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Misfits: Kreuzdame

{ boy x boy }
von

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Gaara - Veränderungen Pt. 2

In den letzten Jahren hatte sich in der Musikschule nichts geändert. Abseits vom Zentrum der Stadt lag dieses Gebäude, welches von außen wie ein normales Einfamilienhaus aussah, nur mit dem Unterschied, dass auf den Fenstern Bilder von Instrumenten geklebt waren. Nur die Silhouetten waren zu erkennen, ebenso wie Noten und andere Symbole, die etwas mit Musik zu tun hatten. Unsicher trat ich bis an die Eingangstür, auf der ein silbernes Schild mit den Öffnungszeiten befestigt war. Einen Moment lang verharrte ich und überlegte mir genau, ob ich dies nun tun sollte. Heute war wieder ein furchtbarer Tag gewesen, obwohl ich in letzter Zeit nur furchtbare Tage hatte, vollkommen egal, was passierte. Aber heute war es besonders schlimm gewesen, denn heute war Freitag. Normale Schüler freuten sich auf das Wochenende, aber ich war kein normaler Schüler. Ich kam nicht nach Hause zu einer Mutter, die mit dem Mittagessen wartete und ich hatte auch keinen Beziehungspartner, der über das Wochenende bei mir einzog und jetzt hatte ich auch keine Freunde mehr, die Zeit für mich hatten. In der Schule hatte ich so unauffällig wie möglich angemerkt, dass ich gerne wieder eine Party schmeißen würde, aber ausnahmslos jeder hatte mir abgesagt – außer Schifti. Aber mit dem wollte ich nicht unbedingt alleine sein. In der Schule war er ein lustiger Gefährte und auf jeder Party der Entertainer schlechthin, aber wir würden uns schon bald nicht mehr gut miteinander verstehen, wenn er mein depressives Ich kennen lernen würde.
 

Es war mir auch zu privat, um es mit jemandem zu teilen, den ich eigentlich nicht richtig kannte. Mit der Aussicht auf ein erneutes einsames Wochenende, ging ich in die erdrückende Stille meines Haus und hätte am liebsten die Tapeten abgerissen, die Möbel in Stücke geschlagen und schreiend gegen die Wände getrommelt. Doch ich schluckte diese aufkochende Wut herunter und verkroch mich für einige Stunden unter meine Bettdecke. Mein Kopf dröhnte und mein Hals fühlte sich geschwollen an. Als ich schon dachte, dass ich zu allem Überfluss auch noch krank werden würde, spürte ich, dass sich eine Träne ihren Weg über meine Wange bahnte. Meine Reaktion darauf war, erst mal in ein Kissen zu schreien bis mein Hals schmerzte, danach griff ich zu meinem Handy und wollte tatsächlich meine Mutter anrufen. Meine Mutter! Diesen idiotischen Einfall verwarf ich sofort, suchte stattdessen nach der Nummer meines Vaters, mit dem ich öfter Kontakt hatte und stellte fest, dass er ein neues Profilbild in WhatsApp hatte. Ich klickte drauf und das Erste, was mir den Kopf schoss, war: So sieht mein Vater aus?
 

Da wusste ich, dass auch mein Vater keine geeignete Lösung für mein Problem war. Stattdessen fiel mir wieder ein, was Sky und Kaito letztes Wochenende vorgeschlagen hatten. Es war gar keine schlechte Idee. Wenn man sich in die Musikschule richtig reinhing, konnte man dort extrem viel Zeit tot schlagen und man hatte immer jemanden um sich. Ich ging sofort los und nun stand ich hier und überdachte meine Entscheidung, obwohl es eigentlich nichts daran auszusetzen gab... außer, wenn der Leiter der Schule immer noch sauer auf mich war, was ich mir jedoch nicht vorstellen konnte. Schließlich überredete ich mich dazu, es wenigstens zu versuchen. Seufzend legte ich die Hand an die Klinke und öffnete die Tür.
 

Auch innen sah sie immer noch so aus wie ich sie in Erinnerung hatte. Als Erstes gelangte man in einen großen Raum, in dem sich auf der einen Seite eine Theke befand und auf der anderen allerhand Musikinstrumente, die an den Wänden hingen. Ich konnte mich erinnern, dass der Leiter der Musikschule, Herr Kemp, immer davon gesprochen hatte, dass man diese Instrumente neu sortieren und aufhängen sollte, da der Anblick ein ziemliches Chaos bot, doch nie hatte sich jemand hinter diese Arbeit geklemmt. Und bis heute schien dies auch niemand getan zu haben. Ein Schmunzeln zuckte über meine Lippen. Manche Dinge änderten sich einfach nie. Hinter der Theke saß ein junges Mädchen, das ich nicht kannte. Sie konnte nicht älter als 16 Jahre sein. Ihre lockigen, blonde Haare waren zu einem Zopf zusammen gebunden. Ihr Gesicht war recht adrett, nur hatte sie die pubertären Pickel mit so viel Puder überschminkt, dass man es deutlich erkennen konnte. Sie trug lockere Klamotten und ein nervöser Ausdruck huschte über ihr Gesicht als ich mich an sie wandte.
 

„Ehm... ehm“, machte sie überfordert ehe ich auch nur den Mund aufmachen konnte. „Wie kann ich dir – Ihnen – meine ich – ehm – behilflich sein?“ Sie stand von ihrem Bürostuhl auf und warf dabei einen Stapel Blätter zu Boden. Bei dem Mädchen musste es sich um eine Aushilfskraft handeln. Die Musikschule war streng genommen in zwei Teile geteilt, die jedoch beide von Herr Kemp geleitet wurden. Zum einen gab es die Schule an sich, die sich im hinteren Teil des Gebäudes befand, mit der Möglichkeit auch im Hintergarten zu üben und zum Anderen gab es den Laden, der sich im vorderen Teil befand. Hier wurden Instrumente und andere Musik-Utensilien verkauft, aber auch repariert, wobei Herr Kemp dies häufig kostenlos tat, wenn es sich um keinen größeren Aufwand handelte, wie z.B. Saiten auf eine Gitarre neu beziehen. Dann berechnete er nur die Saite und nicht die Reparatur.
 

Herr Kemp hatte immer viel Spaß an seiner Arbeit, doch leider verdiente er nicht allzu viel, weshalb all seine Arbeitskräfte nur Aushilfen waren. Dieses Mädchen musste neu sein, denn zum einen kannte ich sie nicht und zum Anderen war sie die menschlich gewordene Nervosität.

„Bitte duze mich“, sagte ich, legte die Arme auf der Theke ab und warf heimlich einen Blick dahinter. Hektisch sammelte das Mädchen die Blätter ein, die sie herunter geworden hatte. Rote Flecken bildeten sich vor Scham auf ihrem schlanken Hals, den sie mit einer Beste Freunde – Kette zierte. Diese Ketten, die meistens Herzen waren und man in zwei Teile teilen konnte, sodass die eine beste Freundin den einen Teil und die Andere den anderen Teil trug.

„Du kannst mir tatsächlich helfen“, sagte ich. Ihr Schreibtisch war das reinste Chaos und sie machte sich auch nicht die Mühe die Blätter sofort zu sortieren, sondern warf sie nur in das Chaos hinein und blickte mich dann wieder durchatmend an. „Ich würde gerne zu Herr Kemp.“

„Er gibt gerade Unterricht“, sagte das Mädchen und blickte auf die tickende Uhr, die hinter ihr an der Wand hing. „Obwohl er gleich fertig sein sollte... ehm... wie lange ging noch mal der Nachmittagsunterricht... oder war das ein Privatkunde? Ich... ehm...“

„Du bist ziemlich chaotisch“, stellte ich fest und musste lachen, als sie daraufhin dunkelrot anlief. Sie würde sich super mit Lukas verstehen... Autsch. Warum genau musste ich schon wieder an den Kerl denken? Das Lachen verblasste von meinen Lippen.
 

„Ja, ich bin...“ Das Mädchen räusperte sich. „Ich schaue mal gerade nach Herr Kemp...“

Noch immer dunkelrot auf den Wangen kam sie hinter der Theke hervor und betrat den Flur, an dessen Ende sich eine Tür zur eigentlichen Musikschule befand. Ich beobachtete wie sie dahinter verschwand, dann verbrachte ich meine Wartezeit damit die Instrumente zu inspizieren, die an der Wand hingen. Noch immer hing dort dasselbe E-Gitarren-Modell, das ich schon früher unbedingt haben wollte. Mittlerweile musste es davon schon einige Neuerungen und verbesserte Formate geben, doch mein Musikerherz schlug jedes Mal höher, wenn ich dieses sah. Diese E-Gitarre war leicht zu handhaben und ihr klang war nicht ganz so metallisch, sondern eher melodisch, wenn man den Verstärker richtig einstellte.
 

Es dauerte nicht lange bis die Tür wieder aufging und das blonde Mädchen in Begleitung von Herr Kemp und einer Schülerin zurück kam. Auf den ersten Blick kam mir die Schülerin bekannt vor, auf den Zweiten erkannte ich Annalina, die ich in den Sommerferien bei Larissa kennen gelernt hatte. Sie schaute mich nicht weniger überrascht an als ich sie.

„Dich kenne ich doch“, entfuhr es ihr und sie begann zu grinsen. Das Lächeln stand ihr. Ihre schlichte, braunen Haare trug sie zu einem hohen Pferdeschwanz, während ein gerade geschnittenes Pony auf ihre Stirn fiel. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie dieses noch nicht in den Ferien hatte.

„Du hast dir die Haare geschnitten“, stellte ich fest und merkte noch im selben Moment, dass das eine dämliche Begrüßung war, nachdem wir uns wochenlang nicht mehr gesehen hatten.

„Ja, das habe ich“, nickte Annalina. Auf ihrem Rücken trug sie eine Gitarre, die sich in einer Stoffumkleidung befand, damit sie keinen Schaden nahm. Sie trug eine schlichte Röhrenjeans und dazu schwarze Turnschuhe, die schon etwas vertreten aussahen.

„Sieht gut aus“, merkte ich an. „Gefällt mir besser als ohne Pony.“

„Na dann, von dir muss ich leider sagen, dass du nicht so gut aussiehst.“ Annalina verzog ein wenig den Mund, behielt jedoch das angesetzte Lächeln auf den Lippen. „Du wirkst ein bisschen krank.“

Krank vor Liebe.

„Kann gut sein, ich fühle mich nicht so fit.“ Das war nur zur Hälfte gelogen. „Ich wusste nicht, dass du Musik machst.“

„Das wusste ich auch nicht von dir oder warum bist du hier?“

„Ja, warum bist du hier?“, schaltete sich nun Herr Kemp dazwischen. Auch er sah noch immer so aus wie ich ihn in Erinnerung hatte, nur ein wenig älter. Seine Haare waren grau und weiß und sahen ziemlich zerzaust aus, sein markanter Kiefer wurde von einem ebenso farblosen Bart geziert, während auf seiner Hakennase eine quadratische Brille saß. Wie schon früher trug er ein einfaches Hemd, heute in pechschwarz.
 

„Bist du hier, um mir noch einmal in den Rücken zu fallen?“, erkundigte sich Herr Kemp schnippisch.

Das kann doch nicht wahr sein, dass der alte Knacker immer noch wütend auf mich ist.

„Das ist schon Jahre her, Opa“, grummelte ich.

„Opa?“, fragten Annalina und das blonde Mädchen, das wieder hinter der Theke saß, gleichzeitig überrascht.

„Er ist nicht wirklich mein Opa“, erklärte ich sofort. „Ich nenne ihn nur so, weil er so alt ist.“

„So alt bin ich gar nicht!“, empörte sich Herr Kemp.

„Für mich schon!“

Manche Dinge änderten sich nie und, dass wir Beide uns stritten, würde sich wohl auch nie ändern. Eigentlich mochte ich den alten Knacker und ich war mir auch sicher, dass er mich immer gemocht hatte, trotzdem diskutierten wir wegen jedem Kram. Vermutlich war dies früher immer so gewesen, weil ich ein schwieriges Kind war. Als ich noch klein war, hatte ich hier angefangen Gitarre zu spielen, weil meine Eltern es für eine gute Idee hielten. Doch mit Herr Kemp hatte ich mich überhaupt nicht verstanden, weil er mir immer vorschrieb, welche Lieder ich spielen sollte, außerdem versuchte er mir krampfhaft das Notenlesen beizubringen, etwas, was ich bis heute nicht beherrschte. Stattdessen hörte ich die Lieder, suchte mir die Töne nach dem Gehör auf der Gitarre und fand die Melodie auf meine eigene Weise. Herr Kemp erklärte mir, dass das ein selten gegebenes Talent wäre und man daraus viel machen könnte, trotzdem versuchte er mir die Lieder weiterhin vorzuschreiben. Da ich jedoch keine Lust auf seine Lieder hatte, weigerte ich mich strikt etwas von ihm zu lernen.
 

Irgendwann gab ich nach und erlernte eines seiner langweiligen Lieder. Bei der Aufführungen, spielte ich dann jedoch stattdessen ein ACDC – Medley, was der alte Knacker überhaupt nicht lustig fand. Danach durfte ich eine ganze Weile lang nicht mehr auftreten...
 

„Aber jetzt mal ernsthaft, Gaara, was um alles in der Welt willst du hier?“, fragte Herr Kemp und verschränkte die Arme vor der Brust. Grummelnd schob ich das Kinn vor. Da war mal wieder etwas in mir, was mich in solchen Situationen immer dazu brachte das Falsche zu tun: Mein verdammter Stolz. Wenn ich hier wieder anfangen wollte zu spielen, musste ich mich für damals entschuldigen. Da gab es keinen Weg dran vorbei.

„Also...“ Ich räusperte mich. Annalina und die Chaotin blickten mich gespannt und noch immer recht verwirrt an, während Herr Kemp erwartungsvoll eine Augenbraue hob. „Erst einmal... wegen damals... die Sache mit dem nationalen Wettbewerb, also... dafür gibt es eine logische Erklärung... aber erst mal... ehm...“ Leise nuschelte ich: „Entschuldigung.“

„Wie war das?“, fragte Herr Kemp und beugte sich etwas vor.

„Beschaff dir ein Hörgerät, Opa“, murmelte ich.

„Nein, das hast du nicht gesagt. Ich glaube das war etwas, was ein paar Jahre zu spät kommt.“

„Ich sag dir, dafür gibt es eine Erklärung“, behauptete ich trotzig. „Du hast nie gefragt.“

„Doch habe ich“, entgegnete Herr Kemp. „Ich habe mir sogar Sorgen um dich gemacht, aber du hast vorgezogen mich zu ignorieren und einfach nicht mehr aufzutauchen, ohne ernsthaft zu kündigen.“

„Was ist hier los?“, fragte die Chaotin, die ein wenig verloren hinter der großen Theke aussah.

„Charlenne, das ist Gaara“, stellte Herr Kemp mich vor. „Er war einer der talentiertesten Schüler, die ich je hatte und ebenfalls ein sehr guter Lehrer. Und gleichzeitig war er unglaublich anstrengend gewesen. Alles lief einigermaßen gut bis zum nationalen Wettbewerb, an dem er gemeinsam mit unserem Orchester teilnehmen sollten. Aus irgendeinem Grund entschied sich Gaara, einfach nicht aufzutauchen. Damals dachte ich, ihm wäre etwas zugestoßen, ein Unfall oder ähnliches. Schließlich erfuhr ich, dass er einfach keine Lust darauf hatte. Danach hat er sich nie wieder gemeldet.“

„Dafür gibt es eine ordentliche Erklärung!“
 

Die gab es tatsächlich: Meine Mutter. Einige Monate vor dem nationalen Wettbewerb hatte sie mir verboten weiterhin zur Musikschule zu gehen, weil ich dort zu viel Zeit verbringen und sich dies auf meine Noten auswirken würde. Ich hatte ihr versprochen aufzuhören, war jedoch weiterhin heimlich in der Musikschule aufgetaucht. Ausgerechnet in der Woche, in der der wohl wichtigste Wettbewerb für die Schule gewesen war, kam sie wieder nach Hause. Und wie immer, wenn sie Zuhause war, wollte sie, dass ich jede freie Minute mit ihr verbrachte. Damals wollte ich das ebenfalls noch, weil ich noch der Meinung gewesen war, wenn sie nur genug Zeit mit mir verbrachte, würde sie mich genug lieben, um nicht mehr ins Ausland zu reisen. Dieser kindliche Glauben existierte mittlerweile nicht mehr. Ich hatte es Herr Kemp nie erklärt, weil es mir immer unangenehm gewesen war über meine Eltern zu reden. Besonders früher log ich mich lieber dumm und dämlich als die Wahrheit über sie zu verraten, obwohl sie – vergleichsweise mit Kaito zum Beispiel – schlimmer sein könnte.
 

„Ich will keine Erklärung mehr hören“, sagte Herr Kemp. „Sag mir einfach, warum du her gekommen bist. Bestimmt nicht, um dich zu entschuldigen.“

„Eigentlich wollte ich fragen, ob ich...“ Zögerlich kaute ich auf der Innenseite meiner Wange, ehe ich sie wieder los ließ und schwer seufzte. „Vergiss es, Alter, am Ende sagst du eh Nein.“

„Wenn du mich 'Alter' und 'Opa' nennst, fange ich wieder an dich 'Göre' und 'Balg' zu nennen. Darauf kannst du dich verlassen“, sagte Herr Kemp säuerlich. „Komm morgen um 17 Uhr noch mal vorbei, da werde ich Zeit für den Vertrag haben und wir können uns gemeinsam den Dienstplan anschauen.“

„Hä?“

„Du willst doch hier wieder arbeiten, oder?!“

„Jaa...“

„Ja, dann ist doch alles klar.“
 

In meinem Kopf ratterte es noch eine Weile bis ich endlich verstand, dass mich Herr Kemp tatsächlich wieder in der Musikschule aufgenommen hatte. Nachdem der Start so misslungen war, hätte ich dies nicht erwartet.

„Solltest du unsere Gruppe aber noch einmal so hängen lassen, fliegst du für immer raus“, fügte Herr Kemp noch hinzu, doch ich konnte mir das breite Grinsen im Gesicht nicht mehr verkneifen.

„Geht klar!“

„Charlenne, wir haben einen neuen Mitarbeiter“, sagte der Knacker an das Mädchen gewandt, als hätte sie dies nicht selbst mitbekommen. „Drucke bitte noch den Arbeitsvertrag aus bevor du gleich Feierabend machst.“

„Ja, mache ich sofort!“ Sie wandte sich an den Computerbildschirm, der gleich neben ihr stand und warf dabei erneut die Blätter herunter, die sie schon zuvor hatte aufsammeln müssen. Scharlachrot im Gesicht beugte sie sich herunter, um sie aufzuheben.
 

Annalina und ich verabschiedeten uns gemeinsam von den Beiden und verließen die Musikschule. Warm fiel das Sonnenlicht auf unsere Gesichter, während wir nebeneinander her den Weg zur S-Bahn entlang schlenderten.

„Sowie du mit Herr Kemp umspringst, könnte man glatt meinen ihr würdet zur selben Familie gehören“, sagte Annalina mit einem Lachen. „Das hat mich schon ein wenig geschockt, muss ich sagen. Aber warum bist du damals nicht aufgetaucht?“

„Das ist eine etwas längere Geschichte, glaube ich“, antwortete ich.

„Also ich habe Zeit“, sagte Annalina und seufzte schwerfällig. „Leider habe ich Zeit.“

„Warum leider?“

„Na, mir wäre es lieber, ich hätte was vor. Es ist Freitag und niemand hat Zeit für mich. Wir haben gestern in der Firma einen wichtigen Auftrag zu Ende gebracht, für den wir wochenlang durch gearbeitet haben, weshalb unsere Chefin allen für heute freigegeben hat, damit wir mal ein ganzes Wochenende durchatmen können. Wenn man aber jeden Tag so viel zu tun hatte und dann plötzlich gar nichts mehr, fühlt man sich ein wenig verloren, muss ich gestehen.“
 

Soweit ich mich erinnerte, machte Annalina eine Ausbildung zur Kostümdesignerin. Larissa, Sky und sie hatten sich gemeinsam bei demselben Auftrag kennen gelernt. Mir fiel auf, dass ich über diesen Beruf so gut wie gar nichts wusste.

„Mir geht’s genauso“, gestand ich. „Mit Aussicht auf ein komplettes Wochenende ohne Freunde, die haben alle keine Zeit.“

„Mies.“

„Mies“, stimmte ich zu. Für ein paar Sekunde kehrte Stille zwischen uns ein, dann lachte Annalina ein wenig und sagte: „Ich bin davon ausgegangen, wir wären nicht so verkrampft, was neue Leute kennen lernen angeht.“

„Dachte ich“, grinste ich.

„Dann frage ich einfach mal: Gehen wir heute zusammen was trinken? Es gibt da eine Kneipe, in der man gut einen trinken gehen kann. Dort läuft nur gute Rockmusik, aber nicht allzu laut, sodass man sich gut unterhalten kann. Jede Menge Ecken um sich zurück ziehen zu können und man darf überall rauchen. Ich gehe nicht gerne in Clubs bis morgens um fünf Uhr oder so etwas, ich bin eher der Kneipentyp bis ein Uhr nachts und danach vielleicht noch bei jemanden einen bescheuerten Film schauen oder an einem ruhigen Plätzchen einen Joint kiffen.“

„Ich glaube, wir werden uns gut verstehen“, sagte ich. Also machten wir einen Zeitpunkt aus, wann wir uns tragen, einen Ort, wo wir uns trafen und stiegen am Bahnhof in zwei unterschiedliche Straßenbahnen.
 

Zum Glück war ich zur Musikschule gegangen und zum Glück hatte ich Annalina getroffen. Wenigstens für heute konnte ich die Einsamkeit bekämpfen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  tenshi_90
2014-05-08T15:23:52+00:00 08.05.2014 17:23
Na immerhin hat er Larissa... Bin ja mal gespannt, wann er mal wieder auf Luca treffen wird
Antwort von:  Hushpuppy
08.05.2014 19:26
Ah, du hast glaube ich was verwechselt. Am Ende trifft er sich mit Annalina, nicht mit Larissa :)
Antwort von:  tenshi_90
09.05.2014 07:16
Ups.. Sorry :) Naja, immerhin kann er sich mit ihr ein wenig austauschen :)


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