

Das würde ich nicht zulassen…

„Halt! Warte!“, rief Romeo und urplötzlich sausten die Wurzeln von Escalus auf uns herab, sie schienen noch wilder geworden sein als zuvor.

„Wir müssen die Kette wieder aufrichten! Gefühlsleben!“, rief ich und Romeo sah mich verzweifelt an.

Lebensbaum!“, erwiderte er dennoch und wir hielten uns an einer wild umherschlingernden Wurzel fest, welche uns über die Schlucht zum Lebensbaum hinüberbrachte.

Mein Magen drehte sich bei dieser Bewegung zwar beinahe um, doch das war es mir in diesem Moment wert.

Juliet brauchte unsere Hilfe, und zwar dringend!!

Wir konnten die Worte dieser Hexe noch klar und deutlich hören, obwohl sie sich vor uns geschützt hatte:

„Das Namenlose ist der Anfang und das Ende von Himmel und Erde. Ich bringe dir die Tochter der Capulets. Nimm sie entgegen, Escalus!“

„Hör auf, Ophelia!“, rief ich, doch die Priesterin ignorierte mich.

Sie hob ihre Hände, welche mittlerweile beide vertrocknet waren.

„Stets ohne Wunsch sieht man das Geheimnis. Stets voller Wünsche sieht man die Erscheinungsform. Zwei Flügel tragen das Leben. Sie entspringen der gleichen Quelle, unterscheiden sich jedoch. Dieser hier erscheint dunkel. Durch den Atem der Erde erneuert er sich.“

Juliet begann bei ihren Worten plötzlich golden zu leuchten.

Sie bewegte sich immer noch nicht, ihre Arme waren ausgestreckt, sie sah beinahe so aus, als wäre sie an ein unsichtbares Kreuz genagelt worden.

„Juliet, nicht!“, brüllte Romeo neben mir panisch.

Die Wurzeln hatten mich getroffen, da unsere Wortkette erloschen war, ich wischte mir Staub und Blut aus meinem Gesicht und starrte nach oben.

Der Stamm von Escalus teilte sich, Juliets Flügel breiteten sich aus und umschlossen sie.

„Bitte bleib bei mir!“, rief Romeo und ich knirschte mit den Zähnen, während Ophelia selbstgefällig grinste.

„ICH WILL DICH NICHT VERLIEREN!“

Romeo tat mir so leid, wir konnten beide nichts ausrichten, ohne einen geeigneten Plan waren wir völlig hilflos.

Juliet wurde so dicht von ihren goldenen Flügeln umschlossen, dass ich sie kaum mehr richtig erkennen konnte. Dann wurde sie in den offenen Stamm des Baumes gezogen, welcher sich anschließend wieder zusammenzog und es sah so aus, als wäre die Rothaarige nie hier gewesen, niemals an diesem Ort.

Doch etwas veränderte sich: Escalus fing wieder an zu sprießen.

„Meine Juliet...“

Ich half Romeo auf, welcher zwischen seiner Wut, aber auch gegen Machtlosigkeit und Verzweiflung anzukämpfen schien.

„Trotzdem zerbricht die Welt weiter. Diese verzweifelte Kraft... Ich spüre sie“, stellte die Priesterin fest.

„Ja, natürlich! Schließlich will sie kein Baumableger werden!“, antwortete ich erzürnt.

„Sie will es nicht...“, wiederholte die Hexe gedankenverloren und blickte zu uns nach hinten.

„Es wäre auch ungerecht! Warum soll sie... für etwas ein Opfer bringen, für das wir alle die Schuld tragen? Sag mir, warum!“, forderte Romeo zu wissen.

„Aber es ist nicht nur sie. Viele Capulets mussten sterben. Und sie haben durch ihr Blut Neo Verona und unsere Welt gestützt. Wollt ihr denn... dass die totale Zerstörung eintritt?“, fragte Ophelia und ich musste schlucken. Wollte ich das? War ich hier in dieser Welt nicht eigentlich nur ein Gast?

Nein… ich realisierte in diesem Moment, dass ich schon lange ein Teil von ihr geworden war.

Für Romeo und Juliet wollte ich… dass diese Welt weiterexistierte!!

„Wenn das unser Schicksal ist, dann soll es so sein! Ich habe meiner Geliebten geschworen, dass ich mit ihr gehe! Bis in den Tod und darüber hinaus!“, sagte Romeo entschlossen und ich sah ihn überrascht an. Er würde das Ende der Welt in Kauf nehmen?

Liebe war ein wahrhaft starkes Gefühl…

„Was bist du doch für ein Narr...“, antwortete die Priesterin und schwebte direkt vor uns.

Ich musste schlucken und dem Drang widerstehen, nicht vor ihrer flimmernden Gestalt zurückzuweichen.

Auch sie war besessen… es war nicht nur der Baum, sondern die bösen Geister hatten auch sie fest im Griff! War das der Grund, warum sie so schlimme Taten vollbrachte?

Warum sie Juliet opfern wollte?

„Du siehst nicht, in welchem Zustand die Welt ist...“, stellte Ophelia fest.

„Du bist es, die den Zustand der Welt nicht sieht!“, widersprach ihr Gegenüber und starrte ihr immer noch entschlossen in die Augen.

Die Priesterin hob eine verdorrte Hand, welche immer größer wurde und richtete sie gegen Romeo.

„Verzweifle, verdorre... Löse dich auf!“

In diesem Moment… fasste ich einen Entschluss.

Ich wusste, dass Yuko mir strengstens verboten hatte, mich in den Lauf der Geschichte einzumischen, doch es war mir gerade völlig gleichgültig.

Dieses Mal handelte ich – und zwar mit vollster Absicht!

Ich hob mein Schwert und schlug Ophelia die erhobene Hand ab.

„Schnell, Romeo, geh du zu Juliet! Ich lenke sie ab!“, befahl ich und der Montague-Sohn gehorchte mir.

„Jetzt müssen wir wohl ohne Ketten auskommen… auf Distanz wirken sie nicht!“, merkte ich noch an und der Geliebte von Juliet nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

„Wie sinnlos...“, kommentierte Ophelia und ließ eine Wurzel von Escalus angreifen.

„JULIET!“, brüllte Romeo, als er sich weiter zu ihr durchkämpfte, „Ich komme dich holen, Juliet! Ich bin gleich bei dir...“, versuchte der junge Mann weiterhin auf seine Geliebte einzureden, welche ihn jedoch offensichtlich nicht mehr hören konnte.

Der junge Mann arbeitete sich weiter vorwärts und schaffte es schlussendlich sein Schwert in den Lebensbaum zu rammen und in das Innerste seines Stammes einzudringen.

„Der Baum Escalus möchte nicht derart belästigt werden“, rief Ophelia und wollte Romeo erneute Hindernisse aufbürden, als ich mich einmischte:

„Lass Romeo durch!“, verlangte ich und holte zu einem erneuten Schlag aus, „Ich bin jetzt dein Gegner!“

„Verschwende keine Kraft. Das Mädchen folgt seinem Schicksal...“, sagte Ophelia ruhig und blickte mir in die Augen. Ihre rechte Gesichtshälfte war nun ebenfalls verdorrt. Ob ihr Leben mit dem des Baumes verknüpft war?

Ich ließ kurz mein Schwert sinken, beinahe betäubt von ihrer Aussage, welche so sicher, so… allgegenwärtig klang.

„Du solltest dein Schwert nicht sinken lassen, Watanuki“, erinnerte mich die Priesterin an meine Deckung und ich schlug einen erneuten Ast entzwei, welcher von hinten auf mich zugeschossen kam.

„Warum tust du das, Ophelia? In meinen Träumen warst du immer… so mitfühlend! Wieso tust du so etwas Grausames?“, fragte ich und die Hexe musste lächeln.

„Etwas geheimnisvoll Geformtes, das schon vor Himmel und Erde entstand... In Schweigen und Leere steht es einzig und unwandelbar da... Es ist immer gegenwärtig und in Bewegung“, antwortete sie mir.

„Hör auf in Rätseln zu sprechen, Ophelia!“, rief ich und hob mein Schwert höher.

„Hast du es nicht bereits selbst bemerkt, Watanuki? Du hast all diese Träume gehabt… die Welt ist dem Untergang geweiht, wenn Juliet sich nicht opfert!“

„Nein! Ich glaube daran, dass man sein eigenes Schicksal ändern kann, wenn man es will! Juliet hat es bewiesen! Immer und immer wieder hat sie ihre Bestimmung verändert!“, widersprach ich ihr und setzte zu einem erneuten Angriff an.

„Diese Sturheit, die ihr Menschen in euch tragt… sie ist schlussendlich euer Untergang.

Der Egoismus, der euch prägt, vergiftet Escalus…“

„Ich bin nicht egoistisch!“, rief ich.

„Du weißt, dass ich nicht aus dieser Welt komme, daher kann es mir theoretisch gleichgültig sein, was mit ihr passiert! Aber das ist es mir nicht! Ich kämpfe um der beiden Menschen willen, welche gerade dort oben sind! Ich will, dass sie glücklich werden!“

„Das ist unmöglich!“, antwortete Ophelia und traf mich mit einer Wurzel, die aus meinem toten Winkel angeschossen kam.

Ich wurde nach hinten geschleudert und keuchte auf, als mir der Aufschlag die Luft aus meinen Lungen presste.

„Oh Romeo, beeil dich doch endlich, ich weiß nicht mehr, wie lange ich sie noch aufhalten kann…“, flüsterte ich. Ich merkte, dass ich nicht wirklich ein Meisterkämpfer war und so langsam aber sicher mit der Situation überfordert war.

Als ich auf dem Rücken lag, nutzte ich die Gelegenheit und schaute kurz in den Nachthimmel, wo ich die Sterne erkennen konnte. Escalus hatte sich bereits seinen Weg nach oben gebahnt und die komplette Decke über uns weggesprengt. Kein Wunder, dass so viele Teile herabgeregnet waren, ganz von den um sich schlagenden Wurzeln abgesehen.

Das Firmament war irgendwie dunkel… zu dunkel…

 

Und die Nacht wurde immer dunkler und dunkler und das Feuer loderte noch ein letztes Mal, es bäumte sich noch einmal auf, bevor es schlussendlich starb.

 

Würde es Escalus genauso ergehen? Würde er ohne Juliets Willen, sich für ihn zu opfern einfach erlöschen, so wie ein Feuer, welches irgendwann zum Tode verurteilt war?

Ich sah Romeo schon lange nicht mehr. Er war in den Stamm vorgedrungen und befand sich hoffentlich bei Juliet.

Escalus trieb nach oben hin plötzlich zwei riesige Blätter aus, welche grünlich leuchteten und Juliets Flügeln sehr ähnlich sahen… Romeo war doch nicht etwa zu spät gekommen?

Entsetzt starrte ich auf dieses Phänomen, als Ophelia meine Aufmerksamkeit erneut an sich zog.

Ich wich ihrem Angriff aus und flüchtete in die höher gelegenen Baumabschnitte, bis ich hoch oben bei den seltsam geformten Blättern angekommen war.

Plötzlich hörte ich einen markerschütternden Schrei:

„Wach... auf! JUUUUUUUULIET!“

Also hatte Romeo sie noch nicht wach gekriegt… Verdammt nochmal!

Was mich in diesem Moment fast wahnsinnig machte, war Ophelias beinahe schon irres Grinsen. Sie leuchtete tiefschwarz, die Geister in ihr schienen stärker zu werden.

Zeitgleich wurden die Blätter von Escalus immer größer und klappten auseinander.

Dies hatte zur Folge, dass der Baumstamm bis ganz unten aufbrach.

Anscheinend bedeutete dies nichts Gutes, da Ophelia leidend aufschrie und weiterverdorrte.

Beinahe ihr ganzes Gesicht glich nun einem verholzten Baumstamm, ihre leuchtend blauen Augen waren fast vollkommen unkenntlich geworden.

Doch dies war noch nicht alles: Ein helles, goldenes Licht erschien in der Mitte der Blätter und breitete sich schlagartig aus.

Ich wurde geblendet, ließ mein Schwert fallen und hielt mir die Augen zu.

Zuerst dachte ich, dies sei das Ende: Dieses Licht schien alles in seiner Umgebung zu verschlingen, doch als ich meinen stockenden Atem wahrnahm, roch ich plötzlich etwas, mit dem ich nun gar nicht gerechnet hatte...

Ich traute mich die Augen zu öffnen, um mich mit meinem Augenlicht selbst davon zu überzeugen und tatsächlich: Mein Geruchssinn hatte mich nicht getäuscht: Überall fielen weiße Iris vom Himmel.

Es sah aus, als ob es schneien würde, doch dieses Mal war es kein Schnee, sondern ein Regen aus weißen Blumenblüten.

Ich öffnete verzaubert eine Hand und eine Blume landete weich und warm darin.

„Eine weiße Iris? Juliet…?“, hauchte ich und sah zu Romeo herüber, welcher die Capulet-Tochter in seinen Armen hielt.

Die beiden grünen Blätter waren verschwunden und der höchste Teil des Baumes hatte sich in eine Art Plattform verwandelt, auf welcher wir nun standen.

Ich hob mein Schwert auf, ging langsam zu den beiden hinüber und ließ mich neben Romeo  auf die Knie fallen.

„Sieh mich an, Juliet...“, bat der junge Mann, woraufhin die Rothaarige langsam ihre Augen aufschlug.

Ein Gefühl von Erleichterung und Glück schoss durch meinen Körper.

Ich war so froh, sie war wieder wach, sie war bei uns!!

„Oh... Oh Romeo“, begrüßte sie ihn schwach und wir mussten lächeln.

„Du bist wieder frei, Geliebte. Ich erlaube dem Schicksal nicht mehr, dich so zu quälen.

Die Folter, der du ausgesetzt warst, hat ein Ende. Ruh dich in meinen Armen aus“, sagte Romeo sanft und Juliet schloss lächelnd die Augen.

Hatte ich durch mein Eingreifen wirklich das Schicksal verändert?

Nein… denn Ophelia war noch nicht besiegt!

Die zu einer Holzversion ihrer selbst gewordene Priesterin tauchte hinter Romeo auf.

Der Regen von Irisblüten hörte plötzlich auf, als die Hexe erschien.

„Der Pulsschlag des Verfalls ist immer noch spürbar. Die Welt kann nur weiter überleben, wenn sie die große Kraft von Escalus besitzt... und dafür habe allein ich zu sorgen.

Der Baum Escalus ist das einzige Lebewesen, das es zu schützen gilt. Und deswegen lasse ich auf keinen Fall zu, dass er stirbt.“

Romeo legte Juliet sanft auf der Plattform ab, erhob sich und richtete sein Schwert auf Ophelia.

„Dass dir der Baum am Herzen liegt, kann ich verstehen. Aber die Menschen sind es, die es zuerst zu schützen gilt!“, sprach er entschlossen, durch Juliets Rettungsaktion war er verletzt worden, Blut tropfte aus einer Wunde an seiner rechten Wange.

„Du widersetzt dich, junger Krieger! Das ist ein Fehler!“, schrie Ophelia, sie hatte die Augen verengt.

Eine Wurzel schoss auf Romeo zu, welcher überrascht die Augen weitete.

Für mich geschah dies alles in Zeitlupe: Romeo zückte sein Schwert, doch das Entsetzen in seinen Augen wich nicht.

Ophelia steuerte mit ihrer spitzen Wurzel genau auf seinen Körper zu…

Ich realisierte, dass ich mit meiner Ablenkung vorhin noch gar nichts verändert hatte!

Die Änderung des Geschichtsverlaufes… folgte erst jetzt!

Ich musste es einfach tun, es waren nur vier Schritte, die ich entfernt war…

Ich rannte zwischen sie und breitete schützend meine Arme vor Romeo aus.

„Watanuki, weg da!“, brüllte der Montague-Sprössling, aber ich reagierte nicht.

Meine Augen fixierten die Wurzel, welche nun auf mich zuschoss und Panik ergriff meine Gedanken, jedoch konnte ich nicht mehr fliehen, selbst wenn ich gewollt hätte…

Meine Beine bewegten sich nicht mehr, meine Augen waren geweitet.

Es sollte so sein. Ich würde hier sterben.

Für Romeo und Juliet… für ihre Liebe, für das Schicksal, welches die beiden miteinander verband… und für ganz Neo Verona!

Ein Schatten war für mich die einzige Vorwarnung, denn die nächsten Ereignisse überschlugen sich:

Ich spürte, wie ich von etwas Großem zur Seite gestoßen wurde.

Hart landete ich auf dem Bauch und blieb keuchend liegen.

„Watanuki! Habe ich dir vor einiger Zeit nicht ins Gewissen geredet, dass der Freitod keine Wahlmöglichkeit darstellt?“, hörte ich eine vorwurfsvolle Stimme über mir.

Ich blickte nach oben, wo ein Ryuba wieherte. Mein Ryuba… Und sie trug einen mir sehr bekannten Reiter auf dem Rücken… Anscheinend hatten sie mich zur Seite gestoßen.

„William?“, entfuhr es mir ungläubig.

Der Dichter landete und richtete mich auf.

„Du hast dich zu viel eingemischt, Watanuki. Du sollst hier nicht sterben. Weder du, noch ich“, sagte William ernst und hielt meine Hand fest, als er mich nach oben zog.

Mein Blick schweifte zu Romeo.

„R… Romeo!“, entfuhr es mir, als ich mit wachsendem Entsetzen sah, dass die riesige Wurzel ihn durchbohrt hatte und er nur noch schwerfällig atmete.

Doch nicht nur er hatte eine tödliche Verletzung eingesteckt: Auch Ophelia war von seinem Schwert durchstochen und verschmolz mit Escalus zu einem leblosen Stück Holz.

Den Mund hatte sie noch zu einem lautlosen Schrei aufgerissen, den jedoch niemand mehr zu Gehör bekam, da sie kurz daraufhin zersplitterte.

Die Wunde Romeos sah wirklich schlimm aus… Seine Rüstung war zerstört und dunkelrotes Blut tropfte zu Boden.

Der Untergrund bebte erneut und langsam fiel alles um uns herum auseinander:

Türme brachen weg, Boden löste sich und fiel ins Nichts. Der schwebende Kontinent löste sich auf. War das der endgültige Untergang?

Ich lief zu Romeo hinüber und kniete mich neben ihn, wie durch ein Wunder lebte er noch.

Ein paar Irisblüten hatten sich noch in der Luft verirrt, doch dieses Mal kamen sie mir wie Tränen vor, welche in den Himmel schwebten, was mir zeigte, dass wir abstürzten, langsam sank der Boden nach unten und wir mit ihm.

„Oh Romeo!“, rief Juliet, welche offensichtlich aufgewacht war.

Sie eilte zu uns herüber und stütze ihren Geliebten, ich machte ihr Platz.

„Juliet...“, flüsterte der Verletzte schwach und hatte sich etwas zu ihr aufgerichtet.

„Oh Romeo...“, wiederholte Juliet kraftlos und Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln.

Der sterbende junge Mann ihr gegenüber legte seine rechte Hand an ihre Wange, welche Juliet mit ihrer linken festhielt.

„Du hast Gefühle in mir geweckt, die ich nicht kannte. Durch dich habe ich lieben gelernt. Ich bin so glücklich. Ich habe in unserer Liebe... ein Zuhause gefunden. Juliet... Der Klang deiner Stimme schallt in mir. Ich wandere zwischen den Welten mit dir als Gefährtin“, erklärte er stockend und blickte ihr mit einem immer trüber werdenden Blick in die Augen.

„Romeo...“, hauchte Juliet und hielt ihn weiterhin fest.

„Oh Juliet. Ich werde deinen Namen nicht mehr rufen können... und meine Augen werden dich bald... nicht mehr... erblicken, Juliet“, endete er und zuerst dachte ich, dass die beiden sich noch einmal küssen würden, doch Romeo sank vornüber auf Juliets Schulter, die Augen geschlossen, der rechte Arm löste sich von ihrer Wange und schwang locker Richtung Boden.

Er war tot.

Juliets Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie fing an zu schreien, hell und grell hallte ihre Stimme im Abendhimmel wider.

Ich senkte den Kopf. Wofür hatte ich eigentlich gekämpft? Romeo war tot… ich hatte ihn nicht beschützen können.

Mein Blick wanderte zu William, ich verengte die Augen.

„Empfindest du Hass für mich, weil ich dich statt ihm gerettet habe, Watanuki? Glaubst du, dass man bei so etwas eine Wahl hat?“

Ich musste schlucken. Was empfand ich gerade?

Verzweiflung. Pure Verzweiflung, Machtlosigkeit, Trauer. Das war die richtige Beschreibung meiner Gefühle.

Um uns herum zerbrachen noch die Reste des Schlosses, Juliet weinte, sie hielt immer noch Romeo in den Armen.

Ich legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter, doch sie schluchzte weiter, was mich nicht verwunderte. Ihr Herz war gebrochen. So wie meins in diesem tieftraurigen Moment.

William hatte sich wieder auf meine Ryubastute gesetzt.

„Steigt auf! Die Welt bricht zusammen!“, forderte er uns auf und ritt näher.

„Na komm. Wir nehmen dich mit“, bot ich ihr an, allerdings ignorierte Juliet unsere Worte.

„Romeo... Sag meinen Namen noch ein letztes Mal. Dir muss kalt sein, mein Geliebter. Ich lass dich nicht allein“, flüsterte sie und strich ihm ein letztes Mal sanft über die Lippen.

„Romeo wollte dich erlösen, Juliet. Er wollte an deiner Stelle sterben, er hat dich wirklich über alles geliebt!“, versuchte ich behutsam auf sie einzureden, meine kurzen Haare wehten im Wind.

„Wir bleiben zusammen... bis dass der Tod uns scheidet. Und nichts, was geschieht, kann uns je wieder trennen.

Romeo hat seinen Schwur gehalten. Er ist bis in den Tod bei mir geblieben.

Und deswegen... will auch ich das tun!!“, entschied sie entschlossen.

„Aber das darfst du nicht, Juliet!“, widersprach ich ihr entsetzt und sie sah mich liebevoll an.

Ihre rostroten Haare schwangen im Wind, ihre grünen Flügel hingen an ihrem Rücken hinunter, ihr Leuchten war erloschen.

„Ich bin hier... um euch zu retten. Und um die Welt zu beschützen, in der ich euch und Romeo begegnet bin. Ich wollte mein Schicksal annehmen, aber dabei Romeos Liebe nicht verlieren. Doch beides geht nicht, nur deswegen habe ich Romeo verloren… weil ich etwas Unmögliches wollte!“, erklärte sie mir.

„Und der Lebensbaum Escalus ist schon tot...“, bedauerte ich leise.

„Nein. Nein, das ist er nicht.

Diese feinen Flügel und das Samenkorn in meinem Körper leben noch. Ich kann ihren Herzschlag spüren.

Der Baum Escalus lebt in meiner Brust. Und bevor sein Herzschlag endgültig verstummt...“ Ihre Worte brachen ab und sie drehte sich wieder zu Romeo, um den Schluss nicht aussprechen zu müssen.

„Tu das nicht, Juliet...“, bat ich sie eingehend. Ich kämpfte bereits mit den Tränen.

Ich wollte nicht, dass sie starb! Ich hatte sie hier kennengelernt… zusammen mit ihr gelacht und viele Abenteuer erlebt. Sie war so eine starke Frau. Sie durfte nicht einfach so sterben!

Juliet drehte sich noch einmal zu mir um, in ihrem Blick lagen Güte und Freundlichkeit, beinahe schon aufmunternd klangen ihre letzten Worte an uns:

„Bitte geht!“

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

„Komm, Watanuki. Sie hat sich entschieden!“, sagte William, welcher den Kopf hatte sinken lassen und wollte mich zu sich ziehen, doch ich riss mich los.

„Nein!“, antwortete ich bestimmend, beinahe betäubt, doch das nächste Mal griff der Dichter härter zu und zog mich auf das Ryuba.

Juliets Flügel richteten sich auf und leuchteten erneut grün.

„Nein, Juliet!“, rief ich und wollte nach ihr greifen, allerdings versperrten mir Williams Arme den Fluchtweg, da er noch immer die Zügel festhielt.

„NEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIN, JULIEEEEEEEEEEEEEET!!!“, schrie ich und Tränen der Verzweiflung entflohen meinen blauen Augen.

Der Flugwind trug das Zeugnis meiner Gefühle zu Boden, als sich meine Ryubastute in die Luft erhob.

Ein helles, goldenes Leuchten kam von Juliet, welches die gesamte Nacht erhellte.

Es tauchte Escalus in einen goldenen Schimmer.

Juliet hielt Romeo immer noch in den Armen, hob seine linke Hand an ihre rechte Wange und drückte ihn an sich.

„Ich liebe dich so, Romeo. Ich bleibe für immer bei dir. Ich lass dich nicht gehen.“

Der Wind trug ihre Worte zu uns, das Ryuba flog noch nicht besonders hoch.

Juliets Flügel wuchsen weiter, bis sie riesig waren.

Goldene Funken gingen von ihr aus, welche die Nacht hell glitzern ließen.

„Ein warmes Licht erhellt den Himmel“, sprach William langsam, ich drehte mich zu ihm um und bemerkte, dass auch er weinte.

„In diesem Moment fand ein Dichter seine Tränen ebenfalls wieder“, lächelte er und schien auch zu spüren, dass diese goldenen Funken die Trauer in unseren Herzen zu vertreiben suchten und uns beruhigten.

„Lebensbaum Escalus, höre mein Gebet und nimm mein Opfer an. Mein Herzschlag soll dich neu beleben!!“

William zog die Ryubastute nach oben.

Ich schluchzte immer noch.

„Juliet!!“, flüsterte ich hilflos, als wir hoch über dem abstürzenden Land schwebten.

In diesem Moment teilten sich ihre beiden Flügel in sechs auf, welche noch größer wurden und den Sturz des Kontinents abzufangen schienen.

„Höchste Zeit von hier zu verschwinden!“, meinte William relativ gefasst und die Ryubastute flog durch die Wolkendecke, welche diese Welt umgab, nach unten.

Dort konnten wir die Geschehnisse besser verfolgen: Der Kontinent setzte im Meer auf, wodurch eine riesige Welle ausgelöst wurde.

Der Morgen brach an, welcher von einem Regenbogen begleitet wurde.

Doch der Kontinent… war in Sicherheit! Zur Insel geworden, setzten sich die zusammengebrochenen Teile wieder zusammen und grüne Wiesen und Bäume wuchsen aus dem verdorrten Boden empor.

William und ich landeten auf einer Wiese voller Irisblumen.

Dies war die Ruine der Kirche von Neo Verona, wo Romeo und Juliet sich so oft getroffen hatten…

„Dass Escalus die Welt trug, wussten wir nicht. Auch dass Neo Verona in der Luft schwebte, war uns unbekannt. Richtungslos wie der rastlose Wind trieben wir durch die Weltgeschichte. So wie im normalen Leben. Wir treiben ruhelos durch unser Dasein, auf dem Weg nach einem Ziel, welches uns jedoch verborgen bleibt.“

Ich sah ihn an, tiefe Trauer erfüllte mein Gemüt, gerade jetzt, wo ich wieder an diesem Ort stand, welcher so viele Erinnerungen in sich trug.

Ich nahm meine Brille ab und schniefte laut.

„Der Kampf, der Hass, die Traurigkeit, die Schmerzen, doch die Liebe hat gesiegt, denn die höchste Tugend liegt darin der Liebe und nur der Liebe zu folgen.

Denn die Liebe ist der Keim der Schöpfung, das habt ihr beide uns gelehrt!“, sprach William, pflückte eine Irisblume und roch daran.

Ein lautes Wiehern ertönte und ein schneeweißes Ryuba gesellte sich zu meiner Stute, welche ihren Artgenossen freudig empfing.

„Das ist das Ryuba von Romeo…“, stellte ich leise fest und als Chielo mich sah, wieherte er freudig, bevor er sich gierig zu den Iris hinunterbeugte, um zu grasen. Ja. Das weiße Ryuba liebte Irisblumen, ich erinnerte mich…

Immer noch weinend fiel ich auf die Knie, als die einströmenden Erinnerungen mein Gemüt schwer werden ließen.

„Watanuki… diese Tat, welche du begehen wolltest, dich für jemand anderen zu opfern, hat mir gezeigt, dass du endlich das gelernt hast, was du vorher nie verstanden hast: Du hast die Erfahrung gemacht wie es ist, mit anderen mitzufühlen und deren Schicksal zu verstehen.

Diese Bewusstheit für dein Verhalten hast du nun erreicht. Du hast Respekt vor Geschichten gelernt, du hast verstanden… sie wertzuschätzen!“

Ich sah ihn mit tränenverschleiertem Blick an.

William beugte sich zu mir hinunter und wischte mir die Tränen von den Wangen.

„Juliet hätte nicht gewollt, dass du so viel weinst, Watanuki“, sagte er sanft und ich schniefte.

Verdammt, seit wann war ich denn so sentimental?

Doch schließlich… formte sich ein Lächeln auf meinen Lippen.

„Du hast Recht, Willy… das hätte sie nicht gewollt… sie hätten es beide nicht gewollt!!“

Und da entdeckte ich etwas, das vorher noch nicht hier gewesen war: Es wuchsen nicht nur Irisblumen auf dieser Wiese, nein… sondern plötzlich auch wunderschöne, rote Rosen.

Akt 12: Shakespeares verlorene acht Jahre

Wir können Etwas nur als schön wahrnehmen, weil es auch Hässliches gibt. Daher zeigen sich auch haben und nicht haben gemeinsam. Hoch und tief ruhen aufeinander und obwohl sie nacheinander verlangen, müssen sie mit den Tränen der Trauer kämpfen.

Worte des Abschieds müssen gefunden werden. Gefühle der Dankbarkeit sollten anerkannt werden. Sie sind getrennt und dennoch bleiben sie sich ewig nah. Mit einem sanften Lächeln endet eine Liebesgeschichte, die nie bereut wurde!

 

„Am liebsten würde ich ja immer hierbleiben… diese Welt gefällt mir wirklich sehr gut!“, sagte William und ich blickte auf.

War es Zeit zurückzukehren?

„Der Gegenwert für diesen Wunsch würde dein Leben überschreiten, Willy. Es ist unmöglich!“, hörte ich plötzlich eine mir vertraute Stimme und wandte mich um.

Yuko blickte auf uns hinab, sie war in einer Art rundem Portal erschienen, welches sicherlich Mokona geöffnet hatte.

„Hallo Yuko-san!“, grüßte ich sie halbherzig.

„Hallo Watanuki. Wir haben uns aber schon sehr lange nicht mehr gesehen!“, fing die Hexe auch munter an zu plaudern und ich nickte leicht.

„Du hast dich verändert. Das sehe ich dir an! Deine Gesichtszüge… sie sind plötzlich so anders! So… erwachsen!

Dann ist unser Plan ja wohl aufgegangen, oder, William?“

„Ja, man könnte es so sagen. Ich denke, er wird dir viel zu erzählen haben, Hexe… er hat eine Menge erlebt!“, nickte Willy und bedachte mich mit einem Seitenblick.

„Ach so?“ Fragend schaute mich Yuko an, dann wandte ich meinen Blick von ihr ab.

Ich wollte nicht, dass sie mich weinen sah.

„Wir werden bald zurückkehren!“, versprach der Schriftsteller und die Hexe nickte.

„In Ordnung. Ihr habt beide eure Aufgabe gut bewältigt! Sie war von Erfolg gekrönt!“, lobte Yuko, doch ich sah sie erneut mit einem traurigen Blick an.

„Also war es von Erfolg gekrönt, wenn sich zwei Menschen zum Wohle aller geopfert haben?“, fragte ich und Yuko lächelte, bevor sie nickte.

„Oh ja. Es war ihr unvermeidliches Schicksal!“, sprach sie und ich blickte erneut zu Boden, auf dem sich Rosen und weiße Iris gegenseitig berührten. Ich sah augenblicklich Romeo und Juliet vor mir, wie sie sich ein letztes Mal küssten.

„Nun denn, Yuko! Den Gegenwert für unseren Aufenthalt hier… werde ich dir zukommen lassen, sobald er wirklich fertig gestellt ist!“

Wovon sprach der Dichter denn da schon wieder?

Mochten es eigentlich alle, mich auszuschließen?

„Sehr gut. Dann wünsche ich euch eine gute Heimreise!“, verabschiedete sich Yuko, bevor sie verschwand.

„Tja, es wird wohl Zeit, dich aufzuklären, Watanuki…“, fing Willy an und ich sah ihm in die Augen.

Würde er mir endlich erzählen, was hier alles vor sich gegangen war?

„Watanuki… du hast mich sehr oft abends in meiner Schreibkammer besucht. Sicherlich ist dir der ganze Stapel Pergament nicht entgangen…

Ja, es ist wahr. Diese Welt hier und alles, was passiert ist… habe ich geschrieben!“

„ICH WUSSTE ES!“, brüllte ich los, hatte ich es doch die ganze Zeit geahnt!!

„Allerdings… hast du es gelebt, Watanuki! Ich bin einerseits hierhergekommen, um Ideen zu sammeln für ein neues Buch! Es soll „Romeo und Juliet“ heißen und eine Tragödie werden!

Andererseits war ich hier, um einmal in meiner eigenen Geschichte mitspielen zu dürfen. Das muss wahrlich der Traum eines jeden Autoren sein!

Und da ich so gute Kontakte zu Yuko pflege, habe ich mir diesen Wunsch erfüllt!“

„Und was sollte ich dann hier genau? Eigentlich dachte ich, ich sei hier, um etwas verändern zu können, aber das erwies sich wohl als Fehlschlag…“, fragte ich.

„Diese Frage habe ich dir bereits bei unserem ersten Treffen in dieser Welt beantwortet, Watanuki! Du solltest lernen, dich mit deinen Mitmenschen auseinandersetzen. Das wird dir in deinem Leben unheimlich weiterhelfen, glaub mir!

Und du hast diese Welt sehr wohl verändert!

Denkst du nicht auch, dass du Juliet sehr oft beschützt hast und ohne dein Zutun einige Situationen ganz anders gekommen wären?

Was wäre beispielsweise mit Romeo passiert, wenn du Ophelia nicht von ihm abgelenkt hättest, als er Juliet in den Stamm von Escalus gefolgt ist? Glaubst du, er hätte sie erreicht?

Was wäre passiert, wenn Romeo nicht gestorben wäre und Juliet ihren Willen, die Welt zu retten nicht gefunden hätte? Dann wäre auch der Samen in ihr gestorben.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass du einen ganz wesentlichen Teil zu den Geschehnissen beigetragen hast! Und der letzte Grund, warum ich dich mitgenommen habe… wird sich dir noch erschließen! Da bin ich mir ganz sicher!

„Heißt das, die Geister, die ich bei Ophelia und dem Baum gesehen habe… und all diese Träume…“

„Wurden von mir geschrieben, ja!“, bestätigte Willy.

„Also, war es nicht meine Schuld, dass die Dinge so einen Lauf genommen haben…“

„Nein. Und das Himawari und Domeki mitgespielt haben, ist Yukos Schuld. Sie hat mir ein… ich glaube bei euch nennt man es Foto, eine Art neuzeitiges Gemälde von den beiden gegeben und ich habe sie so aussehen lassen. Sie wollte sich einen Scherz erlauben!“

Ehe ich meine Meinung dazu kundgeben konnte, wurde ich beim Luftholen bereits unterbrochen:

„So, und da gerade die Sonne am Horizont aufgeht, würde ich sagen, es wird Zeit für uns zu gehen!“, endete William, er hatte die Arme um seine Hüfte geschlungen und sein Haar wehte im Wind.

Ich blickte über die Wiese.

Tatsächlich.

Der Himmel hatte sich rosa gefärbt und die Sonne ging auf.

Ein Schauspiel, welches aus unserer erhöhten Position einfach fantastisch aussah:

Es wirkte, als würde der runde Ball aus dem Meer auftauchen, welches seit wenigen Minuten den neuen Horizont dieser Welt bildete.

„Ich werde all das hier nie wieder sehen… was?“, stellte ich fest und blickte noch einmal über Neo Verona.

„Nein… niemals. Denn diese Welt wird zerfallen, sobald wir sie verlassen“, erklärte William und ich wirbelte zu ihm herum.

„Was? Diese Welt… wird vernichtet?“

„Ja, Watanuki. Denn es war nur eine Traumwelt. Erschaffen aus deinen und meinen Worten.

Sobald wir, welche wir der Ursprung dieser Welt sind, aus ihr verschwinden, so wird Neo Verona aufhören zu existieren.

Deswegen durften wir beide in dieser Geschichte auch nicht sterben und ich habe dich vorhin vor dem Tod durch Ophelia bewahrt.“

„Wofür haben sich Romeo und Juliet dann eigentlich geopfert? Wieso ist all das geschehen, was geschehen ist? Warum?“

„Weil Geschichten in den Herzen der Menschen leben, Watanuki… nie aber in der Realität. Denn dafür sind Geschichten da: Um ihre Leser zu verzaubern; sie in eine andere, ihnen fremde Welt zu entführen, welche der diesen hier entsprechen könnte; sie mit anderen leiden, lachen und weinen zu sehen.

Doch du hast hier eine ganz besondere Rolle gespielt!

Du warst nicht nur Zuschauer, sondern du warst hier in dieser Geschichte Kimihiro Watanuki, du hast selbst in ihr mitgewirkt! Darauf kannst du sehr, sehr stolz sein!“

„Ja… ich bin stolz darauf, Romeo und Juliet kennengelernt zu haben… das ist wahr.

Leider war unsere Zeit hier nur auf ein knappes dreiviertel Jahr beschränkt…“

„Ja, das war es. Wirklich schade, dass wir nicht länger hierbleiben können…“

„William? Leiden… die Menschen, wenn wir fortgehen?“

„Nein. Sie werden einfach verschwinden, mitsamt dieser Welt. Wie ein beschriebenes Blatt Pergament, welches ins Wasser gelegt wird: Die Buchstaben verschwimmen darauf und werden eins mit dem Wasser.

Dennoch existieren die Worte weiter!“

„Sie… existieren weiter?“, fragte ich verständnislos nach.

„Oh ja. Und zwar in jenen Menschen, welche sich an sie erinnern können… also in dir und in mir, Watanuki. Diese Welt wird niemals untergehen, weil wir beide uns an sie erinnern können!

Und deswegen… werden sie für immer in unseren Herzen weiterleben!

Mit Romeo und Juliet ist das nicht anders… sie mögen zwar von uns gegangen sein, aber weil uns ihre Worte und Taten verändert haben, werden sie in uns weiterleben, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht.

Das ruhige Meer, die gerade aufgehende Sonne… der Wind der Hoffnung, der wieder durch Neo Verona weht… all das wird uns begleiten, und zwar unser Leben lang!

Die Macht einer Geschichte liegt darin, dass sie uns Dinge lehrt, welche wir vorher nicht begriffen haben… das ist die wahre Kraft einer jeden Geschichte.

Ich würde es fast schon als Magie bezeichnen.

Ja. Die Magie der Worte besteht darin, dass wir aus jeder Erzählung, sei es Legende oder Geschichte eine gewisse Wahrheit entnehmen können, die uns verzaubert, beeinflusst in unserem Handeln, sie uns unseren Alltag… lebenswerter macht!“

Ich sah ihn lange an, dann holte er plötzlich etwas aus der Satteltasche meines Ryubas.

„Hier ein Andenken, welches wir mit uns nehmen werden!“, sagte William und ich weitete überrascht die Augen.

„Wo hast du das denn her?“, fragte ich erstaunt.

„In einem unbemerkten Moment an mich genommen… ganz einfach!“

Ich nahm das Schwert der Capulets an mich, William hielt das der Montagues noch immer in seiner Hand.

„Neo Verona benötigt diese Schwerter nicht mehr, denn die Bewohner haben gelernt, dass man mit Krieg und Tyrannei niemals gerecht regieren kann.

Sie sind der Waffen überdrüssig geworden und deshalb werden wir sie an uns nehmen“, erklärte William, ich bückte mich hinunter und pflückte eine rote Rose und eine weiße Iris.

„Ihr sollt niemals mehr getrennt werden… bis in alle Ewigkeit!“, versprach ich den Blumen und nahm sie zusammen in eine Hand.

Wie zur Antwort fuhr mir der Wind durch mein Haar, er war warm und wohltuend.

„Dann… werden wir uns auf den Weg machen… kommst du, Watanuki?“, fragte William, er hatte den Sattel unserer Ryubastute abgenommen und Chielo hob neugierig den Kopf.

„Wie kommen wir zurück?“, wollte ich wissen.

„Steig auf Chielo. Wir werden einen kleinen Flug unternehmen!“, erklärte der Dichter und ich nickte strahlend.

„In Ordnung!“, stimmte ich zu und schwang mich mit Leichtigkeit auf Romeos Ryuba.

Sanft streichelte ich ihm über die weißen Flanken.

Sicherlich vermisste er seinen Besitzer…

„Und los!“, gab William das Startsignal und die Tiere erhoben sich zeitgleich in die Lüfte.

Ich durfte noch ein letztes Mal spüren, wie der Flugwind mir dieses gewisse Lebensgefühl gab und Romeos Ryuba schnell an Höhe gewann.

Dieses Gefühl war einmalig… Chielo wieherte einmal, als er sich in den Sturzflug sinken ließ.

Wir befanden uns nicht mehr über dem Kontinent, unter uns war das Meer.

„Jetzt, Watanuki! Lass los!“, rief William und ich starrte ihn an.

„Loslassen?“, wiederholte ich und er nickte.

„Spring ab!“, brüllte er mir entgegen und machte es mir vor.

Die braune Ryubastute flog unter ihm weg und er befand sich im freien Fall.

Ich tat es ihm gleich, auch wenn es ein seltsames Gefühl war, plötzlich zu fallen und nicht mehr zu fliegen.

Wir stürzten und stürzten.

Die Sonne löste sich gerade von der Meeresoberfläche und strahlte plötzlich immer heller und heller, bis ihr nun goldenes Licht das Rosa des Himmels übermalte und alles in sich verschlang… Das Meer, Neo Verona, die fliegenden Ryubas über uns… und schließlich auch William und mich.

Mein Flug wurde gebremst, ich drückte das Schwert und die beiden Blumen immer noch dicht an mich…

„Lebe wohl, Watanuki! Vielen Dank… für alles!!“, hörte ich plötzlich Juliets Stimme sagen und riss meine Augen auf, doch um mich herum war es nur weiß.

„Ja… Danke für deine Hilfe!“ Das war doch Romeos Stimme?

Überall ertönte Lachen. Jetzt zogen die Bewohner Neo Veronas vor meinem geistigen Auge vorbei: Gesichter, welche ich nur einmal flüchtig in der Stadt gesehen hatte, ältere Menschen, Erwachsene, Kinder, bekannte Gesichter: Conrad, Tybalt, Francesco, Cordelia, Benvolio, Curio, Legan, Balthasar, der Duce, Ophelia, Romeo, Juliet.

Alle lachten und strahlten, sogar der Duce.

„Nur durch dich war es möglich… dass diese Geschichte ihr glückliches Ende gefunden hat!“, erklang Juliets Stimme erneut.

„Ich… werde es niemals vergessen! Euch alle nicht! Ihr werdet in mir weiterleben!

Bis ich eure Geschichte einem anderen Herzen erzählen werde, welches unsere Abenteuer in sich weitertragen kann!“, versprach ich und hielt das rote Schwert noch fester, sodass mir meine Hand wehtat.

 

Als ich die Augen aufschlug, war es Tag.

Ich spürte, dass sich mein Körper in einem liegenden Zustand befand und irgendwie steif anfühlte…

Vorsichtig richtete ich mich auf und fasste mir an den Kopf.

Wo war ich denn bloß?

Plötzlich spürte ich, dass etwas auf mir lag.

Stimmt ja, ich hatte das Schwert und die beiden Blumen mitgenommen…

Die weiße Iris und die rote Rose waren wie durch ein Wunder unversehrt geblieben.

Auch das Schwert steckte noch sorgfältig in seiner Scheide und schien keine Schramme abbekommen zu haben.

„William?“, fragte ich und blickte mich um.

Der Dichter lag neben mir in einem Bett und erhob sich mühsam.

„Hatte ich mich in Neo Verona noch über die Kutschfahrt beschwert? Hier aufzuwachen ist ja noch acht Mal schlimmer…“, stöhnte er und fasste sich an den Kopf.

Ich hörte plötzlich Schritte, dann wurde eine Tür aufgestoßen und ein heller Schrei entfuhr der Person, welche gerade im Raum stand.

Ich hielt mir die Ohren zu, ich hatte gerade solche Kopfschmerzen und dann war diese Stimme auch noch so laut…:

„WILLIAM SHAKESPEARE! HÄLTST DU ES NACH ALL DER LANGEN ZEIT ALSO AUCH MAL WIEDER FÜR NÖTIG AUFZUWACHEN, JA?“

Ich blinzelte.

Williams Frau stand in der Tür.

Doch mir fielen sofort zwei Dinge auf: Erstens… sie war auf einmal sehr schlank.

Zweitens: Irgendwie waren ihre Gesichtszüge anders… älter??

„Stell dich nicht so an, Anne… Wir waren doch nicht lange weg…“, seufzte Willy, nachdem er aufgestanden war.

„Ach nein…? Ihr wart nicht lange weg? Natürlich… dann muss ich mir die letzten acht Jahre wohl eingebildet haben, was?“, fragte sie beinahe drohend.

„ACHT JAHRE?“, brüllte ich los und sprang auf.

Ich konnte gerade noch verhindern, dass das Schwert der Capulets auf dem Boden aufschlug.

„Ja, acht Jahre!!“

Plötzlich erinnerte ich mich an unsere Schulstunde, in der wir Shakespeares Leben durchgenommen hatten: Es gab eine Zeitspanne in seinem Dasein, welche als „Shakespeares verlorene acht Jahre“ bekannt war, in dieser Zeit hatte man angeblich so gut wie nichts über den Dichter gehört, zumindest wurde nichts davon überliefert.

Jetzt verstand ich es… das waren also die acht Jahre, welche wir in Neo Verona verbracht hatten.

Aber wieso acht Jahre? Wir waren doch nur ungefähr acht Monate in Shakespeares Welt gewesen?

„Oh Watanuki ist aufgewacht, wie schön!“

Diese Stimme kam mir besonders vertraut vor, doch hatte ich mit ihr nun gar nicht gerechnet, weder zu dieser Zeit, noch an diesem Ort…

Akt 13: Die Rückkehr - Der Untergang einer Liebe?

Ein großer Schritt muss gewagt werden…

Der endgültige Abschied steht nahe. Manchmal fällt das Atmen schwer und manchmal geschieht es mühelos. Manchmal ist man stark, manchmal schwach, manchmal oben, manchmal unten. Nur Maßlosigkeit und Selbstzufriedenheit führen nie zum Ziel!

Es ist die Rückkehr aus dem Abenteuer einer anderen Welt, einer anderen Zeit.

Man muss lernen sich wieder dem normalen Leben zu widmen, wieder mit seinen alten Freunden unterwegs zu sein. Aber… sollte man seinen Freunden aus einer verflossenen Welt nicht auch gedenken? Der Liebe gedenken, welche zum Untergang verurteilt war?

Oder… war es doch ganz anders, als es den ersten Anschein hatte?
 

Ein kleines, schwarzes Wesen kam mit einigen Kindern zur Tür hereingehüpft und ließ sich auf meinem Schoß nieder.

„Mokona! Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst Zuhause bei Yuko-san geblieben, weil du bei meinem Auftrag nicht helfen durftest?“, fragte ich verwirrt und das schwarze Geschöpf grinste.

„Mokona ist dafür da, dass Menschen, die aus verschiedenen Zeiten und Welten kommen, dieselbe Sprache sprechen!

Wäre ich nicht hier, dann würdet ihr euch gar nicht verstehen! Deinen Auftrag hast du ganz allein gemacht, dabei habe ich dir auch nicht geholfen, so wie Yuko sagte!!“

„Aha…“, antwortete ich und erhob mich. Es gab doch immer noch ein Hintertürchen bei den Formulierungen…

„Wir sind wirklich acht Jahre lang hier gelegen?“, wiederholte ich ungläubig und das schwarze Wesen nickte.

„Ja! Yuko hat uns gesagt, dass ihr in einer Traumwelt seid, euch aber nichts passieren wird. Eure Körper haben sich überhaupt nicht bewegt, da ihr in dieser anderen Welt gelebt habt.

Also haben wir gewartet, bis ihr wieder wach werdet, aber irgendwie habt ihr sehr lange gebraucht… Deswegen habe ich so lange auf Anne und die Kinder aufgepasst!“, erklärte Mokona stolz und ich verstand langsam.

So war das also…

„Wahrscheinlich hast du ihr nur geholfen, weil du Hunger gekriegt hast…“, vermutete ich und bekam einen unsanften Stoß von dem Wesen.

„Das ist gar nicht wahr! Mokona musste Anne beruhigen! Und Mokona hat mit den Kindern gespielt! Mokona war sehr fleißig!“

„Oh ja, das war er!“, bestätigte Anne und ich strich dem Wesen sanft über den Kopf.

„Das hast du gut gemacht“, lobte ich ihn.

„Hast du viele Abenteuer erlebt, Watanuki?“, fragte das Wesen neugierig.

„Ja, so kann man es wohl sagen…“, sagte ich beinahe etwas wehmütig.

Die Erinnerung an Romeos und Juliets Tod stach immer noch unsanft in meinem Herzen.

„Yuko hat gesagt, du sollst zurückkehren, sobald du aufgewacht bist! Der Auftrag sei damit erledigt!“, teilte mir Mokona mit und ich starrte ihn an.

Es ging alles so plötzlich: Erst die Trennung von Neo Verona, in dem ich mich acht Monate lang aufgehalten hatte und jetzt sollte ich auch noch von William in meine Zeit zurückkehren.

„Ich hatte beinahe befürchtet, dass du dich schnell verabschieden musst, Watanuki“, offenbarte William und trat näher. Er hielt das Schwert der Montagues in Händen.

„Das hier ist für dich! Nimm es zusammen mit Juliets Schwert mit… damit du niemals vergisst, was wir gemeinsam erlebt haben! Aber die beiden Blumen… hätte ich gern!

Zur Inspiration versteht sich! Schließlich muss ich noch einiges schreiben!“

Ich musste unwillkürlich lächeln und reichte ihm die weiße Iris und die rote Rose, im Gegenzug bekam ich noch ein Schwert überreicht.

Als der Dichter näher bei mir stand bemerkte ich, dass er eine Schultertasche umhängen hatte.

Er öffnete sie und zog etwas daraus hervor.

„Watanuki… ich habe hier noch ein kleines Abschiedsgeschenk an dich!

Du bist jeden Abend zu mir gekommen und hast mir Bericht erstattet, was du den Tag über erlebt hast.

Ich habe all deine Erlebnisse aufgeschrieben und zu einer Art Tagebuch zusammengefasst. Ich glaube, dass du anhand dieses Buches deinen eigenen Wandel besonders gut nachvollziehen kannst. Ich hoffe, du verstehst genügend Englisch um es lesen zu können. Wenn nicht, muss dir eben deine kleine Himawari beim Entziffern helfen…“

William reichte mir ein kleines Buch, welches dick und vollgeschrieben war.

„Er muss doch nicht Himawari damit belästigen! Ich helfe ihm!

Aber nur, wenn er mir genug Sake bringt!“, bestätigte Mokona und ich funkelte es an.

„Werde bloß nicht unverschämt, Kloß!“

„Ich bin kein Kloß! Mokona ist Mokona!“, antwortete das Wesen beleidigt.

„Ich weiß zwar nicht, was ein Sake ist, aber du hast eindeutig Recht, Mokona!“, sagte William grinsend und ich warf nun auch ihm einen bösen Blick zu.

„Du weißt nicht, wovon wir reden, aber du stimmst ihm trotzdem zu?“, fragte ich zähneknirschend.

„Natürlich!“, grinste Willy und baute sich vor mir auf.

„Watanuki… ich weiß zwar, dass ich in deiner Zeit schon lange tot sein werde… aber ich hoffe, dass meine Werke ihren Glanz und Zauber niemals verlieren werden.

Das würde ich mir wünschen. Kannst du mir nicht verraten, ob mein sehnlichster Wunsch in der Zukunft wahr wird? Nur diese eine kleine Frage!!“

Ich sah ihn lange an, bevor ich lächeln musste.

Alle warteten gespannt auf meine Antwort, ich konnte ihre Blicke auf mir ruhen spüren.

„Ja, ja, das werden sie! Also gib dir auch Mühe, dass sie dem Ruhm und vor allem deiner Person gerecht werden!“, verriet ich augenzwinkernd und Willy musste grinsen.

„Worauf du dich verlassen kannst!“, versprach er mir und wir standen uns nun schon lange gegenüber.

Ich überwand die kurze Distanz zwischen uns und umarmte ihn.

„William… Danke für alles!“, sagte ich, als ich ihn an mich drückte.

„Nein, Watanuki… ich habe mich bei dir zu bedanken!

Dank dir habe ich die Inspiration bekommen, nach welcher ich schon so lange gesucht hatte! Du hast deinen Auftrag wirklich zu meiner vollsten Zufriedenheit ausgeführt!

Das ist mein Ernst!“, entgegnete er mir.

„Das freut mich!“, antwortete ich und wir beide lächelten, als wir uns wieder gegenüberstanden.

„So! Genug geplaudert! Bei Yuko wartet noch Arbeit auf dich, Watanuki!“, unterbrach Mokona die Idylle und ich seufzte.

„Ich habe es gewusst…“, grinste ich gequält und das schwarze Wesen bekam auf einmal Flügel.

„Mokona Modoki ist auch ganz aufgeregt! Fuiiiiiiii!!!“, sprach Mokona und ich wurde von Runen eingehüllt.

„Vielen Dank, William! Du hast mir eine Welt gezeigt, von der ich noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte!“

„Behalte sie in deinem Herzen, Watanuki! Für immer!“, rief mir William hinterher und ich nickte winkend, während sich erneut Tränen in meine Augen schlichen.

Die Runen umhüllten mich nun vollständig und bildeten eine Art Tunnel, welcher oben und unten geöffnet war. Ich schwebte und drückte das Buch und die beiden Schwerter an mich.

Ich dachte an das, was ich in den letzten Monaten gelernt hatte: Geschichten konnten einen fesseln, auf eine Weise, wie ich es mir nie vorgestellt hatte.

Ich verspürte auf einmal die aufkeimende Lust in einer Bibliothek zu stöbern und nach Büchern zu suchen, welche mich auch so in ihren Bann ziehen konnten wie die Geschichte von Romeo und Juliet.

Zugegeben, die Welt Neo Verona und das Leben ihrer Bewohner hatte sich doch sehr vom Original unterschieden, doch das Ende war dasselbe gewesen: Romeo und Juliet hatten sich geopfert, um ein Zeichen zu setzen.

Für ihre Liebe…
 

Ich hörte auf zu fallen und öffnete die Augen.

Ich kniete und hielt außer meinen Geschenken noch irgendetwas umklammert.

War das ein Stock, ein Stuhlbein? Nein, das fühlte sich viel zu weich an…

„Was soll das, Watanuki? Sag mal… heulst du?“

Ich blickte nach oben, als ich die Stimme erkannte.

Warum zur Hölle… hielt ich ausgerechnet Domekis Bein umklammert??

Wo war dieses verdammte Mokona? Ich wollte es augenblicklich umbringen.

Ich richtete mich verwirrt auf.

Wir befanden uns… in Domekis Bibliothek und es schien Nacht zu sein.

Domeki trug einen langen Kimono und saß gerade an einem Tisch, wo er wohl noch bis eben ein Buch gelesen hatte.

Ich war eindeutig wieder zurück.

„Ich heule gar nicht!“, fauchte ich ihn an und wischte mir hastig über meine Augen.

„Aha“, antwortete mein Gegenüber gewohnt ausführlich.

„Spiel du dich ja nicht so auf! Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben! Sich einfach so mit Himawari zu verloben…“, murmelte ich vor mich hin.

„Mmh? Wovon redest du eigentlich?“, wollte Domeki wissen und legte sein Buch zur Seite.

„Was liest du da überhaupt?“, fragte ich, um vom Thema abzulenken.

„Na, Romeo und Julia. Wir müssen es bis morgen fertig gelesen haben, erinnerst du dich nicht mehr?“

Stimmt. Der Lehrer hatte es uns über das Wochenende so aufgegeben, die Tragödie komplett zu lesen, aber das… lag für mich schließlich schon acht Monate zurück!

Ich stand auf und hob meine Geschenke auf.

„Was hast du denn da? Seit wann lässt dich Yuko schwerbewaffnet durch die Gegend laufen?“

„Die sind nicht von Yuko-san, sondern Geschenke, welche du nicht einmal wertschätzen könntest, weil dir dazu die Gefühle fehlen, Eisklotz!“, Ich hob das Buch höher, „Das hier ist ein Tagebuch, geschrieben von William Shakespeare! An mich! Und niemand anders wird dieses Buch jemals in die Hand bekommen!“, erzählte ich, doch Domeki hatte mir es bereits abgenommen.

„Neo Verona… Roter Wirbelwind… aha“, kommentierte er, klappte das Buch wieder zu und gab es mir zurück.

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, brüllte ich, doch er hielt sich die Ohren zu.

„Ich dachte, du wolltest nicht, dass es jemand liest?“, hakte er nach und ich funkelte ihn wütend an.

„Diesen Plan hast du mir zunichte gemacht, denn du hast ja bereits darin gelesen!“, keifte ich zurück und Domeki zuckte uninteressiert mit den Schultern.

Ich stand vor einem Bücherregal und mein Finger schien automatisch suchend darüber zu gleiten.

„Ach, Domeki…“, fing ich an, brach dann aber ab.

„Mmh?“, machte der Angesprochene und ich ließ den Kopf etwas sinken, immer noch zu den Büchern gewandt.

„Darf ich mir aus eurer Bibliothek mal ein paar Bücher ausleihen?“

Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter und bemerkte, wie Domeki plötzlich überrascht aufsah.

„Seit wann interessierst du dich für Bücher?“, wollte er wissen.

„Ach, seit Neustem!“, antwortete ich ausweichend und er nickte.

„Klar kannst du dir welche ausleihen“, sagte er und ich musste lächeln.

Ich wusste, was ich sagen musste, doch die Worte kamen mir nur schwer über die Lippen:

„Okay… V… V… Vielen… Dank… Domeki!“

„Bitte, bitte“, antwortete er mehr oder weniger gleichgültig, hatte Shakespeares Tragödie bereits wieder aufgeschlagen und las weiter.

„Ich werde dann mal zu Yuko-san gehen und ihr sagen, dass ich wieder zurück bin!“, erklärte ich und umklammerte die beiden Schwerter fester in meiner Hand.

„Wieder zurück?“ Domeki sah erneut auf.

„Ja. Ich bin zurück vom Abenteuer meines Lebens!“, teilte ich ihm mit, wohl wissend, dass er mit diesen Worten nicht viel anfangen konnte und trat in die kühle, stille Nacht hinaus.

Der Weg, welcher von Domekis Anwesen wegführte, war mit Blumen umrandet.

Mir stach eine rote Rose ins Auge, welche ich pflückte. Direkt daneben entdeckte ich eine weiße Iris.

Beide Pflanzen lagen nun in meiner linken Hand, die Schwerter und das Buch waren an meiner rechten Seite verstaut.

Nun war ich so gesehen wieder vollständig.

Ich schritt summend die Straße entlang.
 

„Hallo Mokona! Wo hast du denn Watanuki gelassen?“, fragte Yuko und das schwarze Wesen grinste.

„Hab ihn unterwegs verloren!“, meinte es.

„Oh je… du hast wohl zu lange keinen Dimensionswechsel mehr ausgeführt, mmh? Oder warst du durch etwas abgelenkt und infolgedessen unkonzentriert?“, fragte die Hexe und Mokona schüttelte den Kopf.

„Nein, Watanuki hat sich an einen bestimmten Ort gewünscht. Und da habe ich ihn hingebracht!“

„Das klingt ja spannend! Und wo war dieser „bestimmte Ort“?“, wollte Yuko neugierig wissen.

„Er wollte zu gaaaaaaaaaaaaaaaanz vielen Büchern! Also habe ich ihn zu Domeki in die Bibliothek gebracht!“, erklärte Mokona beinahe stolz und hatte seine Arme verschränkt.

„Oh ja, wirklich eine sehr gute Wahl, Mokona! Darauf trinken wir!“

„Darauf trinken wir! Endlich wieder Sake!“, wiederholte das schwarze Wesen und hob das das volle Glas, welches Yuko ihm gereicht hatte.

Die Hexe trank einen Schluck, ebenso wie Mokona.

„Na, da bin ich mal gespannt, wann der Gute hier eintrudeln wird!“, meinte Yuko grinsend und stellte ihr Sakeglas auf den Tisch, welches sie mit einem einzigen Zug geleert hatte.
 

Ich zog meine Schuhe aus, als ich das Haus betrat.

Eine Geste, wie ich sie eigentlich immer tat, doch sie war ungewohnt. In Neo Verona hatte das niemand gemacht und ich hatte es mir irgendwann abgewöhnt.

„Hallo Yuko-san“, begrüßte ich die Hexe.

„Hallo Watanuki. Lange nicht mehr gesehen!“, sagte die Angesprochene und nickte mir zu.

„Stellen Sie sich nicht so an! Freitagabend haben Sie mich auf die Reise geschickt, jetzt haben wir gerade mal Sonntagabend!“, stellte ich ernüchternd fest und Yuko kicherte.

„Also hast du bereits herausgefunden, dass hier nur zwei Tage vergangen sind?

Ich musste dich doch zeitnah wiederhaben! Sonst wäre ich doch noch verhungert ohne dich!

Außerdem ist Mokona wohl etwas langsamer unterwegs gewesen. In den acht Jahren, welche er bei Shakespeares Frau verbracht hat, ist er wohl alt und rostig geworden!“, vermutete die Hexe und ich wandte mich an ihren Trinkgesellen: „Apropos, du Kloß! Wo hast du mich abgesetzt, hääää? War das eigentliche Ziel nicht das Geschäft? Warum hast du mich zu Domeki geschickt? Ausgerechnet… zu ihm?“, fragte ich anklagend, doch das Wesen nahm mit zwei Händchen sein Sakeglas.

„Ich weiß nicht, wovon du redest!“, meinte es unbeeindruckt und fing an zu trinken.

„Apropos Domeki! Yuko-san! Was haben Sie sich dabei gedacht, mir zwei Gestalten mit dem Aussehen von Domeki und Himawari hinterherzuschicken, häääää?“, beschwerte ich mich sofort lautstark, doch Yuko winkte grinsend ab.

„Das war doch nur ein kleiner Witz! Du scheinst viel erlebt zu haben, Watanuki.“

Ihr Blick blieb an meinen beiden Schwertern hängen.

„Ja…“, stimmte ich ihr leise zu und strich gedankenverloren über die Waffen.

„Du solltest es mir morgen erzählen, Watanuki. Du siehst sehr müde und mitgenommen aus… Geh nach Hause und ruh dich aus!“, schlug Yuko vor und ich nickte.

„Ja, Sie haben Recht, Yuko-san. Ich habe morgen Schule…“

„Ich weiß. Vernachlässige deine Pflichten nicht!“, bat sie und ich lächelte.

„Nein, nein. Versprochen!“, sagte ich und sie grinste.

„Das heißt dann aber auch, dass du morgen arbeiten wirst, denn dies gehört schließlich auch zu deinen Verpflichtungen!“, fügte sie mit erhobenem Zeigefinger hinzu und ich nickte.

„Ist gut…“, ergab ich mich, dann stand ich auf und ging nach Hause.

Ich war wirklich müde. Diese ganzen Ereignisse waren sehr anstrengend gewesen…
 

„Ich hatte euch aufgegeben, Romeo und Julia zu Ende zu lesen. Ich hoffe, das haben auch alle von euch getan! Wir sind nun auf Seite 219, letzter Akt. Hat jemand Lust, diese Szene bis zum Schluss vorzutragen?“

Ich meldete mich.

„Ja, Kimihiro möchte, sehr schön!“

Ich schlug die Seite auf und räusperte mich, bevor ich zu lesen begann.

Die Worte kamen mir leicht über die Lippen, als ob ich sie schon in und auswendig konnte.

Ich klang beinahe etwas wehmütig, als ich zu der Szene kam, in der Julia sich umbrachte:
 

„Julia:

O willkommner Dolch!

(Sie ergreift Romeos Dolch.)

Dies werde deine Scheide.

(Ersticht sich.)

Roste da

Und laß mich sterben!

(Sie fällt auf Romeos Leiche und stirbt.)
 


 

Letzter Akt, letzte Szene, Kirche von Verona, Romeo und Julia werden in der Kirche aufgebahrt.

Prinz von Verona:

Capulet! Montague!

Seht, welch ein Fluch auf Eurem Hasse liegt!

Dass Gott ein Mittel weiß, Ihn zu ersticken:

Durch Liebe!
 

Capulet:

O Bruder Montague, gib mir deine Hand!

Das ist das Leibgedinge meiner Tochter,

Denn mehr kann ich nicht fordern.
 

Montague:

Aber ich

Vermag dir mehr zu geben; denn ich will

Aus klarem Gold ihr Bildnis fertigen lassen.

Solang Verona seinen Namen trägt,

Komm nie ein Bild an Wert dem Bilde nah

Der treuen, liebevollen Julia.
 

Capulet:

So reich will ich es Romeo bereiten.

O arme Opfer unser Zwistigkeiten!
 

Prinz von Verona:

Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen;

Die Sonne scheint, verhüllt vor Weh zu weilen.

Kommt, offenbart mir ferner, was verborgen,

Ich will strafen oder Gnad erteilen,

Denn nie verdarben Liebende noch so

Wie diese: Julia und ihr Romeo.
 

(Alle ab.)“
 

Ich merkte den Unterschied zur eigentlich erlebten Version sofort: Bei uns war es ein wunderschön friedlicher Morgen gewesen. Die Sonne hatte den Himmel rosa gefärbt, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte.

Und es herrschte vollkommener Frieden in Neo Verona...

„Danke, Kimihiro, sehr gewissenhaft und schön vorgetragen!

Was meint ihr zum Ende?

Gibt es ein Happy End? Oder war es der Untergang ihrer Liebe, gesät von der Feindschaft der Familien?“

Einer meiner Mitschüler meldete sich:

„Ja, ich finde, es war ihr Untergang!

Romeo und Julia sind gestorben und da hat ihnen ihre Liebe im Endeffekt auch nichts mehr gebracht, weil die beiden sie nicht ausleben konnten!!“

Ich legte meinen Kopf schief und nahm den Stift von meinen Lippen, mit welchem ich bis eben noch nachdenklich gespielt hatte.

Ich legte ihn in mein Mäppchen und senkte den Kopf.

Ich war so gar nicht dieser Meinung…

„Kimihiro? Wie denkst du darüber?“, sprach mich der Lehrer plötzlich an, er schien meine Reaktion bemerkt zu haben.

Ich sah nachdenklich an die Tafel.

Die Blicke meiner Mitschüler, darunter auch die von Himawari und Domeki ruhten auf mir und ich musste lächeln, als ich auf seine Frage antwortete:

„Ich glaube, es gab ein Happy End. Für beide Seiten.

Die Familien haben sich über den Gräbern ihrer Kinder versöhnt und Romeo und Julia leben in den Herzen ihrer Freunde weiter.

Sie haben einander gefunden und niemals mehr losgelassen.

Ich glaube, dass es eher ein Erfolg ihrer Liebe als ihr Untergang war! Auch, wenn im Endeffekt alles dem Untergang entgegengestrebt ist, war es nicht das unwiderrufliche Ende, sondern ein Neuanfang, der uns eine wichtige Nachricht vermittelt: Romeo und Julia… haben uns gelehrt, dass die höchste Tugend darin liegt, der Liebe und nur der Liebe zu folgen.

Denn die Liebe ist der Keim der Schöpfung!

Auch ihre Familien haben das eingesehen und sich vertragen.“

Der Lehrer nickte zufrieden.

„Ja. Eine sehr interessante Ansicht der Dinge und vor allem auch die richtige! Genau das wollte Shakespeare damit ausdrücken! Und nun widmen wir uns…“

Meine Gedanken schweiften ab und ich sah zum Fenster hinaus.

Als die Stunde um war, trat ich fröhlich aus dem Schulgebäude, wo mich die strahlende Sonne erwartete, welche den sommerlichen Temperaturen gerecht wurde.

Ich schwang meine Schultasche über meine Schulter und sah zum Himmel empor.

„Habe ich nicht Recht gehabt mit meinen Worten… Willy?

Und ich schwöre dir, ich werde genauso um Himawaris Liebe kämpfen, wie Romeo und Juliet um ihre gekämpft haben!“, flüsterte ich leise, dann hörte ich ein Rufen vom Schultor her:

„Kommst du, Watanuki-kun?“, rief Himawari und ich winkte.

„Jaaaa! Ich komme schon!!“, antwortete ich und beeilte mich, zu ihr und Domeki zu stoßen.

Ich sollte mich sputen, schließlich musste ich Yuko noch unbedingt erzählen, was ich alles in Neo Verona erlebt hatte!

Akt 14: Die Originalwerke, welche niemals gefunden wurden!

Man hat eine Geschichte erst dann richtig verstanden, wenn man alle Unklarheiten geklärt und seinen Inhalt verinnerlicht hat! Dazu gehört nicht nur ihre Handlung, sondern vor allem auch ihre Entstehungsgeschichte und ihr Leben!!

 

„Ach, endlich werden die Tage wieder angenehmer! Ich mag den Winter irgendwie mehr als den Sommer. Es ist einfach toll, Schneeballschlachten auszutragen, in der Hitze geht man doch noch ein… Was muss es in Japan aber auch immer so unerträglich heiß werden?“, fragte Yuko laut und seufzte wohlig.

Mokona saß neben ihr und schaute sie an, bevor er nickte.

„Ganz meiner Meinung. Aber gäbe es keinen Sommer, könnten wir auch keinen Sommersake trinken!“

„Auch wieder wahr!“, stimmte die Hexe dem kleinen Wesen zu und hob ihr Glas, bevor sie beide anfingen zu trinken.

„Der Moment ist da, oder?“, vermutete das schwarze Wesen, als es sein Glas zur Seite stellte.

„Ja… Der Moment ist gekommen, da hast du Recht! Also, Mokona, wenn ich bitten dürfte?“

Das Tierchen nickte und erschuf ein Portal, wo sie eine grinsende Person mit folgenden Worten begrüßte:

„Und ich dachte schon, du meldest dich gar nicht mehr, Yuko!“

„Ich wollte einem Dichter eben noch die nötige Zeit geben, sein Meisterwerk zu vollenden!“, erklärte die Hexe achselzuckend.

„Ach, Yuko, ich werde ja rot…

Also in meiner Zeit sind nun schon fast drei Jahre vergangen, seit Watanuki gegangen ist“, erzählte Shakespeare.

„Bei uns sind es erst drei Monate. Ich habe extra so lange gewartet, in deine Zeit zurückzuspringen, um dir zu berichten: Watanuki hat sich wirklich sehr verändert, Willy. Das haben wir dir zu verdanken! Das hast du gut gemacht!“

Der blonde Mann verbeugte sich leicht.

„Es war nicht nur durch mich, aber was meinen Anteil an der Sache betrifft: Gern geschehen! So, wie es euch gefällt, sag ich immer!“

„Jetzt wird es Zeit, Willy! Zeit, für die Gegenleistung!“, fing Yuko an und der Dichter nickte.

„Jawohl! Zuerst habe ich die Version, welche Watanuki und ich erlebt haben, noch etwas umgeschrieben. Ich habe mir noch einige künstlerische Verbesserungen erlaubt.

Ich habe es nicht veröffentlicht, aber trotzdem niedergeschrieben, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Es war zwar kein Teil der Gegenleistung, aber vielleicht kannst du damit ja etwas anfangen, Yuko?“

„Sicherlich“, antwortete die Schwarzhaarige und Mokona spuckte einen riesigen Stapel voller Pergament aus.

„Jetzt kommen wir zur eigentlichen Gegenleistung“, fing William an und hielt einen erneuten Stapel Geschriebenes hoch.

„Hier saß ich nun ein Jahr dran. Ich habe es auch nochmal abgeschrieben, damit ich es veröffentlichen kann, aber das Originalwerk kommt wie abgesprochen zu dir!“, sagte Shakespeare und Yuko nickte.

Mokona würgte einen erneuten Berg von Pergament hervor.

„Vielen Dank, William. Dieses Originalwerk von Romeo und Julia wird für immer hier bleiben. Ich veranlasse gleich heute, dass es in meine Geheimkammer kommt.

Es wird niemals jemand anders zu Gesicht bekommen außer mir und meinen Angestellten“, erklärte die Hexe.

„Das schließt Watanuki mit ein, oder?“, hakte Shakespeare nach und Yuko grinste.

„Er hat die Überlieferung deines Werkes bereits gelesen, aber ich möchte wetten, dass er auch in das Originalwerk einen Blick werfen wird, wenn ich ihn damit beauftrage, es fortzuschließen“, vermutete Yuko zwinkernd und Shakespeare lachte.

„Überbringe ihm liebe Grüße von mir… und nochmal vielen Dank, dass du mir meinen größten Wunsch erfüllt hast, Hexe!“

„Gern geschehen, William. Die Schreibfeder habe ich von deinem späteren Ich bereits erhalten“, erklärte sie und der Dichter schaute etwas verdutzt drein.

„Ja, das hat Watanuki auch berichtet, als er hier war. Aber wie kann das gehen? Noch habe ich sie hier bei mir liegen!“, wollte der Autor wissen und Yuko lächelte mild, als sie ihre Pfeife anzündete und der Rauch den Raum erfüllte.

„Mokona ist fähig in allerlei Zeiten zu springen. Vor einiger Zeit sind wir bereits in deine Zukunft gesprungen und haben sie deinem älteren Ich abgenommen.

Du wirst es schon merken, wenn wir uns wiedersehen!“, erklärte Yuko und Shakespeare nickte verstehend.

„Ach so ist das. Dann würde ich sagen, es war wie immer nett, Yuko!“

„Ebenfalls, William…“, antwortete sein Gegenüber und das Portal verschwand.

„So… dann werde ich diese Version von Shakespeare an mich nehmen, bevor Watanuki sie zu Gesicht bekommt“, entschied die Hexe und nahm die umgeschriebene Version der erlebten Realität an sich.

„Das Originalwerk darf er aufräumen, aber das hier nicht!“, fügte Yuko noch an.

„Wieso denn nicht?“, fragte Mokona und die Langhaarige musste lächeln.

„Weil ich spüre, dass ich es bald benötigen werde, ganz einfach! Und Watanuki… müsste auch gleich kommen!“

 

„Soll ich sie Ihnen einpacken? So wie immer?“, fragte mich die Verkäuferin und ich nickte.

„Ja, bitte. So wie immer!“, antwortete ich ihr und sie lächelte.

„Sie scheinen wirklich eine Schwäche für diese Blumen zu haben. Aber ich muss zugeben, dass diese Kombination von Farben sehr interessant anzuschauen ist!“, fing sie an mit mir zu plaudern.

„Ja, nicht wahr?“, bestätigte ich und die blonde Verkäuferin legte mir das bunte Papier mit der roten Rose und der weißen Iris auf die Theke, bevor sie etwas eintippte und ich den gewünschten Betrag bezahlte.

„Auf Wiedersehen!“, verabschiedete ich mich und die Verkäuferin nickte.

„Einen schönen Tag und bis nächste Woche!“, rief sie mir hinterher und ich verließ das Blumengeschäft.

Ja… Jede Woche kaufte ich mir diese beiden Blumen.

Ich stellte sie immer zusammen in eine Vase, welche mein Regal über den beiden Schwertern zierte.

Das Buch von William hatte ich danebengelegt und es schon mindestens zwei Mal durchgelesen.

Es erinnerte mich an meine Abenteuer, ließ mich in vergangenen Ereignissen schwelgen. Und vor allem hatte Willy es geschafft, meine Gefühle besonders gut zu beschreiben. Ich erkannte darin meine eigenen Worte, meine eigenen Handlungen wieder.

Die Blumen würden jedoch noch nicht ihren Weg zu mir nach Hause finden, zuerst musste ich zu Yuko, arbeiten gehen.

Das gefiel mir nicht wirklich, wo ich doch in den letzten Wochen noch stark durch meine Erinnerungen und Gefühle abgelenkt war, andererseits tat mir dieser Alltag irgendwo auch gut.

„Da bin ich, Yuko-san!“, grüßte ich, als ich eintrat.

„Ah, hallo Watanuki! Du hast ja wieder schöne Blumen mitgebracht, ich frage mich, ob du mir irgendwann einmal auch so wundervolle Blumen mitbringen wirst?“

„Wofür denn?“, stellte ich meine Gegenfrage.

Zur Belohnung, dass sie mich ständig quälte?

„Na dafür, dass du dank mir dieses Abenteuer erleben durftest, ist doch klar!“, antwortete Yuko und trank einen erneuten Schluck, während ich mir gerade ein Tuch um den Kopf band und nach meiner weißen Schürze griff, beides meine typische Arbeitskleidung.

Mich beschlich ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hatte sie doch irgendwo Recht?

Irgendwie war es für mich beinahe abwegig zu denken, dass ich eine Frau wie Yuko mit einer roten Rose und einer weißen Iris beglücken könnte, wenn ich daran dachte, dass sie die Blumen vermutlich lieblos wegwerfen würde, wenn ich ihr stattdessen eine Flasche mit Sake vor die Nase stellen würde…

„Mal schauen!“, erwiderte ich ausweichend.

„Was soll ich heute machen? Ich könnte mal wieder die Tatami-Matten ausklopfen, das haben wir schon lange nicht mehr gemacht“, meinte ich mich zu erinnern und Yuko stellte ihr Glas beiseite.

„Zuerst… wirst du diese Mitschrift für mich wegschließen, Watanuki! Das hat höchste Priorität!“

„Was ist das denn für ein Stapel?“, fragte ich und linste kurz darüber.

„Ein Gegenwert. Genauer gesagt die Gegenleistung für deine Arbeit!“, erklärte Yuko und meine Augen weiteten sich.

„Heißt das, das hier ist das Originalwerk von Romeo und Julia?“, hakte ich verdutzt nach.

„Korrekt. Dieses Werk darf mein Haus nie wieder verlassen“, erklärte die Hexe.

„Warum das?“, wollte ich wissen.

„Watanuki… enttäusche mich nicht! Du hast es doch selbst durchgenommen vor einigen Wochen, oder? In der Schule werdet ihr doch auch garantiert das Thema „Originalwerk Romeo und Julia“ behandelt haben?“

Ich schaute sie an.

„Nein, ehrlich gesagt nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Also wirklich… die sollten sich in der heutigen Zeit mal über ihre Unterrichtsplanung und deren Sinn im Klaren werden, diese Lehrer von heute sind einfach zu nichts mehr zu gebrauchen… Nun für dich die Erklärung, Watanuki: Es ist ein historischer Fakt, dass das Originalwerk Romeo and Juliet niemals gefunden wurde.

Tja… und da drüben liegt der Grund dafür: Weil das Manuskript mir gehört!

Deswegen wurde es nie gefunden: William hat mir das Werk überlassen, als Gegenleistung für deine Hilfe und den Aufenthalt in Neo Verona! Und deshalb darf es dieses Haus auch nie verlassen. Überleg doch mal, was geschehen würde, wenn es irgendeinem Menschen dieser Zeit in die Hände fällt… Die Welt würde Kopf stehen!“

„Das ist wohl wahr“, stimmte ich ihr zu.

„Deswegen muss es weggeschlossen werden!“

„Yuko-san?“

„Ja?“

„Sie haben nur gesagt, dass es dieses Haus nicht mehr verlassen darf… das bedeutet aber, dass ich es mir doch gewiss durchlesen darf, wenn ich hier bin und es im Keller lese?“, fragte ich und Yuko lächelte, als sie sich ihre Pfeife anzündete und der Rauch des ersten Zuges das Zimmer vernebelte.

„Natürlich darfst du das. Wenn du es danach sorgfältig zu den anderen Dingen tust, welche nicht mehr als Gegenleistung fungieren können, habe ich kein Problem damit!“

Ich lächelte, als ich den Stapel behutsam an mich nahm und damit in den Keller ging.

Nachdem ich das Originalwerk von Romeo und Julia sorgfältig verstaut und mir geschworen hatte, gleich nach meinem Arbeitsschluss hineinzuschauen, stieß ich wieder zu Yuko, welche gerade auf ihrem Balkon saß.

„Er lässt dir im Übrigen noch viele Grüße ausrichten, Watanuki!“, erzählte mir die Hexe und ich nickte lächelnd.

„Vielen Dank!“, erwiderte ich und stellte den Tee neben Yuko ab, welchen ich noch auf meinem Weg zu ihr gemacht hatte.

„Gibt es eigentlich auch ein handgeschriebenes Werk von unseren Erlebnissen, also quasi eine Neo Verona-Version?“, wollte ich wissen und Yuko atmete Rauch aus.

„Nein, die gibt es leider nicht“, antwortete sie und ich ließ ein wenig den Kopf hängen.

„Schade. Da muss ich wohl weiterhin mit meinem Tagebuch Vorlieb nehmen“, stellte ich fest und die Hexe nickte.

„So ist es. Und jetzt, Watanuki, darfst du gerne die Tatami-Matten ausklopfen und mir ein leckeres Mittagessen kochen!“

„Mit drei Flaschen Sake dazu!“, bestellte Mokona und ich knurrte.

„Übertreib es nicht…“, zischte ich und machte mich an die Arbeit.

Als ich am Abend fertig war, nahm ich mir eine Lampe in den Keller und wälzte mich interessiert durch das Originalwerk von Romeo und Julia.

Mokona half mir beim Entziffern der alten englischen Sprache, ich musste ihn einfach nur mit genügend Sake versorgen und er las es mir beinahe komplett vor. Leontes Montague bekam er besonders gut hin.

Es wurde spät, als ich nach Hause ging. Glücklicherweise hatten wir wieder Wochenende und ich konnte den Sonntag ausschlafen.

Als ich heimkam und das Licht anschaltete, kümmerte ich mich sofort um meine Blumen, welche ich bei Yuko nur notdürftig in Wasser gestellt hatte.

Sie bekamen ihren Platz in der Vase und ich ging gleich daraufhin schlafen.

Morgen musste ich erst mittags bei Yuko arbeiten.

Wie göttlich…

Mit diesem ermutigenden Gedanken, ließ ich mich schließlich ins Land der Träume sinken.

Ich träumte von einer Welt, die mich seit nun über drei Monaten nicht mehr losließ:

Neo Verona.

 

Der Morgen des nächsten Tages war angebrochen. Der Tau der Morgendämmerung befeuchtete das Gras und die Blumen in Yukos Garten glitzerten verträumt, als der erste Sonnenstrahl des Tages auf sie fiel.

Alles war noch ruhig in der Stadt, die Menschen schliefen noch.

Yuko Ichihara trat aus ihrem Haus und reckte sich genüsslich in der aufgehenden Morgensonne.

„Was für ein schöner Morgen, nicht wahr, Mokona?“

„Ja… schon…“, fügte das schwarze Wesen nachdenklich an.

„Was ist denn los mit dir? Gibt es da etwas, das du mich fragen willst?“, wollte die Hexe wissen und Mokona sah sie von unten herauf schief an.

„Ja! Warum hast du Watanuki gestern gesagt, es gäbe keine schriftliche Version von seinem Abenteuer aus Neo Verona? Das stimmt doch eigentlich nicht…“, fragte das schwarze Wesen und Yuko lächelte.

„Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt. Das Manuskript, welches mir Shakespeare gab, ist nicht die schriftliche Version des Abenteuers, welches er und Watanuki zusammen erlebt haben, es ist eine abgeänderte Form davon. Es wurden Personen hinzugefügt und gestrichen“; erklärte Yuko.

„Woher weißt du das?“, verlangte Mokona zu wissen und die Hexe schmunzelte.

„Ich war auch nicht ganz untätig, während ihr beide gestern im Keller unten gelesen habt!

Und da ich Watanukis Geschichte gehört habe, kann ich sehr wohl die Unterschiede zwischen der wahren und der fiktiven Version erkennen!“

„Ach so! Yuko, du bist so schlau!!“, grinste Mokona und Yuko kicherte.

„Nun… leider muss ich mich bald schon von dieser eigenen Version verabschieden, fürchte ich. Das habe ich zumindest im Gefühl… Maru? Moru? Helft mir bitte beim Ankleiden?!“, rief Yuko in das Haus hinein und erhielt von ihren beiden Mädchen auch prompt eine Antwort:

„Jawohl, Herrin!“

„Wir kommen schon, Herrin!“

Mokona saß noch eine ganze Weile auf der Veranda und genoss die Morgensonne, welche an diesem Herbsttag jetzt schon warm auf sein schwarzes Fell fiel.

Als Yuko angekleidet war, betrat eine fremde Person das Grundstück.

„Wie ich es mir gedacht habe...“, merkte Yuko an und schritt in ihr kleines Empfangszimmer.

„Du beehrst mich also schon an einem frühen Sonntagmorgen mit einem Besuch?“, fragte die Hexe, als sie eintrat.

Maru und Moru hatten der jungen Dame bereits eine Tasse mit Tee serviert.

„Ja… verzeihen Sie bitte die frühe Störung! Aber meine Füße haben mich irgendwie von ganz allein hierher gebracht…“, versuchte sich die Frau mit den zwei langen, schwarzen Flechtzöpfen zu erklären.

Sie hatte sich erhoben und Yuko reichte ihr die Hand.

„Das ist schon in Ordnung. Wenn du schon den Weg hierher gefunden hast… dann war es eine Notwendigkeit!“

Die beiden setzten sich.

„Wo gibt es denn ein Problem?“, wollte Yuko wissen und trank einen Schluck Tee.

„Also, es ist so… ich habe vor einigen Jahren meinen Traumberuf gefunden, aber ich kann ihn nicht mehr wirklich ausführen… weil mir die Ideen fehlen! Es ist einfach schrecklich! Wenn ich nun mit einem bombastischen Projekt nicht einen Durchbruch erziele, wird mir gekündigt!“, berichtete die junge Frau und senkte traurig ihren Blick.

„Und welchen Beruf übst du aus?“, erfragte Yuko, die Frau blickte auf.

„Ich bin Anime-Produzentin!“, meinte sie plötzlich strahlend und kniff die Augen zusammen.

„Aha. Anime-Produzentin…“ Yuko stellte ihren Tee auf die dazugehörige Untertasse.

„Wissen Sie… ich würde gerne etwas zeichnen, etwas erschaffen, was sich in einer gewissen Art und Weise schon seinen Platz in der Welt erarbeitet hat. Aber ich will es den Menschen auf eine neue, unentdeckte Weise zeigen… Ach, ich weiß einfach nichts Konkretes!“

Die junge Frau schüttelte hilflos den Kopf.

„Ich kann deinen Wunsch erfüllen“, sagte Yuko und hatte die Arme verschränkt.

Die Kundin schob sich ihre große, runde Brille etwas nach oben.

„Wirklich? Sie können mir meinen Wunsch erfüllen?“, fragte sie ungläubig, ihre Augen hatten sich geweitet.

„Oh ja, das kann ich… Allerdings verlange ich dafür einen gewissen Gegenwert!“, erklärte die Hexe und die Produzentin sah ihr lange in die Augen, bevor sie zustimmend nickte.

„Ich werde Ihnen den gewünschten Gegenwert geben!“, bestimmte sie entschlossen.

„Maru, Moru?“

Nach Yukos Ruf kamen die kleinen Mädchen feierlich mit einem Stapel voller Pergament zur Tür hinein.

„Wir sind schon da!“

„Schon da!“

„Was ist das für ein Manuskript?“, wollte die Produzentin wissen, als das Werk auf den Tisch gelegt wurde.

„Das ist etwas ganz Besonderes. Etwas, das niemand außer mir und nun auch dir kennt. Dies sind geheime Aufzeichnungen von William Shakespeare. Es existiert noch eine andere Version von Romeo und Julia. Dies ist die ursprüngliche Fassung, auf der seine Tragödie beruht“, erklärte Yuko.

Die Anime-Produzentin starrte sie an.

„Aber ich habe gehört, dass das Originalwerk…“

„Nie gefunden wurde, ja. Aber dies ist nicht das Originalwerk, sondern eine völlig andere Romeo und Julia-Version, welche Shakespeare zuerst geschrieben und von welchem er sich schließlich die Inspiration für sein endgültiges Werk geholt hat. Das Manuskript, welches du in Händen hältst, spielt in einer Welt, die sich Neo Verona nennt.

Ich denke, es würde eine sehr gute Vorlage für einen Anime abgeben!“, unterbrach die Hexe die junge Frau, welche bereits aufgeregt darin zu lesen begann.

„Das ist ja Wahnsinn!“, flüsterte sie, „Ein schwebender Kontinent namens Neo Verona? Das ist gut, das ist wirklich gut!“

„Lies es in Ruhe… und mach etwas daraus! Ich bin wirklich schon sehr gespannt, wie der Anime wird. Ich freue mich aufrichtig auf deine Gegenleistung!“

„Vielen Dank! Sie haben mir meinen größten Wunsch erfüllt!“

„Ich weiß… aber denke an den Preis!“

„Ja, versprochen!“, sagte die junge Frau, hatte den Stapel von Pergament gegen ihre Brust gedrückt und verabschiedete sich hastig.

„Ich… werde mich gleich ans Zeichnen machen!“, rief sie aufgeregt, dann war sie verschwunden.

„So ein junges Mädchen… sie ist so voller Tatendrang… Damit ist es vollbracht, Mokona! Jetzt wird alles seinen richtigen Lauf nehmen!“

Das schwarze Wesen sah sie lange an, musste dann aber lächeln und nickte.

Die Sonne traute sich währenddessen hinter den Obstbäumen im Garten hervorzuschauen, als ob sie neugierig wäre, was für ein Vertrag da soeben zustande gekommen war…

Epilog: Letzte Worte

Man muss die Vergangenheit ruhen lassen können. Aber das, was noch kommt, darf unsere Neugier wecken. Wer unter einem trüben Himmel lebt, darf sich zurecht den Sonnenschein wünschen, denn eine friedliche Kurzweil steht jedem einmal zu.
 

1 Jahr später:

„Yuko-san?“, fragte ich vorsichtig, als ich eintrat.

Niemand empfing mich heute, weder Maru noch Moru, noch Mokona oder Yuko.

Ich linste vorsichtig um die Ecke und sah die Hexe auf einem Kissen sitzen.

„Hallo Watanuki! Da bist du ja…“ Sie stockte, als sie bemerkte, was ich mit mir führte.

„Ach so… du hast dir wieder Blumen gekauft“, stellte sie nüchtern fest und legte ihre Pfeife beiseite.

„Nein… eigentlich sind diese beiden Blumen für Sie, Yuko-san!“, setzte ich etwas verlegen an und die Hexe fing an zu strahlen.

„Ist das dein Ernst? Du hast dir so lange gemerkt, dass ich mir Blumen von dir gewünscht habe?“, fragte sie glücklich und nahm mir die rote Rose und die weiße Iris ab.

„Ja! Heute ist es schließlich ein Jahr her, dass ich zurückgekehrt bin!“, merkte ich an und Yuko lächelte.

„Ja… das ist wahr! William würde sich sicherlich freuen, wenn er deine Veränderung sehen könnte“, meinte die Hexe und ich musste wehleidig lächeln.

„Wahrscheinlich… Ähm, Yuko-san?“

„Ja, mein Lieber?“

„Ich wollte noch wissen… ob ich vielleicht die Schreibfeder von William haben darf…“, traute ich mich zu fragen. Beinahe ein ganzes Jahr lang hatte ich diese Angelegenheit vor mir hergeschoben, hatte mich nicht getraut, mich bei der Hexe zu erkundigen, ob sie meinen Wunsch erfüllen konnte.

Aber da ich heute mit Blumen bewaffnet war, wagte ich mich endlich die Frage zu stellen.

„Du weißt, dass dich das einen gewissen Gegenwert kosten wird?“, fragte Yuko, doch sie grinste.

„Ich werde es wie immer bei Ihnen abarbeiten… Aber meine Sammlung ist ohne die Schreibfeder nicht komplett! Jetzt habe ich die beiden Schwerter, Williams Tagebuch und meine wöchentlichen Blumen. Aber die Feder fehlt!“

„In Ordnung, du arbeitest es ab. Nimm sie dir mit! Du weißt ja, wo sie steht!“, bestimmte die Hexe und ich strahlte.

„Vielen Dank, Yuko-san! Ach… ich hätte da noch eine Frage…“

„Noch eine?“, erkundigte sich Yuko und sah mich aufmerksam an.

„Was bedeutet eigentlich für Sie die Magie der Worte?“, wollte ich wissen und sah auf.

Die Hexe hatte einen Arm in ihre Taille gestemmt und lächelte.

„Wir sind alle Lebewesen, Watanuki, welche an gewisse Ketten gebunden sind. An den Lauf der Zeit, an unseren Körper, an die Realität. Deswegen konnte Shakespeare auch nicht in Neo Verona bleiben!“

Yuko hatte mir gerade eine Frage beantwortet, welche ich mir zwar ebenfalls seit einiger Zeit gestellt hatte, mir jedoch nicht ihre Meinung bezüglich Magie der Worte mitteilte.

Allerdings kannte ich die Hexe: Sie erklärte manchmal Dinge über einen gewissen Umweg, den sie vorher einschlug:

„Kein Mensch kann sich davon befreien, selbst wenn er will: Es gibt nur eine Kette, die er nach seinem Belieben anwenden kann, und das sind die Worte!!

Das ist sehr wichtig!

Worte können furchterregender sein als alles andere!

Worte, die man einmal ausgesprochen oder veröffentlicht hat, kann man nicht zurücknehmen, man kann sie nicht ungeschehen machen! Und unwissend wie fest diese Ketten fesseln können, fahren die Menschen fort, diese Ketten zu benutzen.

Worte sind etwas ganz Lebendiges, sie können sogar maßgeblich die Zukunft eines Menschen beeinflussen!!“

„Ketten können Menschen nicht nur fesseln, sondern sie auch verbinden und miteinander verknüpfen, wenn man den Zweck erkennt und danach handelt.

Wenn man nur etwas Positives sagt, macht das schon einen Riesenunterschied aus! Worte können wirklich eine unglaubliche Wirkung haben!“, antwortete ich lächelnd.

Ich musste mich an meine zahlreichen Gespräche mit Juliet erinnern, wie sie mich mit ihren Worten immer wieder überrascht hatte.

Auch William hatte es geschafft, mich mit Worten in seinen Bann zu ziehen.

Nur durch ihn hatte Neo Verona überhaupt existiert. Aber auch durch mich, weil ich in ihr gewirkt hatte…

„Ja. Aber denk auch immer daran, dass ausgesprochene oder niedergeschriebene Worte nicht nur dich selber fesseln können!“, merkte Yuko an und ich nickte.

„Das ist wahr. Sie können jeden fesseln, der sich auf sie einlässt!“, stimmte ich ihr zu.

In diesem Moment klopfte es aufgeregt an der Tür.

„Oh? Scheint, als ob wir Besuch bekämen!“, sagte die Hexe und ich trat an die Haustür.

„Guten Tag! Ich habe hier ein Päckchen für Yuko Ichihara!“, teilte mir eine junge Frau mit zwei langen, schwarzen Flechtzöpfen und einer runden Brille mit, welche ich zuvor noch nie gesehen hatte.

„Vielen Dank!“, antwortete ich förmlich, nahm die Sendung an und die Frau verschwand zufrieden summend.

Ein wenig verwirrt schloss ich die Tür.

„Hier, Yuko-san, das ist für Sie gekommen!“, informierte ich die Hexe und übergab ihr das Päckchen.

„Ohhhh, sehr schön meine Gegenleistung! Mokona, bring doch bitte das Fernsehgerät zum Laufen! Das müssen wir uns jetzt ansehen!“, freute sich die Hexe und das schwarze Wesen sprang auf den ihm farblich gleichen Kasten zu.

„Aye, aye!“, sagte das schwarze Wesen motiviert und machte sich sogleich an verschiedenen Knöpfen zu schaffen.

„Fernsehen? Um die Uhrzeit? Aber wieso denn?“, fragte ich, doch Yuko schien zu sehr darin vertieft, einen Zettel zu betrachten.

„Ahhhhh, sehr schön! Sieh doch, Watanuki! Ist das nicht toll? Sogar handsigniert! Bin ich so stolz!!“

Ich schaute ihr über die Schulter, dann riss ich ihr einen Gegenstand aus der Hand.

„Aber, das ist… das ist…!!!!“, stotterte ich, als mir Romeo und Juliet auf einem Cover entgegenprangten.

„Ein brandneuer Anime! Ist das nicht toll?“, freute sich Yuko aufgedreht. In solch einem Zustand bekam ich Angst vor ihr.

Doch im Moment war ich zu geschockt, um Furcht empfinden zu können.

„Aber wie… aber wie???“, hauchte ich beinahe entsetzt.

„Gegenleistung?“, wiederholte ich ihre Worte und sah sie schief an.

„Yuko-san… ich dachte…, Sie haben doch gesagt, es gäbe keine Version von unserer erlebten Reise?!“, meinte ich mich zu erinnern und die Hexe hob besserwisserisch den Zeigefinger.

„Die gibt es auch nicht! Aber William hat mir eine abgeänderte Version dagelassen! Und die habe ich einer verzweifelten Anime-Produzentin gegeben!

Ist das nicht toll? Jetzt gibt es einen Anime mit euren Abenteuern! Mokona, geht der Fernseher??“, wollte die Hexe wissen, riss mir die erste DVD aus der Hand und kniete sich vor das Fernsehgerät.

Ich blickte ihr skeptisch nach.

„Watanuki? Hol mir Sake, den brauch ich jetzt!“, befahl Yuko und ich ging stocksteif in die Küche.

Was ich nun davon hielt, dass es einen Anime über die Geschehnisse in Neo Verona gab?

Es kam darauf an, wie er gemacht war…

Aber spielte ich dann mit? Mir wurde beinahe etwas mulmig.

Auf dem Cover sahen Romeo und Juliet haargenau so aus, wie ich sie kennengelernt hatte.

Ich kehrte mit dem gewünschten Getränk zurück und stellte es auf dem Tisch ab, bevor ich mich neben Yuko auf den Boden setzte.

Die erste Folge fing gerade an und ich starrte gebannt auf den Bildschirm, wo man zuerst einmal Schneechaos sah, über welches folgende Worte eingeblendet wurden:
 


 

Vor langer Zeit

Ein Land, in dem keine Erinnerungen mehr existierten…

Ein schwebender Kontinent namens Neo Verona.

Die in der Luft schwebende, große Kraft hat den Wohlstand des Volkes hervorgebracht.

Doch manchmal schafft sie auch großes Leid.

Aber das ist nichts von Dauer.

Dies ist die tragische Geschichte zweier Liebender,

Spielbälle des Schicksals mitten im Feuer des Krieges.
 

Ich musste schlucken.

Diese Worte drückten genau das aus, was ich erlebt hatte!

Bis zum Intro wurde die Geschichte erzählt, wie Juliets Eltern umgekommen waren.

Das war neu für mich, zwar erkannte ich den Duce, die kleine Juliet und auch ihre etwas größere Freundin Cordelia sofort wieder, doch die Handlung, wie der Duce die Eltern von Juliet umbrachte, hatte ich zum Glück nicht mitansehen müssen.

Ich deutete wie verrückt auf den Bildschirm.

„Da sehen Sie, Yuko-san? Das war der Duce! Und das, das waren Juliet und ihre beste Freundin Cordelia!! Und der da auf dem Ryuba, welcher die beiden rettet, das ist Conrad!“

„Ja, ja, ich sehe es ja! Kannst du mal aufhören mit deinem Finger herumzuwedeln? Ich kann gar nichts mehr erkennen! Dabei ist doch das Intro so schön!“

Ja… eine japanische Version von „You raise me up“, gesungen von einer Frau. Das Intro war wirklich schön gemacht!

Man sah darin die Personen, welche mitwirkten, ich konnte Romeo, Juliet, William, den Duce, Cordelia, Emilia, Conrad und Tybalt erkennen.

Aber… wo war ich denn?

Die Verfolgung der Mädchen war das Einstiegsereignis, also genau das, was ich auch zuerst erlebt hatte. Doch bei Juliet befand sich dieses Mal noch jemand: Ein kleiner Junge.

Wer war das denn?

Bereits in der ersten Folge stellte ich fest, dass ich irgendwie fehlte, William allerdings sehr wohl und vor allem oft zu sehen war.

In der weiterführenden Handlung vermisste ich mich ebenfalls und als ich feststellen durfte, dass dieser kleine Junge namens Antonio von William meine Sätze zugewiesen bekommen hatte, wurde ich fuchsteufelswild:

„WAS FÄLLT DIESEM SHAKESPEARE NUR EIN? ÄNDERUNGEN OKAY, ABER DASS ER MICH KOMPLETT RAUSGELASSEN HAT IST UNFAIR!“

„Tja, er hat wohl gedacht, dass du keinen guten Helden abgibst, Watanuki…“, grinste Yuko.

„Oder aber er hat dein Verhalten für einen kleinen Jungen passender gefunden…“, fügte das Mokona noch an und ich fletschte die Zähne.

„Ihr beiden… ich werde euch…!“

„Halte doch einfach den Mund und schau weiter zu! Es ist gerade so spannend!

Die Grundhandlung stimmt doch mit dem überein, was du mir erzählt hast, also stell dich nicht so an!“, beschwerte sich Yuko und ich setzte mich augenblicklich wieder.

Es dauerte einige Tage, bis wir alle 24 Folgen durch hatten.

Ich stellte fest, dass William einige Personen mehr eingebaut hatte und die Handlung von unserer Version etwas abwich, dennoch war es insbesondere für mich interessant, die Geschichte auch einmal aus Romeos Sichtweise zu sehen und nicht immer nur Juliets Wahrnehmung der Dinge folgen zu können.

Am Ende weinte ich wie ein Schlosshund, vor allem als sich niemand zwischen Romeo und Ophelia warf, als diese mit ihrer gewaltigen Wurzel angriff und den Montague-Sohn tötete.

„Da! Da habe ich mich dazwischen gestellt!“, informierte ich Yuko, Mokona und auch Maru und Moru.

„Watanuki, der Held!“

„Watanuki, der Held!“, riefen die beiden Mädchen durcheinander und liefen mit erhobenen Armen ziellos im Raum umher.

„Eine wirklich schöne Geschichte“, endete Yuko, als der Anime vorbei war.

„Ja… ich hätte nie gedacht, dass ich mithilfe dieses Animes wieder nach Neo Verona zurückkehren kann! Vielleicht ist es auch besser, dass ich in dieser Version nicht mitspiele… das wäre doch irgendwie peinlich geworden. William wollte mir damit vielleicht die Scham ersparen, mich selbst im Fernsehen sehen zu müssen!“, vermutete ich und nickte, ich war mir meiner Meinung sehr sicher.

„Glaubst du, William wusste zu seiner Zeit schon, was ein Fernseher ist? Oder was mit diesem niedergeschriebenen Werk genau passieren würde?“

„Er hat meine Copyrightrechte geschützt!“, argumentierte ich weiter, „Ob ich irgendwo mitspielen will, bestimme immer noch ich! Und da er mich nicht mehr fragen konnte, hat er mich eben einfach komplett rausgenommen!“

„Ich denke, so etwas wie Copyrightrechte kannte er zu seinen Lebzeiten ebenfalls noch nicht“, vermutete Yuko und ich winkte hastig ab.

„Ich werde dann etwas spazieren gehen… Ich muss das erst einmal verdauen. Diese Geschichte, dieser Anime… einfach alles!“

„Viel Spaß, Watanuki. Gib auf dich Acht!“, sorgte sich Yuko und ich nickte.

„Keine Sorge“, erwiderte ich, dann verließ ich ihr Haus.
 

Es war erst Nachmittag, doch als ich an meinem Zielort ankam, war es bereits früher Abend.

Ich war etwas aus der Stadt gegangen. Fort von all dem Lärm und Gedränge.

Genauer gesagt an einen ganz besonderen Ort, welchen ich entdeckt hatte:

Eine Wiese, auf der rote Rosen und weiße Iris blühten, ganz wild und in freier Natur.

Ich holte Williams winziges Büchlein aus meiner Tasche und schlug es auf.

Lange hatte ich es mir nicht mehr angesehen, mein Tagebuch…

Die Sonne ging bereits unter und ein warmer Sommerwind strich mir durchs Haar.

Ich blätterte auf die letzte Seite und las laut Williams Widmung vor, welche ich mir damals wieder zu Gemüte geführt hatte:

„Für Watanuki, meinen treuen Berater in einer Welt, die nicht mehr existiert, jedoch ihren Platz in unseren Träumen gefunden hat. Ich hoffe, du hast die Magie der Worte nun endlich verstanden?!!“

Lächelnd sah ich in den Sonnenuntergang hinein, welcher den Himmel rostrot färbte.

Diese Farbe erinnerte mich an Juliets Haar… es hatte genau denselben Farbton…

Irgendwie kam es mir vor, als würde mir der Wind ein Lied singen…

Ein Liebeslied von Romeo an Juliet, welches ich erst letztens durch Zufall im Buchrücken habe feststecken sehen.
 

http://www.youtube.com/watch?v=oH7mrtOHCl8&feature=g-upl (von mir eingesungen!)
 


 

Soll ich dich mit einem Sommertag vergleichen?

Er ist wie du

So lieblich, licht und lind

Nach kurzer Zeit muss all sein Glanz verbleichen

Und selbst im Mai tobt übers Feld der Wind

Doch soll niemals

Dein ew'ger Sommer schwinden

Die Schönheit lebt

Die dir nur eigen ist

Nie kann der Tod

Macht über dich gewinnen

Wenn du in meinem Lied unsterblich bist

Hinter den düst'ren Schleiern der Nacht

Dort schwebt ein Stern

Hell leuchtend so wie du

Dein Lächeln weist den Weg aus diesem Dunkel

Und führt mich in

Das helle Licht hinein

Der Herbst vergeht

Wie nach ihm auch der Winter

Damit statt ihm

die Frühlingsblumen blüh‘n

Der helle Klang

der Glocken erhebt sich

Und hallt in unsren Herzen wider

Doch soll niemals

Dein ew'ger Sommer schwinden

Die Schönheit lebt

Die dir nur eigen ist

Nie kann der Tod

Macht über dich gewinnen

Wenn du in meinem Lied unsterblich bist!!
 

Ich habe gelernt, dass Worte einen wirklich verzaubern können.

Man kann vieles ohne diesen Zauber der Worte erreichen, das ist wahr.

Doch das Leben mit ihnen ist wesentlich schöner!

Denn Wörter können die Menschen verändern!

Sie dringen in ihre Herzen ein und können diese berühren, immer und immer wieder.

Nur durch Fantasie und Worte hat Neo Verona überhaupt existiert. Doch auch dank zweier Menschen, welche sich dieser Welt angenommen und sie zu ändern gesucht haben, da schließe ich mich bewusst mit ein.

Und es ist wahr… Mein Leben hat sich verändert! Immer öfter sehe ich mich in einer Bücherei, wo ich die ganzen Buchregale nach einem mir noch unbekannten Werk durchforste.

Ich sehe mich, wie ich immer wieder die Animeversion von Romeo und Juliet schaue, in Gedenken an mein Abenteuer.

Ja! Ich bin wohl das beste Beispiel dafür, was die Magie der Worte auslösen kann!

Meine Geschichte… mein Schicksal… Ich habe verstanden, dass jede Reise ein Ziel hat, jeder Schritt eine Bedeutung!

Ich habe so viel gelernt in Neo Verona: Mit meinen Freunden zu lachen und zu leiden… zu kämpfen, zu siegen, zu verlieren. Zu hoffen… und zu trauern.

Mit anderen jene Gefühle zu teilen, sie nachempfinden und verstehen zu können.

Doch ich bin mir ebenso dessen bewusst, dass jede Reise auch einmal ihr Ende hat.

Ich habe die unendliche Trauer in meinem Herzen überwunden und lebe nun weiter!

Wie Romeo und Juliet bin auch ich auf der Suche nach meiner Bestimmung, meinem Schicksal.

Für mein Leben war diese Erfahrung notwendig, um voranschreiten zu können.

Auch, wenn Neo Verona nur noch auf einem Fernsehbildschirm existiert…

Meine Erinnerungen an mein Abenteuer im echten Neo Verona… kann mir niemand nehmen!

Und jetzt mache ich mich auf den Weg zu Himawari, um unsere gemeinsame Geschichte ihrem Herzen weiterzugeben!

Ja, William, nun kann ich dir eine Antwort geben! Ich habe sie dank dir und deiner Kreativität verstanden…

„Die Magie… der Worte!!“
 

~*~ ENDE ~*~



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Kommentare zu dieser Fanfic (35)
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Von: abgemeldet
2014-11-18T23:24:33+00:00 19.11.2014 00:24
Hei Feuerblut.. ich wollte mich noch mal wirklich bedanken für diese Tolle Fanfic.. Ich hatte wirklich sehr stark mit den Tränen zu kämpfen an einigen Stellen - vor Rührung, vor Lachen und vorallem vor Trauer ab mittlerem Ende und zum Ende.. Ich freu mich schon wie gogeta auf weitere FFs.

LG Lillecca1994
Antwort von:  Feuerblut
21.11.2014 17:04
Vielen lieben Dank! Das ist so süß von dir!! :-)
Danke, dass du so fleißig mitgelesen und zugehört hast!!
2014-11-18T23:14:12+00:00 19.11.2014 00:14
hay ho feuerblut ich habe sie zwar schon zum großteil anja gehört werde sie mir aber noch mal durchlesen ich habe echt geheuelt an der einen stelle du kannst sowas richtig gut schreiben große lob mach weiter so du bist echt gut in sowas freu mich schon auf weitere ff´s von dir liebe grüße dein freuer zuhören von ff´s gogeta
Antwort von:  Feuerblut
21.11.2014 17:05
Dankeschön du bist echt goldig ^_^
Ich hoffe, ich schreibe bald wieder Geschichte, momentan ist die Zeit nicht da leider... Bis bald!!
Von: abgemeldet
2012-08-08T14:04:02+00:00 08.08.2012 16:04
Ich hoff mal, dass die Produzentin was Gescheites macht
Ich weiß ja schon, was der Gegenwert ist
Wie war das nochmal, Lisa?
"Der größte Lachkrampf, den du jeh hattest"?
Können wir gern wiederholen ^^
*sich schon mal was einfallen lässt*
*ins nächste Kapi huscht*
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:53:04+00:00 08.08.2012 15:53
Das Original-Skript...
*sich noch an die Aufführung in der Schule als Romeo erinnert*
*den Text nochmal rezitiert*
Yeahhhhhhhhhh
Ich kann es noch
Aber sicher nicht so schön wie unser Wata-kun
Hoffentlich ist Himawari-chan wenigstens EIN WENIG beeindruckt
Und es kommt hoffentlich nicht so wie in Neo Verona
(Stichwort: Mantua-Residenz)
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:50:02+00:00 08.08.2012 15:50
Ja
Der Fall gefiel mir auch
War echt überrascht, wie schön du das umgesetzt hast mit diesen verlorenen acht Jahren (die es ja in Echt auch gab)
Und der Gegenwert wird jetzt langsam fällig, Willi!!!
*zu Yuko mutiert*
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:48:12+00:00 08.08.2012 15:48
Ich kann Caro nur zustimmen
Ich weiß echt nicht, was ich da noch anfügen soll, außer:
Schon wieder so viel Ophelia für mich...
Danke...
*grummel*
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:46:23+00:00 08.08.2012 15:46
Jaaaaaaaaaaaaa
Ich fand das Zitat auch so geil
*Caro ganz fest zustimmt*
Ich liebe es
Und Mercutios Lache...
Ich kann echt nicht mehr...
XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:45:07+00:00 08.08.2012 15:45
Ophelia...
*grummel*
Ich verzeihe dir niemals, dass ich sie mir so oft antun hab müssen
*dich antippt*
Du weißt ja, warum
Und das zu ganz unmöglichen Uhrzeiten...
Aber das Kapi ist trotzdem geil ^^
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:43:11+00:00 08.08.2012 15:43
LISA!!!!!!!!!!!!
*dich antippt*
ICH WILL DAS LIED NOCH GAAAAAAAAAAAANZ OFT VON DIR HÖREN
"Sie haben es geta~n. Mein lieber, lieber Schwa~n. Und es war sogar sponta~n"
*trällert*
*räusper*
Sorry
Musste jetzt sein
Ich liebe dieses Kapi einfach
*_*
Von: abgemeldet
2012-08-08T13:38:07+00:00 08.08.2012 15:38
Babaaaaaaaaaaaam
Jetzt ist es raus!!!!
Arme Juliet...
Aber: Was wäre eine Liebe ohne Tragödie?
*zu Willy mutiert ist*


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