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Die Legende von Shikon No Yosei

Das Schicksal einer Elementarmagierin
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie versprochen kommt hier die Story von Seiketsu! Wer sich gefragt hat, was die junge Mönchin in Tyria erlebt, erhält hier die Antwort!

Diese Geschichte spielt in der Welt von Guild Wars – Prophecies; einem Online-Rollenspiel, das von ArenaNet entwickelt wurde. Die Handlung jedoch ist der Fantasie von Ami Diana Saphira Mercury entsprungen.
Seiketsu No Akari war von Meister Togo unter allen jungen Absolventen Cantha´s ausgesucht worden für ein Stipendium bei den Deldrimor in den Südlichen Zittergipfeln, im Bereich Geschichte Tyria´s – denn die Zwerge gelten als Hüter uralten Wissens.
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Erzählung 02: Das Schicksal einer Mönchin

Von Heimat und Stärke

Seiketsu No Akari wurde in eine große, steinerne Halle unter der Erde geführt. Ein Teil des Palastes lag zwar auch überirdisch, aber die wahre Pracht der Feste Donnerkopf lag hier unten. Sie staunte über die detailreiche Verzierungen der Fassaden und die Magie, welche von den leuchtenden Steinen ausging. Erst jetzt begriff Seiketsu No Akari wirklich, wie alt und mächtig das Volk der Deldrimor in Wirklichkeit war. Und von diesen Meistern würde sie die nächsten vier Jahre lernen.

Sie schielte zu den anderen beiden Auserwählten. Es waren beides junge Männer. Der tyrianische Student hatte helle Haut und blonde Haare; er war ebenfalls Mönch. Anders dagegen der Waldläufer aus Elona – seine Haut war von der Sonne dunkel gebrannt. Unwillkürlich fragte sich die Shing Jea, ob sie miteinander auskommen würden.

Der Deldrimor, der sie in Empfang genommen hatte, gab den Wächtern einen Wink und augenblicklich öffneten sie das große Tor. Es führte in den Thronsaal – ein imposant wirkender Zwerg mit einer Plattenpanzer-Rüstung und einer schmiedeeisernen Krone auf dem Kopf hatte dort Stellung bezogen.

„Ich begrüße euch. Es freut mich, dass ihr euch für das Studium entschieden habt.“, sprach er mit kraftvoller Stimme, „Mein Name ist Jalis Eisenhammer … Ich bin der König der Deldrimor! Mein Reich wird euch in den kommenden Jahren eine Heimat bieten. Und wann immer ihr etwas auf dem Herzen habt, scheut euch nicht mit mir darüber zu sprechen. Egal, wie klein euch die Angelegenheit auch erscheinen mag … ich werde für euch da sein. Denn ab dem heutigen Tag gehört zu meinem Volk, Klerus von Kryta, Seiketsu No Akari von Shing Jea und Jabari von Kourna!“

Die Studenten beugte ihr Knie vor dem Herrscher als Zeichen ihrer Ehrerbietung.
 

Das Zimmer, in dem Seiketsu No Akari von nun an leben würde, war nicht sehr groß, doch ihr genügte es. Es gab ein Bett, einen Schreibtisch, einen Stuhl, einen Kleiderschrank und einen Spiegel. Eine einfache Studierstube eben. Seufzend betrachtete sie die beiden goldenen Armbänder an ihren Handgelenken. Ihre Mutter hatte sie ihr zum Abschied geschenkt – eines hatte ihr selbst gehört … das andere trug ihr Vater bis zu seinem Tod. War es ein Fehler gewesen Meister Togo´s Angebot anzunehmen? Sie war kaum hier und schon vermisste ihre Heimat, ihre Familie … besonders wenn sie an all die Gerüchte dachte. Seiketsu No Akari hatte zufällig gehört, wie sich ein paar Zwerge über die Pest Cantha´s unterhalten hatten – inzwischen sei sogar Shing Jea betroffen und der Leiter des Kloster leite Gegenmaßnahmen ein. Ob das bedeutete, Shikon No Yosei war in Gefahr? Nahm sie vielleicht genau in dieser Sekunde den Kampf gegen die Befallenen auf?

Die junge Mönchin öffnete eine Schublade des Schreibtisches und nahm ein Blatt Pergament, Tinte, sowie eine Feder zur Hand und begann einen Brief zu schreiben: „Liebe Shiko, jetzt sitze ich doch schon viel früher an diesem Brief, als ich eigentlich wollte … Ich dachte wirklich, ich wäre stärker. Ein Monat ist es jetzt her, dass ich Shing Jea verlassen habe. Shing Jea, unsere Familie und dich … Trotzdem schaffe ich es einfach nicht, meine Entscheidung wirklich zu bereuen, obwohl mir die Frage ständig durch den Kopf geht; ich will diese Chance nutzen – ich werde stärker werden, so stark wie du! König Jalis begrüßte uns heute als neuen Teil von Deldrimor … aber Shing Jea wird immer meine Heimat bleiben – dort, wo meine kleine Schwester ist! Jetzt brummst du, nicht wahr? Und nun lachst du, weil ich dich so gut kenne. Shiko … ich habe Angst. Stimmt es, dass sogar Shing Jea von der Pest betroffen ist? Hat Meister Togo dich deswegen ausgerechnet jetzt zur Verteidigerin bestimmt? Bitte, pass´ auf dich auf! Du wirst es schaffen, ich weiß es! Denn ich vertraue dir … Gib´ nicht auf! Ich bin in Gedanken bei dir. In Liebe, deine Sei“

Seiketsu No Akari faltete das Pergament zusammen und legte es zurück in eine Schublade ihres Schreibtisches. Sie konnte den Brief nicht abschicken, jetzt noch nicht. Solange würde sie ihn und alle folgen aufbewahren. Wenn Shikon No Yosei wirklich einen Kampf oder besser gesagt einen Krieg gegen die Befallenen führte, konnte sie keinerlei Ablenkung gebrauchen. Und vielleicht war sie ja gar nicht mehr auf Shing Jea … Die Pest betraf ganz Cantha. Die junge Mönchin wollte den Gedanken nicht zu ende führen, wie groß die Aufgabe sein könnte, der sich ihre Cousine in nächsten Zeit stellen musste …
 

Beinahe drei Monate waren seit Beginn des Studium vergangen. In dieser Zeit hatte Seiketsu No Akari ihre Trauer so gut es ging zu verstecken versucht und ihre Energie in die Arbeit gelegt. Sie wollte so viel wie möglich lernen, um Shikon No Yosei als Partnerin bei der Verteidigung von Shing Jea zur Seite stehen zu können.

In dieser Nacht träumte Seiketsu No Akari, wie so häufig, von ihrer Heimat. Sie lief durch die grünen Felder Shing Jea´s und genoss die warme Sonne auf ihrem Gesicht. Doch plötzlich veränderte sich die Umgebung. Sie befand sich nicht mehr auf der Insel, so viel stand fest, sondern stand in einem unbekannten, weiten große Raum mit roten Wänden. Ihr Blick wanderte umher … bis ihr der Atem im Hals stecken blieb. Vor ihren Augen fiel Shiko No Yosei bewusstlos zu Boden; ein fremder, junger Mann fing sie gerade rechtzeitig auf und legte sie auf ein Bett. Was war hier nur los? War mit Shikon No Yosei passiert? War das hier Wirklichkeit oder nur ein Trugbild ihrer Sorge? Seiketsu No Akari versuchte sich zu beruhigen, konzentrierte ihre Energie. Mit einem Schlag herrschte völlige Dunkelheit. Aber etwas stimmte nicht mit ihr. Verwirrt starrte sie auf ihre Hände; sie bestanden aus reinem Licht.

„Sei, bist … bist du es wirklich?“, fragte Shiko No Yosei, die auf einmal in der Finsternis aufgetaucht war, und umarmte sie.

Da wurde Seiketsu No Akari bewusst, wo und warum sie hier war.

Sie streichelte Shiko No Yosei über das Haar und erwiderte: „Ja, Shiko, ich bin es … Ich bin hier um dir zu helfen. Weißt du, wir befinden uns hier in der Gefühlswelt deines Herzens. Es ist erfüllt mit der Trauer um Meister Togo … Wir alle trauern um ihn. Sein Verlust ist ein schwerer Schlag für Cantha. Aber du darfst dein Licht der Hoffnung nicht erlöschen lassen! Erinnere dich wieder daran, warum du diesem Kampf aufgenommen hast …“

Sie zeigte ihrer Seelen-Schwester Bilder aus ihrer Kindheit. Auch von jenem Tag, als Meister Togo sie als Verteidigerin von Shing Jea auserwählt hatte. Und schließlich auch ihre erste Begegnung mit Ohtah Ryutaiyo.

„Ohtah …“, flüsterte Shiko No Yosei mit Tränen in den Augen.

Daraufhin wich die Finsternis zurück und es wurde etwas heller um sie herum.

Seiketsu No Akari lächelte zufrieden und erklärte: „Hier herrschen deine Gefühle … Sie spiegeln sich in Finsternis und Licht wieder. Die Trauer um Meister Togo überlagert derzeit alles andere. Shiko, erwecke das Licht in dir! Du bist nicht allein … Du hast diesen jungen Mann an deiner Seite. Und mich. Egal, wie viel Tausende von Kilometern wir auch voneinander getrennt sind, ich werde immer in deinem Herzen sein. Das verspreche ich dir, Schwesterchen … Also vertreib´ die Finsternis und lasse dein Licht leuchten … Oder Shiro wird Cantha endgültig ins Verderben stürzen!“

Die junge Mönchin dachte an den großen Raum. Vor ihnen erschien ein neues Bild.

In dem Raum stand ein einziges Bett und darauf lag Shiko No Yosei mit geschlossenen Augen; neben ihr saß Ohtah und hielt ihre Hand. Er wirkte verzweifelt.

„Letztendlich ist es deine Entscheidung, Shiko. Du musst entscheiden, ob du dich dem Kampf stellst oder ob du dich von der Trauer überwältigen lässt.“, meinte Seiketsu No Akari und legte eine Hand auf die Schulter ihrer Cousine, „Bedenke jedoch … Ohtah braucht dich. Ich brauche dich. Cantha braucht dich … Und Meister Togo´s Seele sieht dir aus den Nebeln heraus zu.“

Etwas begann an ihr zu ziehen und sie fügte schnell hinzu: „Glaube fest an deine innere Stärke!“

Sie war kurz vor dem Aufwachen, doch die Stimme von Shikon No Yosei erreichte sie dennoch: „Du hast recht … Ich darf nicht aufgeben. Es ist meine Aufgabe, Shiro zu vernichten. Ich bin dafür verantwortlich! Ich kann nicht davonlaufen. Auch, wenn ich am liebsten alles vergessen würde … All diese schrecklichen Bilder, all diese furchtbaren Kämpfe. Aber ich muss stark sein. Für Sei … für Ohtah … für Teinai … für Bruder Mhenlo … und besonders für Meister Togo … Ich werde sie nicht enttäuschen!“

Dann öffnete Seiketsu No Akari die Augen und lag wieder auf ihrem Bett in den südlichen Zittergipfeln, ihr Atem ging schneller. Sie hatte in diesem … Traum nicht nachgedacht und einfach Dinge geschehen lassen oder gesagt, von denen sie wusste, dass sie Shikon No Yosei helfen würden. Tränen bildeten sich in ihren Augen – trotz der weiten Entfernung war sie ihrer Cousine so nahe gewesen. Blieb nur die Frage, wie lange Seiketsu No Akari dieses Gefühl festhalten konnte, bevor der Schmerz sie wieder übermannte …
 

Seiketsu No Akari lernte jeden Tag äußerst fleißig. Sie hatte viele neue Fähigkeiten aus den Lehren der Deldrimor gewonnen. Die Geschichte der Deldrimor war der erste Themenbereich, den sie in Geschichte durchgenommen hatten – es war für Seiketsu No Akari sehr interessant zu erfahren gewesen, wie das Volk der Deldrimor entstanden war und welche Lehren der Foliant des Rubikon über den Großen Zwerg verbreitete –, anschließend arbeiteten sie sich Stück für Stück weiter. Es war unfassbar, wie viel Wissen die Zwerge über Jahrhunderte zusammengetragen hatten. Wann immer König Jalis Zeit hatte, leistete er ihnen bei Vorlesungen Gesellschaft oder hielt sogar selbst Vorträge. Es scheute ihn nicht einmal ihnen in der Bibliothek beim Suchen zu helfen, wenn sie ein bestimmtes Buch nicht finden konnten oder mehr über ein Thema erfahren wollten.

An diesem Abend besuchte Jalis Eisenhammer Seiketsu No Akari in ihrer Stube – sie hatte wieder einmal einen Brief an Shikon No Yosei verfasst.

„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs, Eure Majestät?“, fragte die junge Mönchin höflich.

Der Deldrimor nahm auf dem Stuhl am Schreibtisch Platz, während Seiketsu No Akari sich auf den Rand ihres Bettes setzte.

„Ich wandere häufig durch mein Schloss, musst du wissen … zu jeder erdenkliches Tages- und Nachtzeit.“, berichtete er und ließ sie dabei nicht aus den Augen, „Manchmal höre ich Geräusche, die … mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ohne lauschen zu wollen natürlich. Weißt du, was ich meine?“

Seiketsu No Akari wusste es. Er hatte ihr Schluchzen gehört, wenn sie sich in den Schlaf geweint oder ihre fertigen Briefe gelesen hatte. Jalis Eisenhammer kannte ihre Schwäche.

„Ich bin ein alter Mann, ich habe viel gesehen in meinem Leben.“, fuhr der König fort, „Du bist anders, als Klerus oder Jabari … und das liegt nicht daran, dass du ein Mädchen bist. Du verbirgst etwas … Du versuchst deine Gefühle zu unterdrücken. Du hast Heimweh, mein Kind, nicht wahr?“

Sie vergrub ihr Gesicht zwischen den Händen und antwortete: „Ja … egal, ob ich wach bin oder schlafe. Ich habe praktisch mein ganzes Leben in unserem kleinen Dorf verbracht und kenne jeden Zentimeter von Shing Jea. Ich liebe diese Insel! Und … ihre Menschen …“

Diesmal wollten die Tränen einfach nicht kommen. Zu hart war die Wahrheit. Sie gehörte hier nicht hin. Ihre Heimat war und würde für immer Shing Jea sein.

„Ich verstehe …“, erwiderte der König mitfühlend, „Als Herrscher dieses Landes und eines ganzen Volkes spuken mir ständig Sorgen im Kopf herum. Um nicht von ihnen beherrscht zu werden, suche ich nach Dingen, die mein Herz erfreuen … Deshalb komme ich auch so häufig zu euch in den Unterricht. Es befreitet mir Freunde. Eines möchte ich dich noch fragen, Seiketsu … Warum hast du dich auf das Studium bei uns eingelassen?“

Seiketsu No Akari richtete sich gerade auf – König Jalis verdiente es, dass sie sich mehr zusammenriss – und erklärte: „Schon bevor meine Schwester Shiko … Shikon No Yosei und ich unsere Ausbildung begannen, haben wir darüber gesprochen, wie schön es ist, anderen helfen zu können. Wir wollten nicht alles so hinnehmen, wie es ist … Wir wollten für unsere Heimat und seine Bewohner da sein. Shiko hat den Weg der Elementarmagierin gewählt … Sie ist unglaublich stark, auch wenn sie sich dessen noch nicht ganz bewusst ist. Ich dagegen kann nicht kämpfen. Aber ich wollte bei ihr sein! Immer … Deshalb bin ich Mönchin geworden, um sie mit meinen Gebeten zu beschützen! Meister Togo sagte damals, ich sei talentiert … Ich bin nur hier, weil ich so unglaublich schwach bin. Ich muss stärker werden, sonst kann ich Shiko nicht helfen.“

Jalis Eisenhammer zeigte den Anflug eines Lächeln, bevor er zur Tür ging.

„Jemand, der einen solch aufrechten Wunsch in sich trägt, kann jede Stärke entwickeln, die er braucht …“, sagte er beim Hinausgehen und schloss die Tür hinter sich, „Du sagst, deine Schwester wäre sich ihrer wahren Kraft nicht bewusst? Du ebenfalls nicht, mein Kind … noch nicht.“
 

Jalis Eisenhammer wanderte durch den Thronsaal. Immer wieder von einer Seite zur anderen und zurück. Sein Bruder hielt sich am Rand, beobachtete ihn eine Weile.

„Ich möchte Euch nicht zu nahe treten, mein König … Gestattet mir dennoch die Frage, was bedrückt Euch so?“, wollte er schließlich wissen.

König Jalis blieb stehen, wandte sich an Brechnar und erwiderte: „Entschuldige, Bruder … es war unhöflich von mir dich so in Ungewissheit zu lassen. Die Steingipfel machen mir Sorgen. Unser Vetter hat die Befehlsgewalt übernommen. Er will jeden einzelnen von uns auslöschen.“

„Dragnar?!“, sagte der Deldrimor entsetzt, „Das ist übel, Majestät. Er kennt keine Gnade … Aber ich glaube nicht, dass wir einen offenen Krieg riskieren dürfen. Das würde zu viele Leben kosten. Und die Zahl unseres Volk schrumpft ohnehin bereits.“

Der König nickte: „Ja, ich schließe mich deiner Meinung an. Nur was können wir tun? Dragnar will meinen Thron und damit die Kontrolle über die gesamten Zittergipfel! Ich muss meine Untertanen beschützen, egal um welchen Preis …“
 

Seiketsu No Akari ahnte derweil nichts von dem ernsten Gespräch, das nur wenige Meter über ihr geführt wurde.

Sie saß an ihrem Schreibtisch und verfasste einen weiteren Brief an Shiko No Yosei: „Liebe Shiko, ich denke, du kennst das Gefühl, wenn man einfach alles hinschmeißen will, nicht mehr weitermachen möchte. So geht es mir in letzter Zeit … Morgen jährt sich der Tag, an dem Meister Togo in unser Dorf kam. Doch … du hattest es bei deinem Kampf gegen Shiro auch nicht leicht, nicht wahr? Jedes Mal, wenn ich schwanke, denke ich daran, dass du immer weitergemacht hast. Du hast nicht aufgegeben, bis Cantha befreit war … Selbst hier in Tyria erreichen uns Geschichte über deine Heldentat. Ich bin sehr stolz auf dich! Darum darf ich nicht aufgeben. Ich werde nicht aufgeben! Ich will zurück nach Shing Jea … als Absolventin der Deldrimor! Mach´ dir keine Sorgen um mich – eigentlich geht es mir hier sehr gut. Bis bald, deine Sei“

In diesem Moment klopfte es an die Tür. Seiketsu No Akari sah überrascht auf. Normalerweise bekam sie so spät keinen Besuch mehr – von König Jalis einmal abgesehen, aber der kam nur jeden fünften Tag in der Woche und das war vorgestern gewesen. Sie öffnete die Tür, draußen stand Klerus.

„Guten Abend, Seiketsu.“, grüßte er sie, „Darf ich reinkommen?“

Es war das erste Mal, dass Klerus sie in ihrer Stube aufsuchte. Sie fragte sich, ob etwas passiert sei, gab aber kommentarlos den Weg frei. Er schaute sich kurz um, bevor er seinen Blick wieder auf sie heftete. Seiketsu No Akari lehnte an ihrem Schreibtisch und wartete.

„Ich muss dir etwas sagen …“, begann er und räusperte sich, „Ich habe mich in dich verliebt!“

Ihre Augen weiteten sich. Ein riesiges, imaginäres Fragezeichen erschien in ihrem Kopf.

Mit schwacher Stimme murmelte sie: „Wie … wie war das?“

„Ich liebe dich, Seiketsu.“, wiederholte er, diesmal kraftvoller.

Nie hätte Seiketsu No Akari mit solch einer Entwicklung gerechnet. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie schluckte schwer. Noch nie hatte ihr jemand seine Liebe gestanden, geschweige denn sich für sie als Frau interessiert. Oder zumindest hatte sie nichts dergleichen mitbekommen. Sie mochte Klerus … doch Liebe? Sie hatte sich ihre Zukunft bislang nie als Ehefrau vorgestellt …

Sie konnte ihn nicht ansehen, als sie ihm ihre Antwort mitteilte: „Ich … ich bin … Ich meine, ich fühle mich geehrt … wirklich. Nur … für mich gibt es zur Zeit nichts wichtigeres als dieses Studium. Ich kann … ich kann deine Gefühle nicht erwidern. Es tut mir Leid …“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Es war mir einfach nur wichtig dir die Wahrheit zu sagen … Mir tut es leid, sollte ich dir damit zu nahe getreten sein.“, winkte er ab, „Ich wollte einfach, dass du weißt, wie sehr ich dich bewundere …“

Damit verließ er das Zimmer. Seiketsu No Akari rutschte an ihrem Schreibtisch entlang zu Boden.

Draußen im Korridor ging Klerus am Türrahmen gelehnt in die Knie. Im Grunde sollte ihn ihre Antwort nicht überraschen. Hatte er nicht sogar damit gerechnet? Seiketsu No Akari hatte nicht das kleinste Anzeichen gegeben, dass sie sich für ihn interessierte … Im Gegenteil, sie mied jeden Kontakt zu ihm oder Jabari, der nichts mit dem Studium zu tun hatte. Dennoch tat es weh – in ihren Augen war absolut kein Zweifel gewesen. Kein Schimmer, weswegen er hoffen konnte. Warum wurde ausgerechnet seine Liebe nicht erwidert? Er musste hier raus, frische Luft schnappen. Klerus schlich durch die Gänge bis in die oberirdischen Räume. Sorgsam darauf bedacht von niemandem gesehen zu werden, trat er ins Freie. Die Feste Donnerkopf war manchmal wie ein Gefängnis … König Jalis hatte ihnen verboten, allein hinaus zu gehen. Doch Klerus ignorierte diese Warnung. Er ging hinaus in die Wälder, lief durch den Schnee, spürte die Kälte. Alles war besser, als vor Seiketsu No Akari´s Tür am Boden zu liegen … In diesem Moment fuhr ihm ein höllischer Schmerz durch den Hinterkopf und Klerus hörte ein teuflisches Lachen, während er das Bewusstsein verlor.
 

König Jalis hielt das Pergament mit zitternden Händen fest. Das durfte nicht wahr sein! Die Steingipfel schreckten wirklich vor nichts zurück.

Das Tor zum Thronsaal wurde geöffnet, Seiketsu No Akari und Jabari traten ein.

„Verzeiht die Störung, Eure Majestät.“, begann die Mönchin mit Besorgnis in der Stimme, „Wir … wir können Klerus nicht finden. Er scheint … verschwunden zu sein.“

Jalis Eisenhammer nickte niedergeschlagen: „Seiketsu, Jabari … ich muss euch leider mitteilen, Klerus wurde entführt. Er ist in der Gewalt der Steingipfel. Sie fordern einen Austausch … sonst werden sie ihn töten. Ich habe bis morgen Abend Zeit, mich ihnen auszuliefern. Habt keine Angst, ich werde unseren Freund nicht im Stich lassen. Er steht unter dem Schutz der Deldrimor. Es ist die Pflicht eines König, jedes Mitglied seines Volkes mit seinem Leben beschützen. Im Namen des Großen Zwergs!“

Seiketsu No Akari starrte den Zwerg entsetzt an. Sie wusste nicht, was sie mehr schockierte – dass er sich für Klerus opfern wollte oder dass Klerus wegen ihr gefangen genommen wurde. Klerus hatte ihr seine Liebe gestanden, sie ihn abgewiesen. Daraufhin war er aus der Feste Donnerkopf verschwunden – direkt in die Arme ihrer Feinde. Sie wusste, was Shikon No Yosei in dieser Situation tun würde … Und dasselbe musste sie jetzt auch durchziehen. Nicht nur für König Jalis … sondern vor allem für Klerus!

Sie verließ den Raum mit einer tiefen Verbeugung und zog Jabari dabei hinter sich her. Erst vor ihrem Zimmer blieb sie stehen.

„Ich brauche deine Hilfe.“, eröffnete sie ihm, „Ich werde nicht zulassen, dass König Jalis sich in die Hände der Steingipfel begibt! Das wäre das Ende von Deldrimor … Darum werde ich Klerus befreien und zurückbringen!“

Der Waldläufer zog eine Augenbraue hoch und hakte nach: „Jetzt mal langsam, Kleines … Du willst allein in das Lager unserer Feinde?!“

„Ja. Und ich habe nicht viel Zeit, bis das Ultimatum abläuft.“, erwiderte sie entschlossen.

Jabari sah sie an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen, und meinte: „Das ist purer Selbstmord!“

„Nein, ich komme ganz sicher zurück. Ich sterbe nicht, bevor ich nicht wieder zu Hause bin …“, widersprach sie ihm und sie schaute ihn durchdringend an, „Jabari, du musst den König irgendwie davon abhalten, zu den Steingipfel zu gehen! Er darf von dieser Unternehmung nichts mitbekommen – kann ich mich auf dich verlassen?“

Ihr Blick machte jeden weiteren Widerspruch zunichte. Jabari nickte ergeben und sie lächelte dankbar. Endlich begriff Seiketsu No Akari, warum sich Shikon No Yosei dem Kampf gegen Shiro Tagachi gestellt hatte. Es gab etwas, das sie beschützen wollte …
 

Seiketsu No Akari saß in ihrer gewöhnlichen Haltung an ihrem Schreibtisch. Vor ihr lag ein leeres Blatt Pergament und in ihrer Hand hielt sie ihre Feder. Doch ihr Gesichtsausdruck war anderes, als gewöhnlich. Bisher war es ihr zumeist eine Freude gewesen an Shiko No Yosei zu schreiben, doch nun hatte Seiketsu No Akari Angst vor dem, was sie schreiben würde …

Dann endlich begann sie zu schreiben: „Liebe Shiko … erst vor wenigen Tagen habe ich einen Brief verfasst, mit dem ich mir und dir geschworen habe, nicht aufzugeben. Genauso wie du es nicht getan hast. Ich klammere mich an deinen Mut … in der Hoffnung er möge auf mich übergehen. Du warst stets die große Heldin von uns beiden! Ich war zwar deine >große Schwester<, aber du hast auf mich aufgepasst, mich wieder aufgebaut. Immer. Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, du könntest bei mir sein, wie heute … Es gibt etwas, das ich tun muss. Es fällt mir schwer, darüber nachzudenken … Doch wenn ich es dir, Shiko, nicht anvertrauen kann, dann kann ich es niemand anvertrauen. Wegen mir ist Klerus in die Gewalt unserer Feinde geraten, der Steingipfel-Zwerge. Du fragst dich, warum das meine Schuld sei? Liebeskummer … Ich konnte seine Liebe nicht erwidern. Ich bin dafür verantwortlich, dass er die Feste verlassen hat. Deshalb kann ich nicht zulassen, dass sie ihm etwas antun … oder König Jalis, gegen den er ausgetauscht werden soll. Für Jabari ist es ein wahres >Himmelfahrtskommando< … Aber du kennst mich, Shiko, – ich werde keinen Unschuldigen zurücklassen, niemals! Sonst könnte ich nie mehr an deiner Seite stehen. Nicht als Schwester … und schon gar nicht als Verteidigerin. Trotzdem kann ich nicht gehen, ohne dir diese Zeilen zu schreiben. Jabari habe ich gesagt, ich würde zurückkommen, um jeden Preis. Das will ich – auf jeden Fall! Doch … ich will ehrlich zu dir sein, Schwesterchen, wenn die Rettung nicht schnell über die Bühne geht, dann … bezweifle ich, dass ich aus dem Lager der Steingipfel zurückkehren werde. Ich muss es schaffen, wenigstens Klerus da raus zu bringen … Es tut mir ehrlich leid. Ich habe keine Wahl, Shiko. Früher wollte ich nicht kämpfen, ich wollte nur beschützen. Von dir und deinen Taten habe ich gelernt, dass man manchmal nur beschützen kann, wenn man kämpft … Ich verspreche dir, ich werde nicht aufgeben! Wenn ich untergehe, dann kämpfend! Und … wenn es mein Schicksal ist, sehen wir uns in Shing Jea wieder … Ansonsten warte ich in den Nebeln auf dich! Ich liebe dich, Schwesterchen! Deine Sei“

Sie faltete das Pergament zusammen. Dann schrieb sie Shiko No Yosei´s Namen darauf und öffnete die Schublade mit den anderen Briefen. Doch statt wie sonst den Brief oben drauf zu legen, nahm sie alle heraus und schrieb eine kurze Notiz dazu. Sollte sie nicht in dieses Zimmer zurückkommen, würden die Deldrimor sie nach Cantha schicken und Shikon No Yosei würde die ganze Wahrheit erfahren. Mit diesem Gedanken machte sich Seiketsu No Akari auf den Weg zu ihrer Rettungsmission.
 

„Wo willst du hin, mein Kind?“, erklang die Stimme König Jalis´, als sich Seiketsu No Akari davon stehlen wollte.

Sie fuhr zusammen, schluckte schwer und drehte sich zu ihm um. Hinter dem König standen einigen bewaffnete Soldaten. Und an seiner Seite entdeckte sie Jabari.

„Es tut mir leid.“, meinte der Elonier, „Aber ich konnte nicht schweigen. Du wärst nicht zurückgekommen!“

Fassungslos starrte sie ihn an. Er hatte Jalis in ihren Plan eingeweiht.

„Warum vertraust du dich mir nicht an, Seiketsu?“, wollte er mit Nachdruck wissen, „Du bist so anders, seit Klerus verschwunden ist …“

Das wusste sie selbst. Aber wen würde es schon kaltlassen, dass er einen anderen zum Tode verurteilt hatte? Gut, sie hatte die Entwicklung nicht vorhersehen können … und Klerus zu belügen, nur um seine Gefühle zu schonen, wäre ebenso wenig in Frage gekommen. Trotzdem fühlte sie sich verantwortlich. Sie waren alle Studenten der Deldrimor … eine Gemeinschaft. Es war einfach ihre Aufgabe, ihm zu Hilfe zu eilen.

„Durch Jabari bin ich über alles im Bilde. Glaube mir, es wäre mir eine Freude mich für meinen Schützling eintauschen zu lassen …“, erklärte Jalis Eisenhammer, „Aber ich kenne die Art der Steingipfel. Ich bezweifle, dass sie Klerus wirklich freilassen würden … dazu sind sie viel zu grausam. Du hast mich dazu gebracht, noch einmal in Ruhe über alles nachzudenken, Seiketsu. Und ich stimme dir zu. Wir werden Klerus aus den Fängen dieser verdammten Steingipfel befreien!“

Erleichterung durchströmte Seiketsu No Akari und sie antwortete: „Ich danke Euch von Herzen, König Jalis! Bitte, erlaubt mir diese Mission selbst anzuführen.“

Jalis Eisenhammer begriff sofort, was sich hinter dieser unscheinbaren Bitte verbarg – sie wollte nicht, dass er die Feste Donnerkopf verließ. Seine Berater hatten diesen Wunsch ebenfalls vorgebracht. Zu groß war die Gefahr einer Falle. Aber durfte er als König seelenruhig abwarten, während seine Untertanen sich in Gefahr begaben?

Die junge Mönchin sah ihm direkt in Augen, als sie sagte: „Euer Volk braucht Euch hier in Sicherheit. Vertraut mir, lasst mich für Euch kämpfen … Um das zu beschützen, was mir wichtig geworden ist!“

„Ich werde dich begleiten.“, mischte sich Jabari ein, „Es ist unsere Aufgabe unseren Kameraden zurückzubringen!“

Der Deldrimor gab sich geschlagen: „Ihr dürft nicht an euch zweifeln … sonst werdet ihr scheitern. Die Steingipfel sind gerissen. Ich gebe euch fünf meiner besten Krieger mit. Seid wachsam … und kommt gesund wieder.“

Seiketsu No Akari verbeugte sich und versprach: „Beim Namen von Deldrimor, wir werden Euch sicher nicht enttäuschen!“
 

Der Schnee unter ihren Füßen knirschte. Die Luft hätte eisig sein sollen, doch Seiketsu No Akari spürte es nicht. Sie lächelte. Ihre Schutz- und Heilgebete waren noch nie so stark gewesen. Ihr Aufenthalt bei den Deldrimor hatte sich jetzt bereits gelohnt.

Seiketsu No Akari sah in die Gesichter ihrer Verbündeten, als sie an der Grenze ihres Territoriums angelangt waren und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern: „Wir müssen einen Angriff ihrer Soldaten provozieren. Je mehr wir hier herauslocken können, desto einfacher wird es für Jabari und mich durch ihre innere Verteidigung zu stoßen.“

„Ihr wollt ohne Geleitschutz gehen?“, wiederholte einer der Krieger ungläubig.

Die Mönchin nickte: „So fallen wir weniger auf. Und mit etwas Glück schaffen wir es sogar wieder heil heraus. Habt keine Furcht. Ich glaube an den Schutz Dwayna´s. Und ich vertraue darauf, dass der Großen Zwerg mit uns ist …“

Sie und Jabari versteckten sich hinter einem Felsen, während die Deldrimor mit Kampfgeschrei auf das Lager der Steingipfel zu stürmten. Natürlich hatten diese ihre Konkurrenten längst bemerkt und gingen zum Gegenangriff über. Eine wilde Schlacht nach Zwergenart entbrannte – die Gelegenheit für die beiden Studenten. Ungesehen schlichen sie hinein. Und obwohl Seiketsu No Akari wahrhaft keine Meisterin im Orten von Auren war – Shikon No Yosei war um Welten geschickten darin –, spürte sie die einzelnen Lebenslichter. Davon befand sich nur eine weit unter ihnen, allein.

„Wir müssen einen Weg in die Kerker finden.“, flüsterte die shing Jea.

Der Elonier mit seinem geübten Blick entdeckte in dem zwielichtigen Gang einen Treppe, die nach unten führte. Vorsichtig, um nicht in irgendwelche Fallen zu tappen, stiegen sie hinab.Alles roch modrig, Schleim klebte an den Wänden und Knochen lagen verstreut.

„Soll nochmal einer sagen, die Feste Donnerkopf würde stinken.“, scherzte Jabari.

Der Weg wurde nur vereinzelt von mickrigen Kerzenstummeln beleuchtet. Sie konnten kaum die Hand vor Augen sehen, bis sie um der nächsten Kurve vollkommen von Dunkelheit eingehüllt waren. Da konnte nur noch Magie helfen … Seiketsu No Akari konzentrierte sich auf das Licht in ihrem Innern. Es füllte sie aus, wärmte sie. Und dann schwand die Finsternis. Seiketsu No Akari strahlte regelrecht. Jabari stand der Mund offen so etwas hatte er noch nie gesehen.

„Diesen Zauber habe ich selbst entwickelt …“, meinte sie entschuldigend – genau genommen nachdem sie Shikon No Yosei im Traum gesehen hatte.

In diesem Moment hörten sie einen Ruf: „Hallo?! Ist da jemand? Bitte, helft mir!“

So schnell sie konnten, sprinteten sie die letzten Treppen hinunter und fanden Klerus, der sich an die Gitterstäbe klammerte.

„Seiketsu!“, stieß er erleichtert heraus, „Jabari! Ihr seid gekommen!“

Seiketsu No Akari berührte seine Hand und antwortete sanft: „Wir würden doch keinen Kamerad im Stich lassen! Die Deldrimor kämpfen draußen gegen die Steingipfel. Wir sollten uns beeilen und dich hier rausschaffen. Ich weiß nicht, wie lange sie noch durchhalten werden.“

Das war Jabari´s Stichwort – er nahm einen Dietrich aus der Tasche und brach damit das Kerkerschloss auf. Klerus fiel regelrecht in Seiketsu No Akari´s Arme. Die ständige Dunkelheit hatte ihn beinahe sämtliche Kräfte gekostet. Sie lächelte. Dankbar, dass ihm sonst nichts weiter zugestoßen war.

„Ich trage ihn.“, meinte der Waldläufer und sie half ihm, ihn auf seinen Rücken zu laden.

Der Rückweg dauerte erheblich länger. Klerus hatte das Bewusstsein verloren. Trotzdem stiegen sie die Treppe weiter hoch, ohne einen Laut von sich zu geben. Als sie den beleuchteten Teil erreichte, beendete Seiketsu No Akari ihr Dasein als lebendige Fackel. Nach drei weiteren Kurven traten sie endlich wieder in den Gang hinaus. Und wurden dort von den spitzen Speeren der Steingipfel in Empfang genommen.

„Widerstand ist zwecklos!“, brummte einer der Soldaten, „Lasst den Gefangen zurück und ergebt euch!“

Jabari bewegte sich nicht, er sah Seiketsu No Akari an. Sie schüttelte jedoch den Kopf, war nicht bereit einfach aufzugeben. Das Leuchten hatte ihre Magie ausgezehrt, es waren ihr kaum noch Reserven geblieben. Dennoch sammelte sie sich noch ein letztes Mal und flutete alles in einem heiligen Licht, das ihre Feinde verbrannte.

„Lauf´, Jabari!“, hauchte sie, als sie zusammenbrach, „Rettet euch …“
 

Seiketsu No Akari spürte Wärme um sich herum. Wie einfach es doch wäre, sich wieder fallen zu lassen und allem zu entfliehen … Aber nun da ihr Bewusstsein erwacht war, kehrte auch die Erinnerung zurück. Sie hatte ihre gesamte Magie verbraucht. Um Jabari und Klerus die Flucht zu ermöglichen … Erschrocken riss sie die Augen auf. Sie wusste nicht, wo sich befand – dies war nicht ihr Zimmer in der Feste Donnerkopf. Wie war der Kampf ausgegangen? Wo war sie? War das Unterfangen erfolgreich gewesen? Sie brauchte Antworten.

„Du bist endlich wach, mein Kind. Gut, dein Körper hat neue Magie gebildet.“, begrüßte König Jalis sie, der an ihrem Bett saß.

Seiketsu No Akari schluckte und erwiderte: „Verzeiht mir. Ich habe Euch enttäuscht, mein König. Ich konnte die Mission nicht zu Ende führen … Aber bitte, sagt mir, was geschehen ist. Ist Klerus befreit worden? Wie lange war ich ohne Bewusstsein?“

„Langsam, mein Kind. Du brauchst noch Ruhe. Und zunächst einmal möchte ich dir sagen, dass du mich ganz und gar nicht enttäuscht hast! Ich bin sehr stolz auf dich. Stolzer, als jemals zuvor. Jabari hat mir von deinem Einsatz berichtet.“, antwortete König Jalis ruhig, „Bevor du ohnmächtig wurdest, hast du ein Peingebet verwendet, nicht wahr? Es hat die Steingipfel … gelinde gesagt, aus dem Weg geräumt. Gleichzeitig heilte es deine beiden Kumpanen. Klerus hat dich hinausgetragen, Jabari beendete dort die Auseinandersetzung zwischen unseren Soldaten und den restlichen Steingipfeln. Ach ja, da fällt mir ein – Klerus hat sich lang und breit bei mir entschuldigt. Er schämt sich für seinen Leichtsinn, seine Unvernunft. Und er macht sich Vorwürfe, weil du dich wegen ihm in Gefahr gebracht hast. Während deiner dreitägigen Bewusstlosigkeit kam er immer wieder her, um nach dir zu sehen. So, ich glaube, damit sind deine Fragen beantwortet.“

Seiketsu No Akari hatte König Jalis schweigend angehört. Sie krallte sich in ihr Bettlaken. Es war ungerecht. Wieso hatte sich Klerus ausgerechnet in ein Mädchen verliebt, dass seine Liebe nicht erwidern konnte? Das hatte er nicht verdient … Doch sie konnte ihn nicht lieben, auch wenn sie es sich in diesem Augenblick wünschte. Zum ersten Mal in ihrem Leben sehnte sich ein winziger Teil von ihr nicht nach Shing Jea zurückzukehren.

„König Jalis, eine Frage gäbe es da noch …“, wechselte sie das Thema, um auf andere Gedanken zu kommen, „Wo sind wir hier eigentlich? Dies ist nicht die Feste Donnerkopf.“

Ein trauriger Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Herrschers, als er erzählte: „Nein, das ist sie nicht … Wir sind in einem Haus in Droknar´s Schmiede. Nachdem ihr losgezogen wart, meinten meine Berater, ich solle mich aus dem Palast zurückziehen. Gestern haben meine Späher die Nachricht gebracht, dass sich Dragnar in der Feste breitgemacht habe! Er hat uns tatsächlich den Krieg erklärt. Diesmal wird er büßen – das schwöre ich beim Großen Zwerg!“

So aufgewühlt hatte Seiketsu No Akari den König noch nie erlebt. Dies war bitterer ernst. Die Hallen seiner Vorfahren waren ihm heilig.

Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, klang seine Stimme so ernst, wie noch nie: „Seiketsu … wie du weißt, waren wir schon immer mit den Steingipfeln verfeindet, aber bislang hielten sich die Auseinandersetzungen in Grenzen. Nun haben sie eine Schwelle überschritten, nach der ich keine Gnade mehr walten lassen kann … Ich habe bereits mit Klerus und Jabari gesprochen. Jetzt muss ich dich fragen. Seiketsu, du wurdest nicht in das Volk der Deldrimor geboren … deshalb stelle ich es dir frei, kämpfst du in diesem Krieg an unserer Seite … oder kehrst du in deine Heimat zurück?“

Seiketsu No Akari benötigte einige Sekunden, bis sie seine Frage verdaut hatte. Sie konnte nach Hause, endlich … König Jalis gab ihr die Möglichkeit dem Krieg zu entfliehen. Sie musste nicht kämpfen. Aber … konnte sie auch? So einfach abhauen, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern? Wurde sie hier im Augenblick nicht mehr gebraucht? Und Klerus und Jabari waren doch gerade erst wirkliche Freunde geworden.

„Ich danke Euch, König Jalis, dass Ihr mir die Wahl lasst.“, kam es leise von Seiketsu No Akari, dann hob sie ihren Blick, „Shing Jea ist und bleibt meine Heimat. Dort lebt meine Familie, die auf mich wartet … Und das werden sie so lange, bis ich mein Studium hier beendet habe! Ich lasse die Deldrimor nicht im Stich! Denn … die Südlichen Zittergipfel sind inzwischen auch meine Heimat und die Zwerge meine zweite Familie!“

Lächelnd berührte Jalis Eisenhammer ihre Wange. Unendlicher Stolz lag in seinem Blick.

Ein Klopfen lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Tür – Brechnar Eisenhammer, Jalis Bruder, trat ein.

„Dem Großen Zwerg sei Dank, Ihr seid wach! Ganz Deldrimor war in Sorge um Euch!“, sagte der Krieger, was der Mönchin die Röte ins Gesicht trieb, „Und genau zum richtigen Zeitpunkt! Bruder, deine Gäste sind wieder da.“

Über Seiketsu No Akaris Kopf erschien ein imaginäres Fragezeichen, das Jalis Eisenhammer zum Lachen brachte: „Ja, es gab auch etwas Erfreuliches, während du bewusstlos warst. Bruder Mhenlo hat Deldrimor mit zwei seiner Verbündeten um Hilfe gebeten. Und ich bin sicher, du kennst sie …“
 

Im größten Raum des Hauses empfing Jalis Eisenhammer Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Bruder Mhenlo, die zusammen mit einer handvoll Deldrimor die Anführerin der Glänzenden Klinge aus der Gewalt der Mursaat und des Weißen Mantels befreit hatten. Die niederträchtige Organisation mit ihren sogenannten Unsichtbaren Göttern beschmutzten bereits seit einigen Wochen das Territorium der Zwerge.

„Meine Freunde! Wie schön, dass Ihr zurück seid!“, rief der König freudig aus, „Euren lächelnden Gesichtern nach zu urteilen, war Euer Unterfangen erfolgreich. Sehr schön … sehr schön.“

Seiketsu No Akari, die hinter dem provisorischen Thron kniete, lächelte in sich hinein, da begann Shikon No Yosei zu sprechen: „Ja, das war es, Eure Majestät. Wir hoffen nun eine größere Chance gegen unsere Feinde zu haben.“

„Ja, ja. Sicherlich, sicherlich. Aber während Euer Abwesenheit haben meine Späher den Aufenthaltsort dieser dreckigen Steingipfel herausgefunden. Sie haben – unfassbarerweise, wirklich einfach unfassbar – meinen Palast, die Feste Donnerkopf besetzt! Sie sind endgültig zu weit gegangen! Sie werde büßen! Deshalb fordere ich jetzt Eure Hilfe!“, erzählte der König, der sich schon wieder aufzuregen drohte.

Die Mönchin konnte Shikon No Yosei´s leichte Erheiterung heraushören: „Selbstverständlich stehen wir Euch zur Verfügung, König Jalis. Ich werde nicht eher ruhen, bevor die Steingipfel von Eurem Eigentum vertrieben sind …“

Das war ihr Stichwort: „Also, jetzt mal ehrlich ... Du hast dich wirklich kein bisschen geändert, Shiko. Aber dein Mut und deine Entschlossenheit erstaunen mich trotzdem immer wieder.“

Seiketsu No Akari trat aus ihrem Versteck heraus. Die Augen ihrer Seelen-Schwester weiteten sich, sie weinte. Und auch ihre Freude schwappte über ihre Augenränder. Beide bissen sich auf ihre Unterlippen. Eine eklektische Spannung lag in der Luft. Shikon No Yosei breitete sie Arme aus – kaum eine Sekunde später lagen sich die beiden Frauen in den Armen.
 

So kam es, dass Seiketsu No Akari für den Kampf gegen die Mursaat, die Titanen und schlussendlich den Untoten Lich, der von Anfang an alle Fäden in Händen gehalten hatte, wieder an der Seite von Shikon No Yosei stand – wenn auch nur kurzzeitig. Denn wie sie König Jalis versprochen hatte, blieb die junge Mönchin in Tyria, als sich die beiden Helden auf den Rückweg nach Cantha machten. Für die Deldrimor liegt der eigentliche Krieg noch vor ihnen … Und Seiketsu No Akari, Klerus und Jabari werden gemeinsam alles dafür tun, um die Südlichen Zittergipfel zurückzugewinnen.

Bis das Schicksal sie irgendwann wieder in ihre Heimat führen wird …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Den jungen Klerus solltet ihr im Hinterkopf behalten, denn man trifft sich immer zweimal im Leben - mindestens! Komplett anzeigen

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