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Spuren im mexikanischen Sand

NCIS: Los Angeles
von

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Wieder vereint


 

Kapitel 05 – Wieder vereint
 

Von Zeit zu Zeit erinnert ein Verhör an eine Mischung aus einem Pokerspiel und Schach.

Jeder Spieler besitzt eine Hand voller Informationen und Geheimnisse, die er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen versucht, während sein Gegenüber genau dies verhindern will.
 

Aber während die Grundinteressen eines Ermittlers für gewöhnlich darin bestehen, mit den erhaltenen Informationen Verbrechen aufzuklären, zu stören oder – im Idealfall – sogar zu verhindern, gibt es auf der Seite der Verhörten die verschiedensten Beweggründe; und es ist nicht immer klar zu erkennen, welche davon zum Tragen kommen.

Denn oftmals dient Schweigen nicht allein der Verschleierung einer Tat, sondern beruht auf völlig anderen Motiven, hervorgerufen durch Angst, Verzweiflung oder einfach nur dem Gefühl der Richtigkeit seines Handelns.
 

Und wenn die Grenzen zwischen diesen Absichten verschwimmen oder gar völlig im Dunkeln liegen, wird das gesamte Verhör zu einem ungesicherten Drahtseilakt, bei dem selbst die talentiertesten und erfahrensten Ermittler zum Scheitern verurteilt sind.
 

~*~*~*~*~*~*~
 

Genau so erging es auch Sam und Kensi an diesem Tag.

Stundenlang hatten sie all ihr Können, ihre Überredungskünste und Strategien angewendet, hatten sich bei der Befragung abgewechselt und ihre Trickkiste bis auf den Bodensatz geleert, doch die Informationen, die sie von Petty Officer Nicholls erhielten, blieben mehr als dürftig.
 

Wer waren die Kidnapper? – Er wusste es nicht.

Wie hatten sie ausgesehen? – Er hatte es in der Dunkelheit kaum erkennen können.

Wie viele waren es? – Zwei, drei, vielleicht sogar noch mehr.
 

Effektiv hatten sie gar nichts. Nichts, verpackt in einem Päckchen mit Glitzerband und Schleife.

Und doch hatten beide Agents dieses unbestimmte, dringende Gefühl, dass es da doch etwas gab, was Petty Officer Nicholls ihnen noch sagen konnte. Eine Kleinigkeit vielleicht, ja, aber vielleicht war es genau der Strohhalm, an den die kleine Nancy sich klammern konnte, bis sie sie fanden.
 

Worauf waren die Kidnapper aus? – Informationen.

Was sollten das für Informationen sein? – Sie hatten sich nicht klar ausgedrückt.

Hatten sie womöglich mit seiner Arbeit zu tun? – Er vermutete es.
 

So gingen die Stunden ins Land und es war bereits dunkel draußen, als Sam schließlich ein Einsehen hatte und die Befragungen für beendet erklärte. Denn auch wenn ihn das Gefühl nicht losließ, dass Petty Officer Nicholls ihnen etwas verheimlichte, war ihm doch nicht entgangen, wie mitgenommen der Marine war.

Und Sam wusste genau, wie Nicholls sich fühlen musste – er wusste, wie ER sich fühlen würde, wenn seine Tochter entführt worden wäre. Es gab nichts Schlimmeres als die Angst, sein Kind zu verlieren.
 

Es hatte einfach keinen Sinn mehr, den leidenden Vater noch mehr zu traktieren. Nancy würden sie auf diesem Wege wohl kaum noch finden und sollte Nicholls das Vertrauen in den NCIS, in Sam verlieren, würden die Überlebenschancen des Mädchens unweigerlich gen Erdboden sinken.
 

„Kensi, du fährst mit dem Petty Officer in ein Hotel in der Nähe“, erklärte Sam sichtlich mitgenommen seiner zeitweiligen Partnerin den Plan. „Bleib bei ihm, falls sich die Entführer noch einmal melden. Ich fahre unterdessen ins Hauptquartier und versuche, irgendjemanden für deine Ablösung zu rekrutieren.“

Ein Blick von Kensi genügte, um Sam ihre Zustimmung zu signalisieren. Die NCIS-Agentin wandte sich um und zog einen Autoschlüssel aus einer kleinen Kommode seitlich des Fernsehers. Sie gehörten zu einem Ersatzwagen, der für Notfälle dauerhaft in der Nähe des Bootshauses geparkt war.

Eines musste man dem NCIS lassen: sie hatten zwar zurzeit einen signifikanten Personalmangel, aber in Sachen Mobilität war die Behörde unschlagbar.
 

„Ich melde mich bei Eric, sobald wir dort sind“, meinte Kensi nun, während sie ihre Jacke anzog. „Dann kann er sich um das Sicherheitssystem kümmern. Und sag meiner Ablösung, dass sie sich mir ohne einen starken Kaffee nicht auf weniger als zehn Meter nähern darf.“
 

Sie lächelte matt über diesen – zugegeben etwas plumpen – Versuch, Sams Laune zumindest wieder auf Grundwasserniveau zu heben, doch die Miene des ehemaligen Seals zeigte keinerlei Reaktion. Schließlich gab Kensi es auf und bedeutete Petty Officer Nicholls, der zusammengesunken auf einem Stuhl hockte, ihr zu folgen.
 

Sam machte sich unterdessen daran, seine Sachen zusammenzupacken und die Lichter zu löschen. Denn obgleich seine innere Unruhe ihn zur Eile antrieb, wusste er doch genau, was für einen Terz Hetty machen würde, wenn sie aus der Stromrechnung herauslas, dass die Lampen hier die ganze Nacht gebrannt hatten.

So dauerte es dann doch ein paar Minuten, ehe Sam seiner Kollegin auf die Straße folgte, die allerdings schon nirgendwo mehr zu sehen war. Mit raschen Schritten eilte er zu seinem Wagen und stieg ein, aber noch ehe er den Zündschlüssel ganz im Schloss herumdrehen konnte, wurde er von einem lauten Klingeln unterbrochen, das von seinem Handy kam.
 

Hastig kramte er in seiner Jackentasche und sah auf das Display.

Es war eine SMS.

Und sie war von Hetty.
 

„Fahren Sie zur Edwards Air Force Base – Mr. Callens Flug kommt um 23:00 an – H. Lange.“
 

Es war die erste gute Nachricht des Tages.
 


 

~*~*~*~*~*~*~
 

Auch auf den vereinsamten Landstraßen vor San Diego herrschte bereits tiefste Dunkelheit.

Dank eines ziemlich unschönen Unfalls direkt am Autobahnkreuz Santa Ana Freeway / San Diego Freeway hatte sich auch wegen des Großaufgebots von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten ein derart langer Stau gebildet, dass Deeks und seine Begleiterin einen Großteil ihrer Fahrt im Schritttempo hatten verbringen müssen.
 

So wurden aus zwei Stunden fünf; und selbst Deeks‘ sonst so unerschütterliche Nerven hatten sich kurz hinter Camp Pendleton endgültig von ihm verabschiedet. Heather Bailey’s Stimme hingegen klang noch immer frisch wie der Morgentau und ließ die Vermutung zu, dass sie für einen Sprechmarathon trainierte.

Einzig die Müdigkeit, die sich irgendwann durch ein verhaltenes Gähnen ankündigte, sorgte für etwas Ruhe für Deeks‘ geschundene Ohren und erlaubte es ihm, die letzten Kilometer bis zum Tatort ohne weitere Störungen durchzufahren.
 

Die Tankstelle, zu der das Navigationsgerät das ungleiche Team schließlich lenkte, verdiente kaum einmal diesen Namen. Im Endeffekt war es nicht viel mehr als ein zweistöckiges Holzhaus, dessen Erdgeschoss zu einem kleinen Laden ausgebaut war. Davor ragte, einzeln und schon recht verrostet, eine Zapfsäule gen Himmel, die nur mit einer Wellblechkonstruktion, Marke Eigenbau, vor der Witterung geschützt war.
 

Mit einem Mal wunderte es Deeks überhaupt nicht mehr, dass die Überwachungstechnik dieses Schuppens aus der Steinzeit stammte. Die bloße Existenz eines Sicherheitssystems war an sich schon Überraschung genug.
 

Der LAPD-Detective fuhr den Wagen auf das Gelände und stellte ihn in der Nähe des doch eher provisorisch wirkenden Maschendrahtzauns ab, ehe er Officer Bailey mit einem nicht ganz so sanften Stupsen aus ihren Träumen holte.

Säße Kensi neben ihm, so hätte er sich wohl spätestens jetzt einen kräftigen Boxhieb und einen blauen Fleck am Oberarm eingefangen, doch Heather brummte nur irgendetwas Unverständliches vor sich hin und schob sich dann träge aus dem Auto.
 

„Okay, das sind die Spielregeln“, erklärte Deeks mit ernster und fast schon belehrender Stimme.

„Wir werden jetzt dort reingehen und uns die Überwachungsbänder holen.

Ich rede, Sie beobachten. Wenn noch jemand im Laden ist, passen sie auf, ob er oder sie uns beobachtet. Wenn nicht, sehen sie sich unauffällig nach den Überwachungskameras um. Wir müssen nachher sicher sein, dass der Besitzer uns alle Bänder ausgehändigt hat.

Haben Sie das soweit verstanden?“
 

Heather Bailey nickte matt, doch Deeks konnte aus ihrem müden Blick lesen, dass sie von seiner kleinen Rede höchstens die Hälfte überhaupt mitbekommen hatte.

Kaum merklich schüttelte er den Kopf.
 

Natürlich wusste er aus eigener Erfahrung, dass die erste Zeit beim LAPD nicht gerade ein Zuckerschlecken war, aber dieses Wissen half ihm in diesem Augenblick herzlich wenig weiter.

Denn auch wenn dies hier eher ein Routinejob denn eine wirkliche Herausforderung war, so hätte er sich doch weitaus wohler in dem Wissen gefühlt, eine kompetente Partnerin an seiner Seite zu haben.

Eine Partnerin wie Kensi.
 

Aber gut, man konnte ja schließlich nicht alles haben. Und diese neue Allianz mit dem Neuling vom LAPD war ja schließlich auch alles andere als von Dauer.

Also Augen zu und durch, Detective. So viel kann doch gar nicht schief gehen.
 

~*~*~*~*~*~*~
 

Ein Glöckchen klingelte, als Deeks die Tür zum Laden der Tankstelle aufdrückte und, dicht gefolgt von Heather Bailey, eintrat.

Der Raum war recht klein und vertiefte den schäbigen Eindruck, den das Haus schon von außen gemacht hatte. Einfache Holzregale standen dicht an dicht an den Wänden, gefüllt mit der üblichen Mischung aus alten Zeitschriften, Junkfood und Cola-Dosen. Hinter der Kasse, die in eine Ecke des Zimmers gequetscht worden war, saß ein Mann jenseits der Sechzig.

Er hatte grau durchsträhntes, dunkles Haar und einen ungewaschenen Dreitagebart, sah aber sonst recht gewöhnlich aus. Zu Deeks‘ (und eindeutig auch zu Heathers) Erleichterung waren sie ansonsten allein.
 

„Guten Abend, Sir“, grüßte Deeks den Mann höflich, der seine beiden Gäste misstrauisch beäugte, aber keinerlei Anstalten machte, von seinem Stuhl aufzustehen.

„Wir kommen vom NCIS, um die Aufnahmen Ihrer Überwachungskameras abzuholen.“
 

„Hm…“ Der Mann ließ ein seltsames Grunzen hören und sah zwischen Deeks und Officer Bailey, die zugegeben SEHR offensichtlich nach Überwachungskameras Ausschau hielt, hin und her.

„Da müssen Se mir erstmal die Marken zeigen…“
 

Deeks nickte, noch immer um eine freundliche Miene bemüht, und zeigte ihm die Ausweise, die ihn sowohl mit dem LAPD als auch mit dem NCIS in Verbindung brachten.

„So, Deeks heißen Se… LAPD-Detective…“, las der Mann mit zusammengekniffenen Augen ab. „Aber schicken tut sie der NCIS?“

Deeks nickte erneut, beobachtete aber nun aus den Augenwinkeln seine Partnerin und versuchte sie mit einer unauffälligen Geste zu sich zu locken. Doch Heather war viel zu sehr damit beschäftigt, noch weitere Kameras als die zwei offensichtlichen zu suchen.
 

„Ne Menge Buchstaben für nen Cop…“, begann nun der Mann von Neuem und lenkte Deeks‘ Aufmerksamkeit wieder auf seine Person. In der Stimme klang Misstrauen mit.

„Der NCIS ist der Naval Criminal Investigate Service“, erklärte Deeks rasch, „und das LAPD…“
 

„Ich weiß, was das verdammte LAPD ist, junger Mann. Ich bin vielleicht alt, aber doch nicht völlig bescheuert“, fuhr ihn der Mann plötzlich zornig an und erhob sich. „Und ich kenne auch all eure Tricks. Jetzt verrat‘ mir doch mal, was deine Kleine da sucht. Waffen? Drogen? Werden Se bei mir nicht finden… Ich hab nen seriösen Laden.“
 

„Das ist uns bewusst, Sir“, versuchte Deeks rasch die Wogen zu glätten und ließ seine Zeichen an Heather nun deutlicher werden. „Wir wollen auch wirklich nur Ihre Überwachungsbänder einsehen.“
 

Der Mann starrte Deeks weiterhin finster an.

„Ich will die Marke von der Kleinen haben“, befahl er dann ruppig und verschränkte die Arme vor der Brust, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Auch vom NCIS?“
 

Endlich hatte Heather mitbekommen, dass über sie gesprochen wurde, denn sie kam mit einem strahlenden Lächeln, das ihre Müdigkeit Lügen strafte, zu den beiden Männern herüber und verkündete mit fröhlicher Stimme:

„Ich bin Officer Heather Bailey, Los Angeles Police Department.“
 

Deeks verkniff sich gerade noch ein Augenrollen, während Heathers Marke von einer Hand in die andere wanderte und misstrauisch begutachtet wurde.

„Kein NCIS?“, brummte der Mann übellaunig, wartete aber gar nicht erst ab, bis irgendjemand ihm antwortete. „Also entweder ist der NCIS ne ganz miese Behörde, wenn er schon Leute vom LAPD rekrutieren muss… oder er ist so bedeutend, dass ihr Handlanger spielen dürft.“
 

Erneut musste Deeks sich am Riemen reißen, um keine bissige Bemerkung fallen zu lassen, und er war froh, dass auch Heather in diesem Augenblick nicht sonderlich redselig war.

„Dürften wir nun Ihre Überwachungsvideos haben?“, fragte der Detective schließlich, nachdem der Mann seiner Kollegin die Marke zurückgegeben hatte.
 

„Einen Moment… Ja, hier hab ich Se. Sind alle Aufnahmen der letzten drei Tage drauf… Aber Se müssen erst noch zurückspulen, die Dinger sind noch nicht so wie die modernen Platten, die man einfach einlegen muss“, erklärte der Mann, nachdem er unter seiner Ladentheke nach mehreren alten VHS-Kassetten gesucht hatte, auf denen in recht krakeliger Handschrift das jeweilige Datum stand.

„Vielen Dank, Sir“, verabschiedete sich Deeks höflich und wandte sich zum Gehen, als Heather Bailey noch einmal das Wort ergriff.

„Ja, danke sehr. Sagen Sie, haben Sie zufällig auch Kaffee in Ihrem Angebot?“
 

~*~*~*~*~*~*~
 

Deeks wartete nicht mehr ab, bis Officer Bailey eine Antwort auf ihre Frage erhielt. Stattdessen machte er sich, mit den Überwachungsbändern in der Hand und einem regungslosen Ausdruck auf dem Gesicht, auf den Weg zurück zum Wagen.
 

Für Kaffee hatte er später auch noch Zeit.

Rasch öffnete Deeks den Kofferraum, legte die Kassetten hin und wählte dann auf seinem Handy die Nummer der Operationszentrale.

Es klingelte nur zweimal, dann stand die Verbindung.
 

„Hey Eric, Deeks hier. Wir haben die Bänder.“
 

„Alles klar, dann können wir ja loslegen“, meldete sich Eric am anderen Ende der Leitung. „In deinem Wagen müsste sich ein Laptop und ein altes VHS-Gerät befinden. Kannst du da draußen eine Verbindung zum Internet herstellen?“
 

Deeks versuchte, sich im Halbdunkel der Kofferraumlampe eine Übersicht über die elektronischen Geräte zu verschaffen, die quasi als Standardausrüstung dort herumlagen.

„Wir sind zwar so ziemlich am Arsch der Welt, aber für eine Verbindung müsste es reichen“, antwortete er schließlich, als er zumindest den Laptop ausgemacht und zu sich gezogen hatte. „So, die Leitung steht. Hast du Zugriff?“
 

„Warte einen Moment… Ja, ich hab dich“, bestätigte Eric kurz darauf. Das lautstarke Klicken seiner Tastatur war selbst über Telefon noch zu hören.

„Okay, jetzt verkabel den VHS-Player mit dem Computer und leg die Kassetten nacheinander ein.“
 

Deeks tat, wie ihm geheißen, und schon konnte er an seinem Bildschirm erkennen, wie Eric Zugriff auf das System nahm und die Überwachungsbänder digitalisierte.

„Das wird jetzt ein paar Minuten dauern“, erklärte der Techniker schließlich. „Habt ihr noch irgendwas herausgefunden?“
 

Der Detective seufzte theatralisch auf.

„Nichts Relevantes, mal abgesehen von einem vollständigen Bericht über Heather Baileys Seelenleben“, murmelte er als Erklärung und sah sich zur Sicherheit noch einmal kurz um, um sich zu vergewissern, dass die junge Polizistin ihn auch ja nicht hören konnte.

Doch Officer Bailey war offensichtlich noch immer mit ihrem Kaffee beschäftigt.
 

„So schlimm?“

„Stell dir eine Rede über die Vorteile vegetarischer Ernährung in Dauerschleife vor“, erzählte Deeks missmutig. „Über einen Zeitraum von fünf Stunden.“

„Hast du ein Glück, dass Nell dich gerade nicht hören kann. Die rupft dich bei lebendigem Leib“, kommentierte Eric amüsiert. „Hast du es schon mit Ohropax versucht?“

„Kommt nicht so gut beim Autofahren“, wandte Deeks ein. „Wo ist Nell eigentlich gerade?“

„Weiß ich nicht so genau“, antwortete Eric. „Entweder schmollt sie, weil sie wegen des Falls ihre Verabredung sausen lassen musste, oder sie ist Hettys Befehl gefolgt und hat sich für ein paar Stunden aufs Ohr gelegt.“
 

„Eine Verabredung? Mit wem?“, hakte Deeks nun interessiert nach. Es gab schließlich kaum etwas Besseres als Büroklatsch, um sich die Langeweile zu vertreiben.

„Ein Kerl namens Pete, soweit ich weiß“, erklärte Eric mit einem deutlich niedergeschlagenen Tonfall. „Sie hat nicht viel erzählt, aber ich glaube, er ist auch der Grund, warum sie heute früh zu spät gekommen ist.“
 

Deeks wollte seinen Kollegen gerade mit noch mehr Fragen bombardieren, als ein leises „Pling“ auf beiden Seiten der Telefonleitung verkündete, dass der Datentransfer abgeschlossen war. Eric entschuldigte sich mit den Worten, dass er noch haufenweise Kram zu erledigen hätte, ehe Nell zurückkam, und so legte Deeks auf und machte sich daran, die Sachen wieder stoßfest zu verstauen.
 

Gerade in dem Moment, als er wieder in den Wagen steigen wollte, kehrte auch Heather Bailey zurück. In der einen Hand hatte sie zwei dampfende Kaffeebecher, in der anderen trug sie eine kleine Tüte, die ganz offensichtlich mit irgendwelchem Knabberkram von der Tankstelle gefüllt war.
 

„Hier, für Sie! Ich dachte, Sie könnten auch einen vertragen“, erklärte sie großherzig und reichte Deeks einen der Becher. Deeks musste unwillkürlich ein wenig lächeln, als er den Kaffee in Empfang nahm.

Natürlich war Koffein genau das, was er zurzeit dringend brauchte, auch wenn er es vorgezogen hätte, ihn NICHT am Tatort zu kaufen.

Das war einfach aus Prinzip so. Wenn man eine Leiche an einer Imbissbude fand, holte man sich schließlich auch nicht nach der Beweisaufnahme eine Portion Pommes.
 

„Ich weiß ja, dass ich Ihnen im Prinzip die ganze Zeit nur auf die Nerven gegangen bin“, erklärte Heather unbekümmert, „also sehen Sie es einfach als eine Art der Wiedergutmachung an, ja?“

Sie lächelte ihn strahlend an. Und bei dem anziehenden Duft des frisch aufgebrühten Kaffees konnte Deeks gar nicht anders, als ihr – zumindest für den Moment – zu verzeihen.
 

„Sie gehen mir gar nicht die ganze Zeit auf die Nerven“, versuchte er ihr also zu widersprechen, woraufhin sie ihn aber nur noch mehr angrinste.

„Aber die meiste Zeit schon, nicht wahr?“
 

Auf diese entwaffnende Ehrlichkeit war Deeks nicht vorbereitet und noch ehe er die richtigen Worte als Erwiderung gefunden hatte, sprach Heather Bailey auch schon weiter.
 

„Ich weiß ja selbst, dass ich ziemlich anstrengend sein kann“, erklärte sie mit einem ungewohnten Anflug von Ernst in der Stimme. „Es ist nur so, wenn ich nervös bin, dann… ich weiß auch nicht, dann fange ich einfach an zu reden und schon geht es mir besser. Ich will einfach nicht zu diesen Polizistinnen gehören, denen von Anfang an keine Chance gegeben wird.“
 

Deeks nickte verstehend, während er den Zündschlüssel im Schloss umdrehte und den Wagen langsam wieder zurück auf die Straße rollen ließ.

Natürlich wusste er, wie schwer es viele weibliche Officers beim LAPD hatten. Die Unterwelt von Los Angeles beherbergte so viele Gangs, Drogenkartelle und Schmugglerringe, dass die meisten Anfängerinnen ausstiegen, noch ehe sie das Ausmaß der Gewalt richtig erfasst hatten.

Aber er konnte Officer Bailey ja schlecht sagen, dass er sie als Cop für eine Fehlbesetzung hielt.
 

„L.A. ist nicht das einfachste Pflaster für Cops“, meinte er schließlich nach einigen Momenten des Schweigens. „Da draußen gibt’s ne Menge böser Jungs, die einem ohne zu zögern die Birne wegpusten würden. Und wenn Ihre Kollegen sich nicht sicher sind, dass Sie Ihren Job ernst genug nehmen, dann werden sie Sie niemals respektieren – egal wie gut Sie sind.“
 

Heather hörte ihm mit großen Augen zu… und zum ersten Mal an diesem Tag schienen ihr tatsächlich die Worte zu fehlen.
 

Und da Deeks keine große Lust verspürte, diese Art von Unterhaltung fortzuführen, konzentrierte er sich wieder auf den – im Prinzip nicht vorhandenen – Verkehr und überließ es Heather, das eben Gehörte zu verarbeiten.
 

~*~*~*~*~*~*~
 

Das laute Dröhnen der Flugzeugtriebwerke hallte durch den Nachthimmel, als die CASA C-212 zur Landung ansetzte. Die Edwards Air Force Base, erst noch ein kleiner Lichtpunkt in weiter Entfernung, wurde größer und größer, je näher die Maschine dem Erdboden kam.

Aus der Dunkelheit tauchte der Tower auf und mehrere beleuchtete Hangars, aus dem Cockpit waren nun schon deutlich die blinkenden Lichter des Rollfeldes zu erkennen.
 

G. Callen jedoch saß nicht im Cockpit. Und es gab auch kein Fenster in seiner Nähe, durch das er hätte hindurchsehen können.

Einzig das immer deutlicher werdende Ruckeln, das ihn tief in seine Sicherheitsgurte drückte, verrieten dem Agent, das sein nächtlicher Flug sich dem Ende neigte.
 

Endlich.
 

Für gewöhnlich hatte Callen nichts gegen das Fliegen, im Gegenteil. In seiner Zeit beim Militär hatte er weiß Gott oft genug in einer solchen Maschine gesessen, war stundenlang zwischen der Fracht eingepfercht gewesen und hatte häufig ohne Sicherheitsgurt und Kopfhörer auskommen müssen.

Aber die drei Stunden, die der Flug von Washington aus nach Los Angeles gedauert hatte, waren eine einzige Qual gewesen.
 

Der ganze Tag schon hatte Callens Kräfte mehr als genug beansprucht, und die tiefe Erschöpfung, die er in seinem gesamten Körper verspürte, war mit Sicherheit nicht nur darauf zurückzuführen, dass er nun schon seit gut zwanzig Stunden auf den Beinen war.

Die Beerdigung von Mike Franks und die zahllosen Unterredungen mit Leuten wie Gibbs oder Director Vance hatten ihn ausgelaugt, und was er nun spürte, waren die körperlichen Folgen der geistigen Anspannung, die sein ständiger Begleiter gewesen war.
 

Doch egal, wie stark der Drang nach einem weichen Bett auch sein mochte – eines wusste Callen ganz genau: Er wurde hier gebraucht.
 

Und so streckte er sich noch einmal, ehe er behände durch die kleine Seitentür des Flugzeugs stieg und mit seinem Gepäck über der Schulter auf den schwarzen Wagen zuging, in dem sein Partner bereits mit ernster Miene auf ihn wartete.



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