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Ohne Titel

Tänzer und Fotograf
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Lied für Kapitel 2: Coldplay - Speed of Sound Komplett anzeigen

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Entrée

Die mal grazilen, mal stakkatoartigen Bewegungen zu den verschiedenen Rythmen hatten Julien bald in ihren Bann geschlagen. Er hatte noch nie so ein starkes Verlangen gespürt, einen Menschen abzulichten. Er wollte, er brauchte dieses Motiv für sein Projekt. Diesen jungen Mann, der mit jedem Schritt, jeder Armbewegung, jedem Augenaufschlag höchst konzentriert war und doch im Moment zu leben schien.

Julien brannte darauf diesen Mann anzusprechen und um einen Fototermin zu beten. Als es zur Pause schellte, lehnte er sich zu seiner Schwester rüber: „Bianca, geh ruhig ohne mich in die Pause. Ich würde gern sitzen bleiben und die leere Bühne auf mich wirken lassen.“

Biancas Blick verriet, dass sie ihrem Bruder nur schwerlich glauben konnte, aber sie ließ ihn in Ruhe und verließ, wie das übrige Publikum, den Vorführraum und ging zurück ins Foyer.

Julien wartete noch ein Weilchen ab, drückte sich tief in seinen Sitz, als einer der Aufpasser nachsah, ob auch tatsächlich alle Besucher gegangen waren und schlich sich dann, als er sich allein im Raum vorfand, auf die Bühne und von dort aus direkt in den Backstage-Bereich. Hier war, zu Juliens großem Glück, alles in Hektik. Vor dem zweiten Teil mussten Kostüme gewechselt, Make-Up aufgefrischt und Requisiten auf ihre Positionen gebracht werden.

Weil jeder mit sich selbst oder dem nächststehenden Akteur in seiner Umgebung beschäftigt war, bemerkte niemand, wie er an allen vorbeiging und zielstrebig zu einem ganz bestimmten Tänzer eilte.

Der Hauptakteur, der Tänzer, der ihm sofort aufgefallen war, war von zwei Visagistinnen umgeben, die an seinem Hemd zupften und sein Gesicht neu nachpuderten.

Jetzt, wo Julien fast vor ihm stand, wirkte er kleiner als auf der Bühne. Er war aber dennoch einen halben Kopf größer als Julien, war etwa in seinem Alter, hatte fein definierte Muskeln und ein markantes Gesicht. Vor allem die Kiefer- und Wangenknochen stachen hervor. Julien konnte sich schon genau vorstellen, wie er dieses Gesicht ausleuchten müsse, um seine unglaubliche Ausdruckskraft genügend zu präsentieren.

Aber davor galt es den jungen Herrn überhaupt von seiner Idee zu erzählen.

„Ehm, hallo...“ Julien war tatsächlich etwas nervös, nervöser, als er von sich selbst gedacht hätte.

Der Angesprochene öffnete die Augen und sein Blick traf Julien völlig unerwartet. Unbewusst hielt er sofort die Luft an. Er hatte so etwas majestätisches an sich. Etwas wunderschönes...

„Kennen wir uns?“, fragte der Tänzer mit einer tieferen Stimme, als Julien erwartet hätte.

„Eh, nein“ Julien versuchte sich an einem Lächeln, zog aber nur unsicher einen Mundwinkel nach oben. „Mein Name ist Julien. Ich bin Fotografie-Student.“

„Aha“, erwiderte der Tänzer teilnahmslos und schloss die Augen wieder, als eine der Visagistinnen etwas Lidschatten nachtrug.

Julien fühlte sich mit jeder Minute unwohler. Er konnte sich gar nicht so recht erklären, warum. Für gewöhnlich beherrschte er solche Situation viel besser, wirkte wesentlich souveräner. Aber egal wie unangenehm das Ganze war, Julien wollte diesen Mann für sein Fotoprojekt. Und er würde alles dafür geben. „Ich habe dich auf der Bühne gesehen und war begeistert von deiner Performance.“

„Danke.“ Der Tänzer rang sich tatsächlich schon mal ein Lächeln für Julien ab. Na bitte, es ging doch!

„Und ich wollte, nein, ich musste einfach herkommen und dich fragen, ob du damit einverstanden wärst, wenn ich dich fotografieren dürfte. Nicht auf der Bühne, sondern allein. Für ein Fotoprojekt. Es heißt 'Bei Nacht'.“

So langsam hatte Julien seine Selbstbeherrschung wieder. Er klang wieder wie sonst, wenn er vom Fotografieren, sprach: passioniert und seriös. Doch als der Tänzer seine Augen erneut öffnete, rann ihm augenblicklich ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Dabei hatte er doch gar nichts zu befürchten...

„Ich soll also als Fotomodell für dich arbeiten.“ Die tiefe Stimme traf sofort diesen geschäftlichen Ton, die jedem Künstler irgendwo innewohnte.

„Ja... und nein. Ich habe kein Geld, um dich zu bezahlen. Ich könnte dir aber versprechen, dass das Bild an einer Ausstellung teilnehmen wird, die mehrere hundert Leute sehen werden. Und ich würde dir anbieten, außerhalb des Projekts Bilder zu schießen, die du verwenden kannst. Ich bin sehr professionel, auch wenn ich vielleicht nicht so wirke. Ähnlich wie bei dir, wenn du auf der Bühne bist.“

„So, ich wirke also nicht professionel auf dich.“

Oh fuck! „Nein, nein, so meinte ich das gar nicht...“ Julien spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss.

Plötzlich erklang ein Lachen, dunkel und rasselnd. „Keine Sorge. Ich verstehe schon.“

Julien spürte, wie beruhigend eine Hand auf seinen Arm gelegt wurde. Er sah hoch zu dem Tänzer und sah ihn tatsächlich lächelnd vor sich stehen.

„Dein Angebot interessiert mich. Du wirkst ja sehr überzeugt, wenn du hier so einfach während der Pause reinspazierst.“ Der Tänzer ging an Julien vorbei und zog sich eine Jacke von einem der Kleiderständer.

„Danke sehr“, murmelte Julien.

„Vielleicht treffen wir uns demnächst auf 'nen Kaffee und sprechen dann nochmal genauer über deine Pläne, okay?“, er zog eine Zigarettenpackung aus der Jackentasche, fummelte sich eine Fluppe raus und steckte sie sich in den Mundwinkel. „Lass dir von einem der Mitarbeiter meine Nummer geben und meld dich. Mein Name ist Leo“, grinste er ihm noch abschließend zu.

„Okay“, lächelte Julien zurück.

„Dann wünsch ich dir noch 'ne schöne Vorstellung.“
 

Julien wartete nicht lange. Direkt am nächsten Morgen rief er bei Leo an.

„13 Uhr? Geht klar. Kann sein, dass ich mich etwas verspäte, aber ich komme. Garantiert.“

Alles lief wie am Schnürchen. Julien packte für das Treffen voller Übermut schon mal seine Kamera ein, um eventuell ein paar Vorabaufnahmen machen zu können.

Das Café lag mitten in der Altstadt. Das Wetter war eher mäßig. Es war viel windiger, als der Wetterbericht es angekündigt hatte, aber das konnte Juliens Laune heute nicht dämpfen. In froher Erwartung kam er beim Treffpunkt an und nahm Platz. Er brauchte gar nicht lange warten, als auch schon Leo eintraf.

„Salut“, begrüßte er Julien mit einem galanten Handschlag und setzte sich ihm gegenüber. Allein in der Art seines Gehens und den Bewegungen seines Körpers konnte Julien den Tänzer in ihm erkennen.

„Hallo“, erwiderte Julien plump.

Er beobachtete Leo genau.

Wie er sich schwungvoll auf den aus Messing gegossenen Stuhl niederließ, die Beine übereinenader schlug.

Wie seine langen, schlanken Finger sich leicht zusammenkrümmten, als er sich durch die vom Wind zersausten Haare fuhr.

Wie seine Augen ihn schelmisch anblitzten, als er bemerkte, dass Julien ihn so unverhohlen anstarrte.

Leo fixierte ihn. Und Julien hielt dem Blick Stand, auch wenn er es kaum aushielt.

Julien fühlte sich wie in dem Moment, als er Leo das erste Mal gesehen hatte.

Diese kristallklaren blauen Augen. Wie spiegelnde Seen, umrahmt von dunklen, vollen Wimpern. Ein verschlossenes Buch, das zum Lesen einlud.

Julien schossen sofort tausend Ideen durch den Kopf. Er wollte diese Augen fotografieren. Das knisternde Blitzen, das von ihnen ausging. Er griff bereits nach seiner Kamera, als Leos Finger seine Hand berührten.

Ein kräftiger Herzschlag zuckte durch Juliens Körper.

Dann kam der Kellner und löste die Spannung wieder, die sich zwischen ihnen beiden aufgebaut hatte.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

Leo, der auf seinem Stuhl weiter nach vorne gerückt war, während sie sich so angestarrt hatten, rutschte nun wieder nach hinten an die Lehne heran. „Für mich bitte einen Capuccino.“, flötete er.

Dann richtete sich der Blick des Kellners zu Julien.

„Ehm... einen Latte bitte. Also, Latte Macchiato.“

Der Kellern quittierte Juliens freudschen Versprecher mit einem amüsierten Lippenkräuseln und notierte nickend die Bestellung. „Kommt sofort“, sagte er noch während er zum nächsten Tisch ging.

Julien lächelte Leo unsicher zu, als der Kellern gegangen war.

„Gut, warten wir noch auf unsere Getränke oder möchtest du sofort anfangen?“

„Nein, ich warte gerne noch auf deine Latte.“

Leos Kommentar ließ Julien augenblicklich erröten.

„Jiahh...“

Leo lachte. Ein tiefes, rasselndes Lachen. „Entschuldige. Von mir aus können wir direkt anfangen. Du möchtest mich also gerne als Model für dein Fotoprojekt. Warum gerade mich? Was genau hast du dir denn so vorgestellt?“ Nach seiner kurzen Erheiterung schaffte er es sagenhaft schnell wieder in seine geschäftliche Rolle zu kommen. Elegant mit geradem Rücken und überschlagenen Beinen saß er da und sah erwartungsvoll zu Julien.

Julien verblüffte dieser plötzliche Themenwechsel, aber andererseits er war auch ganz dankbar dafür.

„Ah jah... also, eigentlich hatte ich bisher noch keine konkreten Vorstellungen. Nun ja, bis ich dich auf der Bühen gesehen habe. Du hattest eine Ausstrahlung, die greifbar war. Und genau die will ich für mein Bild.

Ich hatte sofort ein Motiv vor Augen. Eine leere Industriehalle. Durch die großen Fenster scheint das Licht herein. Und fällt genau auf dich. In einer Ballet-Pose. Eine von denen, die du bei eurem Auftritt gezeigt hast, mit starker Ausdruckskraft.

Dein Gesicht der Kamera leicht weggedreht. Aber dein Blick... deine Augen sehen direkt in die Kamera.“

Julien machte eine Pause. Er war Feuer und Flamme für seine Idee, verstärkte seine Beschreibung mit seinen Händen.

Und mit seinen Augen.

Er musste Leo beeindrucken. Er musste ihn einfach dazu bringen, für ihn Model zu stehen.

„Da das Thema 'bei Nacht' ist, wie du dich vielleicht noch erinnern kannst, werden wir die Aufnahmen auch nachts machen. Wir werden mit Scheinwerfern arbeiten müssen, weil nur das Mondlicht nicht ausreichen wird. Auch wenn das natürlich äußerst romantisch wäre. Aber das geht nun mal leider nicht.

Oh, und ausgehend von den letzten Nächten wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr kalt für dich werden. Vor allem wenn du oberkörperfrei bist.“

Eine Pause entstannd. Julien spürte wie nervös ihn Leos Augen machten.

Durch keine Bewegung, weder durch das Zucken seiner Mundwinkel noch eine Veränderung in seinem Blick ließ er erkennbar machen, wie er zu der Idee stand.

Julien fing vor Nervosität leicht an, am Saum seines Hemds zu fummeln.

„Und? Was meinst du?“, fragte er schließlich geradeheraus, als er nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch keine Reaktion bekommen hatte.

Zum ersten mal, seit Julien begonnen hatte, ihm seine Vorstellung von dem Bild zu schildern, bewegte sich Leo und rutschte auf dem Stuhl etwas näher.

„Wie ich es finde...“, begann er, als gerade der Kellner wiederkam.

„Einen Capuccino und einen Latte. Et voilá.“ Julien bemerkte das Zwinkern des Kellernes gar nicht, als er ihm den Macchiato vor die Nase schob. Er war völlig auf Leos undurchschaubares Gesicht konzentriert.

Nachdem der Kellner endlich wieder verschwunden war und Leo an seinem Capuccino genippt hatte, öffnete er auch wieder den Mund und Julien lauschte gespannt jedem einzelnen Wort.

„Ich muss schon sagen, du sprichst sehr passioniert von deinem Plan. Das schätze ich sehr. Du hattest recht, als du sagtest, du bist professioneller als du wirkst.“

Leo schmunzelte angesichts seines Seitenhiebs, kam aber, wie zuvor schon, schnell wieder auf den Punkt.

„Deine Idee... wurde also inspiriert durch mich?“, fragte er.

Julien nickte.

„Na dann.“ Leo lehnte sich wieder zurück und nahm einen Schluck. Während er die Tasse wieder abstellte, glitt sein Blick in die Ferne.

Er war die Ruhe selbst. Ganz im Gegensatz zu Julien, den es in den Fingern juckte von Leo endlich eine konkrete Antwort zu bekommen.

„'Na dann' was?“, fragte er schließlich, als er das Warten nicht mehr aushielt.

Leo schaute augenblicklich wieder zu ihm. Er schmunzelte. „Na dann ist es mir eine Ehre mit dir an diesem Bild zu arbeiten. Als Muse und als Model. Ich bin gerade meine nächsten Termine durchgegangen. Leider habe ich wohl erst nächste Woche Mittwoch wieder Zeit. Davor bin ich komplett ausgeplant. Reicht dir die Zeit?“

Julien hätte vor Freude aufspringen können. „Ja klar. Das passt schon!“ Auch wenn es zeitlich wirklich sehr knapp war - denn nächste Woche Freitag musste das fertige Projekt bereits abgegeben werden – hatte Julien eine Zusage seines Wunschmodels.

„Vielen Dank.“

„Keine Ursache.“

Julien grinste über beide Ohren. „Der Kaffee geht auf mich.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Entrée - Der Eintritt, der Auftritt
Unschwer mit Leos Auftauchen in der Geschichte zu verbinden. Sowohl dem auf der Bühne, als auch in Juliens Leben.

Und? Wie kommt Leo so bei dir an, verehrter Leser? :)

Ich hab mich leider nicht dran halten können, püntklich das nächste Kapitel zu veröffentlichen. Mea culpa!
Dennoch sei hier meine kurze und schnöde Rechtfertigung niedergetippt: Diese Woche hatte ich soooo viiiiel zu tun! Und am Donnerstag kam Sims 4 raus - spätestens an dem Tag hatte ich keine Gedanken mehr für was anderes ;)
Die nächsten Kapitel werden aber wieder ausgehend vom ersten im 2-Wochen-Rythmus hochgeladen werden. Hab's mir jetzt extra im Kalender markiert!
Also - bis zum nächsten Kapitel. Komplett anzeigen

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