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Shapeless Dreams

[Atem center]
von

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Seine Last

„Atem, du bist nicht wachsam genug. Du musst nicht nur mit den Augen sehen, sondern mit deinem ganzen Körper!“, hörte er die Stimme seines Lehrmeisters, der ihm mit seinem Bambusstab in die Seite schlug und ihn in Windeseile in die Knie zwang.
 

„Es bringt Euch nichts, nur mit Euren Augen zu sehen. Ihr müsst Euer Herz öffnen, Euren Körper beherrschen und vor allem müsst Ihr Eurem Instinkt vertrauen.“
 

„Das weiß ich doch!“
 

„Atem, ich meine es nur gut mit Euch.“
 

„Pah! Ich bin der Sohn des Pharaos und Ihr wagt es, mich zu belehren, als wäre ich ein kleines Kind? Ich bin der zukünftige Herrscher Kemets!“
 

„Ihr mögt der Sohn des Pharaos sein und der Linie der Götter entstammen, doch auch Ihr müsst lernen, Euch im Kampf zu verteidigen. Es wird immer wieder Widersacher geben, die unseren Frieden bedrohen werden und uns um den Nil beneiden werden. Der Nil ist die Quelle allen Lebens. Nur weil die Götter uns dieses Geschenk übergeben haben, sind wir so stark und deshalb müssen wir uns jeden Tag aufs Neue beweisen. Auch Ihr, Prinz Atem, müsst die Stärke besitzen, Eurer Land, Eurer Volk und den Segen der Götter zu bewahren.“
 

Der kleine Junge grummelte. Jeder verlangte von ihm Perfektion. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Ob Mathematik, Astrologie oder die Kunst des Schreibens – kein einziger Fehler wurde toleriert und hart bestraft. Jeden Tag musste er sich anhören, dass er der Sohn des großartigen Pharaos war. Akhenamkhanen – der gütige Herrscher, der die Hethiter vertrieben hatte und den langersehnten Frieden brachte. Atem hasste es, dass sein Vater so glorifiziert wurde, denn dadurch, dass er in so hohen Tönen gelobt wurde, wurden die Fußstapfen, die er zu füllen versuchte, nur noch größer. Ein riesiger Schatten legte sich über ihn.
 

Als Sohn des Pharaos nahmen die Menschen Abstand von ihm. Keiner im Palast zeigte Interesse an ihm als Person. Jeder sah nur den zukünftigen Herrscher, der noch zu unreif war und viel zu lernen hatte. Selbst Mahaad, der mittlerweile zum Träger des Millenniumrings ausgebildet wurde, ermahnte ihn jedes Mal, dass er sich mehr wie ein richtiger Herrscher benehmen musste. Mahaad war ein Waisenkind, das Pharao Akhenamkhanen in seiner unendlichen Güte aufgenommen hatte und in den Palast brachte, wo es in den Künsten der Magie gelehrt und somit zu einem mächtigen Soldaten für das Königreich ausgebildet wurde.
 

„Atem! Ihr träumt schon wieder! Erhebt Euch und nehmt die Waffe in die Hand“, brüllte sein Lehrmeister und Atem zuckte merklich zusammen.
 

Er biss die Zähne zusammen, griff nach dem Holzschwert und umklammerte den Griff in seinen Händen, ehe er sich wie ein gefährlicher Löwe in die Richtung seines Lehrmeisters schwang und mit voller Kraft ausholte, um diesen von den Füßen zu fegen und die Oberhand zu gewinnen. Es war ein Trainingskampf. Trotzdem verletzte es seinen Stolz, wenn man auf ihn herabblickte. Atem wollte nicht, dass man ihn mitleidig ansah, denn er würde schon bald der Herrscher dieses Landes sein und als solcher verdiente er Respekt und Demut! Sein Lehrmeister grinste nur amüsiert. All seine Kraft war nicht genug, um diesen Mann umzuwerfen. Als er seine Waffe zurückziehen wollte, griff sein Lehrmeister nach der hölzernen Klinge, zog den jungen Prinzen näher zu sich und verpasste ihm einen heftigen Tritt in die Magengrube, sodass dieser keuchend und winselnd zu Boden ging.
 

„Glaubt Ihr wirklich, dass ein Frontalangriff bei einem übermächtigen Feind die beste Entscheidung ist? Hach, es bricht mir das Herz, zu sehen, dass Ihr einfach keine Fortschritte macht und es immer wieder aufs Neue mit roher Gewalt versucht. Euer Vater wäre enttäuscht“, spöttelte der Krieger und seufzte laut hörbar. Atem riss der Geduldsfaden.
 

„Mein Vater ist ein bettlägriger alter Mann, der nur noch vor Schmerzen stöhnt! Diese Krankheit wird ihn schon bald dahinraffen! Ob es Euch gefällt oder nicht, ich werde der neue Pharao dieses Landes und es würde Euch guttun, mich nicht zu beleidigen! Denn ich bin nicht wie mein Vater! Ich bin nicht er!“, stieß er keuchend hervor und wurde mit jedem Wort lauter.
 

Ich bin nicht er. Ich bin ein eigener Mensch! Nettigkeit allein kann niemanden retten, dachte er, während er den Sand unter sich anstarrte, noch einmal nach seinem Schwert griff und ohne weiter darüber nachzudenken, einen blitzschnellen Angriff startete und seinen Lehrmeister überraschte, der durch den harten Schlag gegen seine Knie das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Ungedämpft landete er auf dem harten Sand und kniff kurz seine Augen zusammen, als er diese wieder öffnete, stand der junge Prinz vor ihm und richtete nicht nur seine scharfe Klinge, sondern auch seinen scharfen Blick auf ihn.
 

Eine kleine Brise kam auf, die die Dattelpalmen, Feigenbäume und Sykomore des Palastgartens erfasste und die Schatten zum Tanzen brachte. In diesem Moment schien die Zeit stillzustehen.
 

Sein Lehrmeister starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. In diesem Jungen steckte großes Potential. Seine Amethystfarbenen Augen fixierten ihn, seine Iriden waren verkleinert und als er den kleinen Prinzen so vor sich stehen sah, wusste er, dass er wie ein stolzes Tier auf ihn herabblickte, der seine Beute erlegt hatte. Seine Sinne geschärft und sein Gefühl abgetötet. Atem hatte seinem Instinkt vertraut und seinen Kopf abgeschaltet. Ohne Anzeichen von Angst thronte er über seinen Lehrer und ließ nicht locker, seine Klinge baumelte nur wenige Millimeter vor dessen Augen und er hörte das aufgeregte Pochen seines Herzens und das Rauschen in seinen Ohren. Atem hatte jegliche Zweifel besiegt. In seinem Blick lag... Zorn. Diese Bestie zu zähmen und ihn zu einem würdigen Herrscher des Landes zu formen, würde ein hartes Stück Arbeit werden.
 

„Wagt es nie wieder, auf mich herabzublicken. Ich bin Atem! Sohn der Götter!“, zischte er und warf das Schwert zu Boden, drehte sich um und verließ den Palastgarten. Sein Lehrmeister starrte ihm noch einige Minuten wortlos hinterher. Aus diesem Jungen würde ein mutiger Kämpfer werden, doch auch fürchtete er den Schatten in seinen Augen, diese Finsternis, die so ganz anders war als bei seinem Vater. Er hatte ein feuriges Temperament und tat sich sehr schwer damit, die Hilfe anderer anzunehmen und glaubte, dass er alles allein schaffen konnte, sofern er es nur immer wieder versuchte und nicht nachgab. Der Lehrmeister befürchtete, dass dieses einzelgängerische Gehabe des Prinzen eines Tages sein Untergang sein würde und nicht nur ihn, sondern auch das gesamte Reich in Gefahr bringen würde.
 

Atem stapfte durch den Palast und erreichte die königlichen Privaträume. Alle Bediensteten, die seinen Weg kreuzten, verneigten sich wortlos vor ihm und behandelten ihn mit größten Respekt. Doch Atem hasste es. Er wollte genauso wie die Kinder der Stadt draußen spielen, herumtollen, Geschichten hören und im Nil fischen. Doch jeder Tag in diesem Palast war genau geplant. Sein Unterricht ging von morgens bis abends. Die langen Tempelbesuche und die Zeremonien, die den Göttern huldigten und ihre ewige Treue und Dankbarkeit bewiesen, so auch die Audienzen mit Adeligen der Oberstadt strengten ihn an, zerrten an seinen Kräften. Als sein Vater krank wurde, musste Atem weitaus mehr Verpflichtungen übernehmen. Und schon bald würde sein Vater nicht mehr unter ihnen weilen.
 

Der Gedanke, dass sein Vater ihn verlassen würde, war einerseits schmerzhaft, doch er wusste, dass die Götter ihn mit offenen Händen und Herzen aufnehmen würden. Immerhin hatte er das heilige Land Kemet verteidigt und die Bedrohung des Ostens zurückgedrängt und den Frieden gebracht, auf den das ganze Land sehnlichst gewartet hatte. Atem war nun 12 Jahre alt und somit alt genug den Thron zu besteigen. Zumindest formal. Erst mit 13 würde er als volljährig gelten, doch er hoffte, dass sein Vater noch möglichst lange unter ihnen weilen würde. Nicht, weil er ihn leiden sehen wollte, sondern weil er ihn als Stein in der Brandung brauchte. Auch wenn Atem immer wieder darauf beharrte, bereits alt genug zu sein, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen, so war er im Herzen noch lange nicht erwachsen genug, um Abschied von seinem geliebten Vater zu nehmen und ohne ihn seinen Weg zu bestreiten.
 

Wie nur, Vater? Wie nur soll ich Eure Fußstapfen füllen? Wie das Land einen? Bin ich überhaupt stark genug, mich dieser Herausforderung zu stellen? Werde ich die Erwartungen des Volks erfüllen können? Eure Nettigkeit war es, die das Land gespalten hat, weil Ihr zu lange gewartet habt. Ich darf diesen Fehler auf keinen Fall wiederholen, ich muss gütig, aber vor allem streng und gerecht sein, so wie es in den Schriften der Maat steht.
 

Gerade als Atem in seine Gemächer verschwinden wollte, hörte er Schritte, die sich zügig näherten. Erwischt. Das war es dann wohl mit seiner Ruhe.
 

„Da seid Ihr, mein Prinz!“
 

Atem keuchte genervt und blieb einfach nur stehen, ohne sich umzudrehen. Er erkannte diese Stimme sofort.
 

„Was wollt Ihr, Mahaad?“
 

„Das sollte ich Euch fragen. Ihr schwänzt Euren Unterricht und das ziemt sich für einen zukünftigen König nicht. Ihr solltet Euch schämen, Atem!“
 

„Pah! Ihr habt mir gar nichts zu sagen. Ihr seid nichts weiter als ein Findelkind. Mein Vater hatte Mitleid mit Euch, nur deshalb seid Ihr hier. Ihr entstammt nicht mal einer adligen Familie. Ihr seid ein Schmarotzer, der sich in den Palast gemogelt hat! Warum sollte ich auf Euch hören?“
 

„Weil ich Eurer einziger Freund bin und immer hinter Euch stehen werde. Ganz egal, wie oft Ihr mich beleidigt und wie oft Ihr mich von Euch stoßt, ich stehe loyal hinter Euch.“
 

„Ja, weil mein Vater Euch darum gebeten hat! Es ist Eure Pflicht! Es ist nicht so, als würdet Ihr oder sonst irgendjemand sich für mich interessieren, also steckt Euch Eure Loyalität sonst wohin!“
 

Atem drehte sich um und betrachtete den Jungen mit den Schulterlangen braunen Haaren, warf ihn einen missmutigen Blick zu und hoffte, dass er sich endlich zurückzog. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben! Er hatte genug von all den Regeln und Verpflichtungen. Von den Erwartungen anderer, die ihn zu fesseln versuchten. Er war ein Gefangener in einem goldenen Käfig. Ein Vogel, den man dazu zwang, stets die schönsten Lieder zum Besten zu geben und wenn keine lieblichen Töne hervorkamen, pikste man ihn solange, bis seine Haltung korrigiert wurde. Sowohl die Priester als auch seine Lehrmeister sahen auf ihn herab und sein Vater war mittlerweile zu krank, um sich einzumischen. Nicht, dass er Schutz von ihm verlangt hätte.
 

Mahaad seufzte, dann verschränkte er die Arme.
 

„Eine Stunde.“
 

Atem legte den Kopf fragend schief und wiederholte diese Worte.
 

„Lasst uns in den Weingarten gehen, ein paar Trauben verkosten und dann zum Gartenhof gehen, wo Ihr Euch im Wasserbecken abkühlen könnt.“
 

„Pah! Ich brauche Eure Erlaubnis nicht und noch viel weniger möchte ich Euch in meiner Nähe haben! Mein Vater schickt Euch, ist das nicht so? Ihr seid ein Spitzel und sollt meinem Vater von meinem Versagen berichten. Nur zu, sagt Ihm, dass sein Sohn nicht wie er ist und seine eigenen Entscheidungen treffen kann!“
 

„Nichts dergleichen werde ich tun. Ich bin Euch treu ergeben. Ihr wollt eine Pause? Gut, ich werde Euch decken.“
 

Atems Blick wanderte hin und her. Mahaad ist wie ein Sohn für Vater. Ich kann ihm nicht vertrauen. Er will mich nur reinlegen und verpetzen. In diesem Palast kann ich niemanden trauen! Ich... bin ganz allein auf mich gestellt.
 

„Haut ab und lasst mich in Ruhe! Ich bin der Prinz, also verneigt Euch vor mir und fleht um meine Gnade!“
 

Mahaad ging auf die Knie. Sein Haar fiel auf den Boden. Perplex öffnete Atem den Mund und konnte nicht anders, als das merkwürdige Verhalten des Jungen vor ihm zu hinterfragen.
 

Mahaad war ein Waisenkind aus einem der äußeren Bezirke, die im Krieg gegen die Hethiter gefallen waren. Die äußeren Dörfer waren bis heute nicht aufgebaut worden und die Menschen, die dort noch lebten, lebten in absoluter Armut. Sie litten Hunger und Durst. Ihr Glaube an die Götter war erschüttert und sie zollten auch ihrem Herrscher – dem gutmütigen Pharao Akhenamkhanen – keinen Respekt mehr und gaben ihm die Schuld an ihren Verlusten. Atem hatte nur Gerüchte gehört.
 

Heimlich hatte er die Händler, die den Empfangshof betraten und teure Waren und Güter als Steuerabgaben überbrachten, ausgefragt und Informationen gesammelt. Der dreijährige Krieg hatte viele Opfer gekostet, jedoch hauptsächlich Soldaten und die Menschen der Unterstadt. Die Unterschicht glaubte daran, dass Akhenamkhanen absichtlich so lange gewartet hatte und die Opfer wissentlich in Kauf genommen hatte, um somit mehr Land verpachten zu können und höhere Steuereinnahmen fordern zu können. Gerade die Ärmsten zweifelten an ihrem Herrscher und nicht gerade wenige hassten ihn für seine Entscheidung, die Angriffe des Feindes nicht sofort erwidert zu haben.
 

Während Akhenamkhanen und die Adligen der Oberschicht süßen Wein tranken und schöner Musik lauschten, wurden die Menschen in den äußeren Bezirken erbarmungslos abgeschlachtet und sämtliche Hilferufe wurden ignoriert, gleichzeitig gab sich der Pharao als gütiger Herrscher, der weder Konflikt noch Kampf wollte und einen friedlichen Weg suchte und nach Verhandlungen strebte. Atem war damals noch zu jung gewesen, um die Ausmaße des Krieges zu verstehen, doch er hatte eines begriffen: die Güte seines Vaters, sein Wunsch nach Frieden und seine Angst den Angriff zu erwidern, hatte viele Leben gekostet und dazu geführt, dass das Land gespalten wurde.Unmut machte sich breit und Atem wusste, dass dieser Unmut, das Gefühl ungerecht behandelt worden zu sein, sein Erbe sein würde.
 

Man munkelte, dass die Überlebenden der Stadtränder einen Widerstand gegen den Pharao und das herrschende Königsregime aufgebaut hatten und sich gegen die geltenden Gesetze Kemets stemmten. Sie zahlten keine Steuern und griffen Soldaten an.
 

Das ehemalige Handwerker Dorf Kul Elna lag ebenfalls in den äußeren Bezirken Kemets. Jahrelang hatten sie dem Königreich treu gedient und hatten beim Bau der Grabmäler und Pyramiden geholfen. Doch als der Krieg ausbrach, waren sie die ersten Opfer. Ihre Loyalität hatte sich in Hass verwandelt. Ihre Häuser und Bauten wurden zerstört und man hatte ihre komplette Existenzgrundlage vernichtet. Doch der Pharao war zu beschäftigt, andere Bezirke zu verteidigen und kam erst nach dem verheerenden Angriff im Dorf an. Die Soldaten des Königs wurden ausgebuht und man hatte sie mit Steinen – den Überresten ihrer Häuser – beworfen und sie davon gejagt. Das einst so geschätzte Dorf der Handwerker wurde zum Dorf der Räuber gewandelt und gab jenen Zuflucht, die ebenfalls vom König im Stich gelassen wurden. Sie zahlten keine Steuern mehr und da sie nicht bereit waren, zu verhandeln, hatte Akhenamkhanen verlauten lassen, dass man sie in Ruhe lassen sollte.
 

Ihr Handelsabkommen war ungültig und das Dorf musste sich von nun an selbstständig gegen die Angriffe ihrer Feinde verteidigen. Wie viele andere Bezirke auch, waren sie zu weit von der Hauptstadt entfernt, als dass man sämtliche Soldaten dorthin schicken konnte und so brach der Kontakt vollständig ab. Wanderer und Händler wussten, dass man sich dem Dorf nicht mehr nähern durfte. Jeder, der sich in die Nähe des Dorfes wagte, wurde mit Pfeilen beschossen und diejenigen, die die spitzen Pfeile, die sich in ihr Fleisch bohrten, überlebten, wurden im Dorfzentrum gesteinigt, während die Bewohner der Stadt diesem Fest zujubelten. Man hörte viele Schauergeschichten über Kul Elna.
 

Atem war sich im Klaren, dass nicht nur Kul Elna, sondern auch viele andere kleine Städte und Dörfer sich nach dem Krieg gegen ihren König gewandt hatten und nun als Abtrünnige lebten, die sich gegen das Königshaus stellten und zur Not auch für ihre Rechte und Freiheit kämpften. Atem würde ein zerrüttetes Land erben. Er würde der Herrscher eines gespaltenen Landes und es würde seine Pflicht sein, die Wunden des Krieges zu versorgen und die Narben verblassen zu lassen. Die Erwartungen an ihn waren groß, ebenso der Druck und seine Angst zu versagen. Atem hatte sich daran gewöhnt, alles allein schaffen zu müssen. Er musste stark sein, durfte keine Hilfe annehmen und niemanden vertrauen.
 

Als Sohn des Pharaos und rechtmäßiger Erbe des Throns hatte er viele Feinde, die in den Schatten lauerten und nur auf eine Unachtsamkeit warteten. Es war gerade mal drei Monate her, dass ein Bediensteter mit einem Küchenmesser auf ihn losging und den Thronerben zu töten versuchte. Man hatte den Dissidenten in die Kellergewölbe gebracht, ein unterirdisches Verlies, in denen Menschen, die die Gesetze der Maat missachteten, gezüchtigt wurden und auf den rechten Weg zurückgeführt wurden. Atem war es nicht erlaubt diesen Ort zu betreten. Nur der Pharao und seine sechs treuen Priester durften die unterirdischen Gemäuer betreten.
 

Missmutig betrachtete Atem den Jungen vor sich. Mahaad war ihm loyal ergeben, doch er wollte ihm nicht vertrauen. Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass diese Güte, die seinen Vater so sehr geblendet hatte, seinen scharfen Blick auf die Realität verschleierte. Er musste streng sein und das Gesetz und Recht schützen, selbstbewusst sein und wahre Präsenz zeigen, die den Göttern gleichkam, mutig sein und sein Land auch in Zeiten des Krieges an erster Front verteidigen, stolz sein und die ihm auferlegte gewichtige Rolle füllen und Milde zeigen, wo sie angebracht war. Die Tugenden eines Herrschers, die ihm seit er denken konnte, tagtäglich eingebläut wurden. Er durfte sich nicht von einem falschen Lächeln und gespielter Treue täuschen lassen und musste stets wachsam sein.
 

„Erhebt Euch, Mahaad“, murmelte Atem und wandte den Blick ab.
 

„Ich, Prinz Atem, Sohn der Götter und rechtmäßiger Thronerbe, gestatte es Euch, mir zum Weingarten zu folgen.“
 

„Ihr seid zu gütig, mein Prinz“, antwortete Mahaad monoton und stand nun auf. Da Mahaad zwei Köpfe größer war, warf ihm Atem einen mürrischen Blick zu.
 

„Hört auf, auf mich herabzusehen.“
 

„Ich verstehe Euch nicht. Was meint Ihr?“, fragte Mahaad vorsichtig nach.
 

„Schon bald werde ich größer sein als Ihr! Mein Vater, meine Mutter und all meine Familienangehörige sind sehr groß und auch ich werde bald über Euch ragen!“
 

Mahaad lächelte. Es waren vier Jahre, die die beiden trennten.
 

„Selbstverständlich, mein Prinz.“
 

[Kapitel 2]
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Fanfiktion folgt einem Multiple Choice System. Lediglich die ersten Kapitel sind chronologisch angeordnet. Am Ende jedes Kapitels steht geschrieben, wo ihr hinmüsst. Eure Entscheidungen haben Konsequenzen und nehmen Einfluss auf das Ende.

Mit 13 Jahren galt man im Alten Ägypten als volljährig und wurde normalerweise verheiratet und zeugte daraufhin bald die ersten eigenen Kinder. Das lassen wir hier mal aus. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2019-08-05T23:57:27+00:00 06.08.2019 01:57
Ich weiß noch nicht, ob es zu früh ist, etwas zu schreiben, aber mir brennt es einfach so auf der Zunge, und dem Drang, dir eine Rückmeldung zu hinterlassen, muss ich einfach nachgeben.

Das alte Ägypten. Flair, Setting, alles hast du gut eingefangen. Der kurze Absatz mit den Dattelbäumen, die sich im Wind wiegen, hat sehr gut zur Auflockerung beigetragen. Wir waren schließlich gleich in medias res.

So hat sich also der kleine Atem entwickelt/verhalten, als er zum zwölfjährigen Jungen herangewachsen ist? Wahnsinn. Ich kenne den Manga dazu leider nicht, aber, diese stilistische Beschreibung eines Halbwüchsigen, der ein zerbrochenes Reich erben wird - ich bin baff.

Dieser Druck, der Drill zur Perfektion, der Vergleich mit seinem Vater, dazu Komplotte, Mordversuche, die Distanz mit der ihn die Anderen behandeln, der Zwiespalt zwischen Gott und Kind; du hast dieses Sammelsurium an Eindrücken in "nur" knapp 3.000 Wörter verpackt, und dabei eine Stimmung erzeugt, die ihresgleichen sucht.

Bei Kul Elna bin ich dann so richtig wach geworden. Selbst ohne deinen "Reise- und Begriffsführer" habe ich gewusst, dass dort die Milleniumsgegenstände geschmiedet worden sind. Ein, in meinen Augen mystischer Ort, befleckt mit dem Blut der gebrauchten Seelen. Du hast dem Dorf als Räuberhochburg in einem fernen Bezirk den Status einer eigenen kleinen Welt, abgekapselt vom Palast und dem inneren Geschehen verpasst, der dem Ganzen natürlich die bedrohliche Aura gibt, die auf Kul Elna lastet.

Ich musste bei Atems Gedanken, als er auf Mahad getroffen ist, unweigerlich an Emperor Valkorion denken (bitte verzeihe mir den englischen Exkurs und die Apostrophe oben, das Handy schafft es nicht ganz, die deutsche Satzzeichensetzung anzunehmen ): "A god has no family."

Mahaad gehört ja praktisch zur Familie, so wie ihn Atems Vater behandelt/angenommen hat. In seiner Position kann Atem es sich aber, richtigerweise, nicht leisten, Vertrauen zu schenken, vorzuschießen. So, wie du die Situation beschreibst, kann er sich nur auf sich selbst verlassen; sich und seine Stärke.

Mahaad als Schmarotzer zu betilten, ich finde, das zeigt Eifersucht, Unsicherheit und heillose Überforderung mit der aktuellen Situation. Logisch, in meinen Augen, denn, nach der Geschichte mit dem Mordanschlag könnte Atem auch damit rechnen, dass Mahaad ihn hintergeht.

Zu Orthographie und Grammatik muss ich nichts sagen, das war wieder einmal allerhöchstes Niveau und angenehm zu lesen. Vor allem Beistriche; gelobt sei dein Wissen/Gefühl, wann es notwendig ist, Beistriche zu setzen. Trotz teilweise längerer Sätze, musste ich nicht mehrmals nachlesen, um sie zu verstehen.

Ich finde die Idee mit der Multiple Choice Story genial, und bewundere deinen Mut, dich nach den Lesern richten zu wollen. Ich traue dir diese Flexibilität aber ungeschaut zu. Ist das die neue Herausforderung, die die du suchst, um eine neue Ebene zu erreichen? Wenn ja, ich wünsche dir alles Gute dabei, und freue mich, dabei sein zu dürfen.

Ich habe nun aber selbst zwei Fragen: Existieren in dieser Welt die "klassischen" Götter des alten Ägyptens, oder "nur" unsere drei Göttermonster, die Exodia und Zorc? Denn zu Atem, mit seinem Weitblick auf die akutelle Situation, und der Tatsache, dass er in den Krieg ziehen muss, würde Sachmet perfekt passen. Stürmisch, aufbrausend, stolz, und gefürchtet.

Da der Anime ja vom Manga eigentlich inspiriert/abgekupfert ist, und ich mich dort ein wenig auskenne, werden die Schattenspiele und Monster auch eine dementsprechende Rolle erhalten? Wenn ja, Atem ist zwöf bzw. 13 Jahre alt, am Ende 16 - wird er die Monster dann auch gegen sein eigenes Volk richten?

Zu ihm würde es dann passen, wenn er entweder die Exodia entfesselt oder Obelisk nutzt, sofern er soweit kommt. Letzterer wird ja, nun da ich auch teilweise ein wenig im japanischen Fandom unterwegs bin, als "Oberisuku no Kyoshinhei", was so viel wie "Großer Soldat des Obelisk/von Obelisk oder nur Großer Soldat Obelisk" übersetzt wird.

Das würde zum aktuellen Atem passen, da ein Soldat sich seinem Pharao beugt und dessen Befehle ausführt. Er beherrscht ihn, und ist ihm gegenüber loyal.

Liebe Yuugii, ich wünsche dir zum Schluss alles Gute und einen guten Start mit deiner FF, die ich sicherlich inhalieren werde. :D Meine Gedanken sollen bitte weder als Affront, noch als Aufforderung gesehen werden, sondern nur als laute Denkerei und hypothetische Planspiele. Die Story ist bisher großartig, und wird sich noch steigern, das weiß ich.

Ganz liebe Grüße
SuperCraig

PS: Danke für die Notiz, dass man in Ägypten bereits mit 13 Jahren als volljährig galt. Ein mir sehr fremdes System, der in seinem Studium das römische Recht anwendet, wo man teilweise mit 40 noch unmündig war. Wieder etwas gelernt!


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