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Das Blut der Lasair

von

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Rückkehr zum Wesentlichen

Rückkehr zum Wesentlichen
 


 

Catherine wusste nicht, was sie denken sollte. Im Moment war sie scheinbar unfähig dazu. Es war nicht so sehr die Erkenntnis, dass Lea ihre Cousine war, Elatha ihre Tante und Elizabeth ihre ‚Stief-Oma’, wobei es so etwas ja nun wirklich nicht gab.

Vielmehr war es die heikle Seite der Angelegenheit, die ihr zu schaffen machte. Sie hatte immer angenommen, ihr Großvater Vincent sei seiner Ehefrau treu gewesen. Sie hatte immer angenommen, dass sie eine vorbildliche Familie waren, wenn man von der geheimen Nebenbeschäftigung absah.

Und nun? Was blieb ihr denn übrig außer festzustellen, dass es nicht so war? Und wieviel schlimmer machte diese Erkenntnis die Tatsache, dass Elizabeth Vincent vergiftet hatte? Ihren Geliebten, den Vater ihrer einzigen Tochter… Naja, etwas schienen sie gemeinsam zu haben: sie, Catherine, hatte versucht, ihren Bruder zu töten. Sie wusste nicht, was schlimmer war.

Catherine griff sich an die Stirn und presste ihre Finger gegen die Schläfen. Das waren Zustände wie an den Königshöfen der Medici oder der Valois! Sie stöhnte auf, als sie sich einer Sache erinnerte, die sie in Edinburgh herausgefunden hatte… Marguerite de Valois, eine Urenkelin von Ludwig XII und Tochter von Heinrich II und Catherine de Medici, hatte eine Tochter, die die spätere Duchess of Irvine wurde. Mit dem Vergleich lag sie also nicht schlecht.

Lestat betrachtete Catherine achtsam. Noch immer war er sich nicht sicher, dass sie nicht doch noch von dem Gewicht der Wahrheit niedergedrückt würde und ihn dann brauchte.

Seit mehreren Minuten ging sie im Salon auf und ab. Sie überlegte, das konnte er sehen. Er folgte ihren Schritten mit dem Blick und wartete… und wartete auf irgendetwas, das sie nicht nur dachte, sondern auch aussprach.

„Weiß Lea, was Sache ist?“ fragte Catherine so plötzlich, dass Lestat einen Augenblick zweifelte, dass sie wirklich gesprochen hatte.

„Ja. Sie weiß es.“ entgegnete er schließlich und sah, dass Catherine sich wieder auf das Sofa fallen ließ.

Sie nickte bei sich, blieb aber stumm. Ihr Blick glitt in die Ferne und spiegelte keine gedankliche Bewegung mehr wider. Das Feuer schien erloschen, doch dann richtete sie wieder das Wort an ihn:

„Wie geht es nun weiter?“

„Lea sollte hier bleiben, meinst du nicht?“

„Natürlich, das ist selbstverständlich.“ murmelte Catherine und lehnte sich zurück.

Lestat setzte sich zu ihr. Er wollte sie berühren, doch er vermutete, dass sie das im Moment nicht brauchen konnte. Schweigend saß er da, betrachtete sie ab und zu von der Seite und wartete wieder ab.

Seine Gedanken brachen von dem Thema los, um das sie in den vergangenen Stunden gekreist hatten, und öffneten sich Catherine. Er war gerne in ihrer Nähe. Er betrachtete sie gerne, liebte es, ihre Stimme zu hören oder ihr einfach nur zuzusehen, wenn sie nachdachte, wenn sie las, wenn sie schlief. Sie hatte keine Ahnung, wie oft er zumindest ihren Anblick gesucht hatte, als er gegangen war. Verschwunden, wie sie gesagt hatte.

Warum hatte er nur auf Marius und David gehört, die sich Elizabeth gefügt hatten? Er hätte Catherine ergreifen sollen und ihr irgendwo zeigen sollen, wie das Leben mit ihm sein konnte… Wieder einmal war er unrealistisch. Ein Lächeln umspielte seine Züge. Er bezweifelte, dass sie es ihm jemals gestattet hätte. Nicht, wenn es noch etwas herauszufinden gab, das sie nicht bedachte hatte - doch war sie sich jetzt sicher, dass sie alles überprüft hatte? Er konnte es nicht sagen.

Doch nun war sie hier – bei ihm. Sie saß neben ihm und begegnete seinem Blick, als er wieder aufsah. Ihr Blick war ruhig und auf ihn gerichtet – nur auf ihn.

Sie lächelte und schob für einen Augenblick ihre Sorgen beiseite.

„Ich bin froh, dass du hier bist, Lestat.“ gestand sie, strich ihm leicht über die Wange und erhob sich geschmeidig.

Lestat folgte ihren Bewegungen mit seinem Blick und fühlte sich plötzlich so angenommen wie noch nie zuvor in seinem Leben.

„Wohin gehst du?“ fragte er, als sie die Tür beinahe erreicht hatte.

„Ich möchte noch einmal nach Lea sehen. Dann werde ich mir ein Bett beziehen. Ich bin ziemlich müde.“ erklärte sie wieder lächelnd.

Lestat wartete auf ein Wort, auf eine Geste. In ihrer Gegenwart schien er nichts anderes zu tun als zu warten. Catherine blieb stumm.

„Ich muss noch einmal… nach draußen.“ meinte er schließlich, doch er konnte die Enttäuschung wohl kaum ganz verbergen.

Wie gerne wäre er zu ihr gestürmt und hätte sie in ein – gerne auch unbezogenes – Bett gezogen! Doch etwas in ihrem Blick sagte ihm, dass er es lassen sollte. Catherines Augen ruhten auf ihm, als ob sie selbst nachzudenken schien.

„Ich möchte eine Weile mit Lea allein sein.“ sagte sie, als sie nach dem Türgriff tastete.

Lestat verkrampfte sich innerlich. Sie wollte ihn gerade nicht dabei haben. Sie konnte ihn nicht brauchen. Sie wollte allein sein. Allein mit Lea, ihrer Cousine. Sie stieß ihn weg. Nein… Sie brauchte nur Zeit mit ihrer Cousine Lea. Das war alles. Er nickte langsam und versuchte, sich so normal wie möglich zu verhalten.

„Ich bin mir sicher, du findest mich später, wenn du zurückkommst... Oder nicht, Lestat?“ wandte sie sich noch einmal an ihn, bevor sie ohne eine Antwort abzuwarten, durch die Tür verschwand.

Sie sah sein perplexes Nicken nicht mehr – genauso wenig wie sein darauf folgendes, freudestrahlendes Lächeln. Catherine… manchmal war sie einfach zu viel für ihn, musste er zugeben. Er hörte, wie ihre Schritte in der Halle und auf den Treppenstufen verstummten und bemerkte, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte, wenn sie ihm immer wieder kleine Lektionen in der Disziplin erteilte, die er am wenigsten beherrschte: Geduld.
 

Catherine setzte sich an Leas Bett und betrachtete sie. Nun schlief sie ruhig – das Medikament wirkte noch, doch Catherine wusste nicht genau, wie lange das noch anhalten würde.

Ihre Cousine. Es war seltsam, so von ihr zu denken, aber es fiel ihr leichter, als sie gedacht hatte. Sie musste leicht lächeln, als sie daran dachte, dass sie Lea in Edinburgh als ihre Cousine vorgestellt hatte, um unnötige Fragen zu verhindern. Freundinnen mit ihrem Altersunterschied hätten vielleicht mehr Aufmerksamkeit erregt als Verwandte. Nun war es wahr. Lea war ihre Cousine. Familie.

Sie hatte eigentlich keine mehr. Sie hatte die verloren, die sie für sicher erachtet hatte. Sie hatte so etwas wie eine neue bekommen und nun erfahren, dass sie tatsächlich noch Verwandtschaft hatte – mit der sie nichts mehr zu haben wollte.

Lea hatte ihre alte Familie ebenfalls verloren – sie wollte keinen Kontakt mehr, wollte ihn schon nicht mehr richtig, bevor ihre eigene Mutter sie einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte. Catherine konnte sich nur vorstellen, dass Lea mit ihrer Familie endgültig fertig war. Beide hatten keine mehr, denn Lea und sie gingen wohl kaum als Familie durch.

Catherine lachte wieder leise und schüttelte den Kopf. Es war so, wie es war. Nichts konnte daran etwas ändern. Am aller wenigsten sie. Sie war im Moment nur erleichtert, dass Lea nichts geschehen war.

Geräuschlos erhob sich Catherine nach einer Weile, ging zum Schrank hinüber, um Bettzeug zu holen und machte sich dann in eines der Gästezimmer auf, wo sie sich wenigstens etwas hinlegen wollte. Sie war so unglaublich müde.
 

Es schienen Stunden zu vergehen, ehe Catherine das leise Geräusch der Tür hörte, die sich öffnete. Sie wandte sich zur Tür und erblickte den, den sie die gesamte Zeit erwartet hatte.

„Ich dachte, du bist müde?“ fragte er und schloss die Tür wieder hinter sich.

Catherine nickte und betrachtete ihn, als er sich vorsichtig dem Bett näherte.

„Weshalb schläfst du dann nicht?“

„Ich kann nicht.“ gab sie zu und rutschte ein Stück weiter in die Mitte des Bettes, sodass er sich setzen konnte.

„Hast du auf mich gewartet?“ flüsterte er, beugte sich hinunter und presste seine Lippen sanft an ihre Stirn.

„Ja, ich habe auf dich gewartet, aber mir geht auch so viel im Kopf herum, dass ich nicht einschlafen kann.“

„Was denn?“ wollte er wissen und rutschte wieder ein Stück zurück, sodass er sie ansehen konnte.

„Das alles… Es ist so verwirrend im Moment, aber trotzdem habe ich schon lange nicht mehr so klar gesehen. Ich fühle mich zerrissen, aber trotzdem vollständig. Die Neuigkeiten über meinen Bruder Lucien sind so niederschmetternd, aber trotzdem fühle ich, dass ich endlich genug Kraft aufbringen könnte. Ist das nicht seltsam?“

Catherine richtete sich auf ihre Ellenbogen auf und blickte ihn an.

„Genug Kraft aufbringen… wofür?“ fragte Lestat nach und strich mit seinen Fingern über ihren Handrücken.

„Kraft, um mich wieder in die Nachforschungen zu stürzen. Kraft, um all das noch einmal – vielleicht zum tausendsten Mal – gedanklich durchzugehen. Kraft, wieder mit dem Training anzufangen…. All das… Kraft, all das endlich zu Ende zu bringen.“ erklärte sie mit ernsten Augen und suchte seinen Blick.

„Ich verstehe.“ murmelte er sachte.

„Ich will es zu Ende bringen – egal, was es ist und egal, wie es ausgeht. Ich bin ruhig bei den Gedanken an einen tödlichen Ausgang. Ich bin bereit dafür. Verstehst du das wirklich?“

„Verstehen… Hm, nein. Das verstehe ich nicht.“ gab er zu, während Catherine ihm nur zuhörte. „Ich will dich nicht verlieren, aber wenn es das ist, was du willst…“

„Ich kann nicht weiter davonlaufen. Ich kann nicht leben, wenn ich es nicht beende.“ unterbrach sie ihn.

Er nickte und blickte sie an. Gerade als sie weiter erklären wollte, legte er ihr vorsichtig und sanft zwei seiner Finger auf die schon halb geöffneten Lippen. Ihre warme und weiche Haut pulsierte unter seinen Berührungen.

„Ich verstehe es nicht, aber ich akzeptiere es. Vielleicht verstehe ich es bald, aber bis dahin sollte es mir reichen, dass es dein Wunsch ist. Und irgendwie ist es auch deine Aufgabe, also möchte ich dich um etwas bitten.“

Catherine nickte zaghaft. Konnte sie ihm geben, was er erbat?

„Lass mich dir helfen. Lass deine Aufgabe meine werden.“ meinte er.

Catherine nickte ruhig. Diese Bitte konnte sie ihm erfüllen.

„Lass mich bei dir sein. Lass mich dich schützen, so weit es mir möglich ist.“

„Sicher. Ja. Wenn es das ist, was du willst…“ entgegnete Catherine und fühlte, dass ihr Herz sich scheinbar unglaublich weitete, sie wärmte und sie überflutete.

„Das ist noch nicht alles.“ flüsterte er rau und beugte sich über sie.

„Nicht?“ fragte Catherine, doch sie wusste, dass sie ihm nur zu gerne geben würde, was demnächst auf sie zukam.

„Lass mich dich lieben, so gut ich kann.“ bat er fest und sah sie nur an.

„Ich dachte, darüber seien wir uns schon vorhin einig gewesen?“ entgegnete Catherine und zog ihn ganz dicht an sich.

„Ich will dich nicht verlieren – unter keinen Umständen.“ gestand er und sie nickte.

„Ich werde nie von dir verlangen, dass du gehst, aber du kannst jederzeit gehen, wenn du es so willst.“ versprach sie ihm.

„Jederzeit?“

„Jederzeit.“ wiederholte sie und nickte.

„Dann also… niemals.“ hauchte er gegen ihre Lippen und führte seine Handlungen dort fort, wo Armand vor einigen Stunden gestört hatte.



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