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Musik 4Y

Diese eine Person, die...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hiho,
mittlerweile kann ich keine Asche mehr auf mein Haupt geben, die fällt schon runter -.-

Habt einfach Spaß beim lesen ^^

miki Komplett anzeigen

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Coming back?

Kapitel 14
 

Der Morgen kam zu zeitig. Mit Klamotten eingeschlafen, schreckte ich auf, nur um wieder zurück in mein Kissen zu sinken. Es war Mittwoch. Ich hatte eine späte Vorlesung, da konnte ich es entspannt angehen lassen. Ich ließ die Bettschwere nochmals in meinen Körper sinken, was sich gut anfühlte, wohltuend. Leider war mein Kopf wacher, weshalb ich mein Handy nahm, um wenigstens nach der Uhrzeit zu schauen.
 

In Nullkommanichts saß ich erneut. Mein Akku war fast leer und meine späte Vorlesung begann in einer halben Stunde. Wie lange hatte ich bitte geschlafen?! Ich stolperte aus meinem Bett und schloss mein Handy in der Küche an. Eilig zog ich mich auf dem Weg ins Bad aus, duschte, machte mich fertig und zog frische Kleider an. Es war warm draußen, also reichte eine Kniehose und ein Shirt. Mich im Spiegel betrachtend, fand ich, dass ich zu leger aussah. Vielleicht doch besser eine Jeans? Allgemein gesagt, fühlte ich mich heute ziemlich gut. Dafür, dass ich die Tage zuvor so deprimiert war und gester-
 

Der gestrige Tag brach mit all seinen schrecklichen Erinnerungen zurück in mein Denken und ich spürte meinen Puls hochschnellen. Fuck… Ich entschied mich für die Jeans und ging in die Küche. Ich hatte mich zwar gestern bei Timothy entschuldigt, trotzdem nagte mein schlechtes Gewissen an mir. Wir hatten nicht viel geredet, aber wie lange war er eigentlich am Telefon geblieben, wenn ich doch offensichtlich eingeschlafen war?
 

Ich öffnete den Telefonverlauf und staunte nicht schlecht. Vier STUNDEN?! Wir hatten gestern vier Stunden telefoniert?! Aber … war ich nicht nach einer halben Stunde oder etwas mehr als das schon eingeschlafen? Tim-
 

Ich fuhr mir durch meine Haare und seufzte. Doch, es würde passen. Wenn ich an die Fotos dachte, die er machte, während ich schlief und dass er selbst relativ wenig Schlaf brauchte, kam es hin, dass er so lange am Hörer blieb. Vielleicht sogar zuhörte wie ich schlief. … Gruselig… Manchmal war Timothy einfach gruselig, dachte ich. Trotzdem wurde mir warm ums Herz und etwas von der eisigen Kälte des gestrigen Tages verließ meinen Körper. Als mir bewusst wurde, wie sehnsüchtig ich an ihn dachte, rief ich mich zur Ordnung. Konnte doch nicht angehen, dass ich ihm so schnell verziehen hatte!
 

Scheiße- Ich musste los!
 

Auf dem Weg zur Vorlesung schob ich meine Gedanken über Timothy erstmal zur Seite und versuchte mich damit zu motivieren, dass ich draußen war und nicht Pilze in einer Ecke meines Zimmers züchtete. Kurz vor Beginn saß ich keuchend auf meinem Platz. Ich erntete Blicke, aber nicht mehr als jeder andere, der kurz vor Beginn in einen Raum gehechtet kam. Bis auf vielleicht zwei neugierige Augenpaare, die mich von der Seite her musterten. Ich seufzte schwer und packte meine Unterlagen aus. Sicher. Marvin und Fred. Ich hatte sie abgewiesen und eine Woche nicht beachtet. Da der Dozent kam, musste ihre Beachtung noch eine Weile warten.
 

Fair war ich nicht gerade gewesen. Sie hatten sich Sorgen gemacht und ich stieß sie weg. Zu meiner Verteidigung: Ich war in dem Moment nicht für dümmliche Fürsorge zu haben. Vor allem nicht, da die beiden von der ganzen Instagramsache wussten und es nicht für nötig gehalten hatten, mir etwas davon zu sagen oder mich mal darauf anzusprechen! Ich seufzte innerlich und tippte mit meinem Bleistift unruhig auf mein Blatt. Was hatte ich ihnen alles erzählt? Wussten sie wirklich, wie zuwider mir all das war oder hatte ich es wie üblich nur oberflächlich gehalten, da ich sie sowieso nicht als Freunde angesehen hatte? Meine Eltern und Daniel wussten von allem, logisch. Timothy hatte ich es erzählt und sicherlich nur das aufgefüllt, was er selbst schon längst recherchiert hatte. Hannes hatte mich so lange belagert, bis ich ausgepackt hatte. Fred und Marvin kannte ich erst seit drei Monaten. Solange wie alle anderen Studenten hier, nur war ich mit den Zweien oft in der Mensa und hing auch so mit ihnen ab. Trotzdem… Ich hatte sie als Begleitung auf Zeit betrachtet. Wenn es noch mehr Leute wie Hannes gäbe, würde ich mich selbst beerdigen können.
 

Mir fielen Chris, Jamil, Nayla und die anderen Tänzer ein. Von Jasmine mal abgesehen, hatte ich alle irgendwie sehr schnell ins Herz geschlossen, obwohl ich weniger mit ihnen zu tun hatte, als mit meinen Studienfachkollegen. Nicht fair, oder? Timothys Grinsen ploppte vor meinem inneren Auge auf und ich hörte seine belehrenden Worte deutlich. Ich hasste ihn dafür, dass sein Spukbild in meinem Kopf Recht hatte.
 

Es lag an der Musik. Es lag daran, dass es Personen waren, die eine Leidenschaft teilten. Darum war es so einfach gewesen mit ihnen auszukommen. Zum Karaoke zu gehen oder mit Jamil über früher zu reden. Architektur war interessant, aber nicht meine Leidenschaft. Ich hatte es ausgewählt, weil ich etwas komplett anderes brauchte. Künstlerisch auf eine Weise, aber mit klaren Vorgaben, Regeln und Richtlinien, die eingehalten werden mussten. Mit Noten konnte man alles machen, alles ausdrücken. Sicherlich gab es Disharmonien, aber selbst diese konnte man gekonnt einbauen. Baute man ein Haus oder eine Brücke, gab es nur so und so viele Bausteine, welche ich einsetzen konnte. Nur so und so viele Möglichkeiten, wie Fenster, Wände, Türen, Decken und Böden zusammenpassten. Ich konnte ein Lied rückwärts spielen, aber ein auf dem kopfstehendes Haus war für niemanden attraktiv. Diese Grundfesten gaben mir Halt und Sicherheit.
 

Fred und Marvin hatte ich dementsprechend nicht mehr Bedeutung beigemessen als Möbelstücke.
 

Ich stützte meinen Kopf auf einer Hand ab und war genervt von all dem Denken. Mich wieder auf den Unterricht konzentrierend, wartete ich ab und als der Dozent sich verabschiedete, begann ich meine Sachen zu packen. Meine Tasche auf dem Schoß, sah ich zur Seite.
 

„Wollen wir was Essen gehen?“, fragte ich und erntete einen erstaunten Blick und wie Fred Marvin mit den Ellenbogen in die Rippen pikste.
 

Den Weg zur Mensa legten wir schweigend zurück. Erst als alle am Tisch saßen und es mich arg an die Situation vom letzten Montag erinnerte, wurde das Schweigen nervtötend. Ich sah von einem zum anderen und entschuldigte mich für mein forsches Verhalten. Grinsend und deutlich erleichtert, winkten beide ab.
 

„Schon irgendwie verständlich gewesen“, bemerkte Fred. „Wurdest du nun eigentlich gehackt? Warst du bei der Polizei?“
 

„Genau! Hast du deinen Account zurück? Löschst du ihn?“, fragte Marvin ebenfalls nach. Ich sah verärgert zur Seite. Dass das Thema kommen würde, war klar gewesen, aber so früh? Sie mussten wirklich sehr neugierig sein. Schlimmer noch. Sie dachten immer noch, dass ich gehakt worden war.
 

„Ah, das war ein Missverständnis“, log ich und hoffte das würde ausreichen. „Aber ich weiß noch nicht. Vielleicht nicht, das überlege ich mir noch. Aber verratet mir lieber, warum ihr die ganze Zeit nichts gesagt habt. Ihr redet sonst auch gleich über jeden Tratsch, den ihr aufschnappt.“
 

Sie sahen sich an und wechselten einen Blick, den ich nicht ganz verstand. „Naja“, begann Fred. „Deine Erklärungen waren irgendwie einleuchtend, darum dachten wir, sprechen wir das nicht weiter an, wenn es dir in der Öffentlichkeit unangenehm ist.“
 

Irgendwo innerlich knallte ich meinen Kopf auf den Tisch. Wenn sie so schlau waren, verstand ich es noch weniger!
 

Ich hob fragend eine Augenbraue und deutete um mich herum. „Wie hier? Und was ist dann mit dem Zockerabend vor zwei Wochen bei euch in der WG?“
 

„Da haben wir gezockt!“, warf Marvin ein. „Da war das nicht so wichtig.“
 

Ich seufzte, diesmal hörbar und begann missmutig mein Essen auf zu piken. „Ihr seid mir welche… Und welcher meiner Sätze war so überzeugend, dass ihr den Mund gehalten habt?“, fragte ich nach. Da ich mein eigenes Instagramprofil noch nie gesehen hatte und es mir zu peinlich war, danach zu fragen – auch weil ich annehmen musste, dass alle dachten, ICH würde es verwalten – hatte ich keine Ahnung, was dort alles geschrieben stand. Irgendwie verließ ich mich darauf, dass Timothy mich nicht in den Dreck ziehen würde. Es war nicht seine Art und er wäre sicherlich nicht so verärgert mit Ramira gewesen, wenn es ihm nicht wichtig wäre. Trotzdem konnte dieser Idiot alles geschrieben haben! Es nicht zu wissen, bereitete mir ein wenig Unbehagen.
 

Marvin zückte gleich sein Handy und begann zu suchen. Ich fragte mich, wie viele Bilder zu sehen waren. Hatte Timothy seit letzter Woche noch etwas hochgeladen? Wie hatte er es überhaupt angestellt, das auf die Beine zu stellen?
 

„Ah, hier. War zu einem deiner ersten Bilder. ‚Meine frühere berufliche Laufbahn steht in keinem Verhältnis zu meinem jetzigen Studium. Ich wollte einfach etwas neues ausprobieren.‘ Und weiter hinten hast du dann geschrieben: ‚Ein privates Profil steht jedem frei. Folgt mir oder lasst es sein. Es wäre schön, wenn ihr andere behandelt, wie ihr selbst behandelt werden wollt.‘ Das fand ich schon ziemlich cool“, endete Marvin.
 

Ich hörte mich tatsächlich ähnliches sagen, aber noch mehr hörte ich Timothy den letzten Satz knurren. Der Kommentar davor musste ihn etwas verärgert haben. Zu wissen, dass er sich wirklich für mich einsetzte, war irgendwie niedlich. Es machte die Sache nicht weniger schlimm, aber ein wenig amüsierte mich seine Art.
 

„Wir dachten, du würdest es irgendwann schon ansprechen“, meinte Fred schulterzuckend. „Immerhin folgen wir dir und unsere Profile sind einfach zu erkennen.“
 

„Ah, sorry. Ich habe danach nicht geguckt“, entschuldigte ich mich, was nicht mal gelogen war.
 

„Sag ich doch. Außerdem glaub ich kaum, dass er jedes Profil seiner Follower anguckt“, ergänzte Marvin, was mich etwas stutzig machte.
 

„Follower? Wie viel waren es denn zu dem Zeitpunkt als ihr beigetreten seid?“ Ich konnte ja schlecht fragen, wie viele ich im Moment hatte. Würde ich das Profil verwalten, hätte ich wohl keinen einzigen, aber da Timothy der Drahtzieher war, konnte ich mir nicht sicher sein. Er mochte nur ein angehender Sänger sein, aber innerhalb von einer Woche konnte er eine Menge anrichten. Vorausgesetzt das ganze lief nicht schon länger…
 

„Ich glaube vierhundert oder so“, schätzte Marvin. „War ziemlich am Anfang. Jetzt sind es ein paar mehr.“ Fred schnaubte abfällig auf den Kommentar hin.
 

„Ein paar? Einige Zeichner würden laut jubeln, wenn sie die Tausend erreichen. Aber Mikael tritt als Privatperson auf, nachdem er über sechs Jahre aus dem Showbusiness raus ist. Und dann ist sein Profil auch noch öffentlich, also klar, dass da alle möglichen Leute folgen.“
 

„Wie viele sind es denn gerade?“, fragte ich zu voreilig. Zum Glück maßen sie meiner Frage nicht zu viel Gewicht bei und Marvin drehte nur sein Handy zu mir, damit ich mir die Zahl selbst ansehen konnte.
 

„Dreizehntausendvierhundertachtzig. Wo wir gerade dabei sind. Können wir dir jetzt mal direkt Fragen zu deiner ersten Karriere stellen?“
 

Ich war von der Zahl an sich überrascht und mir viel ein bisschen die Kinnlade runter, ehe mich Marvins Frage verkrampfen ließ. Insgeheim hatte ich mich gefragt, wie Timothy es anstellen wollte. Würde er mich als Ex-Sänger outen, als Architekturstudenten oder schlicht als einfache private Person, auf die Gefahr hin, dass ich erkannt werden würde? Wie es schien, war ersteres der Fall und beim genaueren Überdenken, war es typisch Timothy. Natürlich ging er all-in. Dass hieß auch, dass alle die mich kannten, ob alte Fans, Kritiker, Leute von der Uni, jetzt Bescheid wussten. Dass sie sich, wenn sie ähnlich neugierig waren wie Marvin und Fred, die Kommentare ebenfalls durchgelesen hatten. Ich bezweifelte, dass Timothy mich halbherzig präsentierte. Vielleicht hatte ihm sogar Jamil geholfen? Sie wohnten schließlich im selben Haus und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Jamil all das nicht mitbekommen hatte. Die Idee zündete einen neuen Wutfaden in mir an, aber ich schob den Gedanken auf später. Mir wurde gerade bewusst, dass mein Versteckspiel zu Ende war.
 

/Zeig ihnen wie du bist./
 

So war das gemeint! Timothy wollte nicht nur verhindern, dass ich bockig und frustriert durch die Gegend lief, sondern er wollte, dass ich mich allen zeigte. Dass er mich zwang blank zu ziehen, machte mich sauer! Jetzt könnte ich ihm noch eine reinhauen. Diesmal ohne schlechtes Gewissen. Mir fiel Daniel ein und dass er sich diesbezüglich nicht bei mir gemeldet hatte. War selbst er auf Timothy reingefallen? Aber gemach und eines nach dem anderem. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als die Leute, die involviert waren, einen nach dem anderen zu köpfen und mir konkretere Gedanken über meine Situation zu machen.
 

Für jetzt setzte ich mich wieder ordentlich auf meinen Stuhl und begann weiter zu essen. „Wenn wir das nächste Mal zocken oder so“, antwortete ich auf Marvins Frage hin.
 

„Deal.“
 

Später am Abend stellte sich heraus, dass Marvin für mehr Musiker schwärmte als mir klar war. Er war kein eingefleischter Fan wie Jamil. Marvin verehrte eine Menge Künstler und Musiker und folgte ihnen. Seine Fragen überraschten mich trotzdem. Sie waren so unschuldig und hatten nichts mit den Anschuldigungen zu tun, welche mir noch in Erinnerung geblieben waren. Fred indes unterstützte seinen Kumpel und ich bemerkte das erste Mal, dass die zwei sich schon seit Schulzeiten kannten. Marvin war der spontane und aufgeweckte der beiden, während Fred besonnener war und manches öfter abwog. Am meisten überraschte mich, dass Freds große Leidenschaft der Gospelchor war. Das Thema einmal angeschnitten, hörte der Gute gar nicht mehr auf zu erzählen. Seinen Traum verriet er auch: Eine Halle zu bauen, die den Gesang auf das Maximale verstärkte. Ich schmunzelte amüsiert. Sein Traum gefiel mir.
 

Auf dem Weg nach Hause stellte ich fest, dass ich sie vielleicht doch gerne als Freunde haben würde. Sie waren anders als Hannes, ruhiger auf eine Weise. Obwohl ich mir vorstellen konnte, dass alle drei zusammen der Horror sein mussten. Wahrscheinlich würden sie sich auf Anhieb verstehen.
 

Davon ab beruhigte es mich ungemein, mich mit ihnen vertragen zu haben. Genauer betrachtet, gab es nur eine, vielleicht drei Personen, die meinen Groll verdienten.
 

Der Donnerstag kam und verging entspannt. Er hinterließ den Trugschluss, dass ich in einer heilen Welt lebte und meine schmerzliche Vergangenheit nicht erst geoutet wurde. Timothys Ratschlag zu befolgen, passte mir nicht. Doch war es im Moment das strategisch klügste mich einfach wie immer zu verhalten. Leider ließ mich dieser Umstand das Wichtigste bis zum Beginn der Rechtsvorlesung vergessen.
 

Das letzte Mal hatte ich Timothy gesehen, als wir uns stritten und ich ihn geschlagen hatte. Zu dem Zeitpunkt waren nicht mehr viele Studenten im Raum gewesen, aber ein paar letzte. Daran zu erkennen, dass sie ihren Hals reckten, um sehen zu können, ob sich eine neue Szene auftat oder nicht. Das letzte Mal gesprochen hatte ich Timothy am selbigen Abend. Wenngleich ich mich entschuldigt hatte, fühlte es sich irgendwie kompliziert an. Ein Blick auf ihn reichte und ich spürte die Wut über sein Handeln in mir hochkochen. Sein Blick hingegen, überschwemmte mich mit komplizierten Gefühlen. Von Schuld bis Sehnsucht war alles dabei.
 

Ich seufzte innerlich und wappnete mich, neben ihm zu sitzen. Jedoch war der Platz neben Timothy bereits belegt. Die Kunststudentin, welche eigentlich hinter mir saß, belegte meinen Platz. Ich sah ihr an, dass sie sich nicht ganz wohl dabei fühlte. Nervös schaute sie zu mir, ehe sie auf ihre Notizen starrte. Überrumpelt blieb ich stehen. Mir wurde flau im Magen. Hatte Timothy mich wirklich durch sie ersetzt? So schnell? Obwohl ich mich entschuldigt hatte?! Meine Wut wollte nicht wirklich aufkommen. Vielleicht war sie aufgebraucht oder aber es traf mich mehr als ich mir eingestehen wollte. Diese Studentin okkupierte meinen Sitz, neben (meinem) Timothy und redete mit ihm. Ich sah sein Lächeln. Nicht wirklich glücklich, eher eine Farce, aber erfreut.
 

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und ging eine Reihe weiter hinten zu dem freien Platz.
 

„Hi“, begrüßte mich das andere Mädel.
 

„Hi“, grüßte ich mit schmalem Lächeln zurück. Ich konnte mich nicht dazu bringen fröhlich zu sein, wenn Timothy so offensichtlich Abstand zwischen uns gebracht hatte. Unmotiviert ließ ich mich auf den Sitz fallen und starrte nach vorne. Das Mädel auf meinem Platz zuckte zusammen, drehte sich halb zu mir um und lächelte gequält-verlegen. Timothy klopfte mit seinem Stift auf ihr Heft und sie wandte ihre Aufmerksamkeit auf ihn, was mich noch mehr ankotzte. Schande und Schuld überwunden, musterte ich meinen noch Freund mit kaltem Blick, ehe ich ihn ignorierte.
 

Das Ding war… Nicht er hatte angefangen eine Distanz zwischen uns aufzubauen, sondern ich. Rechtmäßig möchte ich hinzufügen. Dass Timothy selbiges tat, fühlte sich nicht nur unfair und kindisch an, sondern vor allem anderen falsch.
 

Es ergab sich, dass die Mädels, Kim und Jocy, tauschten. Dienstags saß ich direkt hinter Timothy und freitags schräg hinter ihm. Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, aber es war mir auch zu blöd eine Szene zu machen (wo schon so viele auf mein Konto gingen). Leider war der Raum komplett gefüllt und der Dozent ließ es nicht zu, dass ich auf den Stufen saß. Widerwillig fügte ich mich meinem Schicksal und arrangierte mich mit meiner neuen Sitznachbarin. Egal, welche von beiden es gerade war. Einmal angefangen mit ihnen zu reden, gestalteten sich unsere Gespräche ruhig und interessant. Manchmal schob ich ihr einen Zettel zu, um meine Frage nicht laut stellen zu müssen. Meist nur dann, wenn in der vorherigen Rechtsstunde Timothy zu viel Spaß mit seiner neuen Nachbarin hatte. Ich war nicht direkt eifersüchtig, aber ich wollte eben gerne wissen, was verdammt noch mal lustig gewesen war. Die Antworten ergaben harmlose Themen, welche selbst mich schmunzeln ließen und meine nicht vorhandene Eifersucht dämpften. Einmal erzählte Kim mir von einer Peinlichkeit eines Dozenten, was mich glatt zum Lachen brachte.
 

Eine so delikate Information konnte nur von Timothy kommen. Von wem auch immer er sie hatte. Wäre ich nicht so sauer auf ihn, hätte es vielleicht ausgereicht ihm durch die Haare zu streichen. An den Dienstagen war es besonders schlimm, da ich direkt hinter ihm saß. Wenn er sich zurücklehnte, war sein Haarmob so nah, dass meine Finger juckten.
 

Wir sahen uns zwar wieder, redeten aber nicht miteinander. Irgendwo war das ok, aber es stellte meine Beherrschung, Vorlesung um Vorlesung, Treffen um Treffen, auf die Probe. Es war frustrierend, wie gerne ich ihn durch die Haare strubbeln wollte, aber nicht konnte, weil ich immer noch sauer auf ihn war. Meine kompromisslose Sturheit dünnte sich in ein genervtes Annehmen der Situation aus, weshalb ich zeitweise fast vergaß, warum ich eigentlich Sauer war. Fiel es mir wieder ein, mischte sich ein unzufriedenes, eingetrübtes Gefühl zu meiner Verstimmung.
 

Wenn ich zwischen den Vorlesungen über den Campus ging, traf ich die üblichen Personen. Meistens war das Chris, weniger oft Jamil oder Nayla. Und für gewöhnlich lief ich Timothy nie über den Weg. Nun allerdings, traf ich ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die er finden konnte, mir über den Weg zu laufen. Natürlich unterstellte ich ihm, dass er das mit voller Absicht machte. Timothy mochte keine großen Mengen. Er verkroch sich lieber und war nur zur Informationsgewinnung unter Menschen. In den letzten Wochen jedoch, sah ich ihn häufiger bei Chris stehen, dann und wann mit Nayla was essen oder mit Jamil und dessen Freunden reden. Und wie gesagt: Ich spürte es immer, wenn sein Blick auf mir ruhte, was oft passierte. Flüchtig, länger, in kurzen Intervallen, wie, um nicht aufzufallen. Es war eine einwandfreie Zermürbungstaktik.
 

Nichtsdestotrotz ignorierte ich ihn. Dafür verbrachte ich deutlich mehr Zeit mit Fred und Marvin. Nicht nur, weil die Ausstellung der Architekturstudenten zum Semesterende anstand, sondern auch, weil ich keinen Grund mehr vorschieben konnte, nicht mit ihnen zum Karaoke zu gehen. Beim ersten Mal ließ ich mir von ihnen ein schlechtes Gewissen einreden, weil ich ihnen nicht vertraut hatte, wo wir doch bereits Freunde waren (Marvins Worte). Beim zweiten Mal glaubte ich, es als neu-freundschaftliche Verpflichtung hinnehmen zu müssen. Beim dritten Mal lehnte ich vehement ab. Es tat mir irgendwo leid, aber selbst meine Ohren vertrugen nur eine gewisse Menge an schiefen Tönen, welche jeder von ihnen in nur einem Lied vollständig ausfüllte. Zwei Stunden auf engsten Raum mit ihnen zu verbringen, war, gelinde gesagt, die Hölle.
 

Ehe ich mich versah, waren zwei Wochen um und Timothy kreuzte kaum noch meine Wege, noch fühlte ich mich beobachtet. Vielleicht hatte er aufgegeben oder genug davon ignoriert zu werden? Wie auch immer, ich genoss meine zurückgewonnene Ruhe. Er war ja nicht verschwunden, ich sah ihn nur weniger. Ich wusste, er war da und dass ich wegen des Profils noch dringend mit ihm reden musste, aber aufgrund des bevorstehenden Semesterendes, den Klausuren und Hausarbeiten und vielleicht auch, weil die anderen mich gut genug ablenkten, schob ich es auf.
 

Mit Kim und Jocy verstand ich mit mittlerweile sehr gut, wodurch die Rechtsvorlesungen nur noch halb so anstrengend waren. Die Rechtsklausur schrieb sich beinahe von selbst und bis auf eine Hausarbeit hatte ich alles abgegeben.
 

Mit Chris verstand ich mich nach wie vor gut. Er war überrascht gewesen, als er von meinem Account und dem Streit mit Timothy hörte. Noch überraschter war er, als er von früher erfuhr. Dennoch würde er gerne mit mir singen, insofern Timothy und ich mit streiten fertig wären. Ich fand es interessant, dass Chris in den beiden Dingen keinen Zusammenhang erkannte.
 

Mit Nayla hatte ich mich beim letzten Karaoke mit der Musiker-WG wieder vertragen. Wir sprachen uns etwas aus und texteten mehr miteinander als vorher. Es stellte sich heraus, dass wir uns erstaunlich ähnlich waren. Wir waren beide stur, schlugen gerne dumme Menschen und regten uns über einen gewissen Sänger auf. Sie war mir sympathisch.
 

Auf Jamil war ich zunächst sauer. Ich erwischte ihn einmal alleine in der Mensa und fragte ihn direkt, wie viel er von der Instagram-Sache wusste und warum er Timothy nicht aufgehalten hatte. Er, unter allen anderen hier auf dem Campus, sollte wissen, warum ich nicht mehr an früher erinnert werden wollte. Sein Geständnis jedoch machte mich wütend. Ich schlug ihm 1A in den Magen und ignorierte ihn für eine Weile.
 

In der letzten Woche des Semesters war es dann so weit. Wie am ersten Tag, als Chris meinen Kaffee verschüttet hatte, saß die Gruppe von Tänzern und WG-Leuten um Timothy herum auf einer Bank. Der Sänger gab sich gewohnt lässig, während Nayla neben ihm etwas genervt wirkte. Jamil neben ihr saß mit halben Hintern auf der Armlehne der Bank. Ramira und Chris führten einen Paartanz auf und blockierten den Weg.
 

„Lasst ihr mich vorbei, ehe mein Kaffee wieder verschüttet wird?“, fragte ich in die Runde. Chris trat zur Seite und machte eine tiefe Verbeugung. Ich nickte ihm zu und ging vorbei.
 

„Dabei wäre das die Gelegenheit endlich ein Bad nehmen zu können; wo der Becher die perfekte Größe für dich hat“, kommentierte Timothy von der Seite, als ich ihn passierte. Ich blieb augenblicklich stehen und maß ihn von oben herab.
 

„Wie meinen?“
 

„Oh, rede ich zu schnell? Kleine Leute sollen ja etwas dümmlich sein“, sagte er mit einem hämischen Grinsen.
 

„Sagt die Person, die zu dünne Luft in seinen Gefilden atmet.“
 

„Bitte? Redest du mit mir?“, fragte er nach. Sein Blick amüsiert und herausfordernd.
 

„Ah~ Ich vergas, seine Eminenz leidet an Kurzsichtigkeit, da seine Verschlagenheit zu sehr auf seine Augen drückt. Vielleicht lässt er sich besser Fotos servieren, damit es einfacher für ihn wird, die kleinen Dinge zu sehen.“
 

„Die eigene Winzigkeit einzugestehen, zeugt von wahrer Größe. Vielleicht brauche ich doch kein Mikroskop, um dich zu betrachten.“
 

„Versuch es und du merkst, wie schlecht Metall rauseitert.“ Mein Blick blieb kühl. Ich ließ es nicht zu, dass seine Herausforderung an meinem Ego kratzte, nur um mir eine Blöße zu geben.
 

„Eine weniger schmerzvolle Methode fände ich reizvoller.“
 

„Tss“, schnalzte ich und löste meinen Blick. „Geh sterben und nimm deine Intrigen mit.“
 

Ich ging weiter ohne auf eventuell folgende Worte zu achten. Somit entging mir Timothys amüsiertes Schnauben und wie Nayla stumm, aber kräftig nach Jamils Arm griff und diesen zerquetschte. Ich selbst konnte mein Schmunzeln nach einigen Metern nicht mehr aufhalten. Es war fast wie am ersten Tag gewesen. Ein wenig Stänkern, ein kleiner Schlagabtausch. Ich fühlte mich erleichtert, denn ich hatte wirklich befürchtet, dass wir diese Art zureden vielleicht verloren hätten.
 

Es beruhigte mich, weil es ein Stück Gewissheit war, dass wir noch das waren, was wir waren. Wie drückte ich das am besten aus…? Ich glaubte nicht, dass Timothy und ich uns getrennt hatten. Aber es gab einen Knacks, den ich vielleicht nicht reparieren könnte. Daher freute es mich, mir selbst sagen zu können, dass ich mich geirrt hatte. Mehr noch, ich fand meine Ruhe wieder. Sicherlich nervte mich die Sache mit dem Account noch, aber das paranoide Gefühl in meinem Hinterkopf war verschwunden. Diese eine Stimme, die ständig flüsterte „Du bist nicht genug“ oder „Alle schauen dich an“. Die Katze war aus dem Sack, was meine frühere Karriere betraf, und die Welt drehte sich weiter. Timothy machte seine Sache als Verwalter meines Accounts gut, sodass ich einfach weiterleben konnte. Allerdings stellte sich mir mittlerweile die Frage: Warum? Was bezweckte er damit? Er hätte wissen müssen, wie ich reagieren könnte und tat es trotzdem. Warum?
 

Ich seufzte und sah in dem leicht bewölkten Himmel. Vielleicht war ich langsam soweit mit Timothy zu reden. Sauer sein war gut und billig, aber ich wollte nicht ständig verärgert sein. Auf Timothy war man eigentlich sowieso dauernd sauer, egal was er gesagt oder getan hatte. Wären wir nur gute Freunde gewesen, hätte ich vielleicht noch länger sauer sein können, aber da er mein Freund war, stellte sich viel zu früh das Gefühl von Sehnsucht nach ihm ein. Nicht, dass ich das jemals zugeben würde.
 

Am ehesten bekam ich Timothy in Recht zu sehen. Da er wieder zum Stubenhocker geworden war und ich nicht zur WG gehen wollte, wurde ein Treffen schwierig. Ebenso ungünstig war es, dass wir uns in Recht immer noch ignorierten, obwohl wir im Beisein von anderen wieder angefangen hatten, uns Gemeinheiten an den Kopf zu werfen. Mehr denn je fühlte es sich falsch an, was zwischen uns lief. In unserer letzten Rechtsvorlesung haderte ich einen Moment, ihn anzusprechen. Es war offensichtlich, dass wir ein Gespräch ganz unter uns brauchten. Leider klingelte sein Handy und er war schneller verschwunden, als ich gucken konnte.
 

„Nimm es nicht so schwer“, meinte Kim zu mir.
 

„Ich habe nicht wegen ihm geseufzt“, redete ich mich raus.
 

„Dann wegen der Klausur letzte Woche?“, stichelte sie weiter. Ich verdrehte missbilligend meine Augen.
 

„Hier“, sagte Jocy, die auch heute auf meinem Platz saß. „Ich muss sagen, ihr seid tolle Models. Ich hoffe wirklich, dass wir nächstes Semester noch mal zusammensitzen.“ Sie reichte mir mehrere unterschiedlich große Zettel. Mal kariert, mal liniert. Vier an der Zahl und auf allen war Timothy zu sehen.
 

„Die beiden sind von mir“, merkte Kim an. „Weißt du eigentlich wie schwer es ist, seine Mimik einzufangen? Allein einen Augenblick zu erwischen, in dem er mal lächelt, grenzt ans Unmögliche.“
 

Ich nickte abwesend und nahm das eine Bildchen hoch, auf welchem er lächelte. Er beugte sich nach vorne, gerade so, als sollte ihn niemand sehen. Seine Lippen und Augen zierte ein glückliches Lächeln.
 

„Das war letzte Woche“, erklärte Jocy. „Als Kim dir das mit dem Dozenten erzählt hatte. Ich wette, er hat die ganze Vorlesung gelauscht, wie du darauf reagieren wirst. Hach~ ich hätte es so gerne aufgenommen. Er war total konzentriert und als du gelacht hast, fiel alle Anspannung von ihm ab und ich bekam dieses schöne Bild.“
 

Ich grinste bereits. So ein Gesicht macht er also, wenn er versucht mich aufzumuntern? Gott, er konnte wirklich allerliebst sein.
 

„Das hätte ich auch gerne live gesehen“, schwärmte Kim neben mir. „Aber Jocy hat eh das bessere Auge von uns beiden.“
 

„Darf ich die behalten?“, fragte ich und sah beide fragend an. Erst als sie nickten, verstaute ich die vier Kostbarkeiten in einem Block und packte ihn sicher ein. „Ich danke euch.“
 

„Weißt du … als ihr angefangen habt, euch zu streiten, haben wir uns wirklich Sorgen gemacht. Vor allem dein Schlag war krass.“
 

Ich senkte meinen Blick. Nicht meine Glanzstunde, aber … es war nun mal passiert. „Hm…“
 

Kim legte ihre Hand auf meine und ich sah sie an. „Wir wissen nicht konkret was vorgefallen ist, aber Timothy hat sich Sorgen um dich gemacht.“
 

„Große Sorgen“, ergänzte Jocy. Ich sah von einer zur anderen und nickte.
 

„Mhm, ich weiß.“
 

Trotzdem war es schwer, jetzt auf ihn zuzugehen, um zu reden. Selbst wenn mich seine Taktik mürbe machte, bei der er nach und nach die Leute auf mich zu hetzten, mit denen ich gut konnte. Wenngleich nichts Schlimmes passiert war, keine Paparazzi auf dem Gelände waren oder unwahre Artikel in der Zeitung erschienen.
 

Schneller als Gedacht war das Semester zu Ende und es gab ein Feuerwerk, welches ich mir nur vom Fenster aus ansah. Ich hätte mit den anderen hingehen können, aber Timothy wäre dabei gewesen und irgendwie … Ich hätte es lieber mit ihm alleine gesehen. So wie ich viele Dinge gerne mit ihm alleine machen wollte. Der Sommer verging langsam und ich stritt mich mit meinem Freund, unternahm nichts pärchen-typisches mit ihm und schmollte in meinem Zimmer.
 

In den Ferien verließ ein Großteil der Studenten den Campus. Ramira, Phillip und Steven fuhren komplett zu ihren Familien nach Hause. Jasmine hatte ich eine ganze Weile nicht mehr gesehen und fand es nicht besonders schade. Fred und Marvin fuhren die ersten Wochen zu ihren Eltern und versprachen in den letzten Wochen viel mit mir zu unternehmen, falls ich dann noch schmollen sollte. Ich war froh, als sie endlich weg waren…
 

Die Musiker-WG blieb komplett hier. Sie unternahmen Tagesausflüge zum Freibad oder in die Stadt. Zu Naylas Frust fuhren wir nie alle zusammen. Timothy nahm sich raus. Man traf ihn hauptsächlich in seinem Zimmer an. Ich nahm an, dass er meinem Spaß nicht im Wege stehen wollte.
 

Was ein Idiot… dabei hatte ich auf solche Gelegenheiten gewartet. Mittlerweile wusste ich nicht mehr, wie ich das Thema ansprechen sollte. Ich war nicht mehr wirklich sauer, hatte ihm aber auch nicht vergeben. Mehr als Wut und Verletztheit spürte ich etwas viel Lästigeres in mir. Es staute sich an und schnürte mir manchmal sogar die Kehle zu. Ein Ziehen und Zerren in meinem Magen. Ein Kampf zwischen Kribbeln und Übelkeit, gefolgt von einem Blick auf mein Handy. Ich seufzte schwer, denn … Scheiße, ich vermisste ihn.
 

<Und? Wie geht’s nun weiter?<
 

Ich telefonierte gerade mit Hannes und warf mich frustriert auf mein Bett. „Weiß nicht. Ich bekomm ihn nicht zu greifen.“
 

<Das ist doch nur `ne Ausrede. Wenn du ihn wirklich sehen wollen würdest, würdest du das schon hinbekommen.<
 

Er hatte schon Recht. Ich könnte, aber mittlerweile war unser Streit fast zwei Monate her. Selbst wenn ich Timothy sah, hatte ich wegen der Instagram-Sache noch kein Wort mit ihm gewechselt. Unser Stänkern und Foppen war bei weitem nicht so intensiv, wie es mal gewesen war. Eher wie eine milde Variante von ‚Ich weiß, dass du da bist‘.
 

<Ben, ich kann dich ja verstehen, aber ich habe dir meine Meinung dazu schon vor Wochen gesagt.<
 

„Was es nicht einfacher macht!“ Nachdem ich mich mit meinen Kommilitonen vertragen hatte, hatte ich Hannes geschrieben. Er wollte alles brühwarm wissen. Er war ein Idiot, der Timothy und mich bereits zusammen gesehen hatte, als ich es mir noch nicht mal hatte vorstellen können. Trotzdem hatte ich geglaubt, es wäre hilfreich ihn um Rat zu fragen. Aber alles, was er sagte, endete damit, dass ich mit Timothy reden sollte, aber nicht wie ich das anstellte.
 

Hannes seufzte schwer. <Doch würde es. Glaube mir. Du und dein Tim habt so aneinander gehangen. Ich kann es mir kaum vorstellen, dass ihr die ganze Zeit nicht miteinander geredet habt. Sicherlich, er hat Mist gebaut, aber dass es so rausgekommen ist, war blöder Zufall. Ich meine ja, dass diese Jasmine einfach nur tierisch eifersüchtig auf dich war. Deshalb hat sie dir auch eine Szene gemacht. Hast du sie danach noch mal gesehen?<
 

„Nein.“
 

<Siehste. Timothy ist nicht dumm, das sagst du selbst. Ich denke, er wird alles beseitigen, was dir im Weg steht. Wie das mit dem Video.<
 

„Was meinst du mit beseitigen.“
 

<Nichts Schlimmes, aber so wie ich ihn einschätze, stehst du auf seiner Prioritätenliste weit oben. Und alles und jeder, der dir schaden könnte, wird aus dem Weg geräumt. Keine Ahnung wie. Vielleicht hat er ihr nur einen ‚guten Rat‘ gegeben oder so.<

Nicht undenkbar. Eigentlich sogar sehr wahrscheinlich.
 

<Außerdem find ich das mit dem Profil gut. Ich hatte es dir auch vorschlagen wollen, aber du wolltest davon ja nichts wissen.<
 

„Zu Recht.“
 

<Ja, ja, aber er hats getan. Hast du es dir mittlerweile mal angesehen?<
 

„Nein“
 

Hannes seufzte. <Du hast so viele Leute da, die es dir zeigen könnten. Worauf wartest du?<
 

Das war eine verdammt gute Frage, die ich nicht beantworten konnte…
 

<Hat dich dein Patron, oder was auch immer er ist, darauf angesprochen?<, fragte Hannes weiter, als ich nicht antwortete.
 

„Daniel? Nein. Wir haben kurz danach telefoniert. Aber er hat nichts dazu gesagt.“
 

<Und du hast es auch nicht getan, weil du bockig bist, richtig? Hach Ben, Ben, Ben. Glaube mir, du verrennst dich in etwas, wenn du weiterhin schmollst. Hat er was Mieses getan? Ja. Definitiv. Aber wenn du es genau betrachtest: Du hast dich diesmal nicht abgekapselt, keine Uni verpasst, hast deine Kommilitonen und die aus der WG, mit denen du dich unterhältst. Dein Leben ist doch gut, im Großen und Ganzen. Und wer weiß, welche Chancen dir der Account eröffnet, wenn du dich mal darauf einlässt?<
 

Hannes hatte Recht. All das war mir selbst schon aufgefallen und ich hatte versucht herauszubekommen, warum das so war. Mir viel nur Timothy ein und dass ich gerne mit ihm singen wollte. Vielleicht noch Daniel. Diese beiden waren wie ein Schutzwall zwischen mir und der großen, bösen Medienwelt. Dann fiel mir ein, dass ich mich nicht hinter anderen verstecken wollte, nicht schwach wirken wollte und dass ich ohne sie sicherlich nicht mit der großen, bösen Medienwelt klarkommen würde, weshalb ich sie dringend brauchte. Unabhängig von der Frage, ob ich Musik machen will oder nicht. Aber verließ ich mich zu sehr auf sie, widersprach ich mir und … meine Gedanken drehten sich im Kreis.
 

„Hast du mir in den letzten Jahren überhaupt zugehört? Du weißt schon, was das für mich bedeutet, dass Tim so einen Scheiß macht und mich in die Medien holt?“, fragte ich stattdessen trocken und verärgert nach. „Ich will nicht mehr im Rampenlicht stehen.“
 

<Sicher weiß ich das. Aber dein Tim hat das gemacht, nachdem er von dir und deiner Musikerkarriere wusste.< Hannes seufzte schwer und es klang als käme es von Herzen. <Ben. Rede mit ihm, ok? Ehrlich gesagt, konnte ich mir nicht mal vorstellen, dass du ihn wirklich für fast zwei Monate ignorierst. Ich hätte schwören können, dass du dich nach einer, maximal zwei Wochen wieder in seine Arme wirfst.<
 

„Bitte, für was hältst du mich?! Argh~ genug, du wirst schon wieder albern. Genieß deine Semesterferien.“
 

<Du deine auch! Mit deinem Tim. Bis bald!<
 

Wir legten zeitgleich auf. Hannes‘ Fröhlichkeit schien durch den Hörer in mein Zimmer zu schwingen und bereitete mir eine Gänsehaut. ‚Dein Tim‘ hatte er nun drei Mal gesagt. Ja, er war ‚mein Tim‘ und ja, ich vertraute ihm dummerweise immer noch, wie ich festgestellt hatte. Zudem war an dem, was Hannes gesagt hatte, etwas dran. Timothy hatte Mist gebaut, aber danach schien es fast so, als würde er jeden nur erdenklichen Menschen, mit dem ich gut konnte, in meine Richtung schicken. Fred und Marvin hatten mich die erste Zeit nicht einfach so gemieden. Wie sich herausgestellt hatte, hatte Timothy mit ihnen geredet, nachdem ich sie aus meiner WG geworfen hatte. Er hatte sie gebeten sich erst mal von mir fern zu halten und abzuwarten, bis ich auf sie zukommen würde.
 

Ich hasste es das zuzugeben, aber Timothy kannte mich gut. Er beschwatzte die Kunstmädels, dass sie ihre Sitze mit mir tauschten, damit ich mich nicht genötigt sah, neben ihm sitzen zu müssen. Er blieb in Sichtweite, bis sich scheinbar alles normalisiert hatte. Er schickte Chris, Jamil und Nayla vor, die mit mir redeten und mich zum jammen oder gemeinsamem Lernen einluden. Timothy selbst sah ich kaum bis gar nicht. Wenn wir uns doch mal auf dem Campus über den Weg liefen, hielt er seinen Abstand zu mir, fast wie in den ersten Wochen, als wir umeinander rumgetänzelt waren. Jedoch tänzelten wir nicht mehr. Ich wusste, was wir waren. Er wusste, was wir waren. Aber keiner von uns sprach es an. Keiner ging zum anderem.
 

/Komm zu mir./
 

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte seine Anspannung und seine Zurückhaltung nicht gesehen. Es strengte ihn sicherlich an, sich zusammenzureißen und sich keine Blöße zu geben. Oder … ich vermutete, dass er glaubte, er gäbe sich keine Blöße und bemerkte dabei nicht, wie ihm kleine Patzer unterliefen. Das losgelöste Lächeln im Rechtsseminar, als ich über seinen Dozentenwitz gelacht hatte, der mir von Kim erzählt worden war. Sein leichtes nach vorne lehnen, wenn ich an jemanden herantrat, der neben ihm stand, Timothy aber ignorierte. Die Anspannung in seinen Armen oder den Fäusten, wenn Jamil seinen Arm über meine Schulter legte oder wir uns ohne ihn zum Musizieren trafen.
 

/Komm zu mir./
 

Wenn ich so darüber nachdachte, war ich gemein zu ihm. Nicht unbegründet, aber ein bisschen tat er mir leid. Wie ein Welpe, der einen mit großen Augen anguckte. Ich seufzte schwer und stand von meinem Bett auf. Planlos ging ich durch mein Zimmer, mein Wohnzimmer und die Küche. Ich sah in meinen Kühlschrank und starrte eine Weile in das grelle Licht, bis ich mich verplant vor meiner Couch stehend wiederfand.
 

/Komm zu mir./
 

Ich fluchte.
 

Haderte.
 

Griff nach meinem Handy.
 

M: »In 5 Minuten hier.« 18:53



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