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Das Rotkäppchen-Experiment

von

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Runde 1

Kapitel 3

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Runde 1


 

Während ich von dem gerollten Fladenbrot in meiner Hand abbeiße, streicht mein Finger prüfend über die Seriennummer meines Cube Aim.

Pff, denke ich. Hehlerware. So ein Blödsinn. Ich habe das Rad von einem relativ seriös wirkenden An- und Verkauf erworben. Gut, vielleicht hätte ich mich fragen sollen, wieso er zwei Tage später schließen musste, aber Hauptsache, ich hatte einen fahrbaren Untersatz.

Ich lehne mich zurück und schlage überlegend die Beine übereinander, während ich mir meinen Schawarma-Snack weiter schmecken lasse und von einer Parkbank an der Themse, den Schiffsverkehr beobachte.

Das Funkgerät an meiner Schulter gibt ein statisches Rauschen von sich und kurz darauf ertönt die Stimme meines Vorgesetzten, welche durch die Aufnahme aller elektromagnetischer Wellen im Frequenzbereich nur verzerrt zu hören ist.

»Harleen, sind Sie noch in Lambeth unterwegs?«

Ich bemühe mich, das zerkleinerte Fleischgericht in meinem Mund schnell hinunter zu würgen, drücke auf die Sprechtaste und bestätige meine Position.

»Ja, was gibt’s?«, frage ich und beobachte, wie eine Frau am gegenüberliegenden Ufer mit ihrem Hund spielt.

»Gerade ist ein neuer Auftrag reingekommen. Abholung und Auslieferung eines Einschreibens in City of Westminster. Können Sie übernehmen?«

Ich überlege und gehe gedanklich den Stadtplan von London durch. City of Westminster...

»Klar«, teile ich meinem Chef dann mit. »Sollte bei der jetzigen Verkehrslage innerhalb einer halben Stunde machbar sein.« Für mich zumindest. »Wie ist die Adresse?«

Ein Moment der Stille folgt, indem Mr. Rooper vermutlich nach der Adresse kramt. Ich nutze die Zeit um mein Mittagessen zu verdrücken und mich startklar zu machen.

»221B Baker Street«, höre ich seine professionelle Stimme dann sagen und hallte in der Bewegung inne. Muss schon ganz schön blöd aussehen, so mit Fahrradhelm auf halbem Weg zu meinem Kopf.

Ernsthaft?, macht es dann in meinen Synapsen. Ernsthaft?!?

»Kann Jimmy die Tour übernehmen?«, frage ich dann zaghaft und lasse die Sprechtaste los, füge somit nur für mich hinzu. »Da war ich gestern schon und hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Jimmy ist in Havering«, lässt mich Mr. Rooper wissen und seine Tonlage verrät mir, dass er langsam ungehalten wird.

Verdammt, denke ich, kaue auf meiner Unterlippe und ramme den Helm auf meinen Kopf.

»Eigentlich war ich gerade auf dem Weg nach Croydon«, versuche ich mich herauszureden und ziehe den Kopf zwischen die Schultern, als ich die wütende Antwort meines Vorgesetzten vernehme.

»Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie noch in der Probezeit sind, Harleen?«

»Nein, Sir«, sage ich kleinlaut und füge mich meinem Schicksal. »Bin schon unterwegs.«

Ich erhalte keine Antwort mehr, schwinge mich auf mein Rad und hoffe einfach mal auf eine reibungslose Abwicklung des Botenganges.
 

~
 

Reiß dich zusammen, sage ich zu mir, als ich meinen Drahtesel gegen den selben Zaun wie gestern lehne und meine Kleidung zurecht zupfe. Es ist nur ein Auftrag. In einer Minute bist du hier wieder weg. Aber wieso fühle ich mich dann nur so, als würde ich den Gang zum Schafott antreten?

Eine Abholung. Wieso muss es ausgerechnet eine Abholung sein? Bei einer Auslieferung hätte ich einfach klopfen und wegrennen können. Die Unterschrift bekomme ich allemal gefälscht. Aber bei einer Abholung... oi...

Also gut, denke ich mir, straffe meine Schultern, öffne den engen Verschluss meines Helmes, um es mir ein bisschen bequemer zu machen und stolziere Richtung Eingang.

Auf den wenigen Metern bis dahin, schalte ich auf professionelle-Fahrradkurierfahrerin-Modus und beschließe, dass ich mich einfach über nichts wundern werde, was in den nächsten Sekunden auf mich zukommt. Vielleicht mache ich ja auch umsonst die Pferde scheu und werde gleich gar keine Begegnung der dritten Art erleben.

Ich werfe den Kopf in den Nacken und sehe erneut an der Fassade nach oben. Hier müssen doch auch noch andere Leute wohnen.

Ich trete abermals auf die erste Stufe und meine Hand greift nach dem schief hängenden Türklopfer. Meine behandschuhten Fingerspitzen berühren kaum das glänzende Messing, als die Tür bereits nach innen aufgeht.

Ich kann mein Gleichgewicht gerade noch so halten, da ich der Meinung war, die Tür würde mir ausreichend Widerstand bieten. Aber jetzt da sie weg ist... na ja...

Ich taumele also gerade ungalant zurück auf den Bürgersteig, als ein Anzugträger das Wort an mich richtet.

»Ich habe auf Sie gewartet. Sie sind spät dran.«

Gerade will ich mich rechtfertigen und erklären, dass es einen ungewollten Zwischenstopp gab, weil – wie es sonst nur alle Jubeljahre einmal der Fall ist – die Straße der Tower Bridge hochgeklappt wurde, als ich die tiefe Stimme wiedererkenne.

Mit einem Mal bricht ein Lachen aus mir hervor. Weiß der Geier wieso.

»Ach, Sie sind das«, sage ich schließlich und fühle mich schrecklich witzig. »Ich hätte Sie fast nicht erkannt. Wo ist das Laken?«

»In der Wäsche«, scheint mir mein Gegenüber wahrheitsgemäß zu antworten, was kurzzeitig einen ungläubigen Ausdruck auf mein Gesicht zaubert.

Wie auch immer...

Mein flüchtiger Blick streift seine Aufmachung und ich muss mir eingestehen, dass dieses purpurfarbene Hemd und der dunkle Anzug durchaus ansehnlich sind. Ob das wohl maßgeschneidert ist?

Endlich erinnere ich mich auch wieder an meine Pflicht und lasse meine Tasche von meiner Schulter gleiten.

»Ich soll hier ein Einschreiben abholen«, sage ich, um auf das eigentliche Thema meines Besuches zurückzukommen und sehe, dass Mr. Holmes bestätigend nickt.

»Das ist richtig«, meint er schlicht und richtet den Bund seiner Anzugjacke, während ich auf eine weitere Reaktion seinerseits warte.

»Wollen Sie es mir geben?«, frage ich vorsichtig, als diese nicht kommt.

»Darf ich Ihren Ausweis sehen?«

Meinen... was?!

Verständnislos blicke ich in seine blauen Augen und versuche, nicht wie ein totaler Idiot dazustehen. Also klappe ich mein Kinn wieder hoch und suche in meinem Kopf nach dem Knopf für »sprechen«.

»Den habe ich Ihnen bereits gestern gezeigt«, rufe ich in Erinnerung.

Er schnalzt kurz mit der Zunge und verschränkt die Arme hinter seinem Rücken.

»Auf der Internetseite Ihres Arbeitgebers steht, dass sich die Kurierfahrer bei Abholung der Zustellung ausweisen«, rezitiert er den Internettext und ich zerre meinen Ausweis in schnellen und genervten Bewegungen hervor, um ihm diesen unter die klugscheißerische Nase zu halten.

»Harleen L. R. Flynn«, liest er meinen Namen laut vor und ich stecke das eckige Plastikteil schnell wieder weg. »Hm...«

»Wenn Sie mich jetzt fragen wollen, wofür das L und das R steht, vergessen Sie es gleich wieder«, nehme ich ihm jeden Wind aus den Segeln und sehe, wie seine Augen sich kaum merklich zusammenziehen.

»Wie war Ihr Schawarma?«, will er stattdessen wissen und zaubert aus der Innentasche seines Jacketts einen Umschlag hervor, den er mir sogleich reicht.

Woher weiß er das? Habe ich mich bekleckert? Rieche ich aus dem Mund?

»Gut, danke«, sage ich trotz der aufgekommenen Fragen einfach nur höflich und beeile mich, die Quittung auszufüllen. Das wird mir hier schon wieder viel zu skurril. »Das macht dann bitte zehn Pfund.« Sofort bekomme ich einen gefalteten Geldschein zugesteckt, den ich in einer Jackentasche verschwinden lasse. »Danke.«

»Wann kann ich mit einer Auslieferung rechnen?«, fragt Mr. Holmes, als er die Übergabe des Umschlages quittiert und ich werfe einen Blick auf den Empfänger.

Eine Unstimmigkeit bringt mich dazu, die Stirn in Falten zu legen. Hier stimmt doch etwas nicht.

»Der Empfänger stimmt mit dem Absender überein«, weise ich auf einen offensichtlichen Fehler hin und halte den Brief abwartend in die Höhe.

»Das ist richtig«, sagt mein Gegenüber erneut und seine Mundwinkel zucken kurz in die Höhe.

»Ist das Ihr Ernst?«, frage ich mit blankem Gesichtsausdruck und eine meiner Augenbrauen beginnt zu zucken. Ich erhalte keine Antwort, sondern ernte nur einen abwartenden Gesichtsausdruck. »Also schön«, spiele ich das Spiel mit. »Ich habe hier ein Einschreiben für einen gewissen... Sherlock Holmes. Sind Sie das?«

Ich kann mich nur schwer davon abhalten, mir seinen Ausweis zeigen zu lassen, als meine Frage bejaht wird. Ist das nicht eigentlich ein Mädchenname? Egal.

»Von wem ist es denn?«, will er wissen, als er mir den Brief wieder entreißt und auf den Absender sieht. »Oh, wie nett von mir, an mich zu denken. Das muss die Haarprobe von heute Morgen sein.«

Achtlos wirft er anschließend den Brief hinter sich, wo dieser irgendwo in einem kleinen Flur schlitternd zum Liegen kommt.

»Wieso tun Sie das?«, will ich nun endlich wissen, während der große Mann sich gegen den Türrahmen lehnt und Geräusche aus dem oberen Stockwerk an mein Ohr klingen.

»Samstagabend«, bekomme ich schlicht und ergreifend zu hören. »Ich habe es mir anders überlegt. Gefärbt geht in Ordnung, wenn Sie die Ansätze noch einmal nachbehandeln.«

»Wieso schicken Sie sich selbst ein Einschreiben?«, ignoriere ich seine Ausführungen und er stößt sich vom Türrahmen ab, um sich wieder gerade hinzustellen.

»Das erschien mir der einfachste Weg, Sie wiederzusehen, ohne das Haus verlassen zu müssen.«

Jetzt muss ich wieder lachen.

»Sie wollen immer noch, dass ich mit Ihnen auf diese Gala gehe?«

»Offenkundig.«

»Wieso?«

»Sie haben rotes Haar«, sagt er betont langsam und gibt mir den Eindruck, der am meisten unterbelichtete Mensch auf der ganzen Welt zu sein.

Aber ich verstehe es immer noch nicht.

»Sherlock!«, ruft mit einem Mal eine Frauenstimme aus dem ersten Stock. »Was treiben Sie denn da unten? Der Tee wird kalt.«

»Ich bin sofort bei Ihnen, Mrs. Hudson«, brüllt der Angesprochene zurück, beugt sich nach vorn und entreißt mir in einer schnelle Bewegung meinen Helm, sodass mir meine Haare wild ins Gesicht fallen.

»Hey!«, beschwere ich mich noch, doch er ist bereits mit seiner Beute im Inneren verschwunden, ehe ich wieder kompletten Durchblick habe. »Geben Sie den sofort wieder her!«

Unentschlossen stehe ich helmlos in der Gegend herum und trete von einem Fuß auf den anderen. So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt. Mist.

»Jetzt kommen Sie schon herein«, wird mir zugeredet und ich höre, wie jemand eine Treppe empor steigt.

Mein Blick huscht über meine Schulter. Vor dem Café nebenan sitzt ein älterer Herr. Ob er sich mein Gesicht gemerkt hat? Kann er später bezeugen, dass ich in dieses Haus gegangen bin, wenn meine entstellte Leiche in den nächsten Tagen irgendwo aufgefunden werden sollte?

Oh man...
 

~ Ende des 3. Kapitels ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Atina
2014-03-01T18:10:03+00:00 01.03.2014 19:10
Ein sehr schönes Kapitel - du schaffst es, dass man sich in die Figur bzw. die Umgebung hinein versetzen kann. Die Gedanken von Harleen bringen mich wirklich zum Schmunzeln. :-D

Was mir aufgefallen ist - du schreibst "vergoldetes Messing" - Messing ist eine Legierung aus Kupfer und Zink und hat von Natur aus eine goldene Farbe. Also würde das Vergolden gar nichts bringen, wäre nur sinnlos teuer. Sorry, ich bin Chemielehrer. ^^
Antwort von:  Jadis
02.03.2014 10:38
Ach, du meine Güte! Hab ich tatsächlich vergoldet geschrieben? Glänzend! Ich meine natürlich glänzend! ;) Danke für den Hinweis =)
Und danke für deine Kommentare! Tut gut zu wissen, dass die FF gelesen wird =)
Antwort von:  Atina
02.03.2014 11:39
Kein Ding. ^^ ... Ich kenne das Gefühl, wenn man nicht weiß, ob man gelesen wird oder nicht, deshalb wenigstens immer ein paar nette Worte, auch wenn keine wirkliche Kritik möglich ist. :-D


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