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Musik 4Y

Diese eine Person, die...
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Ein hehres Ziel

Kapitel 12: Ein hehres Ziel
 

Das Rechtsseminar war langweilig wie immer. Trotzdem gab es einen Hoffnungsschimmer für Timothy. Wenngleich die Ankündigung der ersten schriftlichen Prüfung zu den Dingen gehörte, die einen Studenten stöhnen ließ, war der Anblick der Person neben ihm jede noch so unangenehme Ankündigung wert. Sein Tag wurde bisher nur besser und besser.
 

Dass Timothy letzte Nacht bei Mikael übernachtet hatte, sollte sich von selbst verstehen. Mikael war anders als seine bisherigen Errungenschaften. Obwohl … im Vergleich zu Mikael war niemand eine nennenswerte Begegnung gewesen. Mikael war als Partner wirklich speziell. Öffentlich, hielten sie sich nicht bei den Händen, tauschten verstohlene Berührungen aus oder sahen sich zu intensiv in die Augen. Sie berührten einander nicht unnötig, sofern sie nicht alleine waren. Argumente und wüst klingende Beschimpfungen flogen wie eh und je und sie genossen es, den jeweils anderen übertrumpft zu haben. Etwa wie sich streitende Freunde. Vielleicht aber auch nur zwei Kerle, die sich nicht leiden konnten, aber nicht mit und nicht ohne einander konnten. Wie auch immer sie von außen wahrgenommen wurden, beide Varianten zauberten ein Schmunzeln auf Timothys Gesicht.
 

Sobald sie allein waren – sei es in einem ihrer Zimmer oder einem leeren Vorlesungssaal – wurden die Töne weniger anfeindend und ihre Gespräche tiefgründiger. Mikael setzte sich direkt neben Timothy, sodass sich ihre Beine oder Schultern berührten. Sein Blick war sanfter und seine Resistenz gegenüber Timothys liebevolleren Sticheleinen schwächer. Es war leichter eine zarte Röte auf seine Wangen zu zaubern oder ihn verlegen wegsehen zu lassen. In Timothys Zimmer erlaubte Mikael Küsse, ihn zu halten und schlichte Zärtlichkeiten. Waren sie beim Ex-Sänger in der WG schien jegliche Zurückhaltung vor der Tür zu bleiben. Mikael schien sich hier am wohlsten zu fühlen und zeigte ungehemmt sein wirkliches Ich. Er kochte viel zu gesunde Gerichte mit mehr Grün als Timothy in den letzten 5 Jahren gegessen hatte, er war laut, ausfallend und scheute sich nicht seinen Gast, sowie Lover, mit Beschimpfungen zu überhäufen oder ihn mal zu boxen. Aber meistens nur dann, wenn Timothy es mit seinen Sticheleinen übertrieb. Es tat nicht weh, auch wenn es brutal aussehen musste, aber Mikael legte kaum Kraft in seine Tritte oder Schläge. Seine scheinbare Wut und Verärgerung wurden von klarer Verlegenheit übertrumpft. Ein Anblick, der, in Timothys Augen, jeden Tritt oder Schlag wert war.
 

Mikael war laut, ehrlich und nahm kein Blatt vor dem Mund. Er war ein begnadeter Sänger, ein guter Architekt, wenngleich Timothy immer noch nicht verstand, wie es dazu gekommen war. Aber bedachte man, dass Mikael unter seiner lauten Art eine sanfte und fürsorgliche Person war, konnte man sich vorstellen, wie sehr er unter dem damaligen Gerede gelitten haben musste. Es machte Timothy wütend, wie es damals abgelaufen war. Aus heutiger Sicht war es nichts, was nicht auch verhindert hätte werden können. Egal… all das lag in der Vergangenheit. Selbst wenn Timothy kurzweilig sauer werden sollte, reicht ein Blick der haselnusshellen Augen, ein freches Zucken der Mundwinkel oder eine sanfte Berührung aus, damit der Sänger allen Klatsch vergas. Vergangenes war vergangen. Was er beschützen wollte, war das, was noch kommen würde. Mikael hatte sich in seinem Herzen eingenistet und ließ ihn alle möglichen Gefühle empfinden. Das schönste und stärkste von allen, war am schwierigsten zu benennen. Es war als wäre schon immer ein Platz in ihm gewesen, den nur Mikael einnehmen konnte. Einen Teil von ihm, den nur dieser Knirps ausfüllte. Er machte Timothy irgendwie heile, emotional stabil. Sicherlich rutschte seine Laune dann und wann ab, aber es war nicht so schlimm wie früher.
 

Gestern Abend wurde Timothy klar, dass Mikael nackt am schönsten war. Angezogen sah er gut aus, aber diese Kleiderschichten von ihm zu schälen, versetzte den Sänger in begierige Vorfreude. Denn im Bett zeigte sich eine noch bestimmendere, kontrollierendere Seite des Ex-Sängers. Zu gerne gab er den Ton an und Timothy ließ ihn gewähren. Artig folgte er den Anweisungen und brach nur dann das Schema, wenn er selbst zu ungeduldig wurde. Jedoch ging selbst dem kratzbürstigsten Kätzchen mal die Puste aus. Wenn Timothy übernahm, nutzte diese Gunst, um seinen nun mehr als gefügigen Lover vollständig einzunehmen. Mikael zu berühren, war wie ein Instrument zu spielen. Es galt ihm die schönsten Töne zu entlocken und sie sinnlichsten Blicke einzufangen.
 

Erschlagen und erschöpft fiel Mikael ins Bett und schaffte es nach einigen schnellen Atemzügen einen scharfen Blick zum Sänger zu schicken. Eine Warnung, ein Fluch, aber nichts verbittertes. Ohhh~ wie sehr es ihm nach diesem Knilch verlangte! Wie eine Symphonie deren Ende noch nicht geschrieben wurde.
 

Zufrieden zog Timothy an der Zigarette, ehe er sie weiter reichte. Der Andere nahm einen Zug und reichte sie an Timothy zurück.
 

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Mikael ausatmend.
 

„Ehm … halb sechs“, sagte Timothy, nachdem er auf sein Handy geschaut hatte, dass vorhin auf den Boden gefallen war. Ihre Kleider lagen verstreut im Zimmer. Einen Zug nehmend, streckte Timothy sich und aschte in eine Tasse ab. Einen Aschenbecher hatte sein Freund leider nicht.
 

„Ahhh~ kein Wunder, dass ich Hunger habe“, stöhnte Mikael und setzte sich schwerfällig auf.
 

„Das liegt wohl eher daran, dass du dich eben ausgetobt hast, wie eine Katze auf Katzengras“, summte Timothy amüsiert und nahm einen letzten Zug, ehe er die Zigarette in die Tasse warf.
 

„Haaah?“, machte der Kleinere aggressiv, wenngleich die Kraft dahinter fehlte. „Wer hat sich hier bei wem ausgetobt? Wenn du mich nochmal so lange hinhältst, dann-“
 

„Jaa~, dann was?“, fragte Timothy schnurrend zurück. Er rückte nah an Mikael heran und sah ihm in die überraschten Augen. Ihre Nasen berührten sich, als Timothy seinen Kopf fragend neigte. „Bestrafst du mich? Nur zu gerne. Aber darf ich dich daran erinnern, dass du es trotz aller Flüche genossen hast? Wer hat denn um „mehr“ und „nochmal“ gebeten? Hmm~“
 

„D-Das kann ja mal passieren“, sagte Mikael ausweichend. Sowohl mit seinen Worten, als auch mit seinem Blick. Eine feine Röte zog sich über seine Wangen und seine Augen leuchteten. Timothy überbrückte den letzten Zentimeter und küsste was sein war. Ja, er war so besitzergreifend, dass er Mikael nach fast drei Monaten in denen sie sich kannten, dreieinhalb Wochen offiziellen Zusammenseins und einem Tag Intimität als Seins deklarierte. Nicht um sonst hatte er viele Knutschflecke und Bisse hinterlassen und er hatte es noch lange nicht satt. Diese Lippen küssten sich zu gut, schmiegten sich an ihn voll Begierde, entzogen sich ihm und protestierten, nur um doch wieder eingefangen zu werden. Timothy drückte Mikael zurück in das Kissen und hielt den Kuss sinnlich. Mikaels Protest ignorierte er so lange, bis dieser ihn forscher von sich schob, ihm eine Handkante auf den Kopf setzte und verärgert verkündete, dass er jetzt essen wollte. Wenngleich Timothy seine Beute körperlich ziehen ließ, schnurrte er stänkernde Worte. Auch das hatte seinen Reiz. Wenn Mikael nackt vor ihm stand, mit roten Wangen und verlegen-verärgertem Blick auf ihn hinab starrte, ehe er sich ein Hemd von seinem Bürostuhl und die Shorts vom Boden griff und überzog. Timothy mochte, dass es lang genug war den runden Hintern in den Shorts zu verdecken, während vorne nur drei Knöpfe zugemacht wurden.
 

Seine Freude im Stillen genießend, zog er sich Shorts und ein Shirt an, ehe er dem Knilch zurück in die Wohnstube folgte. Sie erwärmten das Essen und ließen nichts übrig. Besser gesagt, Mikael aß den Großteil und holte sich im Anschluss noch einen Pudding aus dem Kühlschrank, den sie sich teilten. Nachdem sie alles abgeräumt und weggeworfen hatten – Mikael war auch pedantisch und liebte es ordentlich – kuschelten sie sich auf die Couch. Timothy setzte sich seitlich und zog Mikael zwischen seine Beine. Seine Arme umschlangen den flachen Bauch und sein Kopf bettete sich schwer auf die Schulter vor sich. Es wurde still, begleitet von sanften Berührungen über seinen Unterarm. Timothy störten die Narben nicht mehr. Er hatte gelernt mit ihnen zu leben. Trotzdem zog er sich gerne eine Armstulpe über den rechten Arm. Als Sänger war es nicht so vorteilhaft, würde man diese eine Narbe sehen können. Selbst wenn einmal der Tag kommen sollte, dass er berühmt wäre und man würde ihn darauf ansprechen, wäre es keine große Sache für ihn. Sollten sie doch denken, was sie wollen.
 

Für Mikael waren Timothys Narben noch neu. Konnte er deswegen nicht von seinem Arm lassen?
 

„Meintest du das mit düster?“, fragte Mikael schließlich in ihre Stille hinein. „Dass du auch nur ein depressiver Emo bist, allem überdrüssig und keinem vertrauend? Manipulierst du andere deswegen so gerne und bist ein Arsch?“
 

Timothy prustete und zog die Umarmung enger. „Fast. Ich manipuliere andere gerne, weil ich gut darin bin und es Spaß macht, wenn andere nach meiner Pfeife tanzen.“
 

Ein schweres Seufzen und der Körper in seinen Armen lehnte sich mehr an ihn. „Du hast recht. Du bist wirklich kein guter Mensch.“
 

Timothy lachte leise und küsste den nahen Hals. „Und du? Mein lieber Kael?“ Ein freches Grinsen legte sich auf Timothys Lippen, während sein Freund beim Klang des Namens zusammenzuckte. Es war zu offensichtlich gewesen, wirklich! Umso mehr die Frage, warum Timothy so lange gebraucht hatte, es zu bemerken. Mikaels Künstlername war schlicht Mi Kael. Zusammen mit seinem spanisch klingenden Nachnamen konnte es auch „Mein Kael“ heißen. Wenngleich sein Name durch die Kindershow bekannt geworden war, nannten seine Fans ihn kaum ein Jahr später nur noch Kael hier, Kael dort. Seit dem Karaoke juckte es ihn in den Fingern Mikael so zu nennen und endlich konnte er seine Karte ausspielen.
 

„Nahh“, entkam es dem Ex-Sänger genervt. „Halt die Klappe! Sag mir lieber, was du im Internet machst“, verlangte er und zog seine Beine an. Timothy wusste nicht ganz, ob sein Freund sich verstecken wollte oder eingeschnappt war. So oder so passte er nun noch perfekter zwischen seine Beine und in seine Umarmung. Der Sänger zog die Umarmung fester und setzte neue Küssen auf dessen Hals, welcher bis auf einen kleinen Fleck unterm Kehlkopf noch immer makellos war.
 

„Was denn nun? Soll ich die Klappe halten oder mit dir reden? Hmm~ endlich macht sich deine Größe bezahlt. Uff.“ Timothy erhielt einen Ellenbogenstoß in die Rippen. Amüsiert lachte er und zog Mikaels Arm langsam nach vorne, um von der Schulter hinab Küsse zu setzten. „Jeder ist im Internet unterwegs. Du musst schon konkreter werden.“
 

„Ich habe gehört, dass in den alten Foren zu „Mi Kael“ viel geschrieben wird. Auslöser war wohl das Video von Ramira. Ich weiß nichts genaues, aber die allgemeine Meinung war wohl skeptisch bis schlecht, bis irgendwer einige überzeugende Gegenargumente gebracht hat.“
 

„Interessant. Und was hat das mit mir zu tun? Soweit ich weiß, benutzen die Leute in Foren nicht ihre richtigen Namen. Wie kommst du da auf mich?“
 

Mikael schnaufte abfällig. „Selbst mit einem Alias erkennt man deine Schreibweise sofort.“
 

„Und wann und wo hast du es gelesen, wenn mein Knirps sich für gewöhnlich nicht ins Internet traut?“
 

„Ein Bekannter hat es mir vorgelesen“, antwortete der Kleinere und sah über die Couchlehne, nur um Timothy ungewollt mehr Platz zu bieten. „Er hat das gesehen und mich angerufen und … ahh Tim, ich will hier mit dir reden!“ Der Angesprochene nahm seine Lippen von Mikaels Ohr und schmunzelte wissend.
 

„Ich weiß. Aber du bist so angespannt. Warum interessiert dich das, wenn du nicht mehr singen willst.“ Ein Protest wollte dem Ex-Sänger entweichen, wurde jedoch erfolgreich zurückgedrängt. Timothys Lächeln wurde breiter. Er wusste, dass Mikael singen wollte und auch, dass dieser sich selbst zurückhielt. Hätte Mikael es ausgesprochen, hätte er das Thema von den Medien weggelenkt. Fakt war nämlich, dass der junge „Sänger“ in seinen Armen noch lange nicht die Bezeichnung „Ex“ oder „ausgebrannt“ verdient hatte. Nicht in Timothys Augen. Leider konnte er nur so viel Helfen, wie der Sturkopf seine Hilfe auch annehmen wollte. Es war ein kleines bisschen frustrierend, dass gab er zu, aber er konnte warten und schlussendlich würde er das bekommen, was er sich wünschte.
 

Für diesen Moment aber, erlöste Timothy seinen Freund und gab zu auf einigen Foren gewesen zu sein und vielleicht die ein oder andere „nett gemeinte“ E-Mail an „nicht nette“ Personen geschickt zu haben. Es würde seine Vorgehensweise nie zugeben und schon gar nicht vor so zarten Persönlichkeiten wie Mikael. Wahrscheinlich würde dieser sich alles viel zu sehr zu Herzen nehmen.
 

Mikael lehnte sich mehr in Timothys Umarmung und die Anspannung verließ seinen Körper. Ein schweres Seufzen, ein Hadern, was er sagen sollte und dann …: „Wirst du erwischt, schadest du deiner Karriere.“ Mikaels Stimme war leise und matt. Die Sorge deutlich herauszuhören.
 

„Keine Sorge, my Love, ich habe mir eine andere Strategie ausgedacht.“
 

Er setzte einen Kuss auf Mikaels Ohr und sah im nächsten Moment in die nahen haselnussbraunen Augen. „Was?“, entkam es dem Kleineren ungläubig. „Tim! Hör auf! Ich weiß nicht mal, warum du das alles machst, das ist doch … Versprich mir, dass … Ahhh~“
 

Timothy hatte Mikael in seinen Armen gedreht und seinen Sorgenprotest mit Küssen unterbrochen. Er sah, wie sehr der andere hin und her gerissen war, ihm zu rechtzuweisen oder sich ihm hinzugeben. Frustriert stöhnte Mikael auf und krallte fest sich in Timothys Haare.
 

Timothy dachte gerne an letzte Nacht zurück. Er war stolz auf sich, das leidliche Thema auf so anregende Weise beendet und zugleich die Planung für den restlichen Abend festgelegt zu haben. Mikael war ein Kunstwerk an sich. Anmutig, betörend und verführend.
 

Der Kontrast dazu saß nun neben ihm auf einem harten Stuhl im Rechtssaal und wechselte erstaunlich oft die Position. Ohhh, wie Timothy sich freute! Nicht nur, weil Mikael bei Bemerkungen zu seinem Benehmen verlegen wegsah und sich immer neue Ausreden ausdachte, sondern auch, weil Timothy es kaum erwarten konnte, bis dieser von seiner genialen Strategie erfuhr.
 

Dem aufmerksamen Beobachter wäre nicht entgangen, dass ein gewisser Sänger seit geraumer Zeit sein Handy sehr oft zückte und allerlei Bilder schoss. Bilder von denen niemand was zu sehen bekam. Nur ein verschmitztes Grinsen auf Timothys Gesicht. Sein Plan war noch recht jung. Gerade geschlüpft. Jedoch nicht unbemerkt. Timothy war überrascht, wie das Interesse an seiner Aktion wuchs. Die Zahlen stiegen an und erreichten in der ersten Woche einige Hundert. Nicht ganz, was er sich vorgestellt hatte, aber ein Anfang. Es bedurfte täglicher Pflege. Das Antworten auf Nachrichten war zunächst das Wichtigste, denn er musste seine Autorität und Glaubhaftigkeit unter Beweis stellen. Besser gesagt, die von Mikael. Das Erstellen von Bildern und hochladen, war hingegen wie ein Spaziergang im Park.
 

Nebenbei genoss er die Zeit daheim oder wenn er mit Mikael unterwegs war. Dieser bemerkte nichts oder wenig. Stutzig wurde Mikael als einige Mädels an ihnen vorbei gingen und übertrieben quietschten. Aber bis auf „handelt sich wohl um deinen Fan-Club“, interessierte es den Rothaarigen nicht. Mikaels Haare waren für gewöhnlich hellbraun mit einem sanften Rotstich und seine Locken lang und quirlig. Aber seitdem die Sonne an Kraft zugelegt hatte, kräftigte sich der rote Schimmer seiner Locken. Wann immer Timothy ihn Rotschopf nannte, erntete er eine kleine Fluchtirade und wich den halbherzigen Tritten oder Schlägen gekonnt aus. War seine Mikrobe nicht allerliebst, wenn sie tobte?
 

„Und? Kommst du mit?“, fragte Timothy und wich dem letzten Schlag aus.
 

„Muss ich?“
 

„Nein. Nur wenn du möchtest. Ich dachte nur, dass du vielleicht deine Schande vom letzten Mal ausbügeln wollen würdest.“
 

„Was meinst du mit Schande?“, fragte Mikael genervt zurück, die Hände in seine Hosentaschen gesteckt.
 

„Na…Du hast nur ein Lied gesungen, damit habe ich gewonnen.“
 

„Haaa? Das zählt doch gar nicht!“, stieg Mikael auf die leichte Provokation ein.
 

„Oh, doch. Das zählt“, summte Timothy amüsiert.
 

„Kommt sonst noch jemand?“
 

„Nein. Nur du und ich. Vielleicht noch Nayla und Jamil, wenn du magst. Die anderen haben eh keine Zeit.“
 

Die dunklen Augen sahen, wie der Rotschopf nachdachte, wie er der Versuchung nicht widerstehen konnte. Singen, selbst wenn es nur Karaoke war, fühlte sich gut an. Timothy hatte bemerkt, dass sein Freund bei sich zu Hause oft summte. Mit Musik oder ohne. Er erhoffte sich, dass Mikael die Zeit genießen würde und mit ihm zusammen sang. Natürlich sollten dabei auch einige schöne Schnappschüsse entstehen.
 

„Nur weil Wochenende ist“, sagte Mikael zu und Timothy grinste wissend.
 

Karaoke war ein Heidenspaß gewesen. Sie waren zu viert mit Nayla und Jamil. Jamil war überglücklich über diese kleine Runde und noch mehr, als Mikael mehr als nur ein Lied sag. Es war amüsant zu sehen, wie der Älteste im Raum sich zusammenriss, um nicht zum Fangirl zu werden. Mit Nayla und Mikael war es zunächst schwieriger. Timothy vermutete, dass Mikael ihr die Worte von damals noch nachtrug. Erst als Jamil sich unschuldig fragend einmischte, redeten sie miteinander. Das Missverständnis geklärt, verlief der restliche Abend entspannt. Timothy beobachtete mit Genugtuung, dass die zwei wichtigsten Personen in seinem Leben ruhig miteinander reden und auskommen konnten.
 

Der Knall kam fast eine Woche danach. Ob Timothy sich bewusst war, wie viele der neuen Datenschutzgesetzte er übertreten hatte? Sicher. Ob es ihn störte oder er die Wut der betreffenden Person fürchtete? Mit Nichten.
 

Aber zunächst kam Jamil. Montagmorgen klopfte er an Timothys Tür und hielt dem Sänger sein Handy viel zu nah vors Gesicht.
 

„Warst du das?“, fragte er ernst, wenngleich unterdrückte Freude in seinen Augen zu erkennen war.
 

„Hm? Oh … Wer weiß~“, antwortete Timothy, doch sein Grinsen verriet ihn.
 

„Ist Mik da?“
 

„Nein~“
 

Ohne weiteres Federlesen ging Jamil an Timothy vorbei in dessen Zimmer. Timothy schloss die Tür hinter sich. Jamils Auftauchen konnte er gut gebrauchen und für sich nutzen.
 

„Wie hast du’s herausbekommen?“, fragte der Sänger und verschränkte amüsiert die Arme.
 

„Mik würde so was nie machen“, kam es als schlichte Antwort mit skeptischem Blick. Gerade so, als ob das nicht offensichtlich sei. Timothy neigte überlegend seinen Kopf und ja, doch … genau betrachtet, war es sehr offensichtlich. Mit breiterem Grinsen trat er an Jamil heran und sah ihn herausfordernd an.
 

„Und? Verpetzt du mich oder hilfst du mir?“
 

Jamils Hilfe war eine Bereicherung. Wenngleich es jenem Morgen noch einige Zweifel aus dem Weg zu räumen galt. Etwa, dass all das hinter Mikaels Rücken passierte. Dass sie sich auf dünnem Eis bewegten. Dass sie beide tot wären, sobald Mikael davon Wind bekäme. Timothy lachte auf den letzten Kommentar hin. Es stimmte schon, doch konnte er Jamil beruhigen. Immerhin war all das Timothys Idee gewesen und sollte jemand drei Meter oder tiefer begraben werden, würde das wohl er sein. Jamil willigte ein, wenngleich seine Vorbehalte nie ganz verschwanden. Dann wiederum stellte er sich vor, was passieren würde, wenn alles gut ginge und Timothys Idee wirklich fruchtete. Allein der Gedanke daran brachte ein freudiges Grinsen auf Jamils Gesicht.
 

Die Arbeit, welche Timothy vorher allein erledigte hatte, teilte sich auf zwei auf. Jamil hielt sich meist in den Foren auf und mischte sich in die Gespräche ein, welche gegen das neue Profil oder gegen Mikael an sich gingen. Er hatte den Skeptikern schon immer eins reinwürgen wollen. Gegen jeden Star, ob alt oder neu, gab es Kritiker, aber diese hier waren einfach nur penetrante Pestfliegen! Dank Timothy, der ihm einige gewandte Antwortmöglichkeiten zusammengestellt hatte, fiel es Jamil erstaunlich leicht, diese Leute ruhig zu halten.
 

Timothy nutze die Chancen, die er hatte, und bearbeitete das erstellte Profil. Er hatte sich unter seinen Lieblingsbaum gesetzt und tippte fleißig Antworten. Eines der Bilder vom Karaoke letzte Woche hatte er bereits bearbeitet und reingestellt. Das Grinsen auf seinem Gesicht sprach Bände über seine Sorglosigkeit gegenüber der Wut, die ihn bald erreichen sollte.
 

~*~
 

Jasmine war spät dran. Sie hatte sich mit ihrer Freundin verquatscht und musste nun rennen, um noch kurz etwas zu Essen aus der Mensa zu holen, ehe sie zum Tanzstudio am Rande des Campus‘ musste. Um etwas an Zeit zu sparen, lief sie abseits der Wege. Es war nicht verboten, allerdings auch nicht gerne gesehen. Wie auch immer. Als sie das kleine Wäldchen passierte, wurden ihre Schritte langsamer. Sie sah jemanden unter einem Baum sitzen und wäre beinahe an ihm vorbeigelaufen.
 

Sie hatte ihn schon ein paar Mal dort sitzen sehen, aber es nie für nötig gehalten ihn anzusprechen, hauptsächlich weil sie zu schüchtern und verliebt gewesen war. Mit Timothys Abweisung hatte sie eine Weile zu kämpfen gehabt, aber jetzt ging es ihr gut. Vielleicht war es wirklich Glück im Unglück, dass sie NUR verliebt war und ihn nicht liebte. Das war auf eine Weise einfacher und tröstlicher.
 

Den Zeitdruck vergessend, kam sie dem Sitzenden näher. Sie hatten derzeit kein Projekt zusammen und sahen sich selten. Nach dem Karaoke damals war sie sehr beschäftigt gewesen und ehrlich gesagt, hatte sie ihn auch nicht sehen wollen. Es war nicht so, dass sie gleich losheulen musste, aber es tat weh zu wissen, dass er sie nicht auf die gleiche Weise mochte, wie sie ihn. Er hatte sie nie so angesehen. Leider. Die Gedanken der Klarheit waren schmerzlicher als der Korb, aber sie schaffte es trotzdem durch den Tag. Nach beinahe einem Monat, den sie nicht mit ihm gesprochen hatte, wollte sie zu mindestens „Hi“ sagen. Selbst wenn sie dadurch definitiv zu spät kommen würde.
 

Sie war ein wenig aufgeregt. Das lag sicher daran, weil sie sich lange nicht gesprochen hatten. Genau. Sie war über ihn hinweg und … ihr Herz machte einen Satz, als sie sah, wie Timothy lächelte. Voller Freude und Zuneigung. Was er sich wohl ansah? Sie schloss aus, dass es etwas mit ihr zu tun hatte. Vielleicht die Person, die ihm wichtig war? Wegen der sie einen Korb bekommen hatte? Missmut dämpfte ihre Freude und ließ sie unbewusst leiser werden. Sie näherte sich von der Seite, denn Timothy war immer sehr aufmerksam. Sie wollte nicht per se Lauschen oder Lunschen, aber wenn sie ihn direkt fragen würde, bekäme sie keine Antwort und im Moment schien Timothy sehr in seine Gedanken und sein Handy vertieft zu sein.

Als sie den Handybildschirm sehen konnte, trat sie auf einen Stein. Der Schmerz ließ sie zucken und brachte ihren Stand zum wackeln, weshalb Timothy sie bemerkte. Er neigte seinen Kopf zur Seite und musterte sie verwundert, ehe er sein Handy mit dem Bildschirm nach unten weglegte. Jedoch … sie hatte es gesehen.
 

„Jassi“, sprach er sie an und lächelte. Wie üblich. Nicht so warmherzig wie eben, aber freundlich. Gott, wie hatte sie nur denken können, er hätte sie verliebt angesehen? Dieses nette Lächeln war nichts im Vergleich zu dem, dass sie eben gesehen hatte! Der Gedanke schmerzte und zog an ihrem Herzen. Zugleich kribbelten ihre Finger, allein weil er sie angesprochen hatte, ohne irgendeine Feindschaft zu hegen.
 

„Hi“, sagte Jasmine.
 

Sie sprachen kurz miteinander. Die üblichen Floskeln, ehe Jasmine sich entschuldigte und ihren Zeitdruck vorschob. Es war keine wirkliche Ausrede, aber irgendwie doch. Sie hatte unterschätzt, wie sehr sie an ihm hing. Er sah immer noch so gut aus, seine Stimme war melodisch, allein wenn er redete, und seine Augen durchdringend. Eilig rannte sie zur Mensa und beruhigte ihren Atem, während sie anstand. Sie kam sowas von zu spät, aber egal. Sie hatte Timothy gesehen, was sie mehr als freute, und … sie hatte DAS gesehen. Timothy hatte sich ein Foto angesehen, auf der er und eine weitere Person zu sehen war, die Timothy ein Eis hinhielt. Sie wusste nicht, was schlimmer war. Die Person auf dem Foto neben Timothy oder die Plattform auf der sie es gesehen hatte. Ein Blick zur Schlange sagte ihr, dass sie noch nicht dran war. Gut, dachte sie und zückte ihr Handy. Den Alias kannte sie nicht, aber das Profilbild. Zwei Versuche später hatte sie es gefunden. Der Name, das Bild … ihr kam die Galle hoch. Sie scrollte seine Posts durch, ehe ein unfreundliches Räuspern sie aus ihren Gedanken riss.
 

Schnell bezahlt und das Essen verstaut, wollte sie gehen. Sie war spät dran und konnte sich jetzt nicht mit „dieser Person“ beschäftigen. Sie war sogar gewillt, das Thema vorerst fallen zu lassen. Wenn da nicht sie Sache mit dem Zufall wäre. Dort … nahe am Ausgang … nur wenige Meter von ihr entfernt, saß ihre selbst ernannte Nemesis und lachte. Was fiel ihm ein?! Was erlaubte er sich!? Jasmine wusste, dass es keine gute Idee war, hier eine Szene zu machen. Aber ihre Beine waren schneller als sie. Ihre Hand schlug hart auf den Tisch und verschaffte ihr die Aufmerksamkeit aller am Tisch Sitzenden, sowie von ein, zwei Tischen drum herum.
 

„Was fällt dir eigentlich ein? Kümmere dich um deine Angelegenheiten und zieh andere nicht mit rein“, entkam es ihr wütender, als sie gedacht hatte. Ein Teil von ihr wusste, dass es falsch war, ihn so anzumachen. Timothy mochte diesen Architekten, warum auch immer. Er würde es nicht gutheißen, wenn er sie hier sehen würde. Aber … sie konnte nicht anders. Timothy war immer noch ihr ein und alles. Ein Sänger, eine Person, die sie verehrte! Wie konnte Mikael es wagen, ein Bild mit sich und Timothy auf seiner Instagram Seite zu posten?
 

„‘Tschuldige. Wer bist du?“, fragte einer der anderen zwei Dödel am Tisch. Sicher auch ein Architekt oder was ähnlich Nutzloses.
 

„Schon gut“, meinte Mikael zu seinem Freund und sah Jasmine ruhig an. „Und was genau soll ich getan haben?“
 

Gott! Seine Haltung war so arrogant, seine Stimme so unschuldig! Als wüsste er es nicht. Jasmine atmete kurz durch und lehnte sich ihm entgegen.
 

„Mir ist es scheiß egal, ob du ein Insta Account hast oder nicht. Gott, ich hätte dir nicht mal zugetraut zu wissen, wie man damit umgeht. Aber egal. Poste was du willst über dein langweiliges Leben, aber lasse Timothy da raus. Er hat größeres vor als du. Er will Sänger werden und muss auf sein Image achten. Stell nicht so unbedarft Fotos von ihm rein, wenn ihr euch nicht mal vertragen könnt.“
 

Jasmine sah zu, wie die Farbe aus Mikaels Gesicht wich. Richtig so. Sollte ihm seine Tat bewusst werden. Zufrieden schnaubte sie und machte auf dem Absatz kehrt. Verdammt, sie kam so was von zu spät!
 

~*~
 

Der Tag war angenehm warm. Um die Mittagszeit war es besonders ruhig auf dem Campus. Die meisten saßen in der Mensa oder aßen an den belebteren Orten des Geländes. Dieses kleine Wäldchen hingegen, war wenig besucht, weil es zu weit vom allgemeinen Trubel entfernt lag. Timothy sah immer noch auf sein Handy. Amüsiert darüber, welches Foto er als nächstes reinstellen sollte. Aber gemach. Mikael selbst war sicherlich niemand, der täglich postete oder seinen Account sehr pflegte. Wenn er alle paar Tage ein Foto postete, reichte das vollkommen aus. Zudem hatte Timothy nie vor alle seine Fotos, die er von Mikael hatte, reinzustellen. Mikael war seins alleine. Warum er all das tat? Ein hehres Ziel brauchte selbige Maßnahmen. Zunächst hatte Timothy Mikael nicht davon erzählen wollen. Aber selbst jemand wie er ließ sich bekehren. Jamils Vorsicht und seine Anmerkungen, wie Mikael reagieren könnte, sollte er auf falschem Wege davon erfahren, ließen Timothy seinen Plan ändern. In ein paar Tagen würde er ihm davon erzählen, hatte er zu Jamil gesagt. Das war eine Woche her.
 

Seine Freude dämpfte sich etwas. Erst hatte Timothy es an den Klickzahlen festmachen wollen, dann an den Followern. Einfach um Mikael etwas zu bieten und seine Aktion zu beweisen, zu rechtfertigen. Warum? Sonst war er nicht so vorsichtig mit seinen Aktionen und die Reaktionen von anderen waren ihm egal, denn am Ende würde alles so fallen, wie er es geplant hatte. Warum hatte er sich dann bisher nicht getraut Mikael davon zu erzählen? Genau genommen war es irrsinnig von ihm gewesen, Mikael ein Instagram Profil zu erstellen, ohne ihn zu fragen. Andere würden Fragen, ob er sie noch alle hatte oder was mit ihm nicht stimmte. Erstaunlicher Weise hatte Timothy darauf keine Antwort. Er hatte ein Ziel und dieses Profil war nur ein Schritt dorthin. Vielleicht war er wirklich etwas Irre geworden mit den Jahren…
 

Timothy sah erneut auf sein Handy und öffnete ein anderes Bild. Mikael, wie er versuchte einen Döner zu essen und sich dabei die Soße bis an die Wangenknochen schmierte. Es war einer der wenigen Tage gewesen, an denen Timothy ihn zu „nicht selbst gekochten, gesunden“ Essen verführen konn-
 

Das Handy aus der Hand gerissen, sah er auf. Mikael stand vor ihm. Er hatte ihn gar nicht kommen hören… War er so in Gedanken gewesen? Warte nein. Warum riss Mikael ihm das Handy weg? Timothys Gedanken ratterten im Akkord, während seine Augen Mikael musterten. Das blasse Gesicht, die tief gezogenen Augenbrauen, der sanfte Rotschimmer der Haare, die sein Gesicht umrahmten, das bittere Lächeln, dass ihn traf und versteinerte.
 

Mikael ließ das Handy auf Timothys Schoß fallen und ging. Er sagte kein Wort, tobte nicht. Er ging einfach. Es war lange, sehr lange her, dass Timothy das Gefühl von Panik zuletzt in sich gespürt hatte. Dass ihm etwas entglitt, dass er so unbedingt festhalten wollte. Seine Augen weit offen und sein Mund trocken. Er sprang auf, griff seine Habseligkeiten und rannte Mikael hinterher.



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