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Adventskalender 2011

Eine Kurzgeschichtensammlung
von

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Türchen 20 - Kostbare Puppen

Wo war diese verdammte Christbaumschmuckkiste? Jennifer verzweifelte auf dem Dachboden. Durch den ganzen Staub, den sie aufgewirbelt hatte, musste sie niesen.

„Ich glaub, ich brauch ne Pause…“ Sie setzte sich auf den nächst besten Karton.

Dieser war jedoch so fragil, dass er unter ihrem Gewicht einknickte. Erschrocken erhob sie sich und schaute hinein.

Sie entdecke eine unermessliche Anzahl von Puppen mit verfilzten Haaren. Mitten darin fiel ihr ein gebundenes Buch in die Hände. Sie blätterte die letzte Seite auf und entzifferte die wacklige Schrift:
 

25. Dezember 1970
 

Wo fang ich an? Am besten von ganz vorn.

Meine Lieblingstante Ursula hat es zu gut mit mir gemeint.

Als Fünfjährige habe ich ihre Puppensammlung mit großen Augen bestaunt. Seitdem bekam ich jedes Jahr zu Weihnachten eine Puppe von ihr geschenkt.

Einmal war es ein winziges, fingergroßes Püppchen mit einem hübschen blauen Seidenkleid; eine mit einem roten Samtkleid, oder eine mit einem gepunkteten Baumwollkleid. Die Jahre darauf bekam ich eine mit engelhaften blonden Locken, oder mit kurzen dunklen Fransenhaaren, auch mal eine mit einer gigantischen Schleife im Haar, und eine mit Sommersprossen. Puppen mit Schnürschuhen, mit Ballerinas, mit weißen Strümpfen oder rosafarbenen; mit einem Körper aus Porzellan oder einem aus Stoff, mit niedlichen schokobraunen Augen, oder mal mit grünen und langen Wimpern...

Ich wusste immer, was sich in dem liebevoll verpackten Geschenk unterm Weihnachtsbaum befand, das war das einzige, worauf an Weihnachten Verlass war.

Je älter ich wurde, desto hübscher, teurer und aufwendiger und auch größer wurden die Puppen und ihre Kleider, sogar bis in mein Erwachsenenalter hinein.

Keine meiner Freundinnen erlaubte ich, mit ihnen zu spielen, nicht einmal meiner Schwester Gabi, denn Tante Ursulas Puppen waren etwas ganz besonderes für mich.

Doch irgendwann fand ich mich zu alt dafür und hatte von Puppen die Nase voll. Das hätte Tante Ursula aber zu sehr gekränkt, also sagte ich ihr nicht, dass ich Puppen nicht mehr sehen konnte. Die fromme Witwe hatte doch nichts anderes in ihrem Leben mehr.. Ich packte alle in eine große Truhe, die noch heute irgendwo im Keller steht. Kündigte sich Tante Ursula zu Besuch an, so holte ich alle heraus und setzte sie demonstrativ auf die Kommode, und ihr Herz blühte auf, als sie das sah und ich liebte ihre leuchtenden Augen. Wie also käme ich dazu, der alten Frau die Freude zu verbieten, mir jemals wieder eine zu schenken?
 

Letztes Jahr zu Weihnachten bekam ich die neunzehnte Puppe, und kurz darauf ist Tante Ursula gestorben.

Dieses Weihnachten jedoch werde ich niemals vergessen können.

Ich habe gestern, pünktlich zu Heiligabend, meine zwanzigste Puppe bekommen.

Unter Schmerzen und Anstrengung habe ich dieses Monster aus meinem Körper gepresst.

Eine nackte, leblose, kalte, bleiche, seelenlose…eine gottverdammte PUPPE! An diesem Kind war rein gar nichts echt. Die Augen haben mich seelenlos angestarrt und die Wangen waren so rosig.

Der grauenhafte Anblick verfolgt mich bis in meine Träume.

Was wird mit mir passieren, wenn das jemand im Dorf erfährt? Horst besäuft sich jetzt in der Kneipe, und Gabi anzurufen, hab ich noch nicht geschafft.

Vom Bett aus kann ich den Nachthimmel sehen, und ich frage mich, Tante Ursula, was um alles in der Welt willst du mir damit sagen?
 

Das Tagebuch ihrer Tante Gerda fiel Jennifer aus den zitternden Händen, wieder in den Karton hinein, wo es besser für alle Ewigkeiten drin geblieben wäre.

„Da steckst du?“, erklang die sanfte Stimme ihres Mannes, der die knarrende Treppe hinauf stieg. „Du sollst doch nicht so schwer heben, Schatz!“ Zärtlich legte er die Arme um sie und streichelte ihren Babybauch, doch Jennifer wurde das mulmige Gefühl einfach nicht los.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AikaTadano
2011-12-20T19:36:35+00:00 20.12.2011 20:36
Böse, böse!
Ich liebe diese Geschichte! Besonders weil ich Puppenhorror mag.^^
Und grad hab ich ein wirklich kribbeliges Gefühl, denn ich hab heute Nacht von nem Baby geträumt... o_O


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