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Sanfte Sehnsucht

von

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Ostern

Jodie lief die Straße entlang. Aufmerksam nahm sie ihre gesamte Umgebung war. Links. Rechts. Wieder links. Dann erneut rechts. Sie lief weiter und weiter. Je näher Jodie den Menschenmassen kam, umso beunruhigter wurde sie. Es konnte alles passieren, wenn sie nicht aufpasste und die Situation unter Kontrolle brachte. Jodie drängte sich durch die Menschenmassen und hielt weiterhin Ausschau nach der Zielperson. Warum musste es ausgerechnet dieser Tag sein? Warum inmitten von tausenden Menschen?

Ähnliche Trainings machte das FBI oft. Sie wählten eine Zielperson aus, gaben den Rekruten wenig Informationen und ließen sie die Zielperson finden und aufhalten. In jedem gespielten Szenario ging es um Entführungen, Bombenanschläge, Mordanschläge, Selbstmordattentate und Geiselnahme, allerdings gab es dabei nie Opfer. Die Zielpersonen wussten Bescheid und hatten ganz bestimmte Anweisungen erhalten. Auch nach der Ausbildung wurden solche Trainings durchgeführt. Die Agenten mussten immer in Übung bleiben und für den Ernstfall vorbereitet sein. Aber Übungen waren ganz anders als die Realität. In den Übungen konnte Jodie immer glänzen. Heute – im Ernstfall – hatte sie bereits erste Probleme. Es lag an allem.

Sie wussten wenig über die Zielperson. Ihre einzige Angabe war, dass der Mann eine rote Kappe auf dem Kappe auf dem Kopf und eine blaue Jacke trug. Mehr konnten die anderen Agenten nicht herausfinden.

Jodie war zu Hause als ihr Handy klingelte. Eigentlich hatte sie einen freien Tag, aber unter bestimmten Voraussetzungen konnte sie in den Dienst beordert werden. Nach dem Eingang der ersten Bombendrohung bei der Polizei, wurde das FBI involviert. Sie besaßen mehr spezialisierte Agenten und konnten ein breiteres Feld abdecken. Dennoch Waren sie zu spät als die erste Bombe in einer Kirche hochging. Danach wurden all jene mobilisiert, die noch in keinem Einsatz feststeckten. Jodie kam gerade am Tatort an, als die Zielperson an ihr vorbei lief. Hätte sie schneller gehandelt, wäre der Mann bereits gefasst. Aber zu dem Zeitpunkt besaß sie noch nicht alle Informationen und achtete unglücklicherweise nicht auf ihre Umgebung. Nun musste sie ihm nachlaufen und als die erste Beschreibung kam, ahnte sie welchen Fehler sie beging. Jodie wusste nur noch, dass ihr keine Person auffällig erschien. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt um an Fehler zu denken. Sie musste sich konzentrieren und die Menschen schützen.

Ostern wurde in New York nie besonders groß gefeiert. Die Geschäfte waren an allen Wochentagen geöffnet, die Menschen arbeiteten normal weiter. Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag hatten keine weitere Bedeutung. Das Osterfest selbst war eher für Kinder und Touristen gedacht. Ostersonntags wurden viele Eier in der Stadt versteckt und von den kleinen Bewohner der Stadt gesucht. Dazu konnte man auch vorher zu bestimmten Kursen gehen und Ostereier in einer Gruppe bemalen. Oder man ging in die Kirche und ließ das Fest auf sich wirken.

Was Jodie an Ostern mochte, war die Osterparade. Schon als Kind hatte sie sie geliebt. Jedes Jahr war es ein bunter Auflauf von Menschen. Viele trugen Kostüme: Tiere, Uniformen, Comicfiguren…alles war dabei. In diesem Jahr wollte sie mit Shu durch die Straßen ziehen – zumindest theoretisch. Shus Ausbildung zum Scharfschützen war abgeschlossen und er erwartete die ersten Aufträge, weswegen er häufig unterwegs war und durch ihre eigenen Arbeitszeiten sahen sie sich wenig.

Jodie zog ihr Funkgerät heraus. „Bin in der Fifth Avenue. Brauche hier dringend Verstärkung. Die Osterparade hat bereits begonnen. Hier sind viel zu viele Menschen. Ich fürchte, ich verliere die Zielperson bald.“ Wieder drängte sie sich durch. Und Jodie wusste, dass sie schlechte Karten hatte. Sie war alleine und drohte die Zielperson zu verlieren. Abner wenn sie nicht bald aufholte und eine Möglichkeit bekam, jene Person zu entwaffnen, sah es schlecht aus.

Jodie hasste Menschenaufläufe, wenn sie einen nicht durchließen. Sie versperrten einem immer den Weg und wenn man irgendwie versuchte durchzukommen, bekam man einen bösen Blick. Da der Auftrag allerdings viel zu wichtig war, hatte Jodie nicht einmal Zeit um sich zu entschuldigen.

Und es brachte nichts. Die Massen wurden dichter. Die Straße belebter. Sie zog erneut das Funkgerät hervor. „Habe Zielperson verloren. Ich wiederhole: Habe Zielperson verloren“, sagte sie seufzend. Er war einfach so verschwunden. Abgetaucht. Jodie sah weder die rote Kappe noch die blaue Jacke. Er war weg. Einfach so. Sie ärgerte sich. Fast hätte sie ihn gehabt. Und nun war es zu spät-

Sie biss sich auf die Unterlippe und blieb stehen. Wo bist du? Jodie sah sich um. Er konnte unmöglich auf die andere Straßenseite gewechselt sein und er konnte auch nicht einfach so umgedreht haben. Sie hätte ihn gesehen. Da war sie sich ganz sicher. Das hieß auch, dass er sich irgendwo versteckt hielt. Menschen konnten nicht einfach so verschwinden. Und Jodie spürte, dass er in der Nähe war. Vorsichtig blickte sie in die Schaufenster der Läden. Einige waren geschlossen, andere nutzten die Gunst der Stunde und versuchten Profit zu machen. Er konnte in jedem sein. Jodie pirschte sich an die Schaufenster heran. Nur in einige bekam sie eine gute Sicht. Aber das musste nichts heißen. Die Zielperson war gefährlich und es konnten Geiseln im Spiel sein.

„Verdammt“, murmelte Jodie. Es war vorbei. Ihr Einsatz war eindeutig zu Ende. Dennoch ging sie noch einige Meter weiter und hielt vor einer Gasse. Sie spähte hinein. Die Mülltonnen standen an der Seite, die Deckel waren zugeklappt und die Feuerleitern hörten in der ersten Etage auf. Gassen waren ein beliebtes Versteck für Täter. Sie fühlten sich unbeobachtet und konnten in Ruhe zuschlagen, während keiner etwas bemerkte. Jodie warf einen Blick nach oben. Die Sonne schien und Anspannung lag in der Luft. Ein weiteres Mal nahm sie ihr Funkgerät hervor. „Sehe mich in der Gasse neben der Boutique Amore um“, sprach sie. Wenn man alleine war, musste wenigstens die Zentrale wissen, wo man steckte. Zur Sicherheit zog Jodie ihre Waffe.

„Das würde ich bleiben lassen.“

Jodie hielt inne. Aus dem Augenwinkel sah sie nach rechts. Eine Waffe – möglicherweise eine Browning – wurde ihr an die Wange gehalten. Die Statur passte zu der Stimme. Dunkel und zu allem bereit. Jodie verengte die Augen. Jetzt sah sie auch die rote Kappe. Jodie war sich sicher gewesen, er hatte sie die ganze Zeit über bemerkt und hier erwartet. Sie war dumm und töricht.

„Was wollen Sie?“

„Das, was wir alle wollen. In Ruhe leben.“

„Dann sollten Sie aufhören unschuldige Menschen zu töten“, warf sie ein.

„Das hat sich einfach so ergeben“, antwortete er kühl.

„Natürlich“, murmelte sie. „Und? Was haben Sie jetzt mit mir vor?“

„Hm…das ist eine sehr gute Frage. Was könnte ich nur mit dir anfangen“, sprach er. „Ich würde sagen, du bist mein Weg nach draußen. Wenn du brav bist, lass ich dich gehen.“

„Und was muss ich dafür machen?“, wollte sie wissen.

„Nimm dein Funkgerät und sag deinen Kollegen, dass du gesehen hast, wie ich Richtung Süden gelaufen bin. Dann kann ich in Ruhe verschwunden. Du solltest keinen Unsinn machen. Wenn du versuchst deinen Kollegen auch nur den geringsten Tipp zu geben, dann hast du ganz schnell die Kugel im Kopf“, entgegnete er.

„Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?“, kam es dann von ihr. „Immerhin habe ich Ihr Gesicht gesehen. Deswegen werden Sie mich kaum leben lassen.“

Er lächelte. „Du bist ja eine ganz Schlaue. Aber wo du Recht hast, hast du Recht. Wenn du kooperierst, mach ich es weniger schmerzvoll für dich. Also? Bist du ein braves Mädchen?“

Jodie knurrte leise. Sie musste einen Ausweg finden. Irgendwie. „Wie du willst.“ Und trotzdem musste sie versuchen ihren Kollegen einen Hinweis zu geben. Aber welchen.

„Sehr schön. Und jetzt nimm ganz langsam das Funkgerät. Keine zu schnellen Bewegungen. Ich will die ganze Zeit deine Hände sehen.“

Jodie tat was er verlangte. Gerade als sie in das Gerät sprechen wollte, sackte der Mann vor ihr zusammen. Sein Blick war starr. Er lag auf dem Boden und Jodie erkannte den Grund dafür. Zwischen seinen Augen befand sich ein Loch. Prompt verschanzte sie sich an der Wand und blickte in die Richtung aus der der Schuss kam. Wenn sie nicht bald eine Lösung fand, wäre sie die Nächste. In der Gasse war sie schutzlos. Es gab wenig verstecke und in die Mülltonne wollte sie auf gar keinen Fall kriechen.

„Jodie.“ Es war eine vertraute Stimme.

Die Angesprochene blickte auf ihr Funkgerät. Sie lächelte. Auf ihre Umgebung achtend, führte sie das Funkgerät an den Mund. „Bin immer noch in der Gasse. Hier gab es einen Schusswechsel. Unsere Zielperson ist tot. Ich wiederhole: Er ist to. Ich weiß nicht wer dafür verantwortlich ist. Aber wer auch immer es ist, er läuft hier noch frei herum.“

„Das war ich.“

Jodie wirkte überrascht, ließ aber im nächsten Moment die Schultern hängen. Die Anspannung wich, das Adrenalin verschwand aus ihrem Körper.

„Wir treffen uns in 20 Minuten vor dem Einsatzwagen.“
 

Jodie marschierte an ihren Kollegen vorbei. Die Leiche der Zielperson wurde von der Gerichtsmedizin abgeholt und wegtransportiert. „Was machst du hier?“, wollte sie wissen, als sie vor Shuichi stand.

„Wir haben auch die Meldung bekommen“, antwortete er. „Überall auf den Dächern waren Scharfschützen positioniert. Nachdem die Bombe gezündet wurde, behielten wir die Straße der Parade im Auge. Sie war ein mögliches Ziel“, erklärte er.

Jodie lächelte erleichtert. „Gut zu wissen. Aber hättet ihr das nicht vorher irgendwann ins Funkgerät sagen können?“

„Wenn er in der Nähe unserer Männer gewesen wäre, hätte er das mit angehört. Und so wärst auch du darauf vorbereitet gewesen. Unter diesen Umständen hättest du anders gehandelt, als er dir die Waffe an den Kopf hielt. Wenn er gesehen hätte, dass du noch ein Ass im Ärmel hast, hätte er dich gleich erschossen.“

„Verstehe“, murmelte sie. „Ich bin froh, dass die Sache doch noch ein gutes Ende nahm. War es dein erster…ich mein…“

„Mein erster Einsatz als Scharfschütze bei dem ich jemanden erschießen musste?“, beendete er den Satz. „Ja.“

„Und? Wie fühlst du dich damit?“

Akai zuckte mit den Schultern. „Normal. Ich weiß, warum ich es getan habe und das ich es tun musste. Ich hätte ihm natürlich auch in den Arm schießen können, aber was ich gesehen habe, hat mir gereicht. Der Kerl gehört nicht zu der zimperlichen Sorte. Er wäre nur aufgebracht gewesen und hätte weitere Unschuldige in den Tod gerissen. So blieb mir keine andere Wahl als ihn auszuschalten.“

„Ist es schlimm, dass ich froh bin, dass du es gewesen bist, der mich gerettet hat?“

„Ganz und gar nicht.“ Shuichi schenkte ihr ein seichtes Lächeln. „Meld dich ab, wir gehen nach Hause.“



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