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Von Hoffnung und Verrat

von

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„Sigurd! Randvi!“

Valka stürmte den Hang hinunter zur Anlegestelle, wo Sigurd und Randvi sich um eine aufgebrachte Dorfbewohnerin kümmerten, deren Haus über Nacht plötzlich Feuer gefangen hatte.

Noch immer stieg leichter Rauch von dem Reetdach auf und über dem Dorf lag der übliche Geruch eines Brandes.

Während Sigurd sich gemeinsam mit einigen Kriegern besprach, wie es zu dieser Situation kommen konnte und was nun zu tun war, saß Randvi mit der sichtlich schockierten alten Frau vor deren Haus auf einer Bank und versuchte, sie zu beruhigen.
 

„Randvi, da bist du ja.“

Randvi wich sofort sämtliche Farbe aus dem Gesicht, als sie in das Valkas schaute.

Die Seherin trug eine Mischung aus Sorge und Erleichterung in ihrer Mimik.
 

„Valka, was ist los?“

Randvi erhob sich, während sie der alten Frau noch einmal beruhigend über die Stirn strich und ihr versicherte, dass sie sofort wieder für sie da sei.

Dann wandte sie sich Valka zu. Sie gingen einige Schritte zur Seite.
 

„Es ist Eivor. Sie ist aufgewacht.“
 

„Den Göttern sei Dank! Geht es ihr gut?“

Randvi verschränkte nervös die Arme vor der Brust.

Die letzten Tage hatten sie sehr aufgewühlt.

Es war eine Reihe an Dingen passiert, die sie selbst und alle anderen sich nur schwer erklären konnten.

Ohne Eivor hatte sie all das allein erledigen müssen.

Zuerst die Verhandlungen mit einem Mann, der in das Dorf kam und sich als Bäcker bewarb, in der Hoffnung auf Unterschlupf und ein Haus, in dem er sich seine Bäckerei einrichten konnte.

Die Verhandlung endete schnell in einem Kampf, nachdem Randvi ihn abgewiesen und ihn gebeten hatte, Hræfnathorp zu verlassen.

Sigurd selbst hatte ihn erschlagen müssen, da der Mann nicht gewillt war, das Dorf wieder zu verlassen.

Nun, zwei Tage später, der plötzliche Brand eines Hauses, den sich niemand erklären konnte.

Randvi versuchte in dieser Zeit stark zu bleiben. Doch die Unterstützung und der Zuspruch von Eivor fehlten ihr sehr.

Jetzt, in diesem Moment, wollte sie daher nur noch zu Eivor. Sie wollte sicher sein, dass es ihr gut ging.
 

„Komm, wir gehen zu ihr“, gab Valka kurz zurück, bevor sie sich auf den Weg zum Langhaus machten.
 

Eivor saß bereits aufrecht an der Kante des Bettes und wirkte etwas unruhig, als Valka und Randvi dem Raum betraten.

Sie blickte sich nervös um. Dass nun jemand bei ihr war, bemerkte sie zuerst nicht.
 

Valka seufzte und setzte sich zu Eivor herunter.

„Du solltest doch noch liegen bleiben.“
 

Eivor sah Valka müde in die Augen.

Sie wirkte etwas desorientiert und versuchte ununterbrochen, etwas zu sagen.

Doch ihre Kehle war so trocken, dass sie kein Wort heraus bekam.
 

„Du solltest etwas trinken“, sagte Valka bestimmt, während sie aufstand, um einen Becher vom Tisch zu nehmen. Sie füllte ihn mit Wasser, das sie am Abend zuvor noch abgekocht hatte und reichte ihn Eivor, die darauf hin so schnell zu trinken begann, dass ihr das Wasser wieder aus den Mundwinkeln heraus lief.
 

„Langsam, Eivor. Wenn du zu schnell trinkst, kannst du es womöglich nicht bei dir behalten.“

Valkas Worte gingen an Eivor vorbei.

Drei Tage lang war sie ohne Bewusstsein.

Diese Art von Kontrollverlust mochte sie überhaupt nicht.
 

Randvi setzte sich zu Eivor aufs Bett und legte ihre Hand auf ihre Schulter.
 

„Wie geht es dir, Eivor?“, fragte sie vorsichtig, während sie Eivor den leeren Becher abnahm und ihn zur Seite stellte.

Eivor wischte sich erleichtert keuchend das Wasser vom Mund und stützte sich auf ihre Arme. Nur langsam sickerten Randvis Worte zu ihr durch. Sie verstand noch nicht, was genau geschehen war und versuchte noch, die Situation in der sie sich befand für sich selbst einzuschätzen.

Ihr Blick wanderte unruhig durch den Raum, immer wieder auf und ab.

Sie war in ihrem Schlafraum. Randvi und Valka waren bei ihr und sie fühlte sich benommen und ihr war übel.

Ihr Kopf fühlte sich an, als würde Thor selbst darauf herum hämmern.

Insgesamt war ihr danach, sich ausgiebig zu waschen.

Die Haut in ihrem Gesicht fühlte sich scheußlich an, einige Haarsträhnen klebten ihr auf der Stirn und die Wunde auf ihrer Wange brannte wie Feuer, als sie versehentlich darauf herum tastete.

Sie war verwundet?

Eivor konnte sich ihren Zustand nicht erklären.

Mit wirren Augen blickte sie nun nacheinander Randvi und Valka an.
 

„Was... was ist passiert?“

Ihr Hals brannte furchtbar, als sie die ersten Worte sprach, weshalb sie stark zu husten begann.
 

Randvi blickte Valka besorgt an und strich Eivor beruhigend über den Rücken.

„Wir hatten gehofft, du könntest uns sagen, was passiert ist“, gab sie dann zurück.
 

„Kannst du dich noch an irgend etwas erinnern, Eivor?“, fragte Valka, während sie Eivor angestrengt musterte.

Eivor begann nachzudenken.

Doch alles, was sie vor ihrem inneren Auge sah, war Dunkelheit.

Und alles, was sie in diesem Moment spürte, waren diese furchtbaren Magenschmerzen und die Übelkeit.

Eivor keuchte schmerzerfüllt auf, drückte ihre Faust in ihre Magengrube und beugte sich nach vorn.
 

„Eivor! Was ist los?! .. Valka, tu doch etwas!“ Randvi ließ panisch von Eivor ab und sprang vom Bett auf, damit Valka sich setzen konnte.
 

„Nur die Ruhe, Randvi. Ich habe damit gerechnet, dass das passieren wird. Altweiberklaue liegt schwer und verursacht noch lange Zeit nach der Verabreichung Krämpfe. Ich braue ihr deshalb bereits einen Heiltrank, der wird ihr helfen.“
 

Valka drückte Eivor leicht nach hinten, um sie wieder auf das Bett zu legen.

„Du musst dich noch ausruhen, Eivor. Ich bringe dir ein wenig zu Essen, damit sollten die Krämpfe erträglicher werden.“ Valka legte Eivor eine Decke über und wandte sich zu Randvi um, die noch immer aufgebracht am Bettende stand.

„Pass auf, dass sie nicht aufsteht. Das ist wichtig. Jede Bewegung verursacht zusätzliche Schmerzen. Das wollen wir vermeiden.“
 

„Verstanden. Aber Valka, bitte gib Sigurd bescheid. Er soll dafür sorgen, dass sich jemand um die alte Dame am Anleger kümmert. Du weißt ja, ihr Haus...“

Valka nickte verständnisvoll und verließ dann wortlos den Raum.
 

„Randvi...“, presste Eivor angestrengt hervor. Die Schmerzen hatten sie noch immer fest im Griff.
 

„Ich glaube... ich erinnere mich an etwas...“

Randvi setzte sich zügig zu Eivor aufs Bett, um sie besser verstehen zu können.
 

„Da war dieses Mädchen...“, die Bilder setzten sich nur langsam in Eivors Kopf zusammen. Und immer wieder gab es Lücken. Doch an das Mädchen, Eysa, konnte sie sich nun erinnern.

„Sie hat gekocht und... und etwas zu trinken für uns bereitet.“

Ein erneuter Magenkrampf brachte Eivor vorerst zum Schweigen.

Randvi blickte sie mitleidig an. Es machte sie krank, Eivor so zu sehen. Aber natürlich sagte sie ihr so etwas nie. Eivor war nicht der Mensch, der Mitleid wollte.
 

„Sachte, Eivor. Vielleicht solltest du dich zuerst ausruhen und...“
 

„Nein!“, unterbrach Eivor sie.

„Dieses Mädchen... sie hat mir etwas zu trinken gegeben. Ich weiß noch... dass es furchtbar schmeckte... und mir übel wurde...“

Eivor dachte noch einmal angestrengt nach. Doch so sehr sie es versuchte, das war alles, woran sie sich erinnern konnte.
 

„Nun“, begann Randvi nachdenklich.

„Das würde Valkas Theorie bestätigen. Wir gehen davon aus, dass dieses Mädchen, Eysa, Informationen aus dir herausholen wollte, die sie nichts angehen. Valka nannte es... Altweiberklaue. Eine Art Kraut, um dich gesprächig zu machen. Du musst wissen, als wir dich hier fanden, bewusstlos und mit dieser Wunde auf deiner Wange, da war Eysa nicht mehr da. Sie ist einfach verschwunden. Sigurd und die Männer haben alles abgesucht, wir sandten Späher aus. Doch niemand hat sie gefunden. Wir wissen nicht, was ihre Absicht dahinter war. Aber es muss dennoch einen Kampf zwischen euch gegeben haben. Wir fanden sehr viel Blut auf dem Boden und das Zimmer sah sehr wüst aus.“

Eivor versank in Gedanken.

Eysa. Sie hatte ihr so viel anvertraut. Ihre Gefühle, ihre Kampftechniken, ja sogar ihre Heimat, Hræfnathorp. Sie hatte ihr von ihren Visionen erzählt. Und entgegen aller Skepsis von Sigurd und dem gesamten Clan hatte sie das Mädchen aufgenommen. Das Vertrauen, die Gefühle für Eivor, das Beieinanderliegen. Alles reine Täuschung. Doch Eivor fragte sich wofür?
 

„Randvi... wir sollten kampfbereit bleiben. Ich habe diesem Mädchen mehr anvertraut, als mir selbst lieb ist. Ich war schwach und sah in ihr eine Vertraute. Ich hoffe, es ist nicht zu spät. Wir sollten Sigurd...“

Eivor verstummte abrupt.

Ihr und Randvis Blick trafen sich, während sie angestrengt lauschten und hofften, dass das, was sie hörten nur eine Übung war.

Doch falsch. Sigurd hatte in sein Horn gestoßen. Das hieß ohne Ausnahme; sie wurden angegriffen.
 

Eivor warf die Decke von sich und griff nach ihrer Axt, doch Randvi stellte sich ihr sofort in den Weg.
 

„Nein, Eivor! Du kannst nicht kämpfen, du bist noch zu schwach!“

„Randvi. Bitte. Ich habe euch die letzten Tage nicht beistehen können, aber jetzt braucht mich mein Clan! Und ich werde gehen.“

„Das gefällt mir nicht, Eivor. Aber bitte, ich halte dich nicht auf.“
 

Eivor stand von ihrem Bett auf. Die Übelkeit hatte sie noch immer fest im Griff, weshalb ihr das Laufen schwerer fiel, als sie es sich eingestehen wollte.

Doch egal was nun kam, sie musste durchhalten. Für Randvi, für Sigurd und für ihren Clan.

Sie schleppte sich so schnell sie konnte aus dem Langhaus, Randvi dicht hinter ihr. Das Sonnenlicht brannte in ihren Augen, als sie aus der Tür zur großen Esche lief, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
 

Am Anleger und im Dorf kämpften bereits sämtliche Männer gegen die Feinde, die das Dorf in kürzester Zeit überrannt hatten.

Eivor konnte im Gemenge nicht erkennen unter welchem Banner sie kämpften.

Sie sah sich um.

Viele Frauen hatten sich mit ihren Kindern bereits vor dem Langhaus versammelt.

Sie stellten sich schützend vor die Kleinen.

„Geht in das Langhaus und bleibt dort! Verschließt die Türen! Sammelt jeden ein, der nicht kämpfen kann!“, brüllte Eivor ihnen zu.

Dann stürmte sie nach vorn.

Randvi blickte ihr besorgt hinter her, doch auch sie folgte Eivor einige Sekunden später in die Schlacht.
 

Wie ein Waldbrand stürmte Eivor durch die Menge und schlug innerhalb kürzester Zeit ein Dutzend Männer nieder. Im Gemenge versuchte sie immer wieder, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie fand Sigurd, auch er tobte wie das raue Meer.

Doch schon nach kurzer Zeit bemerkte sie, dass ihre eigenen Männer zunehmend weniger wurden.

„Sigurd!“, brüllte sie mit voller Kraft, in der Hoffnung, dass er sie hörte.

„Wir verlieren zu viele Männer!“

Ein Schild traf Eivor im Rücken, sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Der Stoß war hart gewesen, doch sie wandte sich um und trieb dem Angreifer ihre Axt direkt in den Schädel.

Wieder ging ihr Blick herum. Sie keuchte angestrengt, ihre Schmerzen nahmen mit jeder Sekunde zu.

In der Menge viel ihr plötzlich eine Gestalt auf. Sie war deutlich größer als alle anderen Krieger hier und komplett in schwarze Gewänder gehüllt. Ein Gesicht konnte sie nicht erkennen, doch sie beobachtete, wie diese Gestalt sich Sigurd von hinten zu nähern schien. Ihre Augen weiteten sich.

Nein. Nicht Sigurd.

„Sigurd!!“, schrie Eivor, so laut sie konnte. Doch er konnte sie nicht hören.

Um das Schlimmste zu verhindern, stieß sie zwei Krieger zur Seite und rannte los.
 

Dann traf sie ein Pfeil ins Bein.

Eivor ging zu Boden.
 

Der Schmerz, den sie in diesem Moment fühlte war der stärkste, den sie jemals gefühlt hatte. Auf den Knien sitzend sah sie an sich herunter.

Der Pfeil hatte sie in den Oberschenkel getroffen. Blut tränkte ihre Hose um die Einschussstelle. Sie presste ihre Hand auf die Wunde, was den Schmerz noch einmal verstärkte.

Um sie herum fand nun alles nur noch in Zeitlupe statt.

Sie bemerkte kaum noch, wie ihre eigenen Krieger neben ihr tot zu Boden gingen.

Das Kampfgebrüll klang nur noch dumpf in ihren Ohren, bis es schließlich ruhig wurde.

Eivor sah auf.

Der Schmerz ließ sie immer wieder kurz das Bewusstsein verlieren, doch sie blieb stark.

Sie griff den Pfeil an der Einschussstelle und an seinem Ende und zerbrach ihn in der Mitte, gefolgt von einem schmerzerfüllten Schrei.

Eivor atmete schwer, als sie nach ihrer Axt griff, um sich wieder aufzurichten, doch während sie das tat, hörte sie eine Stimme, die sie direkt ansprach.
 

„Bleib auf dem Boden und lass die Axt fallen, Wolfsmal!“
 

Als Eivor sich nun umsah, standen Sigurd, Randvi und einige verbleibende Krieger ihrer Mannschaft etwas entfernt von ihr in einer Reihe.

Jeder von ihnen mit einem Dolch an der Kehle.

Sie selbst saß noch immer kniend auf dem Boden und stützte sich auf ihre Axt.

Eivors Blick verfinsterte sich. Was ging hier vor sich? Und wer hatte mit ihr geredet?
 

„Komm raus und zeig dich, du Feigling!“, gab sie dem Unbekannten zurück, während sie ihre Sinne schärfte und spürte, wie dieser sich ihr nun von hinten näherte.

Sofort griff sie nach ihrer zweiten, kleineren Axt, die sie immer an ihrem Gürtel trug. Doch weit kam sie nicht.

Auch sie spürte nun kaltes Metall an ihrem Hals.
 

„Was habe ich gerade gesagt, Wolfsmal? Beide Äxte fallen lassen. Oder soll ich dich direkt hier töten? Nein... das würde mir den Spaß verderben.“

Ein belustigtes Raunen ging durch die feindlichen Reihen die ebenfalls da standen und auf Eivor herunter sahen.

„Wer seid ihr?!“, brüllte sie rasend, während sie versuchte, ihre Niederlage zu verarbeiten. Noch nie hatte es jemand geschafft sie und ihren Clan in solch kurzer Zeit zu besiegen.

Einen Augenblick herrschte noch Ruhe, dann taten sich die Reihen vor Eivor auf, um Platz für jemanden zu machen.
 

Eivor überkam erneut die Übelkeit, als sie sah, wer dort vor ihr stand.
 

„Hallo Eivor. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, sahst du besser aus.“

Eysa lachte bissig.

In Eivor brannte reine Wut. Sie griff wieder nach ihren Äxten, wurde jedoch schnell erneut daran erinnert, dies besser sein zu lassen. Die Klinge an ihrem Hals drückte sich in ihre Haut.
 

„Du wagst es, noch einmal hier her zu kommen?!“, presste Eivor rasend hervor.
 

„Klar, und sieh nur, wen ich mit gebracht habe.“

Die Klinge verschwand abrupt von Eivors Hals und sie konnte nun zu dem Mann aufsehen, der hinter ihr gestanden hatte.

Erneut wurde ihr übel und sie fühlte eine innere Ohnmacht als sie sah, wer dort stand.
 

„Weißt du noch? Gorm Kjötvisson? Und wie er meine Heimat eingenommen hat und ich fliehen musste? Ohne meine Eltern die sich ihm untergeben haben? Du hast mir bedingungslos geglaubt. Und unser Plan ist dadurch noch viel schneller aufgegangen, als erhofft. Dafür danke ich dir, Eivor. Von ganzem Herzen. Ich fand es sehr rührend, wie aufopferungsvoll du dich um mich und nicht um deinen Clan gekümmert hast, indem du mich aufgenommen und sogar einen deiner Krieger erschlagen hast, obwohl mich niemand wollte. Und nun... würde ich unsere gemeinsame Geschichte gern zu Ende bringen. Wo wir grade bei Geschichten sind... du hast mir gesagt, du könntest zu deinem Raben sprechen und durch ihn sehen. Wie Odin, nicht?“
 

Eivor senkte den Kopf während alle anderen Überlebenden ihres Clans sie mit hasserfüllten Blicken musterten.
 

„Und wo wir bei Odin sind... verrate uns doch, wie du in der Lage bist, in die Götterwelten zu reisen.“
 

„Nein, Eivor! Tu das nicht!“, rief Randvi aufgewühlt, während Gorm sie aufforderte, ruhig zu sein.

Eivors Blick fiel auf Sigurd, dessen Wut wohl am Heißesten brannte. Er hatte von Anfang an Recht. Sie fragte sich, ob er wohl jemals in der Lage war, ihr diesen Fehlschlag zu verzeihen.

Je länger Eivor in ihren Gedanken versunken war, desto ungeduldiger wurde Gorm.

„Unser Rabe redet wohl doch nicht.“

Eivor traf ein harter Tritt in den Rücken. Unter Schmerzen viel sie nach vorn und stützte sich nun auf ihre Arme.

Sie hätte Gorm längst einen Axthieb verpasst, doch sie wusste, dass sie nicht aufstehen konnte. Zu stark waren die Schmerzen in ihrem Bein.

Kurze Zeit später fühlte sie, wie Gorm sie an den Haaren packte. Er riss sie wieder auf die Knie und blickte ihr direkt in die Augen.

„Also dann. Sag mir, wie ich nach Asgard komme.“
 

Eivor schloss kurz die Augen, holte tief Luft und spuckte Gorm direkt ins Gesicht.

Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge.

Dann traf Eivor ein harter Schlag in den Magen. So hart, dass sie nach Luft rang und zur Seite fiel.

Randvi schloss besorgt die Augen und drehte den Kopf weg. Sie wusste um Eivors Schmerzen und wollte nicht einfach tatenlos zusehen.

Doch Sigurd in seiner Wut befahl ihr, hinzusehen.
 

Als Eivor sich erneut aufrichtete hatte der Schmerz noch einmal zugenommen.

Sie schmeckte Blut und hatte Probleme, bei Bewusstsein zu bleiben.
 

Gorm hatte nun genug.

Er griff Eivor erneut bei den Haaren, riss ihren Kopf nach hinten und zog seinen Dolch.
 

„Du hast noch eine letzte Chance, Wolfsmal. Rede. Oder ich töte dich und den Rest deines Clans und finde es selbst heraus.“
 

Eivor entfuhr ein heiseres Lachen.

„Wenn du denkst, dass du das kannst?“
 

Gorm presste den Dolch an Eivors Kehle und funkelte sie wütend an.

Selbst kurz vor dem Tod schaffte sie es noch, ihn vor seinen Leuten zum Narren zu machen. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.

Als er sich dazu entschied Eivor zu töten, ließ eine Stimme sie alle aufhorchen.
 

„Es ist der Trank!“

Alle Blicke lagen auf Valka, die mit einer Schüssel einige Meter abseits des Geschehens stand. Eivor riss die Augen auf.
 

„Valka! Nein!“

Sie wollte aufstehen, doch ein Tritt von Gorm ließ sie wieder zur Seite fallen.
 

„Schweig, Wolfsmal! Und danke den Göttern, dass wenigstens eine aus deinem Clan der Vernunft ins Auge sieht.“
 

Gorm wandte sich Valka zu.

„Sprich weiter, Seherin.“
 

„Dieser Trank bringt jeden, der ihn trinkt nach Asgard. Ins Reich der Götter. In deinem Fall, Gorm Kjötvisson, empfehle ich, deine Krieger ebenfalls trinken zu lassen. Du wirst sie brauchen, wenn du dort angekommen bist. Denn niemand wird dich dort willkommen heißen.“

Valka funkelte ihn wütend an und überreichte Gorm dann das Gefäß, in dem sie den Trank aufbewahrt hatte.
 

„Nimm den Trank und lass unseren Clan in Frieden!“
 

Gorm wandte sich siegreich an seine Männer.

„Lasst sie frei. Ich bin nicht wie mein Vater. Ich halte mein Versprechen.“

Ein lautes Lachen brach aus, während Gorms Krieger von Sigurd, Randvi und allen Kriegern des Rabenclans abließen.

Randvi stürzte sofort zu Eivor, die derweil nur noch schwer atmend auf dem Boden lag.

Sigurd und die Krieger eilten zum Langhaus, um nach den Frauen und Kindern zu sehen, die sich dort versteckt hatten.
 

Weiter unten am Anleger stiegen Gorm, Eysa und die Krieger auf ihr Schiff.

Jetzt kam auch Valka Eivor zur Hilfe.

Gemeinsam mit Randvi stützten sie sie und brachten sie zurück in ihren Schlafraum.
 

In der großen Halle des Langhauses machte sich derweil Unmut über Eivor breit.

Sigurd hatte Mühe die Menge zu beruhigen.
 

„Ruhe bitte! Ruhe! Ich stehe hier als Stellvertreter für Eivor, unsere Jarlskona, die dazu berufen war uns zu schützen und uns durch die dunkelsten Stunden zu führen. Ich verstehe eure Aufregung denn auch ich wurde in meiner Meinung einfach übergangen. Eine Jarlskona sollte ihre eigenen Bedürfnisse niemals vor die des Clans und der Stellvertreter stellen. Doch leider ist das passiert.“
 

Im Nebenraum hatten Valka und Randvi alles mit gehört und versuchten, Eivor so gut wie möglich davon abzuschotten.

Sie mussten sich zuerst um ihre Wunden kümmern. Dann konnte über alles weitere verhandelt werden.

Doch Sigurd wollte nicht so lange warten.

Mit den noch verbleibenden Clanmitgliedern stellte er sich in die Tür zu Eivors Schlafraum.
 

„Nicht jetzt, Sigurd, bitte!“, zischte Randvi, während sie Eivor ein Stück Stoff zwischen die Zähne schob, um sie mit einem kurzen „Hier, beiß da drauf“ darauf vorzubereiten, die Pfeilspitze aus ihrem Bein zu entfernen.

Doch Sigurd begann zu sprechen.
 

„Jarlskona Eivor. Ich weiß, dass du mich hören kannst. Ich gestatte dir, solange hier zu bleiben, bis deine Wunden verheilt sind und du wieder in der Lage bist, für dich selbst zu sorgen. Der noch verbleibende Clan ist sich einig, dass du nicht mehr Jarlskona des Rabenclans bist. Eine neue Verhandlung wird sehr bald stattfinden. Bitte sei dort, damit alles schnell vorüber ist.“
 

Eivor kämpfte derweil mit sich und ihren Schmerzen.

Sie hatte Sigurd gehört, in aller Deutlichkeit. Aufgebracht versuchte sie, etwas zu antworten, doch der Stoff in ihrem Mund verhinderte das.
 

„Sigurd, bitte ich...“, presste Eivor dagegen, bevor ihr ein markerschütternder Schrei entfuhr.

Der Pfeil, er war draußen. Valka presste sogleich ein Stück Stoff auf die Wunde und bedeutete Randvi, eine Klinge ins Feuer zu legen.

Dann wandte sie sich an Sigurd.
 

„Wenn du und diese Menschen nicht sofort hier verschwindet, dann werde ich euch alle nach Helheim schicken! Fort mit euch!“

Valka war überdeutlich.

Sigurd wandte sich mit einem Schnauben zum Gehen um.

„Das ist noch nicht zu Ende!“, rief er noch, doch Valka war bereits wieder mit Eivor beschäftigt.

Sie presste den Stoff erneut zwischen Eivors Zähne und begann, ihr über die Stirn zu streichen.

„Eivor, hör mir gut zu. Weißt du noch, wie du Synin damals beigebracht hast, zu dir zurück zu kommen?“

Eivor nickte und musste trotz der Schmerzen sogar ein bisschen Lächeln.

Genau das, was Valka erreichen wollte.
 

„Ja, ihr beide wart immer ein gutes Team... Randvi, die Klinge.“

Randvi nahm das glühende Messer aus dem Feuer und reichte es Valka, wohl wissend, dass nun der Schlimmste Teil kam.
 

„Nimm ihre Hand“, flüsterte Valka Randvi zu und brachte die Klinge in Position.
 

„Synin wird dich durch diesen Schmerz führen, hört du? Folge Synin. Jetzt.“

Valka presste die glühende Klinge auf Eivors offene Wunde.

Wieder entfuhr Eivor ein Schrei, der selbst den Ymirs übertroffen hätte.

Randvi kamen ungewollt die Tränen, während Valka konzentriert die blutende Wunde verschloss.

Als sie die Klinge von Eivors Haut nahm, hatte diese bereits das Bewusstsein verloren.

Valka sah sich noch einmal alles an, um sicher zu gehen, dass Eivor kein Blut mehr verlor. Dann ließ sie erschöpft von Eivor ab.

Sie brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen, bevor sie an Randvi gewandt sagte:„Sie wird wieder. Lassen wir sie aber bis dahin ausruhen.“
 

Randvi nickte, während sie eine Decke über Eivors Körper legte.

Noch einmal sah sie in deren Gesicht, bevor sie gemeinsam mit Valka das Zimmer verließ, um sich nun Sigurd vorzunehmen.



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