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Das Rotkäppchen-Experiment

von

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Erste Kontroversen

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Erste Kontroversen


 

Ich will meinen Helm zurück, denke ich, also sage ich es auch, als ich die Tür ein Stück weiter aufstoße und in den zwielichtigen Flur trete.

»Ich will meinen Helm zurück!«

Ein leises Gefühl der Beklommenheit beschleicht mich, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, aber ich bin viel zu aufgebracht, um mir darüber Gedanken zu machen. Ich werde gerade echt sauer.

Ich ziehe meine Fahrradhandschuhe aus und lasse sie, zusammen mit meiner Tasche, neben dem schmalen Treppenaufgang liegen. Dann stürme ich nach oben.

»Wo bleiben Sie denn?«, ruft Mr. Holmes mir auf halbem Weg entgegen, als ich gerade einen Treppenabsatz erreiche.

Ich folge seiner Stimme, stürme an einer verschlossenen Tür zu meiner Linken vorbei und direkt auf eine angelehnte Tür vor mir zu. Energisch stoße ich diese auf und platze direkt in ein Kaffeekränzchen.

Wie angewurzelt bleibe ich stehen und halte mich gerade noch rechtzeitig davon ab, loszuwettern, als drei verdutzte Gesichter zu mir aufsehen. Mit einem Rundumblick scanne ich den kleinen Wohnraum. Wo ist dieser Holmes denn nur hin?

»Bitte entschuldigen Sie«, erinnere ich mich wieder an meine gute Erziehung und wende mich an die Teegesellschaft, die an einem kleinen Tischchen sitzt und vor lauter Überraschung noch immer nichts gesagt hat. Vielleicht ist es in diesem Haus auch gang und gäbe, dass sich völlig fremde Menschen Zugang zum Wohnzimmer verschaffen. Wer weiß das schon so genau. »Ich wollte nur eben meinen Helm abholen, dann bin ich auch schon wieder weg.«

Der Gesichtsausdruck einer freundlichen älteren Dame erhellt sich und sie schlägt die Hände vor der Brust zusammen, bevor sie das Wort an mich richtet.

»Sind Sie eine Freundin von Sherlock?«, möchte sie von mir wissen, während mich die Personen zu ihrer Rechten, ein Mann und eine Frau, interessiert beäugen.

Ich kann mich gerade noch davon abhalten, aufgrund ihrer Frage laut aufzulachen und höre es schräg hinter mir scheppern. Ist dort die Küche?

»Nein«, antworte ich der Dame und versuche einen unauffälligen Blick um die Wohnungsecke zu werfen. »Das würde ich so nicht sagen.«

»Mrs. Hudson«, ertönt ein Ruf aus der Küche. »Wir benötigen noch ein weiteres Gedeck. Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.«

»Oh, wie schön«, freut sich Mrs. Hudson und springt sofort vom Tisch auf. »Wir haben doch so selten Besuch.«

Ich bin aufgrund der plötzlichen Wendung zu überrascht, um mich dagegen zu wehren, als sie mich auf einen freien Platz am Tisch drückt und in einen Nebenraum entfleucht. Kurze Zeit schnappe ich wie ein Karpfen nach Luft, dann kommen endlich auch wieder Worte aus meinem Mund.

»Nein, Sie verstehen scheinbar nicht richtig«, versuche ich den verbliebenen Anwesenden zu erklären und streiche ganz unbewusst die Falten der Tischdecke glatt. »Ich bin doch nur- Sind das Einschusslöcher?!?«

Da sind doch Löcher in der Wand. Und was macht der gelbe Smiley auf dieser wuchtigen Tapete?

»Entschuldigung«, ergreift nun der etwas verdutzt wirkende Mann das Wort und wechselt einen Blick mit der blonden Frau neben sich. »Wie sagten Sie, war Ihr Name?«

»Oh, Verzeihung«, sage ich peinlich berührt. »Mein Name ist Harleen Flynn und ich bin-«

»Meine Begleitung für Samstagabend«, schalmeit es erneut aus einem nicht einsehbaren Bereich der Wohnung und ich verziehe das Gesicht.

»Uh«, taucht Mrs. Hudson wieder auf, bevor ich mich weiter dazu äußern kann und stellt ein zusätzliches Teegedeck vor mir auf den Tisch. »Ein Date. Das ich das noch erleben darf, Sherlock.«

Irgendetwas läuft hier gerade schrecklich verkehrt.

»Das ist kein-«, beginne ich und danke Mrs. Hudson, als sie schwarzen Tee in meine Tasse kippt. Dann brülle ich in Richtung Küche. »Ich habe nicht ja gesagt.«

»Doch, haben Sie«, lässt Mr. Holmes verlauten, taucht forschen Schrittes – und ohne meinen Helm – im Raum auf und steuert den Tisch an, an dem wir alle sitzen. »Indem Sie nicht nein gesagt haben.«

»Geben Sie mir meinen Helm wieder«, verlange ich, während er sich über mich beugt, um nach einem Biskuit auf dem Tisch zu greifen.

»Sie tun es schon wieder«, sagt er und beißt in das Gebäck.

»Was denn?«, frage ich verwirrt und merke, dass am ganzen Tisch allgemeine Ratlosigkeit vorherrscht.

»Nicht nein sagen.« Biskuit kauend, beugt er sich zu mir herunter und ich rutsche unbehaglich auf der Sitzfläche des unbequemen Stuhls herum. Ob es etwas bringt, wenn ich jetzt handgreiflich werde? Was meine 130 Pfund wohl ausrichten können? »Sie sollten sich einen neuen Helm kaufen, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Er ist minderwertig und bei einem Unfall würde Ihr Schädel platzen wie eine reife Melone.«

Ich will erwidern, dass es mir egal ist, dass ich endlich mein Eigentum wieder haben möchte und dass er mir den Buckel hinunter rutschen kann, jedoch kommt nichts dergleichen über meine Lippen, da Mr. Holmes nach einem Haar von mir greift und mit einem Ruck daran zieht.

»Sherlock!«, echauffiert sich der halbe Tisch, während ich ein »Au!« verlauten lasse und Mrs. Hudson nur die flache Hand auf ihre Brust legt.

»Das ist absolut kindisch«, mache ich meinen Standpunkt klar und reibe meine Kopfhaut, während Mr. Holmes mit seiner Beute erneut im angrenzenden Raum verschwindet und ich einen Versuch unternehme, endlich etwas Licht ins Dunkel zu bringen, indem ich die verbliebenen Gäste interviewe. »Sie scheinen alle ganz vernünftig zu sein, aber... wer ist dieser Kerl?!?«

»Sie sind nicht von hier, oder?«, fragt mich die blonde Frau und sieht mich mehr oder weniger verstehend an.

»Nein!«, antwortet Mr. Holmes aus der Küche für mich, während schon wieder etwas scheppert.

»Das ist eben einfach Sherlock«, übernimmt Mrs. Hudson die ehrenvolle Aufgabe auf meine Frage zu antworten.

Ach so, einfach Sherlock. Das verstehe ich... natürlich nicht.

»Tut mir leid, ich...«, beginnt mein Tischnachbar und gestikuliert wild mit den Händen. »Ich verstehe absolut nicht, um was es hier gerade geht.«

Wenn ich ehrlich bin... ich auch nicht mehr. Irgendwo zwischen »Wir haben so selten Besuch« und »Einfach Sherlock« habe ich wohl den Faden verloren.

»Sherlock, setzen Sie sich endlich!«, fordert Mrs. Hudson und schüttet Milch in ihre Tasse. »Ihr Tee wird kalt.«

»Ich übernehme das«, biete ich an und leere die angesprochene Tasse in einem Zug, ohne mich deswegen schlecht zu fühlen.

»Ausgezeichnet«, ertönt es aus der Küche und kurz darauf erscheint der seltsame Mann erneut, diesmal mit einem Präparat in der Hand. »Wussten Sie, dass Sie einen Gendefekt haben, Holly?«

»Heißen Sie nicht Harleen?«, fragt Mrs. Hudson verwundert und ich winke ab.

»Wohnen Sie eigentlich auch hier?«, wechsele ich das Thema und Mr. Was-weiß-ich-wie verschluckt sich just an seinem Tee.

»Gott bewahre. Das habe ich hinter mir.«

»Eine Variation des Chromosom 16«, meint Mr. Holmes weiter und lässt sich neben mich auf den einzigen freien Stuhl plumpsen, während ihn alle fragend ansehen und er scheinbar unbeeindruckt von unseren Blicken, weiter vor sich hin murmelt. »Veränderung des Proteins MC1R... Phäomelanin... gesteigerte Schmerzempfindlichkeit... Extension-Locus... Was werden Sie am Samstag tragen?«

Die letzte Frage galt mir. Ich blinzele, als mich sein Blick trifft und schüttele den Kopf.

»Ich gehe mit Ihnen nirgendwohin.«

»Für was steht das L und das R?«, fragt er ungerührt weiter. »Nein, sagen Sie es nicht. Johns zweiten Vornamen habe ich auch allein herausgefunden.«

»Oh«, bringt John sich ein und hinterlässt den Eindruck, dass er schmerzlich an etwas erinnert wird. »Dann sollten Sie auf Ihre Geburtsurkunde aufpassen. Ich spreche aus Erfahrung.«

»Sie sollten Grün tragen«, weißt Mr. Holmes hin und ist gedanklich vermutlich schon wieder bei der Wochenendplanung. »Das bringt Ihr Haar noch mehr zur Geltung.«

»Ich gehe nicht auf diese Gala«, betone ich nochmals. Wieso werde ich hier eigentlich ständig ignoriert? »Wieso sollte ich?«

»Weil Sie Themen für einen Kriminalroman suchen und es vermutlich ein Verbrechen geben wird.«

Stille.

Also fast.

Mrs. Hudson lässt einen Teelöffel fallen und dieser scheppert auf ihre Untertasse.

»Grundgütiger.«

»Ein Verbrechen?«, fragt John und legt die Stirn in Falten, während ich dasselbe denke.

»Man munkelt«, relativiert Mr. Holmes seine Aussage und lässt mich weiterhin nicht aus den Augen. »Obdachlosennetzwerk. Sie wissen schon. Ich habe Sie gegoogelt, Hailey.«

»Harleen«, mache ich mir dieses Mal die Mühe, ihn zu korrigieren.

»Zahlreiche kleine Veröffentlichungen in Ihrem Heimatland. Keine großen Erfolge. Und schließlich waren Sie ganz von der Bildfläche verschwunden. Sie wollen jetzt etwas Neues probieren und sind ganz heiß auf einen packenden Plot.«

»Plot?«, wirft Mrs. Hudson fragend ein.

»Die Handlung einer Erzählung«, sagt Mr. Holmes nebenbei, während ich an der Tischdecke herum nestle und mir ernsthaft überlege, an wen ich hier eigentlich geraten bin.

»Wie haben Sie sich gleich noch einmal kennengelernt?«, fragt John flüsternd und beugt sich näher zu mir.

»Durch eine ganz unglückliche Aneinanderkettung von Ereignissen«, berichte ich leidend und reibe mir die Stirn.

»Ah ja«, macht er und überlegt eine Weile mit verschränkten Armen. »Und das war wann?«

»Gestern«, gestehe ich kleinlaut und schlürfe meinen Tee.

»Ich liebe Kriminalromane«, wirft Mrs. Hudson erneut ein und erinnert mich damit an meinen erbärmlichen Versuch Schriftsteller zu werden. »Sie sollten jede Chance nutzen, Recherche zu betreiben, Kindchen.«

High Society... Verbrechen... Sollte man nicht lieber versuchen, dieses zu verhindern? Ach, egal.

»Also schön«, fasse ich den Entschluss, mich in mein Schicksal zu fügen. Aus der Nummer komme ich eh nicht mehr heraus. »Gehen wir auf diese blöde Gala.«

»Sehr gut«, lehnt Mr. Holmes sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. »Jetzt müssen wir nur noch über Ihre Bezahlung verhandeln.«

Ich höre wohl nicht richtig. Auch Johns Begleitung zieht lautstark die Luft ein und wirft Mr. Holmes einen eindeutigen Blick zu.

»Sie wollen mich dafür bezahlen? Das ist schäbig. Das ist wirklich schäbig!«

Ich werde jetzt gehen. Ich werde mich für den Tee bedanken und dieses Haus so schnell wie möglich verlassen.

Ich stehe so schnell auf, dass mein Stuhl nach hinten schlittert und beinahe umkippt. Auf halbem Weg zur Tür halte ich noch einmal an und drehe mich um.

»Danke für Ihre Gastfreundschaft«, teile ich denen mit, denen der Dank gilt und füge mit ausgestrecktem Finger an Mr. Holmes gewandt hinzu: »Ich werde Sie googeln!«

»Tun Sie das«, spricht er mir zu. »Dann stoßen Sie mit Sicherheit auch auf meinen Blog. Er thematisiert-«

»240 Arten von Asche.« Das ist John, ein genervter John.

»243, John. Wie oft soll ich das eigentlich noch erwähnen? Wer hat meinen Tee getrunken?«

»Wir sehen uns doch noch einmal wieder, oder?«, fragt Mrs. Hudson hoffnungsvoll, während ich unentschlossen in der Gegend herum stehe und mitleidige Blicke ernte.

Ich weiß es nicht. Ich denke nicht. Aber vermutlich... vielleicht... doch... wahrscheinlich schon. Ich bin einfach viel zu neugierig.

Hilflos versuche ich mich, meiner Gefühlswelt entsprechend, zu artikulieren, jedoch kommt nur ein zaghaftes und fast ergebenes Nicken hervor.

»19 Uhr«, meint Mr. Holmes, noch bevor ich anders reagieren kann und ich durchbohre seinen Rücken mit Blicken. »Seien Sie pünktlich.«

»Ich bringe Sie nach unten«, ruft Mrs. Hudson schnell, springt auf und schiebt mich vor sich her aus der Wohnung, während Mr. Holmes erneut Empfehlungen in den Raum wirft.

»Nicht nötig, Mrs. Hudson. Nur ein kompletter Vollidiot würde den Weg nicht allein hinaus finden.«

Argh! Dieser, dieser... Mann!

»Das war nicht sehr nett, Sherlock«, höre ich noch Johns gedämpfte Stimme, als wir das Zimmer hinter uns lassen, dann nur noch unverständliches Gemurmel.

Gemeinsam mit Mrs. Hudson gehe ich die Treppen wieder hinunter und schnappe mir, an der untersten Stufe angekommen, meine Tasche.

»Also«, beginnt die Dame, als sie mir die Tür öffnet. »Sie dürfen Sherlock sein Verhalten nicht übelnehmen. Er ist immer so. Genialität ist nun einmal eine schwere Bürde.«

Ich sehe die Frau an, verstehe kein Wort und nicke trotzdem.

»Schon vergessen«, kann ich sie beruhigen und sie schenkt mir ein erleichtertes Lächeln.

»Also dann bis Samstag«, verabschiedet sie mich und es klingt eher wie eine Frage.

Ich mag die leicht zerstreut wirkende Dame und will sie nicht enttäuschen, also nicke ich erneut und trete anschließend nach draußen auf den Bürgersteig.

Vielleicht rettet mich ja noch irgendein Ereignis vor dieser bevorstehenden Gala. Ein intergalaktischer Krieg oder so. Aber auf Marsianer ist heutzutage auch kein Verlass mehr.

Verdammt, denke ich, als sich die Tür hinter mir wieder schließt. Jetzt habe ich auch noch meinen beschissenen Helm vergessen.
 

~ Ende des 4. Kapitels ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Atina
2014-03-09T16:59:16+00:00 09.03.2014 17:59
Eine herrlich bizarre Szene! Ich kann mir richtig vorstellen, wie alle gemütlich Kaffee trinken und Harleen hineinstürmt. Top! :-D


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