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Babylon-6 - 04

Alte Feinde
von

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Ungewisse Manöver

Vier Augenpaare starrten angespannt auf die dreidimensionale Anzeige des galaktischen Sektors, in dem vor mehr als sechs Wochen der Überfall auf sieben Kreuzer der ALPHA-KLASSE stattgefunden hatte, als sie nach ihrer Ausmusterung auf dem Weg zum Mars gewesen waren. Dieser Punkt lag, auf dem großen Wanddisplay, leuchtend gelb markiert im Zentrum des angezeigten Ausschnitts.

Generalmajor Lynden Benjamin Hayes nahm eine rasche Justierung der Anzeige vor, sodass nun auch die Drazi-Kolonie Grendolla-VII, und der markante rote Riesenstern M5-986, der von dem Planeten Merakan umlaufen wurde, auf der Anzeige erschienen. Außerdem das System Sigma-Alpha-301, in dem eine Organisation mit nicht unbedeutenden Ressourcen, heimlich ein neues Hyperraumsprungtor hatte installieren wollen. Dieselbe Organisation steckte hinter dem Überfall auf die sieben Kreuzer und dem Angriff mit ihnen, auf eine Raumbasis im Orbit von Grendolla-VII.

In den letzten Wochen hatte Generalmajor Hayes immer wieder mehrere Kriegsschiffe, der Kampfgruppe-Epsilon, zu Sternensystemen entsandt, die nach seinem strategischen Verständnis als Ausgangspunkte für zukünftige Aktionen infrage kamen. Diese Art von Fernaufklärung hatte jedoch bis heute nichts erbracht. Der Feind schien sich in Luft aufgelöst zu haben, doch Hayes war klar, dass dieser Eindruck täuschte. Darum hatte er die drei mit ihm Anwesenden am heutigen Abend zu sich gebeten.

Außer ihm selbst befanden sich Captain Fernando Esposito, Captain Christina Frost und Commander Irina Zaizewa im Arbeitszimmer seines Bungalows, wobei die Anwesenheit von Christina Frost einen besonderen Grund hatte, über den er jedoch erst später mit ihr, unter vier Augen, zu reden gedachte. Jetzt ging es um ein vordringliches Problem.

Hayes hatte darauf verzichtet, diese Besprechung im Büro der Station anzuberaumen, sondern die drei Offiziere lieber in diesen Bungalow gebeten, von denen es genug für die gesamte Besatzung der Station, und gleichfalls für die Raumschiff-Besatzungen, der Kampfgruppe-Epsilon, im Innenbereich der Rotationssektion gab.

Auf die Anzeige deutend, auf der nun alle entscheidenden Punkte im All gelb aufleuchteten, sagte Hayes: „Ich habe versucht ein Muster zu erkennen, um ein Sternensystem auszumachen, das als Stützpunkt strategisch günstig zu allen Sektoren liegt, in denen der Feind bisher Aktionen durchgeführt hat oder Stützpunkte unterhielt. Zwei konnten wir aufspüren und unschädlich machen, doch ich bin mir sicher, dass das nur die Spitze des Eisberges gewesen ist. Unsere Aufklärung war bisher nicht erfolgreich, obwohl wir jedes System angeflogen haben, das für den Aufbau eines Stützpunktes infrage käme.“

„Haben Sie in Betracht gezogen, dass der Gegner vielleicht wirklich die Segel gestrichen haben könnte?“, warf Christina Frost ein. „Vielleicht haben wir ihn im Queralin-System ja doch entscheidend getroffen, Sir?“

Hayes sah die hagerere, hoch aufgeschossener, Frau an und fuhr sich dabei über das früh ergraute Haar. Dabei stand er erst kurz vor seinem dreiundfünfzigsten Geburtstag.

Das kurze, rot-blonde Haar der zweiundvierzigjährigen Kommandantin der ANDROMEDA, einem Schweren Zerstörer der WARLOCK-KLASSE, verleiht der Frau gelegentlich einen lausbubenhaften Zug. Sie galt als absolut verlässlich. Dazu trug zu einem nicht unbeträchtlichen Teil ihr Wesen bei, das ziemlich geradeheraus war.

Hayes erwiderte nach einem Moment: „Diesen Gedanken habe ich durchgespielt und wieder verworfen, Captain Frost. „Wir haben auf Merakan keinerlei Hinweise auf jenes Raumschiff finden können, das ein Gerät an Bord hat, mit dem man unsere sieben Kreuzer aus dem Hyperraum holte. Ebenfalls abgängig sind noch mindestens vier kapitale Trägerschiffe, wie jene beiden, die wir im Queralin-System stellen und vernichten konnten. Darüber hinaus denke ich, dass die Flotte unserer Gegner größer ist, als wir glauben. Ich habe mir von der Erd-Zentrale eine Liste aller im Einsatz vermissten Raumschiffe senden lassen und mein Augenmerk besonders auf jene Raumschiffe gerichtet, die während des Telepathen-Krieges verschwanden. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Annähernd dreißig kapitale Raumschiffe der Erd-Streitkräfte gingen allein während dieser Zeit verloren.“

Commander Irina Zaizewa warf ihr langes, braunes Haar zurück und sah ihren Vorgesetzten beinahe erschrocken an. „So viele Kriegsschiffe, Sir? Aber wie konnten die alle verloren gehen, ohne dass das bekannt wurde?“

„Vermutlich gezielte Desinformation hochrangiger Mitglieder des inzwischen aufgelösten PSI-Corps und von deren Helfershelfern“, orakelte Fernando Esposito, der als Stellvertreter von Hayes fungierte und somit der Zweite im Kommando war. „Zudem ist Einschüchterung bei denen stets ein gerne angewandtes Mittel gewesen.“

Die Augen der Telepathin begannen eigentümlich zu funkeln, doch bevor Irina Zaizewa etwas auf die Worte des Südländers erwidern konnte, warf Christina Frost ein: „Wenn es so war, dann sind diese Machenschaften fraglos von einem gewissen Alfred Bester und einer sehr kleinen Gruppe seiner engsten Mitarbeiter durchgeführt worden. Nun, Bester ist seit Jahrzehnten tot, doch sein Erbe ist anscheinend recht lebendig.“

Hayes warf der rotblonden Raumschiff-Kommandantin einen dankbaren Blick zu und sagte überzeugt: „Das sehe ich ähnlich. Einige Telepathen haben sich gewiss nicht mit dem plötzlichen Machtverlust abfinden können, nachdem im Jahr 2267 das Corps aufgelöst wurde. Es dürfte sich jedoch um eine Minderheit gehandelt haben.“

Inzwischen hatte Commander Zaizewa ihre kurzzeitig aufschäumenden Emotionen wieder fest im Griff und starrte wieder intensiv auf die Anzeige. „Was, wenn es gar kein planetarer Stützpunkt ist, den wir suchen? Wir selbst befinden uns ja auch nicht auf einem Planeten oder in der Nähe eines solchen.“

Für einen kurzen Augenblick sah Hayes die Stellvertretende Stationskommandantin an, wie ein Wundertier. Dann schnippte er mit den Fingern der rechten Hand und meinte mit wankender Stimme: „Wie gut, dass wenigstens Sie die Übersicht behalten haben, Commander. Unsere Gegner haben uns, was unsere Überlegungen betrifft, in diese Ecke gedrämmelt, weil wir sie bisher immer in Sternensystemen bekämpft haben.“

Rasch nahm Hayes einige Schaltungen am seitlichen Kontroll-Paneel des Displays vor und um die gelb markierten Punkte herum bildeten sich halb-transparente Kugel-Sektoren. Hayes vergrößerte diese Sektoren, bis sie sich an einem einzigen Punkt schnitten.

„Vielleicht sollten wir es in genau diesem Bereich mal versuchen. Kein Sternensystem weit und breit – nur leerer Weltraum“, meinte Hayes und deutete auf den entsprechenden Sektor. „Da würde man normalerweise ganz zuletzt suchen.“

„Kein gerade sehr kleiner Bereich des Weltalls“, stellte Fernando Esposito mürrisch fest. „Das wird die berühmte Suche nach der Nadel im Nadelhaufen.“

„Besonders dann, wenn der Gegner Hyperraum-Ortungssonden installiert hat und die Systeme herunterfährt, sobald wir uns nähern“, stimmte Christina Frost zu. „Aber nach meiner Ansicht wäre es den Versuch wert, Sir. Schon mangels Alternativen.“

Lynden Benjamin Hayes blickte in die Gesichter der beiden anderen Offiziere und erkannte in ihnen Zustimmung. „Also schön. Morgen werden wir damit beginnen, einen Schlachtplan auszuarbeiten. Sobald er steht, werde ich mich an Bord der SHERIDAN begeben und den Hauptteil der Kampfgruppe-Epsilon zu diesem Sektor führen. Dann werden wir sehen, ob unsere Überlegungen etwas wert sind.“

„Haben wir inzwischen Informationen von der NE'VAR erhalten?“, erkundigte sich Fernando Esposito unvermittelt. „G’Ryka wollte sich doch umhören.“

„Nein, die Narn hat sich bisher ausgeschwiegen“, erwiderte Hayes. „Doch das besagt nichts, da sie zuerst einmal ihren eigenen Geschäften nachgehen muss. Ich rechne frühestens in vier Wochen mit einer erneuten Kontaktaufnahme.“

Der Generalmajor warf einen bedauernden Blick auf die Zeitanzeige, in der oberen rechten Ecke des Displays. Es war später geworden, als er gehofft hatte. Der gewohnte Abendspaziergang mit Irina Zaizewa würde heute wohl ausfallen.

Nachdem keiner der drei Offiziere den Eindruck bei Hayes erweckte noch etwas beisteuern zu wollen, wandte sich der Generalmajor an Esposito und meinte: „Sie können dann wegtreten, Captain. Ich erwarte Sie morgen früh, um genau 10:00 Uhr im Dienstbüro der Station.“

Der schwarzhaarige Mann bestätigte und verließ rasch den Bungalow, wobei Hayes den Eindruck gewann, dass es der Südländer eilig zu haben schien.

Rasch wandte sich Hayes zu Irina Zaizewa. Ihr einen schnellen bedauernden Blick zuwerfend wies er sie an: „Bitte warten Sie ein paar Minuten außerhalb des Bungalows, Commander. Wir haben noch etwas zu besprechen, doch zuerst muss ich etwas mit Captain Frost, unter vier Augen, klären.“

„Natürlich, Sir.“

Die Telepathin verließ den Bungalow. Erst nachdem sich das Schott zischend hinter ihr geschlossen hatte, richtete Hayes sein Augenmerk auf Christina Frost, die ihn neugierig ansah, denn sie hatte im Moment nicht die leiseste Ahnung, was es zwischen ihr und Hayes zu besprechen geben könnte.

Hayes lächelte beruhigend und deutete hinüber zur Sitzgruppe. „Nehmen Sie Platz, Captain Frost. Ich habe nicht vor, ihnen die Schulterklappen abzureißen.“

Christina Frost kam der Aufforderung nach und sah ihren Vorgesetzten neugierig an, nachdem auch er sich gesetzt hatte. „Worum geht es, Sir?“

Hayes mochte diese direkte Art der Frau. Geradeheraus und ohne Schnörkel. Er beschloss, ebenso direkt zur Sache zu kommen, und gab zurück: „Ich weiß, von ihrem Versetzungsgesuch zur Transferstation LOOKOUT, um dort das Kommando zu führen. Für Sie unglücklich war, dass Sie in das Geheimnis von BABYLON-6 eingeweiht wurden, bevor die Sichtung der Bewerber begann. Damit waren Sie aus dem Auswahlverfahren heraus.“

„Ich hätte sehr gerne das Kommando über eine Raumstation geführt“, gab Frost freimütig zu. „Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.“

„Richtig“, stellte Hayes fest. „Ihr Erster Offizier hat ihrerseits nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie gerne ein Raumschiff kommandieren würde. Das Zeug dazu hätte sie und das nötige Dienstalter ebenfalls. Na, ja – beinahe das nötige Dienstalter.“

„Worauf wollen Sie hinaus, Sir?“

Hayes schmunzelte amüsiert. „Nun, was würden Sie davon halten, wenn ich ihnen das Kommando über eine Raumstation verschaffe, Captain Frost?“

Es dauerte eine Weile, bis die hagere Frau verstand und überrascht fragte sie: „Sie meinen, das Kommando über diese Raumstation? Aber was wird Commander Zaizewa…?“

„Commander Zaizewa ist ein hervorragender Erster Offizier dieser Station. Doch ich selbst bin mit der gleichzeitigen Führung der Kampfgruppe-Epsilon und dem Kommando über diese Station zu sehr beansprucht. Gerade jetzt braucht die Kampfgruppe eher mein persönliches Kommando, als diese Station, Captain. Der Commander müsste also weitgehend als Kommandantin dienen. Gleichzeitig ist sie aber auch die Geschwaderkommandantin der Jäger und Jagdbomber dieser Station. Lieutenant-Commander Shinji Okasaki hat seine Aufgabe, als diese Station vor zwei Monaten unter Beschuss stand, zwar sehr gut gelöst, doch es wäre mir wohler, wenn das nächste Mal ein etwas erfahrenerer Offizier das Kommando innehätte. Das sollte jedoch nicht ausgerechnet eine der besten Pilotinnen des Geschwaders sein, die ich im Notfall dort draußen, als CAG der Geschwader, weitaus besser gebrauchen kann. Also was denken Sie, Captain? Ist Commander Chloe-Manon Lefevre bereit für eine Beförderung zum Captain, oder nicht?“

Der Blick der rotblonden Frau wurde undeutbar. „Commander Lefevre ist bereit, Sir. Aber sind Sie sicher, dass es für ihr kleines Manöver nicht noch einen anderen Grund gibt?“

„Nein“, gab der Generalmajor offen zu. „Doch dieser Grund hat nichts mit ihrer Versetzung auf diese Station zu tun. Denn Sie wären als Kommandantin dieser Station genau die richtige Person auf dem richtigen Posten, Captain Frost, und sie wäre auch ohne diesen ganz speziellen Grund notwendig.“

Christina Frost grinste fast lausbubenhaft, als sie erwiderte: „Dann haben Sie ihre neue Stationskommandantin, Sir. Man wird ihr kleines Manöver dennoch durchschauen.“

„Das ist mir ziemlich egal, Captain“, erwiderte der Mann unbekümmert.

„Liegt sonst noch etwas an, Sir?“

Der Generalmajor übersah das Zwinkern der Frau geflissentlich. „Nein, das wäre alles, Captain. Denn Kommandowechsel und die Beförderung von Commander Lefevre machen wir gleich morgen, unmittelbar nach Dienstbeginn, offiziell. Kommen Sie bitte ebenfalls danach, um 10:00 Uhr in mein Dienstbüro. Ach, und Captain. Schicken Sie mir bitte Commander Zaizewa herein, wenn Sie gehen.“

Die hagere Frau erhob sich und lächelte vielsagend. „Natürlich, Sir. Ich wünsche Ihnen und dem Commander einen angenehmen Abend.“

Hayes sah Christina Frost stirnrunzelnd nach. Bisher hatte er geglaubt, dass die Zuneigung, die er für Irina Zaizewa empfand, noch nicht die Runde gemacht hatte, innerhalb der Truppe. Andererseits hatte er intelligente Menschen unter seinem Kommando, also hätte er damit rechnen können, dass diese Menschen irgendwann ihre Schlussfolgerungen daraus ziehen würden, wenn er jeden Abend ausgedehnte Spaziergänge mit dem Commander unternahm. Vermutlich hatten diese Leute eher gemerkt, als Irina und er selbst, wie es um sie beide stand.

Hayes fuhr aus seinen Überlegungen auf, als Irina Zaizewa zu ihm hereinkam und meinte: „Captain Frost schien ziemlich guter Laune zu sein, als sie ging. Wie ist es, machen wir wenigstens noch einen kleineren Spaziergang, Sir?“

„Nein“, gab Hayes zurück. „Wir haben nämlich wirklich etwas zu besprechen. Das hat auch mit dem zu tun, was ich eben mit Christina Frost besprochen habe.“

„Klingt ernst.“

„Oh, es ist nichts Schlimmes. Aber es hat gewisse Auswirkungen.“

Irina Zaizewa kam näher und sah ihrem direkten Vorgesetzten in die sanften, braunen Augen, als Hayes damit begann ihr zu berichten, was genau er mit Frost abgemacht hatte. Nachdem er geendet hatte, schwieg sie eine geraume Weile, bevor sie konstatierte: „Die glauben also zu wissen, was Sache ist. Dabei wissen das nicht mal wir zwei.“

„Richtig, weil ich bisher jedesmal unterbrochen wurde, wenn ich mit dir dieses Thema anschneiden wollte. Gerade so, als hätte sich das gesamte Universum gegen uns verschworen. Doch hier und jetzt werden wir darüber reden, und wenn die Station darüber untergehen sollte.“

Die Telepathin lächelte dünn. „Wird auch verdammt Zeit, würde ich sagen.“

Der Mann seufzte schwach. Dann sah er die Frau vor sich ernst an und sagte entschlossen: „Meine Gefühle für Sie, Commander, waren von Beginn an von einer ausgeprägten Ambivalenz. Anfangs hätte ich Sie am liebsten, ohne Raumanzug, aus der nächsten Luftschleuse der Station befördert. Doch als sie nach dem Gefecht im Umkreis um diese Station schwer verletzt wurden, da war ich in höchster Sorge um Sie. Mehr in Sorge, als es bei Personen unter meinem Kommando sonst der Fall gewesen ist. Danach folgten die Gespräche mit ihnen, am Krankenbett der Station, und später die gemeinsamen Spaziergänge, bei denen wir uns ausgetauscht haben.“

„Ich verstehe worauf Sie hinaus wollen, Sir“, unterbrach die Frau ihn. „Als Sie am Krankenbett meine Hand gehalten haben, da war es quasi unmöglich nicht ihre Emotionen zu erfassen. Ich habe in diesem Moment sehr genau gespürt, dass da etwas ist, und nicht genau zu wissen was, das macht mich seit Wochen kribbelig.“

Hayes ging etwas auf Abstand und legte seine Uniformjacke ab. Er war längst außer Dienst und außer Irina Zaizewa sah es ja keiner. Er schritt in den Wohnbereich hinein, begab sich zur Bar und schenkte für sie beide einen Drink ein. Um nicht direkt auf ihre letzten Worte antworten zu müssen, erkundigte er sich über die Schulter hinweg: „Was macht der Heilungsprozess? Hat die Notoperation schlimme Narben hinterlassen?“

Er nahm die Gläser in die Hand und wandte sich um, wobei er sie beinahe fallengelassen hätte, denn vor seinen Augen legte Irina Hayes ebenfalls ihre Uniformjacke ab und zudem ihre weiße Uniformbluse, unter der sie nur einen hellen Sport-BH trug. Mit unschuldigem Augenaufschlag sagte sie: Sehen Sie selbst, Sir.“

Langsam schritt Hayes zu der Telepathin und reichte ihr, fast mechanisch, eines der beiden Gläser. Dabei betrachtete er tatsächlich interessiert die Narben des Eingriffs. Nachdem er schnell sein Glas geleert hatte, stellte er es auf den Tisch, der im Raum stand und meinte bedauernd: „Tut mir leid, dass es mein Befehl war, der zu diesen Narben führte.“

„Das ist nicht Ihre Schuld, Sir, sondern die Schuld unserer Gegner.“

Die Telepathin leerte ihr Glas und stellte es neben dem des Generalmajors auf den Tisch. Als sie sich wieder dem Mann zuwandte, fragte sie, mit veränderter Stimmlage: „Wird man eigentlich Generalmajor, ohne so etwas abzubekommen, Sir?“

„Leider nicht“, knurrte der Mann in der Erinnerung. Er öffnete sein blütenweißes Uniformhemd, zog es aus und warf es achtlos auf einen der Sessel. Dabei deutete er auf mehrere fingerlange Narben unter seiner linken Brust. „Diese Erinnerungen habe ich mir bei der Schlacht von Proxima 3 eingefangen. Interessanterweise nicht im Cockpit eines Jägers der VESTA, sondern von einem Kameraden an Bord, der mit dem Stillhalte-Befehl meines damaligen Captains, Edward MacDougan nicht einverstanden war und zu meutern gedachte. Drei Stiche mit einer ziemlich breiten und langen Klinge.“

Irina Zaizewa trat dichter zu Hayes heran. Nachdem sie ihn fragend angesehen hatte, streckte sie ihre Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen eine der Narben. Dabei sah sie dem Mann direkt in die Augen und fragte mit kratziger Stimme: „Was also ist das nun, zwischen uns beiden, Generalmajor?“

Der Grauhaarige schluckte und sagte dann mit belegter Stimme: „Zuerst einmal lassen wir jetzt die Ränge weg, sonst wird das eine ziemlich schräge Unterhaltung.“

„Zweifellos“, stimmte die Frau zu, die noch immer ihre Finger am Körper des Mannes hatte und deutlich seine innere Unruhe spüren konnte.

Die Frau trat so dicht an den Generalmajor heran, dass ihr Oberkörper ganz eben den Oberkörper des Mannes berührten. Sie fasste sich ein Herz, nahm die Hände des Mannes in ihre und legte sie sich um die Hüften, wobei sie seine linke Hand über der Gürtellinie auf ihre nackte Haut legte. Seine Rechte legte sie sich mit herausforderndem Grinsen auf den Po. Danach schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und neigte ihren Kopf fragend zur Seite.

Lynden Benjamin Hayes zog die Frau nun ein Stück näher zu sich heran und raunte, nach geraumer Weile: „Wir müssen das, auch wenn ich Christina Frost zwischen uns stelle, damit ich nicht mehr dein direkter Vorgesetzter bin, dennoch erst einmal unter dem Teppich halten, Irina. Das bedeutet: Kein Händchenhalten während der Abendspaziergänge, keine verliebten Blicke während andere Personen dabei sind und nur die förmliche Anrede, während des Dienstes und solange wir nicht unter uns sind.“

Irina Zaizewa verdrehte gespielt verzweifelt die Augen, wobei sie allerdings verführerisch grinste und leise erwiderte: „Unsere Leute werden es dennoch merken. Die sind nicht dumm und sie haben scharfe Augen. In diesem Fall leider. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was ist es?“

„Ich habe keine Antwort darauf. Hast du eine?"

Irina schüttelte unmerklich den Kopf und erwiderte raunend: „Nein, das ist es ja. Jetzt gerade ist mir das jedoch ziemlich egal, denn was immer es ist, es fühlt sich gut an.“

Entschlossen beugte sich die Frau etwas vor und küsste den Mann, der sie fest in seinen Armen hielt. Nur eine einzige längerfristige Beziehung hatte sie bisher mit einem Mann geführt, ansonsten hatte es in ihrem Leben nur kurzzeitige Affären gegeben. Sie schloss die Augen, als Hayes ihren Kuss sanft erwiderte und sie ließ sich emotional fallen. Zum ersten Mal, seit einer sehr langen Zeit. Ihre Finger glitten über den breiten Rücken des Mannes und krallten sich schließlich sacht in seine Haut.

Nach einer Weile, die Irina Zaizewa wie eine halbe Ewigkeit vorkam, lösten sich ihre Lippen und die Telepathin sah den Mann in ihren Armen fragend an. „Ich habe das schon seit Jahren nicht mehr getan. Was ist mit dir?“

„Ich kann mich nicht erinnern“, spöttelte der Mann mit rauer Stimme. „Aber einige Jahre ist es auch bei mir her, dass ich zuletzt eine Frau geküsst habe.“

„Bist du ganz sicher, dass es keine Jahrzehnte sind?“

„He, nur nicht dreist werden“, gab der Mann mit warnendem Unterton zurück. „Nach Moanas Tod hat es einige Jahre gedauert, bis ich wieder eine Frau in mein Leben gelassen habe. Auf Dauer hat es aber nicht funktioniert. Danach habe ich mich auf flüchtige Affären beschränkt. Zumal der Dienst nicht wirklich förderlich für Beziehungen ist.“

„Ja“, hauchte die Telepathin und küsste Hayes erneut.

Als Irina den Mann zögerlich wieder freigab, meinte sie augenzwinkernd: „Obwohl der Dienst gerade sehr förderlich wirkt, wie mir scheint.“

Hayes nickte nur schmunzelnd und löste die Umarmung. Die Telepathin an die Hände nehmend führte er sie hinüber zum Schlafbereich. „Darüber reden wir später.“
 

* * *
 

Irina Zaizewa erwachte, als sich die Beleuchtung der Rotationssektion noch im Nachtmodus befand. Schon wegen der verschiedenen Pflanzen, dem Getreide und der Gemüse- und Obstsorten, die hier gezüchtet wurden, war ein natürlicher Wechsel der Helligkeit innerhalb dieser Sektion nötig.

Als sie ihre Augen öffnete und sich sacht bewegte, da berührte ihre Nase die von Lynden B. Hayes und der Mann verzog etwas das Gesicht. Neckisch bewegte die Telepathin ihre Nase wieder vor und stupste die des Mannes an. Wieder verzog er das Gesicht und gab ein leises Brummen von sich.

Als sich das Gesicht der Frau erneut vor reckte, wurde sie von dem festen Griff des Mannes überrascht, mit dem sie die letzte Nacht verbracht hatte und sie gab einen spitzen Laut der Überraschung von sich.

Gleich darauf sah sie Hayes mit gespielt grimmiger Miene an. „Wenn du einen alten Mann wecken willst, dann musst du früher aufstehen, du kleiner Spaßvogel.“

„Das werde ich mir merken“, gab die Frau leise zurück und schob sich über den Körper des Mannes. Nach einem sanften Kuss sah sie Hayes verklärt an. Dabei spürte sie, wie seine Fingerspitzen die Linien ihres Rückens und ihres Pos unter der leichten atmungsaktiven Decke nachzeichneten.

Der Mann lachte lautlos und sagte dann raunend: „Also, was immer das nun zwischen uns ist, ich finde, es war letzte Nacht der helle Wahnsinn.“

„Es war auch diesen Morgen der helle Wahnsinn“, ergänzte die Telepathin anzüglich, denn sie hatten sich mehrmals geliebt, bevor sie endlich der Schlaf übermannt hatte.

„Ja, das war es“, nickte Hayes lächelnd und seufzte schwach.

Irina Zaizewa drehte sich mit dem Mann in ihren Armen auf die Seite, bevor sie stirnrunzelnd fragte: „Soll das leise Seufzen mir sagen, dass du es bedauerst?“

„Aber nein“, wehrte Hayes rasch ab. „Ich dachte nur für einen kurzen Moment daran, dass es vermutlich eine ziemlich komplizierte Geschichte werden wird, mit uns beiden und mit dem, was immer wir nun auch haben.“

Irina Zaizewa drehte sich auf den Rücken und gab spöttisch zurück: „Was meinst du mit werden? Die ganze Nummer war doch vom ersten Moment an kompliziert.“

„Oh ja“, stimmte Hayes verschmitzt grinsend zu. Dabei streichelten die Spitzen seiner Finger ganz sacht über die straffen Brüste der Telepathin. Als er sich etwas über sie beugte und die Knospen ihrer Brüste küsste, gab sie ein leises, wohliges Schnurren von sich und schlang schließlich ihre Arme um ihn. Im nächsten Moment lachte sie unterdrückt.

Hayes richtete sich etwas auf und sah die Frau fragend an. „Was findest du denn jetzt so wahnsinnig komisch?“

Es dauerte einen Moment, bis Irina in der Lage war darauf zu antworten. „Erinnerst du dich noch an diese bescheuerte Wette, die Nurcan und ich vor deiner Ankunft auf dieser Station abgeschlossen haben?“

„Wie könnte ich die vergessen? Damit begann der gesamte Zauber doch erst.“

Die Telepathin lächelte spitzbübische, bis sich schließlich Erkenntnis im Blick des Mannes widerspiegelte.

„Oh… Nein! Das kann doch nicht wahr sein.“

„Oh, doch. Das ist wahr. Aber du weißt hoffentlich, dass das nicht der Grund…“

Hayes verschloss der Frau den Mund mit einem langen sanften Kuss. Als er sich nach geraumer Weile von ihr löste, meinte er ernsthaft: „Weißt du was: Erwähne nie wieder diese selten dämliche Wette, sonst…“

Irina hob fragend die Augenbrauen. „Sonst – was?“

„Wenn ich, als Generalmajor, sonst sage, reicht das normalerweise schon.“

Die Telepathin gab ihrem Vorgesetzten einen leichten Nasenstüber. „He, sei am frühen Morgen nicht so ein Grummelbär. Nicht, nach einer so wundervollen Nacht.“

Nach einem weiteren flüchtigen Kuss raunte Hayes bedauernd: „Komm mit unter die Dusche, damit du dich aus meinem Bungalow schleichen kannst, bevor der Rest der Station wach wird.“

„Du sagst mir immer so herrlich romantische Dinge“, beschwerte sich die Telepathin halb belustigt, halb ernsthaft, und folgte einen Moment später der Aufforderung.

Nachdem sie sich angekleidet hatten, verabschiedete Hayes die Telepathin am Schott mit einem raschen letzten Kuss, bevor sie hinausschlüpfte und im Halbdunkel verschwand, um ihren eigenen Bungalow aufzusuchen. Sinnend sah Hayes ihr nach, bevor er das Schott schloss und sich zu der kleinen Küche des Hauses begab. Jetzt brauchte er einen starken Kaffee, um erst einmal richtig wach zu werden, nach den wenigen Stunden des Schlafens.



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