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Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI )

von

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Und es geht weiter...
 

Kapitel 4 - Götter unter sich
 

Der Crusador war neben den Überresten des alten Tempels gelandet. Flöte und Thana waren ausgestiegen. Allen hatte sich dagegen ausgesprochen, die beiden allein hinaus gehen zu lassen, aber wie Flöte ihm spöttisch gesagt hatte, brauchte sie keine Hilfe. Außerdem wäre niemand in der Nähe, der ihnen gefährlich werden könnte, das würde sie spüren. Schließlich hatte Allen sich damit abfinden müssen, und so standen beide nun vor den Ruinen. Alte Mauern aus Sandstein und Säulen aus Granit bildeten ein verwirrendes Labyrinth. Schließlich kamen sie zum innersten Heiligtum, ein Schrein, den man noch die einstige Pracht ansah.

"Wir werden hier warten, Thana. Setzt dich irgendwo hin. Und wenn sie kommt, sag bitte nichts, bis du angesprochen wirst." Gehorsam setzte Thana sich auf einen Mauerrest, und Flöte tat es ihr nach.

"Warum hast du es mir nie gesagt, Flöte? Weißt du, ich kann es immer noch nicht ganz glauben. Aber der Beweis war wirklich überzeugend. Ich habe Jahrelang mit einer Göttin zusammen gelebt, und es nicht gemerkt." Flöte atmete tief ein. "So sollte es auch sein. Weißt du Thana, das ist etwas, das ich noch nie jemandem gesagt habe. Abgesehen von der jeweiligen Hohepriesterin natürlich. Es ist nicht gut, erkannt zu werden. Ich habe oft überlegt, ob ich es dir sage. Du bist wirklich meine Tochter, ganz egal, was ich bin- oder auch du. Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe, aber ich hatte Angst. Angst, dich zu verlieren, wenn du gewusst hättest, wer ich bin."

"Weiß Keel es?" Das kleine Mädchen überlegte einen Augenblick. "Ich denke ja. Ich habe es ihm nie gesagt, aber es gibt nichts, das ich vor ihm verheimlichen könnte. Er weiß vielleicht nicht genau, wer ich bin, aber über das was dürfte er keine großen Zweifel haben." Antwortete Flöte etwas rätselhaft. "Und kennst du die, die wir hier treffen wollen von früher?"

"Ja, das tut sie." Thana drehte überrascht den Kopf zu der Stimme. Sie hatte nichts bemerkt, trotzdem stand auf einmal eine alte, gebeugte Frau vor ihr. "Das tut sie, mein Kind."

Flöte stand auf, und verbeugte sich vor der alten Frau. "Ich freue mich, dich zu sehen, Schwester." Sagte Flöte zu ihr. "Sei auch du gegrüßt, jüngste der Götter. Ich hatte nicht gedacht, dich noch einmal wieder zu sehen. Als das Land der Erschaffer unterging, dachten wir, du seiest mit ihnen in den ewigen Kreislauf gegangen." "Es wäre beinahe so gekommen. Aber dann fand ich dieses Mädchen. Ihr Geist war verwirrt, ihr Körper krank und ihre Eltern verzweifelt. Ich habe mich ihnen offenbart, und sie haben der Verbindung zugestimmt." Die alte Frau nickte, und Neugier glomm in ihren Augen auf.

"Dann ist der Körper menschlich, aber der Geist bist du?" "Ja, und nein. Der Körper stammt von ihr, aber in mir ist auch ein Teil ihres Geistes. Sie hat mich gelehrt, die Welt auf eine andere Weise zu sehen- der einer Verrückten." "Auch Verrückte leben in dieser Welt. Nur ihre Wahrnehmung ist anders." Es war keine Frage und kein Vorwurf, nur eine Feststellung. "Du hast dich also voll mit ihr verbunden. Aber wie kommt es, das der Körper immer noch so ist, wie vor zehn Millennien? Selbst wir können das Altern nicht vollständig anhalten. Sie dir diesen Körper an. Kaum fünfhundert Jahre alt, und er hat schon das Ende seiner Spanne erreicht. Und es wird auch mein letzter sein. Niemand mehr verehrt die alten Götter. Wenn dieser Körper gestorben ist, wird mein Geist frei sein, und ich werde nur noch in den Pflanzen und Tieren, in den Steinen und im Wasser existieren. Wie hast du es geschafft?"

"Es gibt hier eine Insel, auf der eine magische Quelle existiert. Einige der Erschaffer, die meinem Volk damals zugetan waren, haben sie erschaffen. Sie gab meinen Geschöpfen ein langes Leben, aber machte sie unfruchtbar. So entstand ein Volk von Wächtern, das nicht durch die Geburt korrumpiert werden konnte, wie es schon so häufig passiert war. Nur einmal wurde ein Kind geboren. Das Wasser hatte ihren Geist verwirrt, und ihren Körper krank gemacht, aber auch fast unvergänglich."

Die alte Frau nickte verstehend, und setzte sich mühsam auf einen der herumliegenden Steine. "So ist das. Deshalb hast du dich so oft hier aufgehalten. Kompliment, niemand hat etwas gewusst. Armes Mädchen. Du hast ihrer Existenz Leben gegeben, und ihr dafür ihren Körper genommen." Die Frau runzelte die Stirn, und schien in sich hinein zu horchen. "Fei Lang möchte mit dir sprechen, Schwester." Plötzlich änderte sich ihre Haltung, und damit auch ihr Verhalten. Die Änderung kam so überraschend, dass Thana aufkeuchte, als plötzlich eine ganz andere Person zu sprechen schien.

"Du bist also diejenige, die verschwand, als der alte Kontinent unterging?" fragte Fei Lang Flöte "Ja, das bin ich." "Ich freue mich, dich kennen zu lernen. Sie hat mir viel von dir erzählt." Es bestand kein Zweifel daran, wen sie meinte.

"Ich hoffe, nur gutes." "Ehrlich gesagt nicht nur. Aber Götter sind oft eifersüchtig. Womit wir beim Thema wären." Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. "Sie ist schwach, sehr schwach. Der Sturm hat ihr alle Kräfte geraubt, und nun ist sie zu schwach, sich noch einen Körper zu suchen. Vielleicht, wenn sie mehr Zeit hätte, aber so... Mein Leben wird bald zu Ende sein. Ich bereue nichts. Bevor sie zu mir kam, konnte ich weder sehen noch hören. Sie gab mir die Möglichkeit, die Schönheiten dieser Welt zu sehen. Und ich hatte ein längeres Leben als alle anderen, die ich kenne. Der Abschied war nicht leicht, aber ich würde es wieder tun. Wenn ihr Geist in den ewigen Kreislauf zurückkehrt, werde ich bei ihr bleiben. Vielleicht werden wir auf den Regentropfen reisen, und ich werde einmal sehen, wo du lebst. Aber zuvor müssen wir noch etwas erledigen." Ihr Blick wanderte nach Süden, dorthin, wo der Hass seinen Ursprung hatte.

"Irgendetwas dort widersetzt sich Li. Aber er ist viel stärker, als wir gedacht hatten. Seine Kraft ist um ein vielfaches stärker als damals. Eventuell kann dir die unerwartete Macht dort helfen. Sie kann es nicht mehr. Ich würde die Reise dahin nicht mehr überstehen. Versprich mir, alles zu tun, um ihn aufzuhalten." "Das tue ich, Fei Lang. Versprochen. Das Opfer meiner Schwester wird nicht umsonst sein."

Fei Lang stand auf, und verabschiedete sich. Doch auf einmal brach Thana ihr Schweigen. "Fei Lang?" Sie drehte sich um, Überraschung auf ihren Zügen. Aber es war nicht mehr Fei Lang. "Was willst du von ihr, Kind? Ihre Zeit ist abgelaufen. Lass sie ruhen. Sie muss ihren Tod nicht unbedingt spüren."

"Wenn sie stirbt, sterbt ihr auch, oder?" "Man könnte es wohl so nennen. Die Macht, die uns Götter bildet, verbindet sich bei ihrem Ende wieder mit der Welt, die sie umgibt." "Und wenn du noch einen Körper hättest?" "Dann könnte ich weiter existieren. Aber niemand hier glaubt noch an mich, oder wäre gar bereit, sich mit mir zu verbinden." "Ich würde es."

"Thana, hör auf mit dem Unsinn, damit scherzt man nicht." Rief Flöte ärgerlich. "Außerdem bist du Empathin. Nach ein, zwei Jahren würdest du verrückt werden." "Es ist kein Scherz. Ich kenne dich Flöte. Du glaubst nicht, dass du gewinnen kannst." Flöte schwieg eine Sekunde. "Es gibt immer eine Möglichkeit." Sagte sie lahm, aber beide wussten, dass Thana Recht hatte.

"Ich habe Li, oder was immer er auch ist, gespürt. Wenn er gewinnt, ist das das Ende. Aber wenn ich sie in mich aufnehme, seid ihr vielleicht stark genug, ihn zu besiegen. Und danach kann sie immer noch gehen. Oder sie bleibt in mir, bis wir jemanden gefunden haben." "Das werde ich nicht zulassen, Thana. Das ist zu gefährlich für dich."

"Das ist doch wohl ihre Entscheidung." Fuhr ihr die alte Frau dazwischen, und zu Thana gewandt "Ich hätte dich nie darum gebeten. Aber du hast Recht, es vergrößert unsere Chancen. Falls es gefährlich für dich werden sollte, werde ich wieder gehen, versprochen. Und jetzt, bist du bereit?" Thana nickte, unfähig, etwas zu sagen. "Gut. Ach ja, mein Name ist Sakúraa." Dann merkte Thana, wie etwas uraltes, gewaltiges in ihren Geist fuhr, und für Minuten war sie sich nicht ihrer selbst bewusst.
 

Sie legten Fei Lang auf den Altar. Ihr Körper begann bereits zu zerfallen. Vier Jahrhunderte holten nach, was eine Göttin verhindert hatte. Morgen schon würden ihre Knochen zu Staub zerfallen sein, und mit dem Wind davon getragen werden, hinaus in die weite Welt.
 

Stöhnend öffnete sie die Augen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten. Ihr Rücken brannte wie Feuer, und ihre Arme waren eindeutig überdehnt. >Dabei bin ich doch Läuferin! Wie kann das sein? Es müssten doch die Beine sein.< "Hitomi! Hitomi! Bist du wach?" Sie schlug schwach nach dem Gesicht, dass sich undeutlich vor ihr abzeichnete. Welcher Idiot schrie sie so an? Dann klärte sie ihre Sicht, und erschrocken wollte sie sich aufsetzen, aber der Schmerz vereitelte ihr Vorhaben. "Van, was... ooohhhhh, mein Rücken!"

"Hitomi, geht es dir gut?" "Blöde Frage, oder was meinst du, warum ich hier so stöhne?" Im ersten Moment erschrak Van, aber dann erfasste er den Ton, mit dem sie ihre Frage gestellt hatte. Nörgelnd, aber nicht gehässig. "Hitomi!" freudig umarmte er sie, ließ sie aber sofort wieder los als sie aufschrie. "Au! Bist du wahnsinnig! Mein Rücken! Oh, wie das brennt."

Sie fasste nach hinten, aber Van hielt ihre Hände fest. "Tu das besser nicht!" "Wieso?" "Es ist nicht gut, eine Wunde zu berühren." "Eine Wunde? Mein ganzer Rücken fühlt sich an, als ob jemand einen Eimer Säure darauf ausgekippt und ordentlich verrieben hätte!"

"Eigentlich sind es auch zwei Wunden. Kein Fetzen Haut mehr. Eine links und eine rechts, enorm groß. Deine Sachen sind auch kaputt, aber es sieht aus, als ob sie zerrissen worden wären. "

Eine links, und eine rechts. Zerrissen. Hitomi wurde es siedend heiß. Auf einmal fiel ihr wieder ein, woher diese Wunden stammten, was passiert war. Da war Li, dann der Sturz, diese scheinbare Ewigkeit, die sie gefallen war. Und dann Varié's Stimme. Der Schmerz und dann... und dann ihre Flügel. >Was hat das zu bedeuten?< fragte sie sich. "Was hast du gesagt?" Hitomi erschrak. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie laut gedacht hatte.

"Nichts, nichts. Ich habe bloß überlegt." "Weißt du, was passiert ist? Ich war besinnungslos. Ich kann mich nur noch an diesen unbeschreiblichen Hass erinnern, und dann wurde ich bewusstlos."

"Nein, ich habe keine Ahnung, was geschehen ist." Antwortete Hitomi. >Warum habe ich das gesagt? Es ist doch nichts passiert, außer, dass mir Flügel gewachsen sind. So etwas ist für Van doch nichts neues. Aber ich habe ihn ohne zu zögern belogen. Das erste Mal, dass ich ihn mit voller Absicht belogen habe. Warum?<

"Kannst du aufstehen?" "Wie? Ach so. Ja, ich glaube schon." Sie rappelte sich trotz des immensen Schmerzes auf, und wunderte sich, dass er ihr nicht half. Bis sie ihn ansah. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen blutunterlaufen. "Mein Gott, Van! Du siehst schrecklich aus." "Du auch. Aber es tut nicht mal sehr weh. Komm. Wir müssen Li erwischen, bevor er seine Kräfte sammeln kann." >Noch so einen Angriff überleben wir nicht.< Er sprach diesen Gedanken nicht aus, aber das war auch nicht nötig. Hitomi konnte ihn von seinem Gesicht ablesen, nicht zuletzt deswegen, weil sie das gleiche gedacht hatte.

>Komisch. Es tut tatsächlich kaum weh, jedenfalls bedeutend weniger, als ich dachte. Wahrscheinlich haben wir uns schon an die Schmerzen gewöhnt, und fühlen sie kaum noch.< Sie hatte schon von so etwas gehört, aber nie geglaubt, dass es so sein könnte. Andererseits hatte sie auch noch nie so viele und so große Schmerzen gehabt. >Jetzt verstehe ich auch, warum man bei der Folter alles gesteht. Ich hätte alles getan, damit die Schmerzen aufhören. Selbst wenn ich Van hätte umbringen müssen.< Sie erinnerte sich daran, dass sie das tatsächlich vorgehabt hatte, und wäre beinahe zusammen gebrochen. Trotzdem empfand sie fast nichts dabei. >Anscheinend ist nicht nur körperlich eine bestimmte Schwelle überschritten.< Dann hörte sie auf zu denken, und folgte nur noch Van, der eine Treppe gefunden hatte, und dieser nach oben folgte.
 

Grübelnd stand die Gestalt am Abgrund. >Hier ungefähr müsste es gewesen sein. Diese ungeheure Energie des Hasses... und dann dieses Licht. War sie das? Wenn ja, dann muss sie die Auserwählte sein. Aber wie komme ich nun hinüber?< Die Gestalt schaute noch einmal auf die gegenüber liegende Seite. >Da bleibt mir wohl keine Wahl, ich muss es versuchen. Aber in meiner Verfassung über eine solche Strecke...<

Ärgerlich riss sie sich zusammen. Warum sich Gedanken machen über etwas, das man nicht ändern konnte? Wenn es etwas gibt, dass du tun musst, dann mach es, und halte dich nicht mit unnützen Gedanken auf.

Mit unsicheren Händen holte sie ihren Anhänger unter der Kutte hervor. Sie atmete noch einmal tief durch, dann schlossen sich ihre Finger fest um den blauen Stein an der Goldkette. Erst passierte gar nichts. Dann begann es zwischen ihren Fingern zu flackern. Bläuliches Licht breitete sich von dem Stein in ihren Händen aus, hüllte sie ein, wurde stärker, fast fühlbar- und dann lösten sich ihre Füße von dem Boden, auf dem sie bis eben gestanden hatte.

Langsam schwebte sie über den unendlichen Abgrund. Dann, kurz vor Erreichen des rettenden Ufers, wurde ihr Flug unruhig. Schweiß trat auf die Stirn der Gestalt, das Licht wurde unstet. Mit letzter Kraft warf sie sich nach vorne, erwischte die Kante und zog sich hoch. Dort blieb sie Minutenlang liegen, schwer atmend und der Bewusstlosigkeit nahe.
 

"Gut. Landet da unten." Kommandierte Flöte. "Aber da sind Soldaten." Wandte Gades ein. "Egal. Die werden uns nichts tun. Lande da unten!" Wiederholte Flöte noch einmal. Eisige Kälte und absolute Sicherheit begleiteten ihre Worte. Dann drehte sie sich zu Thana um. "Bereit?" Thana nickte. Sie wusste, die Frage galt weniger ihr als ihrem "Gast", von dem sie niemanden erzählt hatten. Und dieser Gast war bereit.

"Tut mir wirklich leid, dass ich deinen Körper benutzen muss. Aber so kann ich meine Kräfte viel besser einsetzen- zumindest die, die mir noch verblieben sind." Wisperte es in ihrem Kopf. Thana sparte sich die Antwort und folgte Flöte, die mit energischen Schritten zum Ausstieg ging. Hinter ihnen blieben Allen, Millerna, Dryden, Gades und der Rest der Mannschaft zurück, die ihnen unbehaglich nachschauten. Flöte hatte ihnen verboten, sie zu begleiten. "Helfen könnt ihr uns nicht." Hatte sie gesagt. "Und wenn wir uns um euch Gedanken machen müssen, stört das nur unsere Konzentration- von der wir jedes Quäntchen brauchen." So gingen Flöte und Thana mit ihrem Gast also allein in die Höhle des Löwen.
 

Nach schier endlosen Treppenstufen- so schien es ihnen zumindest- befanden sie sich nun in einem merkwürdigen, schwach beleuchteten Gang. Das Licht kam allein von einer einzigen Öllampe und zwei Paaren von kleinen, runden Öffnungen in einer Wand. Plötzlich hörten sie lautes Gepolter von der anderen Seite der Wand. Eine große, schwere Tür wurde aufgestoßen, und Waffengeklirr drang zu ihnen. Sie hörten die gurgelnden Schrie zweier sterbender Männer, und dann eine Stimme, die ihnen bekannt vorkam. "Li! Du bist erledigt! Endlich wirst du für den Tod meines Vaters büßen!"

>Der Prinz!< schoss es Van durch den Kopf, und er konnte in Hitomis blassem Gesicht sehen, dass auch sie die Stimme erkannt hatte.

"Sieh an, der junge Prinz!" Li's Stimme klang herablassend, aber deutlich klang Schwäche darin. "Ich glaube, du bist ein bisschen voreilig. Ich glaube eher, du wirst deinem Vater folgen!" Grauenvolles Lachen drang durch die Wand, während Van und Hitomi verzweifelt, aber völlig erschöpft nach einem Ausgang suchten. Sie hatten keine Ahnung, wie sie in ihrem Zustand eine Hilfe sein sollten, aber untätig herumzustehen war das letzte, was sie tun wollten.

Auf einmal schien Hitomi etwas gefunden zu haben. "Van! Komm her und hilf mir!" In diesem Augenblick hörten sie grässliche Schreie aus einem halben Dutzend Kehlen, und bald darauf Stille. Hitomi sah Van mit schreckgeweiteten Augen an. Er wusste genau, was sie dachte >Wir sind zu spät!< Aber er war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er rüttelte mit aller Kraft an der versteckten Tür, und endlich, endlich öffnete sie sich. Van fiel beinahe hindurch, so schnell geschah es, und so erschöpft, wie er war. Seine Augen weiteten sich, als er den Thronsaal erkannte.

Bei dem Gepolter drehte sich Li zu ihnen um. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich erst in Überraschung, und dann in- Angst? Diesen Augenblick nutzte Shin, der vor Li am Boden lag, um nach seinem heruntergefallenem Schwert zu greifen. Mit einem heiseren Schrei wollte er es ihm in den Bauch stoßen, doch das einzige Ergebnis war ein gleißender Blitz, und das Schwert schmolz. Shin schrie qualvoll auf, als das geschmolzene Eisen seiner Klinge über seine Hand lief. Der Schrei erstarb und er fiel besinnungslos zu Boden.

Li warf ihm noch einen Hasserfüllten Blick zu, dann wandte er sich wieder an Van und Hitomi, die nicht glauben wollte, was sie gesehen hatten.

"Ihr werdet noch qualvoller sterben. Du!" Er zeigte auf Hitomi und seine Stimme klang wie die dunkelsten Töne aus der tiefsten aller Höllen. "Du wirst den Tag bereuen, an dem du geboren wurdest. Niemals zuvor hat ein Mensch es geschafft, mich zu verletzten. Dafür wirst du büßen."

"Du warst schon immer zu schnell mit deinen Urteilen, Kowartok!" Li fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und seine Gestalt schien dabei zu verschwimmen, als ob die Luft um ihn herum durch eine große Hitze in Wallung geraten wäre. "Llanwellyn! Das ist unmöglich! Wie hast du mich entdeckt?"

Verwirrt sah Van, wie zwei Personen, die er seit kurzem kannte, durch die Tür kamen, die Shin mit seinen Männern aufgebrochen hatte.

"Oh, das habe ich nicht." Antwortete Flöte. "Aber als die zwei da entführt wurden, bin ich ihnen gefolgt. Und dann habe ich dich gespürt. Ich habe lange überlegt, woher ich diese Schwingungen kenne. Aber dann ist es mir eingefallen. Es ist lange her, Kowartok. Ich hatte gehofft, die Verbannung damals hätte dich zur Vernunft gebracht. Aber ich sehe, es ist noch viel schlimmer als damals."

"Pah! Verbannung! Ihr habt mich weggeschleudert von meinen Anhängern, weil ihr Angst hattet! Die Macht missbraucht! Wozu ist denn Macht da, wenn nicht, um sie zu gebrauchen?"

"Genau, um sie zu ge- nicht Missbrauchen. Wir sollen den Menschen helfen, nicht ihre Seelen in Besitz nehmen, um uns selbst zu stärken."

Mittlerweile war Thana zu Hitomi und Van getreten. "Wovon reden die?" fragte Van seine Cousine. "Keine Zeit. Hitomi, warst du das vorhin? Diese riesige Energiemenge?" Verwirrt sah Hitomi sie an, nickte dann aber. "Ich glaube schon. Aber ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Und Van war bewusstlos." "Kannst du das noch mal machen?" "Auf keinen Fall!" sagte Van heftig. "Das hält sie nicht durch." "Außerdem wüsste ich nicht wie."

Thana nickte und auf einmal veränderte sich ihre Stimme. "Dann müssen wir es allein machen." Sie sah sich um. "Schafft diesen Mann da hinaus, der lebt noch." Sie zeigte auf Shin. "Der Rest ist tot." "Aber Thana..." "Keine Widerrede, Hitomi. Du hast genug getan. Ohne dich hätten wir keine Chance gehabt. Und jetzt geht! Alle beide!" Sie schauten Thana überrascht an, einen solchen befehlenden Ton waren sie höchstens von Flöte gewohnt, aber nicht von ihr. "Hört ihr schlecht? Los!" Van schluckte, und zog die sich sträubende Hitomi mit sich. Mit Thana war eine Veränderung vorgegangen. Er wusste nicht welche, und er konnte nicht sagen, dass sie ihm gefiel. Aber in einem hatte sie Recht. Sie hatten genug getan. Sie waren viel zu erschöpft, um wirklich von Hilfe sein zu können. Er fragte sich bloß, wo Allen war. Thana und Flöte waren bestimmt mit dem Crusador gekommen, aber von dem Ritter des Himmels war weit und breit weder etwas zu hören noch zu sehen. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Hoffentlich war ihm nichts passiert.

Flöte und Li- oder Kowartok wie sie ihn genannt hatte- waren in der Zwischenzeit umeinander gekreist, und so standen sie nun ein Stück weit entfernt von dem bewusstlosen Shin. Und sie hatten sich verändert. Van konnte nicht erkennen, was genau es war, aber sie schienen irgendwie ihre Gestalt verändert zu haben, ohne dass er irgendeine genaue Veränderung hätte benennen können.

Er kniete neben Shin nieder, und versuchte ihn aufzuheben. Aber er war wohl schwächer, als er gedacht hatte. "Hilf mir, Hitomi! Hitomi?!" Sie fuhr zusammen. "Entschuldige. Was... ach ja." Gemeinsam hoben sie ihn hoch. Hitomi stöhnte dabei vor Schmerz, sagte aber kein Wort. >Stimmt ja, sie ist ja schwer verletzt. Aber allein schaffe ich es unmöglich...<

Seine Gedanken stockten, als er sah, was Thana machte. Sie hatte sich hinter Li geschlichen, und die Hände erhoben, als ob sie ihn erwürgen wollte. Um ein Haar hätte Van den leblosen Körper in seinen Armen fallen gelassen. Was tat sie da?

Und in diesem Moment geschah es. Irgendwie hatte Li etwas bemerkt. Er drehte sich um, so schnell, dass Van der Bewegung nicht folgen konnte, und erwischte Thana mit der Faust. Sie flog in hohem Bogen bis zur Wand, rutschte an ihr herunter und blieb regungslos liegen.

Van ließ Shin fallen. Hitomi stöhnte auf, als die ganze Last plötzlich auf ihrem geschundenen Rücken lag, und auch ihr Griff löste sich. Shin polterte zu Boden, aber keiner von den beiden achtete darauf, denn was sich vor ihren Augen abspielte, war zu unbegreiflich, als dass sie die Augen hätten abwenden können.

In Bruchteilen einer Sekunde war Flöte nach vorn geschnellt. Ihr Sprung brachte sie mit rasender Geschwindigkeit näher an Li, der ihr wegen des Schlages nach Thana den Rücken zukehrte. Im Sprung veränderte sie sich. Sie wurde größer, die Gestalt des Mädchens änderte sich, wurde rundlicher, und dann prallte eine drei Meter große, junge Frau in der Blüte ihrer Jahre auf Shin. Weder Van noch Hitomi konnten erkennen, was dann passierte, denn ein unglaublich greller Blitz gleißenden Lichts blendete sie.

Als sie blinzelnd wieder die ersten Umrisse erkennen konnten, keuchten sie auf. Nur wenige Meter von ihnen entfernt kämpften zwei titanische Gestalten miteinander. Flöte war mittlerweile fast fünf Meter hoch, aber die andere Gestalt überragte sie noch um mehrere Köpfe, und stieß beinahe an die Decke der Halle. Ihr grässlich missgestalteter Körper wogte auf und nieder. Überall unter seiner mit schwarzen Beulen übersäten Haut schien etwas lebendiges herauszuwollen. >Das Schlechte quillt aus ihm heraus.< schoss es Van durch den Kopf. Neben ihm sank Hitomi zu Boden, und ein würgendes Geräusch sagte ihm, was mit ihr geschah.

Er versuchte, den Blick von diesem Kampf der, der... >ja was eigentlich?< abzuwenden, aber er konnte es nicht. Niemals zuvor hatte er etwas so grauenvolles gesehen, etwas so Abgrundtief böses. Niemals hätte er geglaubt, dass es so etwas überhaupt geben konnte. Das Ungeheuer, das einmal Li gewesen war, brüllte auf, und Van erschrak. Das war das erste Geräusch, das er von diesem Kampf gehört hatte. Selbst die gleißenden Blitze, die jetzt in allen Farben zwischen ihnen hin und her sprangen- selbst in schwarz, so unglaublich das auch klingt- bewegten sich in völliger Lautlosigkeit. Und Flöte schien zu verlieren.

Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, fing Thana auf einmal an zu zucken, und etwas nebliges, aber ungeheuerlich kraftvolles kam aus ihr hinaus. Van konnte es spüren. Es war anders, als die Kraft von Flöte und zum Glück ähnelte sie nicht im geringsten der des Monsters, aber trotzdem hatten sie eine Gemeinsamkeit- eine Kraft, die über alles ging, das er sich vorstellen konnte.

Die neblige Gestalt verformte sich, wurde fester, obwohl sie immer noch mehr Dunst als Materie war, und nahm eine menschenähnliche Form an. Van sah immer noch die Gestalt Thanas, die hinter dem Wesen lag, das aus ihr herausgekommen war. Neben ihm fiel Hitomi auf den Boden, und wand sich in irren Zuckungen. Sie musste viel stärker spüren, was er nur am Rande mitbekam. Van bückte sich, und zog sie und dann Shin mit plötzlicher Kraft weg von ihrem Erbrochenen, weg von diesen Gestalten. Dann nahm er Hitomi in seine Arme, und versuchte sie irgendwie zu trösten, auch wenn das Grauen, das er selbst verspürte größer war als jemals zuvor.

Die Erde bebte, als sich auch das dritte Wesen in den Kampf einmischte. Der Hauptteil des Kampfes schien nicht auf dieser Ebene der Existenz stattzufinden, aber schon das bisschen, das in diese Dimension durchdrang, schien das Gefüge des Raumes um sie herum zu sprengen. Die Wände knirschten und Putz, Goldplättchen und Splitter roter Farbe sprangen von ihnen ab. Und immer noch war kaum mehr zu hören, als das Wimmern Hitomis, die Erschütterung des Gebäudes und sein eigener schneller, angsterfüllter Atem.

Wieder ruckte die Erde, als sich die drei Giganten zu einer letzten Anstrengung aufrafften. Die erste Säule stürzte ein, und plötzlich erschlaffte Hitomi in seinen Armen. Dann schien es vorbei zu sein.

Das kleine Mädchen Flöte lag vor einer halb menschlichen, halb dämonischen Gestalt, neben ihr pulsierte die Nebelgestalt, formlos und geschlagen. Die unbeschreibbar grässliche Gestalt über den beiden beugte sich über den formlosen Klumpen Nebel. "Du hast mich zum letzten Mal behindert, Sakúraa. Aber bevor ich mir etwas für dich einfallen lasse, erledige ich erst mal diese menschlichen Störenfriede."

Der finstere Blick seiner Augenlosen Stirn richtete sich auf Van, Hitomi und Shin. Van wollte wegrennen, sich verstecken, sich in sein Schwert stürzen, was auch immer. Er hätte alles getan um diesem Wesen zu entkommen. Aber Entkommen gab es nicht in seinem Wortschatz. Nicht mehr. Dieses Wort hatte seine Bedeutung in dem Moment verloren, als das Wesen beschlossen hatte, ihn zu vernichten. Langsam und qualvoll. Sehr qualvoll. Und sehr langsam.

"Nein!" Der Schrei hallte durch den zerstörten Saal, und die pure Existenz des Widerspruches ließ das Böse noch einmal innehalten. "Nein? Neeeiiinnn?" In diesen Worten lag genug bösartige Belustigung, dass es für ein ganzes Leben gereicht hätte- für einen Menschen. Aber dieses Wesen war alles andere als ein Mensch.

"Du meinst wohl, ich soll mit dir anfangen, kleines Mädchen?" Van starrte ungläubig auf die vermummte Gestalt, die aus dem selben Geheimgang wie er und Hitomi gekommen waren. Wie lange war es her? Es schienen Tage zu sein, vielleicht sogar Monate. Aber etwas an der Gestalt kam ihm bekannt vor- richtig, er hatte sie flüchtig gesehen, nachdem er im Labyrinth bewusstlos gewesen war. Die Gestalt hatte sie verarztet, und war dann verschwunden.

"Ich werde nicht zulassen, dass du meinem Bruder etwas tust, du grässliches Wesen!" Ein schauderhaftes Lachen erklang, und das Blut in Vans Adern wurde endgültig zu Eis.

>Ihr Bruder? Was für ein Bruder?< fragte sich Van verwirrt. Dann schlug die Gestalt die Kapuze zurück, die bisher ihr Gesicht verdeckt hatte. >Mai Ling! Deshalb ihr Bruder! Shin!<

"Und wie willst du mich daran hindern? Willst du mich anfauchen wie eine Wildkatze? Das gefällt mir. Vielleicht lasse ich dich am Leben... vorerst. Du könntest mir eine Menge Spaß bereiten." Mai schluckte bei dem bloßen Gedanken, aber dann griff sie entschlossen unter ihre Kutte. "Ich werde dich aufhalten. Damit." Eine goldene Kette mit einem blau funkelnden Edelstein daran kam zum Vorschein, und in einer Form, die Van sehr bekannt vorkam.

Wieder lachte das Monster, auch wenn es eine Spur vorsichtiger geworden war. "Ein Torstein! Sieh an. Diese Steine haben in der Tat große Kraft. Aber das wird dir nichts nützen. Falls du es noch nicht gemerkt hast, es gibt bereits zwei davon in diesem Raum. Und ich existiere immer noch." "Mag sein, aber ich kann dich trotzdem aufhalten. 'Wenn der Wunsch stark genug ist'" begann sie zu zitieren "'und der Träger gewillt, seine Existenz in die Hände der Götter zu legen, ist er in der Lage, alles wahr werden zu lassen.' Das hat der alte Mann gesagt, und ich zweifle nicht an seinen Worten. Ich werde dich aufhalten, auch wenn es mich das Leben kostet." Sie hielt den Stein mit beiden Händen vor sich, schloss die Augen, und gab die Kraft ihres Lebens in den Stein und in ihren Wunsch.

Blaues Licht breitete sich aus, überlagerte alles andere, und ein harmonisches Klingen erfüllte die Herzen aller. Ungebändigte Energie umströmte Van und alle anderen in diesem Raum. Dann verlor auch Van das Bewusstsein.
 

Das Zufallen der Tür brachte ihn wieder in die Welt der Lebenden. Er riss die Augen auf, und sah in Allens Gesicht, der sich vor einer Sekunde weggedreht hatte. "Du kommst genau richtig, Millerna. Er wird gerade wach." "Allen! Wo bin ich? Was ist passiert?"

Er wollte sich hinsetzen, aber Millerna drückte ihn wieder auf das Bett zurück. "Alles in Ordnung, Van. Du bist auf dem Crusador. Aber was passiert ist, kann ich dir nicht sagen."

Allen seufzte "Als der Palast einzustürzen begann, sind wir hingerannt. Wir haben dich, Hitomi, Flöte, Thana und zwei Fremde gefunden, alle bewusstlos. So schnell, wie wir konnten, haben wir euch auf den Crusador gebracht. Wir sind ein Stück weggeflogen, und dann hier gelandet. Bis jetzt hat uns noch niemand angegriffen. Die Stadt, in der ihr wart, ist allerdings ein einziger Trümmerhaufen. Und bevor du fragst, es geht allen gut. Bis auf dich sind nur noch Hitomi und die Fremde bewusstlos."

"Mai Ling. Das ist ihr Name." "Ich weiß." Unterbrach ihn Allen. "Ihr Bruder hat uns alles erzählt, wer sie sind, und dass sie euch entführt haben. Sie sind vorläufig unsere Gäste. Zum Weglaufen sind sie sowieso zu schwach. Was mit ihnen geschehen soll, können wir später noch besprechen."

Millerna hatte ihre flüchtige Untersuchung beendet. "Dir scheint es ja soweit ganz gut zu gehen. Nebenbei gesagt, ist Allen nicht auf dem neusten Stand. Sowohl die Fremde als auch Hitomi sind wach geworden. Wenn Allen dich stützt, können wir hinüber gehen, sie liegen beide nebenan- mit Flöte und Thana. Ich dachte mir, das ist besser, falls doch etwas ist. Dann bin ich immer gleich da, und brauche nicht erst in einen anderen Raum zu laufen. Dieser Shin ist auch schon drüben." "Dann los. Aber Allen braucht mich nicht stützen." "Wenn du meinst..." antwortete Millerna lächelnd. Zum Glück sagten weder sie noch Allen etwas, als er Van auffangen musste, weil seine Beine unter ihm nachgaben.
 

Als Van den Raum betrat, immer noch von Allen gestützt, erschrak er. Sie saßen alle um einen großen Tisch herum. Blasse Gesichter mit Blutunterlaufenen Augen schauten ihn an, und die Körper der Anwesenden wirkten geschwächt und ausgemergelt, als ob sie tagelang gehungert hätten. >Sehe ich auch so schrecklich aus?< fragte er sich. Sein Blick suchte den Hitomis, doch sie schaute weg. Sie schien fast Angst vor ihm zu haben. Dann sah er Shins Hand. Sie war wieder vollkommen in Ordnung. Aber war zu verwirrt von allem, um von sich aus zu fragen.

Stattdessen redete Flöte ihn an. "Schön, dass du auch wach bist, Van." Er konnte sie kaum verstehen, so schwach war ihre Stimme. Sie wartete, bis er auf dem letzten freien Stuhl Platz genommen hatte, und sprach dann zu Allen. "Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich dich und Millerna bitten, den Raum zu verlassen. Es geht nicht darum, euch etwas zu verheimlichen." Sagte sie schnell. "Mir ist es ehrlich gesagt sogar ziemlich egal, was sie euch nachher erzählen, aber es gibt eine Menge Fragen, die wir erst einmal unter uns zu beantworten haben. Fragen, die das betreffen, was im Palast geschehen ist." Allen und Millerna zögerten einen Augenblick, gingen dann aber, als niemand der anderen Flöte widersprach.

"Also." Sagte das kleine Mädchen, als sie den Raum verlassen hatten. "Ihr habt sicher eine Menge Fragen." "Die haben wir." Sagte Van, und redete schnell weiter, bevor sie etwas erwidern konnte. "Was bist du wirklich? Was war dieses Ungeheuer, und was kam da aus Thana heraus. Was ist überhaupt" ein Hustenanfall schüttelte ihn, und Flöte sagte begütigend, und mit einem Abklatsch ihres sonstigen spöttischen Lächelns "Hetz nicht so. Ich werde alle Fragen beantworten, deren Antwort ich selbst kenne. Aber alles der Reihe nach. Fangen wir mit deinen ersten drei Fragen an. Sie gehören nämlich zusammen." Sie trank einen Schluck aus dem Glas vor ihr, das mit einer klaren, roten Flüssigkeit gefüllt war. Van wunderte sich einen Augenblick lang, dass sie in ihrer Verfassung Wein trank.

"Nun, was ich dir über mich erzählt habe, entspricht durchaus der Wahrheit, aber es ist nicht die ganze." Van lehnte sich zurück. Wer hätte das auch gedacht- von ihr, die mehr Geheimnisse zu verbergen schien, als alle Spione dieser Welt.

"Wo fange ich an? Am besten am Anfang. Schon seit Anbeginn der Zeit beten die Menschen zu den verschiedensten Göttern. In welcher Form sie an diese Götter glauben, sei dahin gestellt. Aber diese Gebete haben eine tatsächliche Auswirkung auf die Welt. Schon immer gab es Geister- ich meine keine Gespenster, sondern Geistwesen, die halb in dieser Welt existieren, halb in einer anderen. Zuerst beteten die Menschen diese Geister an, die sich ihnen meist in Tiergestalt offenbarten. Entweder, um ihr Wohlwollen und ihre Hilfe zu erringen, oder um ihren Zorn von ihnen abzulenken. Mit der Zeit veränderten die vielen Gebete und Opfer die... Form dieser Wesen. Sie wurden stärker, denn auch Gebete sind Kraft- Kraft, die von den Menschen zu diesen Geistern übertragen wurde.

Als die Menschen begannen, Städte zu bauen, veränderte sich das. Städte bedeuten mehr Menschen, die mehr Kraft bringen. Aus den Geistern, die am Anfang relativ schwach, und oft auf einen Ort beschränkt waren, wurden richtige Götter, mit großen Kräften, und frei, in der Welt umher zu streifen. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, aber genau wie die Menschen waren auch die Götter verschieden. Auch sie bekriegten sich, und schickten dabei ihre Anhänger gegeneinander.

Mit der Zeit wurde ein Stadtstaat stärker als alle anderen. Die Götter dieser Stadt setzten nicht auf den Krieg. Ihre Stadt hatte die wenigen anderen auf ihrer Insel bereits vor langer Zeit unterworfen, und nun gab es keine Gefahr mehr für sie, denn jeder Angreifer hätte über das weite Meer kommen müssen, und wäre schon früh genug entdeckt worden, um ihn abzuwehren. So entstand einer der ersten Staaten, und Kultur, Wissenschaft und Ethik entwickelten sich in einem Tempo, wie es bisher noch nie geschehen war. Und mit dieser Entwicklung wurden auch ihre Götter anders. Sie beschlossen, sich weniger direkt in die Belange der Menschen einzumischen. Sie sollten ihren eigenen Weg gehen. Vielleicht war das der entscheidende Fehler, wer weiß.

Jedenfalls, dieser Staat hieß genau wie seine Hauptstadt- Atlantis." Van sog zischend die Luft ein, und auch in Hitomis Augen schimmerte die Erkenntnis.

"Nun, ihr alle kennt die Geschichte. Auch Shin und Mai, wenn auch ein klein wenig anders. Aber das ist im Moment nicht wichtig. Der Punkt ist, dass eines Tages etwas geschaffen wurde, das die Götter in Schrecken versetzte. Die Wissenschaftler von Atlantis hatten eine Maschine entwickelt, mit der sie Götter ersetzen wollten. "Warum zu den Göttern beten, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass die Gebete auch erhört werden? Unsere Maschine erfüllt eure Wünsche, sobald ihr sie aussprecht!" Das waren ihre Worte, und diese Worte säten Angst und Schrecken in die Herzen derer, die noch wahrhaft glaubten. Denn sie wussten, dass es Wünsche gab, die nicht erfüllt werden sollten.

Nun ja, das Endergebnis kennt ihr ja alle. Diese Welt hier, Gaia, wurde erschaffen als ein neues Paradies. Und mit ihr auch neue Götter. Als beschlossen wurde, diese Welt zu erschaffen, vereinten eine Gruppe ihre Gedanken, und schuf einige neue Götter, die die Aufgabe haben sollten, Unheil, das von verschiedenen, sich widersprechenden Wünschen ausging, zu verhindern. Das ist, wie ihr wisst, nicht gelungen.

Ich bin eine dieser Götter und Göttinnen, die damals erschaffen wurden. Genauer gesagt, bin ich sogar die jüngste.

Ich denke nicht gern an diese Zeit zurück. Was ihr wissen solltet ist, dass ich zum Zeitpunkt des Untergangs von Atlantis eine der wenigen war, die auf Gaia war. Ich irrte lange herum, fast Kraftlos, denn meine Anhänger waren umgekommen. Dann traf ich auf ein paar Überlebende- die Torwächter mit ihren Drachen. Und einige Priesterinnen, die einer meiner Schwestern gedient hatten, und die auch mich gut kannten. Meine Schwester war tot- umgekommen bei dem Versuch, die Schicksalsmaschine zu stoppen. Ich wurde die neue Göttin dieser Priesterinnen, aber es waren zu wenige, um mich in meiner ganzen Macht zu erhalten. Ich wäre mit der Zeit wieder auf das Niveau der Tiergeister gefallen. Dann traf ich jemanden, der die Geschichte verändern sollte: ein kleines Mädchen, das blind, taub, halb gelähmt und geistig verwirrt war. Bei jeder Bewegung, selbst beim Essen hatte es große Schmerzen. Seine Eltern, zwei Torwächter, waren verzweifelt. Sie konnten nicht ertragen, ihre Tochter zu sehen, für die die Beschreibung "dahin vegetieren" noch zu lebendig war. Sie hatten gerade beschlossen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, als ich sie traf. Ich machte ihnen ein Angebot. Ich würde den Körper des Mädchens nehmen. Ich würde ihre Behinderungen heilen können. Der Geist des Mädchens würde sich mit meinem vereinen, und gemeinsam würden wir den wenigen Überlebenden helfen können.

Die Eltern stimmten zu, und auch das Mädchen, soweit es in der Lage war, zu begreifen, was geschehen würde. So wurde ich zu der, die ihr hier vor euch seht. Flöte, die Kindgöttin. Flöte, da die Mutter des kleinen Mädchens die beste Flötenspielerin war, die es jemals gab. Das ist meine Geschichte."

Eine ganze Weile sagte niemand etwas, dann sprach sie weiter. "Das Wesen, gegen das wir gekämpft haben, Kowartok -oder Li- war auch ein Gott. Ein böser Gott. Zu der Zeit, als Gaia erschaffen wurde, wollte er diesen Planeten in Besitz nehmen. Dieser Plan wurde vereitelt, und er wurde auf den glühenden Kontinent des Südens verbannt, dorthin, wo nur Nichtmenschliche Wesen hausen. Aber statt seine Taten zu bereuen, versklavte er die dortigen Kreaturen, und führte sie gegen die Länder des Nordens. Das war ungefähr 800 Jahre nach dem Untergang von Atlantis. Damals konnte ich ihn mit Hilfe der Tihani und dem Drachengottvolk aufhalten, aber es ist keine ruhmvolle Geschichte. Schreckliche Dinge sind damals geschehen. Seit diesem Zeitpunkt agieren die Tihani nur noch im Untergrund, und ein Teil des Unglücksmythos des Drachengottvolkes geht auf diesen Krieg zurück.

Ich hatte damals geglaubt, Kowartok sei ein für alle Mal geschlagen und seiner Kraft beraubt, aber das war ja ein Irrtum."

"Kann er wieder kommen?" fragte Hitomi, und die Angst in ihrer Stimme sprach für alle. "Ich glaube nicht. Seine Existenz wurde diesmal endgültig ausgelöscht, anders als damals. Aber..." Sie zögerte "Nichts ist endgültig. Vielleicht gibt es da draußen noch welche, die ihn anbeten. Und das könnte ihn zurückbringen- wenn auch anders, als der Kowartok den wir kennen. Es wäre ein neuer Gott, und seine Kraft, seine Fähigkeiten und sein Verhalten hängt von denen ab, die ihn erschaffen. Und er ist nicht der einzige. Es gibt viele böse Geister. Vielleicht treffen wir bald auf einen neuen Gegner. Die Zukunft ist ständig im Fluss, und je weiter man vorangeht, desto unsicherer wird, was man erkennen kann." Das war nicht die Antwort, die sie sich erwünscht hatten. Aber es hatte auch niemand wirklich damit gerechnet, dass die Schwierigkeiten vorbei sein würden. Gaia war eine harte Welt, und der Kampf würde niemals enden.

"Und was war mit dem Wesen, dass aus Thana herausgekommen ist?" fragte Van. "Auch ein Gott?" Flöte wollte antworten, aber Thana kam ihr zuvor. "Ja, war es. Ich muss noch sagen, dass ich von all dem bis heute früh keine Ahnung hatte. Aber du hast Recht, Van. Das war auch eine Göttin. Sie hat uns geholfen, Kowartok zu besiegen. Ich habe sie heute früh in mich aufgenommen, damit sie uns im Kampf beistehen kann. Aber sie ist nicht mehr in mir." Sie sah Flöte fragend an, die ausweichend antwortete. "Ich denke, ich weiß, wo sie steckt. Aber das geht nur sie und ihren Wirt etwas an."

"Ich weiß, wo sie ist." Sagte da auf einmal Mai. "In mir. Bis zu diesem Augenblick wusste ich nicht, was mir an mir so seltsam vorkam, aber jetzt weiß ich es." Alle starrten sie überrascht an, nur Flöte nickte. "Ja, das denke ich auch. Aber im Moment ist sie nicht in der Lage, mit uns zu kommunizieren. Siehst du, du hast deine ganze Kraft verbraucht, um Kowartuk zu erledigen. Nicht ich war es, oder Sakúraa- so lautet ihr Name- die ihn besiegt haben, sondern du. Wir, und Hitomi vor uns, konnten ihn nur schwächen, vernichtet hast du ihn."

"Ich?" Mai sah sie zweifelnd an, musste ihr dann aber glauben. Warum sollte sie lügen?

"Aber es hieß doch in der Weissagung, in Mädchen vom Mond der Illusionen würde der Schlüssel zu unserer Rettung sein." Flöte lachte lautstark auf, und prustete "Das war sie doch. Ohne Hitomi wäre schließlich niemand von uns hier. Und wenn auch nur einer von uns gefehlt hätte, hätten wir verloren. Weißt du, man sollte die Worte einer Prophezeiung niemals auf die Goldwaage legen. Sonst findet man noch heraus, dass sie nicht mal aus Silber sind.

Aber was Sakúraa angeht. Sie hat sich in deinen Körper begeben, um dich zu retten, Mai. Da du deine ganze Kraft verbraucht hast, hättest du sterben müssen. Allerdings bleibt darum erst einmal keine Kraft mehr für sie übrig. In ein paar Tagen wird sie sich bei dir bemerkbar machen. Dann könnt ihr entscheiden, ob sie bei dir bleiben soll. Du wirst zu nichts gezwungen, das kann ich dir versprechen. Und wenn du sie nicht haben willst, wird sie aus dir verschwinden, sobald ihr beide euch genügend erholt habt. Dann wird sie in den Kreislauf des Lebens zurückkehren, und ihre Kräfte als Göttin verlieren. Vielleicht wird sie als Schutzgeist weiter über dieses Land wachen, wer weiß. Sie hat sich die Ruhe verdient."

"Ein ungerechtes Ende für jemanden, der mein Leben gerettet hat." Flöte zuckte mit den Schultern. "Es gibt viele Möglichkeiten. Klärt das unter euch. Ich mische mich da nicht ein, das gehört sich nicht. Aber etwas anderes- was passiert mit den Menschen dieser Stadt? Die Gebäude sind zerstört, und viele haben ihr Leben verloren. Sie brauchen einen starken Anführer." Sie sah Shin an, und der zuckte mit den Schultern. "Ich bin dazu ausgebildet worden, die Nachfolge meines Vaters anzutreten, auch wenn ich kein Interesse an der Macht habe. Zu viel Ärger." Van lachte "Das stimmt. Aber irgendwer muss es tun. Und ich denke, jemand, der kein Interesse an der Macht hat, ist am besten zum Herrschen geeignet. Denn dann kümmert er sich um sein Volk." Shin sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Stimmt ja, ich habe vergessen, dass du ja auch ein König bist. Na wenn du meinst."

"Und außerdem." Sagte Van "hast du jemanden, der sehr fähig ist, an deiner Seite." Er schaute Mai an, die rot wurde. "Nein, das geht nicht. Ich bin eine Frau, und..." "Unsinn." Unterbrach ihr Bruder sie. "Er hat recht, du bist ideal. Und wer sagt, dass wir es an die große Glocke hängen müssen. Bisher haben wir das auch nicht getan. Du hast immer behauptet, in meinem Auftrag zu handeln, und das hat ganz gut funktioniert. Warum sollte sich das ändern? Davon abgesehen haben wir ganz andere Probleme. Die Menschen müssen ihre Stadt wieder aufbauen." >Das kenne ich.< dachte sich Van. >Leicht wird es nicht werden. Schon in Fanelia ist es schwer genug, und diese Stadt ist dreimal so groß< Widerstrebend nickte Mai, aber dann schien ihr noch etwas einzufallen.

Sie holte ihren blauen Torstein heraus, und legte ihn auf den Tisch. "Kann es sein, dass damit etwas nicht stimmt? Ich kann nicht sagen was, aber er fühlt sich so... anders an." Flöte griff danach, sah ihn sich kurz an, und warf ihn dann mit einer abfälligen Bewegung wieder auf den Tisch.

"Ausgebrannt. Kein Wunder. Du hast ihm einfach zuviel Energie zugeführt. Er wird nie wieder richtig funktionieren. Kann sein, dass er mit der Zeit einige der Fähigkeiten zurück erhält, aber du wirst ihn nicht nutzen können. Er war auf dich eingestimmt, und du hast alle Bahnen zerstört, die du benutzen kannst. Andere können vielleicht andere Bahnen nutzen, die noch in dem Stein sind, und die du nie berührt hast, aber du wirst ihn nicht mal zum Leuchten bringen können."

Mai griff nach dem Stein, und hielt ihn hoch. "Schade, er hätte uns beim Wiederaufbau sehr von Nutzen sein können." In diesem Moment schien Hitomi etwas einzufallen. "Und wenn sie einen anderen Torstein hätte?" Flöte schaute sie überrascht an. "Den könnte sie nutzen- nach einer gewissen Zeit. Aber meinen" sie deutete auf ihren Stirnreif "kann sie nicht haben. Davon abgesehen, dass ich ihn gern behalten würde, wäre sie eine alte Greisin, bis sich der Stein auf sie abgestimmt hätte, so lange wie ich ihn trage. Und deinen hast du erstens Van geschenkt, und zweitens ist auch er ungeeignet. Er ist auf dich abgestimmt, und das bleibt. So lange du lebst, würdet ihr beide mächtige Schmerzen kriegen, wenn sie ihn zu mehr als zum bloßen Leuchten einsetzen würde. Ihr seid schließlich keine Götter, die ihre Bindung zum Torstein mal eben so durchschneiden können. Das kann kein Mensch."

Aber Hitomi schüttelte den Kopf. "Ich habe auch nicht diese Torsteine gemeint. Mein Gepäck ist doch noch an Bord, oder?" Alle schauten sie verwundert an, doch dann schlug sich Flöte auf die Stirn. "Oh ich Dummkopf. Natürlich. Wir haben ja noch einen. Und er ist sogar ungeeicht. Ich hatte ihn mal jemandem angeboten, aber dieser jemand hat abgelehnt. Ich hol ihn schnell." Damit sprang sie auf, und rannte aus dem Raum. Kurz darauf kam sie wieder.

"Hier!" Sie warf Mai einen Armreif zu. "Den kannst du schon in ein paar Tagen benutzen, wenn auch noch nicht mit voller Kraft. Ich werde dir zeigen, wie du damit umgehen musst, jeder Stein ist nämlich etwas anders."

"Du willst hier bleiben?" rief Thana erschrocken. Flöte nickte, trat zu ihr, und legte die Hände auf die ihren. "Ich werde hier dringender gebraucht. Außerdem kann ich dann vielleicht Mai und Sakúraa helfen, falls sie sich entschließen sollte, eine Verbindung mit meiner Schwester einzugehen. Normalerweise wird man Jahre lang darauf vorbereitet, aber dazu ist keine Zeit mehr. Sag Eliandra und Taro, dass sie eine Weile ohne mich auskommen müssen." "Und ich?" Sie war dem Weinen nahe. "Ach, Thana. Du musste deine eigenen Wege gehen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt für jedes Kind, sich von seiner Mutter zu lösen. Du warst doch einverstanden, mit Van mit zu gehen." "Aber da konnte ich immer zurück kommen, wann ich wollte, aber wenn du hier bleibst..." Da fiel ihr etwas ein. "Außerdem kommen wir ohne dich doch gar nicht von hier weg. Wer bringt uns denn durch die Sturmzone?" Flöte lächelte, aber es war kein spöttisches Lächeln, sondern eher ein trauriges. "Das schafft ihr alleine. Durch den Wirbelsturm, den Sakúraa und ich ausgelöst haben, ist die Kraft der Sturmzone vermindert. Für ein paar Tage kommt der Crusador auch ohne meine Hilfe durch."

Van stand auf. "Ich glaube, wir sollten gehen." Thana wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. "das braucht ihr nicht." "Doch. Wir alle müssen uns unter vier Augen aussprechen." Er nickte zu Mai und Shin, die ihm stumm zustimmten, aber seine Augen wanderten zu Hitomi, die seinem Blick wieder auswich und aufstand.

"Hitomi, warte mal." Sagte Mai, als sie den Raum verlassen wollte. Sie warf Hitomi den blauen Torstein zu. "Ich glaube, den sollte ich dir geben. Shin hat schon bewiesen, dass er mit diesen Steinen nichts anfangen kann. Und da du uns so sehr geholfen hast..." Hitomi schüttelte den Kopf, und wollte ihr den Stein zurück geben. "Das kann ich nicht annehmen." "Du musst. Ich lasse nicht zu, das du ihn wieder weggibst. Behalte ihn doch zumindest als Zeichen der Dankbarkeit und Freundschaft." Hitomi zögerte noch eine Weile, nickte dann Wortlos, und ging weg, gefolgt von Mai und ihrem Bruder. Als Van den Raum verlassen wollte, sprach ihn Thana noch einmal an.

"Van? Rede mit ihr." Er wusste, wen sie meinte, aber er scheute sich. "Es liegt nicht an dir. Sie zweifelt an sich, und sie braucht dich jetzt." >So, sie zweifelt an sich? Und was mache ich? Ich etwa nicht? Ich hätte sie beinahe umgebracht. Wie sollte ich es ihr verübeln, wenn sie nichts mehr mit mir zu tun haben will?<

Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, sprach Thana weiter. "Ich weiß, dass auch du an dir und deinen Gefühlen zweifelst. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber so geht es nicht. Ihr wollt den anderen nicht verletzten, aber gerade dadurch, dass ihr versucht Abstand zu halten, tut ihr genau das. Rede mit ihr." Sie wollte noch etwas sagen, schloss dann aber den Mund. Es hatte keinen Sinn. Es lag nicht mehr bei ihr.

'Ihr kreist umeinander wie Magnete, die sich gegenseitig anziehen, aber immer, wenn sie sich zu nahe kommen, die Polarität wechseln und sich abstoßen.' Gingen ihm Allens Wort durch den Kopf, als er den Raum verließ.

Nachdem die Tür sich geschlossen hatte fragte Flöte. "War das Empathie? Brauchst du schon wieder eine Dosis?" Thana lachte, und umarmte das kleine Mädchen. "Nein, nicht nötig. Um das herauszufinden, muss man keine Gefühle lesen können. Man braucht dazu nur Augen und ein Herz"
 

"Hitomi?" Van schloss die Tür zu ihrer Kabine. Sie war ihm den ganzen Tag über ausgewichen, genau wie gestern. Nun hielt er es nicht mehr aus. Und anscheinend war er gerade noch rechtzeitig gekommen, denn sie war dabei, ihre Sachen zu packen. "Bitte geh, Van." Sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. "Das werde ich nicht. Warum weichst du mir aus, Hitomi?"

Sie hörte auf, Sachen in ihre Tasche zu packen und schloss den Reißverschluss.. "Das tue ich nicht." "Doch, das machst du. Warum Hitomi? Was habe ich dir getan?" "Nichts. Es geht nicht darum, was du getan hast, sondern was ich getan habe. Was ich gesehen habe. Und was ich gefühlt habe." Mit einem Mal war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie drehte sich um, und Tränen glitzerten in ihren Augen.

"Verdammt Van, warum muss ich immer in Kämpfe verwickelt werden? Warum muss ich immer diejenige sein, die das Schreckliche sehen muss? Warum muss ich es immer sein, die diese verdammte Welt retten soll? Kann das zur Abwechslung nicht mal wer anders tun?" schrie sie ihn an. "Ich habe es so was von satt, diese ständigen Kämpfe, Katastrophen, Tod. Ich bin doch auch nur ein Mensch. Und dann soll ich noch gegen Götter kämpfen? Sollen sie es doch unter sich ausmachen, und wenn diese ganze Welt draufgeht, was soll's? Ich gehöre nicht hierher. Ich werde nach Hause gehen, und alles das hier vergessen. Nie mehr kämpfen, kein Blut, und die größte Gefahr wird sein, von einem Auto überfahren zu werden." Ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie sank zu Boden.

"Ich halte das einfach nicht aus Van." Er ging auf sie zu, um sie zu trösten, in den Arm zu nehmen, irgendwas. "Nein! Komm mir nicht näher!" Sie sprang hoch und wich zurück, bis sie gegen die Wand stieß. "Bleib weg von mir! Ich will nicht, dass dir auch noch etwas passiert. Ich bringe allen immer nur Unglück." "Das ist doch Unsinn. Und selbst wenn, das sagen die Leute auch vom Drachengottvolk. Soviel Unglück wie ich mir selbst bringen müsste, kriegst du nie zu Stande."

Er hatte gehofft, mit diesem Scherz ihre Spannung zu lösen, aber Hitomi lachte nur hysterisch. "Das sagst du doch nur. In Wahrheit hasst du mich doch." Dann schrie sie plötzlich wieder "Verdammt, ich habe versucht, dich umzubringen, hast du das schon vergessen?" "Nein, habe ich nicht. Aber das ist mir egal. Ich habe selbst versucht, dich umzubringen. Verstehst du denn nicht Hitomi? Ich weiß genau, was du fühlst, aber dadurch, dass du dir die Schuld an allem gibst, wirst du es nicht ungeschehen machen. Keiner von uns ist verantwortlich für das, was geschehen ist. Wir waren besessen. Ich mache dir keinen Vorwurf, und du solltest es auch nicht machen." Hitomi schüttelte nur weinerlich den Kopf, und plötzlich fing auch Van an zu schreien.

"Hast du überhaupt eine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe? Aber das interessiert dich ja überhaupt nicht. Du bist noch genauso selbstmitleidig wie damals. "Ich möchte nach Hause, ich möchte nach Hause." Dass ich habe zusehen müssen, wie meine Heimatstadt verbrannt ist, hat dich einen Dreck interessiert. Das einzige woran du denken konntest war, warum DIR so etwas schlimmes passieren konnte. Du warst egoistischer als Merle, und du hast dich kein Stück geändert! Du kannst einem wirklich leid tun!"

Hitomi hatte mit offenem Mund und aufgerissenen Augen seiner Tirade zugehört. Nun stand sie ungläubig da, während Van sie mit kalten Augen ansah. "Wie... Wie kannst... WIE KANNST DU ES WAGEN, SO MIT MIR ZU REDEN!" Mit aller Kraft verpasste sie ihm eine Ohrfeige, die so heftig war, dass Vans Unterlippe aufplatzte. Er sah sie weiterhin nur an, während das Blut in einem dünnen Faden an seinem Mundwinkel herunterlief.

Hitomis Hand war in der Luft erstarrt, und sie schaute nun ungläubig auf das, was sie angerichtet hatte. "Oh, mein Gott." Flüsterte sie "Van! Ich, ich wollte nicht..." Dann brach sie zusammen, und weinte hemmungslos. Nach einer Weile wischte sich Van das Blut aus dem Gesicht, kniete sich vor sie hin, und nahm sie in seine Arme. Willenlos ließ sie alles geschehen, während ihr Körper von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Van hielt sie einfach nur fest und sagte kein Wort.

Nach einer ganzen Weile ließ ihr Schluchzen nach, und sie löste sich aus seinen Armen. "Ich halte es einfach nicht aus, Van." Sagte sie leise, und sah ihm in die Augen. Sie erkannte nur Mitgefühl, Verständnis und Liebe darin. "Ich kann dich verstehen Hitomi." Antwortete er ihr ebenso leise. "Wenn du gehen musst, dann geh. Ich werde dich nicht aufhalten. Aber vergiss nicht, hier gibt es nicht nur Leid für dich. Hier gibt es auch Menschen, die dich mögen, und es gibt auch jemanden, der dich braucht. Nicht wegen deiner Fähigkeiten" sagte er in Anspielung auf etwas, für das er sich heute noch einen Dummkopf schalt "sondern weil sein Leben ohne dich einsam ist. Einsam, leer und sinnlos. Ich liebe dich Hitomi." Dann gab er ihr einen langen, zärtlichen Kuss.

Als sie sich voneinander lösten, war nicht nur ihr Gesicht feucht. Langsam stand sie auf, und ohne ihn noch einmal anzusehen, nahm sie ihre Tasche, stellte sich hin, und schloss die Augen. In einem gleißenden, blau-weißem Licht verschwand sie, als ob sie niemals da gewesen wäre. Nur ihre letzten Worte hingen noch immer in Vans Ohren. "Ich liebe dich auch, Van. Bitte verzeih mir."
 


 

Ende Kapitel 4, Geschichte 2. Geschichte 3 folgt bald!



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