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Engelstränen

Ich gehöre euch
von

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Eine tolle Woche.

Nach einem Tag Busfahrt erreichen wir endlich das Camp mit den Bungalows, wo ich die nächste Woche mit drei anderen Mädchen verbringen werde. Alice, Nele und Michelle, mit denen ich am Anfang letzten Schuljahres viel gemacht habe. Ich wollte eigentlich zu Layla in einen Bungalow, aber die Mädels hatten mich schon vorher gefragt. Und da es ohnehin keine Möglichkeit gibt, dass alle glücklich sind, haben Layla und ich uns aufgeteilt.

Schade eigentlich.

Wo ich doch zu kaum einem anderen aus meiner Klasse einen Draht habe.

Es ist schon merkwürdig, mit seinem Koffer, all seinen Sachen, die einem wichtig erscheinen, über den gesamten Campingplatz läuft, und nur Leute aus seiner Schule sieht. Alice ist schon sehr weit vorne bei ihren Freundinnen aus der Parallelklasse, und Nele hat ihre Sachen und gegeben, um schon mal nach unserer Hütte zu suchen. Nur Michelle und Layla sind bei mir.

Ich habe ein wenig Angst, dass Michelle sich ausgeschlossen fühlt, wenn ich beginne, mit Layla zu quatschen. Zudem hat sie mir mal gesagt, dass sie meine beste Freundin nicht mag.

Also sage ich nichts.

Umhüllt von unangenehmem Schweigen und quasselnden Leuten trotten wir zu dem Block, wo die Bungalows unserer Klasse stehen. Zwischendurch müssen wir immer wieder anhalten, weil die Arme von dem schweren Gepäck schmerzen.

Die ersten erreichen schon ihre Bungalows und richten sich ein, spaßen miteinander, als Nele endlich zurückkommt. Ihr hellgelbes T-Shirt ist kaum zu übersehen.

„Ich habe es gefunden!“, triumphiert sie und nimmt ihre Taschen zurück.

„Wurde aber auch Zeit“, schnauft Michelle.

Und dann laufen wir weiter und Michelle und Nele vertiefen sich in ein Gespräch über die bevor stehende Woche und lassen mich außen vor.

Ich sehe schon, das wird eine tolle Woche.
 

Der Bungalow ist klein und sieht nicht so aus, als hätte er genügend Platz für vier Personen. Wenigstens hat er eine große Veranda mit einem weißen Plastiktisch und weißen Plastikstühlen. Eine kleine Treppe mit drei Stufen führt dort hinauf und es gibt einen Holzzaun und auch eine Wäscheleine, die zwischen zwei Balken aufgespannt ist.

Im Haus drin ist zunächst ein kleiner Raum, etwa nur halb so groß wie mein Zimmer daheim, welcher für sowohl Küche als auch Wohnzimmer hinhalten muss. In den Schränken findet man Teller, Besteck, Gläser, alles, was in eine Küche gehört. Der Kühlschrank ist etwas zu warm und versucht, eine Flasche Cola und einige Energy-Drinks von Alice kühl zu halten. Ich beginne sofort, meine restlichen Süßigkeiten in einen leeren Schrank zu stopfen.

Das Bad hat nur gefühlte zwei Quadratmeter und ist mit Waschbecken und Dusche ausgestattet, das Klo ist etwa genau so groß und befindet sich in einem anderen Raum.

Die Zimmer selber Sind groß genug. In dem einen steht ein Schrank, ein Doppelbett, und ein Spiegel ist an der Wand befestigt. In dem Anderen sind drei Betten, wovon eines höher gestellt ist. Dieses nehme augenblicklich ich in Beschlag.
 

Nach einer Stunde einrichten und umsehen gibt es auch schon Abendessen. Das erste Gericht hier in Rom sind, ganz klassisch-italienisch, Spaghetti. Die Zelte zum Essen befinden sich direkt neben den Pools, und es gibt hier viel weniger Gedränge als in der Cafeteria. Das Essen schmeckt außerdem nicht nach Pappe.

Daran könnte ich mich gewöhnen.

Schnell habe ich Eva gefunden und setze mich zu ihr an den Tisch. Bei ihr sind zwei Jungs, mit denen sie in den letzten Wochen viel Zeit verbracht hat: Finn, ein Junge aus der Unterstufe, der in der kommenden Woche Geburtstag hat, und Florian, ein Atheist aus der Oberstufe.

Ich werde mit einem freundlichen „hi“ begrüßt.

Eva erzählt gerade von ihrem ach-so-coolem Busfahrer, der wohl die ganze Fahrt Musik laufen hatte und mit der Gruppe Späße getrieben hatte.

Das wäre nichts für mich gewesen.

Ich sehe mich im gesamten Zelt um und halte Ausschau nach Layla, erfolglos. Erst, als ich kurz gucke, ob Marcel auch da ist, finde ich sie. Layla sitzt bei meinen Klassenkameraden, neben Mila, die bei ihr im Bungalow wohnt. Ich sehe zurück auf meinen Teller. Layla und Mila verstehen sich in letzter Zeit sehr gut. Eigentlich sollte ich mich für Layla freuen, dass sie sich so gut in die Klasse eingelebt hat, aber in mir schwillt auch eine Eifersucht aus Angst zu einem kleinen Monster heran. Angst, dass ich Layla verliere.

Finn redet über Minecraft, seinem Lieblings-Computerspiel, was Eva ziemlich auf die Nerven geht. Sie erklärt mehrmals, dass sie Minecraft nicht ausstehen kann.

Ohne Begründung.

„Warum magst du Minecraft nicht?“, mische ich mich ein, „Ich finde es eigentlich ganz in Ordnung.

„Weiß ich doch nicht“, antwortet Eva, als ob es die Sinnloseste von allen auf der Erde wäre. „Das Spiel ist halt voll … Sinnlos!“

Nicht weniger sinnlos als die let’s plays, die du guckst, will ich antworten, halte die scharfen Worte jedoch zurück, um keinen weiteren Streit vom Zaun zu brechen.

Ich sehe zu meiner Klasse. Mit der Zeit stehen alle auf und gehen nach und nach zurück zu ihren Bruchbuden. Ich sehe, wie Layla und Mila lachen. Es versetzt mir einen Stich in der Brust.

Warum können sie so unbeschwert miteinander reden und lachen? Warum kann ich nicht so mit Eva reden? Und warum fühle ich mich auch so oft bei Layla verletzt?

Als nun auch Michelle und Nele das Zelt verlassen, merke ich, dass ich diese Situation kenne. Vor einem Jahr etwa geschah das gleiche mit mir.
 

Damals verbrachte ich viel Zeit mit Nele, Michelle und manchmal war auch Alice dabei. Layla kannte ich noch nicht, wie auch, sie war nicht auf meiner Schule. Sie wechselte erst im März zu uns.

Obwohl ich vor der Klasse viel mit den Mädels geredet habe, während wir auf den Lehrer warteten, und auch im Unterricht bei ihnen saß, war mir die Klasse fremd. Ich kam auf die Geburtstagsfeier meiner Freundinnen, obwohl ich jedes Mal genau wusste, wie unwohl ich mich dort fühlen würde, weil ich niemanden wirklich kannte.

Auch die Pausen verbrachte ich nie mit meiner Klasse, ich war immer in der Bibliothek und las irgendwelche blöden Comicromane. Das war dumm von mir, ich weiß, doch ich wusste nicht, wie ich die Pausen ansonsten verbringen sollte. Bei meiner Klasse zu sein konnte ich mir nicht vorstellen.

Irgendwann kam Eva regelmäßig in die Bibliothek und wir freundeten uns an.

Und mit der Zeit

Wurden mir Michelle, Nele und Alice fremder und fremder.

Und als Layla in die Klasse kam und ich mich neben sie setzte, sprachen wir schließlich gar nicht mehr miteinander.

Ich wurde ihnen weggenommen.
 

Das alles fällt mir wie Schuppen von den Augen, als Nele und Michelle das Zelt verlassen, ohne sich umzusehen. Niedergeschlagen gucke ich auf meinen Teller. Ich habe kaum etwas gegessen, doch ich fühle mich, als müsse ich gleich kotzen, weil mein Magen überfüllt ist.

„Ist du noch oder bist du satt?“, stottert Florian. Er stottert immer, man muss sich ziemlich konzentrieren, um zu verstehen, was er meint. Aber er ist sympathisch.

„Äh, ich bin satt“, antworte ich mit einem weiteren Blick auf meinen Teller.

„Du ist ja überhaupt nichts“, lästert Eva, „Willst du eine Bohnenstange werden oder was?“

„Lass mich doch“, murre ich. Nein, ich will keine Bohnenstange werden. Ich bin sogar ziemlich glücklich mit meinem Körper.

„Hey, Louise will noch dünner werden, als sie ohnehin schon ist! Spindeldürr!“, verkündet Eva.

Finn lacht einfach nur leise. Ein unechtes Lachen.

Ich weiß, sie wollen nur Spaß machen, und Sarkasmus ist für sie unverzichtbar. Ich weiß, alles, was Eva in diesem Ton sagt, ist nicht ernst gemeint. Dennoch versetzt es mir einen Stich. Ich bin noch nicht einmal einen Tag hier, und schon will ich wieder nach Hause. Ich will mich in meine warme Wolldecke einrollen, meine Musik laut aufdrehen und einfach nur ausschalten.

Nichts davon habe ich hier.

Ich sehe schon, das wird eine tolle Woche.



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