Eine gläserne Wand
.............................................Lady Tenouh Haruka............................................................
“Wartet!” Sie raffte ihren Kimono auf und rannte auf die abfahrbereite Gruppe zu. Der Mann, der
abgefahren werden sollte, drehte sich überrascht um. Haruka fixierte ihn mit einem
durchdringenden Blick. “Wer seid Ihr?”, fragte er kühl und schob die Hände gelassen in die
Hosentaschen. Er war Tenouh Haruka sofort zuwider. “Ich bin Tenouh Haruka, Erbprinzessin des
Tenouh-Clans, Führerin des Schert des Himmels.”, entgegnete sie würdevoll und reckte das Kinn.
“Ich möchte einen Ihrer Gefolgsmannen sehen.” Der Mann starrte sie an. “Ich habe Hunderte von
Gefolgsmannen! Welchen hätten Sie denn gern?” Das war wohl sein Trumpf, wenn er lästige
Menschen von sich abwimmeln wollte. “Mizukake.”, entgegnete Haruka jedoch ohne die Fassung
für nur einen Augenblick zu verlieren. “Mizukake.”, wiederholte der Mann langsam. “Was wollt ihr
von ihm?” Haruka kniff die Augen zusammen. “Er steht im Verdacht, an einem Mord beteiligt
gewesen zu sein.” Sie funkelte den dunkelhäutigen Mann mit den tiefschwarzen Augen an, in ihren
blauen Augen schien ein eiskaltes Feuer zu brennen. “Mord?” Der Mann gab sich überrascht, doch
die Kälte in seinen dunklen Augen verriet ihn. “Allerdings. Also, holt ihn her!” Der Mann ballte eine
Faust. Im selben Moment, wie er sie Haruka ins Gesicht rammte, verschwamm alles in Haruka und
ihr ganzer Körper schien in Flammen zu stehen. Es war anders als der Schmerz, den sie hätte
spüren sollen. Es war alles ganz, ganz anders. Sie spürte nur Zorn.
Haruka riss die Augen auf. Um sie herum lagen zwanzig Männer, alle tot. Blut klebte an Harukas
Händen, doch sie fühlte nichts, war nicht angeekelt. Ihre Hände kribbelten und brannten noch
immer, so fest hatte sie zu geschlagen. Mizukake, der Mann, den sie zu sprechen verlangt hatte,
saß auf dem Wagen, fuhr sich durch die Haare und beobachtete sie. “So sieht’s also aus, wenn du
dich verwandelst.”, stellte er ruhig fest. Tenouh Haruka drehte sich um. In ihrem kantigen Gesicht
waren markant männliche Züge. “Verwandeln?” Haruka erschrak. Ihre Stimme schien um vier
Okatven tiefer geworden zu sein. “Wa...was?” Sie betrachtete ihre Finger. Sie waren nicht mehr zart
und dünn, sondern breit und kräftig. “Bin ich etwa...” Sie erstarrte. Kein Zweifel. Sie war ein Mann.
In Haruka tobte es innerlich. Warum? Warum jetzt? Mizukake beobachtete sie amüsiert. “Ach
so? Das ist deine erste Verwandlung?” Er stand gelassen auf und wischte sich das lut von den
Schuhen an einem Stein ab. Haruka starrte ihn wütend an. “Dutz mich nicht!”, fauchte sie. Er
grinste boshaft. “Oh, entschuldigt, Euer Majestät!” So abfällig, wie er dieses Wort förmlich
ausspuckte, war auch sein Blick. Unwillkürlich trat Haruka einen Schritt zurück. “Mizukake.
Kanntest du einen Falken names Jeanne?”, fragte sie leise. Er sah auf. “Jeanne? Der goldene Falke,
nicht wahr?”, fragte er genauso leise zurück. Haruka nickte. “Natürlich. Jeder kannte Jeanne.”
Haruka drehte sich weg. Übelkeit stieg in ihr empor. “Du hast sie umgebracht.”, flüsterte sie.
Mizukake sah sie unbeeindruckt an. “Wo sind Eure Beweise?”, fragte er gelassen. Haruka starrte ihn
an. Der Hass, der in ihr hochstieg fraß sich durch ihren Körper wie ein Fremdkörper. Das Blut in
ihren Adern pochte. Nur mit Mühe hielt sie sich zurück, sie hätte ihn beinahe geschlagen.
Stattdessenballte sie nur eine Faust. “Wir haben Federn an Jeannes Leiche gefunden. Insbesondere
eine Feder, die Jeanne in ihrem Maul hatte. Der blutige Federkiehl wies darauf hin, dass Jeanne
diese Feder im Kampf rausgerissen hatte. Also haben wir die Feder untersucht und es befinden
sich eindeutig deine DNA daran.” Haruka verschränkte die Arme. Mizukake wandte gelangweilt den
Blick ab. “Uninteressant.”, stellte er bloß fest. Haruka erstarrte. Der Hass kroch ihre Wirbelsäule
entlang wie ein pelziges kleines Tierchen mit winzigen, spitzen Klauen bewehrt.
“Uninteressant...?”, wiederholte sie langsam und wütend. “Allerdings.”, entgegnete er, ohne sie
anzusehen. “Die Tat bestreite ich nicht. Aber ich beginne mich zu wundern, was Euch das angeht.”
Haruka kniff die Augen zusammen. “Was mich das angeht?”, fragte sie leise. Sie ahnte Unheil, das
dieser Mann mit ein paar Worten heraufbeschwören konnte. “Allerdings.” Mizukake lächelte. Sein
Lächeln schien Haruka unheilgeschwängert und – ja, sie konnte es nicht anders beschreiben –
böse. “Was genau hat die Familie Tenouh mit den Angelegenheiten der Chidori zu tun?” Haruka
stockte der Atem. Das war also sein Trumpf. Sie ballte die Faust. “Wart’s nur ab.”, flüsterte sie
leise und starrte ihn mit eiskalten, blauen Augen an. Er sah gelassen zurück, sah die
Entschlossenheit des Hasses in ihr leuchten. “Ich verbringe mein ganzes Leben mit warten, Lady
Tenouh.”, sagte er leise. “Aber ich weiß nicht einmal, worauf.”
“Lady, beruhigt euch doch bitte!” Die Dienerin schrie erschrocken auf, als Tenouh Haruka ihr
Schwert zog und sie wild durch die blonden Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht fielen, anstarrte.
“Beruhigen?!”, brüllte sie und schwang das Schwert. Kreischend zog die Dienerin den Kopf ein und
fiel gegen die Wand. Haruka stach ihr Schwert in die Wand, direkt neben den Hals der Dienerin.
“Beruhigen soll ich mich, sagst du?”, fauchte Haruka und zog das Schwert ein bisschen hoch,
sodass die Klinge nahe am Ohr lag. “Wie denn, wenn der Mörder von Jeanne immer noch da
draußen frei herum läuft, wie es ihm gefällt? Und ich ihn nicht festnehmen kann?!” Die Dienerin
schluckte und presste sich die Hand auf den Mund. “Haruka!” Haruka fuhr herum. Ihr Vater stand
in der Tür und musterte sie streng. Haruka fühlte sich unter seinem Blick plötzlich nackt. Sie
umklammerte trotzig das Schwert und sah ihn an. “Vater.”, entgegnete sie. “Was gibt’s? Siehst du
nicht, dass wir zwei hier...” Sie deutete auf die schluchzende Dienerin und dann auf sich selbst.
“...etwas zu erledigen haben?” Er ging langsam auf sie zu, mit ausdrucksloser Miene nahm er ihre
Worte zu Kenntnis. “Komm nicht näher!!” Haruka riss das Schwert aus der Wand und richtete es auf
ihn. “Du kannst nicht töten, Haruka. Schon gar nicht deinen eigenen Vater!” Er ging am Schwert
vorbei auf sie zu, worauf sie das Schwert langsam sinken ließ. Ihr Vater schlug ihr mit einer Kraft
und Gewalt, die sie ihm niemals zugetraut hätte, ins Gesicht. Es riss sie von den Beinen und sie
landete auf dem Rücken. Ausdruckslos sah er sie an, dann hob er das niedergefallene Schwert auf.
“Das ist kein Spielzeug, Haruka.” Er musterte das Schwert. “Tenouh... Das Himmelsschwert.” Seine
Stimme war von Ehrfurcht geprägt. Haruka musterte ihn hasserfüllt. “Ich hasse dich.”, flüsterte sie.
“Ich hasse dich. Du bist kein Vater!” Sie wischte sich das Blut vom Mundwinkel und spuckte ihm auf
die Füße. Kalt sah er sie an. Ohne ein weiteres Wort warf er ihr das Schwert zu und ging heraus.
“Ich hasse dich!”, schrie sie ihm hinterher. “Lass mich allein! Geh sofort raus hier, wenn dir dein
Leben lieb ist!” Die Dienerin wich zurück und lief aus dem Zimmer. Haruka rammte die Faust so
fest gegen die Wand, dass es in ihren Knöcheln knackte. Schmerzerfüllt zog sie die Faust zurück
und starrte aus dem Fenster. “Jeanne...”, schluchzte sie leise und vergrub das Gesicht in den
Armen. “Das ist nicht fair. Ich wil doch nur... Ich will doch nur...” Sie stockte und brach schließlich
ab. Sie wusste selber nicht, was sie wollte. “Jeanne... Ich... ich...” Tenouh Haruka griff nach ihrem
Schwert und besah sich die Klinge. Ihre Augen waren tränennass, sie konnte kaum was erkennen.
Kraftlos lehnte sie sich zurück, an die kühle Wand. Sie schloss die Augen und ließ sich vom Schlaf
übermannen.
“Hm? Was ist das? Hier ist alles so dunkel... Autsch!” Sie tastete das Hindernis ab, gegen das sie
gerannt war. Ihre Finger glitten über etwas langes, kühles, glattes, das hart und unnachgiebig war.
“Glas...?” Allmählich erhellte sich die Umgebung um sie herum und sie konnte sehen, dass sie vor
einer riesigen Glasmauer stand, die höher und länger war, als Haruka es sich je hätte träumen
lassen. “Das ist unmöglich... Ja, es muss ein Traum sein.” Sie sah durch das Glas hindurch. Eine
weinende Gestalt, tief in sich gesunken, das Gesicht in den Händen vergraben, von Blüten
umgeben, Regen fiel vom Himmel. Haruka erinnerte das Bild sosehr an ihre eigene Einsamkeit, die
sie immer zu verbergen versucht hatte und ließ die Hand vom Glas sinken. Ganz deutlich hörte sie
die Worte der Weinenden. Und sie stachen Tenouh Haruka so stark in ihr Herz, dass sie
daniedersank und mit der Gestalt dort drüben weinte.
ICH WILL NICHT MEHR EINSAM SEIN!!