Zum Inhalt der Seite

Erster Teil: Du kennst mich nicht und doch hasst du mich!

~*Joey x Kaiba*~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Abscheu

~Du kennst mich nicht und doch hasst du mich~
 

... von Mononoke_chan
 

Fandom: YU-GI-OH!

Disclaimer: Die in der Geschichte dargestellten Charaktere gehören leider nicht mir, sondern einzig und allein Kazuki Takahashi, dem ich für seinen Einfallsreichtum danke. XD~

Pairing: Wheeler/Kaiba
 

Bemerkung der Autorin:

Ich wünsche euch viel Spaß mit der Geschichte. ^_____~/)

Nur noch eine Sache: In der Geschichte ist Mokuba nicht älter als 8 Jahre. Damit ihr euch nicht über sein durchaus kindliches Verhalten beschwert. Ich fand es nur interessanter und brauchte ihn als kleinen Spaßmacher.
 

Auf geht's~!
 

~*~*~
 

Langsam stieg er in das Auto, setzte sich und schloss die Tür hinter sich. Seine Hände sanken auf die Oberschenkel hinab und er verharrte reglos. Sein Bauch hob und senkte sich unter schnellen Atemzügen, das Blut pulsierte in seinen Venen, sein Herz raste und seine Gesichtszüge zuckten, als er auf die düstre Straße starrte, die leblos vor ihm lag.

"Jetzt zahle ich es dir heim." Seine Lippen verzerrten sich zu einem humorlosen Grinsen. "Du wirst es bereuen, mich gefeuert... mein Leben zerstört zu haben! Stirb, ehemaliger Boss! Stirb, Seto Kaiba!"

Verkrampft bohrten sich die Fingernägel in die abgenutzte Jeans, die breiten Schultern hoben sich unter einem tiefen Atemzug. Langsam hob er die vor Wut zitternden Hände. Mit der Rechten umfasste er das Lenkrad, mit der Linken drehte er den Zündschlüssel. Der Motor wurde gestartet, die grellen Scheinwerfer des Autos leuchteten auf und erhellten die finstere Gegend.

"Ich würde mich freuen, wenn du pünktlich bist." Hastig umfasste er den Gangschalter, zog ihn hinab und riss ihn zur Seite. "Nur für dich wäre es nicht sonderlich gut!"

Vorsichtig trat er auf das Gaspedal und das Auto setzte sich in Bewegung. In einem gemächlichen Tempo fuhr er die Straße entlang und noch immer grinste er.

Er freute sich auf das Kommende und obgleich er seinen Plan noch nicht in die Tat umgesetzt hatte, knisterte die Schadenfreude in ihm.

"Du hast genau gewusst, dass ich das Geld dringend brauche." Er drehte das Lenkrad und bog um eine Ecke. Die Straßen waren menschenleer. Es war spät in der Nacht. "Ich habe immer gute Arbeit geleistet!" Die Finger pressten sich um das Lenkrad. "Du springst mit Menschen um, als wären sie Schachfiguren! Wer deiner nicht würdig ist, wird gefeuert! Seto Kaiba, wer ist einem Genie wie dir schon würdig!"

Erneut bog er ab und somit erreichte er sein Ziel. Zu beiden Seiten der Straße führten enge Seitenstraßen ab. Sie schlängelten sich durch prunkvolle Gebäude angesehener Firmen. Doch den Bauten schenkte der Mann keinerlei Beachtung. Er brachte das Auto zum Stillstand, neigte sich leicht nach vorn und warf einen prüfenden Blick zu einem der Gebäude. Dies war das einzige Haus, in dem noch Licht brannte. Nervös leckte sich der Mann die spröden Lippen, seine Hand tastete nach einem Hebel. Kurz darauf schalteten sich die Scheinwerfer des Autos aus und die vollkommene Finsternis kehrte zurück.

"Nicht nur ich werde mich über deine Todesanzeige freuen!" Hastig wandte er sich um und musterte kurz die Gegend. Dann drehte er das Lenkrad, fuhr zurück und bog in eine der Nebenstraßen ein. Rückwärts fuhr er über die schmale Straße. Er fuhr so weit, bis das Auto beinahe hinter der Ecke verschwand, er die Straße jedoch noch überblicken konnte. Und dort verharrte er. Ungeduldig starrte er auf das eine Gebäude, seine Hände rieben nervös die Oberschenkel. Er wartete, und aller zehn Sekunden warf er einen Blick auf die Uhr.

"Komm schon!", fauchte er nach zwei unendlich erscheinenden Minuten. "Das ist doch sonst nicht deine Art!"

Der Motor des Autos lief, der Fuß schob sich mehrmals über das Gaspedal.

Und wie ein Blitz durchzuckte es ihn, als die Tür des Bürogebäudes aufschwang. Sofort griff er nach dem Lenkrad, rutschte im Sitz nach vorn und starrte mit flammenden Augen auf zwei Personen, die nun auf die Straße hinaustraten. Der eine Mann war von hünenhafter Statur und trug einen grauen Anzug. Der Andere jedoch... die Augen des Mannes verengten sich… der Andere trug einen Weißen. Diese Robe war ihm nur zu bekannt.

Er beobachtete seinen ehemaligen Chef, wie er dem Hünen die Hand schüttelte und noch kurz mit ihm sprach. Vermutlich handelte es um Geschäfte. So wie alles im Leben von Seto Kaiba.

Während sich Kaiba letzten Endes von seinem Geschäftspartner abwandte, sah sich der Mann eilig um. Die Limousine stand in einer der Seitenstraßen. Kaiba würde zu ihr laufen, sie jedoch nie erreichen, denn glücklicherweise betrat dieser die richtige Seite des Fußweges. Mit seinem Koffer ließ er das Gebäude in eiligen Schritten hinter sich und zeitgleich, als er über die Bordsteinkante stieg, war das Auto in der Finsternis der Seitenstraße verschwunden.

Konzentriert duckte sich der Mann hinter das Lenkrad, die Straße, die nur wenige Meter vor ihm vorbeiführte, und die Kaiba überqueren musste, stets fixierend.

Es durfte nicht schief gehen.

Er musste ihn voll erwischen und somit einen Ausgleich schaffen.

Kaiba hatte es nicht anders verdient!

Erneut leckte er sich die Lippen, die Finger spreizten sich vom Lenkrad, umklammerten es jedoch sofort wieder. Kaiba hatte ihn in den Ruin getrieben!

Er machte sich keinerlei Gedanken darüber, ob seine Angestellten verzweifelt auf diesen Beruf angewiesen waren.

Schritte...!

Eine kalte Gänsehaut kroch über den Rücken des Mannes, der Motor brummte.

Er musste den richtigen Zeitpunkt erwischen.

Er hatte es zu lang geplant, als dass es nun misslingen durfte. Die schnellen Schritte näherten sich, wurden lauter. Es würden ihm nur wenige Sekunden bleiben. Eine weitere Sache die ihn beunruhigte, war die Distanz zwischen der Straße und seinem Auto. Würde es ihm gelingen, auf den wenigen Metern eine ausreichende Geschwindigkeit zu erreichen, damit Kaiba bei diesem 'Unfall' ums Leben kam?

Verzweifelt unterdrückte er seinen Atem, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Und dann kam der Zeitpunkt!

Kaiba erschien vor der Ecke, trat auf die Straße und ging weiter. Sofort rammte sich der Fuß gegen das Gaspedal und die Räder drehten quietschend durch. Ein schrilles Geräusch brach den nächtlichen Frieden und das Auto setzte sich in Bewegung. Schon als der erste Laut ertönt war, war Kaiba stehen geblieben. Als er jedoch zu dem Auto herum fuhr, hatte dieses ihn fast erreicht. Die Zeit reichte gerade noch aus, Kaiba den Fahrer erkennen zu lassen. Nur kurz trafen sich ihre Blicke, dann rammte der Stoßdämpfer des Wagens Kaibas Beine. Sofort verlor dieser den Koffer aus der Hand, seine Beine verloren den Halt und er schlitterte donnernd über die Motorhaube. Unbarmherzig trat der Mann auf das Gaspedal, seine Augen glichen denen eines Wahnsinnigen, doch das Auto war nicht schnell genug, um Kaiba mit sich zu reißen.

So kam es, dass dieser über die Motorhaube rutschte und seitlich zu Boden stürzte. Hart schlug er auf der Bordsteinkante auf, das Auto raste an ihm vorbei.

Hastig drehte der Mann das Lenkrad, bog um die Ecke und beschleunigte. Schallend lachend, warf er einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Und noch lauter schrie er, als er Kaiba bewegungslos dort liegen sah.

Es war geglückt!

Voller Siegesgewissheit steuerte er das Auto um die nächste Ecke, raste an der Limousine vorbei und verschwand alsbald in der Dunkelheit.
 

"Verfluchter...!" Benommen wälzte sich Kaiba zur Seite, rollte sich von der Bordsteinkante und blieb auf dem Asphalt liegen, auf dem er stockend beide Arme von sich streckte. Zuckend bewegten sich seine Lider, als er in die Dunkelheit hineinblinzelte und ein gedrungenes Ächzen drang aus seinem Hals, als er die Augen wieder schloss. Das dumpfe Pochen in seinem Kopf machte auf die Wunde aufmerksam, die sich über seine Stirn zog. Doch kein Vergleich zu dem Stechen, welches in der Schulter herrschte, mit der er aufgeschlagen war. Er regte sich ächzend, winkelte das rechte Bein an und hob die Hand zum Gesicht. Er rieb sich die Augen, fuhr mit den Fingerkuppen über die Stirn und umging die schmerzende Wunde. Träge ließ er die Hand kurz darauf sinken, abermals hoben sich seine Lider und kühl durchzuckte das Licht der Straßenlaternen seine Pupillen, als sie zum Vorschein kamen. Bald darauf rollte er sich auf die Seite und versuchte sich krampfhaft aufzurichten.

"Katagori...", ächzte er kraftlos und stemmte sich mit den Armen vom Boden ab. Seine Miene zuckte. "Wenn du glaubst, ich lasse mich von so etwas beeindrucken, dann...", seine Ellbogen erzitterten, die aufgezwungene Kraft schwand und er sank auf den Boden zurück. Unter einem leisen Fluch ballte er die Hände zu Fäusten und trieb sich zu einem weiteren Versuch. "Du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein!"

Weitere Flüche kamen über seine Lippen, während er mit sich rang und sich in eine aufrechte Haltung kämpfte. Doch sobald er hockte, durchzuckte ein Schmerz seinen Kopf, unter dem er abermals aufzischte.

"Gottver..." Der Schwindel übermannte ihn und zwang ihn zurück auf den Boden, auf welchem er sich angespannt räkelte. "Du wirst mich kennenlernen!"

Er spuckte einen Fluch nach dem anderen, versuchte die alte Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen und blieb letzten Endes doch liegen.

Die Limousine stand am Ende dieser Straße und doch konnte er sie nicht erreichen. Man konnte es Glück im Unglück nennen... nicht auszudenken, in welchem Zustand er sich befinden würde, hätte der Wagen ihn in voller Fahrt erfasst.

Lange blieb er liegen, atmete tief und kontrolliert und versuchte das Schwindelgefühl zu verdrängen. Er tat seinem Körper dabei keinen Gefallen und kämpfte sich bald unter vielen Umständen auf die Beine. Er keuchte, biss die Zähne zusammen und schwankte, als er endlich aufrecht stand. Sein linkes Bein konnte er nicht belasten, ohne dass es schmerzte. Seine Haut spannte bei jeder Bewegung, ein laues Lüftchen ließ ebenso die warme Feuchtigkeit spüren, die durch den Stoff seiner Hose drang. Flüchtig stützte er die Hand auf die Verletzung, stemmte keuchend den Rücken durch und löste die Hand vom Bein. Ohne das Blut zu beachten, fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund, spuckte zur Seite und rieb sich den Nacken. Die Schulter fühlte sich nicht so an, als ginge es ihr besser als dem Bein. Seine Muskeln protestierten bei der kleinsten Belastung und so ließ er den Arm sinken und hängen.

Nachdem er festeren Halt auf seinen Beinen gefunden hatte, drehte er sich zu seinem Koffer um. Er verengte die Augen, starrte ihn an und zog die Nase hoch, bevor er sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzte und schwankend näher trat. Nachdem er über die Bordsteinkante gestiegen war und bereits vor seinem Koffer stand, presste er die Lippen aufeinander, unterdrückte mit aller Kraft ein Ächzen und schnappte nach Luft.

"Du wirst etwas erleben!"

Stockend beugte er sich hinab. All seine Glieder streikten und so war es ihm ein schweres, den Koffer zu erreichen. Doch nach einigen Verrenkungen fasste er ihn.

"Du kommst nicht ungeschoren davon!"

Humpelnd drehte er sich um. Der Koffer schien plötzlich schwerer zu sein, er war kaum noch zu halten und als Kaiba den ersten Schritt tat, hatte er das Gefühl, ein schwerer Druck würde auf seinen Schultern lasten. Eine jede Bewegung verlangte ihm viel ab und als er um die Ecke bog, brach das unterdrückte Keuchen doch aus ihm heraus. In seinem Kopf hämmerte es und er fühlte sich, als sei er gerade erst aufgestanden, als sei er schlaftrunken, bekäme von seiner Umwelt nicht allzu viel mit.

Doch es wäre gelacht, wenn er es nicht wenigstens bis zu seiner Limousine schaffen würde. So ein kleiner Unfall machte ihm nichts aus!

Seine Meinung änderte sich nach wenigen weiteren Schritten. Er blieb stehen, ließ kraftlos die Schultern hängen und rang nach Atem. Gut... dann eben anders.

Mit einer trägen Bewegung stellte er den Koffer ab, richtete sich wieder auf und begann in den Taschen seines Anzuges nach dem Handy zu suchen. Er wühlte in jeder Tasche, wurde jedoch nicht fündig. Bald hielt er in den Bewegungen inne und sein Gesicht verfinsterte sich, als er sich umdrehte und zu dem Gebäude zurück sah, in dem er soeben noch gesessen und debattiert hatte.

Er hatte es doch nicht etwa liegen gelassen...?

Einen weiteren Fluch fauchend, bückte er sich wieder nach seinem Koffer, hob ihn an und quälte sich weiter.

>Das kann nicht wahr sein<, dachte er sich, als er spürte, wie seine Knie unter einem permanenten Zittern weich wurden. >Geht heute alles schief?!<

Flimmernd blickte er auf und starrte auf den Weg, der endlos zu sein schien. Sein Atem begann schwerer zu fallen, die Lunge schien sich zuzuschnüren.

>Schlimmer kann es nicht werden<, zog es ihm durch den Kopf und er stöhnte. Er wollte das Gesicht sinken lassen, zögerte jedoch, als er einen jungen Mann erspähte, der nur wenige Meter vor ihm aus einer der Nebenstraßen trat.

Joey schlenkerte mit einem Beutel, atmete genüsslich die frische Nachtluft ein und wollte sich umdrehen, um weiterzuschlendern, doch hielt inne.

Er entdeckte Kaiba, der mit finsterer Miene einher getrottet kam. Überrascht konnte sich Joey nicht nennen. Er ließ den Beutel sinken und zog ein ebenso langes Gesicht. Auch froh über diese Begegnung war er nicht. Gerade war er noch an der Tankstelle gewesen, um etwas zu besorgen.

Gerade hatte er sich außerdem noch bester Laune erfreut.

Doch nun...?

>Wheeler!< Kaiba ließ das Gesicht sinken und biss die Zähne zusammen. >Dieser Idiot hat mir gerade noch gefehlt!<

>Kaiba!< Joey schnitt eine Grimasse. >Dieser Idiot hat mir gerade noch gefehlt!<

Er erlebte hier einen plötzlichen Stimmungswechsel, über den nur Kaiba Macht besaß. Und seine Mimik verleitete geradewegs zu einer Erwiderung.

Was sollte man da tun?

Er verdrehte mit allerlei Hingabe die Augen. Natürlich würde es sich Kaiba nicht nehmen lassen, ihn mit der eigenen Freundlichkeit zu begrüßen, doch Joey war darauf gefasst und hielt schon so einige Antworten bereit. Er blieb stehen und sah Kaiba näher kommen. Dieser starrte noch immer auf den Boden. Dass er schwankte, fiel Joey nicht auf. Der junge Mann wartete, bis Kaiba ihn erreicht hatte. Er würde sich anhören, was er zu sagen hatte, dann würde er antworten. Er blickte äußerst säuerlich drein, als Kaiba an ihm vorbeizog.

Doch etwas fehlte...

Ja, Kaiba sagte nichts.

Kein einziges Wort. Keine Beleidigung, doch das war Joey herzlich egal. In der Schule hatte sich Kaiba zum erneuten Mal von seiner liebenswürdigsten Seite gezeigt und war so boshaft über ihn hergezogen, dass er es ihm nun zurückzahlen musste. Und das doppelt und dreifach... wenn das überhaupt möglich war.

"Hey Hoheit, ist dieser Weg deiner überhaupt würdig?", begann er also zu sticheln und sah Kaiba nach. "Mach dir nur nicht deine teuren Schuhe an ihm dreckig."

Noch immer erhielt er keine Antwort.

Kaiba ging einfach seiner Wege und das stimmte Joey noch grimmiger. Er wechselte den Beutel in die andere Hand und ballte die andere zu einer Faust, die er Kaiba nachstreckte.

"Du musst mich auch nicht beachten!", rief er und schnitt eine Grimasse. "Du eingebildeter..."

Er verstummte, als Kaiba strauchelte, schwankte und letzten Endes zusammenbrach. Er kippte einfach um, schlug auf dem Boden auf und blieb reglos liegen.

Mit offenem Mund und erhobener Faust blieb Joey stehen, doch sein Gesicht entspannte sich. Verdattert starrte er auf Kaiba, der sich noch immer nicht bewegte.

Er lag einfach dort herum!

Langsam ließ Joey die Hand sinken, der Mund jedoch blieb offen. Verstört löste er den Blick von ihm und sah sich um.

Die Straßen waren leer... sie waren allein und er verstand die Welt nicht mehr. Eine ganze Zeit blieb er dort stehen und wusste nicht, was er tun sollte, dann jedoch trat er langsam näher. Kaiba lag auf dem Rücken, das Gesicht war zur Seite gedreht, die Augen... geschlossen. Neben ihm blieb Joey nun stehen und beäugte sich erst einmal die Wunde auf der Stirn, bevor er sich vorsichtig über ihn beugte.

"Hey", flüsterte er leise und stützte die Hände auf die Knie. "Hey, bist du tot?"

Keine Reaktion... kein Zucken der Miene, der Lider...

Verdattert schüttelte Joey den Kopf, stellte den Beutel zur Seite und trat wieder an ihn heran.

"Hey", flüsterte er erneut, diesmal jedoch lauter. Dann trat er einen Schritt zurück und stupste Kaiba leicht mit dem Fuß an, um auch gleich zurückzuweichen, doch Kaiba zeigte noch immer keine Reaktion und nun bekam Joey doch ein mulmiges Gefühl.

Er runzelte die Stirn, trat wieder an ihn heran und hockte sich hin. Verunsichert warf er einen Blick zu Kaibas Hand, überwand jedoch seine Ängste und griff nach ihr. Er hob sie an und tastete nach dem Puls. Und glücklicherweise spürte er, wie er schlug. Sicher und gleichmäßig. Erleichtert atmete er auf, legte die Hand zurück und kratzte sich am Kopf.

"Oh man", stöhnte er nervös und sah sich erneut um, nach Hilfe suchend. "Was jetzt?"

Ehrlich gesagt... er hatte keine Ahnung.

Was sollte er denn tun?

Wenn er es recht bedachte, würde er ihn am liebsten liegen lassen. Er hatte ihm schon so oft geholfen, dabei nie eine Danksagung erhalten und diesmal würde es nicht anders sein. Doch zu einer solchen Tat war er nicht fähig.

Vielleicht sollte er einen Krankenwagen rufen?

Das Dumme daran war eigentlich nur, dass er nicht im Besitz eines Handys war. Aber Kaiba hatte ein Handy.

Na sicher, ein ganz Tolles und Teures.

Wieder stöhnte Joey, dann begann er vorsichtig in den Taschen des Anzuges zu suchen. Er ging äußerst behutsam vor und das nur, um sicherzugehen, dass Kaiba nicht aufwachte. Sicher würde er nicht milde reagieren, wenn er sah, dass er ihn durchsuchte.

Oh, er begab sich hier auf gefährliches Territorium. Es war purer Nervenkitzel in Kaibas Taschen zu wühlen, obwohl dieser anwesend war. Wie auch immer, Joey wurde nicht fündig. Er wusste nicht, was Kaiba zugestoßen war. Er war verletzt, soviel stand fest und es interessierte Joey auch nicht, wie es passiert war. Kaiba kümmerte sich einen Dreck um seine Probleme. Warum also, sollte er sich für die seinen interessieren? Aber er musste ihm helfen, sonst hätte er ein schlechtes Gewissen und somit das, was Kaiba nicht besaß. Hinzukommend war er der Art Mensch, der immer gern dazu bereit war, zu helfen.

Es kam nur darauf an, wem er helfen sollte...

Letzten Endes sah er nur noch eine Möglichkeit. Er wohnte gleich um die Ecke, es war kein langer Weg. Entweder er rannte schnell nach Hause und rief von dort aus einen Krankenwagen oder...

"Ich habe auch nichts Besseres zu tun!" Joey kam auf die Beine und klopfte sich die Hose sauber. "Jetzt darf ich schon Kaiba durch die Gegend schleifen!"

Und das würde er auch tun, denn es war zu gefährlich, ihn hier liegen zu lassen. Und nicht etwa für Kaiba, nein, für ihn. Leise fluchend, machte er sich an die Arbeit.

"Wenn ich Hilfe bräuchte, würde der sich doch vor Gelächter wegwerfen!", schimpfte er, als er nach seinem Beutel griff. "Aber wenn er ein Aua hat, darf jeder rennen!"

Joey schnitt eine Grimasse, rollte mit den Augen und hockte sich letztendlich vor Kaibas Kopf. Vorsichtig schob er die Hände unter die Schultern des jungen Mannes, griff unter seine Arme und zog ihn hoch. Kaibas Kinn sackte wie leblos auf die Brust hinab.

"Diese Art der Fortbewegung ist zwar nicht ganz so komfortabel wie die tolle Limousine, die du da hast aber wenn du auch nur ein Wort sagst, dann kannst du gleich auf der Straße schlafen!" Schnaufend hievte Joey ihn weiter und zog ihn über den Gehweg. "Und wenn du mir deshalb auch nur einen Vorwurf machst, dann kannst du was erleben! Dann lasse ich dich das nächste Mal liegen und du kannst sehen, wie du klar kommst!"

Nachdem Joey den jungen Mann durch eine der Nebenstraßen geschliffen hatte und letzten Endes vor seinem Haus stand, musste er ihn erst einmal ablegen, sich aufrichten und strecken.

"Verflucht ist der schwer!", stöhnte er entkräftet, lehnte sich gegen die Hauswand und schloss die Augen. "Boah!"

Kurz darauf warf er Kaiba einen knappen Blick zu, schnitt eine Grimasse und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

"Jetzt werde ich nicht einmal mehr zum Lernen kommen", bemerkte er vergrämt, als er ihn wieder packte und hoch hievte. Nicht zu vergessen war, dass er nebenbei auch noch den Beutel tragen musste.

Den Beutel?

Joey hielt inne, biss sich auf die Unterlippe und sah sich kurz um. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er stöhnte erneut, wie er es in den letzten Minuten so gern und oft getan hatte.

"Jetzt habe ich den dummen Koffer liegen gelassen!", fluchte er und schleifte Kaiba weiter. "Er wird mich umbringen!"

Mit letzter Kraft schleppte er ihn zur Haustür, drückte sie mit dem Rücken auf und zog ihn hinein.
 

~*to be continued*~

Begegnung

Es war früh am Morgen, als Kaiba das Bewusstsein zurück erlangte. Mit einem Mal öffnete er die Augen und starrte in die Dunkelheit, die ihn umgab. Er spürte keine Schmerzen, kein unwohles Gefühl, es ging ihm besser.

Vorerst regte er sich nicht, blieb bewegungslos und sah sich um. Doch es war stockdunkel und er konnte nichts erkennen.

>Was zur Hölle ist passiert…<, ging es ihm schleppend durch den Kopf. >Katagori hat versucht, mich umzubringen… doch dann…< Matt ließ er das Gesicht zur Seite sinken und blinzelte in die Finsternis hinein. >Verflucht noch mal, wo bin ich! Das ist nicht mein Bett!<

Ohne zu zögern griff er nach der Decke, die seinen Bauch wärmte, zog sie zur Seite und richtete sich auf. Er hatte keine Schmerzen, schien sich während des Schlafes gut erholt zu haben. Als er aufrecht saß, tastete er nach der Bettkante und fand sie. Noch etwas verschlafen zog er die Beine zur Seite und setzte die Füße auf den Boden. Er spürte einen weichen Teppich. In seinem Haus jedoch, war nur Parkett oder Marmor zu finden.

Also war das nicht einmal sein Haus?

Bevor er aufstand, rieb er sich den Nacken und fuhr sich auch über die Stirn. Dort ertastete er ein Pflaster. Dasselbe ziehende Gefühl spürte er auch auf seinem Rücken. Man hatte ihn verarztet. Kurz streckte er sein linkes Bein. Um das Knie war eine Binde gewickelt worden. Kaiba achtete nicht weiter darauf, stützte sich ab und kam auf die Beine, auf denen er nun sicherer als am gestrigen Tag stand.

Ja, er fühlte sich gekräftigt, vertrat sich an Ort und Stelle die Beine und sah sich weiterhin um. Nebenbei rieb er seinen Bauch. Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht. Er würde erst einmal schauen, wie er hier raus kam. Gerade wollte er sich auf den Weg machen, da zögerte er, ließ den Arm sinken und verzog das Gesicht.

Irgendetwas stimmte hier nicht...

Er hob die Nase und roch. Dann hob er wieder die Hand und wollte sich an der Schulter kratzen. Hier roch es... nach Wheeler.

Er verzog das Gesicht und kratzte sich. Ein düsterer Gedanke kam ihm.

Er war doch nicht etwa...

Noch immer konnte er nichts sehen, doch die Quelle des Geruches fand er schnell. Er zupfte an dem T-Shirt, welches er trug, ließ das Gesicht sinken und roch daran. Das gab es doch nicht... er trug wirklich ein Hemd von ihm!

Er zögerte keine Sekunde, griff nach dem Saum und streifte es sich geschwind über den Kopf. Nachlässig warf er es zur Seite, drehte sich um und ging einfach los. Irgendwo würde er schon eine Tür finden. Er ging wenige Schritte, bis er mit dem Fuß gegen einen recht harten Gegenstand stieß.

"Ver... verflucht!" Er stolperte nach vorn, stolperte durch die Dunkelheit und schlug kurze Zeit später gegen eine Wand. Was fluchte er, als er sich die schmerzende Stirn rieb, zurücktrat und tastete. Nein, das war ein Schrank. Viel Platz gab es hier ja nicht.

Nachdem er weitere Flüche gefaucht hatte, tastete er sich vorsichtig weiter. Er kam nur sehr langsam voran und erst nach einigen Augenblicken ertastete er einen kleinen Schalter. Sofort stellte er ihn um und eine Lampe hüllte den Raum in Helligkeit. Kaiba blinzelte, hob den Arm vor das Gesicht und sah sich blinzelnd um. Er stand in einem kleinen, jedoch geräumigen Wohnzimmer. Dennoch begutachtete er es mit säuerlicher Miene. Da gab es einige Schränke, einen Fernseher und Sessel. Und ein Sofa. Kaiba stöhnte, als er auf diesem Sofa eine Decke erspähte. Himmelherrgott, er hatte wirklich auf einem Sofa geschlafen.

Für alles gab es scheinbar ein erstes Mal.

Verzweifelt verdrehte er die Augen, ließ den Arm sinken und wandte sich zur Tür. Träge drückte er die Klinke hinab, öffnete sie und trat in den Flur hinaus. Dort brannte eine angenehme Nachtlampe, die es Kaiba erlaubte, sich umzuschauen und auch etwas zu erkennen. Doch er tat es nicht. Hier roch es überall nach Wheeler. Wo konnte er sein, wenn nicht bei ihm? Er schenkte dem Flur wenig Beachtung, trottete auf die Tür zu, die am nahesten lag und öffnete sie. Dabei ging er äußerst desinteressiert und gewissenlos vor. Die Tatsache, dass er sich in einer fremden Wohnung befand, hielt ihn nicht davon ab, sich umzuschauen. Der Raum, den er nun betrat, war das Bad.

Er konnte es jedoch erst bewundern, nachdem er auch hier das Licht angestellt hatte. Er mochte diese Schalter nicht. Man musste nach ihnen suchen und hinzukommend waren sie äußerst hässlich. Deshalb hatte er schon vor langer Zeit Bewegungsmelder anbringen lassen. Durch die schaltete sich das Licht automatisch ein, wenn jemand den Raum betrat. Das Bad war aufgeräumt und sauber und dennoch wandte sich Kaiba nach nur einem kurzen Blick ab. Er ließ das Licht brennen und machte sich wieder auf den Weg durch den Flur, steuerte auf die hinterste Tür zu, ließ die Hand auf die Klinke fallen und öffnete die Tür. Auch der folgende Raum war finster und so tastete Kaiba nach dem Schalter. Kurz darauf schaltete sich das Licht an.

Joey räkelte sich, murmelte etwas Verworrenes und zog sich das Kissen über den Kopf, nebenbei befreite er sich aus der Decke und trat sie mit dem Fuß auf den Boden. Brummend wälzte er sich zur Seite, schmuste mit der Wand und schlief weiter. Kaiba war stehen geblieben und starrte ihn erschüttert an.

Das reichte…

Er stöhnte gequält auf, drehte sich um und schlug gegen den Lichtschalter. Anschließend trödelte er wieder in den Flur hinaus.

Kaffee... er brauchte einen Kaffee.

Also begann er nach der Küche zu suchen. Allzu viele Türen gab es nicht und so wurde er schnell fündig. Die Küche war nicht nach seinem Geschmack. Sie war zu klein und der Kühlschrank besonders. Dennoch musste es hier irgendwo Kaffee geben. Die Tür ließ er angelehnt, als er sich vor die Schränke hockte und in ihnen zu wühlen begann.

Skrupellos räumte er die Fächer aus, ließ alles auf den Boden fallen und sah sich auch weiterhin nach Kaffee um. Nachdem er einen Schrank fast vollständig ausgeräumt hatte, begann er von neuem zu fluchen und machte sich an den Nächsten. Auch in diesem wurde er nicht fündig. Und als dessen Inhalt ebenfalls auf dem Boden lag, stand er auf und starrte mit trüber Miene auf die Kaffeemaschine, die auf einer sauberen Ablage stand. Und daneben?

Da stand natürlich der Kaffee.

Kaiba kratzte sich am Steiß, trat näher und begann zu werkeln. Zuerst fand er die Filter nicht. Das hieß, dass ein weiterer Schrank auf den Kopf gestellt wurde, doch in ihm wurde er fündig. Er ließ die ganzen Verpackungen und was noch alles auf dem Boden liegen und nahm die kleine Maschine unter die Lupe. Natürlich wusste er, wie so etwas funktionierte. Aber das war ein ganz besonders blödes Gerät.

Es konnte nur von Wheeler sein.

Erst nach einem bitteren Kampf begann die Maschine zu arbeiten und Kaiba wandte sich am Ende seiner Nerven ab. Dieses Ziel hatte er also erreicht, aber jetzt verlangte es ihm nach etwas anderem. Ja, er brauchte eine Zigarette. Während die Kaffeemaschine gluckerte, sah er sich um. Aber hier lagen keine Zigaretten herum. Nicht einmal ein verfluchter Aschenbecher. Kein Wunder, er befand sich in einer Nichtraucherwohnung. Aber das sollte ihn nicht von seinem Plan abhalten. In seinem Mantel hatte er noch eine Schachtel und den hatte er im Flur an der Garderobe hängen gesehen. Also verließ er die Küche und wurde wirklich fündig. Etwas zufriedener kehrte er zurück, warf die Schachtel auf den Tisch und sah sich nach einem geeigneten Aschenbecher um. Auf dem Tisch stand noch eine Tasse… die konnte er nehmen. Er trat an den Tisch heran und nahm sie in Augenschein. Auf dieser Tasse... war ein Bärchen.

Eine blöde Bärchentasse.

Sie konnte nur von Wheeler sein.

Bevor ihm wirklich schlecht wurde, zog er eine Zigarette aus der Schachtel, klemmte sie zwischen die Lippen und sah sich nach einem Feuerzeug um. Aber natürlich war auch so etwas nicht zu finden. Also riss er die Schubfächer auf und wühlte in ihnen. Und nach einer Ewigkeit fand er wirklich Streichhölzer. Streichhölzer!

Kaiba murrte und entzündete die Zigarette. Anschließend stieg er durch die am Boden liegenden Gegenstände und nahm sich eine Tasse aus einem der offenen Regale. In diese füllte er sich etwas Kaffee und ließ sich am Tisch nieder. Auf dem unbequemen Stuhl lehnte er sich zurück, streckte beide Beine von sich und nahm einen langen Zug.

Eigentlich hatte er Besseres zu tun, als hier zu sitzen aber er konnte nicht gehen, da er nicht wusste, wo sein Koffer war. Außerdem fehlte ihm noch etwas anderes... er musste wohl oder übel warten.

Während er seinen schwarzen Kaffee trank, schnippte er die Asche der Zigarette in die Bärchentasse und dachte darüber nach, wie er Katagori, seinen einstigen Angestellten, am schmerzhaftesten treffen könnte. Er hatte ihn klar und deutlich erkannt. Katagori würde sicher wüten, wenn er erfuhr, dass er am Leben war und sich bester Gesundheit erfreute. Ein höhnisches Grinsen zog an den hellen Lippen des jungen Mannes, als er sich etwas umsah.

Auf der anderen Seite... Kaiba kratzte sich am Kinn, könnte es schlimmer sein. Wenn er zum Beispiel in einem Krankenhaus aufgewacht wäre. Er wollte es sich nicht vorstellen, was es für einen Medienrummel gegeben hätte.

'Seto Kaiba entgeht nur knapp Mordanschlag!' oder: 'Seto Kaiba verletzt! Kaiba-Corporation mit kriminellen Verbindungen?'.

Ihm war bekannt, wie die Zeitungen übertrieben und sich übermäßig an der Unwahrheit bedienten. Alles, nur Aufsehen erregen und von diesem Aufsehen hatte er genug.

Erneut hob er die Tasse zum Mund und trank einen Schluck. Jetzt wurde er schon wieder von seiner wichtigen Arbeit abgehalten. Das Gerichtsverfahren würde viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen. Das Geld war kein Problem aber die Zeit ein umso Größeres. Seine Miene verfinsterte sich.

Diese Lappalien widerten ihn an!

Doch auf der anderen Seite... er verengte sinnierend die Augen, auf der anderen Seite gefiel ihm der Gedanke, Katagoris Leben bis aufs Letzte zu ruinieren. Also würde er es tun... nur so. Er lachte leise und nahm an der Tür eine Bewegung wahr. Einen Zug nehmend drehte er das Gesicht zur Seite und erblickte Joey. Zerstrubbelt und verschlafen trat dieser ein, fuhr sich durch den Schopf und wollte gerade herzlich gähnen, da hielt er inne. Er erspähte die verwüstete Küche... er erspähte Kaiba. Mit großen Augen starrte er ihn an, dann holte er tief Luft und sog sie in sich ein, bis es nicht mehr ging.

Anschließend hielt er sie an, blähte die Wangen auf und wurde rot im Gesicht. So blieb er einige Augenblicke stehen. Kaiba wandte desinteressiert den Blick ab und griff nach seiner Tasse.

"Wie...", Joey schnappte nach Luft, "... wie kannst du nur?!"

Während er schrie, sich die Haare raufte und erregt durch die Küche rannte, kratzte sich Kaiba nachdenklich an der Wange. Er grübelte wieder über Katagori.

"Du hast ja alles ausgeräumt!" Joey schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stieg hastig durch die Verpackungen, die in einem heillosen Durcheinander auf dem Boden lagen. "Was fällt dir ein?!"

Er spuckte einige Flüche, sprang aufgewühlt umher und begann letzten Endes aufzuräumen. Er stopfte das Zeug in die Schränke zurück und warf nebenbei giftige Blicke zu Kaiba. Dieser achtete nicht auf ihn.

"Du bist hier nicht zu Hause!", rief er, nachdem er die Schranktüren wieder zugedrückt hatte. "Besitzt du keinen Anstand? Verdammt noch mal, du hast so viel Geld, kauf dir doch mal welchen!"

>Ich könnte die Polizei zu ihm schicken, kann auch übertreiben, was den Unfall angeht.< Wieder grinste Kaiba. >Dann landet er erst einmal in Untersuchungshaft und ich kann seelenruhig weiterplanen.<

"Hey!" Plötzlich stand Joey neben ihm. Sein Gesicht war immer noch rot und sein Atem raste. "Das ist also der Dank dafür, ja?!"

>Katagori wird betteln und auf dem Boden kriechen!< Kaiba nahm einen weiteren Zug. >Aber er kann betteln und flehen so viel er will. Ich lasse das nicht mit mir machen!<

"Hey!" Joey fuchtelte aufgebracht mit den Fäusten. "Hörst du mir überhaupt zu?! Ich rede mit dir und das schon die ganze Zeit!"

Endlich schenkte Kaiba ihm Beachtung. Gelangweilt drehte er das Gesicht zu ihm, schickte ihm jedoch nur einen flüchtigen Blick.

"Zieh dir was an."

"Wa...?" Joey stand der Mund offen, als er an sich hinunterblickte. Er stand in Shorts vor ihm... und nachdem er kurz gegrübelt hatte, begann er wieder zu schreien. "Das ist meine Wohnung!", brüllte er. "Und ich laufe hier herum, wie ich will!!"

"Dann sorg wenigstens dafür, dass ich dich nicht sehen muss." Kaiba hob die Tasse, blies den Rauch hinein und äscherte nebenbei in die Bärchentasse. Und jetzt wurde Joey auch auf diese aufmerksam. Und er wurde so rot, dass man glauben konnte, er würde platzen. Entsetzt starrte er auf die Tasse, dann auf die Zigarette.

"Du... benutzt meine Tasse als Aschenbecher…?", stieß er ungläubig aus. "Meine Tasse?!"

Kaiba gähnte.

"Das ist nicht nur eine Tasse!" Joey grabschte nach ihr, brachte sie in Sicherheit. "Das ist meine Lieblingstasse!!"

Kaiba stellte die Eigene auf dem Tisch ab und lehnte sich gemütlich zurück. Joey rannte währenddessen zum Spülbecken und begann seine Bärchentasse zu schrubben. Dabei fluchte und jammerte er.

"Meine geliebte Tasse!", klagte er. "Serenity hat sie mir geschenkt!"

Kaiba rollte mit den Augen.

"Und du benutzt sie als Aschenbecher!" Joey fuhr zu ihm herum. "Du bist so..."

Er verstummte, bemerkte scheinbar, dass Kaiba ihm nicht zuhörte. Also raufte er sich wieder die Haare, rannte am Tisch vorbei und riss die Fenster auf.

"Und du verqualmst die ganze verfluchte Küche!"

Als er sich ins Freie lehnte und nach der frischen Morgenluft schnappte, ließ Kaiba die Zigarette sinken und äscherte auf den Boden. Einen Aschenbecher hatte er ja nun nicht mehr. Zum Glück fiel es Joey nicht auf. Unter einem erdrückten Seufzen ließ er sich auf das Fensterbrett sinken und zog ein langes Gesicht. "Das ist alles nicht fair."

"Okay." Kaiba schnippte die Zigarette aus dem Fenster. Sie flog über Joeys Kopf hinweg ins Freie. Auch das hatte der junge Mann nicht bemerkt, denn er richtete sich schnell auf.

"Okay?", fragte er bissig. "Ich finde hier gerade herzlich wenig okay! Was soll okay sein!"

Kaiba richtete sich auf und wandte sich mit düstrer Miene an ihn.

"Sicher nicht die Gesamtsituation. Erste Frage: Was mache ich hier! Zweite Frage: Wo sind meine Kleider!"

"Oh, oh, oh." Joey weitete mit gespielter Angst die Augen und trat zurück. "Jetzt wird er wütend! Ich bebe vor Angst!"

"Bist du zu blöd, um mir eine Antwort zu liefern, Wheeler!?" Kaiba neigte sich drohend nach vorn. "Ich weiß, dass es schwer ist aber versuch es wenigstens!"

"Glaubst du, mir gefällt es, dass du hier bist?!" Joey schnitt eine abfällige Grimasse. "Die Ärzte sagten, dass du nicht ins Krankenhaus musst und da ich die Telefonnummer von deinem Chauffeur nicht kenne, konnte ich dich leider nicht loswerden!"

"Welche Ärzte!", hakte Kaiba barsch nach.

"Nachdem ich dich hierher geschleppt habe, haben meinen Vater und ich einen Krankenwagen gerufen!" Joey stöhnte auf. "Leider wurdest du nicht schwer genug verletzt, wobei auch immer, ist mir schnurz! Ich hätte dich am liebsten auf die dreckige Straße zurückgelegt aber mein Vater meinte, dass du über Nacht hier bleiben sollst!"

"Schön." Kaiba winkte ab. "Ich will meine Kleider haben."

"Bekommst du!", erwiderte Joey bissig. "Wenn du dann endlich verschwindest?"

"Das werde ich!"

"Da bin ich aber erleichtert!" Joey stieß einen leisen Schrei aus, schüttelte den Kopf und stampfte an Kaiba vorbei, in den Flur. Kaiba sah ihm nicht nach, lehnte sich wieder zurück und fuhr sich durch den Schopf, der ebenfalls etwas zerzaust aussah.

>Wie tief bin ich gefallen, dass ich mir schon von diesem Esel helfen lassen muss!<

Kurze Zeit später kehrte Joey zurück. Mit einer ruppigen Bewegung warf er ihm seinen Anzug und sein Hemd zu.

"Der blöde Koffer steht im Flur! Den schleppe ich nicht noch einmal!"

>Was bin ich blöd<, dachte er sich, als er sich abwandte. >Da renn ich doch wirklich noch einmal zurück, um dieses dumme Ding zu holen!<

Während er sich auf den Weg zum Kühlschrank machte, begann Kaiba in den Taschen seines Anzuges zu wühlen. Er schien nach irgendetwas zu suchen, wurde jedoch nicht fündig. Er wühlte alles durch und fuhr letzten Endes zu Joey herum, der im Begriff war, sich sein Frühstück zu kreieren.

"Wo ist die Kette!"

"Welche Kette!", stöhnte Joey genervt.

"Die Kette, die ich gestern getragen habe!", antwortete Kaiba rasend vor Wut. "Die Kette, die ich immer trage! Ohne sie gehe ich nicht!"

"Ach, dann suche ich eben deine blöde Kette!" Wieder verschwand Joey aus der Küche.

Kaiba meinte, nicht richtig zu hören. Er schickte Joey einen scharfen Blick, erhob sich vom Stuhl und schlüpfte in das eigene Hemd. Flink knöpfte er es zu, fuhr er sich mit beiden Händen über den Bauch und atmete tief ein.

"Idiot!" Kopfschüttelnd griff er nach seinem Mantel. "So ein gottverdammter..."

"Ich finde die Kette nicht!", hörte er Joey aus einem der Zimmer rufen.

"Oh doch, das wirst du!!"

"Man!" Leise Geräusche ertönten, Joey schien zu wühlen. Kaiba stöhnte entnervt, trödelte zum Kühlschrank und öffnete ihn. Nicht allzu fasziniert sah er hinein und letzten Endes griff er nach einer Weintraube, steckte sie sich in den Mund und drehte sich um, nebenbei stieß er den Kühlschrank zu.

"Werde fertig!", rief er, während er auf den Flur hinaustrat.

"Ja, ja, ja!!" Kam die gereizte Antwort aus dem Wohnzimmer.

Kaiba vergeudete keine Zeit. Hastig stieg er in seine Stiefel, zog sie bis zu den Knien und schnürte die Schnallen fest zu. Nachdem er damit fertig war, erschien Joey. Stöhnend holte er aus und schmiss ihm die Kette zu.

"Da hast du das blöde Ding!"

Kaiba fing sie mit einer flinken Bewegung auf, ließ sie kurz baumeln und begutachtete sie von allen Seiten. Nachdem er dies getan hatte, blickte er auf und Joey wurde von einem scharfen Blick getroffen.

"Behandle diese Kette noch einmal so und du kannst etwas erleben!"

"Aber du darfst meine Lieblingstasse als Aschenbecher benutzen! Ja, so siehst du aus!" Joey nickte sarkastisch und stützte die Hände in die Hüften.

"Vergleich meine Kette nicht mit deiner hässlichen Tasse!" Kaiba streifte sich die Kette über den Kopf, griff nach dem Koffer und öffnete nebenbei die Wohnungstür.

"Bla", äffte Joey ihn nach. "Mach, dass du raus kommst, ich muss nachher noch in die Schule!"

"Gibt's auf! Du bist dumm und du bleibst dumm!" Mit diesen Worten trat Kaiba in den Hausflur hinaus und schmetterte die Tür hinter sich zu. Er hörte Joey noch schreien, achtete jedoch nicht darauf und stieg die Treppen hinab.
 

Eine Stunde verging, dann begannen sich die Schüler vor der Schule zu sammeln. Sie hatten noch Zeit, bis es zum Unterricht klingelte, doch sie nutzten sie gerne, um muntere Gespräche zu führen, zu lachen und zu albern. Wie jeden Tag auch, war Yugi der erste, der an dem Treffpunkt erschien. Mit seiner Schultasche ließ sich der Junge auf der Bank nieder, ließ die Beine baumeln und hielt nach den Anderen Ausschau. Es war wie jeden Tag. Nach wenigen Minuten, stets zur selben Zeit, erspähte er Bakura. Dieser war immer als Zweiter da und gesellte sich zu Yugi. Mit der verträumten Miene schlenderte er über den sauberen Gehweg und blieb vor Yugi stehen. Dieser lächelte sofort, war erfreut ihn zu sehen, so wie jeden Tag auch.

"Guten Morgen", begrüßte er den jungen Mann heiter und wackelte mit dem Kopf.

Bakura kratzte sich an der Stirn und erwiderte das Lächeln flüchtig.

"Morgen."

"Und?" Yugi baumelte weiterhin mit den Beinen. "Was hast du gestern noch gemacht?"

"Gelernt", antwortete Bakura. Und das sagte er jeden Tag, wenn man ihn fragte.

"Für die Arbeit?", hakte Yugi nach. "Ja, hab ich auch."

Bakura nickte und sah sich um, sein Blick durchschweifte abwesend die Gegend. Er war noch nie der Mensch vieler Worte gewesen. Auch heute gab Yugi es auf, ihn zum Sprechen zu bringen. Also blähte er die Wangen auf, baumelte mit den Beinen und beobachtete zwei Spatzen, die sich verbittert um ein Brotkrümelchen stritten. Duke war der Nächste, der eintraf. Mit seiner lässigen Art kam er dahergeschlendert, blieb stehen und schnippte sich eine lange Haarssträhne aus dem Gesicht.

"Morgen, ihr trüben Tassen", grinste er guten Mutes und warf seine Tasche neben Yugi auf die Bank. Heiter stützte er die Hände in die Hüften und begann zu pfeifen.

"Wir sind keine trüben Tassen", sagte Yugi stirnrunzelnd.

Duke warf einen flüchtigen Blick zu Bakura, der die Wiese unglaublich faszinierend zu finden schien. Wie so oft war der junge Mann nicht ansprechbar. Duke wandte sich ab und begann in seinen Taschen zu suchen. Kurz darauf steckte er sich einen Kaugummi in den Mund und begann zu ketschen.

"Hallo Leute!"

Duke und Yugi wandten sich zur Seite, Bakura schulterte seine Tasche neu und blickte zum Himmel. Winkend kam Tristan näher.

"Alles klar?"

"Tristan!" Duke winkte zurück. "Hey, du siehst ja immer noch so komisch aus, wie gestern!"

Sobald Tristan die anderen erreicht hatte, erteilte er Duke einen derben Schlag gegen die Schulter und diesem fiel der Kaugummi aus dem Mund.

"Und?" Tristan warf seine Tasche ebenfalls auf die Bank. "Joey noch nicht da?"

"Siehst du ihn etwa irgendwo?", murmelte Duke und suchte nach einem neuen Kaugummi.

"Wie immer wird er kurz vor Stundenklingeln angerannt kommen", seufzte Yugi. "Sicher hat er wieder verschlafen, oder was auch immer."

Duke zuckte mit den Schultern und steckte sich einen neuen Kaugummi in den Mund, Yugi schlenkerte weiterhin mit den Beinen, Bakura kratzte sich am Kopf, Tristan richtete seine Frisur und die Spatzen stritten sich noch immer um den Krümel.

Dann tauchte auch noch Tea auf. Es war dieselbe Reihenfolge wie jeden Tag. Fast war es schon ein geregelter Ablauf und dennoch ging etwas schief, denn Joey tanzte aus der Reihe. Ja, er kreuzte schon fünfzehn Minuten vor Stundenklingeln auf und statt dem Grinsen schenkte er seinen Freunden düstre Blicke.

"Was'n los?", erkundigte sich Duke ketschend.

"Ahhh." Joey stöhnte und warf die Tasche auf die Bank, wo sich diese allmählich häuften. "Hatte gestern einen miesen Abend, heute einen miesen Morgen und keinerlei Zeit zum lernen."

"Oh, du hast nicht gelernt!" Tristan verzog schmerzvoll das Gesicht. "Du wirst die Arbeit wieder vermasseln!"

"Wie schön, dass du mir Mut zusprichst", murrte Joey.

"Aber Joey." Yugi hob die Augenbrauen und rutschte von der Bank. "Was bedrückt dich denn?"

Joeys Miene verfinsterte sich zusehends, als er sich auf Yugis Platz setzte und die Beine von sich streckte.

"Ich hatte ein nettes Treffen mit Kaiba."

"Oh." Yugi seufzte anteilnehmend.

"Was hat er dir diesmal an den Kopf geworfen?" Tristan ballte die Hände zu Fäusten und Bakura starrte auf die Spatzen, die sich allmählich wirklich in die Haare bekamen. "So ein verdammter Mistkerl! Der hat schon gestern nicht von dir abgelassen!"

"Wo habt ihr euch denn getroffen?", fragte Tea.

Joey zuckte mit den Schultern. "Kurz vor zwölf auf der Straße."

"Aber da hatten wir doch noch Schule?"

"Nicht Mittags." Joey brummte etwas Verworrenes. "Kurz vor Mitternacht."

"Was hast du denn so spät noch draußen gemacht?", wollte Tea wissen.

"Ich hab was eingekauft." Joey kratzte sich an der Stirn. "Da kam er angelaufen und ist umgefallen."

"Kaiba ist beim Einkaufen umgefallen?" Jetzt mischte sich Bakura ein.

Wie so oft auch, hatte er nicht zugehört.

"Nein", stöhnte Joey. "Nicht er, sondern ich war einkaufen."

"Und warum bist du umgefallen?" Jetzt nahm auch Duke an dem Gespräch teil. Soeben hatte er nach einem weiteren Kaugummi gesucht.

"Kaiba ist umgefallen", wandte sich Tea an ihn. "Und Joey war einkaufen."

"Sie haben sich beim Einkaufen getroffen?", fragte Duke.

"Kaiba war nicht einkaufen!" Tristan stöhnte.

"Und wo haben sie sich dann getroffen?" Duke kratzte sich am Kopf.

Joey hatte sich soeben das Gesicht gerieben, nun blickte er auf.

"Auf der Straße", setzte er seine Erzählung fort. "Er ging an mir vorbei und dann ist er umgefallen."

"Er ist auf der Straße zusammengebrochen", schlussfolgerte Bakura.

Joey nickte in leiser Verzweiflung.

"Bingo", stöhnte er dann. "Leute, es würde euch wirklich nicht schaden, besser zuzuhören. Also wie auch immer. Er war bewusstlos und ich habe ihn zu mir nach Hause geschleppt. Mir blieb ja nichts anderes übrig."

"Du hast Kaiba mit zu dir genommen?" Yugi stand der Mund offen.

"Ja, genau." Joey nickte. "Er hat vermutlich einen Unfall gehabt. Aber er war nicht schwer genug verletzt, um ins Krankenhaus zu müssen. Also musste er über Nacht bei mir bleiben."

"Und dann?" Tea trat interessiert näher.

"Warum hast du ihn nicht einfach liegen gelassen?", mischte sich Duke wieder ein. "Was bringt es dir, dem zu helfen? Pah, gar nichts!"

"Das weiß ich selbst!" Joey rollte mit den Augen und lehnte sich zurück. "Aber mir blieb nichts anderes übrig."

"Sei doch mal still, Duke!" Tristan schubste ihn zur Seite und stand vor Joey. "Und dann? Erzähl weiter."

"Tja also, er hat geschlafen und dann ist er aufgewacht."

"Bisher noch ganz nachvollziehbar", raunte Duke und fing sich einen weiteren Rempler ein. Joey verdrehte die Augen.

"Wir haben ein nettes Gespräch geführt und anschließend ist er gegangen."

"Wow." Duke grinste. "Du bist ja ein richtiger Held."

"Lasst mich doch in Ruhe." Joey griff nach seiner Tasche, stand auf und trottete los. Die anderen wechselten knappe Blicke, dann schnappten sie sich ihre Taschen und folgten dem zerstreuten Jungen.
 

Heute wurde ihnen die Ehre zuteil, schon nach der dritten Stunde nach Hause gehen zu dürfen.

Und?

Was fehlt?

Aber natürlich, der Haken.

Und der sah folgendermaßen aus: Am nächsten Tag mussten die Klassen einen Kulturtag über sich ergehen lassen. Das hieß, sie würden herumlaufen und mussten sich so manche Dinge notieren. Alte Häuser mussten sie sich betrachten, den Baustil herausfinden und noch so einiges mehr. Keiner freute sich darauf, doch heute hatten sie nur drei Stunden und da sie im Hier und Jetzt lebten, war ihnen der morgige Tag gleichgültig.

Daraus war zu schließend, dass Joeys Klasse und die Parallelklasse bei guter Laune waren, als es zur ersten Stunde klingelte. Sie lachten und waren nicht dazu bereit, auf die Lehrerin zu hören, die gern mit dem Unterricht beginnen wollte, jedoch ein Problem in den aufgewühlten Schülern sah. Während sie schrie, tuschelten die Jugendlichen. Auch Yugi und die anderen hatten gute Laune, obgleich Yugi wohl der Einzige war, der sich auf den morgigen Tag freute. Aber Joey nahm nicht an dem Geschwatze teil. Nein, er war mit einer düstren Miene tiefer in den Stuhl gerutscht und kaute nun auf einem Bleistift. Nicht selten richtete er seinen finsteren Blick auf den leeren Platz in der ersten Reihe. Kaiba fehlte.

Vermutlich ließ er sich zu Hause von seinem persönlichen Arzt untersuchen und würde den Rest des Tags frei nehmen, um seine Aua’s zu beweinen. Joey rollte mit den Augen und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Mit seinem Benehmen heute Morgen hatte er den Topf zum Überlaufen gebracht.

Joey war es leid, sich permanent fertig machen zu lassen. Er war nicht sonderlich wütend darüber, dass Kaiba sich nicht bedankt hatte. Es ärgerte ihn auch nicht, dass er die Küche ausgeräumt und sich bedient hatte. Nein, Joey litt unter den Blicken, die ihn tagtäglich trafen. Diese unerklärliche Verachtung, die in Kaibas Augen aufblitzte, wenn er ihn ansah. Joey zog sich den Stift aus dem Mund, langsam, gefährlich, sein Blick haftete auf dem leeren Stuhl.

Kaiba hatte ihn vom ersten Augenblick an gehasst.

Warum es so war, das wusste Joey nicht.

Warum machte Kaiba ihn tagtäglich fertig?

Warum trieb er ihn bis an den Abgrund der Verzweiflung?

Joey verlor sich in Gedanken. Während die Lehrerin etwas Ruhe in die Klasse brachte und dann über irgendeinen Blödsinn brappelte, dachte er nach. Er erinnerte sich an jede Begegnung mit Kaiba. Stets hatte Kaiba einen Feind in ihm gesehen, einen Menschen, den man nur verachten und nicht respektieren durfte. Nicht ein einziges Mal hatten sie ein Gespräch geführt, ohne sich mit Schimpfwörtern zu bewerfen. Langsam schloss sich seine Hand um den Bleistift.

Er war es leid!

Wenn Kaiba ihn nicht respektieren wollte, dann sollte er ihn in Frieden lassen und ihn am Besten nicht einmal mehr anschauen. Wuterfüllt zerbrach Joey den Bleistift in der Hand und sprang auf.

"Ich lasse das nicht mit mir machen!!"

Verdattert drehten sich seine Mitschüler zu ihm um und starrten ihn mit großen Augen an. Und die Lehrerin hatte vor Schreck die Kreide fallen gelassen. Jetzt starrte auch sie. Joey schnappte nach Luft, hielt den Atem an und sah sich langsam um.

"Joey?" Yugi schluckte. "Geht es dir gut?"

Langsam ließ Joey den toten Bleistift sinken und lachte nervös.

"Ja... ähm... klar." Er lugte zur Lehrerin, die sehr schreckhaft war und dementsprechend dreinblickte. "Tschuldigung."

Nur langsam wandten sich die Schüler wieder ihrer Arbeit zu und Joey begann grimmig an seinem Hefter zu rupfen. Er hatte Kaiba geholfen!

Er hatte ihn geschleppt und war sogar noch nach seinem dummen Koffer gerannt!

Wegen ihm würde er die Arbeit vermasseln, die sie in der dritten Stunde schrieben!

Wegen ihm hatte er heute Nacht fast keinen Schlaf gefunden und war früher aufgestanden!

Und Kaiba, Menschenskinder… der Typ schien sauer gewesen zu sein, weil er ihm geholfen hatte. Leise brummend rutschte Joey noch weiter im Stuhl zurück und ließ sich trübe auf den Tisch sinken, in dessen Oberfläche er dann zu pulen begann. Das war gemein... und schwer zu ertragen.

Auch an der zweiten Stunde nahm er kaum teil. Er kauerte nur auf seinem Platz und kritzelte irgendetwas auf ein Blatt Papier. Vermutlich verunstaltete er Kaiba, malte ihn mit grausamen Fratzen oder mit Messern im Rücken. Zumindest seine Miene ließ so etwas erahnen. Der Lehrer quatschte, die Schüler unterhielten sich und daraufhin schriee auch dieser Lehrer.

Aber was scherte es Joey.

Dann klingelte es zur Hofpause und die gefährliche Arbeit rückte ein Stückchen näher. Mit langem Gesicht schlenderte Joey mit den anderen die Treppe hinunter und trödelte auf den Hof hinaus. Dort hockten sie sich auf die Bänke, die sie schon seit Jahren zu ihrem Eigentum erklärt hatten und begannen zu tratschen. Yugi erzählte von seinen tollen Erlebnissen in der Freizeit, Duke ketschte wie in den letzten Stunden auch, Bakura las ein Buch, Tristan schimpfte mit den kleinen Kindern, die schreiend an den Bänken vorbei rannten und Tea beschäftigte sich fasziniert mit ihrem Handy. Aber Joey nahm nicht an den Unterhaltungen teil. Sein Blick schweifte düster über den Schulhof und wenn eines der Kinder zu ihm lugte, dann schnitt er eine grausame Grimasse. Die anderen wagten es nicht, ihn anzusprechen, denn sie hingen am Leben und würden es gefährden. Für eine geraume Zeit schwieg der junge Mann und regte sich nicht von der Stelle. Doch als die Pause fast vorüber war, da sprang er plötzlich auf und stampfte davon. Yugi verstummte und auch die anderen ließen von ihren Tätigkeiten ab. Verdattert drehten sie sich um und sahen Joey nach.

"Wo will er hin?", fragte Tristan verwundert.

"Ohhh..." Duke stöhnte schmerzvoll auf und fuhr sich über den Schopf. "Seht mal, wer da kommt."

"Oje", seufzte Yugi in einer bösen Vorahnung.

Es war niemand anderes als Kaiba, auf den Joey nun zusteuerte. Mit dem Handy am Ohr ging er über den Hof, hatte sich vermutlich dazu entschlossen, die Arbeit mitzuschreiben, um seinen guten Ruf unter den Lehrern weiterhin zu wahren, obwohl ihm die Meinung Anderer prinzipiell recht egal zu sein schien. Er trug seine blaue Schuluniform und ein leichtes Hinken seines Ganges bewies den gestrigen Unfall. Nun schlängelte er sich durch eine kleine Gruppe und führte seinen Weg fort, angespannt diskutierend. Und er hätte auch weiterhin diskutiert... wenn sich Joey ihm nicht in den Weg gestellt hätte. Also blieb er stehen und sah den Blonden an.

"Warte kurz, Pikotto", raunte er in das Handy, den Blick scharf auf Joey gerichtet. "Ich werde gerade von einem geistesgestörten Bengel belästigt."

Somit ließ er das Handy sinken und legte es an seine Brust.

"Was willst du!"

Joey presste die Lippen aufeinander, schnappte nach Luft und ballte die Hände zu Fäusten, sein Atem raste.

"Was hast du gegen mich!"

Kaiba hob die Augenbrauen, starrte ihn irritiert an. All der Zorn verlor sich binnen kürzester Zeit aus seinem Gesicht, wich einem höhnischen, fast ungläubigen Grinsen.

"Das kannst du nicht ernst meinen, Wheeler", erwiderte er amüsiert und schüttelte den Kopf.

"Und wie ernst ich das meine!", zischte Joey zurück. "Du machst mir das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon ist! Du machst mich fertig, ziehst über mich her, sobald du mich siehst! Du schleuderst mir Schimpfwörter an den Kopf und verhöhnst mich so gut du nur kannst! Da muss doch etwas dahinter stecken! Einen Grund, verstehst du? Du musst doch einen Grund dafür haben!"

"Einen Grund?", erwiderte Kaiba ungläubig und neigte sich nach vorn. "Du willst einen Grund?"

Joey nickte verbissen und Kaiba hob die Augenbrauen, grinste kurz darauf jedoch wieder und hob das Handy zum Ohr.

"Ich rufe zurück", murmelte er nur und legte auf.

Joey wartete angespannt und Kaiba ließ das Handy in aller Gemütlichkeit in seine Tasche zurückwandern, bevor er sich an ihn wandte.

"Nur einen Grund?", fauchte er plötzlich und besah sich Joey abwertend. "Ich kann dir viele nennen!"

"Dann mach das!" Joey plusterte sich auf.

"Du überschätzt deine Fähigkeiten, Wheeler, überschreitest deine Grenzen, spielst dich auf und gibst an, obwohl du nichts hast, womit du angeben könntest! Du tust, als wärst du etwas Besseres! Du hast eine große Klappe und keinerlei Respekt vor Personen wie mir, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen müssen! Du lässt dich durchfüttern und kannst es dir somit erlauben, über Andere herzuziehen, die für ihren Unterhalt schuften müssen! Du erkennst den Ernst des Lebens nicht, siehst es scheinbar als ein Spiel an!"

Kaiba machte eine kurze Pause und starrte Joey wutentbrannt an. Dieser war etwas blass um die Nase herum geworden und starrte verwirrt zurück.

"Und dein Gesicht!" Kaiba schnaubte. "Kein Mensch kann einen Jungen leiden, der andauernd so ein Gesicht zieht! Du jammerst über jeden Blödsinn, bist jedoch nicht dazu bereit, etwas daran zu ändern! Du…", Kaiba trat noch näher und Joey wich zurück. "Du bist ein Nichts, Wheeler! Und daran solltest du möglichst schnell etwas ändern, sonst wirst du selbst deinen Freunden zu blöd! Du bist ein hoffnungsloser Fall! Du wandelst durch das Leben und bemitleidest dich selbst! Es gibt nichts Schlimmeres als das, nichts verachte ich mehr! Und du fragst, was ich an dir nicht leiden kann?!" Kaiba lachte humorlos. "Da hast du deine verfluchte Antwort! Alles, Wheeler! Ich kann alles an dir nicht leiden! Und wenn du schon arm wie ein Bettler bist, dann such dir wenigstens eine Arbeit!"

Mit diesen Worten verstummte Kaiba.

Joeys Blick hatte etwas Ungläubiges in sich, als er weiterhin zurückwich.

"Und...", er räusperte sich nervös, das Sprechen fiel ihm schwer, "... und warum hast du dich nicht einmal bedankt?"

"Warum?!" Kaiba wurde wieder laut. "Ich mache etwas aus meinem Leben und arbeite hart für meinen Erfolg! Du lässt dich treiben und bist faul! Glaubst du wirklich, von so einem Menschen will ich mir helfen lassen?? Du spinnst doch!" Kaiba atmete tief ein. "Und jetzt, verdammt noch mal, geh mir aus dem Weg!"

Mit diesen Worten stieß er Joey unsanft zur Seite und trottete davon. Der Blonde starrte auf den Boden... war zutiefst erschüttert.

Er war faul und ließ sich treiben...?

Langsam drehte er sich um und sah Kaiba nach. All die Wut hatte sich aus seinem Gesicht verloren, sein Mund stand offen und seine Augen waren geweitet.

"Joey." Plötzlich erschien Yugi neben ihm und zupfte an seinem Ärmel. "Mach dir nichts draus. Kaiba ist zwar reicher aber dafür bist du netter."

Joey drehte kurz das Gesicht zu ihm, dann riss er sich jedoch los und wandte sich ab.

"Darum geht es mir überhaupt nicht!", fauchte er und stampfte in die Schule zurück.
 

Nach diesem Erlebnis fühlte sich Joey noch schlechter. Mit bekümmerter Miene kehrte er in das Klassenzimmer zurück, setzte sich hin, ließ sich auf den Tisch sinken und vergrub das Gesicht zwischen seinen Armen. So verharrte er auf seinem Platz, bis es zur Stunde klingelte. Auf Kaiba hatte er nicht geachtet und dieser genauso viel auf ihn. Seine Freunde hatte er abgewimmelt, als sie in guten Absichten zu ihm gekommen waren.

Alles, was Kaiba gesagt hatte, zog ihm durch den Kopf.

Niemals hätte er solche Worte aus Kaibas Mund erwartet, nie gedacht, sie von ihm zu hören...

Diese Gründe... er hatte stets geglaubt, es wäre etwas anderes. Alles, nur nicht das. Auf der einen Seite hatte er sogar Recht... doch das mit dem langen Gesicht konnte er nicht begreifen. Nein, da war er anderer Meinung.

Wer blickte denn stets grimmig drein?

Wer zog ein langes Gesicht?

Bei Joey kam es zwar auch manchmal vor, doch Kaiba war der Spitzenreiter. Das konnte er ihm also wirklich nicht vorwerfen. Und warum sollte er Respekt vor Kaiba haben, wenn dieser keinen Respekt vor ihm hatte? Eigentlich hätte Joey nun wütend sein müssen aber es gab nur Traurigkeit.

Warum musste Kaiba so direkt sein?

Als Joey die Arbeit vorgelegt bekam, schob er sie zur Seite und verkroch sich wieder.

Warum war Kaiba so wütend?

Warum durfte nicht auch er mal ein langes Gesicht ziehen?

Wenn er es recht bedachte, hatte er das lange Gesicht erst recht gezogen, wenn er ihn gesehen hatte. In Kaibas Anwesenheit konnte er keine gute Laune haben. Er konnte nicht lachen, wenn ein griesgrämiger Kerl neben ihm stand und erst recht nicht, wenn es Kaiba war. Daraus war zu schließen, dass Kaiba ihn auch noch nie bei guter Laune gesehen hatte. Also war es leicht, so etwas zu behaupten.

Joey seufzte gebrochen und wühlte ein Auge ins Freie, um sich umsehen zu können. Alle waren damit beschäftigt, zu schreiben, zu kritzeln und zu radieren. Er wollte sich ihnen nicht anschließen. Er wusste nichts und außerdem war er sehr niedergeschlagen. Niedergeschlagen durch Kaibas Worte.

Den Rest der Stunde brachte er hinter sich, indem er grübelte und nachdachte. Er hatte nicht gewusst, dass es so viele Dinge gab, an denen Kaiba sich störte. Wie gern würde er Kaiba nur als einen Klassenkameraden ansehen, nicht als Feind. Was würde er nicht alles tun, damit er ihn zu Frieden ließ! Von seinem Wesen her war er nun einmal so. Er konnte sich nicht ändern und würde es für Kaiba auch nicht tun. Und wenn schon, Kaiba würde ihn immer wie Dreck behandeln, wie einen Köter, der nicht spuren wollte.

Doch eine Sache gab es, die er ändern konnte und wollte. In einer Hinsicht hatte Kaiba ihm die Augen geöffnet. Auch wenn er ihn damit nicht zufrieden stellen konnte, würde er es tun. Nicht für Kaiba, nein, für sich.
 

Stöhnend ließ sich Joey auf sein Bett fallen, streckte alle Viere von sich und vergrub das Gesicht tief im Kissen. Er konnte es nicht verstehen. Auf dem Nachhauseweg waren ihm fast die Tränen gekommen.

Hatten Kaibas Worte ihn etwa so arg getroffen?

Es konnte ihm doch eigentlich egal sein, was Kaiba von ihm dachte. Aber in diesem Fall hatte er sich nicht unter Kontrolle. Und jetzt? Jetzt kamen die Tränen wirklich und er fühlte sich erbärmlich. Er blieb nicht lange liegen, rappelte sich bald wieder auf und rieb sich die Augen. Sicher sah er ziemlich verheult aus. Nachdem er die Nässe größtenteils bekämpft hatte, schlenderte er in die Küche.

Als er durch den Türrahmen trat, rieb er sich erneut das Gesicht, dann blieb er stehen. Auf dem Tisch stand noch die Tasse, die Kaiba benutzt hatte. Er betrachtete sie kurz, trat dann näher und griff nach ihr. Ein kleiner Schluck war noch übrig geblieben.

"Idiot." Joey schüttelte den Kopf, wandte sich ab und setzte die Tasse an die Lippen. Doch nachdem er sie ausgetrunken hatte, verzog er das Gesicht. Schwarzer Kaffee... wie konnte Kaiba nur schwarzen Kaffee trinken!

Und bitter war er, das glaubt ihr nicht! Joey fuhr sich über den Mund, stellte die Tasse auf eine Ablage und trödelte zum Kühlschrank. Doch bevor er ihn öffnen konnte, klingelte es an der Tür und er hielt inne.

Wer konnte das sein?

Yugi und die anderen hatten heute keine Zeit und anderen Besuch erwartete er nicht.

"Na herrlich." Joey fächelte sich kurz Luft zu, wischte sich wieder über die Augen und atmete tief ein. Dann machte er sich auf den Weg. Er ließ sich alle Zeit der Welt, fuhr sich noch weitere Male über das Gesicht und griff letzten Endes nach der Klinke. Da klingelte es schon wieder.

"Ich komme ja schon!" Er öffnete die Tür. "Du brauchst nicht..."

Er verstummte und starrte mit großen Augen auf den jungen Mann, der da vor ihm stand. Kaiba starrte zurück. Sie starrten beide und das über einen langen Zeitraum hinweg. Joey starrte, weil er über Kaibas Erscheinen mehr als verwirrt war. Und Kaiba... warum starrte er eigentlich so?

Oh, verflucht!

Hastig trat Joey zurück und rieb sich die geröteten Augen.

"Ich... ich habe nicht geheult!"

"Wen interessiert das." Kaiba stöhnte und wandte den Blick ab. "Meinetwegen kannst du heulen, bis zu stirbst. Ich bin nur hier, weil ich etwas vergessen habe."

"Ah." Joey ließ die Arme sinken und Kaiba rollte mit den Augen.

"Meinen Terminplaner", half er nach. "Ich brauche ihn und zwar schnell!"

"Ja, ähm... gut." Joey kratzte sich nervös am Kopf und sah sich um. "Ich hab ihn irgendwo liegen gesehen. Ähm... ja, warte kurz."

"Lass dir ruhig Zeit", murrte Kaiba sarkastisch.

Zum Glück wurde Joey schnell fündig. Eilends grabschte er nach dem kleinen, modernen Gerät und kehrte zur Tür zurück, an der Kaiba mit düstrer Miene wartete.

"Hier." Joey reichte ihm den Planer und Kaiba riss ihn ihm aus der Hand, suchte kurz nach Schäden und drehte sich wortlos um. Joey sah ihm nervös nach, lehnte sich aus dem Türrahmen und biss sich auf die Unterlippe.

"Ähm... Kaiba?"

Dieser hatte schon fast die erste Treppe hinter sich gelassen. Nun blieb er stehen, rollte genervt mit den Augen und neigte sich wieder nach oben.

"Vielleicht hast du nicht viel zu tun, Wheeler! Bei mir ist das jedoch anders!"

"Ja, ähm..." Joey wandte scheu den Blick ab und starrte auf den Boden.

"Was ist!", drängelte Kaiba barsch.

Joey fasste neuen Mut und blickte wieder auf.

"Denkst du wirklich so über mich?"

"Was…?" Kaiba schnitt eine furchtbare Grimasse, fühlte sich vermutlich vergackeiert. Doch Joey meinte es verdammt ernst und wartete nun auf eine Antwort. Doch Kaiba knurrte nur leise und verschwand auf der Treppe.

"Wheeler!", hörte er ihn noch verächtlich zischen.

Ja, wahrscheinlich dachte er wirklich so über ihn. Joey lauschte den schnellen Schritten auf den Treppen und erst, als unten die Haustür zufiel, trat er in die Wohnung zurück.
 

~*to be continued*~

Neugierde

~*Neugierde*~
 

Jeder Schüler hatte versucht, sich vor diesem Tag zu drücken und doch kam er und sie mussten ihn durchstehen. Einige der Schüler hatten zufällig verschlafen und konnten dadurch nicht an dem tollen Kulturtag teilnehmen.

So kam es also, dass die beiden Klassen die Stadt Domino mit dem Bus verließen, um sich einer Anderen zu widmen, die nicht allzu weit entfernt war. Als sie dann ihr Ziel erreichten, wurden die Schüler in Gruppen eingeteilt. In Joeys Gruppe waren Tea, Duke, Yugi und Kaiba, der außerdem mit seiner Limousine gekommen war, um auf dem Weg noch ein paar Arbeiten verrichten zu können. Joey hatte sich erhofft, dass er sich frei nehmen würde, denn er hatte Angst vor weiteren niederschmetternden Worten. Doch zu diesen Worten kam es nicht. Der düstere Blick zur Begrüßung und das lange Gesicht, als sie ihren Rundgang anbrachen. Mehr nicht.

Und glaubte man es?

Während er der tratschenden und fleißigen Gruppe in sicherer Entfernung folgte, telefonierte er mit einem Geschäftspartner, machte sich Notizen und telefonierte dann auch mit seinem Sekretär Pikotto. Aber auf die eigentliche Aufgabe konzentrierte er sich nicht. Nur selten betrachtete er sich ein Gebäude und schrieb ohne lange nachzudenken etwas darüber auf. Und wenn er etwas nicht wusste, was äußerst selten vorkam, dann stellte er während des Gespräches mit Pikotto einfach ein paar Fragen und meistens konnte Pikotto ihm antworten und dann schrieb er wieder etwas auf. Nach einer halben Stunde jedoch verlor er die Lust, setzte sich in ein Café und ließ die fleißige Gruppe weiterlaufen. Für ihn gab es Wichtigeres.

Joey drehte sich um und beobachtete ihn kurz, wie er sich an einen der Tische setzte und wieder jemanden anrief. Dann runzelte er die Stirn und wandte sich ab.

"Das ist Bauhaus!", rief Yugi plötzlich und zeigte auf ein Gebäude. "Das muss Bauhaus sein!"

Auch Joey betrachtete es sich kurz.

"Nein, das ist Jugendstil."

"Woher willst du das denn wissen", stänkerte Duke, der ebenfalls auf Bauhaus getippt hatte.

"Die Ornamente", erwiderte Joey gelangweilt. "Die Blumen und die anderen Verzierungen. Bauhaus ist bekannt für quadratische Muster."

"Woher weißt du denn so viel darüber?" Yugi war erstaunt und Duke kritzelte grimmig etwas auf sein Blatt.

"Dann eben Jugendstil", brummte er.

"Interessierst du dich für so etwas, Joey?", fragte Yugi weiter. "Das wusste ich ja noch gar nicht."

"Nein, eigentlich interessiert es mich nicht." Wieder drehte sich Joey zum Café um. "Habe in Kunst aufgepasst."

"Ach." Duke blickte überrascht auf. "Du hast aufgepasst?"

"Hm." Joey drehte sich wieder um.

"Und?" Tea wandte sich an ihn. "Das ist Klassizismus, stimmt’s?"

"Weiß ich doch nicht", erwiderte Joey müde. "Habe nur kurz aufgepasst."

"Aha." Duke grinste verschmitzt.

Die kleine Gruppe trödelte weiter und erreichte nach nur wenigen Minuten einen großen Platz. Und da gab es doch wirklich ein Gebäude, das sie zum Grübeln brachte. Yugi machte ein paar Vorschläge, über die man nur lachen konnte, Tea malte Fratzen auf ihr Blatt und Duke sagte gar nichts, um sich nicht zum Gespött der Leute zu machen. Und Joey? Er war mit den Gedanken woanders und interessierte sich überhaupt nicht dafür. Sie standen wohl eine viertel Stunde da, bis Duke Bakura erspähte, der mit seiner Gruppe einher getrödelt kam.

"Bakura!!", rief er über den halben Platz hinweg und zeigte auf das Haus. "Kannst du mir sagen, was das ist??"

"Ein Haus", murmelte ein vorübergehender Passant.

Bakura blieb stehen, ließ den Block sinken und warf einen kurzen Blick zum Gebäude.

"Renaissance!", rief er ohne zu überlegen zurück und Duke kratzte sich am Kopf.

"Danke!!"

Bakura winkte und ging weiter.

"Siehst du?", wandte sich Duke heimlich an Joey. "Er passt immer auf."

Joey rollte mit den Augen, schrieb sich etwas auf und schlenderte dann weiter.

"Und?" Nachdem sie den Platz verlassen hatten, ergriff Yugi das Wort. "Was machen wir heute? Wollen wir uns treffen?"

"Klar", stimmten Duke und Tea sofort zu, Joey jedoch schüttelte den Kopf.

"Ich habe keine Zeit."

"Seit wann hast du keine Zeit, Joey?" Duke schraubte eine Augenbraue hoch.

"Ich habe mir einen Nebenjob geangelt", erhielt er zur Antwort. "Um ehrlich zu sein, sind es sogar zwei."

"Nebenjobs?" Alle Augen richteten sich auf ihn. "Seit wann denn das?"

"Ihr tut, als sei das etwas Außergewöhnliches", stöhnte Joey. "Ich will mir ein bisschen Geld nebenbei verdienen und nicht den ganzen Tag faul herumliegen."

"Seit wann willst du nicht faul herumliegen?" Duke wunderte sich doch sehr.

"Oje", seufzte Yugi. "Ist es wegen dem, was Kaiba gesagt hat?"

"Was?!" Joey erschrak und Yugi auch.

"Schrei doch nicht so, Joey", tadelte Tea und sah sich flüchtig um.

"N-nein!" Joey ballte die Hände zu Fäusten und blähte die Wangen auf. "Ich mache das doch nicht wegen Kaiba! Ich mache das... weil... ja, genau! Weil ich mir etwas leisten will!"

"Was willst du dir den leisten?"

"Ach… lasst mich doch einfach in Frieden!" Joey wandte sich wütend ab und stampfte davon. "Ich bin euch doch keine Rechenschaft schuldig!"

Yugi seufzte, Tea legte den Kopf schief und Duke grinste.

"Er macht es doch wegen Kaiba", sagte er. "Früher hätte er so etwas nie getan. Er war zufrieden mit dem, was er hatte."
 

Die Qualen dauerten unglaubliche vier Stunden an. Erst dann fuhren sie nach Domino zurück und durften nach Hause gehen. Während sich Yugi und die anderen verabredeten, machte Joey, dass er nach Hause kam. Sein neu erworbener Chef hatte es nicht gern, wenn man zu spät kam.
 

"Seto?" Mokuba schnappte sich seinen Bruder, bevor sich dieser auf den Weg machen konnte. Er rannte zu ihm, blieb stehen und zerrte an seinem Mantel.

"Was ist denn?" Kaiba stellte den Koffer ab und hockte sich hin. "Soll ich dir etwas mitbringen?"

"Nö nö." Der Junge schüttelte den Kopf und schnappte nach Luft. "Ich will nur wissen, ob du heute Abend da bist."

"Natürlich bin ich da", erwiderte Kaiba geduldig, doch sein Brüderchen schüttelte trotzig den Kopf.

"Tu nicht so, als wenn es normal wäre, dass du abends zu Hause bist", meckerte er. "Du bist schon oft in der Firma geblieben und ich wurde von dem Arzt überfallen. Weißt du, immer wenn du nicht da bist, kommt er angerannt und schmeißt mit Tabletten um sich! Wenn du nicht da bist, hat er nämlich freie Bahn und ich kann mich auch nicht wehren, bin ja viel zu klein und so. Aber…", Mokuba hob den Zeigefinger und Kaiba kratzte sich an der Stirn, in geduldiger Ausdauer verharrend, "… das nutzt er schamlos aus und dann muss ich Vitamine schlucken, mich untersuchen lassen und so weiter! Dann misst er auch immer meine Temperatur und hält mir Vortrage von wegen Erkältung und Leichtsinn." Mokuba machte eine kurze Pause. "Was meint er damit? Bin ich etwa leichtsinnig, Seto?" Plötzlich grabschte er nach Kaibas Kragen. "Sag es mir, bin ich leichtsinnig?? Der Arzt hat gesagt, dass das nicht lieb ist. Bin ich etwa nicht lieb??"

"Ehm..." Kaiba fand nicht gleich die passenden Worte aber Mokuba übernahm das für ihn. Er ließ seinen Kragen los und trat einen Schritt zurück.

"Dann werde ich mich immer warm genug anziehen und nicht leichtsinnig sein. Ich werde gesundes Obst und Gemüse essen und immer lieb sein. Aber ich will nicht im Bett liegen müssen, wenn meine Körpertemperatur nur ein bisschen über der Normaltemperatur liegt! Es ist nicht lieb von ihm, mich immer dazu zu zwingen! Aber er sagt, dass ich nicht lieb bin!"

"Der Arzt hat nicht gesagt, dass du nicht lieb bist." Kaiba erhob sich und griff nach dem Koffer. "Er sagte lediglich, dass es nicht gut ist, wenn du zu leichtsinnig bist."

"Ach." Mokuba ließ die Arme sinken, die er soeben noch von sich gestreckt hatte.

"Ja, also...", Kaiba warf einen kurzen Blick auf seine Uhr, "... ich gehe jetzt erst einmal einen Kaffee trinken, dann bin ich in der Firma und gegen um zehn bin ich wieder hier, okay?"

"Aber auch wirklich."

"Ja, wirklich." Kaiba tätschelte kurz seinen schwarzen Schopf, dann drehte er sich um und verließ seine Villa.

Auf dem privaten Parkplatz wartete bereits seine Limousine. Der Tag hatte ihn müde gemacht. Und wenn man bedachte, dass sich der Unfall erst vorgestern ereignet hatte, dann war es nur allzu verständlich. Doch bisher war er noch nicht dazu gekommen, etwas Ernstes gegen Katagori zu unternehmen. Er hatte Besseres zu tun, würde es jedoch nachholen. Jetzt würde er sich aber erst einmal in ein Café setzen. Der Kaffee, den er während des Kulturtages getrunken hatte, war nicht das Wahre gewesen. Also ließ er sich durch die halbe Stadt kutschieren und betrat sein Stammcafe. Es war eins von der nobleren Sorte, natürlich, sonst würde ihm nicht die ungeheure Ehre zuteil werden, das Lieblingscafé des reichen Seto Kaiba sein zu dürfen. Das Cafe nannte sich 'Lawell' und stets war es gut besucht. Kaiba fand nicht oft Zeit dazu, doch heute nahm er sie sich, ohne auf die Konsequenzen zu achten.

Als er die Glastür öffnete, wurde er sofort von dem Besitzer des Cafés begrüßt, einem korpulenten Mann, der Kaiba hier gerne sah, obgleich er stets nur einen Kaffee trank und nie viel Geld hier ließ. Doch schon die Tatsache, dass Seto Kaiba dieses Café besuchte, sah er als Werbung an. Kaiba erwiderte die Begrüßung mit einem knappen Nicken und steuerte auf seinen Stammplatz zu. Dieser befand sich in einer der hintersten Ecken, direkt vor dem großen Aquarium, in dem sich die merkwürdigsten Fische tummelten. Kaiba schlug seinen Mantel zurück, ließ sich auf der gepolsterten Bank nieder und hob den Koffer auf seinen Schoß. Während das Leben in dem Café weiterging, suchte er kurz und zog dann die Tageszeitung hervor. Anschließend lehnte er sich zurück, atmete tief ein und begann zu blättern. Das Wetter interessierte ihn nicht, Weltnachrichten interessierten ihn nicht, das Fernseh-, Kino- und Theaterprogramm interessierte ihn nicht. Die Aktienkurse interessierten ihn nicht und auch der Sport und sonstiges ließ ihn kalt. Warum hatte er sich diese Zeitung eigentlich gekauft? Nachdem er sie kurz durchflogen hatte, rollte er mit den Augen und blickte auf. Er interessierte sich nur für seine Firma, sonst bewegte ihn überhaupt nichts. Er war in Domino. Was interessierten ihn also die Vorgänge in den USA oder in Deutschland? Er brauchte eine Zigarette...

Also drückte er die Zeitung zur Seite, zerknitterte sie und zückte eine Schachtel. Während er sich im Café umsah, klappte er den Deckel zurück, zog eine Zigarette und klemmte sie sich zwischen die Lippen. Gemächlich zündete er sie an, nahm einen starken Zug und lehnte sich zurück.

Wann hatte er sich das letzte Mal richtig entspannt? Vor zwei Wochen? Nachdenklich zog er seinen Planer hervor und begann kurz zu tippen. Er ging die letzten Wochen durch und fand heraus, dass er genau vor achtundzwanzig Tagen hier gesessen hatte. Er hatte sich völlig grundlos eine Zeitung gekauft, diese dann zerknüllt und anschließend eine Zigarette geraucht. Oh, er hatte so wenig Freizeit, dass er mit den Gedanken nicht bei der Sache war, wenn er sich entspannen konnte. Wieder nahm er einen Zug, blies den Rauch in die Luft und schloss kurz die Augen. Er musste unbedingt um zehn Uhr zu Hause sein, Mokuba ins Bett bringen und sich dann selbst schlafen legen. Aber warum sollte er sich selbst belügen? Kaiba stöhnte. Vor Mitternacht würde er sowieso nicht im Bett liegen. Oh, er richtete sich mit der ganzen Arbeit selbst zu Grunde. Träge blickte er auf und hob die Zigarette wieder zum Mund. Doch er stoppte in der Bewegung und seine Augen weiteten sich verblüfft. Da kam gerade ein junger Mann aus der Küche, der ihm bekannt vorkam. Langsam ließ er die Zigarette sinken und richtete sich auf, den jungen Mann fixierend. Konnte das die Möglichkeit sein? Der neue Mitarbeiter des Lawell war kein geringerer als Joey...

Fein säuberlich gekleidet schlenderte er durch die Reihen, balancierte dabei ein Tablett und trällerte gut gelaunt vor sich hin. Er trug auch die typische rote Schürze, hatte sie sich eng um die Hüfte geschnürt. Kaiba hielt den Atem an und lehnte sich stockend zurück. Seit wann arbeitete Wheeler in seinem Stammcafé…?! Verbissen wandte er den Blick ab und nahm schnell einen Zug. Und dennoch driftete sein Blick wieder zu Joey ab. Dieser schien außerordentlich gute Laune zu haben. Er grinste, strahlte und schäkerte mit den Gästen. Kaiba kratzte sich am Kinn. Das musste Joeys Zwillingsbruder sein. Aber sicher war es nicht der Joey, den er bedauerlicherweise kannte. Dieser Joey Wheeler grinste in freudiger Laune. Den, den er kannte, zierte stets ein langes Gesicht und müde Augen. Und wenn er nicht zu spät kam und dieses lange Gesicht zog, dann zeterte er, schrie und fuchtelte mit den Fäusten. Kaiba begann ihn wieder zu beobachten, war selbst noch nicht aufgeflogen. Grübelnd stützte er das Kinn in die Handfläche, blinzelte und beobachtete Joey, wie er stehen blieb, kurz die Tassen ausbalancierte und sie dann auf den Tisch stellte. Dann salutierte er, lachte wie die Gäste auch, klemmte sich das Tablett unter den Arm und schlenderte wieder davon. Kaiba hob die Augenbrauen. Joey kam nur kurz bis vor die Küche, dort wurde er von dem dicken Chef abgefangen. Kaiba sah, wie der Mann Joey etwas zuflüsterte und kurz darauf drehte dieser das Gesicht in seine Richtung und erkannte ihn. Kaiba rollte mit den Augen und starrte auf das Aquarium, einen weiteren Zug nehmend. Er bemerkte, wie Joey zu ihm getrödelt kam, schenkte ihm jedoch keine Beachtung. Er hatte keine Lust, sich hier und jetzt mit ihm zu streiten. Eine kühle Brise erfasste ihn, als Joey neben ihm stehen blieb, mit einer flinken Bewegung einen Stift aus seinem Gürtel zückte und die Hülle mit dem Mund abzog.

"Also", nuschelte er mit der Hülle zwischen den Lippen und zückte auch einen kleinen Block. "Was darf's denn sein?"

Noch kurz behielt Kaiba den Blick auf das Aquarium gerichtet, dann atmete er tief ein und wandte sich an Joey, um ihn mit der gewohnten Mimik zu begrüßen.

"Was mussten du tun, damit man dich eingestellt hat, Wheeler", murrte er nebenbei. "Musstest du ihre Schuhe küssen und winseln?"

Joey hob die Augenbrauen, starrte ihn an und ließ den Block sinken. Doch plötzlich umspielte ein Grinsen seine Lippen und er fuchtelte mit dem Stift.

"Nein, nein, nein", erklärte er tadelnd und neigte sich leicht nach vorn. "Ich habe so eine gute Laune, dass nicht einmal du sie zerstören kannst."

Kaiba runzelte die Stirn, schlug die Beine übereinander und klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen. Joey wackelte in der Zwischenzeit mit dem Kopf, gluckste leise und hob den Block, bereit zu schreiben.

"Ich glaube, dass du nicht hierher gekommen bist, um zu streiten, oder? Also komm schon, stänkere nicht herum und sag mir, was du willst." Joey grinste verschmitzt. "Ich kann dir jeden Wunsch erfüllen, solange er auf der Karte steht."

Kaiba ließ erschöpft den Kopf hängen.

"Wie immer", murmelte er und rieb sich die Augen.

"Okaaay…?" Joey biss sich auf die Unterlippe, hob den Stift zum Mund und schob ihn in die Hülle zurück. "Ach, das find ich schon heraus."

Mit diesen Worten begann er wieder pfeifen, drehte sich um und zerrte kurz an seiner Schürze. Kaiba blickte auf und sah ihm nach, bis er in der Küche verschwand.

Was zur Hölle...

Das Wort "Stimmungsschwankungen" beherrschte Kaibas Denken in diesen Augenblicken und das Ziel, auf eine Erklärung zu stoßen, lag ihn unerreichbarer Ferne. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und kämpfte gegen ein herzhaftes Gähnen an, das unbarmherzig in ihm aufstieg. Er schaffte es aber nicht, also gähnte er wie so oft auch in den letzten Tagen. Anschließend blieb er sitzen, warf der Zeitung grantige Blicke zu und dachte nach. Und wenn man vom Teufel sprach… nach nur wenigen Minuten schwang die Tür zur Küche auf und Joey kehrte zurück, schlängelte sich durch die Tische und blieb letzten Endes vor dem seinem stehen. Es war eine Art Angewohnheit, dass Kaiba ihm stets griesgrämige Blicke zuwerfen musste. Und so war es auch diesmal. Doch Joey achtete herzlich wenig darauf und hatte schon wieder die Hülle des Stiftes im Mund.

"Latte Maggiato und einen schwarzen Kaffee", verkündete er und stellte die Tassen ab. "Stimmt doch, oder?"

"Hm", brummte Kaiba nur und zog den Kaffee zu sich.

"Dann ist ja gut." Joey legte den Kopf schief, schlenkerte mit dem Tablett und wandte sich ab. Kaiba griff nach der Tasse, hob sie zum Mund und trank einen Schluck. Joey verschwand in der Zwischenzeit schon wieder in der Küche.

Wollte er ihn mit seinem Anblick provozieren, an den Rand der Verzweiflung treiben?! Kaiba hatte so wenig Freizeit zur Verfügung, dass er sie wenigstens auch genießen wollte. Und dazu war er nun nicht mehr im Stande, denn an Wheelers Anblick störte er sich einfach. Obgleich er nun einen völlig anderen Joey kennen gelernt hatte. Auch Joey Nummer zwei mochte er nicht. Wie schon gesagt, es war eine Angewohnheit. Als Joey wieder aus der Küche trat und mit einem vollen Tablett zusteuerte, blickte er wieder auf und starrte ihn an.

Diesmal hatte Joey wahrlich viel zu schleppen. An einem Tisch, an dem sechs Gäste saßen und der nicht weit von Kaiba entfernt war, blieb er stehen, führte einen kurzen Plausch und begann dann abzuladen. Dabei blinzelten ihm zwei der Frauen auffallend zu und neigten sich nach vorn.

Abscheulich!

Kaibas Miene verfinsterte sich.

Der Mann, der direkt neben Joey am Tisch saß, begann zu quasseln und Joey quasselte zurück. Die beiden führten ein heiteres Gespräch und dann führte der Mann eine schnelle Handbewegung aus und einer der Zuckerstreuer kippte von der Tischkante und drohte genau neben Joey auf dem Boden aufzuschlagen. Doch dieser reagierte schnell. Flink streckte er einen Fuß von sich und der Streuer blieb auf der Oberfläche seines Schuhs stehen, begann jedoch schnell zu kippeln. Doch bevor er kippen konnte, balancierte Joey ihn kurz aus und kickte ihn nach oben. Während des Fluges schnappte er ihn mit seiner freien Hand weg, balancierte auch die Gläser auf dem Tablett aus und stellte den Streuer wohlbehalten auf den Tisch zurück. Kaiba hob die Augenbrauen, die Männer klatschten Applause und die Frauen seufzten anhimmelnd. Joey lachte, verbeugte sich kurz und lud dann auch den Rest der Gläser ab. Dann ging er wieder seiner Wege und die Frauen seufzten wieder und wurden von eifersüchtigen Blicken der Männer getroffen.

"Trottel." Kaiba griff wieder nach der Tasse und trank sie mit wenigen Zügen aus. Er blieb sitzen, trank auch die andere Tasse aus und beobachtete Joey, wie er dort und da auftauchte, mal in der Küche verschwand und munter mit den Gästen tratschte, wofür er dann Ärger mit dem dicken Chef bekam. Und nachdem er eine halbe Stunde dort gesessen, geraucht und Kaffee getrunken hatte, wurde die Zeit knapp. Also sah er sich nach der Bedienung um. Aber Joey war der Einzige, der hier herumrannte.

Seit wann gab es hier nur eine Bedienung…?

Wundervoll!

Er würde sich bei dem Chef beschweren!

Dennoch musste er bezahlen und so machte er Joey mit einer knappen Handbewegung auf sich aufmerksam. Dieser hob die Augenbrauen, warf ihm einen knappen Blick zu und nickte. Dann begab er sich zu einem der anderen Tische, wo auch einer bezahlen wollte. Und dieser eine war ein hünenhafter Mann, der äußerst grimmig dreinblickte, als er Joey einen Schein auf den Tisch knallte. Joey wollte nach ihm greifen, tippte ihn dann jedoch nur kurz an und zückte seinen Block. In diesem blätterte er und schüttelte anschließend den Kopf.

"Sie hatten zwei Kaffee, ein Bier und eine Cola", murmelte er in den Block vertieft, aber der Mann plusterte sich auf.

"Ich hatte nur einen Kaffee und ein Bier!", verbesserte er Joey und dieser blickte auf.

"Verkaufen Sie mich nicht für dumm", erwiderte er gelassen und wies mit einem Nicken auf ein leeres Glas, das weder nach einem Bierglas, noch nach einer Tasse aussah. "Das Glas steht sicherlich nicht zur Zierde da herum."

"Ich sagte…", der Mann richtete sich drohend auf und Joey ließ den Block sinken, "… dass ich nur einen Kaffee und ein Bier hatte!"

"Neeein." Joey schüttelte entschieden den Kopf. "Sie hatten zwei Kaffee und auch eine Cola haben Sie sich schmecken lassen. Also bezahlen Sie auch dafür."

"Ich bezahle für nichts, das ich nicht getrunken habe!" Der Mann knackte ganz furchtbar mit seinen Fingern und funkelte Joey mordlüstern an. "Nimm das Geld und verzieh dich, blöder Bengel!"

Joey reagierte gelassen.

"Okay, hören Sie", sagte er und stützte die Hände in die Hüften. "Wir wissen doch beide, dass Sie die Zeche prellen wollen und wir haben zwei Möglichkeiten, die Sache zu regeln. Wir spielen jetzt das Entweder-Oder-Spiel. Das kennen Sie doch sicher. Also, entweder", Joey hob den Zeigefinger, "Sie bezahlen fein lieb das Geld. Das wird Sie schon nicht umbringen. Oder ich sehe mich leider dazu gezwungen, laut zu schreien."

"Ach ja?" Der Mann lachte auf. "Und dann?"

Joey ließ die Hand sinken, weitete die Augen und neigte sich nach vorn.

"Und dann?", wiederholte er, Kaiba lauschte auf. "Dann... kommt Honk!"

"Honk?" Der Mann wurde wütend. "Wer zur Hölle soll das denn sein! Wenn du mich verscheißern willst...!"

"Es haust in der Küche des Cafés", fuhr Joey ehrfürchtig fort. "Na ja, man kann es auch als 'Koch' bezeichnen." Joey wackelte einschätzend mit dem Kopf und an Kaibas Lippen zog ungewollt ein amüsiertes Grinsen, das er jedoch sofort wieder verdrängte. "Und wenn ich schreie, dann wird Es neugierig...", Joey sprach leiser, "... und hungrig."

"Jetzt reicht es!" Donnernd ging die riesige Faust des Mannes auf den Tisch nieder und Joey stöhnte. "Du kannst andere verscheißern, du mieser kleiner...!"

"Ach man!" Joey stöhnte wieder. "Sein Sie doch nicht so fantasielos. Ich wollte damit nur sagen, dass es die Sache nicht wert ist. Wir haben zwar keinen Honk in der Küche aber dafür braucht die Polizei nur wenigen Sekunden bis zu dem Café." Joey wies aus dem Fenster und der Mann erblickte das Polizeipräsidium, welches sich gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. "Also, geben Sie lieber etwas mehr Geld aus, als sich in große Schwierigkeiten zu bringen."

Der Mann sah sich hektisch um, lehnte sich dann zurück und knirschte mit den Zähnen, Joey zupfte an seiner Schürze und wurde dabei von hinten beobachtet. Der Mann spuckte arge Flüche und machte den Anschein, sich auf Joey stürzen zu wollen. Doch dann griff er in seine Tasche und knallte einen weiteren Schein auf den Tisch.

"Dankeschön." Joey schnappte sich die Scheine und nickte zufrieden.

"Fahr zur Hölle." Der Mann schnaubte, sprang auf und stampfte davon.

"Beehren Sie uns bald wieder." Joey drehte sich kurz um und winkte. Als die Glastür schepperte, wandte er sich um und widmete seine Aufmerksamkeit Kaiba. Dieser hatte nach der Zeitung gegriffen und sie in seinen Koffer geknüllt. Joey behandelte ihn wie jeden anderen Gast auch, kritzelte kurz etwas auf und grübelte. Und während er noch den Betrag ausrechnete, schnippte Kaiba einen Schein auf den Tisch, griff nach seinem Koffer und erhob sich.

"Ähm." Joey hatte dies nicht bemerkt und kratzte sich am Kopf, dem Ziel ganz nahe, doch da zog Kaiba schon an ihm vorbei und stampfte wie der böse Mann zuvor auch, auf den Ausgang zu. Joey drehte sich verwundert zu ihm um, sah, wie er sich kurz bei dem dicken Chef verabschiedete und dann das Café verließ.
 

Quasselnd ließen sich die Schüler auf ihren Plätzen nieder und quatschten weiter. Heute war der letzte Schultag in dieser Woche. Und Potsblitz, das musste gefeiert werden. Bevor der Lehrer den Unterricht begann, bat er die Schüler jedoch noch, die Arbeiten abzugeben, die bewiesen, dass sie gestern am Kulturtag keine Däumchen gedreht hatten. Murrend kramten die Schüler ihre zerknüllten Zettel hervor und brachten sie dem Lehrer, der sie mit strenger Miene entgegennahm. Dann begann die Stunde und obwohl heute Samstag war und somit keine lange Zeit mehr bis zum Wochenende blieb, zogen die Schüler lange Gesichter, denn heute erwarteten sie acht Stunden. Eine wahre Tortur, wenn das Wochenende schon in greifbarer Nähe war.

"Das ist doch Absicht", murrte Joey, der sich von der Laune der Anderen anstecken gelassen hatte. "Die mögen uns nicht und wollen uns auf die Folter spannen!"

"Sei doch mal leise", flüsterte Tristan, der hinter ihm saß. "Sonst kannst du gleich nachsitzen!"

"Das wäre nicht gut", murmelte Joey leise und duckte sich hinter den Tisch. "Ich werde sterben, wenn ich zu spät zur Arbeit komme."

"Musst du etwa auch am Samstag arbeiten?", wollte Tristan heimlich wissen.

Joey lugte über die Schulter zu ihm.

"Ja, aber dafür bezahlen die mehr als im Café."

"In welchem Café?" Auch Tristan duckte sich heimlich.
 

"Im Lawell", erklärte Joey. "Da arbeite ich in meiner Freizeit."

"Lawell?"

"Klar, kennst du das nicht?"

"Wheeler, Honda!" Wurden sie plötzlich vom Lehrer ermahnt. "Seid still!"

"Sorry." Joey knirschte mit den Zähnen, drehte sich jedoch gleich wieder zu Tristan um, als der böse Mann wieder etwas an die Tafel kritzelte.

"Weißt du was?", flüsterte er. "Ich habe Kaiba bedient."

"Was? Wirklich?" Tristan grabschte nach einem Bleistift und tat, als würde er arbeiten. Doch die Sache mit Kaiba weckte sein Interesse, andere Dinge konnten getrost warten.

"Ja, und er hat wieder gestänkert." Joey lugte kurz zu Kaiba, der sich alles notierte, was der Lehrer sagte. Er warf ihm keinen bösen Blick zu, beobachtete ihn nur kurz und drehte sich dann wieder um. "Aber ich habe mich nicht provozieren lassen und da hat er auch die Lust verloren."

"Vielleicht solltest du das öfter so machen", schlug Tristan vor und Joey wurde hellhörig.

"Wie meinst du das?"

"Na ja." Tristan zuckte mit den Schultern. "Wenn du das lang genug aushältst, lässt er dich vielleicht ganz in Ruhe?"

"Hey." Joey wackelte mit dem Kopf. "Das ist eine gute Idee."

"Wenn du ihn in den nächsten Tagen noch öfter siehst, kannst du es gleich testen."

"Du hast Recht." Wieder lugte Joey zu Kaiba, er war nachdenklich. "Gestern haben wir auch wie normale Menschen miteinander gesprochen."

"Das kannst du dir ja eines Erfolges sicher sein." Tristan grinste und Joey nickte.

"Klar, das mache ich."

"Natürlich. Und..." Tristan verstummte, als der Lehrer zu ihnen lugte. Also kritzelte er schnell ein paar Worte auf und wartete, bis der Lehrer wieder seiner Arbeit nachging. Dann neigte er sich wieder nach vorn und flüsterte weiter. "Und dann könnt ihr ja ganz dicke Freunde werden."

"Freunde...?" Joey hob überrascht die Augenbrauen. Tristan grinste und widmete sich dem Lernstoff. Joey jedoch war am grübeln, als er sich tiefer in den Stuhl sinken und den Stift zwischen den Fingern wippen ließ.

Eine Freundschaft mit Kaiba?

Nachdenklich beobachtete er ihn. Kaiba arbeitete wie immer fleißig mit. Er blätterte in seinem Buch, sah dann zur Tafel auf und warf wieder einen kurzen Blick in sein Buch. Dann lehnte er sich kopfschüttelnd zurück.

"Sie haben einen Fehler in Ihrer Gleichung, Herr Koni", sagte er dann und die Schüler blickten auf. Auch der Lehrer wandte der Tafel den Rücken zu.

"Einen Fehler?", wiederholte er verwundert und übersah seine Gleichung noch einmal.

"Ganz recht. Ein Fehler, der Ihnen eigentlich nicht unterlaufen dürfte." Kaiba stöhnte. "Betta beträgt 70 Grad, Gamma hingegen nur 50 Grad. Wie kann es sein, frage ich Sie, das Alpha 80 Grad ergibt, wenn es sich um ein rechtwinkliges Dreieck handelt. Wir alle wissen doch, das Alpha, Betta und Gamma 90 Grad ergeben müssen, wenn man sie summiert."

Der Lehrer kratzte sich verlegen am Kopf, doch Kaiba war noch nicht fertig.

"Und Pi", sagte er kopfschüttelnd, "Pi beträgt genau 3,141592654. Sehe ich richtig? Haben Sie Pi gerundet?"

"Nein", erwiderte der Lehrer hastig. "Das ist das Ergebnis der B-Aufgabe."

Kaiba stöhnte und warf den Stift auf den Tisch zurück. "Dann schreiben Sie es etwas deutlicher auf."

Der Mann räusperte sich und griff nach der Kreide. "Warum spielen Sie nicht gleich den Lehrer, wenn Sie alles besser wissen", murrte er grantig, doch Kaiba winkte ab.

"Glauben Sie wirklich, ich hätte nichts Besseres zu tun?"

Alpha? Joey starrte auf die verschrumpelte Gleichung, die er auf sein Blatt geschmiert hatte. Wo zur Hölle stand etwas von Alpha?? Erschöpft stöhnte er und rieb sich die Stirn.

Eine Freundschaft mit Kaiba? Mit diesem Multitalent? Mit diesem Genie? Joey stellte es sich schön vor, jedoch hoffnungslos. Kaibas Ebene würde er nicht erreichen. Auch wenn er sich auf die Fußballen stellte und sich streckte.

Der Lehrer regte sich im Stillen noch etwas über Kaiba auf, dieser meckerte über jeden Faselfehler und brachte den Lehrer somit an den Rand der Verzweiflung. Dann setzte sich der Mann jedoch an sein Pult und meinte, die Schüler sollten die blöde Aufgabe doch allein machen. Kaiba war mit dieser Entscheidung zufrieden, andere hingegen, die es nicht verstanden hatten, nicht. Joey kämpfte mit den vielen Gleichungen und den grausamen Formeln, bei denen man schon Kopfschmerzen bekam, wenn man sie sah. Und der Lehrer überflog die Arbeiten des Kulturtages. Joey war schon gespannt, beobachtete ihn immer wieder bei der Arbeit, um seine Mimik zu studieren. Und die verzerrte sich manchmal wütend, manchmal grinste oder nickte er auch zufrieden. Joey hatte sich bei der Arbeit große Mühe gegeben, wollte wenigstens ein schönes C sehen. Ein wundervolles C. Zu selten sah er es, geschweige denn das A oder das B. Aber mit einem C? Mit dem würde er sich zufrieden geben. Die gesamte Stunde über beschäftigten sich die Schüler selbst mit den Aufgaben und als es nur noch wenige Minuten bis zum Klingeln war, erhob sich der Lehrer und die Schüler blickten auf.

"Die Aufgaben beendet ihr zu Hause", brummte er und nahm die Blätter von seinem Pult. Sofort räumten die Schüler ihre Bücher und die anderen Dinge weg und lauschten gespannt. Der Lehrer warf einen knappen Blick zu Kaiba, begann dann die Namen und die Note aufzuzählen und die Schüler nach vorne zu rufen. Eigentlich gab es Noten in allen Richtungen. Manche Schüler zogen lange Gesichter, als sie zu ihrem Platz zurückkehrten, andere hingegen, grinsten zufrieden. Dann rief der Lehrer: "Wheeler."

Sofort erhob sich Joey und näherte sich vorsichtig dem Pult.

"B." Der Lehrer drückte ihm die Arbeit in die Hand und Joey starrte ungläubig auf den Buchstaben, überprüfte, ob es wirklich sein Blatt war und grinste bis über beide Ohren, als er zu seinem Platz zurückschlenderte. Dabei hielt er seine Arbeit einigen Schülern unter die Nase und lachte leise. Kaiba hatte schnell noch eine Aufgabe abgeschlossen und richtete sich auf, als auch sein Name fiel. Doch der Lehrer sah nicht sehr zufrieden aus. Nun ja, es war eher eine leise Schadenfreude in seinen Augen zu erkennen, als er ihm die Arbeit reichte.

"Seto Kaiba", sagte er laut und betont. "D!"

Kaiba grabschte nach seinem Blatt und starrte ebenso ungläubig, wie Joey zuvor, auf die Note. Er knirschte jedoch nur mit den Zähnen und sagte nichts dazu, denn er war zugegeben nicht der Fleißigste gewesen. Er beruhigte sich auch schnell wieder, denn diese eine schlechte Note würde seinen Notenspiegel nicht in Mitleidenschaft ziehen. Nur dass Wheeler immer wieder durch die Klasse rief, wie sehr er sich über diese gute Note freute, stimmte ihn wütend. Dann klingelte es und er stopfte das Blatt in seine Tasche und stand auf, um den Raum als erstes zu verlassen und den Nächsten als erstes zu betreten. Er mochte das Gedränge auf den Gängen nicht, obwohl man ihm jedes Mal Platz machte.

"Beheeee", jubelte Joey wieder und war heute auch sehr flott auf dem Weg nach draußen. "Ich habe ein..."

"Ich weiß was du hast, Wheeler!", unterbrach Kaiba ihn und stieß ihn zur Seite, als er durch den Türrahmen stampfte. "Zur Hölle damit, jeder weiß es! Also halt die Klappe und erstick an deinem blöden B!"

Mit diesen Worten ging seiner Wege. Joey sah ihm nach.

"Was regst du dich denn auf?", rief er nach einem kurzen Zögern. "Wärst du bei uns geblieben, hättest du auch eine gute Note bekommen. Aber so eine kleine schlechte Note macht dir doch nichts..."

Er verstummte, als Kaiba um die Ecke bog.

"Man!" Joey stemmte die Hände in die Hüften und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Was hat der denn wieder gegessen, dass er so schlecht drauf ist?"

"Er muss nichts essen, um schlecht drauf zu sein." Plötzlich stand Duke neben ihm und runzelte die Stirn. "Das ist angeboren und er muss sich nicht einmal anstrengen, um das zu schaffen."

"Hm." Joey nickte trübsinnig. "Vermutlich geht es ihm ums Prinzip. Er kann wohl nicht glauben, dass ich einmal besser bin, als er."

"So sieht's aus." Duke rollte mit den Augen und verpasste Joey einen deftigen Schlag auf die Schulter. "Lassen wir ihn mit seinem geknickten Stolz in Ruhe. Ich muss dann weiter."

"Hm." Joey blieb stehen, wartete auf die Anderen und schlenderte dann zum anderen Klassenraum, in dem sie nun Unterricht hatten.
 

Die acht Stunden zogen sich unbarmherzig in die Länge und in der Klasse herrschte eine trübe müde Stimmung, als die achte Stunde begann. Nicht nur die Schüler, nein, auch die Lehrer waren schon genervt und so wurde viel geschrieen. Niemand wollte mehr arbeiten und sehnte sich nach dem erholsamen Wochenende. Und als es nach einer halben Stunde unerträglich wurde, ließ die Lehrerin die Klasse einfach gehen und zog sich ins Lehrerzimmer zurück, um einen starken Kaffee zu trinken und kräftig zu heulen. An diesem Tag waren wohl alle überarbeitet gewesen, doch sobald die Schüler das Schulhaus verlassen hatten, wurde wieder gelacht und geschäkert. Die Schüler machten sich etwas für den freien Tag aus, lagen faul in der heißen Sonne oder starrten Kaiba nach, der mit geschäftiger Miene auf seine Limousine zueilte, einstieg und davonfuhr.

"Und was machen wir am Wochenende?", fragte Yugi guten Mutes und suchte nach seinem Apfel.

"Wir können Eis essen gehen", schlug Duke vor und schlüpfte aus der schwitzigen Schuljacke. Es war wirklich sehr heiß, mitten im Sommer, wie daraus zu schließen ist. Und man musste einfach Eis essen, um nicht vor die Hunde zu gehen. Auch Yugi, Tea und Tristan stimmten zu. Und Bakura gab sein Jawort, nachdem Duke ihn angestupst und somit aus seiner Fantasiewelt geholt hatte. Nur Joey tanzte aus der Reihe.

"Ich muss arbeiten."

"Oh." Yugi seufzte mitfühlend und gab die Suche auf. "Sogar am Samstag? Du Armer du."

"Ach, das geht schon in Ordnung." Joey winkte ab. "Da muss ich wenigstens nicht die ganze Zeit zu Hause herumhängen."

"Oder mit uns herumhängen?", hakte Duke verschmitzt nach und Joey erschrak.

"Nein, nein!", erklärte er schnell. "Natürlich hänge ich gern mit euch herum."

"Ja." Yugi lächelte. "Denn wir sind Freunde."

"Also dann", verabschiedete sich Joey. "Bis Montag."

"Tschüss." Yugi winkte ihm und wandte sich dann mitfühlend an die Anderen. "Er ist ja so fleißig."
 

Zur selben Zeit hielt die Limousine vor der Villa und Kaiba stieg aus. Heute würde er seine Arbeit zu Hause verrichten. Mokuba war immer noch etwas eingeschnappt, weil er gestern erst kurz vor Mitternacht aufgetaucht war. Aber er würde sich schon beruhigen. Wegen der Note war Kaiba nicht mehr so wütend. Er würde sie beseitigen, sobald er konnte. Da Mokuba heute bei einem Klassenkameraden zu Besuch war, hatte er noch etwas Zeit. Also zog er sich gleich in sein Arbeitszimmer zurück. Dieses war sehr groß und gleichermaßen auch als Entspannungsraum zu nutzen. Vor einem modernen Kamin bildeten gemütliche Sofas einen Halbkreis und in ihrer Mitte stand ein Glastisch, ebenso ein weicher Teppich bedeckte den Boden. Es war ein wirklich beruhigender Anblick und sicher konnte man sehr gut entspannen, wenn man sich in eines der Sofas kuschelte, die Beine hochlegte und das Kaminfeuer genoss. Kaiba konnte jedoch nicht nachvollziehen, wie sich das anfühlte. Denn seit er sich dieses Haus gekauft hatte, hatte er kein einziges Mal hier gesessen, die Beine hochgelegt und das Kaminfeuer genossen. Die Zeit fehlte, so wie immer.

Jetzt schlüpfte er aus der blauen Jacke der Schuluniform und warf sie auf den nächsten Stuhl. Anschließend ließ er sich an seinem großen Schreibtisch nieder und setzte sich in den Sessel. Hier saß er oft. Nachdem er sich kurz umgesehen hatte, drückte er auf eine Taste des Telefons und wartete, bis die Nummer gewählt wurde und es dann klingelte.

Ja, heute setzte er sich mit einem seiner Anwälte in Verbindung. Nicht, dass er auf dessen Hilfe angewiesen war, nein, er wollte nur kurz hören, was er dazu meinte. Den Rest des Tages schlug er mit vielen Arbeiten tot. Er schuftete, bis Mokuba zurückkam und dann befasste er sich mit ihm und war erst zufrieden, als der Junge wieder lachte und ihn wieder lieb hatte. Anschließend aß er mit ihm zu Abendbrot und brachte ihn ins Bett. Nachdem er dies erledigt hatte, begann er wieder zu arbeiten. Er arbeitete, bis es zur zweiten Stunde des neuen Tages schlug. Erst dann verließ er seinen Arbeitsraum und schlenderte zu seinem Schlafzimmer. Auch dieses war luxuriös eingerichtet. Den sauberen Parkettboden zierten teure Teppiche. Hier und dort hingen Urkunden und Zertifikate und gegenüber dem riesigen, mit Seidenstoff bezogenen Bett, war ein Fernseher in der Wand eingearbeitet, den man glatt mit einer Wand verwechseln konnte. Aber der war bisher nur einmal zum Einsatz gekommen und das war zu Mokubas Geburtstag gewesen, als schreiende Kinder durch die Villa gerannt waren. Kaiba hatte sich in seiner Firma verbarrikadiert und Wachmänner in seinem Haus aufgestellt, die aufpassen sollten, dass die Kinder ja keine verbotenen Räume betraten, von denen es genug gab. Auch teure Sachen sollten sie nicht anfassen und in den Pool, der sich in der obersten Etage befand, durften sie nur unter der Aufsicht eines Erwachsenen springen. Wenn Kaiba schon die Verantwortung für die Kinder übernehmen musste, dann wollte er sich zumindest sicher sein, dass er keinen Gebrauch von seinen Versicherungen machen musste.

Nun schlüpfte er auch aus seinem weißen Schulhemd und der blauen Hose, schlüpfte in ein weißes Seidenhemd und schlenderte auf sein Bett zu. Was war er müde! Gähnend stieg er auf die Matratze, trödelte zu den Kissen und ließ sich einfach fallen. Anschließend tastete er nach der Decke, schob sich bequem zurück und zog sie über sich. Nach nur wenigen Sekunden schaltete sich das Licht aus und der Raum hüllte sich in angenehme Dunkelheit. Wieder gähnte er, rollte sich auf den Rücken und legte den Arm über das Gesicht.

>Wheeler<, zog es ihm plötzlich durch den Kopf und er zog sich die Decke über das Gesicht. >Es ist langweilig ihn zu ärgern, wenn er nicht schreit und von anderen zurückgehalten werden muss. Es ist langweilig, wenn ich nicht etwas zum lachen habe. Und leider fand ich in den letzten Tagen keine Gelegenheit dazu.< Wieder gähnte er und winkelte die Beine an. >Soll er doch sein Ding machen. Warum sollte ich denn meine kostbare Zeit vergeuden, wenn er nur grinst und sich nicht einmal mehr provozieren lässt? Es wundert mich.< Kaiba zog die Decke ein Stückchen zurück und starrte auf den Mond, der durch sein Fenster direkt zu ihm auf das Bett schien. >Seit ich ihn im Lawell traf, begegne ich ihm mit Verwirrung. Etwas stimmt nicht mit ihm. Wo ist der Junge, der unter Minderwertigkeitskomplexen leidet? Wo ist der Junge, der sich selbst bemitleidet und unsicher in seinem Handeln ist? Ihn habe ich nicht gesehen, nein… ihn sah ich nicht im Lawell. Es scheint eine andere Seite an ihm zu geben. Eine andere Seite, die er nur selten zeigt. Schade, wenn er grinste und lacht nervt er mich nicht so sehr, als wenn er das lange Gesicht zieht und mäkelt.< Kaiba kuschelte sich in die Decke, atmete tief ein und schloss die Augen. >Wer bist du wirklich<, dachte er sich wieder. >Verflucht! Kannst du dich nicht mal entscheiden?!<
 

Es war noch früh am Morgen, als Kaiba die Augen öffnete, unter dem grellen Tageslicht blinzelte und sich zur anderen Seite rollte. Die Decke, die ziemlich zerknietscht aussah, zog er mit sich. Dann blieb er liegen und schlief noch etwas. Doch nach wenigen Minuten bewegte sich die Klinke langsam hinab und die Tür öffnete sich. Mit zerzausten Haaren lugte Mokuba in das Zimmer, erspähte seinen Bruder und trat ein. Er trug einen süßen Schlafanzug und flauschige warme Pantoffeln. Er fand sie zwar nicht hübsch, musste sie jedoch tragen, damit der garstige Arzt nicht schimpfte. Leise schloss er die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zum Bett. Kaiba regte sich verschlafen, gähnte und rollte sich wieder zur anderen Seite. Noch war Mokuba unbemerkt geblieben, noch konnte er seinen Plan in die Tat umsetzen. Er leckte sich konzentriert die Lippen, als er das Bett erreichte, sich darauf abstützte und aus den Pantoffeln schlüpfte. Dann krabbelte er auf die Matratze und krabbelte zu Kaiba, der wieder zu schlafen schien. Als er vor seinem Rücken hockte, richtete sich der Junge auf und ließ sich einfach auf seinen großen Bruder fallen.

"Überraschung!", rief er munter und lachte. "Na? Na?? Bist du erschrocken??"

Aber Kaiba bewegte sich nicht, blieb einfach liegen.

"Hm", murrte er nur und vergrub das Gesicht tiefer im Kissen. Mokuba richtete sich auf und hob die Augenbrauen.

"Du bist ja gar nicht erschrocken", bemerkte er nach kurzem Grübeln. "Warum nicht? Hey, bist du wach?"

"Hm."

"Es ist schon um Sieben!" Mokuba rappelte sich auf und warf sich erneut auf Kaiba. "Du musst aufstehen, Seto! Schnell, wir müssen frühstücken!"

"Hm." Kaiba regte sich kurz und verblieb dann wieder bewegungslos.

"Komm schon!" Mokuba gab nicht auf und rüttelte an ihm. "Du wolltest mich doch zu meinem Freund bringen! Ich wollte um neun Uhr bei ihm sein!"

"Dann haben wir noch Zeit", murmelte Kaiba im Halbschlaf und griff nach einem anderen Kissen, um es sich auf das Gesicht zu drücken. Doch Mokuba schnappte es ihm weg.

"Ja, wir haben noch Zeit!", rief er schnell und hob das Kissen über Kaibas Kopf. "Aber ich weiß doch, was du für ein Morgenmuffel bist! Also habe ich dich schon zwei Stunden eher geweckt. Sonst komme ich zu spät!" Dann ließ er es fallen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Und du hast es mir versprochen. Du hast versprochen, dass du mich bringst. Also steh jetzt auf! Dann haben wir wenigstens noch Zeit, in Ruhe zu frühstücken!"

"Hm." Kaiba verkroch sich tiefer in der Decke, doch Mokuba ergriff die Initiative. Entschlossen grabschte er nach der Decke, stand auf und zog sie mit sich. Kaiba tastete kurz nach ihr, gab es dann jedoch auf und rollte sich träge auf den Bauch. Er konnte auch ohne Decke schlafen. Mokuba stand mit dieser bereits neben dem Bett und zog ein langes Gesicht.

"Seto!"

Keine Antwort.

Mokuba stöhnte, stieg auf das Bett zurück und zerrte die Decke mit sich.

"Dann darfst du eben nicht so spät schlafen gehen", predigte er, als er über die Matratze stampfte. "Wenn du mal früh ins Bett gehen würdest, dann wärst du am nächsten Tag nicht so müde! Ich mache das auch so. Und schau", Mokuba streckte stolz beide Arme von sich, "ich bin putzmunter!"

"Wie schön", ertönte Kaibas Stimme zwischen all den Kissen, unter denen er sich versteckte. "Lass mich... noch zehn Minuten schlafen, ja?"

Dann hob er die Hand und winkte Mokuba nach draußen, aber der Junge sträubte sich. Zuerst warf er die Decke neben Seto auf das Bett zurück und dann setzte er sich einfach auf seinen Rücken. Und plötzlich war Kaiba wach! Er zischte leise auf und fuhr in die Höhe… und Mokuba kullerte zur Seite.

"Au, verdammt!" Kaiba rappelte sich auf und rieb sich die Schulter, Mokuba starrte ihn mit großen Augen an und kurze Zeit später wandte sich Seto an ihn. "Die Schulter und der Rücken sind passee, ja?"

"Und", Mokuba wurde auf den Kratzer aufmerksam, der sich über Kaibas Oberschenkel, bis hin zum Knie zog, "was ist das?"

"Das ist nicht schlimm." Kaiba zog eine Grimasse und kämpfte die Kissen zur Seite.

"Aber was ist denn da passiert?", wollte Mokuba aufgeregt wissen. "Hattest du etwa einen Unfall??"

"Nein", erwiderte Kaiba sofort und schenkte Mokuba ein knappes Grinsen. "Ich bin gestolpert und eine ganze Straße hinuntergepurzelt."

Und das fand Mokuba so lustig, dass er keine weiteren Fragen stellte. Er rappelte sich lachend auf, krabbelte von dem Bett und schlüpfte in seine Pantoffeln. Dann fuchtelte er mit den Händen.

"Kommst du dann? Kommst du dann?", rief er.

"Ja doch." Kaiba rutschte bis zur Bettkante und rieb sich das Gesicht. "Bin gleich da."

"Juhu!" Mokuba drehte sich um und rannte aus dem Raum. Als auch die Tür hinter ihm zufiel, rieb sich Kaiba den Nacken, atmete tief ein und ließ sich auf die Matratze zurückfallen. Dort streckte er beide Arme von sich und schloss die Augen.

Früher ins Bett gehen? Das sagte Mokuba so leicht. Kaiba blieb noch kurz liegen, dann quälte er sich auf die Beine und schlenderte langsam auf die Tür zu. Auf dem Weg zog er sich die Hose etwas höher und kratzte sich am Knie. Nachdem er auf den Gang hinaus getreten war, blieb er stehen, sah sich verschlafen um und kratzte sich am Steiß. Dass Mokuba zu seinem Klassenkameraden fuhr, kam ihm sehr gelegen. Er würde den freien Tag gern mit ihm verbringen, auf der anderen Seite hatte er noch viel zu tun. Und bevor der Junge mäkelnd an seinem Bein hing und wieder den Schmollmund zog, brachte er ihn gern zu seinem Freund. Nach kurzer Zeit hatte Kaiba den Speiseraum erreicht, wo Mokuba bereits auf ihn wartete.

"Komm, Seto! Los, komm schnell!" Hastig winkte er ihn näher.

"Ja, ja." Wieder gähnte Seto, ließ sich träge am Tisch nieder und Mokuba begann zu essen. Doch er lehnte sich nur zurück und griff nach seinem Kaffee.

>Zieht Wheeler nur eine Maskerade ab?<, begann er wieder zu grübeln. >Versucht er mir zu gefallen?< Kaiba schüttelte langsam den Kopf und trank einen Schluck. >Ich hab gesagt, dass ich sein langes Gesicht nicht ausstehen kann und er hat es geändert. Ich sagte auch, dass er faul sei und schon sucht er sich einen Job. Sieht ja fast so aus, als würde er nach meiner Pfeife tanzen. Was er wohl macht, wenn ich ihm sage, er soll aus dem Fenster springen?< Kaiba grinste. >Vielleicht macht er das auch? Ich kann es ja mal versuchen und auf einen Erfolg hoffen.<

"Der Junge ist erst vor wenigen Tagen in meine Klasse gekommen", begann Mokuba mit vollem Mund zu erzählen. "Die Anderen halten sich von ihm fern aber ich mag ihn."

>Wheeler kann machen was er will, sympathisch wird er mir erst, wenn ich ihn nicht mehr sehen muss.<

"Er ist sehr nett, weißt du?" Mokuba rührte in seinem Müsli. "Und er hat auch ein großes Haus, denn seine Eltern sind reich. Toll, was? Endlich habe ich einen Freund, der mich nicht beneiden muss."

>Von selbst würde sich Wheeler nie zu so etwas bereit erklären.< Kaiba stellte die Tasse auf den Tisch zurück. >Warum also tut er es? Er muss doch wissen, dass es mir egal ist.<

"Und", Mokuba griff nach seinem Saft, "seine Eltern sind auch ganz nett. Sie holen ihn immer von der Schule ab. Ich habe schon einmal mit ihnen geredet, weißt du? Und sie finden mich auch nett. Ist doch schön, oder?"

>Er will wohl, dass ich ihn ertrage.< Kaiba runzelte verdrossen die Stirn und Mokuba hob die Augenbrauen. >Da kann er warten bis er schwarz wird! Dieser...<

"... miese kleine...!"

"Aber Seto!" Mokuba erschrak. "Du kennst ihn doch gar nicht! Wie kannst du nur so arg über ihn herziehen!?"

Kaiba blickte auf.

"Und ob ich ihn kenne", brummte er erzürnt. "Sag bloß, du kannst den Idioten leiden! Und reich?" Kaiba lachte aufgesetzt, verstand nicht so recht, worum es eigentlich ging. "Der ist arm wie ein Bettler!"

"Gar nicht wahr!" Auch Mokuba wurde wütend. "Er hat ein großes Haus!"

"Rede doch keinen Blödsinn." Kaiba schnitt eine Grimasse. "Ich war vor kurzem erst bei ihm und das sah mir nicht nach einem Haus aus!"

"Du warst bei ihm??" Mokuba neigte sich ungläubig über den Tisch. "Warum denn das?"

Und jetzt zögerte Kaiba mit der Antwort, sah sich mürrisch um und verschränkte die Arme auf dem Bauch, nach den richtigen Worten suchend. Am Ende schüttelte er aber nur den Kopf.

"Frag ihn doch, wenn du ihn das Nächste mal siehst."

"Ich sehe ihn gleich heute!", rief Mokuba grimmig und ballte die Hände zu Fäusten. "Ich besuche ihn doch!"

"Du besuchst ihn?" Jetzt war Kaiba erstaunt. "Warum... warum denn das? Was willst du denn bei dem?"

"Weiß nicht." Mokuba ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. "Wir spielen ‚Mensch ärgere dich nicht’, lutschen Lollis und schauen Trickfilme. Und dann bauen wir uns eine Höhle mit Decken und Stühlen. Das hat er vorgeschlagen aber ich finde es wirklich lustig."

"Du… baust dir mit ihm… Höhlen." Kaiba traute seinen Ohren nicht, doch Mokuba nickte leichthin.

"Klar, und dann spielen wir Räuber und rennen durch das Haus. Wir erschrecken auch seine Eltern und zwingen sie, uns Süßigkeiten zu geben."

Jetzt fehlten Kaiba die Worte. Er starrte seinen Bruder mit großen Augen und offenem Mund an und wusste nicht, was er denken, beziehungsweise sagen sollte. Und Mokuba wunderte sich sehr über diese Reaktion.

"Was ist...?“

"Ist er nicht", Kaiba begann den Tisch mit den Fingernägeln zu bearbeiten, "etwas zu alt für so einen Blödsinn?"

"Er ist genau so als wie ich", antwortete Mokuba irritiert und Kaiba blickte auf. Schon wieder stand sein Mund offen und er musste erst seine Gedanken ordnen, bevor er etwas sagen konnte.

"Bist du sicher", er hob den Zeigefinger und runzelte die Stirn, "dass wir über denselben sprechen?"

Sofort schüttelte Mokuba den Kopf. "Nein."

"Ah." Kaiba lehnte sich etwas verunsichert zurück und wackelte mit dem Kopf. "Du hast nicht Wheeler gemeint?"

"Wen?"

Kaiba rollte mit den Augen.

"Joey", presste er dann den Namen hervor, als würde es schmerzen, ihn zu nennen.

"Joey?" Mokuba legte den Kopf schief. "Ich habe von meinem Klassenkameraden gesprochen!"

"Gut." Kaiba atmete erleichtert ein. "Es handelt sich wohl um ein Missverständnis."

Mokuba zog ein langes Gesicht und Kaiba erhob sich.

"Ein Missverständnis", murmelte er leise und rieb sich den Bauch. "Ich habe noch kurz zu tun. Iss auf und wasch dir die Haare."

"Die Haare?" Verdattert betastete Mokuba seinen Schopf, der es wirklich nötig hatte. In dieser Sekunde verschwand Kaiba aus dem Raum.
 

Eine knappe Stunde später sprang Mokuba über die Treppenstufen und rannte auf die Limousine zu, Kaiba folgte ihm. Er hatte seinen Koffer dabei, trug jedoch nur ein weißes Hemd, denn es war verdammt heiß. Er traf sich mit einem seiner Kunden, einem sehr wichtigen Kunden. Dennoch legte er heute keinen besonderen Wert auf sein Aussehen und zog das Angenehme vor. Während der Chauffeur die Tür öffnete und Mokuba hinein sprang, blieb Kaiba stehen und betrachtete sich seinen Wagen mit unzufriedener Miene. Dann wandte er sich an den Chauffeur.

"Warum ist mein Wagen so dreckig!", verlangte er barsch zu wissen und der Mann nahm kurz den Staub unter die Lupe, der auf dem edlen schwarzen Lack haftete.

"Der Mann, der für die Säuberung zuständig ist, wurde krank geschrieben", meinte er beschwichtigend. "Man hat Sie doch darüber informiert?"

"Ah ja." Kaiba stöhnte und fuhr sich über den Nacken. "Ich will aber nicht mit so einem Wagen herumfahren. Nachdem wir Mokuba zu seinem Freund gebracht haben, halten wir an einer Tankstelle. Und Sie kümmern sich darum, dass er wieder glänzt!"

"Natürlich."

Dann fuhren sie los, brachten Mokuba zu seinem Freund und fuhren weiter. Die nächste Tankstelle war nicht allzu weit entfernt und Kaiba nutzte die Gelegenheit. Da er noch Zeit hatte, nahm er es auf sich, obgleich es eigentlich nicht seine Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass der Wagen sauber war. Als sie über die Bordsteinkante fuhren, drückte Kaiba die Zigarette aus und lehnte sich zurück. Kurz darauf blieb die Limousine stehen und der Chauffeur rannte nach dem Eimer mit dem Putzmittel.

Auch Kaiba stieg kurze Zeit später aus um etwas Luft zu schnappen. Als er die Tür hinter sich schloss und sich aufrichtete, prallte ihm sofort die grelle Sonne entgegen. Blinzelnd hob er die Hand vor das Gesicht und sah sich kurz um. Die wenigen Menschen, die hier waren, starrten ihn an, als hätten sie noch nie zuvor ein menschliches Wesen erblickt. Oder einen Seto Kaiba an der Tankstelle. Das war ebenso unglaublich. Kaiba achtete herzlich wenig auf die Blicke, öffnete noch einmal die Tür und griff hinein. Dann trat er zurück und schlug die Tür zu. Anschließend wandte er sich ab und setzte sich eine schmale Sonnenbrille auf die Nase. Und während der Chauffeur mit dem Putzen begann, schlenderte er los und sah sich etwas um. Er ließ sich dabei alle Zeit der Welt, allzu groß war die Tankstelle jedoch nicht. Er schlenderte an dem Laden vorbei, zupfte an seinem Hemd und rückte sich die Sonnenbrille zurecht. In schlendernden Schritten bog er dann um eine Ecke und hielt inne. Er regte sich nicht von der Stelle, blieb kurz stehen und starrte vor sich hin. Dann hob er die Hand, ließ das Gesicht sinken und zog die Sonnenbrille etwas tiefer. Funkelnd kamen seine Augen zum Vorschein und richteten sich auf einen bestimmten Punkt. Er starrte aber nur kurz, schob die Brille wieder höher und verschränkte die Arme vor dem Bauch; an seinen Lippen zerrte ein amüsiertes Grinsen, als er gemächlich weiter schlenderte. Nach wenigen Schritten blieb er stehen.

Vor ihm hockte Joey. Gekleidet war er in eine lässige Jeans und ein weißes Hemd, auf seinem Kopf saß ein rotes Basekap. Er hatte Kaiba, der außerdem direkt hinter ihm stand, noch nicht bemerkt. Gerade hatte er ein Auto geputzt. Und den Wasserschlauch nutzte er nun, um sich selbst etwas zu erfrischen. Er spritzte sich das Wasser in das Gesicht, fuhr sich auch über den Nacken und besprenkelte nebenbei den Reifen des Autos. Dabei keuchte er entkräftet und fuhr sich über die Stirn. Vermutlich hatte er schon eher Gebrauch von dem Wasserschlauch gemacht, denn auch sein Hemd war nass. Kaiba machte vorerst nicht auf sich aufmerksam, stützte die Hände in die Hüften und besah sich den Wagen, dann beobachtete er Joey und hob eine Augenbraue. Der Junge planschte noch etwas im Wasser, warf dann den Schlauch zur Seite und drehte sich um. Beinahe wäre er gegen Kaibas Beine gestoßen, doch er wich rechtzeitig zurück und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Kaiba zeigte sich ungerührt, runzelte die Stirn und blickte auf Joey herab. Dieser starrte ihn erschrocken an, als er sich langsam in der tiefen Pfütze aufrichtete, in der er vor Schreck gelandet war.

"K-Kaiba!", stieß und erstickt aus und schnappte nach Luft. "Was machst du denn an einer..."

"Tankstelle?", unterbrach Kaiba ihn und blickte auf. "Was macht man wohl an einer Tankstelle."

"Ja." Joey grinste verhalten und sah sich kurz um. Jetzt war seine Hose auch völlig durchnässt. Während Kaiba wieder seine Sonnenbrille verrückte und tief einatmete, kämpfte er sich fluchend auf die Beine und trat aus der Pfütze heraus. Kaiba sah sich weiterhin um und wandte sich dann wieder an Joey.

"Was erhoffst du dir davon?", fragte er.

"Was?" Joey rieb seine Hose und schüttelte ein Bein. "Wovon?"

"Von diesem Job", brummte Kaiba. "Oder besser gesagt, von den beiden Jobs!"

"Was erhofft man sich wohl von einem Job", antwortete Joey schlagfertig. "Ich will Geld verdienen."

"Ah." Kaiba nickte gelangweilt. "Und mehr ist es nicht?"

"Was soll es denn mehr sein?", fragte Joey und trat den Schlauch zur Seite.

"Weiß ich doch nicht", erwiderte Kaiba gereizt.

"Was stellst du dich denn so an?" Joey richtete sich wieder auf und fuhr sich über die Stirn. "Du hast doch selbst gesagt, dass ich mir einen Job suchen und nicht so faul sein soll."

"Und du tust es jetzt aus eigener Entscheidung."

"Klar", sagte Joey Schulter zuckend. "Aber du hattest Recht. Ich habe mich wohl echt etwas gehen lassen."

Die blauen Pupillen richteten sich auf Joey, doch dieser konnte es durch die schwarzen Gläser nicht sehen und tratschte weiter.

"Ich hänge sowieso den ganzen Tag zu Hause herum und mache keinen Finger krumm. Also dachte ich mir, dass ich einfach mal etwas mache und so, verstehst schon."

Nach einem weiteren Stirnrunzeln wandte sich Kaiba ab.

"Was rede ich eigentlich mit dir!"

Joey grinste.

"Und was machst du hier so?"

"Ich lasse meinen Wagen putzen", antwortete Kaiba genervt und ging davon.

Joey atmete erschöpft aus, fuhr sich erneut über die verschwitzte Stirn und sah ihm nach, bis er hinter der Ecke verschwand. Dann grinste er wieder und wandte sich seiner Arbeit zu.
 

~*to be continued*~

Annäherung

~*Annäherung*~
 

Mit einem Schritt stand Kaiba auf der Straße, atmete die frische Nachtluft ein und umfasste den Koffer fester. Dann sah er sich um. Er trug eine weiße Uniform, eine ebenso weiße Hose und einen leichten Seidenschal um den Hals.

Ein weiterer Millionenvertrag konnte sich nun als abgeschlossen betrachten. Kaiba war mit sich zufrieden, zog sich kurz die Uniform zurecht und ging dann seiner Wege. Die Limousine parkte nicht allzu weit entfernt; er konnte sie schon sehen.

In humpelnden Schritten überquerte er die Straße, stieg über die Bordsteinkante und betrat den Fußweg. Nun war es also so weit... ab heute würde er sich zwei Tage frei nehmen und keinen Finger krumm machen. Nur mit der Schule musste er sich befassen, mit Mokuba und anderen Dingen, die nichts mit Arbeit zu tun hatten. Er selbst hatte eingesehen, dass er einfach zu viel arbeitete.

Er sah die Limousine näher kommen, es trennten sie nur noch wenige Meter, da stieß er mit jemandem zusammen und stolperte zur Seite, fand jedoch schnell das Gleichgewicht zurück. Den Koffer hielt er fest umklammert, als er herumfuhr. Vor seinen Füßen kauerte ein keuchender junger Mann. Zittrig stützte er sich vom Boden ab und ließ entkräftet das Gesicht hängen. Verwirrt hob Kaiba die Augenbrauen und trat näher. Auch der junge Mann blickte auf und starrte ihn mit großen Augen an.

"Wheeler...?" Kaiba schnitt eine Grimasse.

Ja, Joey!

Und er sah übel zugerichtet aus. Über seine Wange zog sich ein blutiger Kratzer, auch seine Nase und die Lippe blutete. Das Hemd war zerrissen. Vermutlich war er in eine Schlägerei geraten. Er starrte Kaiba kurz an, schnappte nach Luft und biss gequält die Zähne zusammen. Seine Gesichtszüge begannen zu zucken und er ließ sich unter einem gedrungenen Stöhnen auf den Boden sinken, sein rechter Arm umklammerte den Bauch.

"Mein Magen...", ächzte er.

Kaiba verdrängte die Verwirrung aus seinem Gesicht und runzelte die Stirn. Dann humpelte er etwas näher und blieb direkt vor Joey stehen. Dieser räkelte sich benommen und stöhnte vor Schmerzen.

"Hey!" Kaiba blickte grimmig auf ihn herab. "Geht's dir nicht gut?"

"Mein...", eine zitternde Hand schob sich ins Freie, die Finger krallten sich in den Asphalt, "... ich kann nicht atmen!"

"Klar kannst du atmen!" Kaiba rollte mit den Augen.

"Kann ich...", Joey rang nach Sauerstoff, "... nicht!"

"Was hast du gemacht, Wheeler!" Kaiba beugte sich leicht hinab, schlug die Hand in seinen Kragen, erhob sich und zog ihn mit auf die Beine. Joey kam nur strauchelnd zum Stehen, umklammerte seinen Bauch und neigte sich nach vorn. Er drohte zusammenzubrechen, doch Kaiba hielt ihn fest, hielt ihn aufrecht.

"So ein Typ aus dem Lawell...", stammelte Joey.

"Ich verstehe schon!", unterbrach Kaiba ihn barsch und drehte sich kurz zu der Limousine um, in der der Chauffeur saß und gaffte. Dann wandte er sich wieder mit grimmiger Miene an Joey. "Geh nach Hause, ich habe Besseres zu tun!"

Mit diesen Worten ließ er ihn los und humpelte davon. Er ging jedoch nur wenige Schritte, dann verfinsterte sich seine Miene und er blieb stehen; der Chauffeur gaffte noch immer. Grimmig knirschte Kaiba mit den Zähnen, dann drehte er sich um. Joey lag ja schon wieder auf dem Boden!

"Verflucht noch mal!" Kaiba stieß ein entnervtes Stöhnen aus und fuhr sich über den Nacken. Doch dann rief er ohne zu überlegen den Chauffeur zu sich und kehrte zu Joey zurück. Den Koffer warf er dem Chauffeur zu, als dieser angerannt kam. Fluchend bückte er sich, griff mit beiden Händen unter Joeys Arme und hob den jungen Mann hoch. Dieser zischte leise auf, ließ sich dann jedoch hängen und schleppen. Kaiba schleppte ihn jedoch nicht all zu weit. Der Chauffeur hatte schnell die Tür geöffnet und den Koffer hinein gelegt. Nun eilte er Kaiba entgegen und bekam prompt Joey in die Arme gedrückt.

"Rein mit ihm."

Während Joey leise jammerte und der verdutzte Chauffeur ihn festhielt, stieg Kaiba ein und schlug die Tür hinter sich zu. Der Chauffeur zögerte kurz, dann schleppte er ihn zu der anderen Seite der Limousine.

"Aua." Joey ließ matt den Kopf hängen.

Unter den merkwürdigsten Verrenkungen öffnete der Chauffeur die Tür, hob Joey kurz hoch und setzte ihn vorsichtig auf die gepolsterte Bank. Nun saß er auf derselben Bank wie Kaiba, nur am anderen Ende. Als sich die Tür neben ihm schloss, kippte er zur Seite und lehnte an der verdunkelten Fensterscheibe. Und während er die pochende Stirn gegen das kühle Glas legte, schlangen sich die Arme wieder um den Bauch. Anschließend verzog er schmerzvoll das Gesicht und keuchte leise.

"Auuu..."

Kaiba warf ihm einen genervten Blick zu, rollte mit den Augen und lehnte sich zurück.

"Fahren Sie zum nächstbesten Krankenhaus", befahl er, als sich der Chauffeur kurz zu ihm umdrehte. Dann begann er zu wühlen und hatte kurz darauf eine Zigarette im Mund, die er sogleich anzündete. Die Limousine fuhr an und Joey starrte mit trüben Augen aus dem Fenster. Dann begann er erneut zu jammern und Kaiba knirschte mit den Zähnen.

"Mein Bauch...", klagte er.

Kaiba nahm einen langen Zug, legte die Stirn in die Handfläche und schüttelte langsam den Kopf. Joey atmete tief ein und tief aus, dann schloss er die Augen.

"Und mein Kopf..."

"Du winselst wie ein Hund!", unterbrach Kaiba ihn gestresst und legte den Kopf in den Nacken. "Wenn ich dich schon mitnehme, dann halt wenigstens die Klappe!"

Joey hielt wirklich den Mund. Er schloss ihn, verzog die Augenbrauen und linste dann zögerlich zu Kaiba, dieser starrte aus dem Fenster. Joey beobachtete ihn nur kurz.

"Der Typ hat einfach zugeschlagen", murmelte er dann und aus Kaibas Richtung ertönte ein erschöpftes Stöhnen. "Ich habe im Café doch keinen Fehler gemacht, oder?"

Kaiba schwieg, fuhr sich müde durch den Schopf und schloss die Augen, Joey starrte ihn noch immer an.

"Er wollte nicht bezahlen und ich..."

"Verdammt, ich habe doch gesehen, was du getan hast", unterbrach Kaiba ihn wie gewohnt. "Du hast keinen Fehler gemacht, okay? Bist du jetzt zufrieden?"

Joey nickte zögerlich, drehte das Gesicht nach vorn und hielt sich den Bauch. Nebenbei betrachtete er sich die Einrichtung der Limousine. Kaiba starrte wieder aus dem Fenster.

"Warum hilfst du mir eigentlich?" Mit viel Überwindung stellte Joey diese Frage. "Ich dachte, du kannst mich nicht ausstehen...?"

"Ich kann dich wirklich nicht ausstehen", antwortete Kaiba ohne zu überlegen. "Ich kann es nur nicht leiden, jemandem etwas schuldig zu sein! Und vor allen Dingen nicht so einem wie dir!"

"Wie mir...?" Joey hob verdattert die Augenbrauen, ein Schmerz durchzuckte seinen Brustkorb und seine Finger krallten sich in den Stoff des T-Shirts.

"Dieselbe Frage könnte ich dir auch stellen, Wheeler!" Kaiba linste scharf zu ihm. "Warum hast du mir geholfen, wenn du mich nicht ausstehen kannst!"

Jetzt war Joey irritiert. Verunsichert öffnete er den Mund und starrte Kaiba an; ihre Blicke trafen sich.

"A-aber… ich habe doch nie gesagt, dass ich dich nicht..."

"Wen interessiert's." Kaiba winkte ab. "Halten Sie an!", rief er dann plötzlich vor zum Chauffeur. "Haben Sie keine Augen im Kopf?!"

Der Mann erschrak und sofort kam die Limousine zum Stehen.

"Entschuldigen Sie." Er räusperte sich nervös und stellte den Motor ab. Nun standen sie vor einem Krankenhaus. Verdattert sah sich Joey um und Kaiba fuchtelte nach dem Chauffeur.

"Bringen Sie ihn rein! Und beeilen Sie sich!"

"Ja, natürlich." Hastig riss der Mann die Tür auf und stieg aus. Mit offenem Mund lugte Joey zu Kaiba und dieser brummte etwas Verworrenes und steckte sich wieder die Zigarette in den Mund. Wenige Sekunden später öffnete sich neben Joey die Tür und der Chauffeur griff eilig nach Joeys Arm und zog ihn sich über die Schulter. Joey behielt den Blick so lange auf Kaiba gerichtet, wie nur möglich. Er starrte ihn an, als er aus der Limousine gehoben wurde und auch, als der Mann ihn zum Krankenhaus brachte, streckte er das Gesicht zurück und starrte auf die verdunkelte Scheibe. Kaiba wandte sich desinteressiert ab und warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Anschließend stöhnte er und streckte die Beine von sich. Er hatte auch nichts Besseres zu tun, als Typen aufzulesen und zu versorgen… verflucht noch mal, Mokuba wartete auf ihn! Er rauchte die Zigarette zu Ende und wartete unglaubliche fünf Minuten. Erst dann öffnete sich die Tür des Gebäudes und der Mann kam mit schwerem Atem angerannt, rannte um das Auto herum und stieg schnell ein.

"Entschuldigen Sie vielmals", sagte er wieder und grabschte nach dem Zündschlüssel. "Der Junge ist nicht schwer verletzt und die Ärzte sagten, er könnte gleich wieder mitgenommen werden. Ich musste erst diskutieren und ihnen die Situation schildern."

"Was?" Kaiba lachte sarkastisch. "Soll ich Wheeler etwa mit zu mir nehmen und eine Teeparty mit ihm veranstalten? Jetzt beeilen Sie sich gefälligst! Wir haben schon genug Zeit vergeudet!"

"Verzeihung."
 

Somit neigte sich dieser freie Tag dem Ende zu und die Nacht brach an. Manch einer konnte sie genießen und lange mit seinem kleinen Brüderchen vor dem Fernseher sitzen und sich "lustige" Trickfilme anschauen. Andere hingegen, standen zu dieser späten Stunde mit Binden verziert an einer Bushaltestelle und zählten trübsinnig die Minuten. So welche wie Joey.

Der freie Tag war also vorbei und der Nächste rückte sofort nach. Und da freuten sich alle. Hallo geliebte Schule, wir kommen. Wer braucht schon die Freizeit?

Kaiba betrat das Schulgebäude als Erstes, drängelte ein paar Kinder zur Seite und ging seiner Wege. Heute fühlte er sich gut. Er hatte keine Termine. Eigentlich... nun ja, eigentlich wusste er nicht, was er heute machen sollte. Was sollte er tun, wenn nicht Termine verfolgen und arbeiten? Nun, ihm blieb genügend Zeit, darüber nachzudenken.

Das Klassenzimmer betrat er ebenfalls als Erstes. Der Lehrer saß bereits an seinem Pult und schickte ihm einen grantigen Blick; er war sehr nachtragend. Kaiba interessierte sich nicht dafür. Er hatte zu gute Laune, als dass er sich nun auf einen minderbemittelten Mann einlassen wollte. Also ließ er sich nieder, hob die Tasche auf seinen Schoß und begann sofort in ihr zu wühlen. Und kurze Zeit später erhaschte er sich dabei, wie er die Termine der nächsten Tage durchging, die Pikotto nun für ihn übernahm.

In diesen Mann setzte er volles Vertrauen und dennoch grübelte er, ob er nicht doch vielleicht einen Termin... oder zwei... übernehmen... könnte?

Nein… er biss sich auf die Unterlippe, Mokuba würde wütend sein und er kannte nichts Schlimmeres als die trübsinnige Miene des kleinen Bruders. Also stöhnte er, schlug den Notizblock zu und blickte auf. Beinahe wäre er erschrocken, als er plötzlich Joey vor seinem Tisch stehen sah. Der junge Mann stand einfach vor ihm und wackelte leicht verunsichert mit dem Kopf. Ein paar Pflaster in seinem Gesicht, doch sonst sah Joey heiter aus. Sofort verfinsterte sich Kaibas Miene und er öffnete den Mund, um den gewohnten Spruch zu sagen: "Verzieh dich Wheeler, ich arbeite!". Aber eigentlich arbeitete er ja gar nicht. Also warum sollte er sich nicht anhören, was er zu sagen hatte?

"Was", sagte er also.

"Ja, ähm...", sofort erwachte Joey zum Leben und fuhr sich tollpatschig durch den verwuschelten Schopf, Kaiba runzelte die Stirn. "Ich...", der Blonde stoppte und ließ schlaff die Arme hängen. "Ach man, was soll's." Er stöhnte. "Ich wollte dir eigentlich nur danken."

"Wofür!" Kaiba lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

"Für deine Hilfe... gestern Abend", half Joey in einem etwas leiseren Tonfall aus und Kaiba lugte zur Seite, wo Yugi, Tea und Tristan mit langen Gesichtern standen und gafften. Sobald sie jedoch auf seinen Blick trafen, gingen sie schnell ihrer Wege und überließen Joey seinem Schicksal. Kaiba wandte sich wieder an ihn.

"Dank mir nicht", raunte er. "Ich habe es nut getan, damit wir quitt sind!"

Joey grinste keck. "Trotzdem… Danke."

Kaiba verharrte in der Bewegung und hob die Augenbrauen, Joey grinste weiterhin.

"Ich weiß das wirklich zu schätzen."

"Ach."

"Hm." Joey nickte hastig.

"Was weißt du zu schätzen!" Kaiba verstand nicht so recht und Joey sah sich kurz um und neigte sich dann etwas nach vorn.

"Dass du mich in ein Krankenhaus gefahren hast", sagte er dann gedämpft und Kaiba war ihm dafür dankbar. Nicht jeder musste erfahren, mit wem er sich in seiner Freizeit abgab. "Ich habe mich wirklich mies gefühlt."

Kaiba rollte mit den Augen. "Kauf dir Ohren und benutzte sie, Wheeler! Ich sagte, ich habe es nur getan, damit wir..." Aus irgendeinem Grund stoppte er. Er starrte Wheeler an und dessen Grinsen vertiefte sich, wandelte sich zu einem Lächeln. "Ah..." Kaiba fuchtelte ihn weg. "Keine Ursache!"

Joey gluckste leise, wandte sich ab und humpelte davon. Die Schüler saßen bereits auf ihren Plätzen und bevor Joey es ihnen gleichtun konnte, wurde er vom Lehrer erwischt. Diesem war es egal, ob Joey humpelte und aus irgendeinem Grund nur sehr langsam gehen konnte.

"Wheeler!" Der Mann rammte die Hände in die Hüften und schnitt eine Grimasse. Auch Joey verzog in einer bösen Vorahnung das Gesicht und drehte sich langsam um.

"Ja...?"

"Wie oft habe dich dir schon gesagt, dass du mit dem Stundenklingeln auf dem Platz zu sitzen hast! Und wie oft hast du dich schon nicht daran gehalten!"

Joey sah sich beirrt um.

"Uh, hat es etwa schon geklingelt?"

"Ja", zischte der Lehrer. "Gerade eben!"

"Tschuldigung." Joey räusperte sich und ließ beschämt den Kopf sinken. Doch der Lehrer ließ nicht von ihm ab. Ihn hatte er schon immer auf dem Kieker gehabt. Kaiba hatte er sich erst vor wenigen Tagen für die zweite Stelle auf seiner schwarzen Liste ausgesucht.

"Immer kommst du zu spät! Immer kommst du zu spät in das Klassenzimmer und dann führst du noch heitere Gespräche mit deinen Freunden!"

"Freunde?" Kaiba fuhr in die Höhe und Joey zuckte erschrocken zusammen. "Sie meinen nicht mich, oder?!"

"Mit wem hat er sich denn soeben unterhalten?!", giftete der Lehrer zänkisch zurück. "Mit Ihnen, Kaiba!"

Leicht verwirrt sah Joey von dem Lehrer zu Kaiba, die anderen Schüler gafften.

"Wenn wir uns unterhalten, hat es noch lange nicht zu bedeuten, dass wir Freunde sind!" Kaiba stieß mit dem Zeigefinger nach dem Lehrer. "Solche Vorwürfe verbitte ich mir!"

"Setzen Sie sich!" Der Lehrer wurde rot im Gesicht und die Schüler duckten sich.

"Ähm..." Joey warf einen zaghaften Blick zu seinem Stuhl. "Dürfte ich mich vielleicht..."

"Wheeler!" Der Mann fuhr zu ihm herum und Joey hob schützend die Arme vor das Gesicht. "Du wirst den Gang putzen!"

Joey stand der Mund offen.

"Aber..."

"Moment!", unterbrach Kaiba ihn und trat hinter dem Tisch hervor. Alle Augen richteten sich auf ihn. "Bedenken Sie, dass Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz befinden! Lassen Sie Ihre privaten Havarien Zuhause und lassen Sie sie nicht an den Schülern aus!" Kaiba trat auf den Lehrer zu, er überragte ihn um einen halben Kopf. "Das Benehmen, welches Sie an den Tag legen", sein Blick verfinsterte sich, "das Schulamt würde sich brennend dafür interessieren!"

Der Mann schnappte empört nach Luft und ballte die Hände zu Fäusten. Kaiba legte sich doch wirklich mit dem Lehrer an! Joey stand der Mund offen.

Hey, das war doch sein Job!

"Was... fällt Ihnen ein?!"

"Schreien Sie mich noch ein einziges Mal an", zischte Kaiba drohend und trat zurück, "... dann ist Ihre Gattin gefeuert!"

Und jetzt war der Mann still.

Die Schüler starrten immernoch und Kaiba ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder und lehnte sich zurück. Nur Joey stand noch etwas verlassen herum und wusste nicht so recht, was er tun sollte.

Hatte Kaiba ihn gerade verteidigt...?

Nein, er musste sich verhört haben. Als der Lehrer ihm einen giftigen Blick schickte, kratzte er sich nachdenklich am Kopf und setzte sich hin. So, das war's. Mehr Aufmerksamkeit schenkte Kaiba ihm in der Schule nicht mehr. Dennoch war Joey bei guter Laune und selbst, als er Kaiba später wieder im Lawell erspähte und ihn bediente, grinste und lachte er. Ein Grund dafür war vielleicht, dass Kaiba mit Mokuba da war, ein Anblick, den man zu selten genießen konnte.

Zuerst brachte Joey dem Jungen ein großes Eis, dann einen Kuchen und letzten Endes noch einen Kaffee für Kaiba, der etwas gelangweilt in einem Buch blätterte und nicht so recht wusste, was er eigentlich machen sollte. Heute hatte Joey nur eine kurze Schicht gehabt und als sie endete, saß Kaiba noch immer dort und Mokuba war kurz auf der Toilette verschwunden. Joey zögerte nicht lange, band sich die Schürze lockerer und klemmte sich das Tablett unter den Arm, das er gerade herumtrug. Dann schlenderte er einfach zu Kaiba. Dieser schenkte nur dem Buch Beachtung. Also ließ sich Joey auf dem gegenüberliegenden Platz nieder und stützte sich auf den Tisch.

"Darf ich mich setzen?"

"Du sitzt schon", murrte Kaiba ohne aufzublicken und Joey sah sich kurz um.

"Oh, stimmt ja", bemerkte er grinsend und legte das Tablett zur Seite. Da Kaiba ihn nicht verscheuchte, blieb er sitzen und beobachtete ihn, wie er in dem Buch blätterte, sich eine Strähne aus dem Gesicht pustete und letzten Endes nach einer Zigarettenschachtel griff. Eigentlich hatte Joey damit gerechnet, eine blöde Bemerkung an den Kopf zu bekommen. Aber Kaiba sagte nichts, beachtete ihn nicht. Also musste er auf sich aufmerksam machen.

"Na?", grinste er und lehnte sich nach vorn, einen neugierigen Blick in das Buch werfend. "Viel Arbeit?"

Kaiba brannte die Zigarette an, ohne ihn auch nur einmal anzusehen. Dann schlug er das Buch zu und schüttelte den Kopf. Joey hob überrascht die Augenbrauen.

"Seit wann hast du nicht viel Arbeit?"

"Seit wann stellst du solche Fragen, Wheeler!", konterte Kaiba schlagfertig und nahm einen starken Zug. Doch Joey reagierte gelassen und zuckte mit den Schultern.

"Na, ich will ein Gespräch beginnen."

"Ein Gespräch." Kaiba lehnte sich langsam zurück und endlich trafen sich ihre Blicke. "Warum."

"Warum nicht?" Joeys Grinsen vertiefte sich.

"Ich habe keine Lust auf ein Gespräch."

"Aber wir führen schon eins." Joey griff nach der Schale mit den Zuckerwürfeln und steckte sich einen in den Mund. Kaiba beobachtete ihn kurz, dann rümpfte er die Nase und wandte sich dem Aquarium zu.

"Dann ist es hiermit beendet."

"Och, warum?"

"Warum nicht?" Kaiba lugte prüfend zu ihm.

Joey holte tief Luft und griff nach dem nächsten Zuckerwürfel. Doch diesen schubste er etwas über den Tisch, bevor er ihn ebenfalls im Mund verschwinden ließ. Dann brach eine lange Stille über sie herein. Kaiba störte sich nicht daran und auch Joey schien nicht zu leiden. Er schien sogar vergnügt, als er einen Turm aus Zuckerwürfeln baute, Kaiba beobachtete die Fische. Sie schwiegen einige Minuten und Joey war es, der das Wort ergriff. Er schubste den Turm um, starrte kurz auf die Tischplatte und blickte dann auf. Er fixierte Kaiba mit ernster Miene und dieser beobachtete gelangweilt eine kleine Wasserschnecke.

"Kaiba." Joey neigte sich nach vorn, ihn weiterhin fixierend. "Glaubst du an das Schicksal?"

Kaiba schnitt eine Grimasse und wandte den Blick von der Schnecke ab, die, ach oh weh, von ihrem Stein rutschte und auf den Boden des Aquariums zurücksank.

"Wa…?" Ungläubig wandte er sich an Joey. "Meinst du das ernst...?"

"Hm." Joey hielt seinem Blick stand. "Es interessiert mich."

"Ob ich an das Schicksal glaube...?" Kaiba konnte es nicht fassen und neigte sich weiterhin nach vorn; Joey richtete sich nickend auf. "Willst du mich für dumm ver..."

"Hallo!" Plötzlich stand ein strahlender Mokuba neben den Beiden. Kaiba starrte Joey an und dieser wandte sich an den Jungen.

"Hallöle", erwiderte er grinsend.

"Ich finde es ja so toll, dass du hier arbeitest." Mokuba grabschte nach einem Zuckerwürfel und steckte ihn sich in den Mund, Kaiba runzelte die Stirn. "So eine nette Bedienung hatten wir noch nie."

Joey lächelte gerührt und griff nach dem Tablett, um aufzustehen, doch Mokuba versperrte ihm den Weg.

"Joey, ich muss dir einen Laden zeigen!", erklärte er aufgeregt. "Er ist gleich hier um die Ecke! Kommst du? Darf ich, Seto? Wir sind auch schnell wieder da!"

Kaiba schien von dieser Idee nicht sehr angetan zu sein. Und das zeigte er den Beiden. Joey zog sich die Schürze über den Kopf und Mokuba legte den Kopf schief. Mokuba und Wheeler? Er brummte leise und starrte auf den Aschenbecher.

"Seto!" Mokuba grabschte nach seinem Hemd und zerrte daran. "Büdde!"

"Ja, geht schon." Kaiba warf Joey einen finsteren Blick zu. "Wenn etwas passiert, ist es allein deine Schuld, Wheeler!"

"Ja." Joey grinste vergnügt. "Daran gewöhne ich mich allmählich."

Mit diesen Worten drehte er sich um und schlenkerte mit der Schürze. Mokuba griff noch schnell nach einem Zuckerwürfel und folgte ihm dann.

>Es ist doch kaum zu glauben<, ging es Kaiba durch den Kopf, als er die Beiden auf der Straße verschwinden sah. >Was findet Mokuba nur an diesem Hohlkopf! Wheeler ist mies in der Schule, strohdumm und tölpisch!< Kaiba knurrte leise und begann die Zuckerwürfel über den Tisch zu schubsen.
 

Da Kaiba genau wie Joey eine Sportbefreiung hatte, durften die Beiden am nächsten Tag nicht am Sport teilnehmen. Wie gerne hätte sich Joey auf eine der Bänke gelegt und etwas gedöst. Wie gerne hätte Kaiba einige Telefonate geführt und in seinem kleinen Terminplaner geblättert. Aber nichts da. Obwohl der Sportlehrer nichts gegen die Beiden hatte, sollten sie zwei Stunden lang die Lagerräume der beiden Sporthallen aufräumen. Was fluchten sie! Dabei konnten sich beide kaum bücken, ohne einen reißenden Schmerz zu verspüren. Mit langen Gesichtern humpelten die Beiden durch die Gänge des Schulgebäudes. Der Unterricht hatte bereits begonnen aber sie waren in das Sekretariat geschickt worden, um die Schlüssel zu holen. Und sie schwiegen. Joey hielt sich den Bauch und Kaiba rieb sich die Schulter. Lange hatte er gestern noch über die Vorkommnisse nachgedacht. Er hatte über alles nachgedacht, was in den letzten Tagen passiert war. Von seinem Unfall bis hin zu Joeys unfreiwilliger Prügelei. Trotzdem tat seine Schulter weh und er rieb sie weiterhin. Joey rollte verspannt mit dem Kopf und starrte anschließend an die Decke, so als hätte er eine Halsstarre. Dann kamen die Treppenstufen und sie nahmen sie in Angriff. Doch da beide humpelten und Schmerzen hatten, erreichten sie das Ziel zur selben Zeit und steuerten auf das Sekretariat zu. Joey klopfte kurz an, griff dann nach der Klinke und öffnete die Tür. Im Sekretariat saß nur eine Frau. Diese blickte nun auf und schob ihre Brille tiefer, um die beiden zu mustern.

"Ja bitte?"

"Ja, ähm...", Joey trödelte näher. "Wir bräuchten die Schlüssel für..."

"Ich will eine Beschwerde einreichen", fiel Kaiba ihm ins Wort und drängelte ihn zur Seite.

"Was?" Verdattert starrte Joey ihn an.

"Eine Beschwerde?" Die Frau erhob sich aus ihrem Stuhl und Kaiba nickte in kühler Entschlossenheit. Joey stand etwas irritiert hinter ihm, wusste nicht, was er tun sollte.

"Ich besitze ein ärztliches Schreiben." Kaiba pochte mit dem Zeigefinger auf den Anmeldetisch. "Ich darf keinerlei Sport treiben und habe mich in meinen Bewegungen zu schonen."

Zögernd hob Joey die Hand.

"Ich... ähm... au..."

"Ich sehe es nicht ein!" Kaiba unterbrach ihn wieder. "Ich sehe nicht ein, weshalb wir nun die Lagerräume aufräumen sollen!" Er neigte sich nach vorn und musterte die Frau scharf. "Mir scheint, der Sportlehrer versteht den Ernst der Lage nicht! Ich werde keine Räume aufräumen, ich werde gar nichts tun! Und ich erwarte, dass ärztliche Attests mit mehr Ernsthaftigkeit aufgefasst werden!"

"Ähm..." Die Frau rückte wieder an ihrer Brille und Joey stand der Mund offen.

"Sie können Andere zum Aufräumen schicken und als Arbeitskräfte missbrauchen, doch ich lasse das nicht mit mir machen und wenn ich so etwas auch nur noch einziges Mal erlebe, dann werde ich wieder eine Beschwerde einreichen! Aber dann werde ich mich an eine Stelle wenden, die wirklich etwas unternimmt und bewirkt!"

"Es ist so", die Frau atmete tief ein, "es gibt verschiedene Attests und wir haben eure vielleicht..."

"Sparen Sie sich die Ausreden!" Kaiba wandte sich mit einer knappen Handbewegung ab. "Ich habe die Tatsachen nur offen auf den Tisch gelegt. Nehmen Sie es nicht persönlich, aber hier geht eine Unverschämtheit vor sich. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen." Mit diesen Worten griff er nach der Tür und öffnete sie. "Endergebnis: Wir räumen nicht auf!"

Somit trat er in den Gang hinaus und verschwand, die Tür blieb angelehnt. Nicht nur die Frau, nein, auch Joey stand da als hätte er soeben ein grünes Nilpferd am Fenster vorbeifliegen gesehen. Aber er riss sich schnell zusammen, grinste die Frau nervös an und folgte Kaiba dann nach draußen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte er schnell auf und humpelte wieder neben ihm einher.

"Wir hätten doch aufräumen können, oder…?"

Kaiba antwortete nicht.

"Den Aufstand war es doch nicht wert."

"Wheeler!" Kaiba ließ den Kopf hängen, erschöpft von Joeys Naivität. "Wenn du alles auf dir sitzen lässt, wirst du es nie zu etwas bringen!"

"Ah."

"Und wenn denen niemand die Meinung sagt und sie auf den rechten Weg zurückbringt, gerät hier alles durcheinander!" Kaiba drehte sich um und warf der Tür des Sekretariats einen finsteren Blick zu. "Wenn ich schon auf diese Schule gehen muss, dann will ich wenigstens, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht."

Joey verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf den Boden. So gingen sie wenige Meter und plötzlich begann der Blonde leise zu lachen.

"Was ist!", schnaubte Kaiba.

"Kann es sein", Joey blieb stehen und legte verspielt den Kopf schief, "dass du nur zu faul bist?"

Kaibas Gesicht verdunkelte sich zusehends und Joey verbesserte schnell. Noch immer grinsend ließ er die Arme sinken und schlenkerte etwas mit ihnen.

"Ich meine, vielleicht hast du auch nur keine Lust?"

Kaiba knirschte mit den Zähnen und machte den Anschein, sich auf ihn stürzen zu wollen.

"Aber sag mal." Joey trödelte näher. "Das mit dem Attest, stimmt das echt?"

"Jaaa!" Kaiba verengte die Augen und beugte sich nach vorn. "Und wenn du dir den Attest auch nur ein einziges Mal durchgelesen hättest, würdest du es wissen!"

"Wir müssen also wirklich nichts machen?" Joey Augen begannen vor Begeisterung zu leuchten, doch Kaibas Gesicht entspannte sich, bis er Joey ausdruckslos ansah. Dieser ließ verdutzt die Hände sinken und starrte zurück. So standen sie kurz voreinander und gafften, bis Kaiba leise mit der Zunge schnalzte und den Blick abwandte. An Joeys Lippen zog ein unscheinbares Lächeln, welches sich jedoch schnell entfaltete.

"Sag bloß, du hast gelogen, um faulenzen zu können."

Kaiba stützte die Hände in die Hüften und lugte zu ihm. Wieder trafen sich ihre Blicke.

"Sag schon." Joey trat interessiert näher. "Hast du geflunkert, um dich vor der Arbeit zu drücken?"

"Nicht, dass ich etwas gegen Arbeit hätte", erwiderte Kaiba endlich und fuhr sich durch den Schopf. "Aber das ist unter meiner Würde."

"Du-hast-geflunkert!" Joey konnte es kaum glauben und Kaiba hob lobend den Daumen, bevor er sich umdrehte und davon humpelte. Joey sah ihm nach, ungläubig, begeistert! So eine Tat passte nicht zu Seto Kaiba, dem anständigen und fleißigen Bürger! Joey konnte nicht anders, er musste einfach lachen. Er lachte laut, stützte sich auf die Knie und schüttelte den Kopf. Und während er sich um die eigene Achse drehte und weiterhin lachte, blieb Kaiba stehen und wandte sich zu ihm um. Joey bemerkte nicht, wie er beobachtet wurde und kam auch nicht mehr dazu, denn Kaiba wandte sich nach wenigen Augenblicken wieder ab.

"Kommst du jetzt oder willst du dich hier häuslich einrichten!"

"Was?" Joey hielt inne. "Ich soll..."

Kaiba verschwand hinter der nächsten Ecke.

"Hey, warte mal!" Joey eilte ihm nach. "Was meinst du denn damit?"

"Wir haben zwei Stunden frei", erwiderte Kaiba und näherte sich der Tür der Umkleidekabine. "Sicher hast du nicht vor, in der Schule zu bleiben!"

"Na ja, ich weiß nicht." Joey blieb stehen und Kaiba verschwand in den Kabinen. "Was willst du denn in den Freistunden machen?"

"Ich setzte mich in den Garten", kam die Antwort und Joey biss sich auf die Unterlippe. Er zögerte, verwarf dann aber jedes Haspeln mit einem Kopfschütteln.

"Darf ich… mitkommen?"

In dieser Sekunde trat Kaiba wieder in den Gang hinaus, schulterte seine Tasche und schickte ihm einen flüchtigen gleichgültigen Blick.

"Tu, was du nicht lassen kannst", murmelte er und schlenderte davon.

"Dann komme ich mit!" Hastig rannte auch Joey in die Umkleidekabine, grabschte nach seiner Tasche und folgte Kaiba anschließend nach draußen. Ohne ein Wort zu verlieren, trödelten die Beiden über den Schulhof und schlenderten auf den blühenden Garten zu. Nicht allzu weit vom Schulhof entfernt, erstreckte sich der Sportplatz, auf dem ihre Klasse gerade Baseball spielte. Sie achteten nicht darauf, wurden jedoch selbst erspäht. Yugi blieb stehen und neigte sich nach vorn, ungläubig auf den Schulhof starrend. Dem Spiel schenkte er keine Beachtung. Nein, er beobachtete Joey und Kaiba, wie sie nebeneinander zwischen den Hecken verschwanden.

Konnte das denn die Realität sein? Yugi runzelte die Stirn.

Kaiba und Joey?

Seit wann verbrachten die Beiden denn die Freizeit miteinander…?

"Muto, Vorsicht!!"

Erschrocken fuhr Yugi herum, doch da bekam er schon den kleinen harten Ball gegen den Kopf, stolperte zurück und landete unangenehm auf dem Kies.

"Hier ist das Spielfeld, nicht da drüben!" Der Sportlehrer blieb wütend vor dem Jungen stehen und stemmte die Hände in die Hüften. "Du musst dich nicht wundern, wenn du nicht aufpasst!"

"Entschuldigung."
 

Schnaufend ließ sich Joey auf der Bank nieder, warf die Tasche zur Seite und streckte müde beide Beine von sich. Kaiba blieb neben ihm stehen, schlüpfte zuerst aus der blauen Jacke und dann auch aus dem langärmlichen weißen Hemd. Als er die beiden Kleidungsstücke neben Joey auf die Bank warf und an einem schwarzen modischen Hemd zupfte, drehte Joey das Gesicht zu ihm.

"Gestern im Lawell", ergriff Kaiba unerwartet das Wort und langte nach seiner Tasche. "Da hast du mir eine Frage gestellt, Wheeler."

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen und Kaiba lugte zu ihm.

"Hast du diese Frage gestellt, weil du ein Gespräch beginnen wolltest oder interessierst du dich wirklich dafür!"

"Natürlich interessiert es mich", antwortete Joey verwundert und Kaiba begann in der Tasche zu wühlen. "Sonst würde ich ja nicht fragen."

Kaiba legte den Kopf schief, zog ein Handy hervor und richtete sich auf.

"Wie steht's mit dir, Wheeler."

"Was?"

"Frag nicht so blöd." Kaiba ließ sich in einem sicheren Abstand zu ihm auf der Bank nieder. "Glaubst du an das Schicksal?"

"Interessiert dich das?" Joey richtete sich überrascht auf.

"Sag schon!" Kaiba fühlte sich augenscheinlich unwohl bei dieser Fragerei. Er rümpfte die Nase, lehnte sich zurück und begann zu tippen. Joey zögerte kurz, doch dann wackelte er mit dem Kopf, grinste und zog die Beine zu sich auf die Bank.

"Weiß nicht, das Wort ‚Schicksal’ hat eine sehr große Bedeutung. Aber ich glaube schon, dass es damit etwas auf sich hat." Er lugte prüfend zu Kaiba, doch dieser tippte immer noch und starrte auf das Handy, erweckte den Anschein, überhaupt nicht zuzuhören. "Ich glaube, dass die Geschehnisse in unserem Leben vorprogrammiert sind. Ich denke auch, dass es keine Zufälle gibt und dass alles so kommt, wie es eben kommen muss. Aus manchen Begegnungen und Geschehnissen kann man lernen, wobei ganz egal ist, ob sie nun negativ oder positiv sind. Und das Schicksal…", Joey zuckte mit den Schultern, "… klar, warum nicht? Das Schicksal ist es wohl, das man nicht beeinflussen kann. Es kommt und man kann nichts dagegen tun. Man muss damit fertig werden und versuchen, seinen Nutzen daraus zu ziehen." Er stoppte, als sich Kaibas Augen auf ihn richteten. "Was ist?"

"Dass so etwas gerade aus deinem Mund kommt, Wheeler!" Kaiba hielt den Blick fest auf ihn gerichtet. "Du bist der Letzte, von dem ich so etwas erwartet hätte!"

"Warum?" Joey verstand nicht und Kaiba ließ das Handy sinken.

"Ach", brummte er dann vergrämt. „Ich habe nur nicht erwartet, dass du dich mit so etwas beschäftigst!"

"Hey." Joey verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Du kennst mich doch überhaupt nicht. Wie kannst du da behaupten, dass ich mich für solche Dinge nicht interessiere!"

"Behauptet habe ich es nie", erwiderte Kaiba beinahe unbeteiligt und wandte den Blick ab. "Es überrascht mich nur."

"Im positiven oder im negativen Sinn?" Joey ließ die Arme sinken und neigte sich neugierig nach vorn.

"Geh mir nicht auf die Nerven!"

"Komm schon." Joey grinste. "Ich habe dir deine Frage beantwortet und jetzt bist du dran."

"Was weiß ich." Kaiba begann wieder zu tippen. "Ist mir doch egal, ob es dieses Schicksal gibt oder nicht. Ich führe mein Leben und kann mich dabei nicht um alles kümmern!"

Joey rümpfte die Nase. "Und ich dachte, du würdest dich mit solchen Sachen beschäftigen…"

"Wie kannst du das behaupten, wenn du mich kein bisschen kennst!", rutschte es Kaiba ungewollt heraus. Er bemerkte es jedoch nicht, tippte weiter und schwieg. Joey jedoch, beobachtete ihn nachdenklich von der Seite.

"Du hast völlig Recht", sagte er nach einem langen Zögern. "Ich kenne dich wirklich kein bisschen, würde aber gern etwas daran ändern."

"Ach." Kaiba tippte weiter.

"Ja." Joey nickte hastig. "Können wir diese ewigen Streitereien nicht lassen? Dadurch kommen wir nicht weiter und das einzige, das wir von dem Streiten haben, sind schlechte Gedanken über den Anderen und eine Menge miese Laune."

"Und wer provoziert immer den Streit? Das bist ja wohl eindeutig du, Wheeler!" Endlich legte Kaiba das Handy weg und wandte sich direkt an ihn. "Nervst mich mit deinem chronisch langen Gesicht und deinem ewigen Gejammer und gottverdammten Bagatellen!"

"Das ist doch ein Teufelskreis", stöhnte Joey. "Ich ziehe das lange Gesicht nur, wenn ich dich sehe. Weil ich weiß, dass du mir wieder irgendetwas an den Kopf wirfst, verstehst du?" Kaiba schnitt eine Grimasse. "Und du bist grantig zu mir, weil du mein Benehmen nicht magst, das nur kommt, wenn du in meiner Nähe bist. Und wenn du anfängst, muss ich mich doch wehren."

Kaiba schraubte eine Augenbraue hoch und Joey suchte verzweifelt nach Worten.

"I-ich kann auch lustig sein!", sagte er schnell. "Es ist nur die allgemeine Situation, die mich so stinkig sein lässt. Das ist bei dir doch auch so."

"Bitte was?"

"Ach komm." Joey fuchtelte irritiert mit den Händen. "Wir hatten im Lawell doch immer unseren Spaß."

"Spaß?"

"Ich meine damit nur, wenn du nicht so gemein zu mir wärst, hätte ich auch bessere Laune. Und dann kämen wir vielleicht auch besser miteinander klar."

"So denkst du also, ja?"

"Du etwa nicht?"

"Was weiß ich denn!"

"Sag doch mal." Joey stupste ihn vorsichtig mit der Hand an. "Woher soll ich denn wissen, was du denkst, wenn du nicht mit mir sprichst!"

"Lass das!" Kaiba rutschte ein Stück weiter weg.

"Ich nerve dich jetzt so lange, bis du mit der Sprache rausrückst."

"Nerve mich ruhig", entgegnete Kaiba ihm sichtlich genervt. "Bis mir der Kragen platzt!"

"Kaiba!" Joey stöhnte am Ende seiner Kräfte. "Was hindert dich denn daran, mir die Wahrheit zu sagen? Ich komme mir auch blöd vor, wenn ich andauernd rede und dir jedes Wort aus der Nase ziehen muss. Und wie soll ich mich denn ändern, wenn du mir nicht ehrlich sagst, was du..."

"Schraub dir die Visage vom Gesicht und hör auf, dich wie ein unterbelichteter Affe zu benehmen!", unterbrach Kaiba ihn ein weiteres Mal scharf.

"Hör auf, über mich herzuziehen und mich wie einen Haufen Dreck zu behandeln und ich werde kein langes Gesicht mehr ziehen und auch dieses äffische Gehabe ablegen…“, Joey rümpfte die Nase, „… obwohl ich nicht weiß, was du damit meinst."

Kaiba runzelte die Stirn, bewegte stumm die Lippen und senkte die Lider, um auf den Boden zu starren. Joey holte tief Luft.

"Jetzt bleibt nur noch die Frage, wer anfängt."

Kaiba rümpfte die Nase abermals und Joey räusperte sich.

"Gut, ich fange an", erklärte er sich bereit. "Ich gehe den ersten Schritt und wenn du dich mir anschließt, werden wir keinerlei Probleme mehr haben."

"Ich frage mich nur, warum du plötzlich so verbissen darauf aus bist, mir zu gefallen!", erwiderte Kaiba bissig und schickte ihm einen von Misstrauen durchtränkten Blick. "Du hast so etwas nie gewollt!"

"Du verstehst es nicht?" Joey wirkte verblüfft. "Ich habe es eben satt, andauernd fertig gemacht zu werden. Ich sehne mich auch nur danach, ein harmonisches Leben zu führen und möchte alle Unklarheiten für immer verbannen. Willst du das etwa nicht?"

Kaiba wirkte weniger überzeugt und Joey hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

"Hm?"

Stille...

"Willst du nicht auch lieber deine Ruhe haben?"

Kaiba zog die Nase hoch.

"Warum nicht."

"Dann ist ja alles in Ordnung." Joey grinste zufrieden. "Ich werde mich besser benehmen und du wirst lieb zu mir sein."

>Oh Gott…< Kaiba rieb sich mürrisch die Stirn.
 

Als die zweite Stunde vorbei war und die Schüler, die Sport gehabt hatten, langsam zur Schule zurückkehrten, las Kaiba ein Buch und Joey knaubelte an seinen Fingernägeln und beobachtete zwei Spatzen, die durch die Äste hüpften.

Dann gingen auch sie los. Nebeneinander betraten sie das Schulgebäude und schlenderten zu ihrem Klassenzimmer. Sie hatte noch fünf Stunden vor sich, was eigentlich ganz in Ordnung war, wenn man bedachte, dass die Norm bei acht Stunden lag. Joey brachte diese Stunden gut hinter sich, indem er faulenzte und sogar eine Stunde verschlief. Dann klingelte es endlich und die Schule war vorbei. Joey trödelte mit Yugi, Tea, Tristan, Duke und Bakura durch die Gänge. Und was hatte er eine gute Laune! Er grinste und scherzte und stellte Yugi aus Spaß ein Bein. Und obwohl er es nicht beabsichtigt hatte, flog der Junge mit einem großen Satz gen Boden.

Dann traten sie auf den großen Platz vor der Schule, blieben stehen und tratschten munter miteinander. Yugi hatte eine dicke Beule auf der Stirn und jetzt auch Kopfschmerzen, bedingt durch den unangenehmen Sturz auf den Boden. Er stand da, pochte mit dem Zeigefinger gegen die Beule und zog ein langes Gesicht, Bakura hatte seine Augen wieder überall in der Weltgeschichte, Tea erläuterte in jeder Einzelheit, dass sie heute Hausaufgaben machen würde, Tristan überprüfte den Halt seiner Frisur, Duke steckte sich einen Kaugummi in den Mund und Joey? Der lachte und lachte, als gäbe es da einen Witz, der ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Jeder beschäftigte sich mit sich selbst. Joey schwenkte seine Tasche herum und begann in ihr zu suchen, noch immer weilte das Grinsen auf seinen Lippen.

Hinter ihm trat nun auch Kaiba aus der Tür, erspähte ihn zielstrebig und steuerte in sicheren Schritten auf ihn zu. Joey bemerkte ihn erst, als er grob am Arm gepackt und mitgezogen wurde.

"Mitkommen." Kaiba zog ihn einfach weg.

Joey fuchtelte mit den Händen und stolperte etwas tapsig hinter ihm her. Und jetzt hatte seine Clique von den Beschäftigungen abgelassen und starrte ihm nach. Kaiba zog ihn einige Meter, bis sie nichts mehr hören konnten. Dann ließ er Joey los und begann mit gelangweilter Miene mit ihm zu reden. Duke ketschte auf seinem Kaugummi und wandte sich langsam an Yugi.

"Hab ich was verpasst?"

"Ich glaube", der Junge kratzte sich am Kopf, "wir haben alle etwas verpasst."

"Ich kann es nicht glauben." Tea beobachtete Joey, wie er nickte. Anschließend ergriff Kaiba wieder das Wort und Joey hörte ihm zu, als wäre das keine Besonderheit.

"Kaiba und Joey." Tristan blähte die Wangen auf. "Seit wann vertragen sich die beiden?"

"Die Frage ist doch", Duke hob den Zeigefinger, "warum sich Joey auf einmal mit dem abgibt."

"Weiß nicht." Yugi zuckte mit den Schultern.

Jetzt erzählte Joey ausgelassen und Kaiba warf der Clique einen drohenden Seitenblick zu. Augenscheinlich missfiel ihm deren Anwesenheit.

"Was guckt der so!" Duke verengte die Augen. "Joey gehört zu uns! Der soll es ruhig mal wagen, ihn uns wegzunehmen!"

Bakura atmete tief ein und verlor das Interesse an der scheinbar neu entstandenen und äußerst überraschenden Freundschaft.

"Schaut sie euch an", murmelte Tristan und stieß Yugi in den Rücken.

"Au."

"Die tun, als wären sie schon immer Freunde gewesen."

"Aber sie können doch Freunde sein, wenn sie das gerne möchten", warf Yugi ein und kratzte wieder seine Beule. "Wenn Joey Kaibas Freund sein will?"

"Bäh!" Duke wandte sich ab. "Ist mir doch wurscht!"

Tea legte den Kopf schief. "Aber irre ist das schon."

"Auf jeden Fall", stimmte Tristan zu.

"Ich freue mich für Joey." Yugi lächelte.

"Ich geh dann mal", sagte Bakura.

"Tschau." Duke winkte kurz und wandte sich dann wieder den Anderen zu, um weiterhin über Kaiba zu lästern. Aber Yugi quatschte dauernd nur irgendetwas von Freundschaft und Tea begann zu telefonieren. Doch Tristan war noch dabei, also steckten sie die Köpfe zusammen.

"Seit wann geht das schon so?", erkundigte sich Duke kritisch.

"Weiß ich nicht", antwortete Tristan. "Aber als wir Sport hatten, haben die sich in den Garten verdrückt."

"Was denkst du, haben sie dort gemacht?" Duke linste zu Kaiba.

"Geredet?"

"Ach komm!" Duke rollte mit den Augen und richtete sich auf. "Joey. Kaiba. Reden. Diese Worte passen nicht zueinander!"

Tristan hob beirrt die Augenbrauen.

"Hä?"

"Ich blicke da nicht durch!" Duke fuchtelte mit den Händen. "Lasst mich doch in Ruhe! Ich gehe nach Hause! Bah!"

Mit diesen Worten spuckte er einen argen Fluch, schulterte seine Tasche und schlenderte davon. Nur Yugi drehte sich noch nach ihm um und winkte.

"Tschüssi."

Die anderen blieben noch stehen, bis Joey und Kaiba ihr Gespräch beendet hatten. Und das ging relativ schnell und Kaiba wandte sich einfach ab, schickte ihnen noch einen bitteren Blick und trödelte davon. Joey kehrte unterdessen zu ihnen zurück.

"Was hat er gesagt?" Tristan packte ihn am Arm und zog ihn zu sich, einen prüfenden Blick zu Kaiba werfend, der in seine Limousine stieg.

"Was er gesagt hat?" Joey hob die Augenbrauen und ließ den Blick durch seine Clique schweifen, doch Tea und Yugi nickten hastig.

"Ja", sagte Tea. "Was habt ihr besprochen?"

"Nichts Besonderes", erwiderte Joey Schulter zuckend.

"Sag schon." Tristan legte den Arm um seine Schulter. "Los, raus mit der Sprache!"

"Er hat mich nur gefragt, ob ich heute im Lawell bin."

"Im Lawell?", wiederholte Yugi.

"Lawell", murmelte Tea.

"Der hat auch zuviel Freizeit!" Tristan stöhnte.

"Nein." Sofort schüttelte Joey den Kopf. "Eigentlich hat er überhaupt keine Freizeit. Er muss die ganze Zeit arbeiten. Aber jetzt hat er sich zwei Tage frei genommen und ich glaube, es wird ihm gut tun."

"Es wird ihm gut tun?" Tristan konnte es nicht fassen und Joey konnte von Glück sprechen, dass Duke nicht mehr da war.

"Ja, die Arbeit macht ihn ganz schön fertig. Und außerdem muss er sich noch um Mokuba kümmern. Ich glaube, ich könnte das nicht." Joey nickte abschließend. "Gut, können wir los?"

"..."
 

*~to be continued*~

Unterstützung

~*Unterstützung*~
 

Zu Hause schmiss Joey nur seine Tasche ab, steckte sich schnell etwas in den Mund und ging los, zur Arbeit. Heute freute er sich sehr darauf, denn Kaiba würde auch wieder dort sein. Was hatte er gestaunt, als er ihn gefragt hatte. Doch nun war er zufrieden und heiter. Und eine Freundschaft zu Kaiba erschien ihm nun nicht mehr unerreichbar. Seiner Meinung nach, hatte er es fast geschafft. Freunde, ja. In einer schlabberigen schwarzen Hose und einem weißen Shirt schlenderte er durch den Park, hinter dem sogleich das Lawell lag. Die Haare hatte er sich heute zu einem straffen Zopf gebunden, da es viel zu heiß war. Im Lawell hingegen, war es angenehm kühl - die Klimaanlage war fleißig.

Kurz sah er sich nach Kaiba um, als er ihn jedoch nicht sah, trödelte er an der kleinen Bar vorbei und verschwand in den Räumen für das Personal. Dort schmiss er seine wenigen Sachen in die nächste Ecke und band sich die Schürze um, bereit zu arbeiten.

Was für merkwürdige Wendungen das Schicksal doch nahm. Vor wenigen Tagen hätte er Kaiba die Pest an den Hals gewünscht. Ihm war schlecht geworden, als er ihn sah und er hätte sich am liebsten auf ihn gestürzt, hätte er auch nur den Mund aufgemacht oder ihm einen unfeinen Blick zugeworfen. Er hatte ihn gehasst, kaum gekannt und doch gehasst. Joey stieß die Tür auf und ging, um sich beim Chef zu melden. Und jetzt? Vor wenigen Tagen hätte er alle, die ihm erzählt hätten, Kaiba würde flunkern, um sich vor Arbeit zu drücken, als Lügner beschimpft. Doch Kaiba hatte es wirklich getan und Joey somit mächtig vor den Kopf gestoßen. Hätte er das gewusst! Hätte er Kaiba früher schon angesprochen! Hätte er dessen wahren Charakter doch schon eher erforscht! Nun kannte er die Gründe für sein Benehmen und er nahm es ihm nicht übel. Es brachte ein unbeschreibliches Gefühl mit sich, mit Kaiba zu sprechen. Selbst mit ihm herumzulaufen, war etwas Fabelhaftes! Kaiba hatte etwas an sich... Joey blieb stehen und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Etwas unglaublich Selbstsicheres und Unbeirrbares. Sein Auftreten zeugte von großem Stolz und enormer Festigkeit und wenn man mit ihm sprach, fühlte man sich gut und versuchte verkrampft, es so sehr zu genießen, wie nur irgend möglich. Und war man bei ihm, hatte man das Gefühl, unangreifbar zu sein. Man fühlte sich sicher und geborgen. Joey tat es zumindest. Kaiba gab ihm etwas, zu was seine Clique nicht im Stande war.

Grinsend drückte er die Tür auf und trat langsam in das Büro des Chefs.

Er hatte Kaiba als anderen Menschen kennen gelernt. Er war oberflächlich gewesen, weil Kaiba ihn nur provoziert hatte. Sie hatten beide Fehler begangen, doch Joey war gern dazu bereit, alles wieder gutzumachen. Er wollte viel mit Kaiba unternehmen und eine wirklich feste Freundschaft mit ihm aufbauen. Nun konnte er es sich vorstellen. Und er würde sich ranhalten, alles tun, damit sein Traum in Erfüllung ging. Er würde...

"Wheeler!!"

Erschrocken fuhr Joey zusammen und wurde erst jetzt auf den Mann aufmerksam, der direkt vor ihm am Schreibtisch saß und ihn argwöhnisch anfunkelte.

"Ich habe dich dreimal beim Namen genannt!" Der Mann legte die Zigarre in den Aschenbecher und hustete. "Wo bist du mit deinen Gedanken?!"

"Es tut mir leid." Joey verbeugte sich und der Mann begann irgendetwas zu erzählen, doch er driftete sofort wieder ab.

Stichwort Namen. Wie sehr würde sich Joey darüber freuen, nicht mehr "Wheeler" genannt zu werden. Wie gern würde er von Kaiba "Joey" hören. Aber er durfte sich die Ziele nicht zu hoch stecken. Erst einmal musste er sich ihm weiterhin nähern, die Freundschaft aufbauen und dann festigen.

"... und deshalb ist es sehr wichtig, dass du heute sehr höflich und vorsichtig bist!", schloss der Chef seinen Vortrag ab. "Hast du das verstanden, Wheeler?"

"Hä? Ja." Joey nickte hastig. "Ja, ich habe alles verstanden."

Verstanden? Zum Teufel, nichts hatte er verstanden. Aber er könnte ja noch andere vom Personal fragen. Der Chef nickte ihm zu und Joey machte, dass er an die Arbeit kam. Jedes Mal, wenn er in den Speiseraum hinaustrat, suchten seine Augen automatisch nach Kaiba. Aber dieser ließ sich Zeit und das konnte er auch. Joey grinste und stellte ein paar Tassen auf dem Tisch ab. Die Gäste nickten dankend und er trödelte wieder davon.
 

Er schlenderte noch etwas herum, ging seiner Arbeit nach und hielt nebenbei immer und immer wieder Ausschau. Aber Kaiba kam einfach nicht und so war Joey etwas unzufrieden. Er hatte zwar keine Zeit vorgegeben und dennoch hatte er gedacht, dass er eher käme, sofort da wäre. Er kämpfte gegen das lange Gesicht, hatte Angst, Kaiba könnte es sehen, wenn er unbemerkt käme. Und dieses Gesicht wollte er ihm wirklich nicht antun. Sicher würde es diesem nicht gefallen. Joey bediente noch drei Tische und benötigte dafür genau zwei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden. Ja, er zählte jede Sekunde... und dann, nach insgesamt zehn Minuten öffnete sich die Tür. Joey stapelte schnell die Teller auf dem Tablett und blickte auf. Eigentlich wollte er lächeln, doch als er Kaiba sah, tat er es nicht... schaffte es nicht. Langsam ließ er das Tablett tiefer sinken und starrte auf den jungen Mann, der kurz an der Bar stehen blieb und sich mit dem Chef unterhielt, der dort die meiste Zeit verbrachte.

War das wirklich Kaiba...?

Joey konnte sich nicht bewegen, fühlte sich, als wäre er versteinert.

Kaiba sah nicht aus, als besäße er ein immenses Vermögen. Er war... nun ja, etwas anders gekleidet, als sonst. Sehr anders…

Seine Hose zeugte nicht gerade von eitler Genauigkeit, wirkte locker, war lässig und weit geschnitten... und saß zudem recht tief. Joey hob die Augenbrauen. Des Weiteren trug er ein schwarzes, figurbetontes Shirt, welches auf seinen schlanken Leib und das leichte Hohlkreuz aufmerksam machte. Als er den Arm hob, glänzte zwischen dem Saum des Shirts und dem Gürtel sogar die blanke Haut seines Bauches.

Das konnte nicht Kaiba sein...!

Nun schob dieser die schwarze Sonnenbrille nach oben, schob sie in das Haar und wandte sich von dem dicken Mann ab. Er drehte sich um und erspähte Joey, der mit erhobenem Tablett dort stand und ihn anstarrte. Kaiba erwiderte den Blick nur flüchtig, rückte abermals an der Sonnenbrille und schlenderte auf seinen Tisch zu. Joey musste sich zusammenreißen. Mit viel Überwindung hob er das Tablett, drehte sich um und machte, dass er in die Küche kam.

Zuerst die erschreckende Aktion im Sekretariat und jetzt das Outfit, in welchem er unauffällig unter dem Volk wandelte?

So schnell wie möglich warf er das Geschirr in die nächste Ecke, klemmte sich das Tablett unter den Arm und schubste den Kellner zur Seite, der soeben zu dem Neuankömmling gehen wollte, um die Bestellung aufzunehmen. Bevor sich der Mann wieder aufrappeln konnte, zog er den kleinen Block aus seinem Gürtel und eilte in den Speiseraum hinaus. Dort machte er sich sofort auf den Weg zu Kaiba.

"Hallo." Vor ihm blieb er stehen, atmete tief ein und rollte mit den Augen. Gerade noch geschafft! Kaiba sah auf, musterte ihn kurz und verzog skeptisch die Augenbrauen.

"Was ist?" Joey wurde darauf aufmerksam und ließ den Block sinken.

"Was…", Kaiba zückte eine Zigarettenschachtel, "… hast du mit deinen Haaren gemacht."

"Meine... oh." Joey tastete nach dem Zöpfchen. "Ja, ich habe mir...", er räusperte sich, "einen Zopf gebunden."

"Zopf", raunte Kaiba beschäftigt.

"Genau." Joey grinste. "Und? Wie sieht's aus?"

Kaiba blähte die Wangen auf.

"Bring mir einen Kaffee."

"Klar." Joey fuchtelte mit dem Block, wandte sich ab und schlenderte davon. Mit dem Kaffee kehrte er schnell zu ihm zurück. Auf dem Tisch stellte er die Tasse ab, ließ sich auf der gegenüberliegenden Bank nieder und stützte sich auf den Tisch. Kaiba blickte nur kurz auf, sah ihn an und trank einen Schluck.

"Ungewohnt", sagte er, als er die Tasse etwas sinken ließ. "Sieht besser aus."

Diese wenigen Worte, egal, mit welcher Langeweile sie ausgesprochen wurden, trafen Joey so schwer, dass er sich räusperte und erst einmal auf den Boden starrte.

„Besser?“, erkundigte er sich leise. „Wirklich?“

„Auf jeden Fall geht man nicht mehr davon aus, dass etwas auf deinem Kopf gestorben und liegen geblieben ist.“

Joey atmete tief ein, rollte mit den Augen und machte sich daran, den Schlag zu verdauen… nun, Vorfreude war wohl wirklich fehl am Platz. Kaiba gab sich auch weiterhin unbeteiligt. Bald darauf rieb sich Joey den Nacken, linste zögernd zu dem Brünetten und nahm ihn in Augenschein. Kaiba nippte wieder an der Tasse und sah sich ziellos um. Doch er grinste nicht. Nein, nicht einmal ein unscheinbares Lächeln zog an seinem Mundwinkel und Joey wollte ihn wenigstens lächeln sehen. Also richtete er sich auf und atmete tief ein.

"Ungewohnt", sagte er.

"Was." Kaiba stellte die Tasse auf den Tisch zurück.

"Deine Kleider." Joey behielt ihn aufmerksam im Blick. "Deine Kleider sind ungewohnt." Er griff nach dem Tablett… "Aber es sieht besser aus.", und erhob sich keck grinsend.

Kaiba blickte auf, sah ihn jedoch nur noch davon schlendern. Kurz verharrte er noch reglos und zupfte dann an seinem Hemd.

Wie sollte er das auffassen? Diese Kleidung war nichts Besonderes. In seinem Haus ging Bequemlichkeit vor Eleganz und des Öfteren auch auf der Straße. Stirnrunzelnd sah er Joey in der Küche verschwinden. Er blieb sitzen, trank seinen Kaffee und beobachtete hin und wieder den Blonden, wie er in anstrengender Arbeit vertieft, durch die Tischreihen rannte. Bald darauf rauchte er eine Zigarette und als einige Leute das Café verließen und es nicht mehr allzu viel Arbeit gab, erhielt er noch einmal Besuch. Joey warf sich wieder auf die Bank, stöhnte und grinste aber sofort wieder.

"Und? Gibt's morgen wieder Arbeit?"

"Die gibt es immer", erwiderte Kaiba knapp und ließ die Zigarette zum Aschenbecher sinken. Joey nickte verständnisvoll, wurde dann jedoch auf die Zigarette aufmerksam und betrachtete sie, wie sie zum Mund wanderte. Wie der Tabak verbrannte und Rauch aufstieg.

"Seit wann rauchst du?"

"Gelegentlich."

"Ah."

"Habe zu wenig Zeit dafür."

"Und das ist auch gut so", beendete Joey instruktiv.

"Und selbst?" Setzte Kaiba das Gespräch unerwartet fort. "Bist du ein braver Junge?"

"Willst du das wirklich wissen?" Joey entdeckte die Zuckerwürfel.

"Kommt drauf an", erwiderte Kaiba.

Joey lachte herzhaft und griff nach einem Würfelchen.

"Eigentlich nicht."

Kaibas Miene zeigte keine Regung. Nur die Augenbrauen, die sich etwas hoben, zeugten von Staunen.

"Es ist so", begann Joey die Erzählung, "früher, also es ist schon sehr lange her, da habe ich mein Unwesen getrieben. Ich habe so einiges angestellt, worauf ich heute nicht gerade stolz bin."

"Was", murmelte Kaiba.

"Ich war Mitglied einer Straßengang", verriet Joey schelmisch. "Schlägereien und phlegmatisches Herumhängen. Ich war vielleicht... vierzehn oder fünfzehn Jahre alt."

"Früher sagtest du."

"Zu zwei Jahren sage ich früher." Joey zuckte mit den Schultern. "Also wir haben vielleicht mal einen Laden von seiner Wahre befreit oder ein paar...", Joey fuchtelte mit der Hand, "Autos oder so... wir haben sie... na ja, geknackt. Aber etwas wirklich Schlimmes haben wir nie getan! Mit Drogen hatten wir nichts am Hut und arme alte Leute haben wir auch nicht überfallen! Wir haben gar keine Menschen überfallen und auch Feuer haben wir nicht gelegt!"

Kaiba machte keinerlei Anzeichen, sich dabei etwas zu denken. Er sah Joey einfach nur an und spannte ihn somit auf die Folter. Der junge Mann räusperte sich wieder und grinste nervös.

"Ja, so war das."

Kaiba ließ ihn noch etwas leiden, dann neigte er sich nach vorn.

"Kein Feuer gelegt." Endlich war der Hauch eines Grinsens auf seinen Lippen zu erkennen, doch Joey konnte es nicht genießen. "Das glaubst du doch wohl selbst nicht."

Somit schob er den Arm über den Tisch und reichte Joey die Zigarette. Dieser war über seinen Scharfsinn noch immer erstaunt und zugleich verunsichert.

"Okay, es gab da ein paar Autos", flüsterte er und zuckte mit den Schultern. "Aber es kamen wirklich keine Menschen zu Schaden."

Mit diesen Worten griff er einfach nach der Zigarette und nahm einen Zug. Kurz sog er den Rauch in die Lunge, blies ihn aus und blickte Kaiba dann direkt an.

"Bist du enttäuscht?"

"Enttäuscht? Wheeler, ich bin nicht deine Mutter."

"Trotzdem", meinte Joey. "Es kommt mir so vor, als hättest du mich bis jetzt für einen braven Jungen gehalten. Einen braven und langweiligen Typen, der jeden Tag verschläft und keine Hausaufgaben macht. Aber nein, da muss ich dich enttäuschen. Ich verschlafe zwar und hege einen Gräuel gegen Hausaufgaben aber ich denke nicht, dass ich mich als langweilig bezeichnen kann."

"Ah."

"Ja." Joey nahm noch einen Zug. "Da habe ich wirklich..."

"Wheeler!"

Erschrocken zuckte Joey zusammen und lugte verängstigt zu der Bar, hinter der der Chef stand und ergrimmt die Fäuste schüttelte.

"An die Arbeit, du hast keine Pause!"

"Herrje." Joey duckte sich und grinste nervös. "Ich gehe dann mal wieder."

Mit diesen Worten legte er die Zigarette in den Aschenbecher, erhob sich und rannte davon. Kaiba sah ihm nur kurz nach, griff nach der Zigarette und lehnte sich zurück. Nach einem weiteren Zug drückte er die Zigarette aus und verschränkte die Arme vor dem Bauch.
 

Er blieb noch eine Weile im Lawell, fast eine Stunde. Joey kam noch des Öfteren zu ihm und wurde dafür immer wieder von dem Chef verwarnt, was Kaiba sehr belustigte. Dann ging Joeys Schicht zu Ende und Kaiba lud ihn auf einen Drink ein. Die beiden mussten jedoch erst streiten, bis Joey die Einladung annahm und dann war es auch schon spät und das Lawell schloss in einer halben Stunde. Die beiden waren die letzten, die noch dort saßen. Joey hatte sich von der Schürze befreit und erschöpft die Beine ausgestreckt. Kaiba beobachtete die Fische und leerte nebenbei sein Glas. Joey ließ sich etwas mehr Zeit und als Kaiba kurz zu ihm lugte, rührte er Blonde etwas unentschlossen in seinem Drink. Und bevor sich Joey noch an den Zuckerwürfeln vergriff, zog er sich die Sonnenbrille aus den Haaren und legte sie auf den Tisch.

"Egal was, raus damit."

„Ertappt.“ Joey blickte auf, grinste ihn flüchtig an und leerte sein Glas mit wenigen großen Schlucken.

"Es ist so", sagte er dann. "Du bist doch gut in Mathematik. Du verstehst alles gleich auf Anhieb und schreibst in Arbeiten immer die besten Noten."

"Hm." Für Kaiba war das nichts Besonderes.

"Na, ich hingegen verstehe kaum ein Wort von diesem ganzen Blödsinn." Joey stöhnte. "Ich komme damit einfach nicht klar."

"Habe ich schon bemerkt."

"Danke." Joey stützte sich seufzend auf den Tisch und fuhr sich über die Haare. "Ich wollte dich eigentlich nur etwas fragen. Wir schreiben ja bald die große Arbeit und ich bin... nun ja... ich darf mir kein D leisten, sonst rutschte ich noch tiefer."

"Dachte ich mir." Kaiba stützte das Kinn in die Handfläche. "Du willst, dass ich dir helfe."

"Na ja." Joey wurde etwas zappelig. "Ich meine nur... ja, das wäre meine Rettung. Aber du musst es natürlich nicht tun, wenn du nicht willst. Ich will dir auch keine wertvolle Zeit rauben oder dich langweilen. Weil du kannst ja alles und es ist für dich sicher..."

Er verstummte, als sich Kaiba aufrichtete und in seine Hosentasche griff. Kurze Zeit später hatte er seinen Terminplaner in der Hand und begann flink zu tippen. Was sollte denn das? Joey wurde mulmig zu Mute. Sicher würde er nicht darauf eingehen und Joey wollte unter keinen Umständen, dass die neue Freundschaft litt, zumal sie sowieso noch sehr wacklig auf ihren Beinen stand.

"Ich meine, ich kann auch mit den Anderen lernen, wenn du nicht willst", beschwichtigte er ihn schnell und zuckte lässig mit den Schultern. "Wir lernen oft für Arbeiten, aber wenn sie mir helfen, verstehe ich trotzdem nichts. Und bei dir bin ich mir sicher..."

"Jetzt halt doch mal die Klappe", unterbrach Kaiba ihn liebevoll und tippte weiter.

"Tschuldigung." Joey wurde kleiner und kleiner. Kaiba stets beobachtend, blieb er sitzen und griff nebenbei nach einem Zuckerwürfel. Kaiba tippte noch etwas und dann nickte er.

"Morgen zwischen viertel vier und um vier habe ich noch etwas Zeit." Er klappte das kleine Gerät zu und ließ es sinken. "Ich bin in der Firma. Da kommst du vorbei. Wenn du zu spät kommst, kannst du es vergessen."

"In...", Joey stand der Mund offen, "in deiner Firma?"

"Wo liegt das Problem?" Wieder begann Kaiba in den Taschen seiner hübschen Hose zu suchen.

"Ich... ich weiß nicht." Etwas unentschlossen rutschte Joey auf der Bank hin und her. "Darf ich da so einfach reinplatzen?"

"Nein", antwortete Kaiba und zog seine Brieftasche hervor. "Es reicht, wenn du die Tür öffnest und eintrittst."

"Ja, klar." Joey grinste. "Und du würdest das wirklich für mich tun?"

"Mm… nur um vier musst du wieder gehen, dann rufen Termine und ich habe keine Zeit mehr."

"In Ordnung." Joey strahlte. "Und wo finde ich dich?"

"In der obersten Etage. Frag nach, wenn du dich verläufst." Kaiba klappte seine Brieftasche auf, wühlte in den vielen Scheinen und zog dann einen heraus, den er auf den Tisch schnippte.

"Na wundervoll." Joey stöhnte, erhob sich und schlenkerte mit der Schürze. Kaiba strich sich unterdessen die Hose glatt, zupfte an seinem Hemd und machte sich dann auf den Weg zur Tür. Joey wollte in den hinteren Räumen verschwinden, hielt jedoch inne und drehte sich zu ihm um.

"Kaiba?"

Der junge Mann blieb stehen und wandte sich ihm zu.

"Könnten wir vielleicht... ein Stückchen zusammen gehen?" Joey sah sich nervös um und grinste. "Ich habe ein schlechtes Gefühl... so spät... na ja."

"Noch einmal wird er dich sicher nicht verprügeln", traf Kaiba den Nagel auf den Kopf. Joey biss sich auf die Unterlippe und Kaiba kehrte ihm kopfschüttelnd den Rücken.

"Beeil dich."

"Danke!" Joey verschwand schnell in einem der anderen Räume und tauchte kurze Zeit später wieder auf. Nachdem er sich kurz von dem Chef verabschiedet hatte, trat er mit Kaiba auf die Straße hinaus. Die Hitze des Tages war verflogen und es war eigentlich sehr angenehm. Während Joey die frische Nachtluft einatmete, begann Kaiba wieder in seinen Hosentaschen zu wühlen.

"Das ist meine Zeit", seufzte Joey genüsslich und hob die Nase in den sanften Wind. "Zu dieser Zeit laufe ich am liebsten draußen herum."

"Jedoch nur, wenn keine Schlägertypen unterwegs sind."

"Tja." Joey grinste und ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen. Dann trödelten sie los. "Sag mal, wie war es eigentlich bei dir?", fragte Joey nach wenigen Sekunden. "Was ist dir zugestoßen?"

"Nichts Besonderes." Kaiba zog sein kleines Handy hervor.

"Wie, nichts besonderes." Joey lugte neugierig zu ihm. "Sag doch mal."

"Ich wurde von einem Betrunkenen angefahren."

Joey blieb stehen. "Und das ist nichts besonderes?"

"Hab schon schlimmeres erlebt." Wieder begann Kaiba zu tippen und Joey folgte ihm.

"Du führst wohl ein spannendes Leben, hm?"

Kaiba legte einschätzend den Kopf schief.

"Wie man es nimmt."

"Aha." Joey wandte sich wieder ab und sah sich etwas um. Er ließ den Blick durch die dunkle Gegend schweifen und erspähte kurz darauf jemanden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sofort blieb er stehen.

"Hey, Duke!"

Ja, es war wirklich Duke, der zu solch später Stunde noch unterwegs war. Aber er war nicht alleine. Nein, bei ihm war ein junger Mann, den Joey nicht kannte… vermutlich irgendein Kumpel. Duke blieb stehen, sah sich um und entdeckte ihn. Zuerst wollte er winken, doch dann entdeckte er auch Kaiba, der sich kein bisschen für ihn interessierte und gelangweilt auf sein Handy starrte. Selbst aus dieser Entfernung konnte Joey das lange Gesicht erkennen. Dann hob Duke die Hand.

"Hi!"

"Was machst du denn noch hier draußen?", rief Joey zurück.

"Ich gehe spazieren", kam die laue Antwort.

"Spazieren?"

"Ja." Duke verschränkte die Arme vor dem Bauch und warf einen grimmigen Blick zu Kaiba, sein Kumpel zog mit dem Fuß Kreise auf dem Boden. "Und du?"

"Ich komme gerade von der Arbeit", antwortete Joey.

"Na gut." Duke nickte und hob wieder die Hand. "Bis morgen dann."

"Ja." Joey runzelte die Stirn. "Bis morgen."

Dann grabschte Duke nach seinen Kumpel und zog ihn weiter.

"Komm, wir hauen ab", hörte er ihn noch flüstern.

Joey sah den beiden nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwanden, dann seufzte er.

"Was hat den denn gestochen?"

Kaiba ließ das Handy sinken und sah sich etwas um. Ihm war es natürlich völlig gleichgültig, weshalb ein junger Mann, mit dem er nichts am Hut hatte und den er auch nicht sonderlich leiden konnte, schlechte Laune hatte. Also ging er weiter. Er begleitete Joey noch bis durch den Park. Als sie eine helle Laterne erreichten, blieb er stehen.

"Den Rest des Weges wirst du wohl schaffen."

"Ja." Joey nickte. "Und du? Wirst du nicht abgeholt?"

"Doch." Kaiba wies mit einer knappen Kopfbewegung auf die Limousine, die nicht allzu weit entfernt parkte.

"Warum steht die hier?", fragte Joey verwundert.

"Sollte ich dich nun begleiten, oder nicht", erwiderte Kaiba schulternzuckend. "Ich wäre sowieso noch etwas gelaufen."

"Ah." Joey grinste verunsichert. Er sollte sich also nicht zuviel einbilden. Ja, das tat er auch nicht. Also nahm er sich vor, sich schnell zu verabschieden und nach Hause zu gehen.

"Also, bis morgen dann", sagte er.

"Hm." Kaiba wandte sich ab.

Somit führte er eine kurze Handbewegung aus und trödelte davon. Joey sah ihm nach. Manchmal verstand er ihn einfach nicht. Kaiba war hin und wieder wirklich ein merkwürdiger Mensch. Er beobachtete ihn nicht mehr allzu lange, dann drehte auch er sich um und ging seiner Wege.
 

Der nächste Tag zog an Joey vorbei wie ein sommerliches Unwetter. Die Schule bewältigte er ohne Anstrengungen. Das einzige, worunter er litt, waren die Blicke, die er von Kaiba empfing. Vermutlich achtete dieser von nun an darauf, dass er nicht wieder einschlief. Hätte er es getan, so hätte er sich das mit der Nachhilfe anders überlegt und gemeint, es wäre kein Wunder, wenn er nichts verstünde. Eben darum. Weil er immer schlief. Aber Joey war artig und wischte sich erschöpft die Stirn, wenn er zu ihm lugte. Nur um ihn zu überzeugen, versteht sich.

Und während der ganzen sieben Stunden hatte Joey das Gefühl, dass Duke wütend auf ihm war. Wenn er ihn in den Pausen sah, warf er ihm grimmige Blicke zu und reagierte etwas grob, wenn er ihn ansprach. Aber Joey konnte sich nicht um alles kümmern und vor allen Dingen freute er sich auf die Nachhilfe mit Kaiba.

Das war schon etwas ganz Besonderes!

Und bevor er sich versah, stand er mit seiner Schultasche vor dem riesigen Firmengebäude der Kaiba-Corporation. Und da blieb er erst einmal stehen und legte den Hinterkopf in den Nacken, um bis zur Spitze des Hauses hinaufblicken zu können. Wie hoch es wohl war?

Joey musste zugeben, er war etwas verunsichert, nun, da er hier stand. Als er die anderen abgeschüttelt und erklärt hatte, er müsste zu Hause lernen, war er noch entschlossener gewesen. Beeindruckt atmete er ein und rollte mit den Augen, sein Blick fiel auf die große Glastür, dem Eingang. Sollte er da jetzt einfach reingehen? Na sicher, bis zu Kaiba fliegen konnte er sicher nicht. Mit viel Überwindung schulterte er seine Tasche, atmete noch einmal durch und ging los. Langsam stieg er die Marmorstufen hinauf und näherte sich der Tür. Diese schwang von ganz alleine auf und hätte Joey beinahe eine platte Nase beschert, wenn er nicht rechtzeitig zur Seite gesprungen wäre. Mutig ging er durch den Türrahmen und erreichte einen riesigen Aufenthaltsraum. Dort gab es unglaublich viele Türen und Gänge und Joey wurde schlecht. Wie sollte er Kaiba in diesem Wirrwarr nur finden? Doch zu seinem Glück erspähte er nach kurzem Suchen einen Empfangstisch, an dem ein streng aussehender Mann saß. Also seufzte er und ging zu ihm. Der Mann tippte gerade auf seinem Computer und blickte erst auf, als er sich nach langem Warten auffällig laut räusperte. Da schob er die Brille höher und musterte ihn mit skeptischem Blick. Vermutlich kam es nicht oft vor, dass irgendein junger Mann hereingeschlendert kam.

"Was wünschen Sie?", fragte er dennoch.

Joey trommelte leicht angespannt mit den Fingern auf den Tisch und sah sich um.

"Ja, ähm... ich möchte zu Kaiba."

"Haben Sie denn einen Termin?", fragte der Mann daraufhin und Joey erschrak.

"Termin?", keuchte er. "Weiß nicht."

"Ist Herr Kaiba über Ihr Erscheinen informiert?" Noch immer musterte ihn der Mann streng und das half nicht gerade gegen die Nervosität.

"Ja… ja natürlich." Joey nickte hastig. "Er hat mir selbst gesagt, dass ich kommen kann."

Der Mann runzelte die Stirn, als wäre er überarbeitet und durch einen solchen Burschen schnell zu reizen. Aber er griff zur Seite, nahm den Hörer von dem Telefon und legte ihn ans Ohr, Joey scharf im Auge behaltend. Es dauerte nicht lange, bis sich scheinbar jemand meldete und der Mann sagte, dass ein junger Mann bei ihm stünde und zu Kaiba wolle. Daraufhin lauschte er kurz und wandte sich an Joey.

"Ihren Namen?"

"Joey Wheeler."

Der Mann wiederholte den Namen und wartete dann wieder. Doch es dauerte nicht all zu lange, dann nickte er und legte wieder auf.

"Rechter Gang", sagte er knapp und wies mit einer knappen Kopfbewegung zur Seite. "Dort können Sie den Fahrstuhl benutzen. Etage 32. Dort wird man Ihnen den weiteren Weg erklären."

Mit diesen Worten wandte er sich wieder an seinen Computer und begann zu tippen. Joey nickte in knapper Dankbarkeit, blähte die Wangen auf und drehte sich um. Okay, rechter Gang. Nach wenigen Schritten blieb er wieder stehen. Welcher von den vielen? Leicht verunsichert sah er sich um. Hier gab es verdammt viele Gänge, die nach rechts führten! Bevor er sich unnötig verlief und Ärger bekam, sprach er lieber noch einmal den Mann an. Dem sagte er einfach, dass er es nicht wüsste und der Mann rollte mit den Augen und wollte es gerade erneut erklären, da lehnte er sich zur Seite und hob die Augenbrauen.

"Herr Pikotto, entschuldigen Sie bitte?"

Verwundert drehte sich Joey um und erblickte einen Mann in einem säuberlichen Anzug, der nun näher trat. Er war von schlanker Statur und wirkte dennoch alles andere als schwach. Er schien in den dreißiger Jahren zu sein, sein dunkelbraunes Haar war sauber geschnitten und auf dem ersten Blick war kein Makel an dem Mann auszumachen. Sein Gesicht war schmal und ansehnlich, sein Kinn glatt rasiert und die schmale Brille, die auf seiner Nase saß, blitzte in dem Licht einer hellen Lampe auf, als er das Gesicht drehte. Eine Autorität, wie sie im Buche stand. Von ihnen schien es in diesem Gebäude so einige zu geben. Joey wurde mulmig zu mute, als der Mann neben ihm zum Stehen kam und den Kaffee sinken ließ.

"Dieser junge Herr wünscht Herrn Kaiba zu sehen", sagte der Mann vom Empfang und Pikotto musterte Joey flüchtig. "Er hat einen Termin, findet sich jedoch nicht zurecht. Wenn Sie auf dem Weg in den 32. Stock sind, sind Sie so nett und nehmen ihn mit?"

Pikotto nickte, wandte sich ohne ein Wort ab und ging davon. Nachdem Joey einen kurzen Blick zu dem Empfangsmann geworfen hatte, stolperte er hinter ihm drein. Ohne ein Wort zu sagen, gingen sie durch einen langen Gang, bogen um zwei Ecken und erreichten letzten Endes einen Fahrstuhl. Dieser bestand ganz aus Marmor und brachte Joey ein weiteres mal zum staunen. Doch ein Fahrstuhl war nicht dazu da, um angestarrt zu werden. Also stieg er ein, bevor sich die Tür wieder schließen konnte und blieb etwas verkrampft neben dem großen Mann stehen. Dieser nippte mal an seiner Tasse und warf auch des Öfteren einen Blick auf seine Armbanduhr. Hier schien ja niemand Zeit zu haben. Joey seufzte leise. Die Fahrt dauerte nicht lange, dann hielt die Kabine und die Türen öffneten sich geräuschlos. Ohne zu zögern trat Pikotto in einen riesigen Arbeitsraum hinaus, in dem ganz viele Computer standen. Auch viele Menschen eilten umher und insgesamt herrschte furchtbare Geschäftigkeit. Wieder stolperte Joey hinter Pikotto her. Dieser schlängelte sich gekonnt durch das Gedränge, bekam plötzlich von einer Frau einige Unterlagen in die Hand gedrückt und ging weiter. Joey staunte. Es schien, als sei alles abgesprochen. Nach wenigen Schritten eilte ein junger Mann an Pikotto vorbei und drückte ihm noch eine dicke Akte in die Hand, die sich dieser unter den Arm klemmte. Er führte Joey durch den gesamten Raum. Der junge Mann konnte sich kaum satt sehen, stieß einige Leute an und musste aufpassen, dass er seinen Führer nicht verlor. Überall wurde gearbeitet! Joey erblickte keinen, der Däumchen drehte. Manche schienen sogar knapp vor dem Zusammenbruch zu stehen, als sie auf der Tastatur tippten, Schriften ausdruckten und sich noch anderweitig tot schufteten. Sie brauchten eine beachtliche Zeit, um das andere Ende des Raumes zu erreichen und während des Weges blieb Pikotto immer wieder stehen, führte ein kurzes Gespräch mit einigen Angestellten und bekam immer und immer mehr aufgelastet, bis er seine Tasse kaum noch halten konnte. Joey war mehr als überrascht, obwohl er sich Kaibas Firma genau so vorgestellt hatte. Überall fleißige Leute; Kaiba schien seine Angestellten unter Kontrolle zu haben. Kein Wunder, dass die Geschäfte florierten. Mit einem Haufen von Akten und Schriften und anderem, erreichte Pikotto dann endlich das andere Ende und sah sich kurz um, nur um zu testen, ob Joey überhaupt noch hinter ihm war. Dieser sah zwar etwas zerzaust aus, schien jedoch noch am Leben zu sein. Pikotto wartete nicht auf ihn, ging weiter und bog um eine Ecke. Joey folgte ihm eilig. Hinter der Ecke befand sich ein größerer Aufenthaltsraum mit Fernseher und Kaffeeautomat, der bei dieser Arbeit lebenswichtig zu sein schien. Auch Sofas, Sessel und Stühle befanden sich dort in säuberlicher Anordnung. Eben alles, was eine längere Wartezeit erleichterte. Als Joey den Blick von den teuer aussehenden Möbeln löste, erspähte er Kaiba! Dieser stand mit einer Kaffeetasse vor einer großen Glastür und führte ein kurzes Gespräch mit Pikotto. Dieser nickte, drückte ihm einen Teil des Aktenhaufens in die Arme und begann mit der Tasse zu gestikulieren. Kaiba sah ganz schön fertig aus. Er war etwas blass um die Nase und auch so wie er dort stand, wirkte er etwas schwach und müde. Heute trug er wieder die Kleider, die Joey von ihm gewohnt war. Die Hose der Schuluniform und das weiße langärmliche Hemd, das davon zeugte, dass ihm sogar die Zeit zum Umziehen gefehlt hatte. Joey trat langsam näher und Pikotto brach wieder auf, um sich in die nächste Arbeit zu stürzen.

"Pikotto!" Kaiba balancierte die Akten aus und sah ihm nach, Pikotto blieb stehen. "Kopier mir die Nr. 8 und die Nr. 176. In einer Stunde brauche ich die Akten auf meinem Schreibtisch und vergesse nicht die Dokumente durchzusehen!"

Pikotto nickte und Kaiba wollte sich abwenden, fuhr jedoch noch einmal zu ihm herum.

"Und das neue Programm muss verbessert werden!"

"In Ordnung."

"Und", Kaiba fuchtelte mit der Tasse, "die Grafiken der Website sind das Letzte! Schaffst du es, bis Morgen Neue reinzustellen?"

"Bis Morgen?", kam die ungläubige Antwort.

"Übermorgen", erwiderte Kaiba großzügig und sah sich hastig nach Joey um, der etwas verlassen neben ihm stand. "Und was ganz wichtig ist", plötzlich wandte sich Kaiba an den Blonden und drückte ihm ein paar schwere Akten in die Arme, "besorge mir die Berichte aus dem Labor! Auf die warte ich schon ewig!"

"Ja." Pikotto nickte. "Und wolltest du nicht die Codes ändern?"

"Genau." Kaiba stöhnte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, wofür er von Joey einen mitleidigen Blick erhielt. "Daran musst du mich erinnern. Wann gehst du heute?"

"Ich bleibe über Nacht", kam die geduldige Antwort.

"Gut." Kaiba sah sich leicht irritiert um. "Ruf mich um zehn Uhr an. Ich werde heute auch länger bleiben."

"In Ordnung." Mit diesen Worten wandte sich Pikotto endgültig ab und ging in eiligen Schritten davon. Joey glaubte währenddessen, unter der schweren Last der Akten zusammenzubrechen. Doch bevor das passieren konnte, fuchtelte Kaiba ihn zu der großen Glastür. Joey ließ sich drängeln und stand wenige Sekunden später in einem riesigen Raum! Da es ein Eckraum war, bestanden zwei der Wände aus sauberen Fensterfronten, von denen man sicher ganz Domino überblicken konnte. Pflanzen gab es hier keine, doch den Schreibtisch musste man gesehen haben. Auf ihm standen zwei Computer und ein Laptop. Hinzukommend stapelten sich die Akten auf einer Tischkante und die Kaffeetassen auf der anderen. Joey schluckte. Das war also Kaibas Büro…

Der Boden war sauber und gepflegt, ohne jeglichen Dreck. An den Wänden hingen lediglich ein paar Auszeichnungen, Urkunden und Zertifikate. Doch da gab es kleines Bild, das auf dem Schreibtisch stand. Ein Bild, das einen schwarzhaarigen, grinsenden Jungen zeigte und in einen teuren Rahmen eingefasst war. Bei diesem Anblick musste Joey flüchtig grinsen. Kaiba rannte in der Zwischenzeit durch das halbe Büro, kramte hier und kramte dort und fuchtelte bald mit der Hand.

"Leg die Akten auf den Schreibtisch."

Okay…?

Vorsichtig trat Joey näher, schob den gepolsterten ledernen Drehstuhl etwas zur Seite und legte die Akten auf einem freien Platz ab, von denen es nicht allzu viele gab. Und glaubte man es? Als Joey sich wieder aufrichtete, war Kaiba schon wieder an der Tür und zog sie auf.

"Kaffee?"

"Öhm... ja, na klar, danke." Joey grinste überrascht und Kaiba verschwand im Aufenthaltsraum, ohne ihm einen weiteren Blick zuzuwerfen. Somit stand Joey alleine in dem großen Raum. Hier schien alles extrem professionell abzulaufen. Eine Firma, in der keine Regeln herrschten, hatte keine Zukunft. Nun, für Regeln hatte Kaiba gesorgt und scheinbar traute sich niemand, sie zu brechen. Als sich Joey ein weiteres Mal umsah, stand ihm schon wieder der Mund offen. Kaibas Reich kennen zu lernen, war das Großartigste, was er je getan hatte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, in diesem Büro zu stehen. Er schluckte. Doch nun stellte er sich nur die Frage, was Kaiba unter "Lernen" verstand. Vielleicht würde er mit einer Gerte hinter ihm stehen und ihm den Lernstoff mit stählerner Härte eindrillen? Und schon wieder wurde ihm mulmig zu Mute. Dieses Gebäude und die Menschen, die ihn im arbeiteten, besaßen die erschreckende Fähigkeit, ihn immer und immer wieder zu verunsichern. Doch bevor er sich weitere Sorgen machen konnte, wurde die Tür wieder aufgerissen und Kaiba stürmte herein, stürmte an ihm vorbei und knallte zwei Tassen auf den Tisch. Dann fuchtelte er wieder mit der Hand, forderte Joey auf, sich hinzusetzen. Während sich Kaiba auf seinem großen Stuhl niederließ, setzte sich Joey in den gemütlichen Sessel und bevor er stillsaß, warf Kaiba einen Blick zu der Uhr. Jetzt blieb ihnen nur noch eine halbe Stunde! Er warf Joey einen knappen Blick zu und bemerkte, wie er angestarrt wurde. Aber er kümmerte sich nicht darum, griff nach seiner Tasse und lehnte sich unter einem erschöpften Stöhnen zurück.

"Okay, wir können anfangen", japste er, bevor er einen großen Schluck nahm, die Tasse fast mit einem Mal leerte und dann auf den Tisch zurückstellte. Aber Joey regte sich nicht, hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief.

"Jetzt atme erst einmal tief durch. Es macht doch nichts, wenn wir fünf Minuten später anfangen."

Kaiba warf ihm einen flüchtigen Blick zu, lehnte sich dann zur Seite und riss die Schubfächer auf. Joey rollte mit den Augen. So hektisch hatte er ihn ja noch nie gesehen. Kurze Zeit später hatte er eine Zigarette in der Hand und begann nach einem Feuerzeug zu suchen.

"Also, worum", Kaiba lehnte sich noch weiter aus seinem Stuhl und begann im untersten Schubfach zu wühlen, "geht es?"

"Alles", antwortete Joey etwas zögerlich. "Ich habe Probleme mit allem, was wir gerade behandeln."

Kurz tauchte Kaibas funkelndes Auge über der Tischkante auf, tauchte dann wieder unter und weiteres Rascheln ertönte.

"Wir haben nicht viel Zeit", ertönte dann seine Stimme.

"Genug Zeit, damit du mir noch einmal die Trigonometrie und die Wurzelfunktionen erklären kannst." Joey lächelte und Kaiba richtete sich schnaufend auf, zündete sich die Zigarette an und nickte leichthin.

"Was willst du wissen?"

"Ich komme zum Beispiel mit der Hausaufgabe nicht klar", verriet Joey und Kaiba fuchtelte wieder mit der Hand.

"Gib her."

Augenscheinlich wollte er keinerlei Zeit verschwenden, also suchte Joey schnell in seinem Rucksack, richtete sich auf und reichte ihm seinen Block, auf den er vermutlich einen ganz schönen Blödsinn gekritzelt hatte. Jedenfalls zog Kaiba eine Grimasse, schüttelte den Kopf und schickte ihm einen enttäuschten Blick.

"Du musst ein Wunderkind sein, um das nicht zu verstehen", murmelte er dann, klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen und erhob sich müde aus dem Stuhl. Etwas schlaksig ging er dann um den Schreibtisch herum, drückte ihm den Block in die Hand und schob die Akten zur Seite, die sich vor Joey zu Bergen häuften und wichtigen Arbeitsplatz nahmen. So konnte Joey weiter nach vorn rücken, den Block ablegen und einen Stift zücken. Kaiba ging währenddessen hinter ihm auf und ab.

"Mach dir Notizen, zu dem was ich sage", murmelte er in dem verzweifelten Versuch, sich zu konzentrieren. Notieren? Diese Variante hatte Joey noch nie ausprobiert. Vielleicht brachte sie ja wirklich etwas?

"Das wichtigste ist bei der Trigonometrie, dass du die Sätze kennst", begann Kaiba dann zu erzählen und Joey wippte den Stift zwischen zwei Fingern und lauschte, begeistert von Kaibas Klugheit und Professionalität.

"Sinussatz, Kosinussatz. So einfach ist das." Kaiba drehte sich zu ihm um und fuchtelte wieder mit der Hand. "Na komm, schreib auf. Den Sinus eines Winkels kann man berechnen, indem man Gegenkathete und Hypotenuse dividiert. Die Hypotenuse ist natürlich die Seite, die dem rechten Winkel gegenüberliegt."

Joey kratzte sich am Kopf und schrieb schnell mit. Kaiba rasselte alles runter, als nähme er an einem Schnellsprechwettbewerb teil. Beinahe klang es schon so, als wäre es reine Routine. Aber nein, er beherrschte es einfach.

"Wenn du Ankathete und Hypotenuse dividierst, kommst du auf den Kosinus eines Winkels." Kaiba blieb kurz stehen. "Das kann man in jedem ordentlichen Mathematikbuch finden. Und Tangens? Gegenkathete durch Ankathete. Diese Grundformeln musst du lernen und schon wirst du besser klarkommen."

"Das weiß ich." Joey griff nach seinem Kaffee und nahm einen kleinen Schluck. Da Kaiba seinen Kaffee stets schwarz trank, hatte er vermutlich vergessen, dass es Leute gab, denen das nicht schmeckte. Wie auch? Bei seinem Stress konnte er nicht an alles denken. Joey verzog kurz das Gesicht und stellte die Tasse zurück. "Könntest du noch einmal den Satz des..."

"C Quadrat ist gleich B Quadrat plus A Quadrat", fiel Kaiba ihm ins Wort und Joey begann schnell wieder zu schreiben. "Wörtlich bedeutet das so viel wie Hypotenuse im Quadrat ist gleich Gegenkathete im Quadrat plus Ankathete im Quadrat. Der Satz des Pythagoras gilt jedoch nur bei rechtwinkligen Dreiecken, vergiss das nicht." Joey nickte. "Ein rechter Winkel muss vorhanden sein, 90 Grad, sonst musst du andere Formeln wählen. Aber das hatten wir ja noch gar nicht." Kaiba machte eine kurze Pause und wanderte weiter. "Stumpfwinklige Dreiecke erkennst du daran, dass ihr Winkel größer als 90 Grad ist. Auch bei ihnen sind die Sinus-, Kosinus- und Tangenssätze gültig. Du musst sehen, welche Winkel oder welche Seiten dir gegeben sind, daran musst du dich orientieren und mithilfe dieser Sätze den Rest ausrechnen."

So quatschte Kaiba geschlagene zehn Minuten ohne Pause weiter. Und als er dann auf Wunsch auf die Wurzelfunktionen umsprang, erweiterte er seine Kreise und schlenderte auch um den Schreibtisch. Er redete und redete und bald tat Joey die Hand weh. Also schrieb er nicht mehr mit und lauschte einfach nur Kaibas Worten.

>Negativ, positiv, x, y, Wurzel...<, ging es ihm durch den Kopf, doch richtig zuhören tat er bald nicht mehr. Es dauerte nicht mehr lange, da hörte er nur noch Kaibas Stimme in seinem Kopf, auf den Inhalt der Worte achtete er nicht. Und nach weiteren zehn Minuten haftete sein Blick an Kaiba, als dieser vor ihm am Schreibtisch vorbeischlenderte und mit den Händen fuchtelte. Er sah ihm nach und wenn er hinter ihm verschwand, starrte er aus dem Fenster, starrte auf den Himmel. Er driftete immer weiter ab...

"Aus negativen Zahlen kann man natürlich keine Wurzel ziehen." Wieder schlenderte Kaiba um seinen Schreibtisch herum. "Die Punkte der Funktionen liegen nur im ersten Quadranten. Das Intervall schließt die Parabel ein und..." Kaiba blieb stehen, drehte sich zu Joey um und starrte ihn an, der junge Mann starrte abwesend zurück. "Hey!"

"Was?!" Erschrocken fuhr Joey zusammen und war sofort wieder bei Besinnung. "Was... was ist denn?"

"Ich opfere meine wertvolle Zeit für dich und du träumst!" Kaiba schüttelte in endloser Verzweiflung den Kopf und stampfte auf ihn zu. Joey sah ihn mit einer bösen Vorahnung näher kommen, doch Kaiba blieb nur neben ihm stehen, nahm kurz sein Blatt unter die Lupe und wandte sich dann wieder ab.

"Löse mithilfe der Notizen die B-Aufgabe ", sagte er nur, griff nach seinem Kaffee und trank ihn aus.

"Okay." Kleinlaut grabschte Joey nach dem Stift, der irgendwo herumlag und begann. Während er sich quälte, sich am Kopf kratzte und grübelte, blieb Kaiba vor dem riesigen Fenster stehen und blickte hinaus. Unterdessen blickte der Blonde kurz auf und wandte sich dann seinem Blatt zu, welches weniger interessant auf ihn wirkte. Nach wenigen Minuten, in denen er ein paar Gleichungen aufgekritzelt hatte, trat Kaiba vom Fenster und kam auf ihn zu. Joey wurde nervös, als er hinter ihm stehen blieb und sich leicht zur Seite beugte, um einen Blick auf das Blatt werfen zu können. Herrje, er hatte ganz schön geschmiert und wurde nicht gern dabei beobachtet, wie er weiterschmierte. Er zögerte kurz und suchte nach irgend etwas, das er schnell hinschreiben konnte, doch da neigte sich Kaiba plötzlich über seine Schulter, nahm ihm den Stift aus der Hand und strich alles durch, was er mit viel Mühe geschrieben hatte. Und Joey wurde kleiner und kleiner.

"Ich verstehe es einfach nicht", jammerte er.

"Kein Wunder, so wie du krakelst." Kaiba stöhnte, schob ihn mitsamt dem Stuhl zur Seite und neigte sich über das Blatt. Und dort begann er in fein verschnörkelter Schrift zu schreiben. Joey beobachtete seine Hand, wie sie den Stift hielt, ihn flink führte. Kaiba unterstrich dieses und jenes, fügte dort etwas hinzu und blätterte kurz.

"90 Grad", murmelte er, als er schnell ein Dreieck zeichnete. "Und Sinussatz." Somit richtete er sich wieder auf und warf den Stift auf den Block. "Muss kurz weg. Wenn ich wiederkomme, will ich das Ergebnis sehen."

Joey schluckte und Kaiba schlenderte nach draußen. Und kurz nachdem die Tür zugefallen war, drangen wieder viele Stimmen an sein Ohr. Kaiba diskutierte wieder mit jemandem, trieb manche zur Eile an und schubste andere herum. Er meckerte und dann konnte Joey wieder Pikottos Stimme hören. Doch darum konnte er sich nicht kümmern. Erstens ging es ihn nichts an und zweitens würde Kaiba ihm den Kopf abreißen, wenn er diese Gleichung nicht löste! Also machte er sich verschärft an die Arbeit und warf nebenbei wieder einen Blick zur Uhr. Er hatte nur noch zehn Minuten Zeit. Dann war es um Vier. Joey seufzte. Am liebsten würde er noch bleiben. Hier gefiel es ihm, obgleich Stress und Tatkraft herrschten. Es war Kaibas Welt und er war glücklich, sie erkunden zu dürfen.

Kaiba verbrachte keine lange Zeit außerhalb des Raumes. Nach wenigen Minuten kehrte er mit einem weiteren Stapel von Akten zurück, legte sie auf einem Schrank ab und rannte noch einmal raus, um sich einen neuen Kaffee zu holen. Mit diesem kehrte er bald zurück. Joey atmete tief ein, unterstrich das Ergebnis und lehnte sich zurück.

"Fertig."

Neben ihm stellte Kaiba die Tasse ab, grabschte nach dem Block und richtete sich mit ihm auf. Er überflog die Gleichungen nur kurz, schenkte dem Ergebnis vorerst keine Beachtung. Joey beobachtete ihn nervös, doch an seiner Mimik konnte man nicht erkennen, wie er über diese Aufgaben dachte. Er lief noch etwas hin und her, ließ den Blick kurz über die Zeilen schweifen und stoppte vereinzelt, um ein Wort zu entziffern. Doch letzten Endes nickte er und Joey atmete erleichtert durch.

"Stimmt es?", fragte er guten Mutes.

"Sinus und Kosinus sind korrekt", antwortete Kaiba und warf den Block auf den Tisch zurück. "Tangens und Seite a nicht."

"Warum nicht?" Joey war von sich selbst enttäuscht. "Was habe ich falsch gemacht?"

Kaiba stützte die Hände in die Hüften, saugte an seinen Zähnen und warf einen knappen Blick zur Uhr. Und, wie sollte es anders sein, die Zeit war um. Aber zu Joeys Verwunderung trat Kaiba geduldig näher, blieb stehen und rieb sich den Nacken.

"Bei der Tangens hast du die Gegenkathete mit der Ankathete verwechselt. Lass dir lieber Zeit, als etwas schnell abschließen zu wollen. So kommen die meisten Faselfehler zustande und somit gehen dir wertvolle Punkte verloren. Bei Seite a hast du einfach nur zwei Zahlen vertauscht. Wieder ein Faselfehler mit schwerwiegenden Folgen, Wheeler."

"Joey."

"Was?" Kaiba blickte müde auf.

Der junge Mann lächelte.

"Ich heiße Joey."

"Weiß ich doch." Verständnislos sah Kaiba ihn an.

Mit diesen Worten trödelte er zu seinem Schreibtisch zurück und ließ sich in den Stuhl sinken. Dort streckte er beide Beine von sich, lehnte sich zurück und ließ die Arme baumeln.

"Wie heißt du wirklich", murmelte er dann.

Joey hob die Augenbrauen.

"Was?"

"Na." Kaiba fuchtelte entkräftet mit der Hand. "Joey ist nur dein Spitzname, oder?"

"Woher weißt du denn das?"

"Ist nicht schwer zu erraten." Kaiba rieb sich die Augen und Joey stopfte den Block in seine Tasche zurück, an seinen Lippen zog ein Lächeln.

"Joseph."

Kaiba blickte auf und Joey nickte.

"Ja, ich heiße Joseph. Und Joseph ist mit lieber als Wheeler."

"Mm." Kaiba ließ den Hinterkopf wieder auf die Lehne zurückfallen und Joey rutschte etwas unentschlossen hin und her, wusste nicht, ob er es wirklich aussprechen sollte, was in seinem Kopf herumschwirrte. Doch bevor er wirklich gehen musste, tat er es einfach.

"Nenn mich doch einfach so."

Kaiba öffnete die Augen einen Spalt weit und linste zu ihm.

"Joseph", wiederholte er den Namen brummend und Joey richtete sich auf.

"Du willst mich also wirklich so nennen??" Er war Feuer und Flamme und Kaiba gähnte.

"Überlass das mir, okay?" Endlich kämpfte er sich wieder auf die Beine. "Du musst mich jetzt entschuldigen. Ich habe noch drei Termine, bevor ich nach Hause kann."

"Drei Termine?" Joey traute seinen Ohren nicht, als er sich erhob. "Meinst du nicht, dass das etwas viel ist?"

"Was soll ich machen." Kaiba schlenderte zur Tür. "Ich brauch nen Kaffee."

"Ja, ist wohl besser." Joey grinste und folgte ihm nach draußen. Dort herrschte noch immer großes Gedränge und Geschubse. Viele Menschen rannten umher, Aktenberge balancierend. Kaiba trödelte zielstrebig zum Kaffeeautomaten und drückte einen Knopf. Joey schlenderte näher und blieb letzten Endes neben ihm stehen.

"Wir sehen uns morgen?"

"Klar." Kaiba starrte ekdemisch auf die Tasse, die sich schnell füllte. Somit schien es für ihn abgeschlossen zu sein, doch Joey wollte noch etwas sagen. Kurz schulterte er seine Tasche und ließ die Hände in die Hosentasche rutschen.

"Danke, dass du mir geholfen hast. Das finde ich wirklich nett von dir."

Kaiba rieb sich wieder den Nacken.

"Obwohl du so viel Stress hast, nimmst du dir dennoch Zeit."

"Es gab ne Lücke in meinem Terminplan", antwortete Kaiba ihm nur.

"Trotzdem Danke." Joey ließ sich nicht unterkriegen. Er grinste und wackelte mit dem Kopf. Wenn man Kaiba so sah, konnte man denken, er würde gleich umfallen und einschlafen. Und die Tatsache, dass er sich am Automaten abstützte, ließ diese Vermutung noch glaubhafter wirken. Joey blieb stehen, wollte scheinbar hier übernachten. Nebenbei beobachtete er Kaiba besorgt von der Seite.

"Arbeitest du auch Sonntags?", fragte er nach einem langen Zögern.

Wieder lugte Kaiba zu ihm.

"Meistens nicht."

Joeys Gesicht erhellte sich.

"Da bin ich ja erleichtert", sagte er dann und Kaiba gähnte wieder. "Es muss doch schlimm sein, sieben Tage die Woche zu arbeiten. Und vor allem muss es ungesund sein."

"Ja, du musst es wissen." Kaiba griff nach der Tasse, trank gleich einen großen Schluck und schlenderte an Joey vorbei. "Bis morgen."

"Ja, bis morgen." Joey sah ihm nach, bis er in seinem Büro verschwand. Dann atmete er tief ein und schlenderte davon. Dem Weg nach draußen fand er auf Anhieb und als er wieder auf dem großen Platz stand, der sich vor dem Firmengebäude der Kaiba-Corporation erstreckte, drehte er sich um und blickte zum 32. Stock auf. Dort war ein großes Fenster in dem noch Licht brannte. Und es würde noch lange hell sein. Joey seufzte und machte sich auf den Heimweg.

>Wenn man es recht bedenkt>, zog es ihm durch den Kopf, >ist Kaiba ein netter Bursche. Ich glaube, er war hundemüde und trotzdem hat er es auf sich genommen, den Inhalt der letzten drei Mathestunden aufzuzählen.<
 

Im Gegensatz zu Kaiba war er früh im Bett und kaum hatte er die Augen geschlossen, suchte ihn ein Traum heim, der in seiner Art fremd war. Joey träumte, dass er in einer trostlosen Landschaft stand. Die Äste der wenigen Bäume krümmten sich wie Totenfinger und vom Boden stieg ein modriger Geruch auf. Auch kühl und nass war es, doch Joey spürte die Kälte nicht. Er stand nur dort und starrte in zwei blaue Augen… Kaiba stand ihm nur wenige Meter entfernt gegenüber. Nur wenige Meter und doch schien er unerreichbar. Joey wollte zu ihm laufen, doch er blieb stehen, verharrte wie eine Salzsäule und tauchte in das kühle Blau der Augen ein. Kaibas Miene verblieb ausdruckslos, so wie meistens auch. Er sagte nichts, wirkte wie eine Statue, ein Gebilde aus Stein geschlagen. Joey wusste nicht, wie lange er dort stand, Kaiba anstarrte und sich wünschte, zu ihm zu können. Wie gern hätte er die Hand gehoben, sie ihm entgegengestreckt. Doch sie war gegenwärtig: die Unerreichbarkeit. Kaiba wirkte unerreichbar, obgleich sie nahe beieinander standen.

Kaiba war das Feuer in der Kälte und das Licht in der Finsternis. Das Licht, welches alles erhellte und Dämonen vertrieb. Mit seinem Auftreten, der stolzen Haltung... den kühlen Augen. Die Atmosphäre, die sich durch sein Erscheinen entfaltete, hatte etwas an sich… etwas Unbeschreibliches. Wärme, Schutz, Geborgenheit, auch wenn man es nicht vermutete, wenn man ihn zum ersten Mal erblickte. Das waren Joeys Gefühle.

Und derzeit schienen sie sowieso verrückt zu spielen.

Zerzaust und unausgeschlafen hockte er am frühen Morgen in der Küche, rührte lustlos in seinem Kaffee und starrte ins Leere. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte sich denken, was dieser Traum zu bedeuten hatte. Sie hätten sich erreicht, hätten sie beide die Arme ausgestreckt. Die Kraft, sich zu bewegen, wäre zurückgekehrt, wenn diese Kälte nicht gewesen wäre. Die Kälte des Unbekannten, die Kälte der Unsicherheit. Es gab zu viele Unklarheiten zwischen ihnen, als dass Joey Kaiba sorglos und offen, frei und natürlich entgegentreten konnte. Er tat sein Bestes, doch mal begegnete Kaiba ihm mit Gesprächigkeit, mal antwortete er nicht und ließ auch nicht erahnen, was er dachte. Der Eisberg, der aus dem frostigen Wasser ragte. Viele Schiffe waren an ihm zerschellt...
 

Mit optimistischen Gedanken schlüpfte er dann in seine Schuluniform und machte sich auf den Weg zur Schule. Gestern hatte er noch einige Aufgaben gemacht, sein Mathematikbuch durchgeblättert und dabei immer wieder an Kaiba gedacht, an seine Worte, nein, an ihn. Wieder verschwanden all die Formeln aus seinem Kopf und Bilder tauchten auf. Bilder von ihm, wie er um seinen Schreibtisch ging, mit den Händen gestikulierte und angespannt erklärte. Ganz professionell, wie Kaiba es eben war. Joey hatte verzweifelt versucht, gegen diese Erinnerungen anzukämpfen und sich auf Mathe zu konzentrieren. Er hatte es kaum geschafft und dann noch dieser Traum. Dennoch fühlte er sich gut. Gut vorbereitet.

Als er jedoch über die Straßen schlenderte, begann er sich Gedanken zu machen. Nicht über Kaiba, ausnahmsweise nicht. Nein, er machte sich Sorgen wegen seiner Clique. Fühlten sie sich vernachlässigt? Duke war in den letzten Tagen nicht gut gelaunt gewesen und hatte ein langes Gesicht gezogen wenn er ihn gesehen hatte. Und als er ihn mit Kaiba erspäht hatte, hatte er ihn links liegen gelassen. Und er reagierte gereizt, wenn er ihn ansprach. Joey biss sich auf die Unterlippe und bog um die Ecke. Verbrachte er zuviel Zeit mit Kaiba? Auf der einen Seite verbrachte er wirklich weniger Zeit mit den Anderen als früher. Auf der anderen Seite jedoch war es ihm nicht zu verübeln. Die neue Freundschaft musste erst aufgebaut und anschließend richtig gefestigt werden. Das war nun Joeys Aufgabe. Und wenn er Kaiba sicher als Freund hatte, könnte er sich wieder mehr mit den anderen beschäftigen. Vielleicht sollte er heute mal mit ihnen sprechen?

Dennoch hatte er kein gutes Gefühl, als er stehen blieb und seine Freunde beobachtete, die wie jeden Morgen auch auf der Bank saßen und munter tratschten. Sie lachten und Duke schubste Tristan, der sofort zurückschubste, lachend, gut gelaunt. Joey schluckte. Er hörte Yugi lachen und Tea telefonierte wieder. Besser wäre es, wenn er nichts von seinem neuen Nachhilfelehrer erzählen würde. Auf jeden Fall würde es den anderen nicht gefallen.

"Was habt ihr gestern so gemacht? Habt euch gelangweilt? Oh, ihr Armen. Ich war gestern bei Kaiba in der Firma und habe da Kaffee getrunken. Wir haben gelernt und haben dann wieder Kaffee getrunken. Kaiba hat ein wirklich tolles Büro! Und seine ganze Firma, so etwas müsst ihr gesehen haben!! Toll... nicht wahr? Nein? Na gut, hab nichts gesagt."

Oh, du lieber Gott! Joey wurde schlecht. Er schüttelte sich, um diese grausamen Gedanken zu verdrängen. Dann atmete er tief durch und ging los. Yugi begrüßte ihn mit einem glücklichen Lächeln, Tristan schlug ihm begrüßend auf die Schulter, Tea winkte grinsend, Bakura gähnte und Duke steckte sich einen Kaugummi in den Mund, nicht auf ihn achtend. Joey räusperte sich und warf die Tasche neben Yugi auf die Bank.

"Wir gehen heute in den Park", sagte Tristan nach einer kurzen Stille.

"Vielleicht springen wir auch in den See, wenn es zu heiß wird." Tea rollte mit den Augen, hakte den Finger in den engen Kragen und zog ihn lockerer. "Und heute wird es sicher grauenhaft heiß!"

"Ach ja?" Joey grinste verhalten.

"Ja." Yugi nickte zustimmend. "Wir können auch Eis essen und so."

"Schön." Joey zuckte mit den Schultern und blähte die Wangen auf. Doch die anderen schienen auf eine Antwort zu warten. Das bemerkte er nicht.

"Und?" Nach wenigen Momenten ließ Tea das Handy sinken. "Kommst du mit?"

Joey atmete so tief ein, wie er konnte, ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und sah sich kurz um.

Wollte er wirklich mit ihnen in den Park gehen? Früher hätte er ohne zu zögern zugesagt, doch diesmal war es anders. Lieber wäre er bei Kaiba. Lieber würde er ihn beobachten, als Eis zu essen und in den See zu springen. Im Gegensatz zu seinen Freunden wirkte Kaiba erwachsener, vernünftiger, erfahrener. Bei ihm fühlte er sich wohler, auch wenn er es nicht gern zugeben wollte. Doch nun kehrte das unbarmherzige Gewissen zurück. Er konnte sie doch nicht vernachlässigen! Kaiba oder seine Clique? Sie würde es ihm danken und das Verhältnis zwischen ihnen würde sich bessern. Vielleicht würde er sich auch besser mit Duke verstehen? Das würde ihn freuen.

Und Kaiba? Ihm war es sicher nicht so wichtig, dass er bei ihm war. Noch nicht, daran wollte Joey etwas ändern. Was sollte er also sagen? Er musste schnell antworten! Verunsichert ließ er den Blick durch die kleine Gruppe schweifen, lugte auch zu Duke. Dieser warf ihm einen mürrischen Blick zu.

"Ich weiß es nicht." Hastig wandte er sich an Yugi, denn dieser hatte noch gute Laune und verstand ihn. "Ich... werde nach der Schule Bescheid sagen, okay?"

"Klar." Duke grabschte nach seiner Tasche, wandte sich ab und schlenderte auf die Schule zu. Joey sah ihm nach.

"Was hat den denn gestochen?" Tristan schüttelte den Kopf und nahm ebenfalls seine Tasche von der Bank.

"Weiß ich nicht." Yugi erhob sich. "Ich frage ihn nachher mal."

Joey ließ den Kopf sinken, dann machte er sich mit den anderen auf den Weg. Er fühlte sich schlecht, wirklich schlecht! Vereinzelt lugte er zu Duke, der vorneweg stampfte. Er war sauer und das aus gutem Grund!

Kurz bevor er das Schulgelände betrat, erspähte er die schwarze Limousine, die um die Ecke rollte und verschwand. Er wandte den Blick ab, fuhr sich kurz über das Gesicht und trat durch die Tür. Er befand sich in einer Zwickmühle.

Was war ihm wichtiger?

Die Entscheidung, die er heute treffen musste, würde sehr wichtig sein.

Er war sehr schweigsam, als er durch den Gang schlenderte und letzten Endes im Türrahmen stehen blieb. Er betrat das Klassenzimmer nicht, ließ die Anderen vorgehen und beobachtete Kaiba mit trauriger Miene. Der junge Mann saß zurückgelehnt an seinem Tisch und las irgendein Buch. Und er vertiefte sich so sehr darin, dass er ihn nicht bemerkte. Joey schluckte, neigte sich leicht zur Seite und lehnte sich gegen den Türrahmen.

>Seine Miene ist wieder so ernst<, bemerkte er. >Es hilft mir nicht gerade, mit der Situation fertig zu werden. Ich bin froh, dass Duke nicht in meiner Klasse ist. Nun kann ich mich ihm nähern, ohne Angst zu haben, seinen Zorn zu ernten.<

Er blieb dort stehen und beobachtete ihn weiterhin. Kaiba regte sich nicht, seine Augen wanderten flink über die Zeilen. Und Joey erinnerte sich an seinen Traum.

Die Bilder kehrten zurück und in Joey tat sich eine Frage auf.

Kaiba…

Was empfand er ihm gegenüber?

Er hatte ihn zu einem Drink eingeladen, sich nett mit ihm unterhalten und ihn halbwegs nach Hause begleitet. Es musste Freundschaft sein.

Genau in dieser Sekunde richtete sich Kaibas Blick auf ihn, er selbst verharrte noch immer reglos. Joey bemerkte es sofort, wurde jedoch weder nervös noch war es ihm peinlich, ihn beobachtet zu haben. Er blieb nur dort stehen, erwiderte Kaibas Blick und kämpfte mit dieser Frage. Wenn es wirklich Freundschaft war, dann...

Plötzlich ließ Kaiba das Buch sinken, klappte es zu und legte es auf den Tisch. Joey wurde aus seinen Gedanken gerissen und erwachte ebenfalls wieder zum Leben. Er ließ die Hände sinken und lächelte matt. Kaiba erwiderte nichts dergleichen. Er warf ihm nur noch einen flüchtigen Blick zu und starrte dann auf die Tafel, der ernsthafte Ausdruck verweilte auf seinem Gesicht. Joey hatte kein Lächeln erwartet, also beunruhigte ihn diese Reaktion nicht. Er löste sich vom Türrahmen, fuhr sich durch den Schopf und schlenderte an Kaiba vorbei.

"Morgen", nuschelte er nur.

Dann ging er weiter durch die Reihe zu seinem Tisch. Kaiba antwortete nicht, doch Joey spürte, wie der eigene Blick immer wieder nach vorne driftete, als er sich hinsetzte und die Tasche auf den Tisch zog.

"Hey." Plötzlich blieben Yugi und Tristan vor seinem Tisch stehen. "Was ist jetzt?"

"Ja." Yugi nickte. "Kommst du mit?"

Sofort drifteten Joeys Augen abermals zu Kaiba ab, der mit dem Rücken zu ihm saß und argwöhnisch den Lehrer beobachtete, der nun eintrat und seinen Blick kampfeslustig erwiderte.

"Oh, Mist." Tristan puffte Yugi an. "Mach schnell! Beeil dich!"

"Ja." Yugi warf einen nervösen Blick zum Lehrer und neigte sich dann nach vorn. "Es ist so, Bakura hat heute keine Zeit und Duke will auch nicht mitkommen. Und Tea hat sich gerade an einen Termin erinnert. Ich weiß es nicht, ob es zu dritt so lustig wäre."

"Zu dritt?" Joey hob die Augenbrauen. "Das wäre..."

Wie ein Blitz durchzuckte es ihn und wieder starrte er auf Kaiba. Er konnte seine Freunde nicht versetzen, wenn sie sich überhaupt nicht trafen! Also könnte er vielleicht doch den Tag mit Kaiba verbringen…?

"... nicht so gut, nein." Er schüttelte den Kopf. "Wir sollten uns noch einmal treffen, wenn alle Zeit haben."

"Da hast du auch wieder Recht." Tristan seufzte. "Dann beginne ich heute eben meinen Kurzvortrag. Denn muss auch irgend wann mal anfangen."

"Ja, ich auch." Yugi nickte und scheinbar schien ihm der Reinfall mit dem Treffen nicht nahe zu gehen. Er war immer noch vergnügt. "Und dann kann ich ja..."

"Muto! Taylor!" Durchdrang die schroffe Stimme des Lehrers die angenehme Atmosphäre und die beiden Jungs zuckten erschrocken zusammen.

"Entschuldigung", raunte Tristan hastig, schlug Joey noch einmal auf die Schulter und eilte dann zu seinem Platz. Auch Yugi verschwand nach einer ausführlichen Entschuldigung, die dem Lehrer schnurzegal war. Joey hatte den Beiden nicht nachgesehen. Mit langsamen Bewegungen rupfte er seine Tasche auf und begann allerlei Zeug auszupacken. Halt, warum sollte er eigentlich noch traurig und niedergeschlagen sein? Er könnte heute zu Kaiba und die Anderen würden ihm nicht einmal böse sein! Er versuchte zu lächeln, doch letzten Endes rollte er nur mit den Augen und neigte sich zu seinem Tisch herab, um ein paar Minuten zu dösen und Trübsal zu blasen. Doch dann geschah etwas außerordentlich merkwürdiges! Ja, es war kaum zu glauben! Das erste Mal verspürte Joey keinen Schüttelfrost, als er das Blatt mit den Aufgaben in der Hand hielt und den Blick über die vielen Zahlen schweifen ließ. Auf einmal schien alles eine gewisse Ordnung zu haben und manche Ergebnisse sprangen ihm regelrecht ins Gesicht, als er die Aufgaben las. Nun lächelte er, legte das Blatt auf den Tisch und zückte einen Stift, nebenbei lugte er zu Kaiba, doch dieser schrieb bereits und war sicher wieder als Erster fertig. Schreiben würde Joey jetzt auch. Er atmete tief ein, rieb sich die Stirn und begann.

Obgleich er Kaiba nicht immer zugehört hatte, erinnerte er sich an dessen Worte. Das mit den rechtwinkligen Dreiecken und den Sinussätzen und so weiter. Und das erste Mal seit langem fühlte er sich gut, als er das letzte Ergebnis unterstrich und die Arbeit von sich schob. Ein C dürfte er erreicht haben. Und er hatte auch nicht so lange gebraucht. Kaiba hatte aber trotzdem schon lange in seinem Buch gelesen, während er noch gekämpft hatte. Wenige Minuten, bevor es zum Stundenende klingelte, sammelte der strenge Lehrer die Arbeiten ein und leistete sich gleich noch einen unauffälligen Kampf mit Kaiba. Joey hatte kaum etwas mitbekommen. Tatsache war jedoch, dass der Lehrer am Rande der Verzweiflung den Kopf schüttelte, als er an sein Pult zurückkehrte und die Blätter in seine Tasche stopfte. Dafür konnte sich Joey nicht interessieren. Nein, bevor Kaiba den Raum verlassen konnte, schulterte er seine Tasche und eilte zu ihm.

"Na?", fragte er, als er neben ihm stehen blieb und wieder das Lächeln präsentieren konnte. Kaiba schwang sich die Tasche über die Schulter und warf ihm einen knappen, annähernd desinteressierten Blick zu.

"Ich erwarte, dass dir der gestrige Tag etwas gebracht hat. Wenn du trotz aller Anstrengungen eine schlechte Note bekommst, kannst du etwas erleben!"

Joey schluckte und folgte Kaiba, der auf den Gang hinaustrat.

"Und was heißt bei dir 'schlecht'?"

"Werden wir sehen." Kaiba schlenderte weiter und Joey dackelte hinter ihm her, wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte. Er konnte sich vorstellen, dass Kaiba selbst bei einem B einen Tobsuchtsanfall bekam.

Ach, er wollte Kaiba ja noch etwas fragen. Also tat er es einfach, denn diese Hemmungen hatte er in der Zwischenzeit verloren.

"Hast du heute Zeit?"

"Muss arbeiten", antwortete Kaiba knapp.

"Da kann ich dir doch vielleicht eine Hilfe sein, oder?" Es sprudelte nur so aus ihm heraus. "Ich kann dir ja vielleicht auch..."

"Arbeit", wiederholte Kaiba noch einmal ausdrücklich und warf ihm einen scharfen Schulterblick zu. "Richtige Arbeit, meine ich! So etwas hast du in deinem Leben noch nie erlebt."

"Dann würde ich es gern erleben", erwiderte Joey sofort heiter, obwohl Kaibas Ton ihn etwas beunruhigte. "Es muss doch irgendetwas geben, womit ihr dir etwas Arbeit abnehmen kann, oder?"

"Werden wir sehen." Kaiba bog in das andere Klassenzimmer ein und ließ sich sofort auf seinem Stuhl nieder, nicht weiter auf Joey achtend. Dieser trödelte etwas verloren zu seinem Platz und hockte sich dort auf die Tischkante.

Was zur Hölle war denn los?!

Gestern hatten sie sich freundlich unterhalten und nun behandelte Kaiba ihn wieder wie zu Beginn. Dieser ablehnende Ton war in seine Stimme zurückgekehrt und auch sein Gesichtsausdruck erinnerte wieder an den Fiesling. Joey ließ entkräftet den Kopf sinken. Das konnte doch nicht wahr sein!

Seufzend schloss er die Augen. Was hätte Kaiba ihm nur für neuen Mut gegeben, hätte er ihm ein Lächeln geschenkt. Und wäre nicht eine Drohung das Erste gewesen, das über seine Lippen gekommen wäre. Jetzt hatte er das Gefühl, von beiden Seiten verstoßen zu werden.
 

Drei Stunden quälte er sich noch mit furchtbaren Gedanken und sehnte sich dann nach der frischen Luft des Hofes. Er wollte nur zwischen seinen Freunden sitzen, die Augen geschlossen halten und nachdenken. Er wollte keine Vorwürfe hören und nicht zu Kaiba gehen.

Doch Duke nutzte diese Hofpause, um ihm die Meinung zu sagen. Es begann mit kleinen Anspielungen, dann folgten klare Äußerungen und Schimpfwörter und letzten Endes wurde viel geschrieen. Nicht von Joey, nein, dieser hielt sich zurück, obgleich er an diesem Streit die Schuld trug, wie Duke es zumindest behauptete. Duke hatte Kaiba schlecht gemacht, da hatte er geschwiegen. Denn Duke kannte Kaiba nicht und die wenigen Begegnungen waren keine Erklärung für den Hass, den er spürte. Dann jedoch hatte Duke gesagt, dass Kaiba ihm das Wichtigste wäre, dass Joey sie links liegen lassen und sich nur noch mit ihm beschäftigen würde und von da an begann er sich zu verteidigen. Es geriet alles außer Kontrolle und letzten Endes musste Tristan Duke festhalten. Auch Yugi sprach auf Duke ein und Bakura starrte, als hätte er soeben etwas Unglaubliches gesehen.

Oh, es kam nicht oft vor, dass aus der Ecke der Kuschelclique Lärm und Schreien ertönte und über den ganzen Hof zog und so fanden sich viele Zuschauer ein, die das Spektakel neugierig verfolgten. Doch nach wenigen Minuten drehte sich Duke einfach um und stampfte davon. Er ging einfach weg und stieß die Schüler zur Seite, die ihm im Weg standen. Yugi seufzte und Bakura konnte noch immer nicht glauben, was soeben geschehen war. Tristan schüttelte über Duke erzürnt den Kopf und Joey saß etwas zusammengesunken auf der Bank, hatte die Stirn in die Handflächen gestützt und die Augen geschlossen.

Es war nur ein kleiner Streit gewesen und Yugi meinte, wie die anderen auch, dass sich Duke schon wieder beruhigen würde. Tristan, Yugi und Tea verstanden den Ernst der Situation natürlich nicht und so war Joey wieder der Einzige, der leiden musste. Ihm war nach Heulen zu Mute, als er wieder im Klassenzimmer saß und mit verbissener Miene an seiner Tasche zupfte. Yugi tätschelte seine Schulter und Tristan regte sich über Duke auf, obwohl man ihm deutlich ansehen konnte, dass es auch ihm etwas missfiel, dass sich Joey plötzlich mit Kaiba beschäftigte. Die Beiden... die sonst immer die erbitterten Feinde dargestellt hatten.

Joey ließ sich nicht trösten und als die Schule vorbei war, machte er sich auf den Nachhauseweg, bevor die anderen die Schule verlassen konnten. Er ging zügig, wollte Duke nicht unter die Augen treten und als er zu Hause war, schmiss er seine Sachen in die nächste Ecke, setzte sich in die Küche und trank einen schwarzen Kaffee, an den er sich allmählich gewöhnte. Wieder dachte er nach, machte sich Gedanken und suchte verzweifelt nach einer Lösung, die für alle zufrieden stellend war. Trübsinnig rührte er in seinem Kaffee, kratzte über den Tisch und zog ein langes Gesicht. Der Einzige, der ihn nun aufheitern konnte, hatte ihn auch versetzt. Kaiba wollte seine Hilfe scheinbar nicht. Er würde sich wieder allein mit all der Arbeit herumschlagen und am Ende des Tages todmüde in sein Bett fallen. Aber warum wollte er sich nicht helfen lassen? Dazu waren Freunde doch da. Die einzige Erklärung dafür war, dass Kaiba ihre Beziehung anders auffasste, als er. Vielleicht meinte er, dass es in Ordnung wäre, sich ein paar Mal mit ihm zu unterhalten und ihn zu einem Drink einzuladen. Dann konnte er ihn ja ruhig wieder fallen lassen. Joey seufzte, ließ den Kopf hängen und rieb sich den Nacken.

Was hatte er denn falsch gemacht?

Er hatte sich nach einer Freundschaft zu Kaiba gesehnt. Endlich hatte er geglaubt, es erreicht zu haben und nun brach alles in sich zusammen. Hinzukommend war Duke sauer auf ihn und auch Tristan benahm sich seit der Hofpause, auf der es den Streit gegeben hatte, anders ihm gegenüber. Er konnte doch nicht etwa auch böse auf ihn sein?

Nein, das war zu viel...

"Was ist?", ertönte plötzlich eine Stimme und Joey richtete sich müde auf. "War die Schule so schlimm?"

"Hm." Joey nickte.

Ein etwas älterer Mann betrat die Küche. Er war groß, schlank und trug lediglich eine schlapprige Jeans. Auch sein Gesicht wirkte freundlich und die kurzen blonden Haare standen etwas verwuschelt zu Berge. Er war Joey wie aus dem Gesicht geschnitten, konnte also nur sein Vater sein. Und er hatte gerade noch geschlafen, denn erst heute Nacht war er von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekehrt, von denen er viele unternehmen musste. Zu viele, wie Joey meinte.

Nun schlenderte er näher, griff nach der Kaffeekanne und auch nach einer Tasse. Joey starrte wieder auf den Tisch und kurze Zeit später ließ sich der Mann ihm gegenüber nieder, lehnte sich zurück und goss sich Kaffee ein. Und nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte, blickte er auf und musterte seinen Sohn, der ebenfalls etwas zerzaust aussah.

"Bist du zurechtgekommen?", fragte er.

"Kein Problem." Joey nickte.

"Und was ist mit dem jungen Mann, den du am Abend meiner Abreise hergeschleppt hast? Wie geht es ihm?"

"Gut", antwortete Joey und griff nach der Tasse. "Er ist fast wieder gesund."

"Und deine Freizeitjobs?", erkundigte sich sein Vater weiterhin und erhob sich, um zum Kühlschrank zu schlendern. "Wie läuft es mit denen?"

"Ganz gut." Joey seufzte unauffällig und drehte sich zu ihm um. Er beobachtete ihn, wie er im Kühlschrank wühlte und letzten Endes eine Packung Milch aus einem Fach zog. Er beobachtete ihn auch, als er nach einem ein Glas griff, die Milch hineinfüllte und dann die Schubfächer öffnete. Wieder gab es etwas, das Joey nicht gegen die Trübsal half.

"Wann musst du wieder weg?"

"Erst in zwei Tagen."

>Erst?< Joey wandte sich wieder ab. >Er ist nie länger als zwei Tage hier! Hier, zu Hause! Ständig jagt ihn sein Chef dort und da hin und lässt ihm keine Ruhe. Kein Wunder, dass wir uns immer weiter voneinander entfernen!<

"Diesmal bleibe ich aber nur eine Woche", fuhr sein Vater fort. "Dann bekomme ich drei Tage frei und wir können irgendetwas unternehmen."

Auch darauf reagierte Joey nicht glücklich, denn so etwas versprach er ihm des Öfteren und nie hielt er es ein. Er würde sich wieder entschuldigen, sagen, dass die Arbeit Vorrang hätte und wieder für einige Tage verschwinden. Joey verschränkte die Arme auf dem Bauch und streckte die Beine durch.

Das war vielleicht blöd!

Einfach alles war blöd!

Plötzlich klingelte es an der Tür und Joey drehte finster das Gesicht zur Seite. Nicht einmal in Ruhe hier sitzen konnte er! Mit vollem Mund richtete sich sein Vater auf und fuchtelte mit der Hand.

"Mm... gehft du?"

"Klar." Joey erhob sich träge, zupfte an seiner Hose und trottete zur Tür. Er hatte keine Lust auf Besuch, wollte nur Trübsal blasen und nachdenken. Und auch herumsitzen wollte er und zwar ohne ständig gestört zu werden! Stöhnend grabschte er nach der Klinke, drückte sie hinab und öffnete die Tür. Und plötzlich lehnte Kaiba in seinem Türrahmen und starrte ihn an. Joey wusste nicht, was er davon halten sollte. Überrascht weitete er die Augen und trat zurück.

"Ähm..."

"Was ist?" Kaibas Gesichtszüge entspannten sich allmählich. "Du hast gefragt, ob du mir helfen kannst. Jetzt bin ich hier und hole dich ab."

"Du...", Joey musste nach Luft schnappen, "... holst mich ab?"

Kaiba schnalzte mit der Zunge und sah sich flüchtig um.

"Wonach sieht's denn aus."

"Aber", Joey suchte hektisch nach Worten, "du hast doch gesagt, dass..."

"Ich habe auf jeden Fall nicht gesagt, dass daraus nichts wird." Kaiba löste sich vom Türrahmen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Los doch, beeil dich. Mir fehlt die Zeit, lange herumzustehen."

"Okay!" Mit einem Mal erhellte sich Joeys Gesicht. "Ich komme gleich, ja?!"

Kaiba wackelte drängelnd mit dem Kopf und Joey nickte, sah sich kurz um und rannte davon. Kaiba atmete tief ein, tippte mit den Fingern auf seinen Mantel und blähte die Wangen auf. Eigentlich hatte er vorgehabt, Joey zu fragen, ob es gleich nach der Schule ginge, doch der junge Mann war so schnell geflüchtet, dass er erfolglos gesucht hatte. Er hörte schnelle Schritte in der Wohnung, dann ein Rascheln, dann knallte eine Tür. Er sah sich kurz um und blickte erst auf, als schlürfende Schritte im Flur ertönten. Und plötzlich stand ein Mann vor ihm, der nur in eine Jeans gekleidet war und ihn müde kauend musterte. Kaiba öffnete den Mund und ließ die Arme sinken. Die Familie Wheeler schien prinzipiell sehr locker drauf zu sein. Einem Gast nur in Jeans gegenüberzutreten! Kaiba starrte ihn mit großen Augen an und der Mann stopfte sich den Rest des Brötchens in den Mund.

"Sind Sie ein Freund von Joey?" Fragte er anschließend und fuchtelte mit der Hand. Kaiba zögerte kurz mit der Antwort, musterte den Mann flüchtig und verschränkte dann wieder die Arme vor dem Bauch.

"Könnte man so sagen."

"Na, sonst hätte er sich ja wohl kaum um Sie gekümmert, hm?" Der Mann grinste. "Aber so ist Joey nun einmal. Er muss jedem helfen. Hat ein großes Herz, der Junge."

Kaiba hob eine Augenbraue.

"Holen Sie ihn ab?", fragte der Mann weiter.

"Ja."

"Was wollt ihr denn machen?"

"Er hilft mir ein bisschen." Kaiba wandte den Blick ab; es war ihm unangenehm, einen halbnackten und vor allem fremden Mann anzustarren.

"Na gut." Der Mann zuckte mit den Schultern.

In diesen Sekunden ertönten wieder Schritte und kurze Zeit später drängelte sich Joey an seinem Vater vorbei. Er war schnell in eine andere Hose geschlüpft und hatte sich ein lockeres Shirt übergestülpt. Und er strahlte, als hätte sich soeben sein Lebenstraum in Realität gewandelt.

"Bis später", verabschiedete er sich knapp und auch Kaiba nickte dem Mann zu, bevor er sich umdrehte und Joey folgte. Der Mann winkte kurz, kratzte sich am Bauch und schloss die Tür.

"Und was machen wir?", fragte Joey, während er die Treppen hinab stieg. Kaiba drängelte ihn ganz schön, hatte vermutlich wirklich keine Zeit zu verlieren.

"Ich zeige dir, mit welcher Arbeit ich den Tag verbringe", antwortete er und sah sich kurz um.

"Da bin ich ja mal gespannt."

"Freu dich nicht zu früh."

Dann traten die Beiden durch die Haustür, Kaiba zog an Joey vorbei und steuerte auf die Limousine zu, die genau vor dem Haus parkte. Joey jedoch blieb kurz stehen und zögerte, berauscht und verunsichert zugleich. Eine Limousine...! Er war schon einmal mit ihr gefahren, hatte es jedoch nicht genießen können. Kaiba winkte ihn hastig zu sich und Joey eilte weiter. Bevor Kaiba den Wagen erreicht hatte, sprang der Chauffeur heraus und öffnete ihm die Tür. Kaiba stieg sofort ein, Joey jedoch nickte dem Mann begrüßend zu, bevor er ihm folgte.

Und das war vielleicht ein Gefühl!

Wenige Sekunden später fand sich Joey auf einer langen gepolsterten Sitzbank wieder. Die Wände der Limousine waren mit glänzend lackiertem Holz ausgestattet und auf dem Boden lag ein sauberer Teppich. Noch während er sich berauscht umsah, schloss der Chauffeur die Tür und rannte zu seiner zurück. Kaiba war an das Fenster herangerutscht, hatte die Beine übereinander geschlagen und die Arme auf dem Bauch verschränkt. Dann setzte sich die Limousine in Bewegung. Joey bemerkte es jedoch erst, als er die Häuser an dem Fenster vorbei gleiten sah, so sanft fuhr der Wagen. Joey wippte etwas auf der Bank, biss sich auf die Unterlippe und warf einen flüchtigen Blick auf den Bildschirm, der in der geteilten Wand vor der Fahrerkabine eingearbeitet worden war. Dann lugte er zu Kaiba und rutschte etwas näher.

"Verrätst du mir, was du gestern noch gemacht hast?"

"Weißt du doch", antwortete Kaiba und setzte sich gemütlicher hin. "Termine."

"Und dann?", fragte Joey neugierig weiter. "Ich glaube nicht, dass du danach nach Hause gefahren bist, oder?"

Kaiba lugte zu ihm. "Wieso interessiert dich das."

"Es ist nur so." Joey zögerte kurz und rieb sich die Oberschenkel. "Du warst heute in der Schule etwas schroff."

Kaiba beobachtete ihn noch kurz aus den Augenwinkeln, dann atmete er tief ein durch und runzelte die Stirn.

"Ich war erst um zwei Uhr zu Hause und hatte drei Stunden Schlaf. Anschließend habe ich fast verschlafen und fand nicht mal mehr Zeit, um zu frühstücken." Er machte eine kurze Pause und drehte das Gesicht zum Fenster. "Tut... m... leid." Ertönte ein beinahe lautloses Nuscheln.

"Hm?"

"Nichts." Kaiba fuhr sich mit beiden Händen durch den Schopf und Joey wollte nicht weiterstochern. Also schnitt er einfach ein neues Thema an.

"Hast du denn Arbeiten, die ich verrichten kann? Ich meine, mit Computern kenne ich mich kaum aus."

"Genug Arbeiten." Ein Grinsen zerrte an Kaibas Mundwinkel. "Genug."
 

~*to be continued*~

Anerkennung

~*Anerkennung*~
 

Bald fuhr die Limousine auf den Privatparkplatz vor dem Firmengebäude der Kaiba-Corporation ein und kam zum Stillstand. Am liebsten wäre Joey auf den furchtbar bequemen Polstern sitzen geblieben, doch daraus wurde nichts. Nach Kaiba stieg er aus und betrachtete sich sofort das riesige Gebäude. Doch Kaiba stürmte schon los und er stolperte wieder hinter ihm drein. Er folgte ihm durch den Eingang und durch den Aufenthaltsraum, in dem Kaiba oft gegrüßt wurde. Der junge Mann achtete jedoch nicht darauf, grüßte nur knapp zurück und ging weiter zum Fahrstuhl. Mit diesem fuhren sie dann in die 32. Etage. Und dort erwartete Joey wieder das Gedränge. Diese Menschen schienen nie müde zu werden! Kaiba bahnte sich einen direkten Weg durch die vielen Mitarbeiter, obwohl er somit in keinerlei Schwierigkeiten kam. Die Leute machten ihm Platz und gingen erst weiter, nachdem auch Joey an ihnen vorbeigestolpert war.

"Es ist schon sechzehn Uhr." Kaiba warf einen knappen Blick auf seine Uhr und stieß die Tür zu seinem Büro auf. "In drei Stunden habe ich einen Termin. Da kannst du Pause machen."

Drei Stunden? Joey schluckte. Was hatte er sich hier nur eingebrockt?

Kaiba schlüpfte aus seinem Mantel, warf ihn auf seinen Stuhl und rieb sich den Bauch, der sich unter einem modischen schwarzen Shirt versteckte. Joey stand nur wenige Sekunden untätig herum… und dann begann es!

Anfangs drückte Kaiba ihm eine dicke Akte in die Hand und schickte ihn zum Kopieren. Die Kopierer befanden sich nach seiner Beschreibung an jedem zweiten Tisch, also musste sich Joey wieder durch die Menschen drängeln und lange nach einem freien Kopierer suchen. Dann kopierte er und kehrte in Kaibas Büro zurück. Dieser hatte sich hinter einen seiner Computer gesetzt und tippte. Die erste Stunde verbrachte er nur damit. Er erstellte irgendwelche Programme und schmiss nebenbei noch viele Arbeiten nach Joey. Dieser jedoch, erledigte sie gern und konnte nach nur einer Stunde sehr gut nachvollziehen, was für eine Bedeutung das Wort "Arbeit" für Kaiba hatte.

In den ersten beiden Stunden sortierte er Berichte und Akten, rannte durch das halbe Gebäude, um dasselbe zu irgendwelchen anderen Mitarbeitern zu bringen und stand noch mehrmals am Kopierer. Doch er hatte eine solch gute Laune, dass er sich nicht einmal durch unfreundliche Mitarbeiter stören ließ. Kaiba tippte noch etwas und dann begann auch er herumzurennen. Und meistens fand Joey ihn nicht, da er sich sonst wo herumtrieb. Aber wenn er Kaiba durch dessen Abwesenheit bedingt, nicht nach neuen Aufgaben fragen konnte, dann wandte er sich einfach an einen Mitarbeiter und griff diesem etwas unter die Arme. So kam es, dass er sich nie langweilte und die ersten beiden Stunden ohne die kleinste Pause durcharbeitete. Und es bereitete ihm großen Spaß, da er hinzukommend auch das Gefühl hatte, zu einem großen Ganzen zu gehören und für einen guten Zweck zu arbeiten.

Als er gerade einen riesigen Blätterstapel balancierte, tauchte Kaiba plötzlich wieder auf, zog an ihm vorbei und winkte ihn mit sich. Dennoch brachte Joey die Blätter schnell zu dem, der sie benötigte und folgte ihm erst dann. Kaiba stand vor seinem Schreibtisch, als er das Büro betrat. Er neigte sich kurz über die Tastatur, tippte noch etwas und schaltete den Computer dann aus.

"Moment", murmelte er, als er sich wieder aufrichtete, sich umdrehte und vor einen Schrank hockte, um das unterste Schubfach hinauszuziehen. Dort hockte er kurz, wühlte in dem Fach und zog einige Unterlagen hervor. Joey stand in der Zwischenzeit hinter ihm und wartete geduldig. Außerdem beobachtete er ihn. Flink fuhr Kaibas Zeigefinger über die kleinen Blättchen, tippte manche an und zog sie heraus. Joey atmete tief ein und gähnte. Dann wollte er sich auf den Schreibtisch stützen... was er jedoch unterließ. Ja, er konnte sich nicht mehr abstützen, er konnte sich nicht einmal mehr bewegen. Er stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen und starrte mit großen Augen auf einen bestimmten Punkt. Kaiba suchte weiter.

Konnte das sein...?

Ohne den Blick abzuwenden trat Joey näher, leise und vorsichtig. Und als er direkt hinter ihm stand, neigte er sich etwas zur Seite und legte den Kopf schief.

Nein, das konnte nicht sein!

Dadurch, dass sich Kaiba leicht nach vorn beugte und dabei ein kurzes Shirt trug, war dieses natürlich etwas nach oben gerutscht. Daran war ja nichts Schlimmes. Nein, aber es gab da eine andere Sache, die Joey den Glauben gab, verrückt zu sein. Auf der rechten Seite des Steißes... Joey sah genauer hin, da war... da war... ein Tattoo!

Kaiba war doch wirklich tattowiert...?

Es war nur ein kleines schwarzes Tattoo, ein merkwürdig geschwungenes und doch recht elegantes Zeichen… und dennoch war es ein Tattoo! Bevor Joey es weiterhin anstarren konnte, reichte Kaiba ihm einige Unterlagen und drückte sie ihm hinterrücks in die Arme. Joey griff schnell zu und stolperte zurück und in dieser Sekunde betrat Pikotto den Raum; Joey sah ihn heute zum ersten Mal. Pikotto warf ihm einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann an Kaiba, der immer noch suchte.

"Mit der neuen Grafik gibt es ein Problem", sagte er und Kaiba drehte sich zu ihm um, nebenbei schob er das Schubfach zu.

"Was für ein Problem."

Joey umklammerte die Unterlagen fester und sah sich leicht irritiert um. Über die Sache mit dem Tattoo kam er nicht hinweg.

"Mit dem Visual Pad scheint etwas nicht zu stimmen. Ich lasse es bereits untersuchen, doch das könnte etwas dauern." Pikotto zückte eine Zigarettenschachtel.

"Irgendwie muss der Schaden ja entstanden sein." Kaiba erhob sich. "Könnte es sich um einen Virus handeln? Ach nein." Kopfschüttelnd kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und Pikotto zog sich nachdenklich eine Zigarette. "Die Firewall hat uns bisher noch nicht enttäuscht. Außerdem hätten Suchmaschinen ihn ausfindig gemacht, bevor er unser System befallen könnte."

Joey hob die Augenbrauen. Über was sprachen die Beiden da? Er verstand kein Wort. Wie schon gesagt, mit Computern hatte er nichts am Hut und wieder gab es eine Sache, in der Kaiba ihn übertraf.

"Wir können andere Suchmaschinen einsetzen." Pikotto suchte nach einem Feuerzeug. "Gleichzeitig könnten wir die Neuentworfene testen."

"Mach das." Kaiba griff nach einem Feuerzeug, welches vor ihm lag und warf es Pikotto zu. Dieser fing es leichthändig auf und entzündete den Tabak.

"Und", Kaiba öffnete wieder ein Schubfach und begann schon wieder zu suchen! "Falls Mokuba vor um acht Uhr kommt, schick ihn in die dreizehnte Etage. Ich werde ihn dort abholen."

"In Ordnung." Pikotto warf das Feuerzeug zurück und Kaiba fing es gekonnt weg. Mit diesen Worten drehte sich Pikotto um und schlenderte aus dem Büro.

"Leg den Kram da hin." Kaiba warf eine kleine Mappe auf seinen Stuhl und richtete sich langsam auf. "Jetzt trinken wir erst einmal einen Kaffee."

Joey grinste. "In Ordnung."

Also gab es doch schon eine Pause!

Nun ja, eigentlich war Joey nicht auf sie angewiesen, denn die zwei Stunden waren wie im Nu verflogen. Wirklich eine neue Erfahrung. Die Arbeit im Lawell war mit dieser nicht zu vergleichen. Als Joey mit einem Kaffee in einem gemütlichen Sessel im Aufenthaltsraum saß, atmete er dennoch tief durch und beobachtete Kaiba, der ihm gegenüber auf der Lehne eines Sofas saß und an der Tasse nippte, abwesend auf die Wand starrend. Vermutlich machte er sich schon Gedanken über den Termin, der ihn doch erst in einer Stunde erwartete. Oder über alles Mögliche, das er noch zu erledigen hatte. Langsam hob Joey die Tasse zum Mund und behielt nebenbei den Blick fest auf ihn gerichtet. An was er wohl dachte? Natürlich war es Arbeit und dennoch interessierte es Joey. Also fragte er einfach.

"Woran denkst du?"

Kaiba erwachte zum Leben, lugte flüchtig zu ihm und ließ die Tasse sinken.

>Ich hätte fast einen Menschen vergessen, dem ich noch etwas schulde!<

"An alles und an nichts."

"Ah." Joey runzelte die Stirn.

"Ja." Kaiba wandte sich wieder ab. "Frag nicht, es gibt vieles, das mich beschäftigt."

"Hm." Joey bemerkte, dass er auf diesem Weg nicht weiterkam. Also schnitt er einfach ein neues Thema an. Er streckte beide Beine von sich. "Was machen wir, nachdem wir den Kaffee ausgetrunken haben?"

"Was du machen willst, weiß ich nicht." Kaiba schwenkte das schwarze Getränk in der Tasse und betrachtete nebenbei seine Hände. "Aber ich trinke noch einen."

"Ich bin dabei." Joey lachte heiter. "Und... was machen wir, nachdem wir den zweiten auch ausgetrunken haben?" Er beobachtete Kaiba keck. "Trinken wir noch einen?"

"Nein." Kaiba grinste flüchtig und sah Joey direkt an, worauf sich dessen Lächeln sofort vertiefte. "Dann ist der Automat leer."

Joey prustete los. Kaiba hatte gegrinst... und konnte hinzukommend auch richtig lustig sein, was man bei seinem Anblick kaum vermutete. Während er schnell die Tasse zur Seite stellte, um deren Inhalt während des Lachens nicht zu verschütten, lugte Kaiba erneut zu ihm, zuckte mit den Schultern und erhob sich von der Sofalehne.

"Ich bin gleich wieder da", sagte er nur und verschwand in seinem Büro.

Noch immer begeistert, sah Joey ihm nach und schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte ihn nicht gekannt und doch gehasst. Er hatte sich benommen, wie Duke es nun tat. Die außergewöhnliche Kleidung, das Tattoo... der versteckte Humor! Joey biss sich auf die Unterlippe und sah sich um. Er ließ den Blick durch den riesigen Raum schweifen, beobachtete wenige Mitarbeiter genauer und begann über das Leder des Sessels zu kratzen. Er beobachtete die Kopierer, an denen er die meiste Zeit verbracht hatte, nahm die riesige Pinnwand unter die Lupe und starrte auch auf die Computer, von denen er überhaupt nichts verstand. Doch dann stoppte er und fixierte den Blick auf einen Punkt, der ihm nichts zu bedeuten hatte. Er musste kurz nachdenken. Gemütlich blieb er sitzen, hielt in der einen Hand die Tasse und bearbeitete mit der Anderen das Leder. Das zufriedene Lächeln schwand und seine Augen starrten gedankenverloren und abwesend ins Leere. Da Kaiba sein Wort hielt und wirklich gleich wieder da war, blieb ihm jedoch keine Zeit, so zu verharren. Sobald er aus dem Büro in den Flur hinaustrat und sich kurz streckte, erwachte er wieder zum Leben. Seine Finger schlossen sich kurz fester um die Tasse und lockerten sich sofort wieder, sein Blick fiel auf Kaiba. Dieser hob die Tasse zum Mund, leerte sie und rammte sie auf die kleine Ablage zurück.

"Nun mal ehrlich", sagte er dann und wandte sich Hände reibend an Joey. "Du musst mir nachher bei den Karteien helfen."

"Klar." Joey zuckte mit den Schultern und Kaiba nickte.

Wenige Momente vergingen in Schweigen und Joey bemerkte den erwartungsvollen Blick, der permanent auf ihm haftete. Irritiert erwiderte er ihn.

„Was ist?“

Kaiba hob die Augenbrauen und der Blonde legte den Kopf schief.

„Ähm…“

Plötzlich fuchtelte Kaiba mit den Händen.

"Na komm, komm schon."

Nachher?

Nein, Kaiba ließ ihm nicht mal mehr Zeit, um auszutrinken. Er zerrte ihn wieder in das Büro zurück und nahm ihm die Tasse aus der Hand. Kaffee bis zum Umfallen, könne er in seiner Pause trinken, meinte er. Und Joey nahm sich fest vor, das auch zu machen.

Kurze Zeit später hockte er gemütlich auf dem Boden, Kaiba neben ihm am Schreibtisch. Sie hatten beide einen großen Haufen Karteikarten vor sich, die es zu sortieren galt. Aber sie unterschieden sich nicht einmal farblich voneinander. Nein, natürlich war alles in der Kaiba-Corporation wieder komplizierter. Und so musste Joey nach einer winzigen Zahlenreihe suchen, die irgendwo am unteren Rand stehen sollte. Er drehte die Karte, hob sie hoch und begutachtete sie von allen Seiten. Da war nichts. Verunsichert blickte er zu Kaiba auf, der die Karten nur kurz ansah und sie dann in die dementsprechenden Richtungen warf, zu den dementsprechenden Haufen. Natürlich kannte er sich viel besser aus und er würde wieder zurückhängen.

Doch Joey brachte es gut hinter sich. Er schuftete zwar noch, als Kaiba seine Arbeit bereits beendet hatte und dennoch war es eine beachtliche Leistung. Kaiba nahm ihm noch die Hälfte ab und wieder hing Joey mit seiner Hälfte zurück!

Dann war es also um sieben und Joey fühlte sich, als hätte er zehn Arbeiten hintereinander geschrieben. Er war erschöpft aber es hielt sich in Grenzen. Unter einem erdrückten Stöhnen ließ er sich einfach nach hinten fallen und ruhte sich etwas auf dem Boden aus.

"Hopp, hopp!" Mit den gebündelten Karteikarten zog Kaiba an ihm vorbei und stupste ihn mit dem Fuß an. "Die müssen noch weg."

"Komme." Joey rappelte sich auf, kam auf die Beine und raffte die vielen Haufen zusammen, stets darauf achtend, dass er sie sich nicht wieder in Unordnung brachte. Dann eilte er hinter Kaiba her, aus dem Büro, durch einen Gang und sonst wohin.

"Arbeiten wir nach meiner Pause noch weiter?", wollte er wissen, als er Kaiba in einen Raum folgte, indem ganz viele voll gepackte Regale standen.

"Nein." Kaiba lud sein Gepäck in einem der Regale ab. "Eigentlich sind wir für heute fertig. Mit der Pause habe ich eigentlich gemeint, dass du nach Hause gehen kannst, wenn du willst."

Joey legte den Kopf schief und schlenderte näher.

"Und was ist, wenn ich nicht will?"

"Mokuba kommt um acht vorbei." Kaiba wandte sich ihm zu und nahm ihm die vielen Häufchen ab. "Ich habe ihm versprochen, mit ihm essen zu gehen." Er stopfte den Kram wieder in ein Regal und rückte ihn kurz zurecht. "Kannst ja mitkommen."

"Was?" Joey ließ die Arme sinken. "Ich soll mitkommen...?"

Allmählich wusste er nicht mehr, was er von Kaiba halten sollte. Wenn er es jedoch recht bedachte, hatte er einen großen Hunger und hinzukommend noch größere Lust, mit Kaiba und Mokuba essen zu gehen.

"Ich lade dich ein. Natürlich nur, wenn du noch Zeit hast." Kaiba zog an ihm vorbei und steuerte auf die Tür zu. Joey sah ihm ungläubig nach und der Brünette hielt im Türrahmen inne. Auf de reinen Seite wollte er es unbedingt, auf der anderen jedoch, mochte er es nicht, ständig eingeladen zu werden. Kaibas Hand legte sich bereits auf die Klinke, als er sich zu ihm umdrehte.

"Kannst auch selbst bezahlen", meinte er, als könne er Gedanken lesen und warf einen Blick auf seine Uhr. "Was ist jetzt?"

Joey nickte und fand zu seinem Lächeln zurück.
 

Gemeinsam machten sie sich dann wieder auf den Weg zum Büro und als sie dort angekommen waren, ließ sich Kaiba hinter seinem Schreibtisch nieder und faltete die Hände auf dem Bauch.

"Länger als eine Stunde wird es nicht dauern", sagte er und blickte Joey wieder direkt in die Augen. "Du kannst ja etwas spazieren gehen oder dich ausruhen."

"Ich werde etwas herumlaufen." Entschloss sich Joey und trödelte näher, die Hände in den Hosentaschen versteckend. Dann blieb er stehen und sein Blick fiel kurz auf die Zigarettenschachtel. Ja, warum nicht? Er wies mit einer knappen Kopfbewegung auf sie.

"Darf ich?"

Kaiba fuchtelte mit der Hand und Joey griff nach ihr, klappte sie auf und zog sich eine Zigarette heraus. Anschließend schob ihm Kaiba ein Feuerzeug zu. Es schlitterte über den Tisch und Joey griff danach.

"Wir sehen uns dann."

Kaiba nickte und begann in seinem Schreibtisch zu wühlen. Diesen Anblick wollte sich Joey nun wirklich nicht antun. Also klemmte er sich die Zigarette hinter das Ohr, ließ das Feuerzeug in seiner Hosentaschen verschwinden und trödelte los. Guten Mutes schlenderte er durch den riesigen Raum, wich den überarbeiteten Mitarbeitern aus und blieb letzten Endes vor dem Fahrstuhl stehen. Dort studierte er die Etagenübersicht. 32. Stöcke… Joey blähte die Wangen auf. Und über ihm lag direkt das Dach. Der Ausblick war sicher außergewöhnlich. Also tippte er auf das D und wartete. Der Fahrstuhl war sofort da, was Joey wunderte. Sicher wurde er oft genutzt, von jedem menschlichen Wesen, das hier herumrannte. Als sich die Türen öffneten, trat Joey ein und als sie sich erneut öffneten, zog ihm sofort eine frische Brise entgegen. Er atmete tief ein, trat auf das Dach hinaus und blieb stehen. Hinter ihm schlossen sich die Türen und er starrte auf den blauen Himmel, der ihn zu allen Seiten umgab. Wahrlich, es war ein außergewöhnlich schöner Ausblick. Joey blieb an Ort und Stelle stehen, genoss den Wind und versuchte dann vergebens, seine Zigarette anzuzünden. Erst als er sich in einem windstillen Winkel verkroch, gelang es ihm und er nahm sofort einen kräftigen Zug. Hin und wieder tat so eine Zigarette wirklich gut. Er klemmte sie zwischen die Lippen, schnallte sich kurz den Gürtel enger und schlenderte dann weiter über das Dach. Dabei ließ er sich alle Zeit der Welt. Auf dem Dach standen einige Container, in denen irgendetwas lagerte, das nur selten gebraucht wurde. Sonst gab es viele Masten und Antennen und dennoch sah es sogar hier oben sauber aus. Das Dach war etwa fünfzig mal fünfzig Meter breit und man konnte viel Zeit damit verbringen, hin und zurück zu wandern. Genau das tat Joey. Dabei näherte er sich jedoch nicht der Abzäunung, hinter der sich sogleich ein tiefer, ja, ein sehr sehr tiefer Abgrund erstreckte. Es war ein hoher und stark gebauter Maschendrahtzaun über den ein Stacheldraht gespannt war. Nur um sicher zu sein, dass keiner der Mitarbeiter durch die viele Arbeit einen kleinen Hirnausfall erlitt und ohne Seil Bungee zu springen versuchte.

Joey hatte grässliche Höhenangst!

Schon wenn er auf einer Brücke stand und auf die Züge herabblickte, die in der Dunkelheit der Brücke verschwanden, wurde ihm schwindelig. Und bevor er das Bewusstsein verlor, verzichtete er auf einen Blick nach unten. Ne, das war ihm zu hoch.

Also hielt er sich die meiste Zeit über in der Mitte des Daches auf und setzte sich letzten Endes auf den Boden. Dort nahm er die letzten Züge, drückte die Zigarette auf den Steinen aus und blickte zu den Wolken auf. Was für ein herrlicher Anblick! Nun konnte er sich kaum noch vorstellen, dass er vor nur wenigen Stunden fast geheult hätte. Nun fühlte er sich so gut, wie lange nicht mehr und empfand die blaue Farbe des Himmels sehr passend zu seiner Laune. Er grinste unentwegt, als er die vorüberziehenden Wolken beobachtete und ihnen eine besondere Form zusprach. Er wusste nicht, wie lange er dort saß. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor; in Wirklichkeit war es nur eine halbe Stunde. Dann sah er sich kurz zum Fahrstuhl um und rappelte sich auf. In der Zwischenzeit hatte Kaiba also seinen Termin. Nur zu gern wollte Joey wissen, worüber er sprach, oder besser gesagt, worüber er diskutierte. Denn wenn es um geschäftliche Angelegenheiten ging, konnte er rabiat werden! Oh ja, das konnte sich Joey gut vorstellen.

Er streckte sich, gähnte und sah sich dann wieder um. Und da fiel sein Blick auf die Absperrung. Er wurde neugierig. Wie es wohl da unten aussah? Die Menschen waren sicher so klein wie Ameisen. Oder noch kleiner? Er wollte es herausfinden. Und da es kein Haus gab, das höher als das Firmengebäude der Kaiba-Corporation war, hatte er auch keines gesehen. Nur vom Rand aus, erst wenn er kurz vor der Absperrung stehen würde, würde er die volle Schönheit dieser Aussicht genießen können. Nervös leckte er sich die Lippen und sah sich prüfend um. Niemand da? Gut. Zögerlich machte er sich auf den Weg zu der Absperrung. Er wollte nur ganz kurz schauen und dann wieder mit dem Fahrstuhl hinunterfahren. Ja, so würde er es machen. Je näher er dem Zaun kam, desto langsamer ging er. Und so kam es, das es drei Minuten dauerte, bis er knapp vier Meter vor ihm stand. Nun konnte er schon die Dächer der Häuser sehen, aber das reichte ihm nicht aus. Er schloss die Augen, ging drei große Schritte nach vorn und tastete nach den Drahtmaschen. Als er sie dann endlich ertastete, klammerte er sich sofort in ihnen fest und blieb stehen, die Augen noch immer geschlossen haltend. Vor ihm ging es jetzt also grauenhaft weit in die Tiefe. Joey schluckte, seine Finger krallten sich fester. Dann wollte er mal. Erst ganz vorsichtig, dann schnell öffnete er die Augen und starrte auf Domino herab. Es waren nur wenige Sekunden, die er zur Beobachtung nutzen konnte. Er sah den Park, den See, etliche Häuser und ganz viele Straßen. Aber das alles... lag so unglaublich tief. Und nachdem sich Joey nur kurz umgesehen hatte, brach ein grässlicher Schwindel in seinem Kopf aus, seine Hände glitten von dem Draht ab und seine Knie wurden weich. Er rutschte einfach hinab und fand sich wenige Sekunden später auf dem Boden hockend wieder.

Herrje…! Was war denn jetzt los?

Sein Atem begann schneller zu fallen, als er kurz die Augen öffnete. Er saß direkt vor dem Zaun! Direkt vor ihm ging es hinab!! Sofort hob er die Hände und presste sie sich auf das Gesicht. Himmelherrgott!! Was hatte er sich nun wieder eingebrockt?

>Ich will hier weg<, zog es ihm durch den Kopf.

Ja, er wollte aufstehen und sich ganz schnell in Sicherheit bringen. Das Problem war nur, dass seine Knie den Befehl verweigerten. Sie bewegten sich einfach nicht und Joey musste sitzen bleiben. Er musste sitzen bleiben und die Augen geschlossen halten. Auch bewegen durfte er sich nicht zuviel. Bei dem Gedanke, vor sich einen tiefen Abgrund zu haben, bekam er richtig Angst! Die ersten Minuten verbrachte er damit, reglos sitzen zu bleiben und verkrampft die Augen geschlossen zu halten. Erst später schöpfte er Mut und linste durch eine Lücke seiner Finger. Da stach ihm wieder diese Höhe entgegen und er presste das Kinn auf die Brust.

Hilfe, jetzt reichte es… jetzt wollte er nicht mehr. Hilfe? Hilfe!

Joey atmete tief ein, hatte das Gefühl, in einer Achterbahn zu sitzen. Und ihm würde noch schwindeliger werden, würde er noch einem einen Blick wagen. Nach weiteren Minuten versuchte er sich erneut aufzurichten, doch seine Beine waren wie taub. Es gab nur sehr wenige, die unter einer solch argen Höhenangst litten. Und Joey war bedauerlicherweise einer von diesen Unglücklichen. Er bekam Panik… schon bei lächerlichen Höhen. Und in diesem Fall konnte er sich kaum bewegen. Vorerst brach er alle Gedanken ab und befasste sich nur damit, die Augen geschlossen zu halten. Das war derzeit das Wichtigste! Er verharrte unglaubliche fünfzehn Minuten in dieser Haltung und quälte sich mit schrecklichen Gedanken. Die Hände behielt er auf das Gesicht gepresst, die ganze Zeit über! Und nachdem er insgesamt fünfzig Minuten auf dem Dach verbracht hatte, nahm er ein leises Geräusch wahr; ein leises Klingeln: Die Türen des Fahrstuhles öffneten sich! Das war die Rettung! Mit viel Mut ließ er die Hände ein Stücken sinken und lugte zur Seite. Ja, es war die Rettung. Und außerdem eine äußerst Entzückende. Kaiba trat auf das Dach hinaus, blieb stehen und beäugte ihn aus der Ferne. Sicherlich bot Joey einen merkwürdigen Anblick. Kaiba beobachtete ihn nur kurz und Joey starrte zurück, stets die Hand so haltend, dass er nicht auf Domino herabblicken konnte.

"Was machst du da?" Endlich trat Kaiba näher.

"… kann mich nicht bewegen", jammerte Joey.

Kaiba kam näher, kam zu ihm und blieb neben ihm stehen. Ihm schien die Höhe nichts auszumachen. Nachdem er einen gelangweilten Blick durch den Zaun geworfen hatte, schüttelte er den Kopf und blickte auf Joey herab.

"Warum zur Hölle gehst du auf das Dach, wenn du Höhenangst hast!"

"Weiß nicht." Joey sah ihn flehend an. "Bitte hol mich hier runter."

Kaiba stöhnte verzweifelt, beugte sich zu ihm hinab und packte ihn an den Oberarmen, jedoch so, dass es nicht wehtat. So zog er Joey auf die Beine und als dieser strauchelte, zog er seinen Arm über seine Schulter und richtete ihn auf.

"Ich habe dich überall gesucht", erklärte er, als er zu dem Fahrstuhl zurückkehrte. Joey krallte sich an ihm fest, spürte seine Hand fest auf seinen Rippen. Jetzt fühlte er sich schon viel besser. Während er neben Kaiba einher stolperte, krallte er sich in dessen Shirt. Seinen Knien ging es zwar besser, seitdem ihm nicht mehr dieser grässliche Anblick geboten wurde, aber das musste Kaiba ja nicht wissen. Er genoss es, von ihm gestützt zu werden. Er spürte auch Kaibas Hand, wie sie sein Handgelenk umklammerte.

"Ich war eher fertig, als erwartet." Zu guter Letzt blieb Kaiba vor dem Fahrstuhl stehen, ließ sein Handgelenk kurz los und tippte eine Taste. Noch immer ließ sich Joey mit düsteren Hintergedanken hängen und stützen. Als sich die Türen nach einer kurzen Zeit öffneten umfasste Kaiba wieder sein Handgelenk und zog ihn in die Kabine. Und dort, ach herrje, dort ließ er ihn los und Joey lehnte sich an die Wand.

"Weißt du nicht, was du dir zutrauen kannst?", fragte er dann etwas spitz und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand.

"Ja... doch." Joey lächelte matt. "Aber ich wollte nur mal schauen..."

"Dann sag mir das nächste Mal wenigstens Bescheid, wohin du gehst, damit ich dich zurückschleppen kann!"

"Tut mir leid." Joey ließ den Kopf hängen. "Ich mach's nicht wieder."

"Außerhalb meiner Firma kannst du machen, was du willst." Die Kabine hielt und Kaiba drehte das Gesicht zur Tür. "Aber solange du dich hier aufhältst, trage ich die Verantwortung."

"Tut mir Leid." Die Türen öffneten sich und Kaiba griff Joey am Ärmel, um ihn aus der Kabine zu ziehen.

"Immerhin bist du noch am Leben."

Kaiba zog ihn wieder zu seinem Büro zurück und Joey fühlte sich schon wieder viel kräftiger auf den Beinen. Also konnte Kaiba ihn bald loslassen. Bevor sie jedoch das Büro erreicht hatten, ertönte eine laute Stimme.

"Seto!!"

Kaiba blieb stehen und Joey rempelte ihn an, da er mit den Gedanken wieder wo anders gewesen war. Kaiba schob Joey etwas zurück und erspähte seinen kleinen Bruder, der eilig auf ihn zu rannte und letzten Endes vor ihm stehen blieb.

"Können wir los? Können wir los?? Können wir..." Mokuba stutzte verwundert, als er Joey bemerkte. Er starrte ihn kurz an und trat anschließend näher, ihn weiterhin musternd. Joey grinste verhalten.

"Hal..."

"Joey?!" Mokuba ballte die Hände zu Fäusten, konnte nicht glauben, was oder wen er sah. "Was machst du denn hier?!"

"Ich..."

"Er hat mir geholfen." Kaiba tätschelte flüchtig Mokubas Schopf und trödelte weiter, auf das Büro zu. Kurz bevor er es betrat, blieb er stehen und drehte das Gesicht zu den beiden um. "Mokuba? Hast du etwas dagegen, wenn er uns begleitet?"

"Höh?" Mokuba kratzte sich an der Stirn und blickte zu Joey auf, ihre Blicke trafen aufeinander. In den ersten Sekunden sah Mokuba so aus, als hätte er etwas dagegen. Joey bekam schon ein mulmiges Gefühl, doch dann lachte der Junge laut auf.

"Klar, komm mit! Das wird sicher lustig!"

"Danke." Joey ließ sich in einen der Sessel fallen und atmete tief ein. Jetzt dachte er schon wieder an das grausame Dach, von dem Kaiba ihn gerettet hatte. Als er erneut stöhnte, blieb Mokuba vor ihm stehen und starrte ihn mit den dunkelblauen großen Augen an. Joey hob die Augenbrauen und starrte zurück.

"Was ist?"

Mokuba stieß auf und rieb sich die Nase.

"Hast du dich mit Seto versöhnt?"

"Versöhnt?" Joey richtete sich langsam auf. "Wie meinst du das?"

"Na ja." Mokuba begann wie wild mit seinen Händen zu fuchteln. "Früher habt ihr euch doch nicht gemocht. Ihr habt euch immer geärgert und wart gemein zueinander. Und da habe ich mich gewundert, denn dass ihr euch vertragt, hätte ich nie gedacht. Aber jetzt? Ich glaube es kaum, aber es gefällt mir wirklich ganz toll!"

Joey grinste. "Ja, mir gefällt es auch."

Mokuba grinste mit. "Und Seto gefällt es sicher ebenso."

"Ach." Joey öffnete den Mund, warf einen prüfenden Blick zum Büro und neigte sich dann weiter nach vorn. Diese Heimlichtuerei gefiel Mokuba, also spielte er mit und beugte sich ebenfalls zu Joey. Dieser verengte die Augen und leckte sich kurz die Lippen. "Hat er... irgendetwas... gesagt?"

"Gesagt?" Mokuba verstand nicht.

"Na zu Hause", erläuterte Joey schnell. "Ich meine… über mich."

"Ne." Mokuba richtete sich kopfschüttelnd auf. "Dich hat er nie erwähnt."

"Oh." Joey zog ein langes Gesicht.

"Aber dass sich Seto von dir helfen lässt, hat schon etwas zu bedeuten", versuchte Mokuba ihn aufzumuntern. "Sonst besteht er fest darauf, alles alleine zu machen. Du kannst dich also freuen." Mokuba kicherte leise. "Ich glaube, er hat dich gern. Und mir kannst du das ruhig glauben, denn niemand kennt Seto besser als ich!"

"Ja." Joey strahlte.
 

Der darauf folgende Abend war der Beste seit langem. Joey fühlte sich, als hätte er eine neue Familie, als er mit Kaiba und Mokuba in einem Restaurant saß. Natürlich war das ein ganz Nobles und auch die Preise konnten sich sehen lassen. So etwas hätte Joey wissen müssen. Trotz der Preise aß er so viel, bis er satt war und bestand dann darauf, selbst zu bezahlen.

Während ihres Aufenthalts behandelte Kaiba ihn wie einen Bruder. Er tat, als würde er jeden Tag mit ihm in einem Restaurant sitzen und wenn man ihn beobachtete, konnte man meinen, er fasse es als Normalität auf. Während Mokuba fleißig aß, tranken die beiden ein Bier und quatschten dann etwas über den Tag, den sie nun hinter sich gelassen hatten. Er war sehr anstrengend gewesen. Mit dieser Meinung stand Joey jedoch alleine, denn bei Kaiba gehörten solche Tage zur Routine. Wie schon erwähnt, hatte Joey allen Spaß der Welt und fühlte sich rundum wohl. Er lachte, alberte und erhielt dafür einen kritischen Blick vonseiten Kaibas. Aber er war nun einmal so und Kaiba schien es auch zu akzeptieren, worüber Joey sehr froh war. Der Tag, der so grausam begonnen hatte, hatte sich also schnell geändert.

Es war ungefähr um zehn, als die Drei das Restaurant verließen. Mokuba sprang sofort in die Limousine doch die Beiden blieben noch kurz stehen. Kaiba sah sich um.

"Soll ich dich nach Hause bringen?"

"Nein, nein", antwortete Joey schnell. "Es ist nicht weit, ich gehe zu Fuß. Und außerdem bin ich so vollgefressen, dass mir das gut tun wird."

„Ah.“ Kaiba schraubte eine Braue höher und Joey räusperte sich.

„Also… nein… aber danke.“

"Gut." Kaiba nickte und wandte sich ab. Joey sah ihm nach, bis er vor der Tür stehen blieb. Und dort drehte er sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an.

"Komm gut nach Hause, Joseph."

Ein Freudenfeuer entflammte in Joey und er wusste vorerst nicht, was er darauf erwidern, geschweige denn, tun sollte. Er stand nur da und starrte Kaiba an. Dieser grinste flüchtig und stieg dann ein. Dann schloss der Chauffeur die Tür und Joey starrte auf die verdunkelte Scheibe. Und er blieb stehen, bis sich der Wagen in Bewegung setzte und davon fuhr. Dann sah er ihm nach.
 

Ein wahres Inferno aus Gedanken tobte in seinem Kopf, als sich dann auf den Weg machte. Die Hände in den Hosentaschen, den Blick auf den Boden gerichtet, bog er um eine Ecke und schlenderte durch eine finstere Gasse.

Joseph…

Er hatte ihn wirklich Joseph genannt!

Ein Name, den er eigentlich nicht gewohnt war. Doch Kaiba schien er zu gefallen und das war die Hauptsache. Joey versuchte zu lächeln, doch dieses Lächeln schmerzte und er ließ es bleiben. Er fühlte sich merkwürdig. Er spürte etwas, das er zuvor noch nie gespürt hatte. Noch nie in seinem gesamten Leben! Doch was war es…?

Er trat wieder auf die Hauptstraße hinaus und trödelte weiter, sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl, als er an Kaiba dachte, als er ihn vom Dach gerettet hatte. Fast war es wie eine Umarmung gewesen. Fast. Und Joey hatte es beinahe zu einer werden lassen, indem er sich an ihn geklammert hatte. Er hatte es einfach getan, ohne nachzudenken. Und es war gut gewesen.

Kaiba hatte einen unglaublichen Körperbau, war stark und stolz. Joey blieb stehen. Und er hatte ihn geschleppt, als wäre er ein kleines Kind. Er hatte so wenig Kraft dafür benötigt. Joey war schlank und deshalb nicht sehr schwer und dennoch war es eine tolle Leistung. Vielleicht sollte er öfter umfallen?

Der junge Mann blickte auf und sah die Straße hinab. Wie schön doch die Laternen brannten. Sie tauchten die Umgebung in einen angenehmen Schein. Wie gern würde er jetzt mit Kaiba spazieren gehen. Wie gern hätte er Kaiba jede Sekunde um sich.

Was würde er glücklich sein!

Bald war er zu Hause und als er die dunkle Wohnung betrat, fühlte er sich noch viel schlimmer! Was war nur mit ihm los?! Joey rieb sich die Stirn und verschwand im Bad. Er wollte in sein Bett und ganz schnell einschlafen.

Nachdem er geduscht hatte, lag er auch im Bett, war jedoch hellwach. Er rollte sich von einer Seite zur anderen, versteckte sich unter der Decke und begann zu zählen. So kam er sonst eigentlich gut in den Schlaf. Sonst, heute jedoch nicht. Als er die 1000 erreichte, schlug er die Decke zur Seite und richtete sich brummend auf. Und glaubt ihr es? Der erste Gedanke, der Joey durch den Kopf zog, war: >Vielleicht kann ich Kaiba anrufen?<

Oh, er hatte seine Nummer gar nicht, müsste sie sich jedoch so schnell wie möglich besorgen. Er startete einen neuen Versuch, einzuschlafen, doch als auch dieser scheiterte, stand er auf und spazierte etwas durch die Wohnung. Zuerst stand er an seinem Fenster und starrte auf die finstere Straße hinab, dann saß er in der Küche und starrte auf die Uhr. Ach, es war außerdem um eins in der Frühe. Das hatte er doch nicht verdient, oder? Aber da er nun schon einmal wach war, konnte er auch gleich noch etwas nachdenken. Und das tat er auch.

"Du überschätzt deine Fähigkeiten, Wheeler! Überschreitest deine Grenzen, spielst dich auf und gibst an, obwohl du nichts hast, womit du angeben könntest! Du tust, als wärst du etwas Besseres! Du hast eine große Klappe und keinerlei Respekt vor Personen wie mir, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen müssen! Du lässt dich durchfüttern und kannst es dir somit erlauben, über andere herzufallen, die für ihren Unterhalt schuften müssen! Du erkennst den Ernst des Lebens einfach nicht, siehst es scheinbar als ein Spiel an! Und dein Gesicht! Kein Mensch kann einen Jungen leiden, der andauernd ein langes Gesicht zieht! Buh, ich bin so arm und kann mir nichts leisten. Buh, die sind alle so gemein zu mir! Du jammerst über jeden Blödsinn, bist jedoch nicht dazu bereit, etwas daran zu ändern! Du bist ein Nichts, Wheeler! Und daran solltest du möglichst schnell etwas ändern, sonst wirst du selbst deinen tollen Freunden zu blöd! Wheeler, du bist ein hoffnungsloser Fall! Du wandelst durch das Leben und bemitleidest dich selbst! Es gibt nichts Schlimmeres, als das! Nichts verachte ich mehr! Und du fragst, was ich an dir nicht leiden kann?! Da hast du deine verfluchte Antwort! Alles, Wheeler! Ich kann alles an dir nicht leiden! Und wenn du schon arm wie ein Bettler bist, dann such dir wenigstens eine Arbeit!"

Joey stützte das Kinn in die Handfläche und zog mit dem Zeigefinger Kreise auf dem Tisch.

"Ich mache etwas aus meinem Leben und arbeite hart für meinen Erfolg! Du lässt dich treiben und bist faul! Glaubst du wirklich, von so einem Menschen will ich mir helfen lassen?! Du spinnst doch!"

Joey richtete sich auf und sah sich um. Ein Kaffee käme ihm gelegen, aber bei Kaiba hatte er so viel davon getrunken, dass er nun nichts mehr hinunter bekam.

"Meinetwegen kannst du heulen, bis zu stirbst. Ich bin nur hier, weil ich etwas vergessen habe!"

Joey erhob sich und ging zum Kühlschrank. Als er ihn öffnete, bemerkte er jedoch, dass er auch keinen Hunger hatte. Kein Wunder, so viel wie er im Restaurant gegessen hatte.

"Ich kann dich auch nicht ausstehen. Ich kann es nur nicht leiden, jemandem etwas schuldig zu sein! Und vor allem nicht so einem wie dir!"

Joey schloss den Kühlschrank und wandte sich kopfschüttelnd ab.

"Freunde?!", schallte Kaibas Stimme in seinem Kopf wider und wider. "Wenn wir uns unterhalten, hat es noch lange nicht zu bedeuten, dass wir Freunde sind! Solche Unterstellungen verbitte ich mir!"

Joey lehnte sich gegen den Kühlschrank und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Wenn du dein Mann sein willst, dann benimm dich gefälligst auch so!"

Joey Blick sank gen Boden.

"Du willst also, dass ich dir helfe, ja? Morgen zwischen viertel vier und um vier habe ich noch etwas Zeit. Ich bin in der Firma. Dort müsstest du vorbeikommen. Aber wenn du zu spät kommst, kann ich für nichts garantieren."

Ja, etappenweise hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen gebessert. Ein mattes Lächeln zog an Joeys Mundwinkel, als er auf den Boden starrte.

"Das wichtigste ist bei der Trigonometrie, dass du die Sätze kennst. Sinussatz, Kosinussatz. So einfach ist das. Komm, schreib auf. Also, den Sinus eines Winkels kann man berechnen, in dem man Gegenkathete und Hypotenuse dividiert. Die Hypotenuse ist natürlich die Seite die dem rechten Winkel gegenüberliegt."

Es war eigentlich schnell gegangen. Nie hatten die beiden das Wort "Freundschaft" in den Mund genommen, wie Yugi es so gern tat und dennoch hatte sich alles von selbst entwickelt.

"Na, Joey ist nur dein Spitzname, oder? Hm? Ist nicht schwer zu erraten."

Joey hatte seinen Teil der Arbeit erledigt und konnte nun das Ergebnis genießen. Er hatte Kaiba als Freund gewonnen. Nach langen Strapazen und Streitigkeiten. Doch sie hatten es geschafft.

"Was ist? Du hast gefragt, ob du mir helfen kannst. Jetzt bin ich hier und hole dich ab."

Joey grinste.

"Leg den Kram da hin. Und dann trinken wir erst einmal einen Kaffee."

Das Grinsen vertiefte sich.

"Was du machen willst, weiß ich nicht. Aber ich trinke noch einen. Und dann ist der Automat leer."

Leise lachend ließ Joey den Kopf hängen.

"Komm gut nach Hause, Joseph."

Sofort stockte er und hielt die Luft an. Kaiba hatte ihn... ‚Joseph’ genannt…

Darüber kam er nicht hinweg. Das Blut war in seinen Adern gefroren, als er seinen Namen aus Kaibas Mund gehört hatte. Und der Ton, mit dem er ihn ausgesprochen hatte. Noch nie hatte er ihn so sprechen gehört. Es hatte so entspannt, so nett und warm geklungen. Joey schluckte.
 

Frühzeitig kämpfte sich Herr Wheeler aus dem Bett. Er kam auf die Beine, streckte sich und kratzte sich am Bauch, als er sich auf den Weg zur Küche machte. Gähnend griff er nach der Türklinke und zog die Tür auf. Er brauchte einen Kaffee, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte. Er trat in die Küche und wollte gähnen, doch dann stoppte er. Mit Schlafanzug und trüben Augen hockte Joey vor dem Tisch und rollte eine Tasse zwischen den Händen. Sein Gesicht war sonderbar blass und die Augen nicht nur trübe, sondern auch gerötet. Hatte er geweint? Der Mann legte den Kopf schief und Joey lugte kurz zu ihm.

"Morg'n."

"Guten Morgen?" Langsam trat sein Vater näher und blieb neben ihm stehen. Joey fuhr sich flüchtig über das Gesicht und ließ dann wieder den Kopf hängen. "Was ist denn mit dir los?"

"Ich konnte nicht schlafen", nuschelte Joey auf den Tisch starrend.

"Warst du die ganze Nacht wach...?"

"Hm." Joey zog die Nase hoch und atmete tief ein.

"Das kannst du doch nicht machen!" Sein Vater schüttelte tadelnd den Kopf und steuerte auf den Kühlschrank vor. "Der Schlaf ist sehr wichtig."

Diesmal erwiderte Joey gar nichts. Er blieb zusammengesunken sitzen und blickte erst auf, als sich sein Vater ihm gegenüber niederließ und ihn besorgt musterte.

"Alles in Ordnung? Was ist mit deinen Augen?"

"Bin nur müde", antwortete Joey matt und schob die Tasse von sich. Dann erhob er sich. "Muss dann los."

Mit diesen Worten verließ er die Küche. Sein Vater sah ihm verwundert nach, seufzte dann und begann zu frühstücken.
 

Joey wollte sich heute von Kaiba fernhalten, wollte ihn nicht im Lawell treffen und auch nicht seine Firma betreten. Nein, er hatte sich etwas anderes vorgenommen.

"Gönnst du es mir nicht?", fragte er Duke scheu, als er während der Hofpause neben ihm saß. Duke blickte auf, lugte zu ihm.

"Ich meine", Joey sah sich flüchtig um, erspähte Kaiba und wandte sich dann doch wieder an Duke, "ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Ich gebe auch zu, dass ich dich und die Anderen vernachlässigt hab. Aber ich war so froh über die Freundschaft, dass ich unbedingt etwas mit Kaiba unternehmen musste. Und der Rest der Zeit ging durch meine Nebenjobs drauf."

Duke schwieg und beobachtete ihn weiterhin von der Seite, immer noch konnte man seiner Mimik nicht entnehmen, ob Joeys Entschuldigung fruchtete. Yugi, Tristan und Tea beschäftigten sich währenddessen anderweitig.

"Aber ich möchte alles wieder gut machen." Joey erwiderte Dukes Blick flehend. "Ich will ja gern etwas mit euch unternehmen, aber wann kam es denn schon vor, dass ich Kaiba in seiner Firma besuchen durfte?"

"Du hast ihn", Duke schnitt eine Grimasse, "… du... warst bei ihm in der Firma?"

"Ups." Joey lehnte sich ängstlich zurück. "Ja, aber das war wirklich nicht..."

"Schon in Ordnung." Duke wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich akzeptiere deine Entschuldigung."

Joey seufzte erleichtert.

"Vorausgesetzt...", Duke ließ die Arme sinken und neigte sich ruckartig zu ihm, "... du kommst heute mit!"

"Mitkommen?" Joey lehnte sich wieder zurück, hatte Angst vor Duke. "Wohin denn?"

"Ach", Duke fuchtelte mit der Hand, "… wir gehen heute in die Stadt und inspizieren das neue Kaufhaus." Duke blinzelte hinterhältig zur Seite und legte heimlich die Hände an den Mund. "Anschließend besuchen wir Bakura und zerren ihn von seinem blöden Schreibtisch weg, an dem er so wie so sein halbes Leben verbringt. Wir schreiben keine Arbeiten, aber trotzdem lernt er… nein!" Duke sprang auf und Joey zuckte erschrocken zusammen. "Wir müssen das Wetter genießen!!" Duke fuchtelte mit den Fäusten und viele Augen richteten sich auf ihn. "Wir müssen Eis essen und... faulenzen, ja! Und nicht", er fuhr herum und zeigte mit dem blanken Finger auf Bakura, der eingeschüchtert die Augenbrauen hob, "und nicht lernen, mein Lieber!!"

"Aber ich..."

"Du wirst schon sehen." Duke lachte arglistig und rieb sich die Hände. Dann lachte er durchtrieben und stieg auf die Bänke, um auf ihnen spazieren zu gehen. Joey starrte ihn entgeistert an. Was hatte der Junge denn genommen?

Er beobachtete ihn, wie er hinter Bakura stehen blieb, die Arme um seinen Hals legte und mit ihm schunkelte. Langanhaltende Frühlingsgefühle…?

Joey wandte sich lächelnd ab. Es war so: In dieser Gruppe wurde er aufgeheitert. Hier wurde ständig gelacht und gealbert. Dem Realismus kam man jedoch nicht sehr nahe. Einer der wenigen Nachteile. Joey linste zu Kaiba, wandte sich jedoch sofort wieder ab. Und bei ihm war er größtenteils für das Aufheitern zuständig. Für seine Mühen erntete er jedoch einen Erfolg, der unbezahlbar war: Ein Lächeln. Joey seufzte schwer und kämpfte mit sich selbst. Sein Körper wollte sich wieder zu Kaiba umdrehen, doch er hinderte ihn daran. Auf den Grund... war er heute Nacht durch grausame Grübeleien gestoßen. Langsam faltete er die Hände ineinander und wollte in Trübsal verfallen. Doch da ließ Duke von Bakura ab und kehrte zu ihm zurück. Er begrüßte ihn mit einem derben Schlag auf die Schulter und schmiss sich dann neben ihn. Das war noch etwas, das seine Freunde von Kaiba unterschied. Kaiba war in seiner ganzen Art strenger, solche Spinnereien und spielerische Kempeleien gab es bei ihm nicht. Joey hatte es zumindest noch nicht bemerkt und konnte es sich auch nicht vorstellen.

"Und?" Duke rempelte ihn mit der Schulter an. "Kommst du mit?"

"Öhm… eh…"

"Joey kommt mit!" Duke streckte triumphierend beide Arme von sich.

"Ja, ich...", Joey kratzte sich an der Stirn, "... komme mit."

"Schön." Yugi nickte zufrieden und Tea lachte. Und Tristan? Der begann mit Duke zu tollen. Joey jedoch reagierte überrascht. Sie hatten sich doch nur knapp eine Woche nicht getroffen. Wie schnell ging es denn, dass sie sich auseinander lebten? Ihm kam es beinahe schon so vor, als wäre es etwas abnormes, dass er mit ihnen herumhing. Aber dennoch freute er sich auf diesen Tag. Während Duke und Tristan kampelten, lugte er abermals zu Kaiba. Dieser telefonierte und ging kleine Kreise auf dem Hof.

Er wusste, dass er nicht zu ihm kommen würde, wenn die Anderen anwesend waren. Er musste sich seinen Ruf bewahren. Joey schien in Ordnung zu sein, doch mit den Anderen kam er nicht klar und das Letzte was er tun würde, wäre, in ihre Ecke zu kommen, um mit ihm zu sprechen. Außerdem hatte er sowieso zu tun… und das war auch gut so. Abwesend fixierte Joey ihn, behielt ihm fest im Blick und achtete auf jede seiner Bewegungen, so klein sie auch waren. Und während er die Beobachtungen anstellte, kehrte eine leichte Trauer auf sein Gesicht zurück. Er ließ die Schultern hängen und legte langsam den Kopf schief. Die Stimmen der anderen wurden leiser, bis sie vollständig verstummten. Die Umgebung wurde von einem weißen Meer überflutet und letzten Endes gab es nur noch Kaiba und ihn in dem weißen Nichts. Joey schluckte, seine Hände falteten sich wieder.

Er könnte heulen, er fühlte sich dreckig und fürchtete sich vor sich selbst. Mit Duke hatte er sich versöhnt und nun schien es keinerlei Probleme mehr zu geben. Probleme? Joey blinzelte müde. Probleme gab es genug. Seit dem gestrigen Tag hatte sich alles verändert. Bis um drei Uhr hatte er gegrübelt und den Rest der Zeit hatte er damit verbracht, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Heute Morgen hatte er sich einen Tee gemacht, nicht etwa einen schwarzen Kaffee. Wieder hatte er Mist gebaut, wieder einen Fehler begangen. Auf diesen Fehler war er jedoch erst aufmerksam geworden, nachdem er die Freundschaft mit Kaiba gefestigt hatte und ihn als wirklichen Freund ansah. Wirklich ein vortreffliches Timing! Dabei hatte er sich nur nach Kaibas Akzeptanz ihm gegenüber gesehnt. Anfangs hatte er sich lediglich gewünscht, dass er ihn endlich in Ruhe ließe. Das hatte er erreicht. Dann war er auf Freundschaft aus gewesen und auch diesen Traum hatte er in Realität gewandelt. Er wollte die Freundschaft aufbauen, das war geglückt. Er wollte sie festigen. Gute Arbeit, Joey. Doch nun? Beschämt ließ er den Blick sinken. Nun hatte er den Bogen überspannt. Überspannt, soweit es nur ging.

Was sollte er jetzt tun? Was hatte er denn erwartet? Hatte er wirklich gedacht, eine Freundschaft mit Kaiba würde ihm genügen?

Oh Gott...!

Joey neigte sich nach vorn und rieb sich das Gesicht.

Kaiba hatte etwas Außergewöhnliches an sich. Das hatte er doch selbst gedacht, als er ihn beobachtet hatte. Wirklich etwas Außergewöhnliches. Das stolze Auftreten, die stolze Haltung und der feste Blick. Unzerstörbar und eisern.

Was zur Hölle hatte er nur erwartet!

Am liebsten würde er die Freundschaft zu Kaiba beenden. Hier und jetzt. Jetzt gleich! Wieder blickte er auf und beobachtete Kaiba leidend. Doch wie würde er reagieren?

"Ich kündige dir die Freundschaft, Kaiba"?

Joey biss sich auf die Unterlippe.

Nach Anerkennung und Verständnis hatte er sich gesehnt... nun hatte er...

"Hey!" Ein deftiger Schlag brachte ihn in die Realität zurück. Er zuckte erschrocken zusammen und fuhr in die Höhe.

"Was?! Was ist?!"

"Das ist!" Duke betrachtete ihn skeptisch. "Allerdings weiß ich nicht, wo du bist!"

"Hier?" Verdattert sah sich Joey um und Duke trat näher, beugte sich nach vorn und starrte ihn mit großen Augen an.

"Du siehst komisch aus", bemerkte er nach einer kurzen Beobachtung.

"Wo sehe ich denn komisch aus?" Joey erhob sich von der Bank und fuhr sich über die Hose.

"Duke hat Recht." Auch Yugi erschien neben den beiden, zustimmend nickend. "Du siehst etwas müde aus."

"Nicht nur etwas", meldete sich Tea zu Wort. "Etwas sehr müde."

"Was hast du gemacht?", fragte Tristan.

"Auf jeden Fall nicht geschlafen", erwiderte Joey und trödelte los. "Es geht rein."
 

Joey sprach an diesem Tag nur wenige Worte mit Kaiba. Nur ein "Hallo" und ein knappes "Tschüss" von Seiten Joeys. Kaiba sagte ja nichts, wenn man ihn nichts fragte. So verbrachten die Beiden keine Zeit in der Schule zusammen und als sie nach Hause fuhren, trennten sich ihre Wege. Joey ließ sich gern von seinen Freunden durch das Kaufhaus scheuchen. Er half auch bei Bakuras Entführung und anschließend bei der Beseitigung des Eises. Er lachte…

Doch lange schon hatte er sich nicht mehr so mies gefühlt. Und er konnte mit niemandem darüber sprechen. Mit den vielen Gedanken musste er allein kämpfen, den Schmerz für sich behalten. Als sie letzten Endes wieder im Park am See landeten, zog er sich kurz zurück, hockte sich hinter ein Gebüsch und schlang die Arme um die Knie. Dort verharrte er lange und dachte nach. Die Freundschaft zu Kaiba war ihm zu wichtig, als dass er sie einfach aufgeben konnte. Und die andere Variante hatte keine Zukunft. Er hatte keine Angst davor, von Kaiba verachtet zu werden. Nein, schlimm war es, dass Joey sich selbst verachtete. Wie konnte so etwas nur mit ihm passieren? Um kein Aufsehen zu erregen stand er bald wieder auf und kehrte zu den anderen zurück. Nun, Bakura war der Einzige, der mit seinem Eis auf der Decke saß. Tristan und Duke schmissen gerade Yugi in den See und Tea sprang freiwillig, mitsamt ihrer Kleidung. Neben Bakura ließ sich Joey nieder, streckte die Beine von sich und beobachtete seine lachenden Freunde.

"Es ist nicht gut, was du da machst", ertönte neben ihm plötzlich eine Stimme und er drehte das Gesicht zur Seite. Bakura lutschte kurz an seinem Eis und zuckte dann mit den Schultern. "Aber wenn du es so willst?"

"Was meinst du?", fragte Joey verdattert.

"Wenn ich Probleme habe, behalte ich es sicher nicht für mich. Dadurch wird es nur schlimmer. Die Erfahrungen habe ich schon gemacht. Und glaub mir, es fühlt sich nicht gut an, wenn alles aus dir heraus bricht." Bakura lutschte weiter, es klang, als erzähle er die Geschichte vom Schneewittchen. So gelassen quasselte er daher. Joey hob die Augenbrauen und starrte ihn an. "Es müssen ja wirklich arge Probleme sein, wenn du so ein langes Gesicht ziehst."

"Ich habe kein Problem", log Joey und schielte zu seiner Nase, in der Hoffnung, sie würde nicht wachsen. Bakura drehte das Gesicht zu ihm, sah ihn kurz an und wies dann mit dem Eis auf seine Augen.

"Schau mal", sagte er. "Das sind Augen. Und sie sehen viel."

"Ach ja?" Joey grinste verhalten.

"Was auch immer für ein Problem es ist", Bakura wandte sich ab und beobachtete sein Eis, "… entweder du beseitigst es schnell und kannst wieder lachen, ohne es dir aufzuzwingen, oder du schiebst es weiterhin vor dir her und gehst zu Grunde." Bakura grinste. "Das Letztere rate ich dir nicht."

"Das sagst du so einfach." Joey wandte sich ab, winkelte die Beine an und schlang die Arme um die Knie. "Das kann ich nicht so einfach 'beseitigen'!"

Somit hatte er sich verraten, doch Bakura wirkte nicht sehr überrascht.

"Das musst du selbst wissen." Bakura beobachtete Tristan und Duke, die von Kopf bis Fuß pitschnass waren und ihn ins Visier nahmen.

"Komm, wir schmeißen Bakura ins Wasser", hörte er sie heimlich flüstern.

Da warf er sein Eis fort und rannte weg.
 

Die Worte von Bakura, der sich außerdem nicht fortwährend verstecken konnte und letzten Endes doch im See landete, brachten Joey wieder zum Grübeln. Aber nur kurz. Am Ende, als er wieder auf dem Heimweg war, war er sich dennoch sicher, dass es keinen Ausweg gab. Gefühle ließen sich nicht von einem Tag zum anderen abstellen. So war das nun einmal. Aber die Freundschaft kündigen? Nein, das konnte er nicht. Dafür war sie ihm zu wichtig und außerdem hatte er Angst, Kaiba zu verletzen. Auch wenn man es sich kaum vorstellen konnte… Joey glaubte, dass es möglich war.

Vielleicht war es auch nur eine kleine, eine ganz winzige Phase?

In Joey loderte ein Hoffnungsfeuer auf. So musste es sein! Eine andere Erklärung gab es nicht. Er würde sie überstehen und darauf hoffen, dass sich dieses Problem von ganz alleine beseitigen würde, wie Bakura gefühlvoll zu sagen pflegte. Morgen wollte er wieder etwas mit Kaiba unternehmen. Er wollte es aus tiefstem Herzen. Nun ja, er wollte dieses Treffen auch ausnutzen, um sich Klarheit zu verschaffen. Eine Phase, mehr konnte es nicht sein. Er würde nichts spüren und Kaiba als einen Freund ansehen.

Als er mit seinem Vater Abendbrot aß, dachte er nach. Was konnte er mit Kaiba machen? Also, er war bei ihm in der Firma gewesen und Kaiba war schon des Öfteren bei ihm zu Hause gewesen. Was fehlte?
 

"Du willst mich zu Hause besuchen." Eine gewisse Ungläubigkeit versteckte sich in Kaibas Stimme, doch Joey nickte.

"Das ist nur fair", sagte er schulterzuckend. "Du warst schon bei mir. Jetzt will ich mal sehen, wie du so lebst."

Kaiba richtete sich stirnrunzelnd auf und legte den Kopf schief.

"Was ist?" Joey grinste keck. "Hast du nicht aufgeräumt?"

"Ach..." Kaiba zog eine Grimasse.

Nun, da Joey ihn wieder sah, schienen die Probleme wie weggeblasen. Auch sein Herz blieb bei seinem Anblick ruhig. Also, eine Phase. Er liebte es, einfach nur mit ihm auf dem Hof zu stehen, mit ihm zu quatschen... und ihn zu überreden, denn Kaiba sah nicht sehr begeistert aus.

Es war ein großer und sehr gewagter Schritt... und das wusste Joey.

Er ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und beugte sich etwas nach vorn.

"Na?"

Er wollte Kaibas Haus unbedingt sehen. Und wie schon gesagt, es war nur fair.

"Was ist mit deinem Job?", erkundigte sich Kaiba nach kurzen Überlegungen.

"Zwei Wochen arbeiten, eine Woche frei", antwortete Joey heiter. "Und diese Woche ist meine Glückswoche. Verstehst du? Ich muss sie nutzen und dich besuchen."

Kaiba stöhnte und ließ den Kopf hängen.

"Was ist?", drängelte Joey vorsichtig. "Hast du zuviel Arbeit?"

"Nein." Kaiba richtete sich wieder auf und sah sich unbehaglich um. "Eigentlich ist es ein Wunder."

"Keine Termine?", fragte Joey erfreut.

Kaiba schüttelte den Kopf.

"Und auch keine andere Arbeit?"

"Okay, hör mal." Kaiba hob abwehrend die Hand. "Du kannst kommen. Aber erst um vier."

"Warum so spät?", wollte Joey ungeduldig wissen.

"Weil ich trotzdem noch einmal in die Firma muss", raunte Kaiba Augen rollend. "Völlige Feizeit habe ich nun auch wieder nicht."

"Okay", stimmte Joey schnell zu, bevor Kaiba wieder auf die Sache mit der Arbeit zu sprechen kam. "Also um vier. Ich bin pünktlich."

Kaiba nickte, Joey grinste und wollte sich abwenden, doch dann zögerte er.

"Und... wo wohnst du?"

Kaiba atmete tief ein, schüttelte langsam den Kopf und wühlte in seiner Tasche. Kurz darauf zog er eine Karte hervor und drückte sie Joey in die Hand.

"Ist nicht zu übersehen."
 

~*to be continued*~

Kehrtwendung

… "Ist nicht zu übersehen."

Hätte man geglaubt, dass es so einfach war?

Nun, sicherlich war es das nicht für jeden.

In Kaibas Haus zu kommen...

Vermutlich gab es kaum jemanden, der regelmäßig bei ihm vorbeischaute. Jedenfalls niemand, den Joey sich vorstellen konnte und was war er gespannt auf Kaibas Wohnsitz!

In seinen Vorstellungen strahlte ein großes Anwesen.

Ja, ein großes Anwesen, umringt von einem riesigen Gelände mit ganz vielen Büschen und einem ganz langen Weg, der bis vor die Haustür führte. Und dort... ein roter Teppich! Was sonst?

Joey kratzte sich an der Stirn.

'Ich werde pünktlich sein?'

Eine halbe Stunde, nachdem er sich auf den Weg gemacht hatte, bereute er diese Worte. Nun war es schon viertel vor Vier und er stand an einer Straße, die er noch nie gesehen hatte. Inmitten der Innenstadt... in der er sich aber kein großes Anwesen vorstellen konnte. Vielleicht bewohnte Kaiba ja nur eine Miet- oder Eigentumswohnung?

Mit der zerknüllten Karte in der Hand, sprach er dann den vierten Mann an und fragte ihn nach dem Weg. Der Hilfsbereite nahm kurz die Karte unter die Lupe und hob die Augenbrauen.

"Seto Kaiba?", erkundigte er sich perplex, blickte überrascht auf. "Wie kommt es, dass du nicht weißt, wo er wohnt? Jeder weiß das."

"Dann bin ich wohl die Ausnahme", grinste Joey. "Also, wo muss ich lang?"

Er hätte sich besser zurechtgefunden, wenn er nicht gefragt hätte. Mit dem pausenlosen Geplapper hätte der Mann ihn völlig aus dem Konzept gebracht... hätte er so eines besessen. Er beschrieb knapp sieben Straßen und erwähnte zehnmal Wort das Wort 'rechts' oder 'links'. Und irgendwann winkte Joey nur noch ab, bedankte sich und suchte sich den Weg alleine.

Und je länger er durch Domino wanderte, desto nervöser wurde er.

Er ging Kaiba besuchen!

Er ging richtig zu ihm nach Hause!

Sein Magen kribbelte vor Aufregung.

Es war Punkt vier Uhr, als er dann eine Gegend erreichte, die weniger bebaut, dafür jedoch sehr sauber und gepflegt war. Das konnte schon einmal stimmen. Joey warf einen nervösen Blick auf die Uhr und fragte den nächsten Passanten, der an ihm vorbeischlendern wollte. Und diesmal erhielt er eine zufriedenstellende Antwort: "Du gehst die kleine Straße runter und biegst bei der dritten Nebenstraße rechts ab."

Voller Tatendrang ging er also weiter und verschnellerte seinen Schritt. Er befolgte die Wegweisung genau und fand sich nur wenige Minuten später vor einer mit Bäumen bewachsenen Wiese wieder. Diese Wiese war sehr groß, die Bäume hoch und so konnte Joey nicht viel erkennen. Doch hier musste er richtig sein. Also benutzte er den breiten Schotterweg. Die Bäume zogen schnell an ihm vorbei und als sie letztendlich endeten, blieb er stehen. Ein riesiges, mit Kameras beladenes Tor versperrte ihm den Weg. Der Schotterweg selbst führte hinter dem Tor weiter, eine kleine Anhöhe hinauf und reichte bis zu einem Haus.

Langsam öffnete Joey den Mund, neigte sich nach vorn und legte die Stirn an die kühlen Stäbe des Tores. Er erblickte eine neumodische Villa, die bis zu drei Etagen aufragte, kantig geschnitten war und eine riesige Dachterrasse aufbot. Selbst von hier aus konnte Joey die Laternen erkennen, die an kunstvoll geschwungenen Halterungen baumelten und das Haus des Nachts sicher in einen wundervollen Schein hüllten.

Die Fenster waren hoch und arkadenförmig geschnitten und es gab auch mehrere kleine Balkone in der ersten und zweiten Etage. Den Eingang des Hauses stellte eine Tür dar, die wohl an die drei Meter hoch und mit kunstvollen Ornamenten verziert war. Um das Haus herum erstreckte sich sauberer Rasen, die Gebüsche waren fein geschnitten und ragten zu beiden Seiten des Schotterweges auf. Joey traute seinen Augen nicht. Schon das Haus konnte sich nur ein Milliardär

leisten. Und das Gelände? Ihm wurde schlecht.

Den Gesamtwert dieses Grundstückes konnte er sich nicht vorstellen. Stockend legte er die Hände um die massiven Stäbe. Und die Pflege des Grundstückes erst!

Er schloss die Augen und stöhnte laut. Dann öffnete er sie wieder, schrie auf und sprang zurück. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Mann auf der anderen Seite des Tores, genau vor ihm. In einem säuberlichen Anzug stand er herum und musterte ihn skeptisch.

"Sie wünschen?"

Joey presste sich die Hand auf die Brust, stützte sich mit der Anderen auf die Knie und rang schnaufend nach Atem.

"Müssen Sie mich so erschrecken...!"

"Das war nicht meine Absicht." Der Mann rümpfte die Nase und umfasste die Hände auf dem Rücken. "Also, Sie wünschen? Herr Kaiba wird heute kein Interview geben."

"Ich will kein Interview." Joey richtete sich auf. "Ich bin Joey Wheeler. Kaiba weiß Bescheid."

"Herr Wheeler." Der Mann musterte ihn erneut. "Ja, Sie sind angemeldet."

>Angemeldet?<, dachte sich Joey. >Warum muss man sich bei mir eigentlich nicht anmelden?<

Der Pinguin drehte sich kurz um und winkte mit dem Arm und kurze Zeit später öffnete sich das Tor. Es öffnete sich nach außen und Joey musste zurückweichen. Und das sehr schnell, denn das Tor bewegte sich flink! Anschließend bat der Mann ihn hinein und ging in langsamen Schritten über den Schotterweg. Joey folgte ihm. Etwas ungeduldig stolperte er hinter dem Mann drein und zog Grimassen. Wenn sie so weiterliefen, würden sie das Haus morgen noch nicht erreicht haben. Aber er drängelte den Mann nicht, denn dieser war sehr groß. Also versuchte er sich zu beruhigen und hatte es größtenteils auch geschafft, als sie nach einer Weile die riesige Tür erreichten. Der Mann ging gleich weiter, drückte die große Klinke hinab und schob die Tür auf. Man konnte wirklich nur 'schieben' dazu sagen. "Bitte treten Sie ein." Der Mann öffnete die Tür ganz und trat dann zur Seite. Erwartungsvoll verharrte er, während Joey zögerte.

Da war er und das, was er von hier aus sehen konnte, war einfach nur gewaltig. Aber bevor der Mann unruhig wurde, befolgte er den Befehl und traute sich langsam über die Türschwelle. Nach dem ersten Schritt in das Haus, hielt er sofort wieder inne. Hinter ihm schloss sich die Tür und Joey sah sich mit großen Augen um.

Er stand in einem riesigen Foyer, auf teurem Marmor. Selbst die Wände bestanden aus ihm und an den Decken hingen kunstvolle Lampen, deren Wert er ebenfalls nicht zu schätzen wagte. Unter seinen Füßen erstreckte sich ein großer, weißer Teppich und stockend spähte er zu den vielen Türen, die von diesem Aufenthaltsraum wegführten. Zu viele, wie er meinte.

Wenn er hier wohnen würde, würde er ärmlich verhungern, da er die Küche nicht fände. Langsam ging er weiter, sah sich weiterhin um. Direkt vor ihm führte eine breite, geschwungene Treppe in die erste Etage. Natürlich bestand auch sie aus purem Marmor und war in der Mitte mit einem weiteren weißen Teppich belegt. Alles strahlte vor Sauberkeit. Wieder blieb Joey stehen.

Die Wände sahen nur etwas kahl aus, ohne Bilder. Also er hatte zu Hause so einige.

Auf einmal ertönten Schritte und wenige Sekunden später erschien Kaiba in einer gewöhnlichen Jeans und einem weißen Hemd auf der Treppe. Er stieg die Stufen hinab und blieb auf der Letzten stehen; Joey starrte ihn mit großen Augen an und er warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr.

"Fast pünktlich", murmelte er, als er die Hände in die Hüften stützte.

"Tut mir leid." Etwas verunsichert trat Joey näher. "Ich habe es nicht gleich gefunden."

"Schon gut." Kaiba fuchtelte mit beiden Händen und drehte sich auf der Stufe um. "Komm mit."

"Wo gehen wir hin?" Hinter ihm bestieg Joey die Treppe und folgte ihm nach oben. Und es dauerte nicht lange, bis er auf Kaibas Füße aufmerksam wurde, sich zur Seite lehnte, um sie richtig anstarren zu können. Er lief hier scheinbar prinzipiell mit Socken herum und passte somit gar nicht mehr in das Schema des Millionärs.

"Wirst du sehen."

Die Treppe war nicht allzu lang und endete, bevor Joey es erwartet hatte. Wieder kam ein Aufenthaltsraum zum Vorschein, an dem zwei breite Gänge anknüpften. Marmor... überall, und an manchen Wänden glänzten weitere Ornamente. Kaiba achtete nicht sonderlich auf Joey, kratzte sich am Rücken und schlenderte auf einen der Gänge zu.

"Zufrieden?" Nur kurz drehte er sich zu ihm um, besah sich das bleiche Gesicht des jungen Mannes. "Du wolltest doch sehen, wie ich so lebe."

Abwesend nickte Joey und drehte sich zu wieder zur anderen Seite, um dort irgendetwas anzustarren. Nach kurzer Zeit verbreiterte sich der Gang und hohe Fenster warfen das Licht der Sonne auf die kunstvollen Ornamente. Kaiba schlenderte an den Fenstern vorbei, Joeys Augen blieben jedoch noch lange an den Ornamenten hängen, bevor sie sich wieder auf den Weg richteten.

"K-Kaiba?" Hastig holte er auf, stolperte neben ihm einher. "Wie viel hast du für das alles bezahlt...?"

"Ist doch egal."

Eine flüchtige Grimasse huschte über das Gesicht des Blonden, bevor er die Augen verdrehte und sich die Stirn rieb. Das war zu viel für ihn!

Plötzlich blieb Kaiba stehen und wartete auf ihn.

"Eigentlich bin ich selten hier", erklärte er, als Joey kreidebleich neben ihm stehen blieb. "Aber was soll ich machen?"

Joey atmete tief ein. "Weiß nicht..."

"Das war keine Frage." Kaiba schnitt eine knappe Grimasse und Joey grinste verhalten. Auf einmal flog neben ihnen eine Türe auf und ein zerzauster Junge kam zu ihnen in den Gang gesprungen. Joey war schrecklich erschrocken, Kaiba hob nur eine Augenbraue.

"Grrr!" Hastig zog sich der Junge ein Tuch über den Kopf und fuchtelte mit beiden Händen. "Ich bin ein..."

Plötzlich stoppte er, ließ die Hände sinken und zog sich das Tuch vom Kopf. Eine zerzauste Mähne kam zum Vorschein und als der Junge Joey entdeckte, weiteten sich seine Augen ungläubig.

"Joey...?" Hektisch wurde Mokuba das Tuch los, warf es zur Seite und grabschte nach seiner Hose, um daran zu zerren. "Was machst du denn hier!"

Mokuba zog ihm die locker sitzende Hose fast über die Hüften und so musste Joey sie festhalten, um sich nicht zu blamieren.

"Ah! Mokuba!" Er trug einen kurzen Kampf mit dem Jungen aus, der vor Freude erregt, kaum von ihm ablassen konnte.

"Kommst du uns besuchen? Ja, echt?!"

"Autsch... Vorsicht!" Joey kämpfte um das nackte Überleben und Kaiba stand daneben und verfolgte das Geschehen mit teilnahmsloser Miene. Joey versuchte, die Klauen des Jungen aus seiner Hose zu lösen, doch Mokuba verlor das Interesse an ihm, als plötzlich ein weiterer Junge in den Flur gesprungen kam. Auch er hatte ein Tuch auf dem Kopf und machte merkwürdige Geräusche. Stirnrunzelnd wandte Kaiba das Gesicht zu ihm, auch Joey starrte und Mokuba ließ seine Hose los.

"Ich sein Grizzly!" Der Junge fuchtelte mit den Händen, drehte sich zur Seite und schlug gegen die Tür, die noch offen stand. Am Ende seiner Kräfte streckte Joey den Kopf nach vorn und schluckte.

Was war denn hier los...?

"Aua!" Der Junge stolperte zurück, grabschte nach dem Tuch und zog es von seinem Kopf. Eine blonde Haarpracht kam zum Vorschein und hellblaue Augen, die sich sofort auf den Neuling im Haus richteten.

"Das ist Bikky", kommentierte Mokuba gut gelaunt und gesellte sich zu ihm. "Er kommt aus dem Ausland und ist mein bester Freund!"

Während Mokuba spielerisch den Arm um den Hals des Jungen legte, rieb sich dieser die schmerzende Stirn.

"Das tut weh."

"Komm, wir gehen in die Küche und fragen nach Eiswürfeln für deine Stirn."

"Auja!" Sofort strahlten die blauen Augen des Jungen. "Wollen wir sie lutschen?"

"Klar!" Mokuba fasste ihn am Ärmel und rannte los. Kaiba atmete in einer stillen

Verzweiflung aus und Joey sah den Beiden nach, bis sie auf der Treppe verschwanden.

"Mokubas Freund?", wandte er sich dann an Kaiba und dieser nickte.

"Er bestand darauf, ihn einzuladen. Und das ausgerechnet an einem halbwegs freien Tag." Kaiba seufzte und schlenderte weiter.

"Also ich fand den Jungen nett", warf Joey ein und folgte ihm wieder. Durch diesen kleinen Schreck ging es ihm nun besser. Seine Knie waren nicht mehr so zittrig und auch sein Atem fiel angenehm ruhig.

"Ist mir egal." Kaiba blieb stehen und langte nach einer Türklinke. "Er schreit zu laut."

"Zeigst du mir jetzt dein Zimmer?", sprang Joey schnell auf ein neues Thema um, doch Kaiba schüttelte den Kopf.

"Nein, meinen Arbeitsraum."

"Gibt es da einen Unterschied?" Joey kratzte sich am Kopf.

Kaiba schickte ihm einen zweifelnden Blick. Aber ohne ein weiteres Wort zu verlieren, öffnete er letztendlich die Tür und verschwand im Raum. Joey zögerte nicht, war zu neugierig. Und das was er sah, entzückte ihn doch sehr. So einen gemütlichen Raum hatte er noch nie gesehen. Langsam schloss er die Tür hinter sich und sah sich um. Er besah sich den Kamin, das riesige Sofa und den schönen Schreibtisch. Alles, was er sah, faszinierte ihn. Und Kaiba hatte einen wirklich guten Geschmack. Langsam zog er die Hand von der Klinke und nahm sich die Sonnebrille vom Kopf.

"Und hier verbringst du deine freie Zeit?", fragte er, als er anschließend näher

schlenderte.

"Kommt vor. Einen Drink?" Kaiba griff in ein Regal, hielt ein Glas nach oben.

"Klar, danke."

"Mach's dir bequem."

"Das dürfte nicht schwer sein." Heiter band sich Joey den Pullover von der Taille und legte ihn über die Sofalehne. Anschließend lehnte er sich dagegen, sah sich weiterhin um. Kaiba kehrte in der Zwischenzeit mit zwei Gläsern und einer Flasche zu ihm zurück, warf sich auf eines der Sofas und stellte alles auf dem gläsernen kleinen Tisch ab. Kurz blickte er auf, beobachtete Joey von hinten und goss ein. Erpicht ließ der Blonde den Blick durch den Raum schweifen.

Für die Auszeichnungen interessierte er sich weniger, er besah sich nur kurz die E-Gitarre, die in einer Halterung an der Wand ihren Platz gefunden hatte und drehte sich dann verspielt zu Kaiba um. Dieser hatte sich nun zurückgelehnt und hob das Glas zum Mund. Ihm schräg gegenüber ließ sich Joey nieder, griff nach dem seinen und nahm einen Schluck.

Nun war er also bei Kaiba!

Wieder nippte er, ließ die Augen schweifen und lugte nur flüchtig zu Kaiba, dessen Redeschwall ein jähes Ende genommen hatte. Die Stimmung drohte unglaublich schnell zu erlahmen und das war sein Auftritt. Er stellte das Glas auf den Tisch zurück und beobachtete Kaiba keck von der Seite. Dieser trank das Glas aus und legte die Arme auf die Lehnen.

"Ich hab's gesehen."

Kaiba drehte das Gesicht zu ihm.

"Was hast du gesehen?", fragte er.

Joeys Grinsen vertiefte sich, dann schlüpfte er flink aus seinen Schuhen und

zog die Füße zu sich auf das Sofa.

"Das Tattoo", verriet er und schlang die Arme um die Knie.

"Ist kein Geheimnis." Kaiba gähnte und bettete den Hinterkopf auf der Lehne.

"Und?" Joey beugte sich leicht nach vorn. "Erzähl. Seit wann hast du es? Und was hat es zu bedeuten. Vorausgesetzt, es hat eine Bedeutung."

"Tattoos haben immer eine Bedeutung, Joseph." Kaiba lugte zu ihm. "Ich habe es vor drei Jahren machen lassen. Es ist das Firmenzeichen der japanischen Firma, mit der ich den ersten Vertrag abgeschlossen habe, mit deren Hilfe ich den

Grundstein meiner Firma errichten konnte."

Joey nickte, noch immer berauscht, schon wieder seinen Namen gehört zu haben.

"Diesen Moment wollte ich nicht vergessen. Und deshalb kam es spontan über mich."

"Und du musst nichts bereuen." Joey legte den Kopf schief. "Es sieht gut aus."

An Kaibas Lippen zog ein knappes, unauffälliges Schmunzeln, als er auf die Decke starrte.

"Aber...", Joey grübelte kurz, "... warum gerade an dieser Stelle?"

"Damit es nicht viele zu sehen bekommen", lieferte Kaiba ihm überraschender Weise eine lockere und ehrliche Antwort.

"Das ist gut", musste Joey zugeben. "Wenn ich mir ein Tattoo stechen lassen würde, das mir viel bedeutet und nur für mich allein da sein soll, dann würde ich mir auch eine weniger auffälligere Stelle aussuchen."

"Hast du denn nichts, das wir wirklich viel bedeutet?"

"Natürlich, aber ich will mir keine Namen stechen lassen." Joey lachte leise. "Und ich habe leider keine Firmen, mit denen ich Verträge abschließen könnte."

"Jedem das Seine." Kaiba atmete tief ein und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Und Joey drehte sich wieder um und lugte zu der E-Gitarre. Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge, stützte sich auf die Sofalehne und drehte sich um. Noch hatte Kaiba seine Beobachtungen nicht bemerkt.

"Kaiba?"

"Hm."

"Spielst du Gitarre?"

"Was?" Kaiba hob den Kopf, folgte seinem Wink und drehte das Gesicht zur Seite. Dort besah er sich die Gitarre, atmete tief ein und ließ sich faul auf das Sofa zurücksinken.

"Hab es mir selbst beigebracht, hatte vermutlich zuviel Freizeit. Jetzt spiele ich nicht mehr."

"Aber du kannst spielen", hakte Joey nach.

"Kann ich." Mit einer bösen Vorahnung lugte Kaiba zu ihm und Joey grinste, die Vorahnung bestätigend.

"Spiel mal was."

"Nein."

"Warum nicht?" Joey langte nach einem der kuscheligen Kissen. "Hast du Angst, dass es nicht mehr klappt?"

"Psychologische Kriegsführung funktioniert bei mir nicht", kam die gekonnte Antwort und Joey rümpfte die Nase.

"Nur etwas Kurzes", beharrte er. "Ich mag den Schall dieser Instrumente, wollte es auch einmal selbst lernen...", kurz grübelte er, "... kam nur nicht dazu."

"Warum?" Plötzlich schlich sich ein sarkastischer Unterton in Kaibas Stimme ein. "Fehlte die Zeit?"

"Jaah!" Der Blonde weitete die Augen. "Bitte."

Kaiba hielt dem Augenkontakt stand, blieb reglos sitzen. Doch Joey reagierte schnell. Eilig drängte er das Kissen zur Seite, sprang auf und fixierte Kaiba drohend.

"Wenn du nicht spielst, dann spiele ich! Und dann wirst du dir wünschen, selbst gespielt zu haben!"

"Ach." Müde sah Kaiba ihn an.

"Mm-mm." Joey kam nicht um ein knappes Grinsen. "Was Instrumente angeht, besitze ich kein Talent."

Kaiba verharrte noch kurz bewegungslos, dann richtete er sich auf, schlug sich auf die Oberschenkel und kam auf die Beine. Joey sah ihn näher kommen, trat um einen Schritt zurück, als Kaiba sich zwischen Tisch und Sofa an ihm vorbei schob. Nur flüchtig trafen sich ihre Blicke, bevor Kaiba weiterschlenderte und sofort drehte sich Joey um, sah ihm nach. Träge fasste Kaiba die E-Gitarre am Hals und hob sie aus der Halterung. Er ergab sich in sein Schicksal und während er sich den Gurt über den Kopf zog und zu dem Schreibtisch schlenderte, um in den Schubfächern zu wühlen, ließ sich Joey stockend in das Sofa zurücksinken und blähte die Wangen auf.

Auch das Gesicht rieb er sich, zwang sich zu einem leisen Räuspern und vertiefte sich wieder in die Beobachtung Kaibas. Er sah plötzlich nach einem richtigen Musiker aus. Aus irgendeiner Rockband oder so. Locker hielt er die Gitarre vor der Hüfte, hatte kurze Zeit später ein Plektrum in der Hand, das sofort zu den Lippen wanderte, zwischen sie geklemmt wurde.

"Etwas Kurzes", stellte er nuschelnd klar, als er langsam zu Joey zurückkehrte. Dieser starrte ihn mit großen Augen an, nickte etwas stockend. Er achtete nicht darauf, sah sich kurz um und ließ dann das Gesicht sinken, um die Gitarre zu mustern. Die lange Haarsträhnen fielen in sein Gesicht, die Finger tasteten nach den Saiten. Erst schraubte er etwas, überprüfte den Ton und einzelne Klänge. Joey beobachtete ihn aufmerksam, wie er testete, die Gitarre festhielt. In den ersten Momenten war nichts Außergewöhnliches zu hören. Kaiba stimmte sie, nahm sich bald das Plektrum aus dem Mund und sah sich kurz auf dem Boden um. Er drehte sich zu beiden Seiten, erspähte ein Kabel und schnappte es sich. Den Stecker schob er in das dafür vorgesehene Loch. Und dann klemmte er sich das kleine Blättchen zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und blickte auf.

Joey richtete sich schnell auf und fuchtelte mit der Hand.

"Fang an, fang an."

Kaiba stöhnte und sah sich erneut um, überprüfte vermutlich, ob alle Fenster geschlossen waren. Und da dies der Fall war, konnte es losgehen. Ohne die geringste Nervosität ließ er wieder den Kopf sinken und schob die Finger über die Bünde. Noch schwieg die Gitarre, aber das würde sich schnell ändern. Joey leckte sich ungeduldig die Lippen. Er war nervöser, als Kaiba. Dieser kratzte sich noch schnell am Bauch, bevor er die Gitarre zum Schreien brachte. Mit einer schnellen Bewegung zog er das Plektrum über die Saiten und ein unübertrefflicher Schall zog durch das Zimmer. Joey ließ sich gegen die Lehne fallen, um das Spektakel so sehr zu genießen, wie nur irgend möglich. Kaiba brachte mit der Gitarre Unmögliches zu Stande, er ließ sie schreien und ächzen, quietschen und donnern. Die Vasen und andere locker stehenden Dinge begannen beinahe zu vibrieren und aufs Neue fasziniert, sah sich Joey um. Im gesamten Haus ertönten die schrillen Melodien, das Quietschen, als Kaiba über die dünnen Saiten fuhr.

Es war unglaublich!

Joey musste nach Luft schnappen, bevor er sich zu Kaiba wandte. Dieser spielte mit einer Gelassenheit, die man achten musste. So etwas konnte man im Grunde nur von einem gelernten Gittaristen erwarten, nicht etwa von jemandem, der sich alles selbst beigebracht hatte.

Langsam zog Joey die Füße zu sich und beobachtete Kaiba weiterhin. Dieser begann nun, schnell die Töne zu wechseln, sorgte für eine irre Melodie.

Gab es etwas, das er nicht konnte?

Joey schluckte.

Professionell, wie eh und je.

Weitere Minuten brachte Kaiba sein Haus zum Beben, dann zog er das Plektrum ein letztes Mal über die Saiten, zog die Hand zurück und ließ den Sound ausklingen. Erst als wieder Stille eintrat, holte er tief Luft und blickte minder erwartungsvoll auf.

Joey saß wie eine Statue auf seinem Sofa und starrte ihn gebannt an. Nur flüchtig

erwiderte er den Blick, zog sich den Gurt über den Kopf und ergriff die Gitarre. Schnell war auch das Kabel hinausgezogen und zur Seite geworfen.

"Zufrieden?"

Joey antwortete nicht, war kaum dazu im Stande, die richtigen Worte zu finden. Schweigend starrte er ihn an, verfolgte, wie er vorbeischlenderte und die Gitarre in ihrer Halterung verstaute.

Potzblitz, er hatte ihn wieder mal überrumpelt...

Er beobachtete ihn auch weiterhin. Wie er die Gitarre auf die Holzstifte zurücklegte und sich zu ihm wandte. Ein argwöhnisches Funkeln war alles, was er vorerst zu sehen bekam.

"Sag nicht...", Joey duckte sich, "... du kannst mir nicht erzählen, dass du dir das selbst beigebracht hast!"

Kaiba legte den Kopf schief, kehrte gemächlich zu ihm zurück.

"Doch, kann ich."

Joey stieß ein zermartertes Ächzen aus, ließ sich gegen die Lehne sinken und an ihr hinabrutschen.

"Warum nur?", klagte er theatralisch. "Warum kannst du alles und ich nichts?"

Abrupt erschien Kaibas Gesicht über ihn. Er stemmte sich über ihm auf die Lehne, neigte sich leicht nach vorn und verfolgte das Trauerspiel unbeteiligt.

"Das ist so gemein!" Joey warf ihm einen knappen Blick zu, grabschte nach einem Kissen und drückte es auf sein Gesicht. "Iff kem mif nif mit Pomputern auf...!", drang seine gedämpfte Stimme durch den Stoff, "... iff verftehe Mathe niff und beherrsche niff einmal ein blödes Inftrument!"

"Blöde Instrumente beherrsche ich auch nicht", erwiderte Kaiba locker.

"Ja, aber...!", Joey kämpfte das Kissen zur Seite, starrte ihn von unten an, "du kannst doch..."

Kaiba schnalzte mit der Zunge und legte den Kopf schief, noch immer starrten sie

sich an.

"Boah!" Schwungvoll richtete sich Joey auf. "Und jetzt führst du mich auch noch an der Nase herum!"

Auch Kaiba richtete sich auf, stöhnte.

"Lass das Selbstmitleid stecken. Das ist irgendwie jämmerlich."

Joey schickte ihm einen scharfen Blick und rutschte zurück, bis er die weiche Lehne im Rücken spürte.

"Das sagst du so einfach. Wie du gespielt hast, das war unglaublich! Und... es sah so...!" Joey raufte sich die Haare. "Ich will so was auch können."

"Klar, in sechs Jahren wärst du vielleicht dazu im Stande." Kaiba nahm den Weg zwischen Tisch und Kamin und ließ sich auf dem Sofa nieder. Joey verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Wie lange hast du gebraucht?"

"Ein Jahr", schätzte Kaiba und goss sich ein.

"Hey!" Sofort fuhr Joey in die Höhe. "Jetzt machst du dich auch noch lustig über mich!"

Kaiba beachtete ihn nicht. Bequem lehnte er sich zurück und schwenkte das Getränk im Glas. Kurz beobachtete er es, trank einen Schluck und besah sich den Kamin. Dass ein wütender Joey vor ihm stand, schien er zu vergessen. Und erst, als der Blonde nach langem Warten die Fäuste sinken ließ und seufzte, wandte er sich ihm zu.

"Hast du dich beruhigt? Schön, dann hältst du jetzt die Klappe und setzt dich hin." Kaiba neigte sich zum Tisch, schenkte auch Joey nach. "Trink etwas."

"Okay." Kleinlaut ließ sich Joey nieder und nahm sein Glas entgegen. Flink tranken sie aus und füllten nach. Joey schmeckte dieses Getränk sehr gut... was

auch immer es war. Während sie dann das nächste volle Glas in der Hand hatten, endete das kurze Schweigen.

Kaiba starrte die meiste Zeit über auf die gegenüberliegende Wand, wurde selbst nachdenklich beobachtet. Aufmerksam behielt Joey ihn im Auge und erst, als Kaiba tief einatmete und sich ihm zuwandte, richtete er seinen Blick auf den Tisch.

"In deinem Leben gibt es keinen richtigen Plan, oder?"

"Plan?" Joey sah ihn an. "Wie meinst du das?"

"Also nicht." Kaiba zuckte mit den Schultern und setzte das Glas an die Lippen.

"Weiß nicht", murmelte Joey irritiert.

"Ich sage dir jetzt mal etwas", begann Kaiba und stellte das Glas auf den Tisch zurück. "Du musst dich für einen bestimmten Weg entscheiden. Tu nur das, was du wirklich für wichtig hältst und wenn du dich entschieden hast, dann zieh es auch durch und gib nicht nach kurzer Zeit auf."

Joey lauschte ihm aufmerksam, hob die Brauen und saß still.

"Sicher gibt es viele Dinge, die du erlernen und irgendwann auch beherrschen willst. Das geht mir genauso aber wie schon erwähnt, musst du dir sicher sein, bevor du es beginnst. Und dann bring es auch zu Ende, sonst kannst du nicht auf Erfolg hoffen. Du musst dein Leben regeln, nach einem bestimmten Plan aufstellen... aufbauen." Kurz hob er die Hand zu einer Geste. "Du musst dich sozusagen entscheiden, was dir wirklich wichtig ist. Und wenn es nicht die Dinge sind, zu denen du verpflichtet bist, wie zum Beispiel die Schule, dann musst du dafür Sorge tragen, dass du diese nicht vernachlässigst, verstehst du?" Kaiba warf ihm einen flüchtigen Blick zu und sofort wurde genickt.

Kaiba erzählte noch weiter, schlug ihm gewisse Dinge vor und versuchte, ihn auf einen geraden Weg zu bringen. Und Joey lauschte ihm weiterhin. Kaibas Worte klangen weise und verbargen sicher eine tiefe Bedeutung. Er sprach und sprach und nach wenigen Minuten machte es sich Joey gemütlich. Er legte sich zurück, lehnte sich an ein Kissen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er hörte zu, interessiert und achtsam. Er verinnerlichte die Worte und nahm sich wirklich vor, etwas in seinem Leben zu ändern. Denn in diesem ging alles drunter und drüber. Und das durfte nicht sein, wie Kaiba noch so oft sagte.

Lange saßen sie so zusammen. Lange erzählte Kaiba und lange sah Joey ihn nur schweigend an. Nebenbei tranken sie noch ein Glas und noch eins und als Kaiba seinen Lebensrat beendete, richtete sich Joey müde auf.

"Du hast ja Recht", gab er zu und rieb sich müde den Nacken. "Aber ich habe so viel vor, dass es schwer werden dürfte, sich zu entscheiden."

"Du musst dich trotzdem entscheiden", kam die knappe, trockene Antwort. "Die Zeit genügt nicht, um jeden Traum wahr zu machen. Such dir das Wichtigste heraus."

"Mm." Joey blickte auf, kam nicht um ein knappes Schmunzeln. "Danke."

Kaiba hob eine Braue.

"Wofür."

"Für den Rat", antwortete Joey heiter und erhob sich. "Du bist der Erste, der so etwas zu mir sagt."

"Ach."

"Hm." Joey sah sich um. "Ähm... könnte ich mal dein Bad benutzen?"

"Mm-mm." Kopfschüttelnd wies Kaiba zur Tür. "Benutz das Gästebad."

Joey schnitt eine Grimasse. "Das Gästebad?"

Wieder wies Kaiba mit einer knappen Kopfbewegung nach draußen. "Geh zur Treppe zurück und benutz den anderen Gang. Die letzte Tür auf der rechten Seite."

"Aha." Leicht verunsichert nickte Joey und schlenderte davon.
 

Als er auf den Flur breiten hinaustrat, stemmte er die Hände in die Hüften und saugte an seinen Zähnen. Knapp sah er sich um und folgte dem vorgeschriebenen Weg. Und er fand das Bad auf Anhieb, öffnete eine wunderschöne Tür und trat ein.

Das Bad bestand vollkommen aus Marmor... irgendwie schien Kaiba Marmor zu mögen. Der Boden: Marmor. Die Wände: Marmor. Waschbecken: Marmor. Sogar die Badewanne und alles, was es sonst noch gab.

Joey trat langsam auf die Waschbecken zu, nebenbei driftete sein Blick wieder zu der Badewanne ab. Und toll war sie wirklich... es war noch nie vorgekommen, dass ihn eine Badewanne so begeisterte. Nachdenklich legte er den Kopf schief.

Sicher machte es einen Heidenspaß, in ihr zu liegen.

>Bleib realistisch, Joey.< Stöhnend wandte er sich zum Waschbecken, betrachtete sich träge in dem riesigen Spiegel. Er verzog das Gesicht, beugte sich nach vorn und rieb sich die Stirn. >Du wirst nie in dieser Badewanne liegen. Und sicher wird es auch nicht oft vorkommen, dass du Kaiba besuchen darfst!<

Kurz darauf wusch er sich die Hände und wieder wirkte seine Miene nachdenklich, als er auf das reine und kühle Wasser starrte.

>Ich glaube, zu träumen. Es muss ein Traum sein. Ich bin bei Kaiba und genieße so eine herzliche Atmosphäre, wie ich sie nie erwartet hätte. Ich bin gespannt, was wir noch machen, über was wir vielleicht noch reden könnten.<

Er mochte diese Stimme.

Grübelnd stellte er den Wasserhahn aus und befeuchtete sich auch das Gesicht mit den Händen, tastete neben sich nach einem der weißen Handtücher.

Letztendlich verschwendete er keine weitere Zeit, kehrte schnell zu Kaiba zurück.

Dieser empfing ihn mit einem weiteren Schluck und er trank. Er setzte sich auch gemütlicher, zog einige Kissen zu sich und begann sich einfach zu unterhalten.

Es gefiel ihm...

Kaibas Lippen zu beobachten, wie sie sich schnell bewegten...
 

Anfangs sprachen sie über das Lawell und überraschender Weise erwähnte Kaiba auch seine beeindruckende Aktion, die ihm einige Beulen beschert hatte. Joey lachte und begann über den Chef zu plaudern, der vielleicht mal weniger essen sollte. Und damit noch nicht genug. Kaiba verriet, dass er sich in seinem Büro gern einen Whisky gönnte.

Und da lachte Joey wieder. Überhaupt lachte er ziemlich viel und mit jedem Glas mehr. Kaiba hatte nicht weniger getrunken und doch konnte man an ihm keine Unterschiede feststellen. Meistens war seiner Mimik nicht viel zu entnehmen, manchmal ergab er sich aber einem kurzen Schmunzeln und im Gegensatz zu Joey, wirkte sein Blick noch immer fest, so zielstrebig, wie zuvor.

Noch ein klitzekleiner Schluck und unaufhaltsam begannen sie über den einen Lehrer zu sprechen, der selbst an Kaibas stählernen Nerven nagte.

So verging eine ganze Weile und irgendwann streckte Joey die Beine von sich, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme auf dem Bauch. Seine Augen wirkten etwas glasig, sein Blick flimmernd. Außerdem drehte sich die Umwelt, wenn er das Gesicht schnell von einer Seite zur anderen drehte. Interessant... und sofort vertiefte er sich in diese Entdeckung, bis ihm schwindelig wurde. Der Kopf wurde stillgehalten aber das Mundwerk begann wieder zu arbeiten und als er so eine neue Erzählung begann, erhob sich Kaiba, zog in sicheren, ruhigen Schritten um den Tisch herum und schlenderte auf den Schreibtisch zu. Dort wühlte er kurz und zog eine Zigarettenschachtel hervor. Mit dieser kehrte er zu Joey zurück und ließ sich direkt neben ihm in die Polster fallen.

Vorgänge, die Joeys Bewusstsein völlig entgingen und lachend ließ er sich eine Zigarette geben, richtete sich umständlich auf, um angespannt mit den Händen zu gestikulieren.

Dann rauchten sie.

Kaiba starrte etwas gelangweilt auf die gegenüberliegende Wand, streckte die Beine von sich und hob die Zigarette zum Mund.

Was Serenity schon alles erlebt hatte, interessierte ihn nicht wirklich und Joey lugte zwar vereinzelte Male zu ihm, quatschte dann aber trotzdem munter weiter. "Auf jeden Fall...", er nahm einen Zug, gluckste leise und neigte sich zum Aschenbecher. Etwas schwankend richtete er sich wieder auf, lehnte sich an und grinste, "... auf jeden Fall hatte sie danach eine große Beule und hat geheult. Und ich habe sie natürlich getröstet. Weißt du...", aufgeregt wandte er sich ihm zu, starrte ihn mit großen Augen an und erhielt nur bedingte Aufmerksamkeit. Ihn faszinierte diese Geschichte. "Serenity ist ja eigentlich ein vorsichtiger Mensch. Aber sie ist auch tollpatschig und hat so einiges angestellt. Als wir noch jünger waren, versteht sich. Heute sind wir natürlich gaaanz anders..."

Neben ihm richtete sich Kaiba auf. Kaum auf den Redeschwall achtend, drückte er die Zigarette in den Aschenbecher, ließ sich zurück gegen die Lehne sinken, und streckte beide Arme auf ihr aus. Dem leicht gelangweilten, teilnahmslosen Ausdruck blieb er treu.

"Ach ja...!" Auch Joey wurde die Zigarette los. Er wollte noch viel erzählen und dabei störte sie einfach. "Ich kann mich noch gut daran erinnern, weißt du? Als meine Eltern noch zusammen waren... ich weiß eigentlich gar nicht, warum sie sich getrennt haben. Mein Vater ist doch nett, oder?" Erwartungsvoll neigte er sich zur Seite, starrte seinen Nebenmann an. "Oder? Sag was."

"Hm." Mit einem knappen Schulterzucken gab sich Joey zufrieden.

"Serenity kommt mich aber oft besuchen, also ist es gar nicht so schlimm. Und sie hat gesagt, dass ich..."

Kaiba runzelte die Stirn, begann die Struktur der Polsters mit den Fingerkuppen zu erkunden. Joey quasselte und quasselte; die Batterie schien unermüdlich. Er erzählte von Serenity, dann wieder von seinem Vater und als er nach langer Zeit auch auf Yugi zu sprechen kam, ließ Kaiba den Kopf hängen.

Er wäre so ein guter Freund, meinte Joey und fuchtelte mit den Händen. Sie hätten schon so viel durchgemacht und Yugi hatte ihm immer wieder neue Kraft gegeben.

So etwas erzählte er eben und nach weiteren Minuten der Strapazen wandte Kaiba langsam das Gesicht zur Seite, begann ihn zu beobachten. Joey bemerkte seinen Blick nur flüchtig.

"Es ist so", verkündete er, reckte den Zeigefinger. "Manchmal macht es mir Spaß, zu verreisen und fremde Länder kennenzulernen. Aber eigentlich bin ich doch ein sehr heimatlicher Mensch. Weißt du, was ich meine? Ich bin am liebsten hier in Domino. In der Fremde fühle ich mich nicht wirklich wohl. Verstehst du das?"

Kaiba rollte mit den Augen. Seine Hand, die direkt hinter Joey auf der Lehne ruhte, tastete sich näher. Ohne zu zögern fanden die Fingerkuppen zu Joeys Hals und berührte diesen flüchtig. Sofort hob sich eine Hand, folgte dem Kitzeln... und kratzte die Stelle. Joey war völlig in seine Erzählung vertieft und Kaiba ließ sich dadurch nicht stören. Er ließ ihn weitererzählen, die Hand zurückkehren und das erste Mal seit langem entsprang seiner Miene ein gewisses Interesse, als er die Bewegungen der eigenen Finger verfolgte, einige der blonden Strähnen, die nicht in den Zopf gepasst hatten, von seinem Hals streifte.

Wieder wollte sich Joey kratzen, doch diesmal traf er auf Kaibas Hand, die sicher auf seinem Hals lag. Er betastete sie nur flüchtig, lugte zu Kaiba.

"Was machst du denn da?", erkundigte er sich, verzog das Gesicht und weitete plötzlich die Augen. Ihm fiel etwas ein und die Hand verlor seine Beachtung, als er sich wieder abwandte. "Yugi hat zu mir gesagt, dass ich vorsichtig sein soll", brummte er, "... aber er ist ja auch nie vorsichtig. Warum soll ich es also sein?"

Kaiba machte den Anschein, ihm nicht mehr zuzuhören, obwohl er Joey aufmerksam beobachtete. Der junge Mann achtete auf überhaupt nichts anderes mehr, als auf die tolle Geschichte, quasselte und quasselte und lachte auch des Öfteren. Und dabei ließ man sich alle Zeit der Welt. Weiter schob sich die Hand über seinen Hals, schob sich fast bis hin zum Ohr und harrte dort aus. Kurz fuhren die Fingerkuppen über die glatte Haut, schnippten eine lange Haarsträhne zur Seite und übten leichten Druck aus. Nur beiläufig bemerkte Joey, wie sein Gesicht gedreht wurde... kaum, wie Kaiba es einfach zu sich wandte.

"Das ist vielleicht immer ein Gerede...!", ließ er sich einfach ziehen, rümpfte die Nase und gestikulierte mit den Händen. "Immer, wenn ich den treffe, wünsch ich mir, es gäbe ein großes schwarzes Loch, in das ich kriechen kann."

Weiterhin blieben seine Augen auf den Kamin gerichtet, während sich sein Körper stockend dem Druck fügten.

"Also nicht so ein schwarzes Loch wie im Weltall", murmelte er konzentriert, "... eher eines mit weichen Kissen unter denen ich mich verstecken...", abrupt glitten seine Pupillen zur Seite und erst, als er auf Kaibas direkten Blick traf, verstummte er.

Ja, auf einmal war er still.

Noch immer ruhte Kaibas Hand auf seinem Hals. Und erst jetzt wurde Joey wirklich auf sie aufmerksam. Unsicher spähte er zur Seite, starrte zurück in die blauen Augen und bewegte still die Lippen. Ernst wurde sein Blick erwidert, annähernd reglos blieb Kaibas Miene und plötzlich lehnte er sich nach vorn, neigte sich zu Joey. Dieser sah ihn mit großen Augen und offenem Mund näherkommen, spürte, wie die Hand seinem Hals treu blieb, ohne ihn mit Gewalt am Zurückweichen zu hindern. Doch Joey tat es nicht. Er war wie versteinert, als er Kaibas Blick verlor, sich dieser an seinem Gesicht vorbeischmiegte und ihn eine kurze, sanfte Berührung spüren ließ. Ihre Wangen hatte ihn gestreift und stockend atmete er ein, verharrte weiterhin reglos. Warmer Atem strich über seinen Hals, gefolgt von einer weiteren, beinahe zaghaften Berührung.

Nur kurz schmiegte sich Kaiba an ihn, nahm unter einem tiefen Atemzug seinen Geruch in sich auf, bevor er sich langsam zurücklehnte. Erneut streiften sich ihre Wangen und ein Schaudern durchzog Joeys Körper, ließ sich nicht verbergen. Er erzitterte von Kopf bis Fuß, spähte nur stockend zu Kaibas Gesicht, als es sich ihm wieder anbot.

Kurz trafen sich ihre Blicke. Ein vergänglicher Moment und doch hatte Joey eine feste Sicherheit in seinen Augen erkannt. Eine Entschlossenheit, der er nicht gewachsen war, als er unter dem warmen Atem des anderen blinzelte. Viel Distanz war es nicht mehr und er glaubte, den eigenen Atem zu vergessen, als Kaiba den Kopf schief legte, sich ihre Lippen kitzelnd berührten.

Eine Begegnung, die zu schnell endete, die sich nicht fassen ließ und abermals blinzelte er starr, als ihre Nasenspitzen aufeinandertrafen, sich eine Hand warm auf seinem Knie bettete und langsam höher über seinen Oberschenkel fuhr. Als er dann auch Kaibas Wärme auf seiner Haut spürte, begannen sich seine Finger zu bewegen. Ein letztes Blinzeln, bevor er die Augen schloss. Wieder legte Kaiba den Kopf schief, wieder näherten sich ihre Lippen und bebend behielt Joey die Augen geschlossen, atmete tief ein. Und er meinte, seine Arme würden ein Eigenleben entwickeln, als sie sich hoben. Sie hoben sich zu Kaibas Rücken, legten sich um seinen Leib, während sich seine Finger langsam in dem dünnen Hemd versenkten. Er folgte einem deutlichen Pfad, streckte sich blind dem warmen Atem entgegen. Eine Bewegung, die Kaiba verfolgte, bevor er die Augen schloss. Zitternder Atem streifte seine Lippen, bevor er zum Leben erwachte, sich gegen Joey drängte und ihn fest küsste.

Kein einziger Gedanke durchstreifte in diesen Momenten Joey Kopf. Er tat es einfach ohne nachzudenken, schlang die Arme fester um Kaiba und ließ dessen Zunge in seinen Mund vordringen. Diese fremden Lippen waren so weich, pressten sich zärtlich gegen ihn und schon spürte er, wie die Hand von seinem Oberschenkel noch höher glitt, Gänsehaut über seine Arme trieb. Trunken begann er den Mund zu bewegen, die Küsse langsam und innig zu erwidern. Er öffnete den Mund weiter, atmete durch die Nase ein und lehnte sich zurück, Kaiba mit sich ziehend. Schnell spürte er die weichen Kissen im Rücken, die Hand rutschte wieder zu seinem Knie hinab und vorsichtig ließ sich Kaiba auf ihn sinken.

Eine angenehme Wärme durchflutete Joey, als nach seiner Unterlippe geschnappt wurde. Nur kurz wurde sie bearbeitet, zärtlich an ihr gesaugt und über sie hinweggeschabt, bevor sich die Lippen wieder fest begegneten, der Griff an seinem Hals an Stärke zunahm und die andere Hand einen Weg zu seiner Hüfte fand. Genüsslich ließ Joey den Kopf zur Seite sinken, hob wie auf einen stummen Befehl das Bein, welches der Lehne zugekehrt war. Er winkelte es an, ließ beide Hände einfach über Kaibas Rücken gleiten und keine Grenzen kennen.

Was konnte Kaiba küssen...

Er tat es auf eine Art und Weise, die sich an Zärtlichkeit nicht übertreffen ließ, gleichzeitig in ihrem Nachdruck aber unbeschreiblich wirkte.

In diesen Augenblicken konnte er nicht anders, als sich einfach an ihn zu pressen. An den schlanken Leib, der sich über ihm räkelte. Wie unmöglich wäre es, Kaiba fortzustoßen, wie unsinnig. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn.

Und dabei war er so ungeübt, was diese Zärtlichkeiten anging. Trotzdem... es schien einfach zu funktionieren und haltlos versuchte er in Kaibas Mund vorzudringen. Er scheiterte... es war Kaiba, der sich das Vorrecht nahm.

Seine Hand erreichte unterdessen Joeys Gürtel, strich über diesen hinweg und direkt unter den Stoff des Shirts. Gleichzeitig schob er sich zurück, ließ sich tiefer sinken, um Joey Hals zu bearbeiten. Mit der Wange glitt er über die weiche Haut hinweg, begann sie zu küssen, zu streicheln.

Joey öffnete den Mund, atmete genüsslich ein und drängte das Gesicht höher, um Kaiba mehr Freiraum zu gewähren. Mit einer unglaublichen Fertigkeit begann dieser zu beißen und haltlos glitten Joeys Hände ab, rutschten über seinen Rücken und klammerten sich letztendlich nur noch in seine Seiten. Er spürte jede Berührung, spürte auch die Hand, die über seinen Bauch fuhr, ihn streichelte. Konnte das sein...?

Konnte so ein Gefühl überhaupt existieren?

Es war zu schön, als dass es wahr sein könnte und zitternd zog ein Grinsen an Joeys Lippen, als Kaibas Hand über seine Brust fuhr, bis hin zu seinem Schlüsselbein strich. Das Hemd rutschte höher und Joey begann sich langsam zu räkeln, ließ geschehen, was geschehen sollte.

Kaiba lag direkt zwischen seinen Beinen, richtete sich nur etwas auf, um höher zu küssen und sein Ohr zu erreichen. Auch diesem schenkte er Aufmerksamkeit, kitzelte Joeys Gesicht mit seinem Haar und presste sich an ihn.

Ein knappes Zucken durchfuhr Joeys Miene und als sich die Hand von seiner Brust löste, über seine Rippen glitt und unter seinem Rücken verschwand, öffnete er abrupt die Augen... starrte an die Zimmerdecke.
 

Unter einem lauten Aufschrei fuhr er in die Höhe. Seine Hände krallten sich in die Decke, seine Augen starrten in die Dunkelheit, die ihn zu allen Seiten umgab. Sein Atem raste, sein Körper zitterte.

Was war plötzlich los?!

Hektisch drehte er das Gesicht zur Seite.

Was war passiert??

Hastig drehte er es zur anderen Seite und schnappte nach Luft.

Allmählich lockerten sich seine Hände, allmählich beruhigte sich sein Atem.

Ein Traum?

Er zog eine Grimasse, ließ erschöpft den Kopf sinken und fuhr sich mit beiden Händen über das schweißnasse Gesicht.

"Oh Gott...!" Matt ließ er die Arme sinken, schüttelte den Kopf. "Oh mein Gott."

Das konnte doch nicht wahr sein!

Was träumte er denn jetzt schon?!

Stöhnend grabschte er nach dem Kissen, presste es gegen den Bauch.

Kaiba hatte ihn geküsst... und er?

Er hatte mitgemacht und es genossen...?

Joey schloss die Augen und hielt die Luft an. So etwas Verrücktes aber auch. Tief atmete er aus und rieb sich den Nacken. Er rieb ihn ausgiebig, fuhr sich durch das Haar und rieb auch seinen Hals.

Seltsam... dabei hatte er das Gefühl, die Küsse noch immer zu spüren, die auf jedem Zentimeter seiner Haut platziert worden waren. Dieser Traum war sehr real gewesen.

Zu real...

Joey stoppte an einer gewissen Stelle und blickte auf. Kurz verharrte er reglos, rieb sich die leicht schmerzende Stelle erneut und hielt nur erneut inne.

Was war das denn...?

Wieder starrte er vor sich in die Dunkelheit. Von einem Traum trug man keine Spuren davon. Die Starre hielt nicht lange an, bevor er nach der Decke grabschte, aus dem Bett sprang und durch die Finsternis eilte. Grob stieß er die Tür auf, hastete in den Flur hinaus und auf das Bad zu. Dort schlug er nur gegen den Lichtschalter, schwankte zum Spiegel und drehte das Gesicht etwas zur Seite.

Und da... an seinem Hals gab es wirklich eine rote Stelle.

Sein Herz machte einen entsetzten Sprung. Plötzlich hatte er das Gefühl, in jedem Moment umzufallen. Mit großen Augen starrte er auf seinen Hals, hob zögernd die Hand und betastete den Fleck.

Kaiba hatte zugebissen.

Und es war verdammt gut gewesen...

Langsam ließ er die Hand sinken, trat zurück.

Es war also wirklich passiert?

Eigentlich sollte er sich nicht wundern. Er hätte es sofort wissen müssen, als er die Augen geöffnet hatte.

>Um Himmels Willen...> Seine Hand tastete nach dem Stuhl und ächzend ließ er sich auf ihm nieder.

Natürlich... seine Miene verzog sich nachdenklich.

Er hatte inne gehalten. Jetzt wusste er es wieder.

Er war einfach abgehauen... war regelrecht geflohen!

Und dabei war er es doch gewesen, der Kaiba so weit hatte gehen lassen.

Wieder rieb er sich das Gesicht, wurde kleiner und kleiner, begann zu keuchen.

Er hatte Kaiba geküsst und seinen Spaß daran gefunden. Das war offensichtlich, ließ sich auch nicht vertuschen.

Aber Kaiba…!

Er hatte angefangen.

Joey zog die Nase hoch, stemmte sich zwischen den Beinen auf den Stuhl und spähte etwas verloren um sich.

Aber wieso?

Wieso fand er plötzlich so einen Gefallen an ihm?

Sonst hatte er ihn doch nur als Freund angesehen?

Entweder es war spontan über ihn gekommen oder er hatte schon lange so gefühlt, wusste es

nur zu verbergen, worüber man sich bei ihm nicht wundern musste.

Eine Phase?

Nein, das konnte keine Phase sein, wie er es sich eingeredet hatte.

Was hatte er es genossen…!

Allein bei der Erinnerung, bei dem bloßen Gedanken daran, erschauderte Joey, kroch in sich zusammen. Plötzlich tummelten sich wieder Abertausende Fragen in seinem Kopf.

Liebte Kaiba ihn etwa? Wenn dem so war, weshalb hatte er es ihm nicht gesagt?

Und dabei war es doch noch gar nicht sicher, ob Kaiba so fühlte.

Sollte sich Joey verletzt fühlen? Was war, wenn Kaiba nur kurz seinen Spaß mit ihm haben

wollte? Was war, wenn er es als einmalige Sache ansah? Joey wusste nicht, ob er den wahren Kaiba kennen gelernt hatte. Für diese Einschätzung war er ihm gegenüber noch zu unsicher. Traute er es Kaiba zu, ihn auszunutzen? Und was sollte er von seiner plötzlichen Einsicht denken? Weitere Beweise benötigte er nicht.

Joey seufzte gebrochen und ließ sich tiefer rutschen. Was sollte er denn nach dieser Erfahrung sagen? Kurz war er unsicher gewesen. Dann war er der Meinung gewesen, es hinter sich gebracht zu haben und Kaiba als einfachen Freund ansehen zu können.

Und nun? Was sollte er sagen?

Er war verliebt.

Verliebt, wie noch nie zuvor.

Schwungvoll kam Joey auf die Beine, zupfte an seinen Shorts und schlürfte in den Flur hinaus, direkt zur Küche. Als er sie betrat, hob er die Hand und berührte seine Lippen.

Wo zur Hölle hatte Kaiba gelernt, so zu küssen…

Er spürte es immer noch, hatte das Gefühl, als wäre es noch nicht vorbei.

Er hätte sich überhaupt nicht wehren können, hätte er es gewollt. Kaiba hatte in verhext, ihn gekonnt in eine wehrlose Lage versetzt. Grüblerisch sah sich Joey um.

Konnte man sich so eine Zärtlichkeit bei Kaiba vorstellen?

So liebevolle Berührungen?

Mit ihnen hatte er ihn erschaudern lassen, seine Lippen hatten schier Unmögliches geleistet. Ja, er verschränkte die Arme vor dem Bauch. Er hatte es genossen, und verflucht noch mal, es war eben passiert und man konnte nichts mehr daran ändern!

Er wüsste auch nicht, warum er es bereuen sollte. Hatte immerhin Spaß gemacht.

Er rümpfte die Nase, lehnte sich gegen die Wand.

Beide von ihnen mussten einen Grund dafür gehabt haben, sonst wäre es nicht passiert. Und Joey hatte keine Lust, jetzt mit Gedanken zu kämpfen und sich seelisch fertig zu machen! Er wollte nicht heulen und sich sorgen, denn Kaiba hatte angefangen. Und er hatte mitgemacht, was aber völlig egal und unbedeutend war.

Kaiba müsste ihm Rede und Antwort stehen, nicht er ihm.

Also riss er sich zusammen und blieb ruhig. Er würde ihn in der Schule nicht ansprechen. Er

müsste schon zu ihm kommen und alles erklären. Darauf war er sehr gespannt.
 

~*to be continued*~

Entscheidungen

Gemächlich schlang er sich ein helles Tuch um den Hals, schlüpfte in die Schuhe und trödelte los.

>Merkwürdig, ich bin weder sauer noch ängstlich.< Abwesend starrte er auf den Weg, der langsam unter ihm vorbeizog. >Es kam so unerwartet, ich wusste nicht, was ich tun sollte und habe es einfach geschehen lassen. Und ich bereue nichts, hoffe nur, dass es Kaiba genau so sehr gefallen hat, wie mir. Heute wird sich alles entscheiden. Wenn er mir jetzt die Freundschaft kündigt und sich zurückzieht, dann weiß ich zumindest, dass ich mich bisher in ihm geirrt habe. Dann werde auch ich mich fernhalten und ihm nicht nachrennen, flehend und

bittend. Aber was…< Joey blieb stehen und blickte langsam auf, sein Herz begann

schneller zu schlagen, >… wenn da doch mehr ist?<

Bevor er sich zu seinen Freunden gesellte, überprüfte er kurz das Tuch.

Saß es richtig?

Konnte man etwas sehen?

Nein.

"Hübsches Tuch", meinte Duke kritisch. "Aber ist es nicht etwas zu warm dafür?"

"Ach nein." Joey grinste gelassen. "Ich finde es gemütlich."

"Gemütlich", wiederholte Duke und steckte sich einen Kaugummi in den Mund.

"Geht es dir gut?" Yugi richtete sich auf, er hockte wieder auf der Bank. "Du siehst etwas besorgt aus."

"Huh?"

"Ja, genau!" Duke rempelte ihn an. "Sag bloß, du hast dein Referat nicht beendet!"

"Das musst du doch heute vortragen!" Tea starrte ihn erschrocken an.

"Referat??" Joey vereiste. "Abba... abba... das war doch erst morgen?!"

"Ne." Tristan schüttelte den Kopf.

"Abba ich hab es doch noch gar nicht gemacht!" Joey raufte sich die Haare. Ich war gestern bei Kaiba und erst spät wieder zu Hause. Und da habe ich gleich geschlafen und... und..."

"Warst du bei Kaiba zu Hause?", fragte Tristan.

"Hm." Joey nickte knapp. "Aber was soll ich denn jetzt machen?! Ich brauche eine gute Note in Gemeinschaftskunde, sonst bin ich tot!"

"Ja." Duke nickte zustimmend. "Die Lehrerin hat dich zweimal verwarnt und dreimal daran erinnert. Ich glaube auch, dass sie es dir aufgeschrieben hat. Also, ich denke, sie wird nicht milde reagieren und du wirst gehörigen Ärger be..."

"Ja, mach Joey fein Mut!" Tristan nahm Duke in den Schwitzkasten.

"Ah, lass das!"

"Bakura!", fuhr Joey hektisch zu dem Jungen herum und dieser trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. "Du hast es doch auch gemacht, oder? Ich könnte es ja ganz schnell abschreiben und ein bisschen verändern. Wir haben Gemeinschaftskunde doch erst in der dritten Stunde, oder? Da bleibt mir doch noch Zeit! Bitte, es ist wirklich ganz wichtig und dann bekommst du dein Referat sofort zurück."

Bakura öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch Joey kam ihm zuvor.

"Bitte, bitte, bitte! Du musst mich retten, Bakura! Ich will keine miese Note! Ich will nur ganz schnell..."

"Ich musste das Referat gar nicht machen", unterbrach Bakura ihn endlich und Joey verstummte.

"Dann bin ich tot", seufzte er stoisch und fuhr sich über die Stirn, in der Hoffnung, eine andere Seele würde sich seiner erbarmen. Aber diese Seelen verschwanden nun alle in der Schule und Joey musste sich ihnen anschließen. Diese Nervosität verbot es ihm, sich weiterhin wegen Kaiba zu sorgen.

>Referat<, ging es ihm durch den Kopf. >Muss abschreiben.<
 

Tief in Gedanken, schlenderte er mit den anderen durch den Gang, rempelte einige der Schüler an und schlenderte weiter. Dann bog er um die Ecke und betrat das Zimmer. Und erst da blickte er auf. Vor ihm saß Kaiba und sofort wandte Joey den Blick ab und knabberte auf der Unterlippe. Kaiba las wieder in seinem Buch. Entweder er hatte ihn noch nicht bemerkt oder er fand das Buch interessanter, als ihn. Wie auch immer, er schenkte ihm keine Beachtung.

Erinnerungen schossen in Joey hoch, als er dort stand. Was sollte er jetzt machen? Er wollte Kaiba nicht ansprechen, wollte warten, bis dieser auf ihn zukam. Also schnappte er sich Tristan, der etwas getrödelt hatte und erst jetzt das Klassenzimmer betrat. Schnell legte er den Arm um seinen Hals und trat mit ihm ein. Tristan wirkte leicht überrascht.

"Was ist?"

"Ähm, na ja." Eilig zog Joey an Kaiba vorbei und eilte durch die Tischreihen, Tristan mit sich ziehend. Dann, als er in Sicherheit war, zog er den Arm zurück und grinste. "Ach nichts."

"Höh?" Verdattert blieb Tristan stehen und Joey ließ sich auf seinem Platz nieder. Und nachdem er noch ein bisschen irritiert herumgestanden hatte, zuckte er mit den Schultern und trödelte zu seinem Platz. Joey beobachtete in der Zwischenzeit wieder Kaiba. Und seinen brodelnden Augen war deutlich zu entnehmen, dass er mit den jetzigen Zuständen nicht zufrieden war. Er war kein Junge für ein Mal. Was dachte sich Kaiba nur? Er seufzte schwer

und ließ sich tiefer in den Stuhl sinken. Dort angekommen, bettete er die Wange auf den Tisch und döste etwas. Nun ja, vielmehr schmollte er. Er hatte es gewusst! Jetzt tat Kaiba so, als wäre gestern überhaupt nichts passiert! Er hob die Hand und rieb sich den Hals. Es war aber etwas passiert und daran ließ sich nichts ändern. Stand Kaiba nicht zu seinen Entschlüssen? Vielleicht war es ja auch nur spontan über ihn gekommen. Und warum sollte er nicht einfach mal über ihn herfallen?

Joey verwühlte das Gesicht zwischen seinen Armen. Er hatte ihn noch weniger beachtet, als sonst. Sogar noch weniger, als schon die Freundschaft zwischen ihnen bestand. Nein, Joey stöhnte wieder, Kaiba würde nicht zu ihm kommen. Und die Freundschaft konnte er sich mal pusten! Oh ja, es war herrlich gewesen und trotzdem fühlte sich Joey etwas benutzt.

Vermutlich schlief er dann einfach ein. Er bemerkte es nicht und blickte erst auf, als die angenehme Pausenmelodie ertönte. Verdattert richtete er sich auf und blickte sich um.

War die Stunde schon vorbei?

Die Hälfte der Schüler hatte den Raum nun schon verlassen, Kaiba war natürlich auch schon weg. Nur Yugi, Tea und Tristan standen naserümpfend vor ihm.

"Wie kann man nur im Unterricht schlafen!", tadelte Tea, jedoch so leise, dass es der Lehrer nicht mitbekam, der hinter seinem Pult saß und ebenfalls etwas abwesend auf einen nicht existierenden Punkt starrte. Er hatte während des Sprechens ja auch fast geschlafen. Wie hätte er denn bemerken können, dass sich einer seiner Schüler nicht im Unterricht befand, sondern im Traumland. Das mit den bunten Blümchen und so.

"Ach, verdammt noch mal!" Hastig kam Joey auf die Beine, grabschte nach seinen Büchern und stopfte sie in seine Tasche.

"Es ist doch jedes Mal dasselbe." Tristan schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
 

"Ethik war wieder so aufregend!", freute sich Tea, als sie nach der nächsten Stunde in den Gang hinaustraten. "Es war aufregend und interessant!"

"Was war aufregend." Duke lugte keck zu ihr. "Der Unterricht oder der neue Lehrer."

"Der...", Tea fuhr erschrocken zu ihm herum, "... der Unterricht natürlich!"

"Na klar." Duke gluckste leise und hob abwehrend die Hände. Dann wurde er auf Joey aufmerksam, der wohl das längste Gesicht seit einigen Stunden zog. Er starrte frustriert auf den Boden und rieb sich die Hände.

"Hey, du." Duke rempelte ihn kameradschaftlich an und Joey stolperte beinahe. "Alles klar?"

Hastig suchte der junge Mann nach dem Gleichgewicht, rappelte sich wieder auf und ballte die Hände zu Fäusten. Er schnaubte wie ein wild gewordener Stier und drängte Duke an die nächste Wand.

"Ob alles klar ist?!", rief er. "Ich habe schlecht... ähm... ich habe eben geträumt und bin unausgeschlafen! Hinzukommend werde ich mir heute eine sehr, ja, seeehr schlechte und böse Note besorgen und", Joey zog die Nase hoch und ließ die Arme sinken, "und Kaiba tut so, als wäre ich gar nicht da!", stöhnte er erschöpft und wandte sich zermürbt ab. Und Duke wusste auch nicht so recht, was er davon denken sollte. Verwirrt schraubte er eine Augenbraue höher und kratzte sich an der Wange.

"Ich habe dir doch gesagt, dass er ein Idiot ist!", versuchte er Joey nach einem kurzen Zögern zu trösten. "Aber du konntest ja nicht auf mich hören und jetzt kannst du sehen, was du davon hast!" Er schnippte sich eine Strähne von der Stirn. "Nimm's nicht so schwer."

"Kein Problem." Joey fuchtelte entnervt mit den Händen und wandte sich ab. "Geht schon mal vor. Ich komme gleich nach, will noch ein bisschen heulen und so."

Mit diesen Worten schlenderte er davon und verschwand hinter der nächsten Ecke. Die kleine Gruppe sah ihm anteilnehmend nach.

"Der Ärmste." Yugi seufzte. "Hat er sich mit Kaiba gestritten?"

"Was weiß ich!" Duke zuckte desinteressiert mit den Schultern.

"Vielleicht hat er auch zu Hause Ärger?", grübelte Tea.

"Blödsinn!", stöhnte Duke.

"Wohin geht er denn?" Tristan sah sich um.

"Bleibt ruhig." Duke wandte sich auch zum Gehen um. "Wenn er Hunger hat, kommt er zurück."
 

Abwesend starrte Joey auf das Wasser, das über seine Hände lief. Er stand in den Räumen der Schultoilette und beugte sich über das Waschbecken. Er hatte keine Lust, in den Hof zu gehen, keine Lust, Kaiba zu sehen. Er wollte einfach nur hier stehen. Die anderen Schüler waren nun draußen. Sicher lachten sie und so weiter. Er stellte den Wasserhahn aus und richtete sich auf. Kurz betrachtete er sich im Spiegel, dann griff er nach einigen Tüchern, rupfte sie aus dem Automat und trocknete sich die Hände ab.

Womit hatte er das nur verdient?

Vortrag weg.

Kaiba weg.

Es müsste ein Wunder geschehen, damit er wieder lachen konnte.

Gähnend wandte er sich ab und schlenderte auf die kleinen Kabinen zu. In einer von ihnen verschwand er.

>Habe ich irgendetwas verbrochen, wovon ich nichts weiß?< Er schloss die Tür hinter sich, fuhr sich furch die Haare und lehnte sich gegen die kühle, gekachelte Wand. >Die letzten Tage konnte ich in vollen Zügen genießen. Außer ein paar wenigen Sorgen hat mich nichts belastet. Kaiba.< Er ließ den Blick sinken und starrte auf den Boden. >Zuerst war er eklig zu mir, dann freundeten wir uns an, kamen uns sogar noch näher. Ja, viel näher. Anders kann man das, was gestern passiert ist, nichts nennen. Aber was zur Hölle soll ich jetzt machen?< Er stöhnte erschöpft und rappelte sich wieder auf. >Ich gehe jetzt raus, brauche frische Luft.<

Er setzte erneut zum Gähnen an, tastete nach dem kleinen Knauf und schob die Tür auf. >Frische Luft.< Auf den Boden starrend, trat er aus der Kabine. Doch plötzlich erspähte er zwei Schuhe, die direkt vor ihm standen. Sofort hielt er inne. Und eine blaue Hose. Eine Hose der Schuluniform. Joey verzog das Gesicht, öffnete den Mund und blickte langsam auf. Kaiba stand vor ihm. Die blauen Augen waren scharf auf ihn gerichtet. Joey schluckte schwer und starrte zurück.

>Was... jetzt?< Joey öffnete den Mund.

Sie standen nur kurz voreinander, dann trat Kaiba vor und er wich zurück. Kaiba ging weiter und letzten Endes stand Joey wieder in der kleinen Kabine. Noch immer hafteten ihre Blicke aneinander. Kaiba fixierte ihn weiterhin, zog an ihm vorbei wie ein lauernder Wolf. Während er dann langsam die Hand hob und die Tür schloss, lehnte sich Joey wieder gegen die Wand.

Was tat Kaiba? Was hatte er vor?

Nun ließ Kaiba die Hand von dem Knauf rutschen und trat näher an Joey heran. Dann plötzlich hob er die Hände und stemmte sie zu beiden Seiten seines Kopfes gegen die Wand. Joey wusste nicht, was er tun, geschweige denn, sagen sollte. Er presste sich gegen die Fliesen und Kaiba neigte sich nach vorn, bis sich ihre Gesichter wieder sehr nahe waren. Irritiert besah sich Joey Kaibas Augen. Das Linke, das Rechte. Ein kitzelnder Atem strich über sein Gesicht und wieder schluckte er. Nur wenige Zentimeter lagen zwischen ihren Gesichtern und diesmal brachte diese Tatsache Nervosität mit sich. Gestern war er angetrunken gewesen.

Doch nun?

Kaiba schwieg noch eine lange Zeit, fixierte ihn scharf und ernst. Erst nach wenigen Minuten atmete er tief ein.

"Wie geht's jetzt weiter", flüsterte er und behielt den Blickkontakt noch immer aufrecht. Doch Joey entfloh ihm und starrte wieder auf den Boden. Noch immer lagen die Hände zu beiden Seiten seines Kopfes an den Fliesen, er konnte sich nicht abwenden.

>Was es weitergehen soll?< Joey schluckte und blickte langsam auf, er wirkte etwas ungläubig, als er den Blickkontakt wieder aufbaute. >Wie es weitergehen soll? Na, was soll ich denn sagen?<

Kaiba wartete.

>Ich glaube... er hat es also ernst gemeint? Er wollte mich nicht fallen lassen?<

"Warum fragst du so etwas?" Joey hielt dem stechenden Blick stand und begann seine Hände zu reiben.

"Weil ich es wissen will?", erwiderte Kaiba ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich habe kaum geschlafen."

Joey hob die Augenbrauen.

"Hast du nachgedacht?"

Kaiba nickte flüchtig.

"Und... über was hast du nachgedacht?" Allmählich entspannte sich Joey in dieser kniffligen Lage.

"Über gestern", antwortete Kaiba in einem Tonfall, den Joey nicht gewohnt war.

"Ah..." Er öffnete überrascht den Mund. Jetzt fühlte er sich überrumpelt, wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Er blinzelte, biss sich auf die Unterlippe und atmete tief ein. Er spürte den Blick regelrecht, der unbarmherzig auf ihn gerichtet war. Diese plötzlichen Geschehnisse überforderten ihn. Vor wenigen Minuten hatte er noch geglaubt, Kaiba hätte ihn

ausgenutzt um sich ein bisschen zu vergnügen. Und jetzt?

Zögernd wandte Joey den Blick ab, legte die Hände an die kahlen Fliesen und starrte auf den Boden. Die eigenen Gefühle waren ihm seit geraumer Zeit kein Geheimnis mehr.

Zitternd atmete er ein, seine Fingerspitzen fuhren über die Kacheln.

>Scheiß drauf! Wenn nicht jetzt, wann dann!<

Er atmete tief ein, hob zögerlich die Hände und legte die Arme stockend um Kaibas Rücken. Noch nie war er auf eine Beziehung eingegangen. Es hatte viele Mädchen gegeben, die daran gern etwas geändert hätten. Doch Joey hatte sich immer zurückgezogen. Noch nie war er verliebt, oder gar mit jemandem zusammen gewesen.

Vorsichtig faltete er die Hände ineinander und blickte auf. Kaiba atmete tief durch und senkte den Kopf; seine braunen Strähnen kitzelten Joeys Gesicht. Dessen Lippen zuckten kurz unter einem Grinsen.

>Ja, verflucht noch mal! Die Nachteile will ich nicht sehen!<

Joey blickte bedächtig auf, schob sich durch Kaibas Haare und berührte seine Nasenspitze mit der eigenen. Dann tastete er nach Kaibas Mund und schenkte ihm einen knappen Kuss.

"Was aus uns werden soll?" Joey schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen Kaibas Wange. "Viel. Sehr viel."

Langsam löste Kaiba die Hände von den Fliesen, ließ sie auf Joeys Schultern hinabsinken und tiefer wandern. Anschließend glitten sie über seinen Rücken, umfassten ihn und zogen seinen Leib nach vorn. Gleichzeitig zog Joey seine Arme zurück, hob sie und schlang sie um Kaibas

Hals. Ohne ein weiteres Wort, kamen sie sich näher. Joey schob sich Kaiba entgegen, legte den Kopf schief und öffnete bereitwillig den Mund. Doch in dieser Sekunde ertönte ein lautes Geräusch, jemand öffnete die Tür und trat ein. Die beiden hielten inne. Joey entließ Kaiba nicht aus der Umarmung und blickte auf. Kaiba ließ den Kopf auf seine Schulter sinken und räusperte sich leise. Laute Schritte ertönten, dann ein Husten, dann folgte Stille. Joey hielt

die Luft an, nebenbei kraulte er Kaibas Nacken. Dann plötzlich ertönte Plätschern. Joey unterdrückte ein leises Lachen, presste die Wange gegen Kaibas Hals und hielt ihn fester.

Er wollte ihn nie wieder loslassen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, ihn zu umarmen. Und er spürte Kaibas Atem auf seiner Haut! Während es plätscherte und plätscherte, schloss er die Augen und atmete tief ein. Es dauerte keine all zu lange Zeit, bis wieder die Schritte ertönten. Dann donnerte die Tür. Und wie auf Befehl, erwachten die Beiden wieder zum Leben. Kaiba blickte auf und Joey wandte sich zur Seite. Und dann begannen sie sich wieder zu küssen, so wie gestern. Doch diesmal konnte es Joey in vollen Zügen genießen und er würde nicht für eine Unterbrechung verantwortlich sein. Bei Gott! Das würde er nicht. Er erwiderte die Küsse fordernd und spielte mit Kaibas Zunge. Und wieder staunte er über dessen Künste, was diese Dinge anbelangte. Er wurde fest umarmt, festgehalten, von zwei starken Armen. Was wollte er mehr?

Bald presste Kaiba ihn gegen die Wand, seine Hände fuhren schnell unter sein Hemd, schoben es höher und glitten zärtlich über seinen Rücken. All zu viel Zeit blieb ihnen jedoch nicht. Denn nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür erneut und die schlürfenden Schritte der Putzfrau ertönten, die in den Hofpausen ihre Arbeit tat. Hastig wand sich Joey in dem festen Griff, löste die Hände aus Kaibas Jackett und schob dessen Gesicht höher. Kaiba

wehrte sich nicht dagegen, richtete sich auf und schenkte Joey einen letzten langen Kuss. Joey schnurrte genießerisch, biss zurück und atmete dann auf. Kaiba ließ wieder das Gesicht sinken, tat es ihm gleich und trat langsam zurück. Ihre Hände tasteten nacheinander, umfassten sich. Joey grinste noch immer, als er Kaibas Hand drückte und einen Gegendruck verspürte. Währenddessen begann die Putzfrau schon zu stöbern und eben zu putzen. Nun

mussten sie sich also vorerst verabschieden. Joey fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und blickte scheu auf. Als leiser Lärm ertönte, neigte sich Kaiba noch einmal zu Joey und legte das Kinn auf seine Schulter.

"Kommst du heute wieder?", flüsterte er leise in sein Ohr.

"Ja", antwortete Joey ohne zu zögern. "Ach... ähm welcher Tag ist heute nochmal?"

"Samstag", murrte Kaiba. "Sag bloß, du hast das vergessen."

"Nein." Joey grinste. "Ich muss heute wieder arbeiten."

"Du musst nicht lange bleiben." Kaiba neigte sich wieder nach vorn. Sie tauschten noch ein kurzes Küsschen und Joey machte sich auf den Weg. Sie hielten sich an der Hand so lange sie es vermochten. Joey schob hinterrücks die Tür auf und hielt Kaibas Hand. Dann glitten beide ab und Joey trat aus der Kabine. Kaiba blieb vorerst stehen und wartete. Joey schenkte ihm ein knappes Lächeln, dann schloss sich die Tür wieder und Joey wandte sich locker ab. Doch

auf einmal stand ein Wassereimer vor ihm. Er stolperte über ihn, machte einen großen Satz und fand so das Gleichgewicht zurück. Doch der Eimer war gekippelt und nun breitete sich eine große Pfütze auf den Fließen aus; der Putzfrau starrte ihn grimmig an.

"Ups? Sorry." Joey gluckste leise, drehte sich um und verließ die Schultoilette.
 

Mit einer gründlichen Verspätung trat er auf den Schulhof hinaus, blieb stehen und sah sich um. Schreiend rannten ein paar Fünftklässler an ihm vorbei, sie warfen mit Steinen und einer rempelte ihn an. Joey rollte mit den Augen, ging weiter und fuhr sich über die Stirn.

>Merkwürdig, ich fühle mich, als wäre gerade überhaupt nichts passiert. Kann es sein, das ich es als eine Art Normalität ansehe? Nicht, das es die Normalität wäre. Aber ich bin weder aufgeregt noch nervös. Ich finde es einfach toll.<

Joey schlenderte über den Hof und steuerte auf seine kleine Gruppe zu, diese sah ihn schnell näher kommen und Yugi winkte.

"Wo warst du denn die ganze Zeit?" Duke spuckte einen Kaugummi zur Seite und schob sofort einen Neuen nach. "Wir dachten schon, du liegst irgendwo im Flur und schläfst." "Haha." Joey lachte lustlos und rieb sich den Hals.

Den Hals…!

Nach der ersten Berührung stoppte er. Wo zur Hölle war das Tuch? Mit großen Augen sah er

sich um. Doch die anderen sahen nicht so aus, als hätten sie die Spuren seiner Abenteuer gesehen. Nur Bakura starrte ihn leicht irritiert an. Joey lachte nervös, ließ die Hand auf dem Hals liegen und sah sich um. Wo war das Tuch! Er zögerte nicht lange, schlüpfte aus dem Jackett und band sich die Ärmel um den Hals.
 

Nach wenigen Minuten machten sie sich wieder auf den Weg in die Schule. Joey konnte nicht mehr an Kaiba denken. Vielmehr sorgte er sich um die Stunde, die ihn nun erwartete. Herrje, das Referat! Konnte er sich eine schlechte Note in Gemeinschaftskunde leisten?

Als er mit den anderen durch den Gang schlenderte, blähte er die Wangen auf.

"Wie konnte ich das nur vergessen?", maulte er, als er das Klassenzimmer betrat. "Ich meine, das war doch wichtig!"

"Vielleicht lässt dich die Lehrerin das Referat noch nachholen?", versuchte Tristan ihn zu trösten.

"Das glaubst du doch wohl selbst nicht." Joey ließ Tristan weiterschlendern und blieb vor Kaibas Tisch stehen. Dieser war überhaupt nicht auf der Hofpause gewesen, saß nun vor ihm und betrachtete ihn Stirnrunzelnd.

"Du hast dein Referat vergessen", schloss er.

"Oh Gott." Joey stöhnte schmerzvoll auf und stützte sich auf den Tisch. "Ich kam einfach nicht dazu, hab es einfach vergessen."

"Was jetzt." Kaiba legte den Kopf schief. "Kamst du nicht dazu oder hast du es vergessen."

"Beides." Joey ließ den Kopf sinken. "Ach, was weiß ich. Tatsache ist, ich habe es nicht und bekomme jetzt mächtigen Ärger."

Kaiba schwieg kurze Zeit, beobachtete ihn und saugte an seinen Zähnen.

"Nur damit du es weißt", sagte er dann und grabschte nach seiner Tasche, "das wird nicht noch einmal vorkommen!"

"Was wird nicht noch einmal vorkommen." Joey blickte verwundert auf. Kaiba antwortete nicht, wühlte kurz in seine Tasche und zog dann einige Blätter hervor, die in einer Klarsichthülle steckten; Joey hob verdattert die Augenbrauen und Kaiba drückte ihm sein Referat in die Arme.

"Du... gibst mir dein..." Joey konnte es nicht fassen. Ungläubig starrte er auf die sauberen Stichpunkte und öffnete sprachlos den Mund. "Oh, wie kann ich dir nur dafür danken!"

"Indem du es nicht so auffällig in die Luft hältst", brummte Kaiba und lehnte sich wieder zurück. "Wenn das auffliegt, bekommen wir beide Ärger."

"Ups? Okay... gut." Joey ließ die Blätter sinken und präsentierte Kaiba sein schönstes Lächeln. "Danke."

Kaiba blickte auf und traf auf seinen Blick.

"Ich werde mich irgendwann erkenntlich zeigen, ja?"

Kaiba nickte leicht und wies mit einer knappen Kopfbewegung zur Seite. Da trat gerade die Lehrerin ein und das hieß, dass sich Joey jetzt ganz schnell aus dem Staub machen sollte. Er zwinkerte Kaiba zu, fuchtelte mit dem Referat und schlenderte davon. Während er zu seinem Platz trödelte, warf er einen kurzen Blick auf die Stichpunkte, überflog sie kurz.

Exterritorial?

Abbreviatur?

Abecedarium?

Abjudikation?

Kardinalskongregationen??

Und was Zur Hölle war ein Opportunitätsprinzip...?!

Joey ließ sich nieder. Hoffentlich fragte die Lehrerin nicht nach der Bedeutung dieser Worte! Er, nun, er hatte keine Ahnung, was sie zu bedeuten hatten. Doch zu seinem Glück fragte niemand. Joey trug alles fein säuberlich vor und hatte bei machen Worten das Gefühl, das auch der Lehrerin deren Bedeutung fremd war. Und sie fragte auch nicht, um sich zu blamieren, obwohl sie es klug hätte anstellen können. Bei manchen Worten blieb Joey hängen, andere sprach er völlig falsch aus und meistens kam aus Kaibas Richtung ein leises Stöhnen. Ohne das Wissen, worüber er jetzt konkret ein Referat gehalten hatte, ließ

Joey letzten Endes die Blätter sinken und grinste nervös. Und er bekam ein B! Joey war darüber sehr zufrieden, aber Kaiba meinte, dass bei seinem Referat ein A gegeben werden müsste! Zum Glück konnte er sich nicht beschweren gehen. Unauffällig gab Joey ihm die Zettel zurück und verfolgte den Unterricht von nun an mit einer großen Entspannung. Das

furchtbarste hatte er jetzt also hinter sich gelassen. Also konnte er jetzt wieder schlafen. Seine Freunde hatten schnell herausgefunden, von wem Joey das Referat bekommen hatte. Yugi meinte, das er schon immer gewusst hätte, dass Kaiba gar kein so schlechter Mensch wäre. Und die anderen sagten dazu gar nichts.

Dann ging die Schule ihrem Ende zu und Joey fuhr gleich mit Kaiba mit. Samstag. Heute Abend und morgen Abend würde er wieder an der Tankstelle arbeiten. Natürlich wäre er lieber das ganze Wochenende bei Kaiba, aber es gab eben Dinge, die Priorität genossen.
 

Schweigend ruhte Joey auf dem großen Sofa. Er hatte sich quer gelegt und den Kopf auf Kaibas Schoß gebettet, dessen Finger spielten mit seinen Haaren. Sie fischten nach einzelnen Strähnen und verdrehten sie. Joey betrachtete die helle Decke, die geschwungenen Ornamente. Sie schwiegen seit fast fünfzehn Minuten und es war wundervoll. Er spürte keine Nervosität. Es fehlte ihnen nicht an Gesprächsstoff, aber sie schwiegen trotzdem, genossen die Stille und gingen

ihren Gedanken nach.

>Merkwürdig.< Joey faltete die Hände auf dem Bauch und atmete tief ein. >Ich fühle mich überhaupt nicht, als wäre ich erst heute mit Kaiba zusammengekommen. Es kommt mir vor, als wäre es schon vor langer Zeit passiert. Zwischen uns besteht ein unbeschreibliches Verständnis. Wir könnten nicht zusammen sein, wenn dem nicht so wäre.<

>Ich muss heute Abend in Mokubas Schule<, dachte sich Kaiba während er gemächlich durch Joeys Schopf fuhr. >Ich mag diese Elternabende nicht. Aber was soll ich machen?<

>Ich glaube, das wir richtig gut zusammenpassen.< Joey lächelte und wandte den Blick von der Zimmerdecke ab. >Am liebsten würde ich immer bei ihm sein. Ich möchte ihn ständig um mich herum haben und ihn jederzeit umarmen können.<

>Hoffentlich höre ich nichts schlechtes.< Kaiba legte den Kopf zurück. >Wenn es so sein sollte, werde ich mal ein ernstes Gespräch mit ihm führen.<

>Ich liebe ihn.<

>Es kann nicht sein, das sich Mokuba hängen lässt. Die Schule ist wichtig!<

Joey atmete tief ein, drehte das Gesicht zur Seite und beobachtete Kaiba. Dieser schloss die Augen, die leichten Bewegungen seiner Hand erstarben.

"Woran denkst du?", erkundigte er sich.

Die Hand löste sich aus seinem blonden Schopf und Kaiba hob den Kopf, um seinen Blick erwidern zu können. Doch er sagte nichts, sah Joey einfach nur an und schwieg. Dann wollte er die Hand zurückziehen, doch Joey griff nach ihr und hielt sie sanft fest. Kaiba antwortete nicht und Joey räkelte sich bis er wieder gemütlich auf seinem Schoß lag. Anschließend begannen sie mit ihren Händen zu spielen. Sie falteten sie ineinander und tasteten. Nach wenigen Minuten hob

Joey die zweite Hand, umschloss die von Kaiba und zog sie zu sich hinunter. Er hielt sie weiterhin fest, legte sie an seine Lippen und küsste sie. Kaiba beobachtete ihn kurz dabei, dann neigte er sich weit nach vorn und beugte sich zu Joey hinab. Dieser blickte auf, ließ seine Hand sinken und grinste keck. Kaiba erwiderte das Grinsen, beugte sich noch tiefer hinab und küsste ihn. Joey hob das Gesicht an und drückte seine Hand. Sie lösten sich des Öfteren voneinander und küssten sich dann wieder. Joey schloss die Augen, als er Kaibas Lippen wieder spürte. Kurz darauf wurde zärtlich nach seiner Unterlippe geschnappt. Joey gluckste leise, doch dann richtete sich Kaiba etwas auf, hielt inne. Joey wartete kurz, doch als es nicht weiterging, öffnete er die Augen.

"Was ist? Mach weiter."

Doch Kaiba schüttelte den Kopf und lehnte sich wieder zurück.

"Nicht ratsam. Wir bekommen Besuch."

"Was?"

"Überraschung!!" Plötzlich neigte sich Mokuba neben Kaiba über die Lehne und grinste ungestüm. "Hab ich euch erschreckt?"

Kaiba wohl weniger. Aber Joey hatte fast einen Herzinfarkt bekommen. Mit geweiteten Augen starrte er den Jungen an und presste Kaibas Hand so sehr er konnte. Mokuba lachte und Kaiba gähnte. Sie hatten sich nicht von der Stelle geregt. Joey lag noch immer auf Kaibas Schoß und hielt seine Hand. Kurz betrachtete sich Mokuba Joeys merkwürdige Position, doch dann grinste er

wieder.

"Döst ihr herum? Ich will mitmachen!" Mit diesen Worten rannte er um das Sofa herum, sprang über Joey hinweg und kuschelte sich neben ihn an die Lehne. Dort grabschte er nach einem Kissen und verwühlte sich etwas. Joey lag noch immer etwas verspannt dort. Doch allmählich beruhigte er sich. Zögerlich ließ er Kaibas Hand los und atmete tief ein. Und er dankte Gott, das Mokuba zu jung und somit zu naiv war, um sich über dieses Herumdösen, welches er hier mit Kaiba betrieb, Gedanken zu machen oder gar den Grund zu erkennen.
 

Mokuba war wie eine Klette. Er blieb einfach liegen und begann kurze Zeit später über alles zu erzählen, was er in den letzten Tagen erlebt hatte. Er erzählte von seiner Lehrerin, von bösen Schülern, die in höhere Klassen gingen und nebenbei erfuhren Kaiba und Joey von der Lebensgeschichte seines Freundes Bikky. Und dafür konnten sich die beiden nicht interessieren, so sehr sie sich auch anstrengten. Nach einer weiteren halben Stunde, in der sich Mokuba den Mund fusselig geredet hatte, musste Joey los. Samstag und Sonntag arbeitete er an der Tankstelle, bis spät abends. Und da seine Schicht in einer Stunde begann, verabschiedete er sich schweren Herzens. Er musste noch einmal nach Hause, und auch der Weg zur Tankstelle, würde seine Zeit brauchen. Und Joey wollte nicht zu spät kommen. Da Mokuba während des Abschiedes mit großen Augen neben ihn stand, blieb es bei einer Umarmung. Und dann trödelte Joey davon.
 

Er war bei guter Laune, als er pünktlich bei seinem Job erschien, sich kurz umzog und sich anschließend über die dreckigen Autos hermachte. Meistens wenn er hier war, wusch er Autos. Es kam nur selten vor, das man ihn an die Kasse ließ. Aber es geschah auch oft, dass er alten Frauen beim Einparken helfen musste. Im Großen und Ganzen fand er jedoch Spaß an seiner Arbeit. Und er erledigte sie zufrieden stellend.

Es war wohl zehn Uhr, als er in nassen Kleidern an das letzte Auto herantrat. Seine Schicht ging noch bis um eins. Aber das machte ihm herzlich wenig aus. Obwohl er schon fünf Autos vom Dreck befreit hatte, bearbeitete er dieses mit nicht weniger Eifer. Zu dieser späten Stunde war es schon etwas kühl und Joey fror ein bisschen. Heute hatte er sich nicht absichtlich nass gemacht, aber wenn man mit diesem dummen Schlauch herumhantierte, der hinzukommend ein Eigenleben zu entwickeln schien, dann ging schon einmal was daneben.

Gähnend hockte sich Joey auf den kühlen Boden und begann den Wagen mit Wasser zu besprenkeln. Er war schon ziemlich müde, würde vielleicht schon eher gehen, wenn man es ihm erlaubte. Wieder begann er zu werkeln, zu wischen und zu scheuern. Es war um elf, als er sich letzten Endes an die Reifen ranmachte. Wieder gähnte er, wischte sich den Dreck und den Schweiß von der Stirn und sah sich suchend nach der Bürste um. Er drehte sich zur rechten Seite, dann zu Linken und dann wieder zu rechten. Und was erschrak er, als plötzlich Bakura vor ihm stand. Wie aus dem Nichts war der Junge aufgetaucht! Und jetzt stand er da und starrte ihn an. Joey war nach hinten gekippt und saß nun in der schaumigen Pfütze.

"Bakura?" Er versuchte sich zu beruhigen, atmete tief ein und rappelte sich dann etwas auf. "Wo kommst du denn her?"

"Aus der Bibliothek", antwortete Bakura und schulterte seine Tasche. "Da habe ich dich gesehen und dachte mir, da schau ich mal vorbei."

"Na klar." Joey grinste und stand auf. Igitt, das kalte Wasser lief seine Beine hinab. Nun war er also bis auf die Haut durchnässt. Er schüttelte den rechten Fuß, dann den linken. Anschließend blickte er auf. "Du gehst so spät noch in die Bibliothek?"

"Natürlich, wir schreiben am Montag eine Arbeit und ich hatte nicht genug Lernstoff zuhause."

"Eine Arbeit?" Sofort wurde Joey hellhörig.

"Ja, die schreibt ihr aber erst später."

"Puh." Joey stöhnte erleichtert, bückte sich und griff nach dem Schlauch. Bakura beobachtete ihn aufmerksam, als er ihn zusammenrollte und an den Haken zurückhängte. Anschließend suchte Joey wieder nach der Bürste. Als er sie jedoch nicht fand, bemerkte er, wie er angestarrt wurde. Verwundert erwiderte er den Blick und hob die Augenbrauen.

"Was ist?"

"Es geht mich ja nichts an", Bakura zuckte mit den Schultern und zog die Tasche höher, "aber du solltest", er wies auf den eigenen Hals, "vielleicht ein Tuch umbinden."

"Wa...?" Reflexartig hob Joey die Hände und verdeckte den viel sagenden Fleck.

"Ist ganz schön auffällig, weißt du?"

"Ähm... ach ja?" Joey grinste verhalten und kämpfte gegen den Schock an. Bakura hatte die Bissstelle gesehen, schien sich aber nicht dafür zu interessieren.

"Ich gehe dann mal wieder", verabschiedete er sich nur und wandte sich ab.

"Ja, tschüss." Joey hob langsam die Hand und sah Bakura davon schlendern, doch nach wenigen Schritten blieb der Junge stehen und drehte sich wieder zu ihm um.

"Und du solltest dir trockene Sachen anziehen", predigte er. "Tagsüber ist es zwar schön warm, aber nachts ist es gefährlich, so herumzulaufen. Du holst dir bestimmt eine Erkältung."

"Ach." Joey lachte verhalten. "Ich werde nicht so schnell krank."

"Na schön." Bakura wackelte mit dem Kopf und bummelte davon.
 

Am nächsten Tag sah Joey Kaiba nicht mehr. Er stand spät auf und machte sich frühzeitig auf den Weg. Heute am Sonntag, arbeitete er nur bis um elf Uhr. Das hatte sein Chef beschlossen, da er am Montag wieder in die Schule musste und seinen Schlaf brauchte.

Es war ein glühend heißer Tag und Joey war wieder leichtsinnig, indem er erneut mit einem ärmellosen Hemd die Autos putzte, sich nass machte und kurz vor Feierabend fror. Bakuras Warnung übersah er einfach. Und er übersah sie so sehr, dass er sich nicht einmal einen warmen Pullover mitgenommen hatte. Also ging er wieder in dünnen Kleidern nach Hause.
 

Dann brach der nächste Tag an. Die Vögel zwitscherten heiter und hüpften durch die Baumkronen, Blümchen wogen sich im Wind, die Hunde sprangen verspielt über die Wiesen, Menschen lachten, Kinder spielten Hasche... und Joey schrie.

"Ver... verdammter! Mist!" Erschrocken fuhr er in die Höhe, rollte sich über die Matratze und grabschte nach seinem Wecker. Keuchend warf er einen Blick auf die Uhrzeit... doch dann stoppte er, starrte den Wecker verdutzt an und schüttelte ihn. Also entweder besaß dieses verblödete Teil die Frechheit, einfach stehen zu bleiben, oder...

Joey blickte verdutzt auf. Seit wann wachte er denn auf, bevor sein Wecker seinen Dienst tat? Unglaublich, er war wirklich eine Stunde früher aufgewacht. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Hastig warf Joey den Wecker zur Seite und vergrub sich wieder unter seiner Decke. Er wollte weiterschlafen, hatte keine Lust, so früh aufzustehen. Draußen war es noch nicht einmal richtig hell! Doch nachdem er sich ein paar Mal gewendet und gerollt hatte,

bemerkte er, dass der Schlaf nun nicht mehr zurückkehren würde. Also blieb ihm nichts anderes übrig. Ein paar Minuten lag er faul auf seiner Decke, streckte sich und starrte vor sich hin. Dann rollte er mit den Augen, stöhnte und rappelte sich auf.
 

Diesen Tag erlebte er mit großer Freude und Heiterkeit. Er lachte mit seinen Freunden, traf sich in der Hofpause mit Kaiba auf der Schultoilette und schmiss den Eimer der Putzfrau diesmal wirklich um. Aber er lachte wieder nur und die dicke Frau schüttelte ergrimmt die Fäuste. Joey war aber auch etwas unzufrieden darüber, dass er Kaiba nicht jeden Tag besuchen konnte. Wie gern würde er heute seine Schicht im Lawell schwänzen und sich davonstehlen. Oh ja, wieder mit Kaiba auf dem Sofa liegen, schmusen, küssen...

Wenn er daran dachte, besaß nichts die Fähigkeit, seiner Laune Schaden zuzufügen.
 

"Einen Kaffee." Joey stellte die Tasse auf dem Tisch ab, neigte sich etwas nach vorn und grinste. Kaiba griff nach der Tasse und zog sie zu sich und während er sie dann hob und einen Schluck trank, klemmte sich Joey das Tablett unter den Arm und sah sich kurz um. Bedauerlicherweise erspähte er den dicken Chef, der ein Auge auf ihn hatte.

"Na gut." Joey seufzte. "Ich gehe dann mal wieder an die Arbeit."

"Mm." Flüchtig lugte Kaiba zu dem Chef und der Blonde machte, dass er weiterkam. Als ein lautes "Hatschi!!" ertönte, wandte er sich ab und beobachtete Joey erneut. Dieser schüttelte den Kopf, rieb sich die Nase und verschwand in der Küche.
 

"Hatschi!"

Ja, das hörte Kaiba am nächsten Tag noch öfter. Am nächsten Morgen in der Schule erlebte er einen blassen Joey, der die Taschentücher um sich häufte und in einem Fort nieste. Vermutlich hatte sich über Nacht eine garstige Grippe angeschlichen. Aber außer dem Niesen und dem Schnäuzen war nichts zu hören. Vermutlich war es lediglich ein Schnupfen, den sich Joey wer weiß woher geholt hatte. Er meinte zwar, dass dies nichts Außergewöhnliches war, aber er wollte ihn trotzdem nach seinem Befinden fragen. Dazu kam er aber leider nicht, weil

Joey stets von seinen Freunden umtüddelt wurde. Und denen wollte er sich nicht nähern.

Joeys Zustand schien sich in den nächsten beiden Tagen zu verschlechtern. Am Mittwoch hatte sein Gesicht an Farbe verloren und sein Husten klang alles andere, als gut. Des Öfteren erlitt der arme Junge einen wahren Anfall und krallte sich an seinen Tisch, um vor Husten nicht vom Stuhl zu kippen. Manchmal drehte sich Kaiba zu ihm um. Joey hatte eine rote Nase und seine Bewegungen hatten etwas Unkontrollierbares an sich. Es kam zwar öfter vor, dass Joey über irgendetwas stolperte. Aber an diesem Tag lief er gegen alles und landete mehrmals auf dem Boden.

Und am Donnerstag! Herrje, da erkannte man Joey nicht wieder. Kaiba sah ihn nur kurz vorbeischlendern und hörte ein leises "Morgn". Dann kauerte sich Joey vor seinen Tisch, machte es sich gemütlich und schlief. Und nach der ersten Stunde ging er wieder nach Hause! Er schwänzte ganze sieben Stunden!
 

Dann kam der Freitag.

Frühzeitig wie immer, stand Kaiba auf, erledigte noch einige Kleinigkeiten und machte sich dann auf den Weg. Wie immer brachte er zuerst Mokuba in die Schule und fuhr dann zu seiner eigenen. Als er aus der Limousine stieg, standen die Schüler noch auf dem großen Platz. Sie unterhielten sich, lachten oder zogen lange Gesichter, was man verstehen konnte. Immerhin sahen sie ihren schrecklich anstrengenden Tag unausweichlich näher rücken. Und wenn das kein Grund war, dann kannten sie keinen anderen.

Kaiba schlug die Tür hinter sich zu, zog kurz sein Jackett zurecht und sah sich flüchtig um. Er wandte sich zur Seite und warf einen kurzen Blick zu der kleinen Clique, die, wie jeden Tag auch, an ihrer Bank stand und heiter tratscht. Joey war nicht dabei.

Er schenkte ihnen nur wenige Sekunden seiner Zeit, dann drehte er sich um und schlenderte auf die Schule zu. Nach der ersten Stunde hegte er die Hoffnung, Joey würde noch kommen. Dasselbe dachte er auch nach der Zweiten. Und als die dritte Stunde endete, war er noch

immer nicht aufgetaucht. Kaiba begann sich Gedanken zu machen. Und die Sache wurde für ihn nicht leichter, als er herausfand, dass die Lehrer von keinem ärztlichen Attest wussten. Also beschloss er spontan, nach der Schule direkt zu ihm zu fahren, nach ihm zu schauen. Da kamen jedoch Schwierigkeiten auf, denn es gab auch andere, die sich Sorgen um Joey machten. Yugi zum Beispiel. Doch diesem gab er schnell zu verstehen, dass nur er derjenige war, der zu Joey fahren würde!

"Es ist schön, dass du dich so um Joey sorgst", hatte der Junge nur gesagt und gelächelt. "Und ich finde es auch sehr schön von dir, das du nach ihm sehen..."

An mehr erinnerte sich Kaiba nicht, denn er hatte sich umgedreht und war gegangen, bevor ihm der Junge noch irgendetwas an den Kopf warf, das er überhaupt nicht vertrug.
 

~*to be continued*~

Angewiesenheit

Nachdenklich starrte er aus dem Fenster und betrachtete die Häuser, die an ihm vorbei glitten. Joey schien es doch ganz schön erwischt zu haben.

Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Die Limousine hielt vor dem bekannten Haus und Kaiba stieg aus. Nachher musste er in die Firma, also konnte er nicht allzu viel Zeit mit diesem Besuch verbringen. Eilig sprang er die Treppen hinauf, blieb vor der Tür stehen und klopfte. Aber kein Geräusch drang aus der Wohnung, kein einziger Laut. Kaiba stöhnte leise und stützte die Hände in die Hüfte. Und als er nach kurzem Warten wieder klopfte und keine Antwort erhielt, rieb er sich die Stirn. Er war ungeduldig, hatte keine Zeit zu verlieren.

Doch wo konnte Joey sein, wenn nicht zu Hause?

Er war nicht in der Schule und war auch nicht entschuldigt.

"Verflucht." Kaiba ließ die Hände sinken und rollte mit den Augen. So wie es aussah, war nicht einmal sein Vater daheim. Wieder fluchte er bevor er sich umdrehte, bereit, zu gehen. Was sollte er denn machen?

Auf einmal nahm er ein leises Geräusch hinter sich wahr und hielt inne. Die Tür öffnete sich nur langsam und dann erschien ein merkwürdiges Etwas im Türrahmen. Kaiba hob die Augenbrauen und trat langsam näher. Wenn man genauer hinsah, konnte man einen blassen Jungen erkennen, der in einen dicken Kapuzenpullover gekleidet und außerdem noch in eine noch dickere Decke gemummelt war.

"Joseph?" Kaiba neigte sich nach vorn und besah sich das Gesicht des Jungen genauer, auch die glasigen Augen, die ihn verwirrt anstarrten.

"Kaiba?" Joey öffnete den Mund, um Luft zu bekommen. Seine Stimme klang gedämpft und rau, sein Gesicht hatte an Farbe verloren und ein dicker Schweißfilm haftete auf seiner Stirn. "Was...", die Decke begann sich zu bewegen, Joey wühlte in seinen Hosentaschen, "... wo ist mein Taschentuch?"

Kaiba räusperte sich leise und beobachtete Joey weiterhin. Und nachdem sich dieser die rote Nase geputzt und sie die Kapuze vom Kopf gezogen hatte, blickte er wieder auf.

"Tut mir leid, dass ich nicht in der Schule war." Joey versuchte zu grinsen aber es misslang. "Aber...", er zwinkerte matt, "... mir geht es irgendwie nicht gut."

Mit diesen Worten tasteten seine zittrigen Hände nach der Decke und zogen sie fester. Anschließend wandte er sich ab und verschwand in der Wohnung.

"Komm doch rein."

Kaiba nickte, trat in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Er sah, wie Joey in seinem Zimmer verschwand, wankend und mit unsicheren Schritten.

"Seit gestern lieg ich im Bett und", ein Niesen ertönte, "oh, ich will sterben."

Als Kaiba Joeys Zimmer betrat, kauerte dieser auf der Bettkante und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

"Warst du bei einem Arzt?" Kaiba schlenderte näher und ließ sich letzten Endes neben ihm nieder. Joey drehte das Gesicht zu ihm, sah ihn kurz an und neigte sich dann in die entgegengesetzte Richtung.

"Wenn du so nahe bei mir sitzt, steckst du dich noch an."

"Ich werde nicht so schnell krank."

"Ja." Joey grinste müde und sank in sich zusammen. "Das habe ich auch gesagt, als Bakura mich gewarnt hat."

"Und warst du nun bei einem Arzt?"

"Neeeein." Jammernd ließ sich Joey zur Seite fallen. "Ich habe es ja versucht aber ich komme die Treppen nicht runter."

Stöhnend erhob sich Kaiba und blieb direkt vor ihm stehen. Joey schloss kurz die Augen, atmete tief ein und erspähte eine Hand, die sich seinem Gesicht näherte. Kaiba betastete seine Stirn und rollte unzufrieden mit den Augen.

"Rate mal." Joey blieb entkräftet liegen.

"Weiß ich doch nicht." Kaiba richtete sich wieder auf. "Ich weiß nur, dass das nicht gesund sein kann."

"39,8°."

"Ist dein Vater da, um sich um dich zu kümmern?"

"Ne." Joey tastete tollpatschig nach einem Kissen.

"Du warst nicht bei einem Arzt und hast auch keine Medikamente." Kaiba lugte zu ihm. "Wie willst du auf diesem Weg wieder gesund werden!"

"Weiß ich nich..." Joey presste sich das Kissen auf das Gesicht.

"Na gut", stimmte Kaiba seinen Entschluss an. "Dann kommst du mit zu mir und ich kümmere mich um dich."

"Was?" Das Kissen rutschte auf das Bett zurück und Joey starrte ihn mit großen Augen an. "Wirklich?"

"Ich kann dich nicht hier liegen lassen. Mein Arzt kann dich untersuchen."

"Ja?"

"Was machst du aber auch für einen Blödsinn!" Kaiba stöhnte. "Findest du dein Fieber etwa lustig? Du gehörst ins Bett, hast nicht herumzulaufen!"

"Ja..."

"Also komm." Kaiba fuchtelte mit den Händen, trat an Joey heran. "Steh auf. Deinen Vater kannst du später informieren. Los, los, wir haben nicht viel Zeit."

"Ja, aber die Treppen." Joey rappelte sich langsam auf. "Ich kann kaum laufen."

"Das schaffen wir schon."

"Aber", Schwerfällig kämpfte sich Joey in eine aufrechte Haltung, "ich muss doch meine Sachen packen."

"Nein, musst du nicht."

"Und... aber..."

"Komm schon." Kaiba beugte sich zu ihm hinab, schob die Hand unter seinen Arm und griff mit der anderen nach der Decke. Vorsichtig zog er ihn auf die Beine, zog die Decke mit sich und über Joeys Schultern.

"Danke." Joey klammerte sich an ihm fest, strauchelte kurz und ließ den Kopf hängen. Dann ließ er sich von Kaiba mitziehen. Starke Arme hielten ihn, halfen ihm beim laufen. Trotzdem fühlte er sich schrecklich und konnte dieses Gefühl der Geborgenheit kaum genießen. Kaiba brachte ihn geradewegs aus der Wohnung und Joey gelang es gerade noch, nach seinem Schlüssel zu greifen. Als sie in den Hausflur hinaustraten, zog Kaiba seinen Arm über die Schulter, hielt ihn fester und nahm ihm den Schlüssel aus der Hand. Joey war anzusehen, dass er sich am liebsten hinlegen würde. Er hing matt in Kaibas Armen und rang nach Sauerstoff. Kaiba schloss die Haustür ab, ließ den Schlüssel in seiner Hosentasche verschwinden und bettete die andere Hand stützend auf Joeys Brust.

"Komm schon, vorsichtig." Kaiba war ihm bei den Stufen behilflich. Joey stolperte oft und hätte er ihn nicht festgehalten, wäre er mehrmals zu Boden gegangen. "Na los, die wenigen Schritte schaffst du auch noch." Geduldig drückte Kaiba den jungen Mann an sich, stieg tiefer und zog ihn mit sich. Er hörte ihn vor Anstrengung schnaufen und als sie die Treppen endlich hinter sich gebracht hatten, bat Joey um eine kurze Pause.

"Nachher kannst du dich hinlegen." Nach einem kurzen Blick zu der Haustür, drehte Kaiba das Gesicht zu Joey und betrachtete ihn.

Der Junge sah krank aus. Sehr krank.

Es wurde höchste Zeit, dass er eine professionelle Behandlung bekam. Also ließ Kaiba ihm keine allzu lange Zeit, um sich zu entspannen. Nach wenigen Sekunden zog er ihn weiter, brachte ihn zu der Limousine.
 

Nachdem Kaiba den Chauffeur zur Eile angetrieben hatte, begann die Fahrt. Keuchend lehnte Joey an dem Fenster. Die Decke presste er an sich, seine Augen starrten glasig ins Leere. Des Öfteren warf Kaiba ihm knappe Blicke zu, kurz zog ihm auch die Idee durch den Kopf, Joey in ein Krankenhaus zu bringen. Doch diesen Gedanken vertrieb er schnell. Sein Arzt war gut, besser, als die überarbeiteten Brillenträger in diesen kahlen Räumen. Er würde Joey dem Arzt anvertrauen und anschließend sofort in die Firma fahren. Er hatte schon viel Zeit verloren. Doch das war es ihm wert. Er starrte nachdenklich aus dem Fenster, neben ihm ertönte der röchelnde Atem.

Joeys Zustand schien sich durch all die Bewegung verschlechtert zu haben. Ein pessimistisch eingestellter Mensch hätte meinen können, Joey würde gleich sterben. Doch der junge Mann hielt durch, bis die Limousine endlich vor der Villa hielt. Geschwind öffnete Kaiba die Tür, stieg aus und zog um den Wagen herum. Der Chauffeur hatte in der Zwischenzeit die andere Tür geöffnet und Joey fest gehalten, damit dieser nicht aus dem Wagen kippte.

"Soll ich ihn wieder tragen?", erkundigte er sich, während er den schwitzenden Jungen aufrecht hielt. Kaiba jedoch, schüttelte nur den Kopf.

"Sie warten hier."

"Jawohl." Der Chauffeur machte, dass er wegkam und Kaiba beugte sich über Joey. Diesem schien das Fieber so zu Kopf gestiegen zu sein, dass er nicht mehr anwesend war. Eine normale Grippe konnte das nicht sein. Es musste eine schwere Infektion in Joeys Körper geben.

"Ich will sterben", nuschelte er wieder, als Kaiba unter seine Arme griff und ihn vorsichtig aus dem Wagen zog.

"Ja, ja." Stöhnend wurde er hoch gehievt und mit festem Griff auf den Beinen gehalten. So ging Kaiba mit ihm auf die riesige Eingangstür zu, drängte sich mit dem Rücken gegen sie und schleppte Joey hinein. Er spürte die Hitze des fiebernden Körpers, spürte auch, wie er unter stertorösen Atemzügen und leisem Husten erbebte. Kaiba wollte nicht daran denken, was passiert wäre, wäre Joey in diesem Zustand allein in der Wohnung gewesen. Nein, er tat schon das Richtige. Er umfasste Joeys Handgelenk fester, legte den Arm um seine Rippen und trug ihn die Treppen hinauf. Joey trat nun völlig weg. Er nuschelte Verworrenes und begann zu stöhnen.

"Himmelherrgott." Kaiba atmete tief ein, ließ die letzte Stufe hinter sich und zog Joey weiter. Er schleppte ihn durch einen der beiden Gänge, schleppte ihn bis zu dessen Ende und öffnete dort eine große Tür, die gegenüber von dem Gästebad lag, das Joey oft benutzte. Infolgedessen betrat Kaiba nun das Gästezimmer. Dieses war außerordentlich hübsch eingerichtet, glich von der Ausstattung her, seinem Eigenen. Auch hier gab es ein großes Bett, und auf dieses trottete Kaiba nun zu.

"Wir sind immer noch in Domino", antwortete er auf Joeys Frage, neigte sich leicht zur Seite und ließ den Jungen auf die Matratze hinabsinken. Dort rollte sich Joey sofort zur Seite, tastete tollpatschig nach einem Kissen und zog es zu sich, um es auf sein Gesicht zu pressen. Während er irgend etwas von "Schlafen" nuschelte, griff Kaiba nach dem schnurlosen Telefon, das in einer säuberlichen Halterung auf dem Nachtschrank stand und wählte schnell eine Nummer. Wieder beobachtete er Joey und legte das Telefon an das Ohr. Er musste nicht lange warten, bis sich ein Mann in der Leitung meldete.

"Kommen Sie rauf", sagte er nur. "Im Gästezimmer wartet ein Patient."

Mit diesen Worten legte er auf und stellte das Telefon in die Halterung zurück. Somit hatte er seine Arbeit eigentlich getan. Der Arzt würde sich um Joey sorgen und er könnte in seine Firma fahren. Aber er tat es nicht sofort. Nachdem er einen flüchtigen Blick auf seine Uhr geworfen hatte, ließ er sich neben Joeys Rücken auf der Bettkante nieder und drehte sich zur Seite, bis er den Jungen gemütlich ansehen konnte. Langsam winkelte Joey die Beine an, rollte sich zusammen und keuchte erschöpft. Kaiba betrachtete ihn wenige Sekunden, dann hob er die Hand und durchstreifte Joeys Schopf.

"Was machst du nur für Blödsinn", murrte er.

Joey gab ein undefinierbares Murmeln von sich und krallte sich in das Kissen.

>Um was muss ich mich nicht alles kümmern<, ging es ihm durch den Kopf, als er mit den verschwitzten Strähnen spielte. >Aber um ehrlich zu sein, mache ich es sehr gern. Und in dieser Situation kann ich mich am Besten um Joseph kümmern. Er würde dasselbe für mich tun… hat es mir schon bewiesen.<

In dieser Sekunde öffnete sich hinter ihm die Tür und Kaiba wandte sich um. Ein etwas älterer Mann mit einem ledernen Koffer betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich und kam schnell näher. Mit professioneller Miene blieb er neben dem Bett stehen, stellte den Koffer auf dem Nachtschrank ab und musterte seinen Patienten kurz. Und nach nur einem flüchtigen Blick, schüttelte er den Kopf.

"Da haben wir ja mal einen richtig kranken Jungen." Noch immer den Kopf schüttelnd, öffnete er seine Tasche und begann in ihr zu wühlen. "Zuerst braucht er neue Kleidung. Bequemes für die Nacht wäre das Beste."

Kaiba nickte, erhob sich von der Bettkante und schlenderte quer durch den Raum, um an einen großen Schrank zu gelangen. In diesem stöberte er kurz. Und nach einer kurzen Zeit, grabschte er nach einem seidenen Pyjama. Und nachdem er die Schranktür mit dem Fuß zugestoßen hatte, kehrte er zu dem Bett zurück und warf die Sachen auf das helle Laken. Der Arzt stahl Joey unterdessen das Kissen und dieser verwühlte das Gesicht sofort in der Decke. Er wollte schlafen.

"Komm schon." Der Arzt legte die Hand auf seine Schulter, rollte den jungen Mann auf den Rücken. Auch über diese Störung war Joey nicht erfreut. Da er sich jedoch nicht wehren konnte, zu schwach dazu war, musste es ihm genügen, die Arme zu heben und mit ihnen das Gesicht zu verstecken. Nachdem der Arzt dieses Wunder vollbracht hatte, griff er nach den Sachen und wandte sich an Kaiba.

"Helfen Sie mir kurz?"

"Natürlich", erklärte sich Kaiba bereit.

Mit so einigen Handgriffen und noch größeren Umständen hatten sie Joey bald vollends ausgezogen und ihn sofort wieder in das Hemd und die Hose gesteckt. Und bevor sich Joey noch unter der Decke verkriechen konnte, zückte der Arzt seine Untersuchungswerkzeuge. Bevor er begann, musste sich Kaiba jedoch verabschieden.

"Ich muss in die Firma", sagte er und warf Joey einen letzten Blick zu. "Ich überlasse ihn Ihrer Obhut."
 

Natürlich machte sich Kaiba Gedanken um Joey und dennoch gelang es ihm, zwei Terminen nachzugehen und eben noch andere Schreibarbeit zu erledigen, die ihm bedauerlicherweise bevorstand. Er erledigte all das gewissenhaft wie immer, schloss jedoch früher damit ab und fuhr nach Hause. Er hatte einen Termin abgesagt und Pikotto Berge von Akten in die Arme gedrückt, die eigentlich für ihn bestimmt waren. Aber da es nicht jeden Tag vorkam, dass er einen kranken Joey zu Hause hatte, konnte er es sich leisten. Es war am frühen Abend, als er aus dem Wagen stieg und sein Haus betrat. Dort herrschte wie an jedem Abend, eine angenehme Stille. Die Bediensteten waren bereits zu Hause und kein anderer Mensch hatte nun mehr etwas hier verloren, außer Mokuba und dem Arzt, der irgendwo im Erdgeschoss wohnte.

Ja, Mokuba… Kaiba sah sich um.

Warum rannte der Junge nicht lachend und schreiend mit seinem Freund Bikky durch die Gänge? Es war zu still. Dabei war Bikky doch schon so etwas wie ein Mitbewohner, zu Kaibas Missfallen. Aber der Junge war fast jeden Tag hier. Also warum nicht heute?

Kaiba hatte sich um andere Dinge zu sorgen, also ging er der Sache nicht auf den Grund und stieg in die erste Etage hinauf. Auch dort herrschte eine seelische Ruhe und allmählich wunderte er sich wirklich. Auf dem Weg zum Gästezimmer, traf er auf den Arzt, der eben von dort kam.

"Herr Kaiba", sprach dieser ihn sofort an. "Der Junge hat sich wirklich eine arge Grippe geholt. Fragen Sie mich nicht, wie er das geschafft hat. Wie dem auch sei, ich habe auch eine leichte Bronchitis festgestellt. Sie ist jedoch noch im Anfangsstadium und kann mit Medikamenten schnell auskuriert werden. Das Fieber ist noch nicht gesunken, doch wir arbeiten daran."

"Gut."

"Einen wirklich sturen Freund haben Sie da." Der Arzt verzog den Mund. "Ich musste mit ihm kämpfen, bevor er sich untersuchen ließ."

"Aha."

"Was die Bronchitis und das Fieber anbelangt, empfehle ich ein schönes heißes Kräuterbad, gleich nachher. Die Dämpfe tun seinen Bronchien gut und wenn er mal richtig schwitzt, wird das Fieber bis morgen etwas gesunken sein. Ich habe es ihm schon vorgeschlagen aber er hat gesagt, dass er einfach nur liegen bleiben und schlafen will. Aber ehrlich", der Mann schüttelte tadelnd den Kopf, "das bringt nicht viel. Der Schlaf mag zwar heilende Kräfte haben aber wenn er das Bad annehmen würde, würde er sich viel schneller auskurieren. Ich habe noch viele Kräuter und ich könnte wirklich dafür sorgen, dass es ihm schnell besser geht. Ein richtig heißes Bad wird ihm gut tun. Danach muss er schnell ins Bett und schlafen. Und schwitzen. Und Medikamente nehmen."

"Aha." Kaiba nickte. "Warum veranlassen Sie das mit dem Bad nicht einfach?"

"Ach so, natürlich." Der Mann erwiderte das Nicken hastig. "Er sträubt sich."

Kaiba stöhnte leise und zog an ihm vorbei.

"Bereiten Sie alles vor. Ich bringe ihn schon dazu."
 

Zielstrebig steuerte er kurz darauf auf das Gästezimmer zu, hielt jedoch inne, sobald er es erreichte. Aus dem Inneren des Raumes drang eine heitere Stimme an seine Ohren. Da lachte und quiekte jemand und es schien genug Gesprächsstoff zu geben, denn dann begann eine junge Stimme zu quasseln und zu quasseln. Kaiba atmete tief ein, öffnete die Tür und trat ein.

"Bikky hat gesagt, dass ich ihn mal besuchen kommen kann und dann hatte er plötzlich keine Zeit mehr!" Mokuba hockte mit dem Rücken zu ihm auf dem Bett und plauderte munter vor sich hin. "Ein toller Freund ist das! Aber er hat es mir versprochen, verstehst du, Joey? In dieser Sekunde könnte ich jetzt bei ihm sein und Kekse essen und so. Aber er..." Mokuba verstummte, als sein großer Bruder plötzlich neben ihm stehen blieb und ihn skeptisch betrachtete. "Was ist?"

"Er braucht Ruhe", antwortete Kaiba knapp. "Kannst du ihm das nicht ein andermal erzählen?"

"Och..."

Kaiba blähte die Wangen auf, stützte die Hände in die Hüften und besah sich Joey. Der Junge lag träge auf dem Rücken. Sein Kopf war weich auf einem Kissen gebettet, auf seiner Stirn lag ein nasses Tuch und zwischen seinen Lippen bewegte er ein Thermometer. Sein Gesicht war rot und seine Augen wirkten immer noch etwas glasig, als sie sich auf Kaiba richteten. Aber Interesse schien er an Mokubas Erzählung nicht gefunden zu haben, was man deutlich an seinem Gesichtsausdruck erkennen konnte.

"Wie geht’s?" Müde ließ sich Kaiba vor Mokuba auf der Bettkante nieder und der Junge rappelte sich sofort auf, schlug die Finger in seine Schulter und zog sich an ihr hinauf, bis er Joey versteckt beobachten konnte.

"Ich weiß zwar nicht, wie sich eine Heizung fühlt. Aber ich glaube, so in etwa könnte es stimmen." Joey schielte zu dem Fieberthermometer und richtete seinen Blick dann wieder auf Kaiba. "Danke für deine Hilfe. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich getan hätte."

Abwehrend Kaiba hob die Hände und Mokuba, der sich hinter seiner Schulter versteckte, kicherte leise. "Dafür erwarte ich aber eine Gegenleistung."

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen. "Klar, ich mache alles."

"Gut." Kaiba nickte und schöpfte tiefen Atem, als er an der Bettdecke zu zupfen begann. Bequem blieb er sitzen, rümpfte die Nase. "Wirklich alles?"

"Ja." Joey nickte eifrig, gespannt wartend.

"Auch", prüfend richteten sich die blauen Augen auf ihn, "wenn es dir nicht gefällt?"

"Natürlich", stimmte Joey wieder zu.

"Sehr schon." Kaiba zog einen Schlussstrich. "Ab in die Badewanne."

"Och man." Joey fischte nach der Decke und zog sie sich über das Gesicht. "Das ist gemein."

"Nein, das ist gesund." Kaiba schüttelte Mokuba ab, der spielerisch an ihm zu rütteln begann und vermutlich auf eine Rauferei aus war. Anschließend erhob er sich. "Stell dich nicht an und verhalt dich deinem Alter entsprechend!"

"Tut mir leid." Träge fischte sich Joey das Thermometer aus dem Mund und fuchtelte damit. "Ich bin nur total müde, könnte sogar im Stehen einschlafen."

"Schlafen kannst du schon noch." Kaiba griff nach der Decke und schlug sie zur Seite.

"Uh." Sofort zog Joey die Beine an und schlang die Arme um den Bauch. "Kalt."

"Dann sollten wir uns beeilen." Kaiba reichte ihm die Hand. "Los."

Seufzend zog sich Joey das nasse Tuch von der Stirn und griff nach der Hand, da er sich allein nicht aufrichten konnte. Kaiba zog ihn hoch, hielt seine Hand weiterhin umfasst und war ihm dabei behilflich, zur Bettkante zu kommen. Doch als sie das Ziel erreichten, ließ Joey ihn nicht los.

"Trägst du mich?"

„Hah?“ Kritisch blickte Kaiba auf, starrte in die erwartungsvolle Miene und machte die Erwartungen sofort zunichte. „Die wenigen Schritte bekommst du wohl noch hin.“

Es blieb bei einer Stütze und wirklich… die wenigen Schritte gelangte. Joey schlingerte und stolperte, klammerte sich gnadenlos an den müden Helfer. Mokuba kicherte, sprang vom Bett und rannte nach draußen. Kaiba brachte Joey durch den Flur und ohne Umwege sofort in das Bad. Dort zog ihnen ein angenehmer Duft entgegen. Das Wasser war bereits eingelassen und der Arzt kam ihnen entgegen.

"Es ist angerichtet", verkündete er. "Eine viertel Stunde dürfte genügen."

Kaiba nickte und brachte Joey weiter zu einem der Stühle. Neben ihnen hockte Mokuba vor der großen Badewanne, rührte mit dem Zeigefinger in dem warmen Wasser und schnupperte genüsslich die wohltuenden Kräuter. Achtsam dirigierte Kaiba den jungen Mann zu dem Stuhl, richtete sich auf und wandte sich an seinen kleinen Bruder.

"Mokuba", sagte er und der Junge drehte sich zu ihm um. "Ab mit dir."

"Bin schon weg." Mokuba gehorchte und flitze aus dem Bad. Er schloss sogar die Tür hinter sich. Etwas missvergnügt betrachtete sich Joey das trübe Wasser und lehnte sich lahm zurück.

"Komm schon." Kaiba hockte sich vor ihn, ließ beide Hände auf seine Knie niedergehen. "In einer viertel Stunde kannst du schlafen."

"Hm." Joey nickte leicht und sah ihn an. Kaiba erwiderte seinen Blick kurz und legte den Kopf schief.

"Was."

"Es ist so." Joey ließ den Kopf sinken und zupfte an der seidenen Hose. "Ich will mir nicht vorstellen, was ich ohne dich getan hätte. Vielleicht hast du mir ja das Leben gerettet?"

"Schwachsinn." Kaiba schüttelte den Kopf. "Menschen, wie du, sterben von so was nicht."

Joey lächelte matt, hob die Hand und fuhr sich durch den leicht zerzausten Schopf.

"Ich... ich glaube, ich müsste noch im Lawell abrufen und mich anmelden."

"Ah ja." Kaiba verzog die Brauen, ihm gegenüber wurde genickt.

"Mm... ja. Und meinem Vater muss ich auch noch Bescheid geben. Nein, warte." Joey verzog sinnierend die Miene. "Er kommt sowieso erst in drei Tagen zurück und bis dahin..."

"Schinde keine Zeit", unterbrach Kaiba ihn und richtete sich auf. "Beeilung, sonst wird das Wasser kalt."

Mit diesen Worten neigte er sich zu Joey und begann dessen Hemd aufzuknöpfen. Schläfrig beobachtete dieser seine Hände, wie sie flink die Knöpfe aus den Löchern drehten und tiefer wanderten. Dann war es vollbracht und Joey lehnte sich leicht nach vorn, damit Kaiba ihm das Hemd ausziehen konnte. Heute wollte er mal so richtig faul sein. Und diese Faulheit wurde durch Kaibas liebevolles Bemühen nur noch süßer. Dieser warf das Hemd auf den nächsten Stuhl und trat zurück. Joey zwinkerte träge, ließ den Kopf erneut sinken und betrachtete kurz die seidene Hose. Ein müdes Grinsen zog an seinem Mundwinkel, als er wieder aufblickte.

"Den Rest schaffe ich schon alleine."

"Natürlich." Bequem kam Kaiba auf die Beine, streckte sich kurz. "Also dann."

Müde ging seine Hand auf den blonden Schopf nieder, zerzauste ihn und hob sich zu einer knappen, verabschiedenden Geste. Dann war er schon auf dem Weg zur Tür und tollpatschig tastete Joey nach den nun noch zerzausteren Strähnen, kam nicht um ein schiefes Grinsen.

"Spring doch mit rein", schlug er vor, als Kaiba schon dabei war, die Tür zu schließen. Da hielt dieser inne und streckte den Kopf noch einmal zu ihm hinein. Kurz trafen sich ihre Blicke, Joey grinste keck.

"Mm." Kaiba runzelte die Stirn, lugte zur Wange und sofort zu ihm zurück. "Ich habe noch zu tun."

"Hm." Joey rollte mit den Augen und die Tür schloss sich.
 

Da saß er nun. Und er hatte wirklich keine Lust auf ein heißes Bad, denn er schwitzte schon genug. Aber der Arzt hatte gesagt, dass es ihm danach besser ginge und außerdem wäre Kaiba wütend, wenn er sich jetzt einfach auf den Boden legen und schlafen würde. Ja, schlafen...

Joey gähnte, kam schwankend auf die Beine und zog die Hose hinab. Er stellte sich sehr unbeholfen an, als er seine Füße aus den Kleidern befreite und achtlos zur Seite trat. Sich langsam zur Badewanne drehend, kratzte er sich am Kopf und ließ schlapp die Arme baumeln.

Warum nicht…

Fünfzehn Minuten würde er schon überleben.

Mit einem großen Schritt stieg er in die Badewanne. Das Wasser war nicht zu heiß, nicht zu kalt. Es wirkte sehr angenehm, ebenso die Düfte, obwohl Joey sie durch seine Nase kaum wahrnehmen konnte. Ohne zu zögern, ließ er sich in das Wasser sinken, streckte sich aus und lehnte sich gemütlich an. In den ersten Sekunden schloss er genießerisch die Augen und dann besah er sich wieder das Wasser, das durch die Öle und die Kräuter sehr getrübt war. Er konnte nicht einmal seine Füße sehen. Wieder schloss er die Augen und bewegte die Arme langsam durch das Wasser.

>Wie sich Kaiba um mich kümmert.< Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen blassen Lippen ab. >Fast wie eine Tochter um die... ähm... oder wie ein Vater um sein... ach verdammt, ich kann schon nicht einmal mehr klar denken.<

Also brach Joey alle Grübeleien ab, gähnte erneut und atmete tief ein. Er war so unglaublich müde und sehnte sich sein Bett herbei. Aber diese Badewanne war auch verdammt bequem.

Diese Wärme...

>Fünfzehn Minuten, dann kann ich schlafen.< Er gähnte erneut, rollte sich langsam zur Seite und schmiegte sich an die angenehme Wand der Badewanne. Das Wasser plätscherte leise in seinen Ohren, gluckste, als es durch seine Bewegungen aufgewühlt, gegen den Marmor der Wanne schlug. Ach, was war es angenehm. Sein Körper entspannte sich schon nach wenigen Momenten und auch sein Atem beruhigte sich. Die Atmosphäre wirkte äußerst einschläfernd, war zu beruhigend, als dass ein Todmüder wach bleiben könnte. Mehrere Minuten lag Joey bewegungslos dort und genoss die befreiende Wärme, die ihn umgab, auch die Düfte konnte er allmählich riechen. Und sie waren wundervoll.

Mit jeder Sekunde, die er dort verbrachte, näherte er sich dem Schlaf und bemerkte es kaum. Er war so erschöpft, obgleich er sich heute kaum bewegt und die meiste Zeit im Bett gelegen hatte. Er war zu müde und gleichermaßen zu aufgezehrt, als dass er dagegen ankämpfte. Er ließ es einfach geschehen und nach einer weiteren Minute stand der ungewöhnlich tiefe Schlaf unausweichlich bevor. Langsam öffnete Joey den Mund, seine Augen blieben entspannt geschlossen. Das Wasser verblieb reglos, begann erst etwas zu schwanken, als Joeys Hände quietschend hinabrutschten und versanken. Durch diese Bewegung verlor sein gesamter Körper den Halt und mit einem Mal sank er tiefer und letzten Endes tauchte auch sein Gesicht unter und sank hinab. Seine Konturen verschwanden, das trübe Wasser verschluckte ihn. Nur einige Luftbläschen suchten sich ihren Weg zur Oberfläche, dann verblieb das Wasser wieder reglos und die alte Stille kehrte zurück.
 

Kurz nachdem Kaiba die Tür des Badezimmers geschlossen hatte, kam ihm Mokuba entgegen.

"Und badet Joey jetzt?"

"Ja." Kaiba schlüpfte aus seinem Mantel und steuerte auf sein Büro zu.

"Der Doktor hat gesagt, dass er danach wieder gesund wird. Stimmt das?"

"Ja." Kaiba schlenderte weiter.

"Und wie schnell geht das?"

"Sicher nicht von heute auf morgen." Kaiba zog an der Treppe vorbei und bog in den anderen Gang ein. "Vielleicht eine Woche."

"Eine Woche?" Mokuba blieb erschrocken stehen. "So lange?"

"Ja."

"Und bleibt Joey solange hier?" Mokuba eilte ihm wieder nach.

"Ja." Endlich blieb Kaiba vor der Tür seines Büros stehen und wandte sich direkt an den Jungen. "Ich habe noch etwas zu tun. Geh Abendbrot essen, ja?"

Das ließ sich Mokuba nicht zweimal sagen. Er nickte hastig, grinste und rannte zur Treppe zurück. Kaiba sah ihm kurz nach, dann atmete er tief ein, öffnete die Tür und trat in das Büro, welches er sich auch hier eingerichtet hatte. Doch als er dann an seinem Schreibtisch saß und all die Bildschirme anstarrte, verlor er die Lust, etwas Großartiges zu tun. Das kam nicht oft vor und so griff er nach einer Zigarettenschachtel und lehnte sich zurück.

>Er macht nur Blödsinn<, dachte er sich, als er nach einem Feuerzeug griff und den Tabak entzündete. >Es ist unverantwortlich von ihm, so krank zu werden!< Er warf einen kurzen Blick zu der Uhr und richtete sich auf. Das Lawell hatte noch geöffnet. Also griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer. >Dann ruf ich mal ab, um ihn anzumelden.<

Mit wenigen Worten entschuldigte er Joey großzügig für die gesamte nächste Woche und der Chef wagte es nicht einmal, zu meckern. Nachdem Kaiba das erledigt hatte, lehnte er sich wieder zurück und warf einen erneuten Blick zu der Uhr. Joey war jetzt seid fünf Minuten im Bad. Langsam hob er die Zigarette zum Mund und nahm einen Zug. Er würde noch etwas sitzen bleiben und dann nach ihm schauen. Müde schloss er die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Kurzerhand entschloss er sich dazu, morgen die Schule zu schwänzen und früh in die Firma zu fahren. Er wollte Joey nicht zu lange mit dem Arzt allein lassen. Er wusste, wie dieser seine Patienten quälen konnte. Und das wusste er, weil Mokuba des Öfteren krank wurde. Vermutlich weil er im Winter gern mit Pullover draußen herumrannte. Kaiba selbst war in seinem Leben erst einmal krank gewesen und nach dieser Behandlung war es ihm durch den Kopf gezogen, den Arzt zu feuern. Heute war er froh, es nicht getan zu haben. Er grübelte kurz, dann griff er wieder nach dem Telefon und sorgte dafür, dass die Lehrer über sein morgiges Fehlen informiert waren. Wenn er etwas tat, dann tat er es gründlich. Heimliches Schwänzen war nichts für ihn, obgleich die Lehrer nicht meckern würden. Der Fehltag würde irgendwo in den Akten verschwinden und niemand würde ihn je darauf ansprechen. Kaiba entspannte sich und beobachtete den Sekundenzeiger, wie er eine Runde nach der anderen zog. Weitere fünf Minuten wartete er und gab sich der Faulheit hin.

>Ich schau mal, ob er noch lebt.< Irgendwann drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und erhob sich. Gemächlich verließ er das Büro und schlenderte durch den Flur. Als er die Treppe erreichte, ließ er die Hände in den Hosentaschen verschwinden. Er musste heute frühzeitig schlafen gehen und konnte sich allmählich vorstellen, wie sich Joey gefühlt haben musste, als er aus dem Bett gezerrt und zum baden gezwungen wurde. Nach kurzer Zeit erreichte er so die Tür des Gästebades, blieb stehen und klopfte an.

"Joseph?"

Wieder gähnte er, ließ träge die Hand sinken, befeuchtete die Lippen mit der Zunge und wartete. Keine Antwort. Nicht einmal das leiseste Geräusch drang zu ihm. Er wartete kurz, dann klopfte er erneut. Doch wieder... nichts. Langsam stützte er die Hände in die Hüften und verzog die Augenbrauen. Er zögerte nicht lange, griff nach der Klinke und öffnete die Tür. So lehnte er sich in den Raum und der erste Blick traf die Badewanne. Verwirrt richtete er sich auf und trat ein. In der Badewanne war niemand. Die Oberfläche des trüben Wassers lag reglos dort.

Wo zur Hölle war Joey?

Er trat an die Wanne heran, blieb neben ihr stehen und sah sich irritiert im Bad um. Zu seinen Füßen lagen die Kleider, er drehte sich zur anderen Seite. Doch von Joey war keine Spur zu sehen. Hatte er sich etwa davongeschlichen?

>Was zur Hölle ist hier los!< Er stöhnte und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Doch als neben ihm ein leises "Blubb" ertönte, hielt er inne. Kurz lauschte er, dann ließ er zögerlich die Hände sinken und wandte sich der Badewanne zu. Kurz breiteten sich auf dem Wasser kleine Ringe aus, dann verblieb es wieder reglos. Kaiba musste nicht nachdenken, um zu verstehen, was passiert war. Kurz starrte er auf das Wasser, seine Augen weiteten sich entsetzt und plötzlich erwachte er zum Leben. Hastig stemmte er sich auf den schmalen Rand und sprang mit einem großen Satz in das Wasser. Als seine Füße im Wasser versanken, erwachte dieses wieder zum Leben und als er sich nach vorn beugte und sich eilig auf die Knie sinken ließ, begann es Wellen zu schlagen und schwappte über. Ohne zu zögern beugte sich Kaiba nach vorn und bekam Joey zu fassen. Er packte ihn an den Armen, richtete sich auf und zog ihn aus dem Wasser. Joeys Augen waren entspannt geschlossen, die blonden Haare klebten nass auf seiner Stirn. Das trübe Wasser rann über seinen Körper, als Kaiba ihn sicherer fasste und keuchend auf die Beine kam.

"Verflucht!" Angespannt zog er Joey mit sich und stieg aus dem Becken. Platschend landete sein nasser Fuß auf dem Boden, auf dem sich bereits eine große Pfütze ausgebreitet hatte. Beinahe rutschte er aus, fand jedoch festen Halt und zog Joey mit sich. Er zog ihn auf den sicheren Boden, ließ sich auf die Knie sinken und stützte ihn, indem er den linken Arm unter seine Schultern schob. So hielt er Joey im Arm, starrte kurz in das reglose Gesicht und begann anschließend seine blassen Wangen zu tätscheln.

Joey atmete nicht mehr!

Er tätschelte ihn, dann schlug er richtig zu.

Joeys Gesicht sackte zur Seite und lehnte kurz an Kaibas nasser Brust. Doch dann zog ein Beben durch den Körper und stieg höher. Und mit einmal mal riss Joey die Augen auf, spuckte Wasser und hob ziellos die Arme. Er hustete heftig, würgte und schlang die Arme um den Bauch. Kaiba richtete sich kurz auf, fauchte einen argen Fluch und zog ihn fester zu sich, um ihn an sich zu pressen. Joey war zu verstört, um zu verstehen, was passiert war. Konfus starrte er um sich, schnappte nach Luft begann sich leicht zu räkeln.

"Du verdammter Idiot!" Verkrampft schloss Kaiba die Augen, krallte sich an ihn und presste die Stirn auf sein nasses Haar. Auch sein Atem schallte aufgeregt in dem Raum und Joey hustete erneut. Gehetzt wanderten seine Pupillen von der einen Seite zur anderen. Sein Bauch hob und senkte sich schnell, die Hände zitterten. Kaiba verharrte nun kurz bewegungslos, nur Joey räkelte sich benommen in seinen Armen.

"Was..."

"Nicht sprechen." Kaiba richtete sich etwas auf, griff nach einem der großen Handtücher und bedeckte Joeys nackten Körper. Allmählich gewann dieser die Orientierung zurück. Blinzelnd schob er das Gesicht höher und beobachtete Kaiba, der nach einem weiteren Handtuch grabschte. Dieses bekam Joey über den Kopf und über die Schultern gezogen.

"Kai… ba...?"

Doch er erhielt keine Antwort. Ohne ein einziges Wort zu verlieren, zog dieser die beiden Handtücher fester, beugte sich tief hinab und hob ihn hoch. Joey war noch immer leicht durcheinander, als er kurz zu der Badewanne lugte.

"Kaiba, ich...", verunsichert wandte er sich an seinen Retter und starrte ihn mit geröteten Augen an. Doch Kaiba reagierte immer noch nicht, würdigte ihm nicht einmal eines Blickes und Joey ergab sich einem weiteren Hustenanfall. Noch immer benetzte Wasser seine Hand, wenn er sie vor den Mund hielt und schnell spürte er auch die kühle Zugluft des Flurs auf seinem nassen Körper. Kaiba verließ das Bad, blieb kurz vor der Tür des Gästezimmers stehen und drehte sich zur Seite. Und dort hockte Mokuba auf der obersten Treppenstufe und beschäftigte sich.

"Mokuba!", rief Kaiba ihn mit einem Anflug von Zorn. Sofort wandte sich der Junge um. "Hol den Arzt!"

Mit diesen Worten trat Kaiba in das Gästezimmer und trug Joey auf das Bett zu. Dieser fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, stieß auf und wischte sich auch die Augen. Kaibas Verhalten konnte ihm dennoch nur schwer entgehen und bevor er das Wort ergreifen konnte, wurde er auf der weichen Matratze abgesetzt. Vorerst blieb er aufrecht sitzen und starrte Kaiba erneut an. Dieser erwiderte seinen Blick nicht, griff nach der Decke und zog sie über ihn. Anschließend zog er ihm die Handtücher weg und wandte sich ab.

"Warte hier", sagte er noch, bevor er im Flur verschwand.

Und als sich die Tür schloss, hielt Joey den Atem an. Kreidebleich und reglos verharrte er an seinem Platz, schaute perplex zur Tür und suchte noch immer nach Worten. Seine Lippen bewegten sich nur stumm und nach wenigen Augenblicken stöhnte er entkräftet und ließ sich in die Kissen fallen. Sobald er dort landete, durchzog ein tobender Schmerz seinen Kopf und er zischte leise auf.

"Ach ver...", zischend rollte er sich zur Seite, "verflucht... blöder... ach, blöder Mist." Zitternd tastete er nach einem der anderen Kissen und zog es zu sich. Unter einem leisen Seufzen presste er das Kissen auf seinen Hinterkopf und verkroch sich langsam unter der Decke.

Wie hatte das aber auch nur passieren können?!

Hatte er das Bewusstsein verloren…?

Eigentlich hatte er überhaupt nichts davon gemerkt, war einfach weggesackt. Und sicher hatte er einen nur zu jämmerlichen Anblick geboten.

"Oh Gott", ertönte seine gedämpfte Stimme. "Jetzt will ich erst recht sterben."

"So schlimm es auch ist", ertönte neben ihm plötzlich eine bekannte Stimme, "sterben werden Sie sicher nicht."

Ungeschickt grabschte Joey nach dem Kissen und zog es zur Seite. Dann wühlte er sich frei und den Arzt, der plötzlich neben seinem Bett stand, traf ein trüber Blick.

"Ich will aber", nuschelte er wieder und zog sich die Decke bis zum Gesicht. "Kaiba ist stocksauer."

"Bestimmt ist er nur besorgt." Der Arzt schüttelte den Kopf und stellte seine Tasche ab.

"Ah ja?" Joey hob die Augenbrauen und blinzelte schläfrig.

"Ich wurde bereits aufgeklärt." In diesem Augenblick zückte der Art schon das Stethoskop.

"Also, wie fühlen Sie sich?"

Er neigte sich zu ihm, griff nach der Decke aber Joey hielt sie fest.

"Ich will schlafen und Trübsal blasen", nuschelte er erschöpft.

Aber der Arzt zog ihm die Decke einfach weg und ihm fehlte es an Kraft, um es zu verhindern. Die Decke wanderte bis zu seinem Bauchnabel und wurde dort liegen gelassen. Joey gab den Widerstand auf, hob matt die Arme und streckte sie von sich. Plötzlich wurde das kalte Stethoskop auf seine erhitzte Haut gepresst und Joey erschauderte.

"Aua..."

"Nicht jammern, tief einatmen", unterbrach der Arzt ihn beschäftigt.

>Ist er etwa auch sauer auf mich?< Joey gehorchte. >Mache ich etwa mit jeder Bewegung etwas falsch? Das ist doch zum verrückt werden!<

Der Arzt quälte ihn noch etwas und letzten Endes musste sich Joey sogar pieksen lassen. Zur Beruhigung, sagte der Arzt, doch nachdem er gegangen war, fühlte sich Joey merkwürdig schwach und müde. Nicht, dass er es davor nicht gewesen war aber das war wirklich arg. Wieder bemerkte er nicht, wie er wegsackte und einschlief.
 

Die ersten Stunden seines Schlafes verliefen ruhig und angenehm, dann jedoch, brachen die Fieberträume gleich einer Sturmflut über ihn herein und er wälzte sich schweißnass von einer Seite zur anderen. Er litt viele Stunden, sah immer wieder dieselben Bilder und konnte sich erst nach einer schier unendlich erscheinenden Zeit von ihnen lösen. Unter einem gedämpften Aufschrei fuhr er in die Höhe, krallte sich in die Decke und starrte mit geweiteten Augen in die Dunkelheit, die ihn umgab. Sein Körper bebte, sein Herz raste. Sein Mund stand weit offen und der Schweiß rann über seine glühende Stirn. Einige Momente saß er so dort, bis er realisierte, dass es vorbei war. Langsam entspannte sich sein Körper, seine Schultern und sein Kopf sanken hinab, die Finger lösten sich aus der Decke.

"Oh... Gott...", stöhnte er matt und fuhr sich stockend über das Gesicht. "Oh Gott."

Schwerfällig ließ er die Hand auf seinen Schoß zurückfallen und schloss die Augen.

Sie glühten...

Warum war sein Fieber wieder gestiegen?

Was zur Hölle hatte der Arzt ihm gespritzt?

Zögerlich begann er sich zu bewegen. Er winkelte die Beine an, schlang die Arme um die Knie und bettete seine Stirn auf ihnen. Leise flüsterte er bei sich, versuchte seinen Atem zu beruhigen und schüttelte immer wieder den Kopf. Draußen war es dunkel und auch das Zimmer lag beinahe in vollkommener Finsternis. Nur das helle Licht des Vollmondes fiel durch das hohe Fenster in den Raum und ließ die weiße Seide des Bettes erstrahlen. Mit geschlossenen Augen blieb Joey sitzen, hob träge die Hand und fuhr sich durch den Schopf.

>Ich will nicht mehr<, ging es ihm in seiner Verzweiflung durch den Kopf. >Ich will gesund werden oder sterben. Ich ertrage dieses Fieber nicht länger.<

Verkrampft verzog er das Gesicht und biss die Zähne zusammen, seine Finger verschwanden zwischen den verschwitzten, blonden Strähnen.

>Ich würde alles tun, um schnell wieder gesund zu werden.< Röchelnd holte er Luft, ließ beide Hände auf die Decke zurückfallen und richtete sich auf. Vor seinen Augen drehte sich alles, als er sich umblickte. Letzten Endes betrachtete er sich den grellen Mond, der direkt vor seinem Fenster lag. Er betrachtete ihn verträumt und folgte seinen Strahlen. Seine Pupillen sanken tiefer, folgten dem gleißenden Licht, das sich hell auf sein Bett legte. Langsam ließ er das Gesicht sinken, doch dann stoppte er. Ein Ausdruck erschien in seiner Miene, der an Verwirrung und gleichermaßen an Rührung nicht zu übertreffen war. Es verging eine lange Zeit, bis er sich wieder zu regen begann. Den Blick fest auf eine Stelle fixiert, richtete er sich

auf und zog die Decke mit sich.

>Das kann nicht sein!< Langsam schüttelte er den Kopf. >Das... ist... ein Traum. Anders kann ich es mir nicht erklären...<

Neben ihm lag Kaiba.

In voller Kleidung lag er neben ihm auf der Decke und schlief einen ruhigen Schlaf. Die Arme hatte er unter ein Kissen geschoben, der Kopf war weich darauf gebettet. Jedes Detail seines schönen Gesichts war im hellen Licht des Mondes

zu erkennen. Ungläubig öffnete Joey den Mund, überwältigt von diesem

unverhofften Anblick. Kaiba war zu ihm gekommen...?

Joey schluckte und starrte ihn an. Wenn man sich Kaiba so betrachtete, dann konnte man unmöglich meinen, er habe zornig in den Schlaf gefunden. Nein, sein Gesicht war entspannt, sein Leib hob und senkte sich unter sanften Atemzügen. Noch nie hatte Joey ihn schlafen gesehen.

Bei Kaiba war das anders.

Beim Schlafen konnte Kaiba ihn fast jeden Tag in der Schule bewundern.

Joey zögerte eine lange Zeit, fühlte sich, als habe sich Eis durch seine Venen gefressen, ihn seiner Beweglichkeit beraubt. Unauffällig zeichnete sich ein brüchiges Lächeln auf den blassen Lippen des jungen Mannes ab, als er vorsichtig näher rutschte, neben Kaiba sitzen blieb und die Decke fester um sich zog. Anschließend neigte er sich leicht nach vorn und schob die rechte Hand in Kaibas Schopf. Besinnlich ließ er die zarten Strähnen zwischen seinen Fingern hindurch gleiten und spielte mit einigen von ihnen. Das Lächeln hielt an, vertiefte sich, als er die glatte Wange mit den Fingerkuppen streifte. Kaiba hatte einen tiefen Schlaf. Reglos blieb er liegen und holte vereinzelte Male tiefer Luft.

>Wie friedlich er aussieht<, dachte Joey sich, als er langsam den Kopf schief legte und sich mit der linken Hand vor Kaibas Gesicht abstützte, um ihn mit der Rechten weiterhin zu streicheln. >Gar nicht so, wie er früher auf mich gewirkt hat. Wie man sich doch täu...< Joey hielt inne, schloss langsam die Augen und ließ die Hand auf Kaibas Schopf ruhen. Er sollte sich besser wieder hinlegen. Durch diesen fesselnden Anblick konnte er seinen Zustand vergessen, kurz in den Schatten stellen. Und doch hatte er sich nicht gebessert. Die Hand

verblieb auf den glatten Haaren, als sich Joey langsam niederlegte, nahe an Kaiba heranrutschte und sein Gesicht aus nächster Nähe betrachtete.

Er lag direkt vor ihm, spürte seine Wärme.

Als er jedoch so bequem dort lag, bemerkte er, dass noch etwas fehlte. Also musste er schweren Herzens die Hand aus Kaibas Haaren nehmen und mit ihr nach der Decke greifen, um sie wieder bis zu seinen Schultern zu ziehen. Dann ließ er sich wieder in sein Kissen sinken, rückte näher und schob langsam den Arm über Kaibas Rücken. Da begann sich dieser zu räkeln, im Schlaf zu bewegen. Sein Mund öffnete sich und ein warmer Atem strich kitzelnd über Joeys Gesicht. Dann bewegten sich seine Lippen kurz in stummen Worten und letzten Endes rutschte er mit dem Kopf etwas über das Kissen, schmatzte leise und machte es

sich gemütlich. Joey hatte die Luft angehalten und starrte ihn mit großen Augen an, als er wieder reglos verblieb.
 

Frühzeitig verdrängte die Sonne den Mond und nahm seine Stelle ein. Das Anwesen erstrahlte in seiner vollen Pracht, Leben begann auf dem Grundstück zu herrschen. Bedienstete traten ihre Arbeit an und eilten so flink umher, dass man glauben konnte, jede von ihnen würde es zweimal geben. Doch von den Bewohnern des Hauses war nichts zu sehen. Kein Weckergeräusch schallte durch die Gänge, auf die Pünktlichkeit legten die Bewohner heute keinen Wert. Als sich Kaiba langsam zu räkeln begann, fiel gleißendes Sonnenlicht durch die

sauberen Fenster und legte sich wärmend auf seinen Rücken. Er bewegte sich nur kurz, blieb dann wieder still liegen und öffnete den Mund, um tief einzuatmen. Er versuchte noch etwas zu träumen, doch dann spürte er einen leichten Druck auf seinem Rücken und räkelte sich erneut. Doch als der Druck nicht nachließ, öffnete er die Augen. Und er sah in ein blasses Gesicht, das ihm sehr nahe war. Er zwinkerte, hob die Augenbrauen und betrachtete es sich. Natürlich war es Joeys Arm, der für den Druck verantwortlich war. Er blieb liegen und nutzte die seltene Gelegenheit, Joey in Ruhe zu beobachten. Es kam nicht oft vor, dass die kleine Nervensäge mal den Mund hielt und sich nicht bewegte. Nachdenklich betrachtete er sich das ebenmäßige Gesicht des jungen Mannes, der schlafend vor ihm lag. In der Nacht war die Decke und eigentlich alles verrutscht und der schlanke Rücken des Blonden lag frei, ebenso der Steiß. Nur flüchtig besah sich Kaiba die bislang verborgenen Stellen, dann fiel sein Blick wieder auf Joeys Gesicht. Dieses wirkte leblos und wurde noch immer von einer kränklichen Blässe geziert. Nach einem langen Zögern zog Kaiba den linken Arm unter dem Kissen hervor, hob ihn ins Freie und legte ihn behutsam über Joeys Schulter. Dieser erwachte allgemach zum Leben. Langsam und träumend begann er sich zu regen, kuschelte sich gemütlich in das Kissen und seufzte bei einem langen Ausatmen. Dann begannen seine Lider zu zucken. Sie bewegten sich und hoben sich langsam. Schläfrig kamen die braunen Pupillen zum Vorschein und das erste Bild, das sich dem verschlafenen jungen Mann bot...

Er erschrak, fuhr unter einem leisen Aufschrei in die Höhe und blieb schnaufend sitzen. Kaiba blieb indessen faul liegen und beobachtete ihn müde aus den Augenwinkeln. Am gesamten Körper zitternd, presste sich Joey beide Hände auf die Brust und lehnte sich stöhnend nach vorn.

"Musst du mich so erschrecken...?", japste er.

Er erhielt jedoch keine Antwort. Kurz rang er noch nach Sauerstoff, anschließend richtete er sich wieder auf, atmete tief ein und drehte das Gesicht zur Seite. Kaiba erwiderte seinen Blick ausdruckslos und blieb reglos liegen.

>Herrje.< Joey grinste nervös. >Ist er immer noch sauer auf mich? Sieht jedenfalls danach aus.<

Er behielt den Blickkontakt kurz aufrecht, dann schluckte er und fragte sich, weshalb Kaiba ihn so merkwürdig anstarrte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen und er ließ das Gesicht sinken, um die Decke anzustarren. Diese... nun ja, war etwas verrutscht und erlaubte Kaiba unfreiwillige Einblicke. Mit einem Mal stieg die Röte in Joeys Gesicht und sofort grabschten seine Hände nach der Decke, um sich zu bedecken. Hastig zog er sie sich über den Rücken, doch da wurde er am Handgelenk gepackt und bevor er sich zu Kaiba umdrehen konnte, zog ihn dieser wieder auf die Kissen zurück. Die Decke an sich pressend, ließ sich

Joey auf die Kissen sinken und starrte sein Gegenüber mit großen Augen an.

"Stell dich nicht an", murrte Kaiba nur, ließ sein Gelenk los und versteckte die Hände wieder unter seinem Kissen. Mit diesen Worten stöhnte er leise und schloss die Augen. Jetzt lag Joey wieder direkt vor ihm. Und er musste sagen, er fühlte sich nicht gut dabei. Nervös sah er Kaiba an und suchte verzweifelt nach entschuldigenden Worten, für das, was er gestern angestellt hatte. Unentschlossen öffnete er den Mund und brachte ein verworrenes Murmeln über die Lippen. Kaiba öffnete die Augen einen Spalt weit und Joey schluckte wieder.

"Ich... ähm..."

Kaiba schwieg und Joey fühlte sich, als würde er ihn mutwillig unter Druck setzen, noch nervöser machen, als er ohnehin schon war. Hektisch wandte er den Blick ab, wälzte sich und räusperte sich leise.

>Jetzt mache ich mich auch noch lächerlich<, dachte er verbissen, als er Kaibas Blick spürte. >Jetzt sag schon, was du auf dem Herzen hast!<

Also blickte er zögerlich auf und sah Kaiba an.

"Bist du sauer auf mich?"

Kaibas Gesicht verblieb kurz ausdruckslos, doch dann plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, verfinsterte es sich und in den blauen Augen loderte ein Feuer auf. Joey seufzte verzweifelt und hob die Hand, um sich die Stirn zu reiben.

"Es tut mir leid", brachte er dann mit viel Überwindung hervor. Noch immer sagte Kaiba kein Wort. Er lag einfach da und starrte Joey feurig an. "Es tut mir leid, dass ich dir so viele Schwierigkeiten bereite!" Ein gehetztes Grinsen huschte über seine Lippen.

Kaiba öffnete den Mund und Joey schloss den seinen, denn Kaiba wollte scheinbar etwas sagen und daran wollte er ihn bloß nicht hindern! Flehend erwiderte er den scharfen Blick

und biss sich auf die Unterlippe. Kaiba zog gemächlich die linke Hand ins Freie, behielt den Blick dabei fest und sicher auf ihn gerichtet. Joey beobachtete die Hand, wie sie sich langsam zu einer Faust ballte und sich der Zeigefinger anschließend auf ihn richtete.

"Mach so etwas nie wieder!", stieß Kaiba drohend aus und Joey wurde kleiner und kleiner. "Du gottverdammter Idiot!" Somit ließ er die Hand sinken, legte den Arm um Joeys Schulter und zog den Blonden zu sich. Joey war von dieser plötzlichen Wendung etwas überrumpelt. Verwirrt spürte er, wie sich der Druck verstärkte, doch dann rutschte er näher an Kaiba heran, schob den linken Arm über dessen Rücken und schmiegte sich an ihn.

"Ich dachte, ich sterbe", fluchte Kaiba leise und presste ihn an sich. Joey presste die Lippen aufeinander, schob das Gesicht tiefer und legte das Kinn an Kaibas Brust. "Vergessen wir es einfach, ja?"

"Hm." Sofort nickte Joey.

Das kam ihm sehr gelegen. Er schmiegte sich weiterhin an Kaiba, genoss dessen Wärme und schloss kurz darauf die Augen, um diese Situation auszukosten. Er spürte Kaibas Arm auf seinem Rücken, die Finger, die ihn sorgsam kraulten. Dann atmete Kaiba tief ein und legte das Kinn vorsichtig auf Joeys blonden Schopf.

"Wie hast du geschlafen?", erkundigte er sich, als er wieder still lag.

"Hm", murmelte Joey, den diese wundervollen Verhältnisse dazu verleiteten, sofort wieder einzuschlafen. "Gut."

"Und wie geht’s?"

"Hm." Joey räkelte sich kurz. "Besser."

Daraufhin schwieg Kaiba und Joey träumte vor sich hin. Er blieb eng bei Kaiba liegen, kuschelte sich an ihn und begann zu grübeln. Oh, er wollte für immer so liegen bleiben. Ein sanftes Lächeln zog an Joeys Mundwinkel, als er tief einatmete.

"Weißt du was?", flüsterte er leise.

"Hm." Murmelte Kaiba nur. Bei dieser müden Antwort könnte man glauben, auch er würde gleich wieder einschlafen. Aber nein. Er starrte mit wachen Augen auf die gegenüberliegende Wand und kraulte Joeys Rücken weiterhin. Dessen Lächeln vertiefte sich, bis er letzten Endes leise lachte.

"Du siehst nicht schlecht aus, wenn du schläfst."

Kaiba verzog die Augenbrauen, öffnete den Mund und warf Joey einen kurzen Blick zu. In den ersten Sekunden sagte er gar nichts. Eine kurze Stille brach über sie herein, bis Kaiba die Nase rümpfte.

"Ach."

"Ja." Joey nickte fest entschlossen.

"Woher willst du das wissen, wenn du gut geschlafen hast."

Joey seufzte leise.

"Warum kannst du dieses Kompliment nicht einfach mal ein Kompliment sein lassen und immer gleich nachforschen?"

"Ich habe nur gefragt", antwortete Kaiba.

"Na ja." Joey öffnete die Augen und rappelte sich etwas auf. "Ich bin heute Nacht kurz ausgewacht." Er hob das Gesicht, sah Kaiba an und grinste schon wieder. "Und da sah ich dich."

"Ja ja", murrte Kaiba säuerlich.

"Was ist denn mit dir los?" Vorsichtig rutschte er noch weiter nach vorn und berührte Kaibas Nasenspitze mit der eigenen. "Magst du etwa keine Komplimente?"

Kaiba winkte ab.

"Was denn." Joey ließ sich wieder auf die Kissen sinken. "Bedrückt dich etwas?"

"Nein."

"Du bist aber irgendwie komisch", bemerkte Joey.

"Mich bedrückt nichts." Kaiba begann sich zu regen. "Kommst du? Ich will frühstücken und anschließend in die Firma."

"Oh, frühstücken klingt gut."

Gemeinsam richteten sie sich auf. Joey zog die Decke mit sich, immer darauf bedacht, Kaiba nicht wieder einen Grund zum Starren zu geben. Während dieser vom Bett stieg und sich streckte, hielt er jedoch inne und blieb hocken.

"Warum bist du eigentlich nicht in der Schule?"

Kaiba warf ihm einen knappen Schulterblick zu.

"Das fällt dir ja früh auf."

"Tja..." Joey grinste und sah sich um. "Bis jetzt war ich abgelenkt."

"Aha."

"Ja." Joey warf ihm einen grantigen Blick zu.

>Wenn er in den nächsten Minuten nicht wenigstens einmal grinst, dann bekommt er aber etwas zu hören! Ist ja kaum auszuhalten, wie er sich benimmt!<

Doch plötzlich fiel ihm etwas anderes auf und er sah sich weiterhin um. Kaiba trödelte unterdessen schon auf die Tür zu.

"Momomomoment mal." Hastig streckte Joey ihm die Hand nach und kämpfte sich samt Decke aus dem Bett. "Wo sind denn meine Kleider?"

"Hm?" Kaiba blieb stehen und drehte sich um. Genau wie Joey sah er sich kurz um. Aber auch er konnte sie nirgends finden. Aber im Gegensatz zu Joey wusste er, wo sie waren.

"Da war wohl jemand zu fleißig", murmelte er. "Ich lasse dir andere bringen."

"Okay!" Joey grinste und Kaiba verließ den Raum. Sobald sich die Tür schloss, verdunkelte sich Joeys Miene und er ließ sich zurück auf die Matratze fallen, um dort griesgrämig in den anderen Decken zu wühlen.

"Was ist nur mit ihm los!", schnaufte er grimmig und krallte sich in das Bettlaken. "So ein blöder Mistkerl!"

>Er kann mir doch wenigstens sagen, was ihn bedrückt!< Joey wälzte sich auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke. >Das ist so gemein! Ich weiß doch, dass ihn etwas bedrückt! Das ist überhaupt nicht zu übersehen!<

Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür und Joey hob den Kopf. Er erspähte eine Bedienstete, die langsam eintrat. Sie trug einen kleinen Kleiderhaufen bei sich und kam in eiligen Schritten näher. Damit hatte Joey ja jetzt gar nicht gerechnet! Sofort rappelte er sich auf, zog sich die Decke über die Schultern. Die junge Frau lächelte höflich, kam näher und legte den Kleiderhaufen direkt neben ihm ab. Joey warf einen kurzen Blick zu den Kleidern und lächelte dann zurück.

"Herr Kaiba wartet im Speiseraum auf Sie", sagte die Bedienstete freundlich und Joey öffnete etwas verunsichert den Mund.

"Ah… und wo ist der?"

Die junge Frau legte grübelnd den Kopf schief, dachte vermutlich darüber nach, wie sie ihm auf die Schnelle diesen langen Weg beschreiben könnte. Letzten Endes schlug sie ihm vor, im Gang auf ihn zu warten und ihn zu dem Speiseraum zu bringen. Joey bedankte sich und die Bedienstete verließ das Zimmer. Der junge Mann runzelte die Stirn.

Bedienstete?

Ja, warum hätte er sich so etwas denn nicht denken können?

Kaiba hatte sicher zu viel zu tun, als das er sich um den Haushalt kümmern könnte!

Jetzt erinnerte er sich wieder an Kaiba und das dazugehörige lange Gesicht. Also stöhnte er, tastete nach einem Pullover und zog ihn zu sich.

>Ich muss mal richtig mit ihm sprech...<

Plötzlich hielt er inne und starrte den schwarzen Pullover an. Er betrachtete ihn sich von allen Seiten und betastete ihn. Kaschmir?

Wow…

Joey schloss die Augen und presste den angenehmen und verdammt teuren Stoff an seine Wange. Er kuschelte kurz mit ihm, dann nahm er einen nur all zu bekannten Geruch wahr. Verwundert richtete er sich auf und roch an dem Pullover. Dieser Pullover roch nach Kaiba. Er gab ihm seine Sachen…?

Sofort kämpfte Joey die Decke zur Seite, schob sich aus dem Bett und schlüpfte in diesen herrlichen Pullover. Dann schlüpfte er in die Shorts und in die Hose. Von der Hüfte her passte diese. Aber seine Beine waren etwas zu kurz. Also krempelte er sie einfach um und besah sich dann von allen Seiten, soweit es möglich war. Die Kleider lagen so angenehm auf seiner Haut, nichts kratzte. Es war einfach herrlich.

Er seufzte ganz berauscht und machte sich auf den Weg zur Tür. Ach ja, hier konnte man sogar in Socken herumlaufen und musste keine Angst haben, auf irgendwelche spitzen Gegenstände zu treten. Hier gab es ja nicht einmal Staub, von dem man niesen könnte.

Kurze Zeit später folgte er der jungen Frau durch die Gänge. Es war ein nicht allzu langer Weg und dennoch hätte er ihn nicht gefunden. Sie gingen die Treppe hinunter und bogen im Erdgeschoss nach rechts. Und dann sah Joey wieder etwas, das ihn in Staunen versetzte.

Die Tafel.

Sie war wohl an die fünf Meter lang und bestand aus glänzendem Ebenholz. Joey blieb stehen und die junge Frau ging wieder ihrer Wege. Wozu brauchte Kaiba einen so großen Tisch? Joey glaubte nicht, dass er seine Geschäftspartner zu sich nach Hause einlud um mit ihnen zu speisen.

Kaiba saß am hinteren Ende des Tisches. Zurückgelehnt hang er in seinem Stuhl und starrte auf seine Tasse. Den Rest des Frühstücks rührte er nicht an. Joey beobachtete ihn nur kurz, dann seufzte er und trat näher. Erst, als er neben ihm stehen blieb und die Hand auf seine Schulter legte, blickte er auf und sah ihn an.

"Kaiba", hob Joey ernst an. "Wenn du mir nicht sofort sagst, was mit dir los ist, dann bringe ich dich um!"

Kaiba hob skeptisch die Augenbrauen und Joey rollte mit den Augen.

"Okay, ist ja gut, sag nichts! Aber wenn es etwas mit mir zu tun hat, dann will ich es wissen!"

Kaiba hob den linken Arm, schlang ihn um Joeys Steiß und zog ihn zu sich. Er zog ihn nicht weit, aber Joey lehnte sich trotzdem an ihn, legte die Arme um seinen Hals und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht.

"Hat nichts mit dir zu tun." Kaiba schien nicht abgeneigt, hielt den Arm um seinen Leib und lehnte den Kopf gegen seine Brust. Joey beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, seufzte leise und begann seinen Nacken zu streicheln.

"Hat es etwas mit der Arbeit zu tun?"

"Hm." Kaiba schüttelte langsam den Kopf und Joey grübelte weiter. "Ist es... familiär?"

"Nein."

"Schulisch?"

"Quatsch." Kaiba blickte auf und Joey lehnte sich zurück, sah ihn unentwegt an.

"Aber da ist etwas... nicht wahr?"

"Natürlich ist da etwas." Kaibas Gesicht verdunkelte sich. "Da ist immer irgendetwas. Es gibt immer irgendwelche verdammten Dinge, um die man sich kümmern muss, obwohl es einem zum Hals heraushängt."

"Oh." Joey hob die Augenbrauen. "So schlimm?"

"Ach... vergiss es." Kaiba biss sich auf die Unterlippe. „Man muss sich erst Gedanken machen, wenn man einen triftigen Grund dazu hat!“

"Und", Joey legte den Kopf schief, "hast du diesmal einen triftigen Grund?"

"Weiß nicht."

"Na gut." Joey zog einen Schlussstrich. "Egal was es ist, mach dich nicht verrückt und finde erst einmal heraus, ob du einen Grund dazu hast. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm und all die Sorgen sind völlig unangebracht?"

Kaiba blickte schon wieder so skeptisch drein, doch Joey drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, löste sich von ihm und ließ sich auf dem nächstbesten Stuhl nieder. Kaiba beobachtete ihn noch immer etwas kritisch von der Seite, verfolgte, wie sich der Blonde etwas unentschlossen umsah, sich die Hände rieb und nervös aufblickte.

„Und…“, hob er unentschlossen, wies mit einem Nicken auf die Speisen, „… ich darf wirklich…?“

„Besser zuviel, als zuwenig.“ Nickend griff Kaiba nach seiner Tasse und nippte an ihr. „Bedien dich.“

„Danke.“ Seufzend sank Joey auf dem Stuhl in sich zusammen, griff nach einem Croissant und zerrupfte es.

"Was machst du in solchen Fällen?", erhob sich Kaibas Stimme, als er zu essen begann.

"Hm?" Mit vollem Mund spähte Joey auf. "Wem iff Forgen hab?"

Kaiba nickte.

"Na, ef kommt frauf an, waff eff iff." Joey kaute hinter und räusperte sich. "Ich denke, ich nehme alles zu locker. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist aber wenn es da etwas gibt, über das ich mir wirklich den Kopf zerbreche, dann versuche ich die Sache entweder zu regeln oder", Joey blähte die Wangen auf und lehnte sich leicht in die entgegengesetzte Richtung, "oder ich schiebe es solange vor mir her, bis es über mich hereinbricht und ich mich nicht mehr drücken kann. Auf dem einen oder anderen Weg wird man immer mit Problemen konfrontiert. Tja, das gehört zum Leben."

"Driften wir wieder ins Schulische ab?", erkundigte sich Kaiba und Joey hielt inne.

"Ja?"

"Herr Kaiba." Plötzlich betrat ein junger Mann mit einem Telefon den Raum und der Angesprochene drehte sich zu ihm um. "Ihr Anwalt möchte Sie sprechen."

"Ja, ich ihn auch." Kaiba nickte, nahm das Telefon an sich und warf Joey einen flüchtigen Blick zu. "Herr Takahashi." Er legte das Telefon an das Ohr, schob den Stuhl zurück und erhob sich. "Sie rufen spät an."

Joey sah ihm nach, wie er etwas durch den Raum schlenderte und meistens nur nickte. Und dann, bevor er das Wort ergriff und etwas erzählte, verließ er das Zimmer. Nachdenklich hatte Joey ihm nachgesehen und unter einem leisen Seufzen befasste er sich wieder mit dem Croissant.
 

Nach diesem Vorfall sah er Kaiba nur noch kurz. Mit dem Koffer und einer geschäftigen und ernsten Miene zog er an ihm vorbei, sagte noch, dass er gegen Abend wieder da wäre und fuhr los. Joey hätte sich gern den Rest des Tages Gedanken über Kaiba und dessen Probleme gemacht, doch er vergaß Mokuba, der heute aus irgendwelchen Gründen keine Schule hatte. Der Junge hing wieder an seiner Hose und gab sich erst zufrieden, als er sich auf seinem Zimmer mit ihm Trickfilme ansah. Ansah? Nun ja, Mokuba quatschte die ganze Zeit. Er erzählte, dass er Kaiba auch oft dazu zwang und dass dieser langsam in den Geschmack von

Winnie Poo kam. Dieser Behauptung schenkte Joey jedoch keinen Glauben.

Während der Junge tratschte und der kleine Bär mit Honig um sich warf, driftete Joey wieder ab und grübelte. Nach zwei Stunden kam er zu dem Schluss, wenn Kaiba ihm nichts sagen wollte, dann konnte er ihn wenigstens aufheitern, sich um ihn kümmern. Und das tat er auch.

Als Kaiba am frühen Abend nach Hause kam und vor Erschöpfung stöhnte, fragte er ihn, ob sie sich zurückziehen könnten.

"Hast du schon einmal einen Sonnenuntergang beobachtet?", fragte er und zog ihn los.

Den Abend und die ersten Stunden der darauffolgenden Nacht verbrachten sie damit, auf der Dachterrasse zu liegen. Sie hatten es sich auf einer der Liegen gemütlich gemacht. Kaiba hatte sich müde zurückgelehnt, Joey lag zwischen seinen Beinen, den Kopf hatte er auf seiner Brust gebettet. Sie sprachen nicht viel, um ehrlich zu sein, wechselten sie innerhalb zweier Stunden kein einziges Wort. Sie lagen einfach dort, spielten mit ihren Händen und beobachteten die

Sonne, die rot leuchtend, hinter dem Horizont versank. Dann beobachteten sie die Sterne und gingen ihren eigenen Gedanken nach. Und nach diesem Abend hatte Joey das Gefühl, dass es Kaiba besser ging. Mokuba war schon längst im Bett, als sie die Dachterrasse verließen, auf dem Flur die letzten Zärtlichkeiten austauschten und sich dann auf ihre Zimmer zurückzogen.
 

Am nächsten Tag, am Sonntag, schien Kaiba eine bessere Laune zu haben. Sie aßen gemeinsam mit Mokuba Frühstück. Entweder verhielt sich Kaiba unauffällig, weil er dem Jungen keine Angst einjagen wollte, oder er tat es, weil er sich wirklich keine Gedanken mehr machte, worüber auch immer. Er sagte ja nichts. Auf jeden Fall war Joey etwas erleichtert. Es gab da aber auch eine dritte Möglichkeit, weshalb Kaiba zufrieden war.

Die Sache war die: Mokuba fuhr heute wieder zu Bikky und vermutlich erwartete ihn ein ruhiger Tag.

Die drei aßen in aller Ruhe und dann stand Mokuba auf, um seine Sachen zu holen. Er verabschiedete sich kurz, rannte dann hinaus und würde somit für diesen und den nächsten Tag entschwunden bleiben.

Kaiba lehnte sich zurück, tippte mit den Fingerkuppen über den Tisch und sah Joey über den Tisch hinweg, an. Dieser erwiderte seinen Blick und griff abwesend nach einem Hörnchen. Eine lange Zeit saßen sie wohl so dort, starrten sich an und schwiegen. Joey grinste.

"Heute ist unser Tag. Zum Glück habe ich keine Termine und kann jede Stunde dieses Tages genießen."

Kaiba schnalzte mit der Zunge und betrachtete seine Tasse.

"Also?" Joey stützte das Kinn auf die gefalteten Handflächen und lehnte sich nach vorn. "Was machen wir?"

"Schlag du etwas vor", erwiderte Kaiba irgendwie lustlos. Vermutlich war er nicht gut darin.

"Wir könnten baden fahren."

"Baden können wir auch hier." Kaiba rümpfte die Nase. "Außerdem darfst du in deinem Zustand nicht baden."

Ja, da war etwas dran. Also grübelte Joey weiter. Er begann am Rand seiner Tasse zu kratzen und biss sich auf die Unterlippe.

"Was hältst du davon, wenn wir einen Spaziergang im Park machen?"

"Einen..." Kaiba reagierte, als hätte er soeben etwas Unglaubliches gehört. Etwas, das ihm einfach unmöglich erschien. "Einen Spaziergang."

"Klar." Joey zuckte gelassen mit den Schultern. "Ich denke, das tut dir auch mal gut. Wir müssen auch nicht lange bleiben."

"Ich bin noch nie im Park spazieren gegangen", bemerkte Kaiba und jetzt sah Joey drein, als wäre das unglaublich.
 

"Komm schon, es wird dir gefallen." Hinter Kaiba stieg Joey in die Limousine und machte es sich gemütlich.

"Daran habe ich nie gezweifelt." Kaiba beobachtete den Chauffeur, der eilig um die Limousine herumlief und dann einstieg. Er beobachtete ihn auch, als er sich nach vorn lehnte und den Motor startete. Dann, als der Wagen anfuhr, ließ er die Hand sinken und tastete nach einigen Knöpfen, die sich an der Tür befanden. Einen dieser Knöpfe drückte er und plötzlich schob sich eine verdunkelte Scheibe hinter die Fahrerkabine. Sie trennte die beiden Teile des

Wagens voneinander. Joey beobachtete die Scheibe kurz und hob verwundert die Augenbrauen.

Was sollte das?

Langsam drehte er das Gesicht zur Seite und schon erhielt er seine Antwort. Kaiba rutschte näher zu ihm, neigte sich nach vorn und schob die Hand über seinen Hals, über seinen Nacken. Dann zog er ihn nach vorn, zog ihn zu sich und küsste ihn. Joey lachte leise, umarmte Kaiba fest und erwiderte den zärtlichen Kuss fordernd.

Die Krankheit hatte sie an allem gehindert, was Spaß machte, doch jetzt Kaiba hatte den richtigen Zeitpunkt erkannt und gehandelt. Joey war dabei. Während sie sich küssten, sich fest

umklammerten und neckten, grinste Joey. Ja, er grinste und zwar die ganze Zeit über. Er hatte die Arme um Kaibas Hals gelegt und dessen Hände fuhren geschwind über seinen Rücken, glitten sein Rückrad hinab und näherten sich schnell seiner Hose. Joey spürte jede der Bewegungen, jede der Berührungen. Kaiba biss zu, Joey biss zurück und verstärkte die Umarmung. Dann schnappte er nach Kaibas Lippe und wieder begannen sich die Hände auf

seinem Rücken zu bewegen. Joey räkelte sich kurz und hockte sich dann auf die Knie. Er richtete sich auf der weichen Bank auf, atmete hastig durch die Nase ein und öffnete den Mund weiter. Anschließend legte er den Kopf schief und verschmolz ein weiteres Mal mit Kaiba. Während sie in einem langen und leidenschaftlichen Kuss versanken, schob er flink das linke Bein über Kaibas Schoß und ließ sich auf ihm nieder. Er hatte diese Zärtlichkeiten zu sehr vermisst, als dass er sich zurückhalten könnte. Doch Kaiba schien es ebenso zu

gehen, denn auf einmal spürte Joey, wie eine freche Hand hinterrücks unter seine Hose rutschte. Er schenkte dem kaum Beachtung und selbst, als sie unter den Saum der Shorts fuhr, ließ er sich nichts anmerken.

Es fühlte sich gar nicht so übel an…

Kurz richtete er sich auf, rutschte näher an Kaiba heran und ließ sich wieder auf seinen Schoß sinken. Er gab die Erlaubnis, zeigte keine Abneigung… und dennoch, nach wenigen Sekunden machte die Hand machte. Sie glitt wieder über seinen Rücken, rutschte höher zu seinen Schultern und verstärkte dort den Druck.
 

Vor dem Park hielt die Limousine und sofort sprang der Chauffeur wieder nach draußen, um seinen beiden Fahrtgästen die Tür zu öffnen. Joey war der erste, der ausstieg. Als er sich aufrichtete und die frische Luft einatmete, hob er gleichzeitig die Hände und versuchte seine Haare zu bändigen, die ihm etwas zerzaust zu Berge standen. Als Kaiba dann ebenfalls ausstieg und er es noch immer nicht bewerkstelligt hatte, zückte er einfach einen Haargummi und band sich einen Zopf.

Kaiba flüsterte kurz mit dem Mann, sagte ihm vermutlich, dass er sich nicht zuviel Zeit mit dem Abholen lassen sollte, und wandte sich dann endlich an Joey. Dieser hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt und grinste, als er neben ihm stehen blieb und sich seinen Beobachtungen anschloss.

Also, Kaiba sah Bäume, Wiesen und Blümchen. Auch Tiere, die von einem Ast zum anderen hüpften, und Hunde, die bellend im Gras tollten. Auf dem ersten Blick erschien ihm diese Umgebung sehr stressig, ungut für seinen müden Geist, doch Joey zupfte an seinem Shirt und schlenderte los.

"Komm schon", trieb er ihn an. "Wir müssen uns erholen."

"Wie soll ich mich erholen, wenn du mich scheuchst." Kaiba verdrehte die Augen und folgte dem jungen Mann. Nebeneinander trödelten sie dann über die Wiesen und unter den Bäumen hindurch.

Irgendwann ließen sie sich auf einer Bank nieder, streckten die Beine von sich und beobachtete die Kinder, die lachend über die Wiesen rannten, Fange spielten und sich im Gras rollten. Joey seufzte, lehnte sich wieder nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. Dann ließ er die Hände hängen und beobachtete die Kinder weiterhin. Seine Miene verharrte bald ausdruckslos, nur seine Augen erhielten einen verträumten Ausdruck. Während er abwesend vor sich hinstarrte, saugte Kaiba an seinen Zähnen und ließ das Kinn auf die Brust sinken. Und jetzt? Erholung.

Wie funktionierte das eigentlich?

Er war immer noch verspannt, verkrampft von den letzten Arbeitstagen. Nach kurzen Überlegungen beobachtete er Joey. Dieser schien Erholung überhaupt nicht nötig zu haben. Stets war er heiter, munter und wach. Abgesehen von den Nickerchen im Unterricht.

Aber Joey hatte bei weitem auch nicht so viel Arbeit, wie er. Also brauchte er vermutlich auch keine Erholung. Er beobachtete Joey weiterhin und als sich dieser mehrere Minuten nicht bewegte, wollte er sich gern davon überzeugen, dass er überhaupt noch am Leben war.

"Was ist?"

Kurz verharrte Joey noch reglos, dann seufzte er wieder und lehnte sich zurück.

"Siehst du diese Kinder?", fragte er leise.

"Hm." Kaiba murmelte etwas Verworrenes. "Klar, wie könnte ich sie übersehen."

"Schau sie dir an", bat Joey verträumt.

"Besser nicht", murrte Kaiba.

"Wie sie lachen."

"Und wie sie schreien."

"Sie sind des Lebens froh."

"Und sie rauben anderen Menschen den letzten Nerv." Kaiba rieb sich das Gesicht,

Joey achtete nicht auf ihn.

"Sie haben ein nettes zu Hause."

"Dann sollen sie dahin zurückgehen."

"Nette Eltern."

"Die es mit der Erziehung nicht so ernst nehmen."

"Und..." Joey verschränkte langsam die Arme vor dem Bauch, "... wie unschuldig sie alle noch sind."

Kaiba lugte zu ihm, daraufhin wusste er nichts zu erwidern.

"Ich wünschte, ich wäre auch wieder so klein", fuhr Joey geistesabwesend fort.

"Ich müsste mir um nichts und niemanden Sorgen machen. Nicht um die Schule, um Freunde oder anderen Kram. Ich könnte einfach spielen und das Leben genießen." Kaiba linste langsam zu ihm und starrte Joey kritisch an.

"Ich will Fange spielen, mich mit anderen Kindern kempeln, Eis essen und Lollis

lutschen. Verstehst du das?" Joey drehte das Gesicht zur Seite und traf auf

Kaibas Blick. Nein, es sah nicht so aus, als würde er es verstehen. Er starrte ihn an und Joey starrte zurück. So vergingen einige Sekunden und Kaiba rümpfte die Nase.

"Hast du Fieber?"

"Nein, ehrlich!" Berauscht zog Joey ein Bein auf die Bank und wandte sich ihm

aufgeregt zu. "Stell dir doch einmal vor, du könntest dein Leben noch einmal

leben, alles noch einmal erleben und genießen. Nun weißt du, wie das Leben ist. Früher als kleines Kind warst du dir dessen nicht bewusst. Und nun? Nun wünscht man sich, man könnte in der Zeit zurückreisen. Man würde dankbar für dieses junge Leben sein", Joey fuchtelte mit den Händen, "jeden Tropfen auskosten und alles genießen."

"Das sagtest du schon einmal." Kaiba war von diesem Gerede nicht sehr begeistert.

"Es ist nicht so, dass ich viele Sorgen habe." Joey achtete nicht darauf. "Ich meine die Gesamtsituation, verstehst du?"

"Nein." Kaiba schüttelte den Kopf und Joey tratschte weiter.

"Aber stell es dir doch einmal vor, Kaiba!" Seine Augen leuchteten. "Stell dir vor, du könntest Fehler wieder gutmachen, Menschen wieder sehen, die längst verstorben sind und manche Dinge verhindern."

Endlich zeigte Kaiba eine andere Reaktion. Er trug eine verbissene Ernsthaftigkeit in den Augen, als er Joey ansah. Dieser starrte zurück.

"Fehler wieder gutmachen." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Ich wüsste nicht, dass ich in meinem Leben einen folgeschweren Fehler begangen habe. Menschen, die verstorben sind, gibt es viele. Aber die sollten auch verstorben bleiben und besondere Dinge gibt es nicht zu verhindern. Hätte ich es getan, hätte ich mein Leben anders gelebt und andere Entscheidungen getroffen, dann wäre ich nun nicht hier. Und so wie es jetzt ist, ist es gut."

"Ja." Joey lächelte. "Ich sagte doch: "Schicksal"."

"Das mit dem Schicksal kannst du dir schenken." Kaiba schüttelte entschlossen den Kopf. "Ich nehme mein Schicksal selbst in die Hand."

"Höm... klar." Das wurde Joey zu tiefgründig. Und bevor er noch irgendeinen Blödsinn redete, nickte er. "Ich kenne deine Vergangenheit", sagte er nach einem kurzen Zögern. "Es tut mir leid. Ich... also im Gegensatz zu dir, hatte ich wohl eine traumhafte Kindheit."

Kaiba wackelte mit dem Kopf, gab Joey deutlich zu verstehen, dass er jetzt nicht über dieses Thema sprechen wollte. Also brach wieder Schweigen über sie herein. Joey beobachtete die Kinder diesmal mit einer etwas trübsinnigeren Miene und Kaiba hielt die Augen geschlossen und den Hinterkopf auf die Lehne der Bank gebettet. Die Sonne schien ihm hell ins Gesicht, nur selten wurde die Helligkeit durch Schatten unterbrochen, wenn sich die Äste der Bäume rauschend zu ihnen hinabneigten. Stille. Langsam öffnete Kaiba den Mund, atmete tief ein und stieß die Luft unter einem leisen Seufzen wieder aus. Erholung.

Alles war so friedlich. Das Rascheln der Blätter, das Zwitschern der Vögel... und das Schreien der Kinder. Doch diese unangenehmen Geräusche überhörte Kaiba nach kurzer Zeit. Er konzentrierte sich nur auf das, was ihm gefiel. Und nach wenigen Minuten begann er wirklich, sich zu entspannen. Er atmete die frische Luft ein, streckte sich und genoss das Nichtstun. Joey hatte schon eine gute Idee gehabt. Er wusste, wie man sich erholen und eine wohlige Atmosphäre genießen konnte. Und in diesen Minuten vergaß er auch all seine Sorgen. Er wollte nur hier sitzen und...

"Joey?!"

Ein kalter Schauer fuhr erschreckend schnell durch seinen Körper und er richtete sich auf. Diese Stimme! Sie gehörte nicht zu seiner Erholung. Nein, ganz bestimmt nicht! Auch der Angesprochene wurde aufmerksam, blickte auf und sah sich um. Kaibas Augen weiteten sich, vom Grauen gepackt. Winkend kam Yugi über die Wiese auf sie zu gerannt. Auch Tristan, Tea, Duke und Bakura waren dabei.

"Hey!" Joey winkte zurück und Kaiba stöhnte.

"Hey! Hallo!!"

Joey grinste noch kurz, dann wandte er sich schnell mit ernster Miene an seinen grimmigen Begleiter.

"Ich mache es kurz, okay?" Mit diesen Worten wandte er sich wieder ab und die kleine Gruppe blieb vor ihnen stehen. Kaiba saugte an seinen Zähnen und wandte blasiert den Blick ab.

"Joey!" Nachdem Yugi einen knappen Blick zu Kaiba geworfen und ihn mit einem Nicken begrüßt hatte, grabschte er nach Joeys Hand und schüttelte sie. "Ich habe mir solche Sorgen gemacht, als du nicht in der Schule warst. Und zu Hause warst du auch nicht!"

"Ja." Joey grinste und erhielt von Tristan einen derben Schlag auf die Schulter.

"Tut mir leid."

"Und?" Duke steckte sich einen Kaugummi in den Mund und lugte kurz zu Kaiba. "Wie geht es dir?"

"Besser." Joey lehnte sich wieder zurück. "Ich habe viel geschlafen und Medikamente genommen und die Krankheit auch auf vielerlei anderen Wegen bekämpft."

"So muss es auch sein." Tea hob allwissend den Zeigefinger. "Du siehst ja schon viel besser aus. Wann kommst du wieder in die Schule?"

"Tja, weiß nicht." Joey zuckte mit den Schultern. Es gefiel ihm, dass seine Clique zufällig auch hier war und sie nun einen kleinen Plausch halten konnten. Auch wenn da jemand nicht mit einverstanden war. "Der Arzt meinte, das wäre erst möglich, wenn das Fieber ganz weg wäre. Und dann brauche ich mindestens noch drei Tage, um mich vollkommen auszukurieren."

"Ja, ja." Duke nickte sarkastisch. "Du nutzt doch schamlos aus, dass du krank bist. Aber ehrlich", er zwinkerte ihm zu, "ich würd's auch tun."

"Aber ich nutze es doch gar nicht..."

"Und?" Gutgelaunt wandte sich Yugi an Kaiba. "Warum warst du gestern nicht in der Schule? Hast du dich angesteckt? Bist du auch krank?"

Kaiba machte eine ablehnende Handbewegung und stöhnte gelangweilt. Yugi hatte

es nicht verstanden und würde es auch niemals tun. Der Junge nahm sich diese Reaktion jedoch nicht zu Herzen und wandte sich wieder an Joey, um diesen munter anzugrinsen.

"Was hattest du eigentlich?", erkundigte sich Tea.

Bakura musterte Kaiba, der nun in seinen Hosentaschen suchte und sich kurz darauf eine Zigarette ansteckte.

"Eine Grippe", antwortete Joey. "Und eine kleine, eine ganz klitzekleine Bronchitis."

"Bronchitis!", wiederholte Tristan Augenrollend. "Mein lieber! Da hast du dir ja etwas geholt!"

"Hm." Joey ließ sich leicht zur Seite sinken und stupste Kaiba mit dem Fuß an, worauf dieser nur brummte. Nachdem Joey ihm einen knappen, prüfenden Blick geschickt hatte, wurde er auf Bakura aufmerksam, der da so herumstand und nichts sagte.

"Ich hätte auf dich hören sollen", sprach er ihn an und der junge Mann hob die Augenbrauen. "Dann wäre ich nicht krank geworden."

>Aber dann hätte mich Kaiba nicht zu sich geholt<, dachte er sich heimlich und grinste. >Und das war es mir wert.<

"Ach ja." Genüsslich lehnte sich Joey zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Und was macht ihr hier so?"

>Er will es kurz machen?< Kaiba rollte mit den Augen und nahm verstimmt einen Zug.

"Wir gehen nur spazieren", antwortete Tristan locker. "Dieses Wetter mussten wir

doch nutzen."

"Ja, wir auch." Joey lugte zu Kaiba. "Eigentlich war er ja nicht so fasziniert, aber ich habe ihn überredet, nicht wahr?" Wieder stupste er ihn mit dem Fuß an.

"Hm", murrte Kaiba.

"Ach." Joey wandte sich ab.

"Na gut." Yugi bemerkte die unangenehme Atmosphäre, die nur Kaiba zu verdanken war. "Wir spazieren dann mal weiter, nicht wahr?" Er sah sich fragend um und alle nickten.

"Ja, ja." Duke fuhr sich über den Schopf. "Wir wollten unbedingt noch an den See."

"Bis später." Tea winkte. "Wir sehen uns doch in der nächsten Woche, oder?"

"Mal sehen."

Auch Tristan wandte sich ab, nachdem er Joey gehauen hatte und letzten Endes stand nur noch Bakura vor den beiden. Er stand einfach da, sah von Joey zu Kaiba und wieder zurück. Kaiba interessierte sich nicht dafür, doch Joey hob verwundert die Augenbrauen.

"Was ist?"

Bakura wurde wieder auf ihn aufmerksam, runzelte kurz die Stirn und schüttelte dann den Kopf.

"Nichts", sagte er dann. "Ich gehe dann mal auch." Langsam, etwas zögernd wandte er sich ab. "Viel Spaß noch."

"Huh?" Joey legte den Kopf schief und Kaiba blickte auf.

Ohne sich umzudrehen, schlenderte Bakura über die Wiese und folgte den Anderen.
 

~*to be continued*~

Schattenseiten

Bald darauf fuhren sie wieder nach Hause und dort erlebte Joey das Grausamste, was er sich in dieser Lage vorstellen konnte. Kaiba erhielt einen kurzen Anruf und meinte, er müsste sich noch einmal kurz in die Arbeit stürzen.

"Am Sonntag?", hatte sich Joey fassungslos erkundigt.

Aber es hatte alles nichts gebracht. Kaiba zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und meinte beschwichtigend, er könne ja mitkommen. Also tat er das auch, um nicht ganz allein zu sein. Während sich Kaiba hinter seinen Computer hockte, kauerte er sich auf eines der Sofas, legte die Beine nach oben und träumte etwas vor sich hin. Neben ihm ertönte schnelles Tippen. Kein Wunder, dass er müde wurde. Nach ungefähr einer halben Stunde ließ er sich einfach zur Seite fallen, kuschelte sich in die Kissen und döste etwas. Nur kurz, bevor sich seine Sinne abschalteten und er einem tiefen Schlaf verfiel.

Zwei Stunden schlief er durch, räkelte sich und schmatzte leise vor sich hin. Kaiba schenkte ihm nur Aufmerksamkeit, wenn er ein besonders merkwürdiges Geräusch von sich gab. Dann lehnte sich zur Seite und beobachtete den jungen Mann kurz. Doch sobald dieser wieder still lag, verlor er das Interesse und schrieb weiter. Konzentriert starrte er auf den Bildschirm, klickte hier und klickte da. Er musste nur noch ganz kurz diese Datei speichern... besessen biss er sich auf die Unterlippe und lehnte sich leicht nach vorn.

Was war denn das?

Wieder schrieb er ein bisschen.

Joey öffnete den Mund, murmelte etwas Verworrenes und begann sich wieder zu wälzen. Er rollte sich vor und zurück und streckte die Beine von sich. Kaiba führte eine schnelle Tastenkombination durch, rieb sich die Stirn und verzog das Gesicht.

"Was zur Hölle..."

Ein leises Seufzen ertönte, dann ein weiteres, recht merkwürdiges Geräusch, auf das ein leiser "Rums" folgte.

"Uh..."

Kaiba lehnte sich wieder zur Seite, seine Augen suchten nach Joey. Doch dieser lag nicht mehr auf dem Sofa. Nein, nun wälzte er sich auf dem Boden.

"Aua..."

"Alles in Ordnung?" Kaiba rümpfte die Nase.

Joey blieb faul liegen, schob nur das Gesicht und starrte ihn an. Doch nach wenigen Sekunden sah Kaiba ihn grinsen.

"Bist du fertig?"

>Nein.< Kaiba warf einen grübelnden Blick zu dem Bildschirm. >Ich komme so gut wie nicht voran.<

"Ja ", antwortete er dennoch und schaltete den Computer aus. Joey vergaß seinen schmerzenden Kopf, rappelte sich auf und streckte sich genüsslich.

"Du? Könnten wir etwas essen?"

Kaiba rieb sich den Nacken, stützte die andere Hand in die Hüfte und warf einen knappen Blick zu der Uhr. Es war schon um sieben und draußen begann es allmählich zu dämmern. Wie lange hatte er denn gearbeitet? Er warf der Uhr einen weiteren Blick zu, konnte nicht glauben, wie schnell die Zeit doch verging. Doch auch bei dem zweiten Nachsehen, standen die Zeiger an derselben Stelle.

"Mm", brummte er. "Ja, wir essen besser etwas."

Sofort war Joey bei ihm, schob sich an ihm vorbei und schlenderte neben ihm einher. Als sie die Tür erreichten, lugte Kaiba zu ihm. Auch Joey hatte ihn heimlich beobachtet. Jetzt trafen sich ihre Blicke kurz und schweiften sofort wieder ab. Als sie dann langsam durch den Flur trotteten, linste Joey wieder zu ihm, verschränkte die Arme vor dem Bauch und knabberte auf seiner Unterlippe.

Auf dem Weg in den Speiseraum wechselten die beiden kein einziges Wort. Sie gingen schweigend nebeneinander her und nur Blicke waren es, mit denen sie sich verständigten. Es war eine wirklich seltsame Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte. Auch, als sie den Speiseraum betraten, schwiegen sie, ließen sich am Tisch nieder und aßen.

Joey war in tiefen Grübeleien versunken, als er langsam die Tasse zum Mund hob und deren Rand an die Lippen setzte, seine Augen hingen geistesabwesend auf einem nicht existierenden Punkt.

>Irgendetwas macht mich nervös<, gestand er sich ein, stellte die Tasse wieder ab, ohne einen Schluck zu trinken und hielt den Atem an. >Ich weiß nicht, was es ist. Ob es Kaiba auch so geht?< Zögerlich blickte er auf und beobachtete seinen Gegenüber. Doch dieser saß still und schien auch einen ausgeprägten Hunger zu haben. Er schien dieses merkwürdige Gefühl nicht wahrzunehmen. Und er war so sehr dem Essen beschäftigt, dass er Joey nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Erst, nachdem er mehrere Momente beobachtet worden war, blickte er kurz auf, erwiderte Joeys Blick und richtete ihn dann wieder auf den Teller.

>Was ist nur mit mir los?< Joey ließ den Blick ebenfalls sinken und blähte die Wangen auf. >Ich fühle mich merkwürdig.< Nervös wanderte sein Blick über den Tisch. >Irgendwas passiert heute noch.< Seine Hände rutschten unter den Tisch, rieben sich aneinander. >Und irgendwie will ich es gar nicht verhindern.<

Schweigend blieb er sitzen, kreuzte die Beine und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen.

Wieder blickte er auf und beobachtete Kaiba. Aber dieser ließ sich mit dem Essen alle Zeit der Welt. Nur langsam hob er die Gabel zum Mund und kaute lange, bis er hinterschluckte. Erst nach unendlich erscheinenden fünf Minuten, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

Dann trafen sich ihre Blicke von neuem.

Ausdruckslos hielten beide den Blickkontakt aufrecht, schienen sich geradewegs zu ergründen

>Er denkt an dasselbe<, zog es Joey durch den Kopf und er schluckte. >Ich weiß es aber er sagt nichts, weil er mich nicht bedrängen will.< Langsam richtete er sich auf. >Also werde ich den Anfang machen.<

"Du hast mir schon eine Menge von dem Haus gezeigt", hob er leise an und erwiderte Kaibas Blick standhaft. "Aber dein Zimmer habe ich noch nie gesehen."

Kaiba antwortete nicht. Bewegungslos blieb er sitzen und musterte jeden seiner Gesichtszüge. Vermutlich suchte er nach einer Unsicherheit, die sich verstecken wollte. Er fand sie auch und schien zu grübeln. Und dadurch wurde Joey nur noch nervöser. Bald hielt er es nicht mehr aus, ließ den Kopf sinken und atmete tief ein. Diese Stille machte ihn fertig. Und sie hielt lange an. So lange, dass Joey glaubte, in jeder Sekunde könne sein Herz stehen bleiben. Und so wie es raste, konnte man es wirklich glauben.

"Willst du es sehen?"

"Hm?" Joey richtete sich auf und baute den Blickkontakt wieder auf. Ohne, dass er es bemerkte, nickte er. Kaiba erwiderte das Nicken bedächtig, schob den Stuhl zur Seite und erhob sich. Nachdem er ihm einen weiteren durchmusternden Blick geschickt hatte, wandte sich ab und ging los. Auch Joey kam auf die Beine und als er stand, hatte er das Gefühl, seine Knie würden jederzeit nachgeben. Doch er hielt sich aufrecht, umfasste die Handgelenke auf

dem Rücken und folgte Kaiba durch die Gänge. Wieder stiegen sie die Treppe hinauf und bogen in den linken Gang ein, indem sich auch Kaibas Arbeitszimmer befand.

Joey starrte während des gesamten Weges auf den Boden und hielt sich hinter Kaiba. Seinem Gesicht waren permanente Gedanken anzusehen… Grübeleien, die ihn beherrschten, ihn jedoch nicht stocken ließen. Er hielt Schritt, folgte Kaiba, ohne zurückzufallen und als er stehen blieb, hielt auch er inne und blickte auf. Bequem griff Kaiba nach der Klinke und öffnete die Tür, die sich direkt neben ihm befand. Er zog sie auf und blieb stehen, erwartete, dass Joey voranging. Und nach einem kurzen Zögern tat dieser es auch.

In stockenden Schritten betrat er den Raum. Hinter ihm trat auch Kaiba ein und schloss die Tür. Letzten Endes blieb er neben ihm stehen und schloss sich seinen Beobachtungen an, obgleich er sein Zimmer wohl am besten kannte. Langsam ließ Joey den Blick durch den Raum schweifen und besah sich alles genau. Aber an seinen Augen, seiner Haltung und seiner Mimik konnte man deutlich erkennen, dass er sich nicht für die Gegenstände, die Bilder oder den Rest der Einrichtung interessierte. Er betrachtete ihn sich nur flüchtig und schloss seine Besichtigung nach nur wenigen Sekunden ab.

"Schön." Ein verunsichertes Grinsen huschte über seinen Mundwinkel. Doch es verschwand so schnell wie es gekommen war. Kaiba stützte die Hände in die Hüften, warf Joey einen flüchtigen Blick zu und zog an ihm vorbei. Sofort haftete dessen Blick an ihm. Joey sah Kaiba nach, wie er zu einer kleinen Kommode ging, dort nach einer Zigarette griff und sie zwischen die Lippen klemmte. Anschließend lehnte er sich gegen das harte Holz des Möbelstücks und

entzündete den Tabak. Als er das Gesicht zu ihm drehte, floh Joey vor seinem Blick und räusperte sich leise. Dann schlenderte er durch den Raum, zog an dem Bett vorbei und blieb vor dem Fenster stehen, welches sich gleich daneben befand. Joey konnte dennoch nicht allzu viel erkennen, denn allmählich verschlang die Dunkelheit Domino. Unter einem leisen Seufzen hob er die Arme, fuhr sich mit der einen Hand über den Nacken und stützte sich mit der anderen am Fensterrahmen ab.

>Und jetzt? Drücke ich mich davor?< Er blinzelte matt, seine Pupillen wechselten zur Seite, richteten sich auf Kaiba. Dieser lehnte noch immer an der Kommode und rauchte. Dabei starrte er auf die gegenüberliegende Wand. Seine Bewegungen wirkten geschwind und kontrolliert.

War er nicht nervös?

Joey schüttelte langsam den Kopf, ließ ihn hängen und ertappte sich dann doch wieder dabei, wie er Kaiba beobachtete, sich den anderen Körper betrachtete.

>Warum sagt er nichts? Jetzt muss er den Anfang machen. Ich finde nicht den Mut dazu.< Er schluckte. >Ich habe keine Ahnung, wie man so was macht.<

Seine Hände wurden wieder unruhig, ein kühles Schaudern zog durch seinen Körper und er richtete sich auf. Langsam ließ er die Arme sinken, atmete tief ein und wandte sich mit einem stockenden Schritt Kaiba zu. Dieser kehrte ihm kurz den Rücken, drückte die Zigarette aus und wurde dann auf ihm aufmerksam. Er drehte sich um und wieder traf Joey dieser fixierende Blick. Der junge Mann schluckte von neuem, versteckte die Hände hinter dem Rücken und faltete sie ineinander. Doch plötzlich näherte sich Kaiba ihm mit sicheren Schritten. Er kam auf ihn zu und blieb erst kurz vor ihm stehen. Joey blickte auf und starrte in diese blauen Augen.

Für die nächsten Momente taten sie nichts anderen und an Kaibas Miene konnte man nicht erkennen, woran er soeben dachte. Doch er schien Joeys Gedanken lesen zu können. Das konnte man zumindest glauben, so, wie er ihn ansah. Anfangs entfloh Joey dem Blickkontakt des Öfteren, baute ihn dann jedoch mit neuem Mut auf. Und bald hielt er ihn standhaft aufrecht. Lange standen sie schweigsam voreinander, bis Joey den Blick sinken ließ und langsam nach Kaibas Hand tastete. Er spreizte deren Finger und hielt sie fest umschlossen, betrachtete sie sich, drehte sie und besah sie von allen Seiten. Kurz darauf verstärkte er den Druck, strich sanft über die Finger und ließ die Hand wieder los. Anschließend atmete er tief ein, griff nach dem unteren Saum seines Pullovers und zog ihn geschwind höher. Er zog ihn sich über den Kopf, ließ ihn sinken und unachtsam zu Boden fallen. Tief durchatmend blickte er wieder auf und studierte Kaibas Augen. Diese waren stets nur auf die seinen gerichtet,

schenkten seinem nackten Oberkörper keinerlei Aufmerksamkeit. Er machte den Anschein, erfroren zu sein, doch überrascht wirkte er nicht, gleichermaßen auch nicht abgeneigt. Als sich Joey dessen bewusst wurde, trat er noch näher an ihn heran. Er tat einen Schritt und stand direkt vor ihm, so nahe, dass er seine Wärme auf der nackten Haut spürte... Kaibas Atem kitzelte sein Gesicht.

Und endlich nahm er eine Bewegung in Kaibas Miene wahr. Der junge Mann blinzelte, ließ den Blick sinken und betrachtete sich Joeys Oberkörper gemächlich. Bedächtig ließ er den Blick über die straffe Haut schweifen, über die starken Arme, den flachen Bauch. Joey ließ sich gern betrachten, blieb stehen und beobachtete Kaiba aufmerksam. Dieser hob bald darauf die Hand, näherte sie Joeys Bauch und legte sie letzten Endes auf die linke Seite der Brust. Er spürte die schnellen und starken Schläge des jungen Herzens, spürte die Gänsehaut, spürte die Nervosität.

Den Blick nachdenklich auf die eigene Hand gerichtet, hielt Kaiba inne, ließ sie erst nach wenigen Sekunden weiter hinab gleiten. Genießerisch fuhren seine Fingerkuppen über die glatte Haut, strichen bedächtig über den Bauch und lösten sich dann von ihm. Kaiba wirkte unentschlossen, als er die Hand zu einer lockeren Faust ballte und an den Mund legte. Wieder richteten sich die blauen Pupillen auf die Braunen, stellten eine stumme Frage und studierten sie genau. Und Joey blieb standhaft und brachte mit einem sanften Lächeln die ebenso

stumme Antwort.

Kurz darauf ließ Kaiba die Hand sinken und legte sie vorsichtig auf seine Hüfte. Die Berührung ergab sich nur langsam, Kaiba machte den Anschein als wolle er diesen Augenblick so lange wie möglich auskosten. Während er auch die zweite Hand hob, um sie auf der anderen Seite zu platzieren, betrachtete er sich den Hals, das Schlüsselbein und letzten Endes wieder die Brust. Er besah sich alles genau, prägte es sich ein. Noch nie hatte er die Möglichkeit gehabt, sich Joeys Körper so ruhig zu betrachten. Das sanfte Lächeln verweilte auf Joeys Lippen, als er langsam das Gesicht sinken ließ und die Augen schloss. Kurz darauf spürte er, wie sich beide Hände von seinen Hüften lösten, über seinen Rücken fuhren und ihn vorsichtig nach vorn zogen. Joey machte einen kleinen Schritt, spürte die Wärme des anderen Körpers noch intensiver und wenige Sekunden später, presste sich dieser fest an den seinen. Genüsslich öffnete Joey den Mund, ließ die Stirn schwelgend auf Kaibas Schulter sinken

und hob die Arme um die Umarmung zu erwidern. Kaiba schmiegte das Gesicht an seinen Hals, auch seine Lider sanken hinab. Ein kitzelnder Atem strich über Joeys Haut, seine Finger versenkten sich sanft in dem Stoff des Shirts. Bald begann Kaiba ihn vorsichtig zu küssen, mit den Lippen nach seiner Haut zu schnappen und zu knabbern. Fast reglos standen sie dort, und trotzdem war es das Schönste, das Joey je erlebt hatte. Während Kaiba seinen Hals zärtlich

bearbeitete, schob er die Hände seinen Rücken hinauf, zwischen den Schulterblättern hindurch und in den Ansatz des Schopfes. Dort begann er ihn zu kraulen und zu streicheln. Durch diesen zurückhaltenden Beginn verlor Joey die Nervosität oder vergaß sie zumindest für diesen Augenblick. Er musste diese feinfühligen Berührungen genießen, sich keine Gedanken über das Kommende machen. Zugegeben etwas ungeduldig, küsste Kaiba höher, erreichte schnell sein Ohr und berührte es sanft mit der Nasenspitze. Joey atmete tief ein und seine Hände hielten in der Bewegung inne, als Kaiba die Arme zurückzog, ihn langsam aus der Umarmung entließ. Seine Fingerkuppen berührten den Bund seiner Hose, strichen über ihn und näherten sich so den Knöpfen. Unbewusst hielt Joey den Atem an, als sich die Finger flink daran machten, die Knöpfe aus den Löchern zu drehen. Es war Kaibas Hose. Niemand kannte sich besser mit ihr aus, als er selbst. Schnell war sie geöffnet. Joeys Hände ballten sich locker zu Fäusten, seine Fingernägel kratzten über die weiche Haut. Nun gab es kein Zurück mehr, eine schnelle Änderung der Meinung existierte nicht und Joey durfte sie sich nicht erlauben. Die äußerst ausgeprägte Feinfühligkeit erlaubte Kaiba, jede kleinste Nervosität, die

Joey befiel, zu erkennen. Nun als er die Hände unter den Bund schob und sie zum Steiß wandern ließ, spürte er sie deutlich. So verlangsamte er die Bewegung seiner Hände und schmiegte sich beruhigend an den jungen Körper. Joey behielt die Augen geschlossen, kämpfte gegen das Zittern an, das seinen Körper allmählich zu beherrschen begann. Er wollte es nicht, doch sein Körper stellte sich gegen ihn. Er hoffte, dass sich Kaiba dessen bewusst war. Er beging keinen Fehler und sollte es auf keinen Fall glauben. Fließend glitten Kaibas Hände über seinen Steiß, verschwanden auch unter den Shorts und fuhren über seinen Hintern. Gleichzeitig zog er die Hose samt Shorts hinunter. Auffällig erschauderte Joey bei dieser Berührung, doch Kaiba hielt nicht inne, hob die Hände und streifte anschließend die Kleider hinab. Er würde es Joey noch schwerer machen, wenn er nun eine Pause einlegte. Dieser spürte nun, wie der weiche Stoff über seine Haut rutschte, über seine Beine glitt und letzten Endes zu seinen Füßen liegen blieb. Noch immer bewegte er sich kaum, blieb stehen und klammerte sich um Kaibas Hals. Es erweckte kein Gefühl des Unbehagens in ihm, nackt vor ihm zu stehen. Es wirkte nur seltsam auf ihn, fremd und gewöhnungsbedürftig. Er behielt die Augen weiterhin geschlossen aber seine Arme lockerten sich allgemach. Er begann sich zu entspannen. Besinnlich fuhren die Hände über seinen Rücken, streichelten seinen Steiß und seinen Hintern. Vorerst hielten sie sich nur dort auf, und Joey war froh darüber.

Kaiba streichelte ihn noch, küsste seinen Hals und hielt ihn fest. Dann nahm Joey jedoch eine stärkere Bewegung wahr und öffnete die Augen. Langsam trat Kaiba einen Schritt nach vorn, Joey schloss sich ihm an, stieg aus der Hose und trat zurück, ließ sich führen. Er richtete sich nach ihm, wich Kaibas Beinen aus und spürte schon nach wenigen Schritten die Kante des Bettes hinter sich. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen, breitete sich schnell aus und zog sich über seinen gesamten Körper. Die braunen Pupillen wechselten von einer Seite zur anderen, die Arme legten sich wieder fester um den Hals des Anderen. Ein mulmiges Gefühl befiel ihn, als sich Kaiba langsam nach vorn beugte, ihn zärtlich dazu zwang, sich zurückzulehnen. Nur stockend ließ sich Joey auf die weiche Matratze sinken und lockerte die Umarmung, denn auch Kaiba tat es. Er ließ ihn vollends los und Joey schob sich langsam zurück, schob sich zu den Kissen und legte sich leicht angespannt auf sie nieder. Er bettete seinen Kopf weich, winkelte die Beine an und öffnete langsam den Mund. Kaiba war ihm in

kurzem Abstand gefolgt. Zögerlich spreizte er die Beine, damit sich Kaiba zwischen sie hocken konnte. All seine Glieder verspannten sich, verkrampften sich. Und nun bekam er die Nervosität in ihren vollen Ausmaßen zu spüren. Seine Hände begannen beiahe zu zittern und er schob sie flink unter die Kissen um sich dort in den Stoff zu klammern. Mit einer langsamen Bewegung griff Kaiba nach der Decke, zog sich zu sich und zog sie sich über die Schultern. Somit verdeckte er auch Joeys Blöße und dieser versuchte erleichtert zu sein, was er jedoch nicht einmal ansatzweise bewerkstelligte. Er war nackt, Kaiba jedoch, trug noch seine volle Kleidung. Doch er ging äußerst feinfühlig und nachsichtig vor, als er sich zu Joey hinabbeugte, sich zu beiden Seiten seines Leibes abstützte und mit den Lippen jeden Zentimeter seiner Haut abtastete. Vorsichtig ließ Joey die Beine sinken und Kaiba arbeitete sich höher, nun, da ihm mehr Freiraum gewährt worden war. Aus Nervosität, zugleich auch aus Scham, schloss Joey die Augen und drehte das Gesicht zur Seite. Was Kaiba da tat,

fühlte sich so unglaublich gut an und er sehnte sich danach, jede dieser Berührungen genießen zu küssen. Doch dies schaffte er nicht. Er wollte sich an Kaiba klammern, ihm sagen, dass er weitermachen sollte. Doch seine Hände verbargen sich weiterhin unter den Kissen, sein Mund blieb geschlossen.

Das erste Mal sollte ja etwas Besonderes und Wunderschönes sein. Früher war er nicht dazu im Stande gewesen, sein Urteil darüber abzugeben. Doch nun glaubte er allmählich, dass diese Behauptung völliger Blödsinn war. Sicher war er nicht der Einzige, der dieses erste Mal damit verbrachte, wie eine Salzstatue auf dem Bett zu liegen und seinem Partner die gesamte Arbeit zu überlassen. Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich Unerfahrene groß

beteiligen würden. Als sich Kaiba weiter nach vorn beugte, brach er jeden Gedanken ab und drehte das Gesicht langsam nach oben. Er lehnte sich über ihn, legte beide Hände auf seine Oberarme und zog sie unter den Kissen hervor. Ohne Joey einen Blick zu schicken, umfasste er seine Handgelenke vorsichtig und drückte sie auf die weiche Matratze. Dann erst, sah er ihn direkt von oben her an, und Joey starrte zurück.

"Sag mir, wenn ich aufhören soll."

Joey wusste vorerst nicht, was er sagen sollte. Er könnte sich Schmerzen ersparen und einschlafen, ohne sich über irgendetwas Gedanken machen zu müssen.

Aber zur Hölle damit… er hatte angefangen und obwohl eine starke Aufgeregtheit ihn beherrschte, schüttelte er den Kopf.

"Sprich nicht darüber", bat er leise. "Tu es einfach."

Kaiba musterte ihn noch lange, dann nickte er langsam und ließ seine Handgelenke los. Anschließend richtete er sich auf und befreite sich von dem Shirt. Er zog es flink über seinen Kopf und warf es zur Seite. Joey spreizte die Finger, räkelte sich kurz und ließ flüchtig den Blick über Kaibas Oberkörper schweifen.

Gut, allmählich wurde es fairer. Kaiba beugte sich wieder über ihn und zog die Decke mit sich. Vorerst legte er sich jedoch nur auf ihn, schob sich höher und begann Joey zu küssen. Der junge Mann erwiderte die Küsse nur zurückhaltend, legte jedoch die Arme um seinen Hals und atmete tief ein.

"Entspann dich", flüsterte Kaiba leise und schnappte nach Joeys Unterlippe.

"Geht nicht", nuschelte Joey ebenso leise zurück.

Kaiba antwortete mit einem verworrenen Murmeln, dann löste er sich von ihm und richtete sich bedächtig auf. Wieder trafen sich ihre Blicke, doch diesmal brach Kaiba die kurze ruhige Atmosphäre. Er ließ sich tiefer sinken, zog die Decke höher und ließ eine Hand unter der Decke verschwinden. Joey spürte keine Berührung und dennoch stockte sein Atem.

>Zieh es durch…<, dachte er sich hin- und hergerissen. >Zieh es einfach durch…<

Unter der Decke waren schnelle Bewegungen auszumachen, dann bäumte sich Kaiba

auf und warf seine Hose samt Shorts aus dem Bett auf den Boden. Joey starrte den Kleidern nach. Mit großen Augen sah er sie verschwinden und schluckte wieder.

>Okay…?< Kontrollierend atmete er durch den Mund ein und aus.

Seine Finger versenkten sich in das Bettlaken, als sich ein Arm unter seinen linken Oberschenkel schob, ihn leicht zur Seite drückte und anhob. Joey drückte zu, obwohl es noch nicht einmal begonnen hatte. Er biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Doch die Bewegungen erlahmten, bis er überhaupt gar keine Regung mehr wahrnahm. Bevor er jedoch die Augen öffnen könnte, spürte er eine Hand, die nach der seinen tastete. Sofort öffnete er diese, schnappte nach der Hand und faltete sich in sie. Sofort drückte er zu und presste die Lippen aufeinander.
 

Das erste Mal sollte ja etwas Besonderes und Wunderschönes sein.

Davon erlebte Joey in dieser Nacht zuerst nichts. Anfangs schnaufte er leise, presste Kaibas Hand und biss die Zähne so sehr aufeinander, dass sie knirschten. Es war ein reißender Schmerz, nichts, das man genießen konnte. Und der Schmerz hatte so lange angehalten, bis er glaubte, verrückt zu werden. Kaiba war äußerst vorsichtig gewesen, hatte keinerlei Fehler gemacht. Probleme hatte es nicht gegeben und trotzdem hatte dieses erste Mal Schmerzen in Joey hervorgerufen, die er sich nicht in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hätte. Er hatte es anfangs nicht leicht und doch hielten sie erst inne, als sie die Erschöpfung dazu zwang.
 

Nach einer langen und halbwegs ruhigen Nacht erwachte Joey langsam. Verschlafen begann er sich zu regen, streckte beide Beine durch und gähnte erst einmal. Um ihn herum war es still. Kein einziges Geräusch drang an seine Ohren. Nach einem kurzen Räkeln blieb er wieder liegen, seine Hände glitten langsam über das Bettlaken, tasteten nach den Kissen und schoben sich unter sie. Nach wenigen Momenten begannen seine Lider zu zucken und dann öffnete er die Augen. Müde richteten sich seine braunen Pupillen auf die gegenüberliegende Wand und blieben an ihr hängen. Er starrte sie knapp eine Minute an, dann blinzelte er und gähnte erneut. Seine Hände begannen sich wieder zu bewegen, eine tauchte wieder unter den Kissen auf, hob sich zu seinem Gesicht und rieb es. Was war er müde. Faul ließ er die Hand auf das Bettlaken zurückfallen und schmatzte leise. Er könnte noch stundenlang hier liegen bleiben und dösen. Lahm schloss er die Augen und atmete tief ein.

>Schlafen<, ging es ihm durch den Kopf. >Schlaaafen.<

Schlafen?

Seine Augenbrauen verzogen sich. Das erinnerte ihn an irgendetwas. Kurz blieb er noch still liegen, dann riss er die Augen auf und starrte wieder an die Wand.

>Ich habe mit Kaiba geschlafen…<

Sofort zog er beide Hände zu sich, stützte sich ab und richtete sich auf. Doch nach der kleinsten Bewegung hielt er inne und stöhnte leise. Ihm tat alles weh. Unbeholfen kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, hockte sich hin und griff nach der Decke, um sie sich über die Schultern zu ziehen. Dann fiel sein Blick zur Seite und richtete sich auf Kaiba, der neben ihm lag und schlief. In die Decke gehüllt, lag er dort und atmete ruhig und gleichmäßig.

Joey hob die Augenbrauen, betrachtete ihn weiterhin und hob langsam die Hand zum Mund, um an seinen Fingernägeln zu knabbern. Ja, er hatte mit ihm geschlafen. Himmelherrgott, er hatte es hinter sich gebracht. Er hatte Strapazen und Schmerzen durchgemacht, doch er hatte es hinter sich. Abwesend knabberte er weiter und hielt den Blick nachdenklich auf den jungen Mann gerichtet.

>Bereue ich es? Nein.<

Nach weiteren Augenblicken wandte er den Blick ab, ließ die Decke seine Schultern hinabrutschen und betastete seinen Körper. Es war ein merkwürdiges Gefühl…

Und das lag sicher nicht an den Schmerzen, die er immer noch spürte.

Nun hatten sie also die letzten Hüllen fallen gelassen.

Unter einem leisen Seufzen zog er die Decke wieder über seine Schultern, ließ die Arme hängen und starrte ein bisschen vor sich hin.

>Kaiba hat alles gemacht, als hätte er jahrelange Übung hinter sich.< Joey runzelte die Stirn. >Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Nein, das geht nicht. Ich glaube, Kaiba hat zu viel Arbeit. Jetzt und auch früher. Er hatte für Beziehungen sicher nie etwas übrig. Bis jetzt.< Joey grinste. >Ja, da haben wir wieder das Allroundgenie.<

Er konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Dieses stellte er jedoch sofort wieder ab, als er hinter sich eine flüchtige Bewegung wahrnahm. Und bevor er sich umdrehen konnte, erschien plötzlich Kaiba hinter ihm. Der junge Mann gähnte herzlich, zog die Decke mit sich, hockte sich hinter ihn und schlang die Arme um seinen Bauch. Joey versuchte sich immer noch umzudrehen, doch Kaiba hielt ihn fest, hinderte ihn daran. Also warum nicht, dann starrte er eben auf die Wand und überließ Kaiba den schönen Anblick. Sanft legte er die Arme um die von Kaiba und lehnte sich etwas nach hinten. Er lehnte sich gegen Kaibas Brust und dieser ließ die Stirn auf seine Schulter sinken. So saßen sie einige Momente dort und Joey fühlte sich etwas unwohl.

Er wollte Kaiba viele Fragen stellen. Das Schweigen brachte wieder das Gefühl der Unsicherheit mit sich. Aber vor was sollte er sich denn fürchten?

Der warme Atem, der stoßweise über seine Haut strich, erinnerte ihn an vergangene Nacht. Er hockte sich etwas gemütlicher hin, streckte beide Beine von sich und schloss die Augen. Aber nach wenigen Sekunden, glaubt man es, da rollte Kaiba das Gesicht zur Seite und gähnte wieder. Er gähnte richtig und machte es sich dann wieder gemütlich. Joey jedoch, rümpfte die Nase und wandte sich zu Kaiba, bis dessen Haarsträhnen sein Gesicht kitzelten.

"So müde?"

"Verübelst du es mir?", kam die laue Antwort.

>Oh man!< Joey wandte sich wieder ab, räusperte sich. Nein, natürlich verübelte er es ihm nicht aber irgendetwas musste er ja sagen, um ein Gespräch zu beginnen. Nachdenklich starrte er wieder auf die Wand und schüttelte langsam den Kopf.

>Wieder tut Kaiba so, als wäre das, was wir in dieser Nacht getan haben, das Normalste überhaupt. Er scheint sich da gar nicht so viel draus zu machen. Ganz im Gegensatz zu mir. Oh, ich wünschte, ich wäre so wie er. Nur die ganze Arbeit liegt mir nicht so.< Joey hob eine Hand, um es an seinen Fingern abzuzählen. >Das Haus... na ja, das ist mir auch ein bisschen zu groß. Auch auf einen kleinen Bruder wäre ich stolz und die Limousine? Ist gekauft!< Joey beobachtete seine gespreizten Finger, zog einen von ihnen jedoch wieder ein. >Ne, die Limousine wäre auf die Dauer doch nichts.<

"Weißt du was?", murmelte er grüblerisch und betrachtete sich seine Hand von allen Seiten.

"Mm…?"

"Wir haben eigentlich kaum etwas gemeinsam. Familiär und Freizeitlich und so."

"Schulisch", fügte Kaiba nuschelnd hinzu.

"Ja, danke." Joey rollte mit den Augen und ließ die Hand plump auf die Decke zurückfallen. "Na gut. Aber ich habe keine Firma, keine Limousine, kein großes Anwesen, keine Bediensteten, keinen Chauffeur und keinen kleinen Bruder. Dafür habe ich aber eine kleine Schwester."

"Mm..."

"Ich meine ja nur." Joey kreuzte die Beine und kratzte sich an der Stirn. "Aber du interessierst dich nicht wirklich für die Dinge, für die ich mich interessiere, oder?"

"Mm..."

"Ich kann keine Gitarre spielen, habe keinen blassen Schimmer von Computern und könnte nie im Leben eine Firma leiten. In der Schule komme ich mir manchmal etwas minderbemittelt vor und ich kann nicht einmal normale Termine einhalten. Beim Arzt oder so."

"Mm..."

"Ich will damit nur sagen, dass wir gar nicht so viele Gemeinsamkeiten haben, wie du vielleicht denkst." Joey biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. "Spielst du Playstation?"

"Mm..."

"Was? Wirklich?" Wieder drehte Joey das Gesicht zur Seite, versuchte einen Blick auf Kaibas Gesicht zu werfen. Doch dieser hatte sich an seinen Hals geschmiegt. "Du spielst Playstation?"

"Mm..."

Joey beobachtete seinen Schopf nachdenklich, dann runzelte er wieder die Stirn und atmete tief ein.

"Und... was für Spiele?"

"Mm..."

"Aha." Joey nickte und schnitt eine Grimasse. "Also, weißt du, wie mein heutiger Tagesplan aussieht?"

"Mm..."

"Natürlich." Joey stöhnte leise. "Zuerst werde ich mir ein Hundekostüm anziehen, durch deinen Garten rennen und dem Chauffeur ins Bein beißen. Anschließend steige ich mit einer Leiter in den Himmel und hüpfe über die Wolken. Immer noch im Hundekostüm, versteht sich. Ich küsse die Sonne, gehe im Weltall spazieren und mache mich dann mit einem Dreirad auf den Weg zu Yugi, um ihm einen Antrag zu machen."

Kaiba regte sich nicht und Joey wartete griesgrämig auf eine Antwort. Und die bekam er. Erst nach wenigen Augenblicken, aber bekam sie.

"Lass dir helfen."

"Wa...?" Joey lehnte sich nach vorn und Kaiba richtete sich müde auf, blieb aufrecht sitzen und fuhr sich gähnend über das Gesicht.

"Du hast mir gar nicht zugehört." Joey grabschte nach der Decke und mummelte sich in ihr ein, Kaiba starrte er grimmig an. "Und jetzt machst du dich wieder lustig über mich."

Kaiba rieb sich die Augen und ließ die Arme sinken. Er wusste nicht wirklich, warum er plötzlich angefahren wurde.

"Warum antwortest du mir nicht gleich richtig?" Joey erhob sich auf die Knie, soweit es seine schmerzenden Glieder zuließen. "Ist doch klar, dass ich mir irgendwie vergackeiert vorkomme, oder?"

Kaiba starrte skeptisch zurück und Joey ballte die Hände zu Fäusten, wollte weitermeckern und brachte letzten Endes nur ein leises Seufzen hervor.

"Du bist gemein."

"Und du redest zu viel." Kaiba stöhnte, beugte sich nach vorn und umarmte ihn. Und wie hätte Joey spätestens jetzt noch in der Lage sein können, wütend zu sein. Sofort verlor sich der Zorn aus seinem Gesicht und die Arme hoben sich, um die Umarmung zu erwidern. Doch bevor er das schaffen konnte, ließ sich Kaiba ohne Vorwarnung nach hinten fallen und zog ihn mit sich. Kaiba landete weich auf den Kissen und Joey landete weich auf ihm. Als er sich aufzurichten versuchte, hielten ihn die Arme noch immer fest umschlungen, also ließ er sich auf Kaiba sinken und machte es sich gemütlich. Dieser hob die Arme höher und legte sie über Joeys Schultern.

"Und?", fragte er, nachdem der junge Mann den Widerstand aufgeben hatte und still lag. "Wie geht es dir?"

"Hm." Joey öffnete die Augen, wühlte eine Hand nach vorn und begann neben Kaiba im Bettlaken zu pulen. "Ich fühle mich, als wären vier Lastwagen über mich drüber gefahren. Als wäre ich ohne Seil Bungee gesprungen oder hätte den Atlantik durchschwommen. Ja, so in Etwa fühle ich mich."

Kaiba atmete tief ein Joey wurde etwas angehoben, sank jedoch gleich wieder hinab. So, jetzt wusste er ja, wie es ihm ging. Und weitere Fragen kamen von seiner Seite auch nicht mehr. Aber Joey hatte da so ein paar Ungewissheiten im Kopf, die er gern loswerden wollte. Aber damit zögerte er. Er blieb faul liegen, pulte weiterhin im Laken und knabberte auf seiner Unterlippe. Ein letztes Mal atmete er tief ein, zog die Hand zurück und schob sie zu Kaibas Schlüsselbein. Dort ließ er sie liegen und saugte an seinen Zähnen.

"Ähm..."

"Hm?"

"Ist... irgendetwas schief gegangen oder ist das immer so lustig?"

Natürlich reagierte Kaiba auch darauf nicht sonderlich auffällig. Er löste sogar einen Arm von Joeys Rücken und schob ihn unter den eigenen Kopf. Und die Frage schien ihm auch nicht unangenehm zu sein. Ganz im Gegensatz zu Joey, der sich am liebsten unter der Decke verkriechen wollte und nun angespannt auf eine Antwort wartete.

"Es ist alles so gelaufen, wie es laufen sollte."

>Klar<, dachte sich Joey. >So wie alles in deinem Leben.<

"Ich habe dich gewarnt aber du wolltest ja nicht hören."

"Hey hey hey!" Sofort rappelte sich Joey auf, schob sich weiter nach vorn und starrte Kaiba an. "Tu nicht so, als hätte es dir keinen Spaß gemacht!"

"Natürlich hat es mir Spaß gemacht", erwiderte Kaiba und lugte zu ihm. "Das Gegenteil habe ich nie behauptet."

"Aber es hat sich so angehört", zischte Joey. "Ich war ja der, der leiden musste! Ich hätte es dir nie verziehen, wenn es dir nicht gefallen hätte."

Kaiba behielt den Blickkontakt aufrecht, doch an seinen Mundwinkeln zog ein knappes Schmunzeln. Joey schob sich noch weiter nach vorn, bis ihre Gesichter übereinander waren. Kaiba blickte zu Joey auf und dieser genoss seine Stellung.

"Oh du..." Joey erwiderte das Grinsen, schüttelte freudig den Kopf. "Wir sollten das so schnell es geht wiederholen, damit wir irgendwann mehr Übung darin haben." Dann lachte er, ließ sich hinabsinken und küsste Kaiba.

"Es ist nichts schief gegangen", nuschelte dieser noch einmal an seinen Lippen.

"Halt die Klappe." Joey schmiegte sich an ihn, strich sich die Strähnen zurück und schloss die Augen. Kaiba befolgte seinen Befehl, drückte ihn an sich und erwiderte die flüchtigen Küsse sanft. Dann öffnete Joey den Mund weiter, legte den Kopf schief und presste die Lippen auf die seinen. Sie verschmolzen in einem langen Kuss, ließen ihren Fantasien freien Lauf. Dann rollte sich Joey von ihm runter, rollte sich zur Seite und zog ihn mit sich. Doch sobald sie wieder bequem lagen, löste sich Joey von ihm, streckte den Kopf zurück und starrte ihn verdutzt an.

"Warum bist du eigentlich nicht in der Schule?"

Kaiba runzelte die Stirn, lockerte die Umarmung und räusperte sich.

"Du überraschst mich immer wieder mit deinem Erkenntnisvermögen."
 

In bequemen Morgenmänteln traten die beiden dann auf den Flur hinaus. Joey blieb stehen und Kaiba schloss die Tür mit dem Fuß.

"Und? Was machen wir heute?", erkundigte sich Joey, als er neben Kaiba losschlenderte.

"Ich weiß nicht." Kaiba ließ die Hände in die Taschen des Morgenmantels rutschen. "Aber in zwei Tagen findet ein großes Treffen statt. Ich weiß nicht, ob ich hingehe."

"Ein großes Treffen?" Joey lugte zu ihm.

"Hm", murrte Kaiba. "Eines dieser Treffen, auf denen die großen Geschäftsführer zusammenkommen. Protzen und trinken, mehr gibt es dort nicht."

"Warst du schon einmal dort?", fragte Joey weiter.

"Joseph." Kaiba lugte erschöpft zu ihm. "Würde ich es sonst wissen? Natürlich war ich dort und ich habe es sofort bereut."

"Ja?"

"Leute aus allen Ländern kommen hier nach Japan, um ihre Limousinen zu präsentieren oder mit ihrem Reichtum zu protzen. Ich bekam die Einladung wieder als einer der Ersten, obwohl ich seit zwei Jahren nicht mehr dort war."

Die beiden erreichten die Treppe und stiegen sie gemächlich hinab.

"Und du gehst nicht hin?"

"Auf der einen Seite interessiert es mich schon, was in anderen Teilen der Welt passiert, wie berühmte Firmen vorankommen oder welche bankrott sind. Auf diesen Treffen wird man über all diese Dinge informiert. Auf der anderen Seite kann ich es nicht ausstehen, mit Schleim beworfen zu werden."

"Wie meinst du das?" Joey verstand nicht.

"Ganz einfach." Kaiba ließ die Hand auf das Geländer sinken und trat von der letzten Stufe. "Jeder erhofft sich von dem Erscheinen des Anderen irgendetwas. Verfluchte Verträge, bei denen für sie mehr herausspringt. Die denken, jeden für dumm verkaufen zu können."

"Ja." Joey stimmte ihm zu. "So sind diese verfluchten Geschäftsmänner."

"Hey."

"I... ich meine damit natürlich nicht dich!", berichtigte Joey schnell und grinste nervös. "I... ich meine so insgesamt, weißt du? Ich habe doch Ohren und Augen. Ich habe auch schon ein paar von solchen Typen kennengelernt, die dir alles aus den Taschen ziehen, dich von vorne bis hinten verarschen."

"Ach." Kaiba betrat den Speiseraum. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass du..."

"Herr Kaiba!", wurde er plötzlich unterbrochen und blieb stehen. Der Arzt kam ihnen entgegen, fuchtelte wie wild mit einigen Unterlagen. Unauffällig trat Joey einen Schritt zur Seite, versteckte sich hinter Kaiba und krallte sich in seinen Mantel. Scheu lugte er hinter seiner Schulter hervor und sah den gefährlichen Mann näher kommen.

"Wo ist Ihr kleiner Bruder?" Der Arzt blieb vor ihm stehen und ließ die Unterlagen sinken. "Er muss sich doch einer Untersuchung unterziehen, bevor er die Klassenfahrt antritt."

"Er ist bei einem Freund", antwortete Kaiba und schüttelte seine Schulter, denn Joey krallte sich in seine Haut. "Er wird bald wieder hier sein."

"Das will ich auch hoffen!" Der Arzt runzelte streng die Stirn.

"Was denn für eine Klassenfahrt…?", flüsterte Joey leise, immer darauf bedacht, unentdeckt zu bleiben.

"Und Sie trinken jetzt einen schönen Salbeitee", wurde er plötzlich angesprochen. Da schnitt er eine Grimasse und trat hinter Kaiba hervor. "Der tut Ihrem Hals gut und Ihren Bronchien. Und gegen das Fieber hilft er auch!"

"Ich hab doch gar kein..."

Bevor er sich versah, traf die Hand des Mannes auf seine Stirn. Bevor er jedoch erschrecken konnte, schüttelte der Mann den Kopf und trat zurück.

" Und wie Sie Fieber haben! Sie dürfen sich ja nicht überanstrengen. Nicht einmal im geringsten Fall anstrengen. Sonst kann es ganz schnell passieren, dass Sie umkippen!"

"Oi." Joey biss sich auf die Unterlippe.

"Herr Kaiba", wandte sich der Arzt verzweifelt an den Anderen. "Bitte! Ich bitte Sie, bringen Sie diesem Jungen Vernunft bei. Er bringt sich noch um, wenn er nicht auf seine Gesundheit achtet!"

Kaiba lugte langsam zu Joey, musterte ihn streng.

"Ich kümmere mich darum", murmelte er. "Sie können sich auf mich verlassen."

"Gott sei Dank!" Der Arzt streckte die Arme gen Zimmerdecke. "Und schicken Sie Ihren Bruder bitte zu mir!"

Mit diesen Worten ließ er endlich von den Beiden ab und ging wieder seiner Wege. Hektisch und in schnellen Schritten. So wie immer. Joey sah ihm nach, war froh, dass er mit einem Salbeitee davongekommen war. Kaiba murmelte etwas Verworrenes und schlenderte dann auf den Tisch zu. Nach einem kurzen Zögern folgte Joey ihm.

"Das mit dem aufpassen... das hast du doch nicht ernst gemeint, oder?"

"Natürlich war es ernst gemeint", antwortete Kaiba und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. "Noch benimmst du dich gut. Aber ich werde schon darauf achten, dass du dich nicht überanstrengst."

"Ach ja?" Plötzlich grinste Joey. "Danach sah es in dieser Nacht aber nicht aus."

Kaibas Hand, die soeben nach der Kaffeetasse greifen wollte, hielt in der Bewegung inne und Kaiba blickte auf. Joey grinste noch immer und Kaiba erwiderte seinen Blick beinahe unbeteiligt. Dann schüttelte er jedoch langsam den Kopf und griff nach der Tasse. Joey lachte leise, beugte sich nach vorn und erspähte plötzlich eine Tasse, deren Inhalt abscheulich stank. Sofort verstummte er und das Grinsen erstarb.

"Och nö..."

"Oh doch." Kaiba trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder ab. Joey murmelte einen leisen Fluch, schnitt eine Grimasse und schob die Hand langsam näher an die gottverdammte Tasse heran.

"Was ist denn das nun für eine Klassenfahrt?", fragte er, als er die Tasse fast erreicht hatte.

"Mokuba fährt morgen früh nach Italien", erwiderte Kaiba nachdenklich. "Eigentlich habe ich etwas dagegen."

"Warum?", erkundigte sich Joey und lehnte sich zurück, nicht weiter auf die Tasse achtend.

"Dreizehn Stunden Fahrt, außerdem eine schäbige Unterkunft. Ich hätte ihn gern mit dem Flugzeug fliegen lassen aber selbst das wollte er nicht. Und über die Unterkünfte habe ich mich auch informieren lassen. Und ehrlich", Kaiba schnitt eine Grimasse, "die sind ihm nicht würdig."

"Na ja, aber wenn er das gern will...?"

"Ich lasse ihn fahren." Kaiba wies mit einer knappen Kopfbewegung auf die Tasse. "So, nachdem du jetzt versucht hast, abzulenken, trinkst du das."

>Mist!< Stöhnend griff Joey nach der Tasse, setzte sie an die Lippen und schloss die Augen. Dann trank er ein paar Schlucke und verzog gequält das Gesicht. Aber vorerst war Kaiba zufrieden und begann zu frühstücken. Auch Joey langte zu und letzten Endes wurde es doch ein angenehmes Frühstück.
 

Die Frage, die Joey an Kaiba gestellt hatte, was sie heute machen würden, beantwortete sich schnell. Nur eine Stunde später hockte Joey gemütlich in einem kleinen Sessel in Kaibas Büro, in der Kaiba-Corporation. Er wollte nicht alleine zu Hause bleiben, sich noch etwas an Kaibas Anblick ergötzen. Also machte er es sich gemütlich, streckte beide Beine von sich und ließ die Arme über den Lehnen baumeln. Ach ja, heute durfte er nicht arbeiten, nicht helfen. Er fläzte nur dort und beobachtete Kaiba, wie er herumrannte. Und er rannte so schnell, das Joey glaubte, es würde mehrere von ihm geben.

Es vergingen wohl zwei Stunden, Kaiba führte Telefonate, wühlte hier, wühlte dort und rannte, als würde er an einem Sprintwettbewerb teilnehmen. Und dann, als Kaiba mal wieder an seinem Schreibtisch saß und sich etwas unentschlossen umsah, betrat Pikotto das Büro. Joey blickte auf und Kaiba lehnte sich zurück. Pikotto ließ die Zigarette sinken und wandte sich an Joey.

"Tag", begrüßte er ihn.

Joey grinste und hob die Hand.

"Tagchen."

Dann verschränkte Pikotto die Arme vor dem Bauch und wandte sich an Kaiba.

"Du wolltest mich sprechen?"

"Ja." Kaiba nickte und auch Joey lauschte auf. "Du arbeitest Tag und Nacht, Pikotto. Ich dachte mal, dir könnten Ferien gut tun."

Pikotto runzelte die Stirn, davon war er überhaupt nicht begeistert.

"Ich brauche keine Ferien", widersprach er.

"Ist mir egal." Kaiba winkte ab. "Du fährst nach Italien."

"Nach Italien?", fragte Pikotto. Joey richtete sich langsam auf.

"Genau, Italien." Kaiba faltete die Hände auf dem Bauch und lehnte sich gemütlich zurück. "Und zwar mit Mokuba... und dessen Klasse."

>Ach, da ist der Haken.< Pikotto seufzte. >Ich habe mich schon gewundert, warum er plötzlich so großzügig ist.<

"Du sollst ihn nur etwas im Auge behalten, darauf achten, dass er keinen Blödsinn macht, verstehst du?"

"Warum schickst du nicht Roy?", versuchte sich Pikotto herauszuwinden. "Ich glaube, der hat Ferien am nötigsten."

"Aber dir vertraue ich am meisten", erteilte Kaiba ihm einen angenehmen Korb. "Roy würde sich an den Strand legen, trinken oder den ganzen Tag schlafen. Er würde diesen Auftrag nicht sehr ernst nehmen. Aber genau das ist er." Kaiba biss sich auf die Unterlippe. "Ernst."

"Na, dann." Pikotto nahm einen letzten Zug und drückte die Zigarette in einem herumstehenden Aschenbecher aus. "Dann werde ich jetzt meine Sachen packen."

Kaiba nickte.

"Danke."

"Keine Ursache." Pikotto schüttelte den Kopf und verließ das Büro. Joey sah ihm nachdenklich nach, blieb jedoch faul liegen. Und Kaiba begann wieder in seinem Schreibtisch zu wühlen.
 

Joey stellte an diesem Tag keine Fragen mehr. Er reimte sich sein eigenes Ergebnis zusammen und hoffte, dass es mit dem Wahren übereinstimmte. Und wenn dem so war, Halleluja. Den Rest des Tages hockte er nur noch in der Kaiba-Corporation. Und wenn ihm langweilig war, dann schnappte er sich einfach das Telefon und quatschte mit Yugi. Dann rief er Tea an, Tristan und Duke. Jedem von ihnen musste er erklären, wie es ihm ging. Außerdem hatte er ihnen versprochen, morgen wieder in der Schule zu sein. Kaiba hatte ihm einen skeptischen Blick zugeworfen, doch nachdem Joey ausführlich mit ihm diskutiert hatte, erhielt er die Erlaubnis, in die Schule zu gehen. Ja, morgen schon. Er langweilte sich ohnehin nur, wenn er irgendwo herumsaß und nicht wusste, was er tun sollte. Es war am frühen Abend, als die beiden wieder nach Hause fuhren. Mokuba trafen sie beim Abendbrot und der Junge jammerte, wie ihn der Arzt wieder gequält hatte. Und als Joey aus Versehen eine Frage stellte, wurde er sofort über den gesamten Verlauf der Klassenfahrt informiert. Kaiba brach das Abendbrot vorzeitig ab, meinte, dass Mokuba ins Bett sollte. Morgen erwartete ihn ein langer Tag. Der Junge verabschiedete sich innig von den beiden und man konnte ihm ansehen, dass es ihm nicht gefiel, so lange von seinem großen Bruder getrennt zu sein. Das kam so gut wie nie vor. Nur manchmal, wenn Kaiba tagelang in seiner Firma hockte. Aber diesmal war es anders. Sie wären in verschiedenen Ländern und Mokuba wusste,

dass nicht ein kleiner Spaziergang genügte, um ihn zu sehen.

"Du musst nicht fahren, wenn du nicht willst", hatte Kaiba einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, doch Mokuba schüttelte den Kopf. Diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen.

Nachdem Mokuba davongerannt war, machten sich auch die beiden auf den Weg nach oben. Damit ließen sie sich jedoch alle Zeit der Welt. Sie schlenderten, trödelten und es war eine Selbstverständlichkeit, dass Joey nicht das Bett im Gästezimmer benutzte. Während sich Kaiba noch einmal auf einem der Stühle niederließ und eine Zigarette rauchte, begann sich Joey auszuziehen. Träge zog er sich den weißen Pullover über den Kopf, der natürlich wieder Kaiba gehörte und warf ihn auf irgendeinen Hocker. Als er sich soeben ausgelassen strecken wollte, wurde er auf Kaiba aufmerksam, der wieder sonst wohin starrte und ihm keine Aufmerksamkeit schenkte. Er kratzte sich den Bauch, legte den Kopf schief und schlenderte näher. Vor ihm blieb er stehen, stützte die Hände in die Hüften und betrachtete ihn sich nachdenklich. Kaiba hob die Zigarette, klemmte sie zwischen seine Lippen und ließ die Hand sinken. So nahm er einen Zug und blickte dann auf. Joey musterte ihn kurz, die hellen Augen, die auf ihn gerichtet waren, wirkten weder verunsichernd, noch störend auf ihn. Und nach einem kurzen Grübeln schlug er das Bein über die von Kaiba, rutschte näher und ließ sich auf seinem Schoß nieder. Da wandte Kaiba den Blick ab und runzelte die Stirn.

"Also." Joey legte den einen Arm über seine Schulter, mit der anderen Hand klaute er ihm die Zigarette. "Ist es so schlimm, dass ich mir Sorgen machen muss?"

Kaiba lehnte sich zurück, platzierte beide Hände auf Joeys Hintern und besah sich seinen Oberkörper, nicht darauf bedacht, es unauffällig zu tun. Joey ließ sich gern beobachten, nahm einen Zug und blies den Rauch aus.

"Nein." Letztendlich schüttelte Kaiba den Kopf.

Joey wollte ihn nicht mit seiner Hypothese konfrontieren. Also nickte er nur und beugte sich nach vorn. Er lehnte sich gemütlich an ihn, legte das Kinn auf seine Schulter und nahm einen weiteren Zug. Kaiba hatte versucht, Mokuba die Teilnahme an der Klassenfahrt auszureden. Als das misslungen war, zwang er Pikotto zum Urlaub, oder viel mehr dazu, Mokuba im Auge zu behalten. Und jetzt grübelte er schon wieder und zog dieses besorgte Gesicht. Es war kein langes Sinnieren von Nöten, um zu verstehen, was da vor sich ging. Kaiba hatte Angst um Mokuba, befürchtete, dass auf der Klassenfahrt etwas passieren könnte. Auf der Klassenfahrt, an der er nicht teilnahm, um auf ihn aufzupassen, so, wie er es bis jetzt immer getan hatte. Also hatte er seinen besten Mann beauftragt, seinen Job zu übernehmen. Joey konnte sich gut vorstellen, dass Kaiba seine Feinde hatte. Und sicher waren einige davon ganz schön dreist. Nachdenklich starrte Joey auf den Schreibtisch, die Hand die die Zigarette hielt, ließ er müde baumeln. Insgesamt war er sehr müde und morgen kam ein langer Tag auf ihn zu. Vor der Schule müssten sie noch einmal zu ihm fahren, um den Schulkram zu holen. Das bedeutete, dass sie um sechs Uhr aufstehen mussten. Joey hatte es nicht so mit diesen Zeiten. Nun richtete er sich langsam auf, seufzte und besah sich Kaibas Augen, die wieder auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet waren. Das war ja nicht auszuhalten. Joey lehnte sich nach vorn, drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. Er spürte nur eine kurze Regung seiner Lippen. Dann hob er die Zigarette zu Kaibas Mund und dieser öffnete ihn einen Spalt weit, damit Joey die Zigarette zwischen seine Lippen klemmen konnte.

"Lass uns schlafen." Er lockerte die Umarmung und erhob sich. Kaibas Hände rutschten von seinem Hintern und sanken auf die Stuhllehnen hinab.

"Fühlst du dich auch wirklich stark genug, um morgen in die Schule zu gehen?" Endlich wachte Kaiba wieder auf. Er sah Joey nach, wie er davon schlenderte und nebenbei seine Hose aufknöpfte.

"Na klar." Joey warf ihm einen Schulterblick zu und grinste. "So stark habe ich mich lange nicht mehr gefühlt."

"Ach." Kaiba hob die Hand, nahm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie im Aschenbecher aus, der direkt neben ihm stand. Zur selben Zeit schlüpfte Joey aus der Hose und warf sie zu dem Pullover. Ohne auf Kaiba zu warten, stieg er dann auf das Bett, strauchelte zu den Kissen und ließ sich auf die weiche Decke hinabsinken. Er zog sie gleich über sich, schob sich weiter zurück und verschränkte die Arme unter dem Kopf. So blieb er liegen und beobachtete Kaiba. Dieser ließ sich alle Zeit der Welt, stand erst einmal ein paar Sekunden untätig herum und begann erst dann, sein Hemd aufzuknöpfen. Joey wusste, dass es nicht der geeignete Zeitpunkt war. Kaiba machte sich Sorgen aber er musste sich trotzdem an seinem Anblick ergötzen. Geschmeidig fuhren Kaibas Finger über den Stoff und drehten die Knöpfe aus den Löchern. Dann ließ er das Hemd über seine Arme gleiten und warf es neben sich auf den Stuhl. Als er auch seine Hose aufknöpfte, räkelte sich Joey langsam, behielt den Blick jedoch fest auf ihn gerichtet. Kaiba fühlte sich nicht beobachtet, warf auch die Hose auf den Stuhl und wurde erst dann auf die Beobachtung aufmerksam. Er blieb stehen, kratzte sich am Steiß und starrte zurück.

"Was?"

Joey antwortete nicht, vielmehr interessierte er sich für diese unglaublich langen und schlanken Beine. Skeptisch sah sich Kaiba um. War es wirklich er, der plötzlich so interessant auf Joey wirkte? Hatte er vielleicht irgendwo etwas kleben? Da er nicht fündig wurde, richtete er den Blick wieder auf Joey, doch dieser grinste nur, rollte sich zur Seite und zog sich die Decke über den Kopf.

"Komm schon."

Kaiba grübelte kurz, dann schnitt er eine Grimasse und gesellte sich zu ihm.
 

Der kommende Tag war für viele sehr stressig. Joey und Kaiba kämpften sich früh aus dem Bett und fuhren los und nur eine Stunde später, gab es einen weiteren, der sich nicht wirklich glücklich schätzen konnte. Pikotto saß in einem Bus, inmitten von vielen kleinen Kindern. Er war ein sehr kinderfreundlicher Mensch, selbst Vater von zwei kleinen Jungen. Auch die Nerven verlor er nicht so schnell. Doch dreizehn Stunden?

Nun, er würde sehen, wie es weiterging. Die Lehrerin versuchte verzweifelt, etwas Ruhe und Ordnung in den wilden Haufen zu bekommen. Als sie es durch langes Bitten jedoch nicht schaffte, griff sie zu einer Geheimwaffe, die bei Kindern immer funktionierte. Sie ließ einfach einen tollen Film laufen und schon kehrte die Ruhe ein. Doch das dies schon nach einer halben Stunde Fahrt nötig war, war doch schon etwas übel, oder?

Pikotto las in einem Buch und grübelte unterdessen darüber nach, wie er Mokuba im Auge behalten könnte. Der Junge war gerissen und wenn ihm seine Beobachtereien nervten, dann war es nicht schwer, zu entwischen. Natürlich, er verstand den ernsten Grund dafür nicht. Nach einer dreiviertel Stunde zückte Pikotto ein Handy und informierte Kaiba mit einer kurzen SMS über den Verlauf der Fahrt.
 

Kaiba zog das Handy aus seiner Tasche, lehnte sich zurück und begann zu tippen. Nachdem er dann gelesen hatte, legte er das Handy auf den Tisch, warf dem Lehrer einen knappen Blick zu und wandte sich ab, um einen knappen Blick zu Joey zu werfen. Auch um ihn machte er sich seit heute Morgen Gedanken. Zuerst die Probleme mit Mokuba, dann Katagori und jetzt noch Joey. Es sah doch fast so aus, als würde der junge Mann unter einem Rückfall leiden. Kaiba wusste nicht, ob er Fieber hatte aber er wusste, dass dieses bleiche Gesicht nichts Gutes bedeuten konnte. Kurz murmelte er etwas Verworrenes, dann drehte er sich wieder um. Joey sollte im Bett liegen! Nicht etwa hier in der Schule hocken! Aber er hatte es ihm erlaubt und der Arzt würde schimpfen. Einige Minuten starrte er nachdenklich auf die Tafel, dann drehte er sich wieder um.

>Nur noch eine Frage der Zeit, bis er umkippt!<
 

"Sind Sie Mokubas Papa?"

"Hm?" Pikotto ließ das Buch sinken und erspähte ein kleines Mädchen, das plötzlich neben ihm auf dem freien Platz hockte und ihn angrinste.

"Nein", erwiderte er lächelnd und legte das Buch zur Seite. "Ich bin nur ein Bekannter, der Italien gern einmal mit eigenen Augen sehen will."

>Obwohl ich schon siebenmal geschäftlich dort war<, fügte er gedanklich hinzu.

"Aha?" Das Mädchen hob die Augenbrauen. "Und was machen Sie sonst so?"

"Ich arbeite in einer großen Firma."

"In einer großen Firma?"

"Ja."

"In der Kaiba-Corporation?"

Pikotto wunderte sich. "Woher weißt du das?"

"Na ja, das ist die einzige, große Firma, die ich kenne", antwortete das Mädel heiter. "Mokubas Bruder arbeitet auch da."

"Er... arbeitet da?"

"Ja, wussten Sie das denn nicht?"

"Na ja..." Pikotto verstummte, als der Bus das Tempo verlangsamte und in einen Rasthof einbog. Das Mädel wartete immer noch auf eine Antwort, doch Pikotto richtete sich auf und sah sich um.

Eine Rast?

Daran war nichts Ungewöhnliches.

Aber schon nach einer Stunde?

"Wir legen eine kleine Pause ein", meldete sich Busfahrer über einen Lautsprecher. "In ungefähr einer halben Stunde fahren wir weiter."

Den Kindern gefiel es. Sie juchzten und sprangen auf, konnten es kaum erwarten, draußen herumzurennen. Pikotto wartete das Gedränge ab und erhob sich erst, als alle Kinder bereits draußen waren. Er stieg von der oberen Etage hinab und trat auf den Parkplatz hinaus. Die Lehrer hatten alle Hände voll zu tun, um die Kinder beisammen zu halten, denn diese wollten lieber Fange spielen, als herumzustehen. Pikotto zündete sich unterdessen eine Zigarette an, genoss kurz die frische Luft und machte sich dann auf den Weg zu den beiden Busfahrern, die angespannt miteinander diskutierten, sogar zu streiten schienen.

"Gibt es Probleme?", erkundigte er sich, als er neben den beiden stehen blieb.

"Und wie es die gibt!", erwiderte der Kleinere leicht genervt. "Eines der Räder ist locker!"

"Aber ich habe dafür gesorgt, dass alles überprüft wurde!", warf der Größere ein. "Das dürfte gar nicht sein!"

"Bei der Überprüfung des Busses vor der Fahrt wurde nichts festgestellt?" Pikotto ließ die Zigarette sinken und warf dem Fahrzeug einen knappen Blick zu. "Das ist merkwürdig."

"Natürlich ist das merkwürdig!" Der Kleinere raufte sich die Haare. "Was wäre nur passiert, hätten wir es nicht früh genug bemerkt!"

"So etwas kann vorkommen." Dennoch sah sich Pikotto nach Mokuba um. "Jetzt reparieren Sie es einfach und machen Sie die Kinder mit ihrem Geschrei nicht verrückt."

"Ja, ja!" Der Kleinere wandte sich Haare raufend ab und der andere runzelte die Stirn.

"Ich versteh's nicht", murmelte er, bevor auch er losschlenderte.

Pikotto sah ihnen nach, warf dem Bus einen weiteren Blick zu und begann dann Mokuba zu beobachten. Das alles müsste schon ein sehr dummer Zufall sein. Misstrauisch sah er sich erneut um. Viele Autos fuhren von der Autobahn auf die Raststelle ab, viele Autos standen auch auf den Parkplätzen.

Sollte er Kaiba informieren?

Er nahm seine Aufgabe sehr ernst, nahm sich jedoch vor, abzuwarten. Vielleicht war es wirklich nur ein Zufall? In langsamen Schritten näherte er sich Mokuba. Der Junge plauderte ausgelassen mit Bikky und zwei anderen Jungs. Er schien sich keinerlei Sorgen zu machen. Wie denn auch? Er wusste von nichts. Wusste nicht, was seinen großen Bruder plagte und warum Pikotto ihn auf dieser Klassenfahrt begleitete. In nicht all zu weiter Entfernung blieb Pikotto stehen und begann die gesamte Raststelle zu begutachten, zu durchmustern. Doch er sah nichts auffälliges, nichts, was Misstrauen erregte. Die beiden Busfahrer begannen unterdessen an dem Bus herumzufuhrwerken. Meckernd und kopfschüttelnd schoben sie einen Wagenheber unter das Fahrzeug und schleppten Werkzeuge heran. Allmählich erschien ihm Kaibas Befürchtung real. Wenn das alles zu einem ausgeklügeltem Plan gehörte, dann musste er sich wirklich vorsehen. Obwohl Katagori solch ein Plan nicht zuzutrauen wäre. Nach wenigen Minuten begannen die Busfahrer das Rad abzuschrauben und Pikotto machte sich auf den Weg zu ihnen, um ein Auge auf diese lockeren Schrauben zu werfen. Hinter den beiden Männern blieb er stehen, warf die Zigarette zur Seite und beugte sich nach vorn. Er hatte Ahnung von Autos und das was er sah, konnte bei keiner Überprüfung übersehen werden.

"Sie sich das einer an!", jammerte der Kleinere wieder und fuhr sich über den Nacken. "Das kann doch nicht sein."

"Das ist doch zum verrückt werden", stöhnte der Andere.

Pikotto runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Da musste er den Männern Recht geben, das konnte nicht sein. Er seufzte leise und wandte sich um, um einen prüfenden Blick zu Mokuba zu werfen. Die Kinder tummelten sich vor seinen Augen, versperrten ihm die Sicht. Langsam ließ er die Arme sinken und trat näher. Er mochte es nicht, wenn er Mokuba nicht sehen konnte. Die Kinder lachten und alberten, Pikotto trat erst in langsamen, dann in schnellen Schritten näher. Und dann stoben die Kinder auseinander. Sie flohen nicht, nein, sie spielten jetzt doch Fange und die Lehrer schrien in leiser Verzweiflung. Sofort bot sich Pikotto ein guter Blick auf die quasselnde Gruppe, der auch Mokuba angehörte. Sie nahmen nicht an den Spielen teil, sondern tratschten. Und sie tratschten so ausgelassen, dass sie das Auto nicht bemerkten, das sich ihnen in schneller Fahrt näherte!

Augenblicklich erwachte Pikotto zum Leben. Er stieß sich ab und sprintete los. Er würde sie schnell erreichen. Doch würde er es vor dem Auto schaffen? Er rannte schneller, rannte so schnell er konnte. Bikky und die anderen beiden Jungs bemerkten nun den Wagen, der nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. Sofort rannten sie schreiend weg, nur Mokuba… der hatte den Wagen im Rücken und wurde erst auf ihn aufmerksam, als sich seine Freunde bereits in Sicherheit gebracht hatten. Unbarmherzig stemmte sich Katagori gegen das Gaspedal, seine Finger krallten sich um das Lenkrad, sein Mund war zu einem boshaften Grinsen verzerrt. Entsetzt schrie Mokuba auf und riss die Arme vor das Gesicht, doch fliehen tat er nicht, denn seine Beine machten nicht mit. Pikotto rannte direkt auf das Auto zu und bevor dieses Mokuba erreicht hatte, erreichte er ihn. Mit einer kraftvollen Bewegung stieß er den Jungen zur Seite und sofort erfasste ihn das Auto. Er schlug auf der Motorhaube auf, rollte über die Windschutzscheibe, über das Dach und letzten Endes über den Kofferraum. Dann erst landete er hart auf dem Asphalt. Die Kinder schrien, die Lehrer schrien und die Busfahrer schrien am lautesten. Quietschend drehten die Räder durch, Katagori machte sich aus dem Staub.

In großer Panik rannten die Kinder über die Raststelle. Auch die beiden Busfahrer liefen in einer kopflosen Panik umher und rauften sich die Haare. Es war alles zu schnell gegangen, als dass sie es verstehen könnten. Ein Unfall, ging es ihnen allen durch den Kopf. Es musste ein Unfall gewesen sein! Röchelnd neigte sich Pikotto nach vorn, biss die Zähne zusammen und schloss verkrampft die Augen. Doch bevor er nach eigenen Verletzungen suchte, blickte er zuerst auf und musterte Mokuba. Der Junge hockte auf der Bordsteinkante und hielt sich das Bein.

Vielleicht war es gebrochen?

Vielleicht war er arg gestürzt?

Schwerer verletzt schien er jedoch nicht zu sein. Und das war das wichtigste. Pikotto schnappte nach Luft, richtete sich auf soweit es ging und begann hastig in den Taschen seines Anzuges zu suchen. Kurz darauf zog er sein Handy hervor und wählte krampfhaft eine Nummer.
 

"Das hast du davon", murrte Kaiba, während er den jammernden Joey durch das Schulgebäude schleppte. Joey stützte sich auf ihn und hielt sich den Bauch. "Wie kannst du mich nur überreden, dich mit in die Schule zu lassen, obwohl es dir nicht gut geht!"

"Heute Morgen ging es mir ja noch gut", klagte Joey und sah das Arztzimmer näher kommen. "Aber jetzt ist mir sooo übel."

"Dann hättest du heute Morgen mehr essen sollen!" Kaiba stöhnte.

"Mir ist trotzdem übel", seufzte Joey.

"Himmelherrgott!" Kaiba rollte mit den Augen, griff nach der Klinke und öffnete die Tür. "Jetzt hältst du den Mund und legst dich hin!"

"Hm... ja..."

"Auf der anderen Seite hast du mich wirklich überrascht." Kaiba hievte ihn auf die Liege und Joey ließ sich sofort nach hinten fallen, krallte sich jedoch noch in Kaibas Ärmel, um sicherzustellen, dass sich dieser nicht aus dem Staub machte.

"Überrascht?", fragte er, als er endlich still lag. "Wie meinst du das?"

"Nun, ich dachte, dass du früher umkippst. Nicht erst jetzt."

"Ach." Joey rupfte an seinem Ärmel und schnitt eine Grimasse. "Ich danke dir für deine Besorgnis."

"Scheinst nicht viel auszuhalten." Kaiba griff nach einem Stuhl und ließ sich neben ihm nieder. "Ich frage mich trotzdem, woran es liegt. Ich meine, dein Fieber war schon fast verschwunden und du hast dich doch auch..."

"Ist doch egal." Joey grinste hinterhältig und zog erneut an seinem Ärmel. "Mir geht es schon besser. Na, komm schon." Er lachte leise. "Küss mich."

Doch Kaiba spielte nicht mit, er ließ sich nicht ziehen und kurze Zeit später landete seine Hand auf Joeys Gesicht, drückte ihn in das Kissen hinab.

"Mmm...!" Joey fuchtelte mit den Händen und Kaiba drehte sich zu der Ärztin um, die dort stand und nicht so recht wusste, was sie davon halten sollte. Sobald er sie erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht.

"Er fantasiert!", zischte er. "Hat Fieber!"

"Ja, ähm... natürlich!" Die Ärztin nickte hastig, räusperte sich und machte, dass sie den Raum verließ. Erst, als die Tür zufiel, nahm Kaiba die Hand aus Joeys Gesicht und ließ ihn wieder atmen.

"Unvorsichtiger geht es ja wohl nicht!", blaffte er den keuchenden jungen Mann sofort an und dieser sah sich verdutzt um.

"Was? Warum? Was ist denn?"

Kaiba schnitt eine Grimasse und lehnte sich zurück, die angenehme Pausenmelodie ertönte. Doch auch ein anderes Geräusch vermischte sich mit der leisen Melodie; Kaiba begann in seinen Taschen zu suchen: Sein Handy meldete sich. Während er wühlte, richtete sich Joey flink auf und griff nach seinem Kragen.

"Jetzt ist sie weg", sagte er hastig. "Jetzt können wir."

"Moment." Beschäftigt schob Kaiba ihn zurück und zückte das Handy. "Ja?"

Murrend lehnte sich Joey zurück und machte es sich auf der Liege gemütlich. Er zupfte an der Decke und setzte sich in den Schneidersitz. Auf Kaiba achtete er nicht allzu viel. Dieser sagte nichts und als Joey endlich aufblickte, sah er ein blasses Gesicht, geweitete Augen.

"Langsam, langsam Pikotto!" Stockend richtete sich Kaiba auf, leckte sich die Lippen. "I-ich verstehe dich nicht! Was ist... wie bitte?!" Hastig hob er die andere Hand und fuhr sich über die Stirn. "Das kann doch nicht... Pikotto?! Hey, verflucht! Melde dich!" Kaiba schnappte nach Luft und sprang auf. "Hey, bist du noch dran?! Pikotto?!" Er ließ das Handy sinken, starrte es entsetzt an. Auch Joey wirkte etwas blass, als er Kaiba ansah. Noch nie hatte er ihn so gesehen.

Was war passiert…?

Eine kurze Zeit stand Kaiba nur vor ihm, fixierte das Handy mit entsetztem Blick und schien nicht einmal mehr zu atmen. Auch Joey hatte bald das Gefühl, keine Luft mehr in der Lunge zu haben. Plötzlich ertönte neben ihnen im Gang ein lautes Lachen. Durch dieses Lachen erwachten die beiden wieder zum Leben. Joey hob die Hand und holte tief Luft, um eine Frage zu stellen, doch Kaiba drehte sich in derselben Sekunde um und stürmte auf die Tür zu.

"K-Kaiba?!" Sofort sprang Joey von der Liege und eilte ihm nach. "Was ist denn los?!"

Er holte ihn erst im Gang ein. Kaiba hatte beide Hände zu Fäusten geballt und so wie er ging, konnte man glauben, er wolle jemanden töten, wen und weshalb auch immer. Aber er schenkte Joey keine Beachtung, spuckte einen grausamen Fluch und sprang die Treppen hinab. Joey stolperte hinter ihm her, bis er keine Lust mehr darauf hatte, ihn am Ärmel packte und festhielt.

"Was zur Hölle ist los?!"

"Was los ist?!" Kaiba fuhr zu ihm herum und schlug seine Hand zur Seite. In nur wenigen Sekunden war irgendetwas passiert, das Joey nicht realisieren konnte.

Was er jedoch wusste, war, dass er nichts getan hatte.

"Schrei mich nicht an!" Auch Joey wurde laut und an Kaibas Gesichtsausdruck konnte man deutlich erkennen, dass er leicht überrumpelt war. "Ich will nur wissen, was passiert ist! Willst du mich jetzt deswegen umbringen?"

Kaiba trat einen Schritt zurück, starrte Joey niedergeschmettert an. Seine Lippen bewegten sich stumm, dann schüttelte er den Kopf und brummte leise.

"Okay…!"

"In Ordnung." Joey seufzte, beruhigte sich. "Also, was ist los?"

Kaiba erwiderte seinen Blick nur kurz, dann stöhnte er, ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit beiden Händen über den Nacken.

"Oh Gott...!"

"Hey." Zögerlich trat Joey näher und griff nach seiner Hand. Es war ihm egal, ob sie dabei gesehen wurden. Und auch Kaiba achtete nicht darauf. "Was ist mit Pikotto?"

Kaiba blickte auf, sah ihm direkt in die Augen.

"Pikotto ist verletzt. Mokuba auch."

"Wie bitte?!" Joey erschrak.

"Ja." Kaiba nickte verbittert, presste die Lippen aufeinander. "Ich... ich muss ins Krankenhaus!"

Mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte weiter. Joeys Hand hielt er weiterhin fest, er zog ihn mit sich und Joey wehrte sich nicht dagegen. Erst als er die große Tür aufriss, ließ er seine Hand los.

"Warum?!" Joey versuchte verzweifelt Schritt zu halten. "Warum sind sie verletzt?!"

"Später!" Schnell näherte sich Kaiba der Limousine, die noch immer vor der Schule stand. "Komm mit!"
 

Joey fühlte sich schrecklich, als er Kaiba durch die Gänge des Krankenhauses folgte. Er mochte diesen sterilen Geruch nicht. Erinnerungen kamen zurück, ließen die Situation noch grausamer erscheinen. Während der Fahrt hatte Kaiba kaum gesprochen. Nur den Chauffeur hatte er angeschrien, zur Eile angetrieben.

Er hatte gelitten. Er konnte nicht stillsitzen, hatte die Hände aneinander gerieben und leise geflüstert. Doch Joey ging es nicht besser.

Verflucht, er wusste doch nicht einmal, was nun wirklich passiert war!

Pikotto verletzt. Mokuba verletzt. Aber warum??

Er hatte keine Fragen gestellt und erhoffte sich, die Antworten auf all die Fragen hier zu finden.

"Wo sind sie!" Der erste Arzt, der Kaiba über den Weg lief, wurde am Kragen gepackt. "Ich will sie sehen!"

"Herr Kaiba." Der Arzt hob abwehrend einige Unterlagen und trat zurück. "Beruhigen Sie si..."

"Ich will mich nicht beruhigen!" Kaiba war außer sich und Joey spürte, wie sich sein Hals verengte. Weder er noch Kaiba wusste, was mit Mokuba und Pikotto war. Wie schwer waren sie verletzt? Während Kaiba mit den Arzt diskutierte, atmete er tief ein und schluckte. Er konnte sich nicht in Kaibas Rolle versetzen. Auch er hatte ein Geschwisterchen, doch dessen Leben war nie von Gefahr geprägt gewesen. Er wusste also nicht, wie es war, sich ernsthaft

Sorgen um das Geschwisterchen zu machen. Auch Pikotto war Kaiba wichtig. Nicht nur als Arbeitskraft. Hätte man Joey früher erzählt, es gäbe mehrere Menschen an denen Kaiba hing, dann hätte Joey diesen Erzähler ohne zu Überlegen als Lügner abgestempelt. Es war kaum zu glauben. Man musste es selbst gesehen haben, wie sich Kaiba sorgte, wie er sich einsetzte, nur, um die beiden so schnell wie möglich zu sehen.

Endlich setzte sich der Arzt in Bewegung und sie folgten ihm.

"Der Junge hat von dem Unfall nur ein gebrochenes Bein und eine kleine Wunde auf der Stirn davongetragen." Der Arzt drehte sich während des Gehens zu Kaiba um und dieser nickte düster. "Um den anderen..."

"Er heißt Pikotto!"

"Verzeihung. Um Pikotto steht es schlechter. Sein linkes Handgelenk ist gebrochen. Außerdem haben wir eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Eine gebrochene Rippe und eine geprellte Schulter. Aber sein Zustand ist stabil, machen Sie sich also keine Sorgen, Herr Kaiba."

>Keine Sorgen machen?!< Kaiba knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände erneut zu Fäusten. Dann endlich, blieb der Arzt vor einer Tür stehen und räusperte sich.

"Also, der Junge..."

Er verstummte, als Kaiba nach der Klinke grabschte und die Tür aufriss. Der Arzt schluckte und ließ die Unterlagen sinken.

"... schläft."

Joey atmete tief ein und umfasste die Handgelenke auf dem Rücken. Dann, nach einem kurzen Zögern folgte er Kaiba. Nur langsam trat er ein und blieb nach nur wenigen Schritten stehen. Kaiba stand neben dem einzigen Bett, stützte sich auf der Bettkante ab und starrte den Jungen an, der reglos dort lag. Es war Mokuba. Verunsichert trat Joey näher und blieb am Ende des Bettes stehen. Der Junge sah etwas blass aus, hatte ein dickes Pflaster auf der Stirn. Sein rechtes Bein war dick eingegipst und lugte unter der Decke hervor. Doch der Junge schlief einen ruhigen Schlaf; es schien ihm einigermaßen gut zu gehen. Kaiba regte sich nicht

von der Stelle. Er blieb dort stehen und starrte in das blasse Gesicht seines Bruders. Joey besah sich seine Miene und das was er sah, gefiel ihm nicht. Kaibas Gesichtszüge waren zwar von großer Sorge geprägt, doch wenn man genauer hinsah, entdeckte man auch eine unkontrollierbare Wut, die sich in seinen Augen verbarg. Nach wenigen Augenblicken hob Kaiba die Hand, führte sie an Mokubas Gesicht heran und strich ihm eine schwarze Strähne von der Stirn. Er besaß nicht viele Schwachstellen, doch nun hatte man ihn durch eine von

ihnen verletzt. Seine Hand zitterte, als er sie wieder sinken ließ und sich aufrichtete.

"Okay." Er nickte auf eine Art und Weise, die Joey Angst machte. Er schien soeben einen Entschluss gefasst und ohne weitere Worte zog Kaiba wieder an ihm vorbei und verließ

den Raum. Verstört sah Joey ihm nach, dann tätschelte er flüchtig Mokubas Bein und wandte sich ebenfalls zum Gehen ab. Als er wieder in den Gang hinaustrat, war Kaiba gerade wieder dabei, dem Arzt Angstzustände zu bereiten. Wieder hatte er ihn am Kragen gepackt. Und dabei wollte er nur wissen, wo Pikotto lag. Hektisch wies der arme Mann auf eine Tür und Kaiba stürmte sofort los. Diesmal blieb Joey jedoch stehen und sah ihn kurz darauf in dem besagten Raum verschwinden. Der Arzt neben ihm räusperte sich unauffällig.

"Was... ist denn in Herrn Kaiba gefahren?", fragte er leise und fächelte sich mit den Unterlagen Luft zu. Joey starrte etwas abwesend auf die Tür, die nun langsam zufiel. Anschließend drehte er das Gesicht zu dem Arzt und sah ihn nachdenklich zugleich traurig an. Doch er gab ihm keine Antwort, schüttelte nur den Kopf und ließ ihn anschließend sinken, um sich den Nacken zu reiben.

"Oh... Gott."

Was auch immer in Kaiba gefahren war. Joey hatte das Gefühl, er würde gleich ausrasten und jeden verprügeln, der sich ihm in den Weg stellte. In diesem Fall würde er jedoch der einzige sein. Da der Arzt durch Joey nicht auf des Rätsels Lösung kam, nahm er sich einfach vor, abzuhauen. Er sagte schnell, er müsste sich um seine anderen Patienten kümmern und eilte davon. Nun stand Joey alleine da. Er spitzte die Ohren, versuchte irgendetwas zu hören. Über was sprach Kaiba mit Pikotto? Warum ging er einfach nicht mit rein? Er wusste es nicht. Was

er jedoch wusste, war, dass es keine gute Idee wäre. Nach einem kurzen Grübeln ließ er sich auf einem der Stühle nieder.

Nach nicht allzu langer Zeit öffnete sich die Tür.

Sie wurde aufgerissen und schlug krachend gegen die Wand, bevor sie in das Schloss zurückklackte. Sofort als Kaiba in den Flur gestürmt kam, war Joey auf den Beinen. Kaibas Gesichtszüge zuckten, seine Zähne knirschten, so sehr biss er sie aufeinander. Er schnaubte vor Wut, schien nicht mehr er selbst zu sein. Es musste ein Dämon sein, der in ihn gefahren war. Er stürzte auf Joey zu, wollte jedoch an ihm vorbei und ihn stehen lassen.

Joey bangte um sein Leben und dennoch stellte er sich ihm in den Weg. Kaiba hielt inne, ergriff jedoch sofort das Wort.

"Geh mir aus dem Weg, Joseph!", fauchte er. "Ich habe etwas zu erledigen!"

Somit trat er zur Seite, doch Joey hielt ihn weiterhin auf und machte ihn somit rasend vor Wut.

"Dann sag mir wenigstens, was passiert ist", bat er in einem leisen, beschwichtigenden Tonfall. "Ich mache mir auch Sorgen und bin traurig über das, was geschehen ist."

"Was geschehen ist?!" Kaiba schnappte nach Luft, seine Augen weiteten sich, als sie sich auf Joey richteten. "Viel wichtiger ist gerade, was noch geschehen wird!!"

"Oh Gott, dann sag mir doch, was du vorhast!" Joey fuhr sich flink durch den Schopf, immer darauf achtend, dass Kaiba nicht plötzlich verschwand.

"Bitte Ruhe!", meldete sich plötzlich eine Krankenschwester zu Wort, die sich aus einer Tür lehnte und ergrimmt die Fäuste schüttelte. "Das ist ein Krankenhaus!"

"Verzeihung." Hastig hob Joey die Hände und grinste nervös. Da schloss sich die Tür wieder und er wandte sich an Kaiba, der wohl kurz davor war, ihn zur Seite zu stoßen.

"Ich habe keine Zeit zu verlieren, verdammt noch mal!" Kaibas Gesicht verfinsterte sich, bis Joey Angst vor ihm bekam.

"Ich habe aber das Gefühl, dass du irgendeinen Fehler begehst, irgendeinen Blödsinn machst, wenn ich dich jetzt gehen lasse", warf er verzweifelt ein und hob bittend die Hände. "Wir können doch darüber..."

"Er versucht mich zu zerstören, verstehst du?!" Kaiba trat vor und Joey wich zurück. "Er tut alles, um mich fertig zu machen!! Das ist in Ordnung, solange er sich nur auf mich konzentriert!!"

"Wo... wovon redest du, Kaiba?" Joey verstand nicht so recht. Kaiba näherte sich ihm weiterhin drohend und er kam einer Wand gefährlich nahe.

"Es ist jämmerlich, ja, jämmerlich, sich an Mokuba oder Pikotto zu vergreifen, um mir Schaden zuzufügen!! Und dafür wird er bluten!!"

"M... meinst du..."

Kaiba rang nach Luft, er tobte und Joey befürchtete, ihn nicht bändigen zu können.

"Verstehst du es endlich?? Er war es, der mich angefahren hat!! Ja, zur Hölle, er war es!! Und ich habe nichts unternommen, war doch wirklich der Meinung, mir Zeit nehmen zu können! Aber jetzt…!" Kaiba verengte die Augen. "Jetzt wollte er Mokuba umbringen...!"

"Umbri...!" Joey erschrak so sehr, das er kein weiteres Wort hervor bekam.

"Was fällt Ihnen ein?!", ertönte wieder eine Stimme. Ein Arzt am Ende des Ganges fuchtelte mit einer Mappe. "Gehen Sie raus, das ist ein Krankenhaus!"

"Verzeihung!", rief Joey eilig zurück und wandte sich wieder an Kaiba.

"Er wollte Mokuba umbringen??", stieß er ungläubig aus.

"Ja!" Kaiba lachte humorlos auf. "Aber zu einem weiteren Anschlag wird es nicht kommen! Was denkt sich dieser Mann!? Ich bin Seto Kaiba! Denkt er wirklich, ich lasse mich so einfach unterkriegen?!"

"Was... was hast du vor?" Allmählich fiel Joey das Reden schwer. Er konnte nicht realisieren, nicht verstehen, wovon Kaiba sprach, was er meinte. "Willst du... willst du ihn etwa..."

"Das hat sich dieser Dreckskerl selbst zuzuschreiben!"

In dieser Sekunde stieß Joey mit dem Rücken gegen die Wand.

Was hatte Kaiba vor?

Er wollte... einen Mord begehen?

Joey fehlten die Worte, perplex bewegten sich seine Lippen, doch einen Ton bekam er nicht heraus. Umbringen??

Das konnte doch nicht wahr sein!

War Kaiba denn von allen guten Geistern verlassen??

Langsam atmete Joey ein, seine Hände ballten sich zu verkrampften Fäusten. Kaiba wollte sich abwenden, schenkte Joey keine Beachtung. So konnte er das vor Wut lodernde Feuer in seinen Augen nicht erkennen und bekam Joeys Standpunkt erst mit, als er grob am Arm gepackt und zurückgezogen wurde.

"Spinnst du?!" Jetzt hielt sich Joey nicht mehr zurück. Kaiba wollte sich losreißen aber sein Griff war eisern. "So etwas Dämliches hast du ja noch nie von dir gegeben!! Du... du willst... ich spreche es besser nicht aus! Aber weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst?? Mokuba und Pikotto ist nicht geholfen, wenn du bis zum Ende deiner Tage im Gefängnis hockst und zur Hölle, das wirst du, wenn du diese Sache wirklich durchziehst!! Denk doch mal nach, erhebe Anklage gegen diesen Mann, wer auch immer das ist!! Versuchter Mord, Mensch, und sogar in drei Fällen!! Dafür bekommt der Typ schon eine saftige Strafe aufgebrummt!! Wärst du damit nicht zufrieden?!"

"Was für eine Unerhörtheit!", meldete sich plötzlich eine Stimme neben ihnen. "Wie kann man in einem Krankenhaus nur so laut..."

"Schnauze!!" Joey fuhr herum und starrte die Omi im Rollstuhl mordlüstern an. Diese schnappte nach Luft, quiekte leise und rollte schnell weg.

"Nein!!" Kaiba schlug seine Hände zur Seite und Joey strauchelte kurz. "Ich will Katagori nicht im Gefängnis, sondern im Grab sehen! Er hat sich zu weit auf das Glatteis hinaus gewagt und jetzt bekommt er die Rechung!! Ich hätte gedacht, dass du dafür mehr Verständnis zeigen würdest!!"

"Verständnis??" Joey traute seinen Ohren nicht. "Dafür?? Ist bei dir irgendetwas locker?? Du bekommst doch für so etwas nicht meine Zustimmung!! Wenn du das tust, dann bist du doch nicht besser, als dieser..."

Plötzlich packte Kaiba ihn grob an den Oberarmen, stieß ihn zurück und rammte ihn gegen die Wand. Für kurze Zeit drehte sich alles vor Joeys Augen, doch er blieb aufrecht stehen. Kaibas Finger krallten sich in seine Haut, es schmerzte.

"Pass auf, was du sagst!" Kaiba zog ihn vor und rammte ihn erneut gegen die Wand. "Wie kannst du es wagen! Du weißt nicht, wovon du sprichst, also halt die Klappe!!"

Schützend hob Joey die Hände und verbarg das Gesicht hinter ihnen.

"Du... du tust mir weh...", presste er zittrig hervor.

"Was geht es dich überhaupt an, was ich mache?!" Endlich lockerte Kaiba seinen Griff und Joey ließ sich keuchend an der Wand hinab, auf den Boden sinken. Dort blieb er kauern und presste sich beide Hände auf das Gesicht. Kaiba starrte rasend vor Wut auf ihn herab.

"Ich habe mich wohl in dir geirrt!" Er schnitt eine Grimasse, führte eine abfällige Handgeste aus und wandte sich zum Gehen ab.

"Ja, du hast dich in mir geirrt!!" Joey richtete sich auf, sein Gesicht zuckte vor Wut. "Und ich mich auch in dir!!"

"Scheiße!!" Kaiba blickte nicht zurück. Er trat einen Papierkorb gegen eine Wand und bog um die Ecke.

"Arschloch!!" Joey holte weit aus und schlug mit aller Kraft auf den Boden. Dann ließ er sich nach vorn sinken und biss die Zähne zusammen.
 

Wieder einmal nahm das Schicksal merkwürdige Wendungen; Joey wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und wissen, wie es nun weitergehen sollte, tat er erst recht nicht.

Was ritt Kaiba nur, dass er vorhatte, solch einen gottverdammten Wahnwitz zu begehen. Sollte er wirklich zum Mörder werden, nur, weil ein gewisser Mann ihn angefahren hatte, einen abgrundtiefen Hass gegen ihn hegte und nun auch Mokuba und Pikotto angegriffen hatten, zwei, die als unbeteiligt galten? Was für eine Ironie.

Stand es in Joeys Macht, Kaiba von einem Mord abzuhalten?

Was zur Hölle sollte er tun?

Sollte er noch einmal mit ihm reden?

Sollte er auf sein Gewissen, seine Vernunft vertrauen?

Die Frage die an vorderster Stelle stand, lautete jedoch: Traute er Kaiba wirklich einen Mord zu?

Einen Grund?

Den gab es zwar und dennoch war die Lösung, die Kaiba als die Schnellste und Fairste ansah, alles andere als korrekt. Es war der falsche Weg.

Warum wollte sich Kaiba das nicht eingestehen?

Vielleicht hatte er alles nur in seiner Wut gesagt. Vielleicht ließ er mit sich reden, nachdem er

sich beruhigt hatte? Joey wusste es nicht. Er wusste nicht, was er tun, denken oder sagen sollte. Er wusste gar nichts...
 

Faul lag er in der Badewanne. Er war wieder zu Hause und das Erste, was er getan hatte, war, sich Wasser einzulassen und sich in voller Kleidung hineinzulegen. Jetzt lag er seit zwei Stunden hier und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Das Wasser war bereits kalt. Den Hinterkopf hatte er auf den Wannenrand gelegt, die Beine hatte er angewinkelt, seine Hände baumelten im Freien. Bewegungslos hielten die beiden Finger die Zigarette. Sie qualmte, rauchte sich von selbst. Der Tabak bröckelte zu Boden. Ausdruckslos waren Joeys Augen auf die Decke gerichtet.

Sein Vater war wieder Daheim. Er rannte wie ein Verrückter durch die Wohnung und ließ seinem Putzwahn, der nur äußerst selten vorkam, freien Lauf. Überall in der Wohnung herrschte Leben, nur im Bad lag die Totenstille. Als von draußen ein lautes Gepolter ertönte, blinzelte Joey. Er begann sich zu regen, schloss die Augen und streckte die Beine durch. Das Wasser begann zu plätschern, dann hob er die Hand, führte sie zum Mund und berührte den Filter mit den Lippen.

"Joey?" Plötzlich klopfte es. "Hey, wie lange willst du dich denn noch dort verkriechen? Was machst du eigentlich?"

Der Angesprochene reagierte kaum. Er stöhnte leise, nahm einen Zug und ließ die Zigarette in das Badewasser fallen, in dem sie zischend erlosch. Dann ließ er die Hände wieder baumeln und verblieb reglos.

"Komme gleich..."

"Das hast du vor einer Stunde auch schon gesagt!" Ein lautes Stöhnen. "Badest du?"

"Hm..."

"Sag das doch gleich." Somit ging Herr Wheeler wieder an die Arbeit.

>Wenn er morgen in die Schule kommt, dann rede ich mit ihm. Wenn nicht, dann werde ich ihm nicht wie ein Hund hinterher rennen. Ich habe ihn wirklich falsch eingeschätzt, meinte, er würde vernünftig grübeln, bevor er sich zu einer Sache entschließt. Ich war doch wirklich der Meinung, ihn zu kennen, glaubte, ihn allmählich zu verstehen. Doch in Wahrheit kenne ich nicht einmal die Hälfte von ihm. Ich weiß vielleicht, welche Speisen er mag, welche Kleidermarke er bevorzugt oder wie lange er seine Zähne putzt. Aber sein wahres Wesen? Ich wollte es erforschen aber bevor mir das gelungen ist, kam etwas dazwischen, auf das ich nun überhaupt nicht angewiesen war.< Joey atmete tief ein, seine Gesichtszüge erstarrten. >Wieder kann ich mich an niemanden wenden. Wieder kann ich niemanden um Rat bitten. Wieder bin ich alleine, muss selbst Entscheidungen treffen und mich zu Recht finden. Ist es jetzt aus? Endet es, bevor es richtig begonnen hat? Warum hat mir Kaiba nicht schon früher

Bescheid gesagt, warum hat er sich nicht ausgesprochen und alles in sich hinein gefressen. Er weiß doch, dass er mir vertrauen kann. Warum zur Hölle hat er geschwiegen? Wegen ihm stecken wir jetzt noch tiefer im Schlamassel! Was es mich angeht, was er macht? Das kann er nicht ernst gemeint haben, das war nicht Kaiba. Ich verstehe ihn einfach nicht.< Joey fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und stöhnte laut. >Das ist doch alles zum kotzen! Und das Wasser ist auch verdammt kalt!< Plump ließ er die Hände auf die Wannenränder fallen

und richtete sich auf. Das Wasser begann zu schwappen, die Kleider klebten nass an seiner Haut. Er achtete nicht darauf, dass sich eine Pfütze im Bad ausbreitete, als er aus der Wanne stieg. Er platschte einfach zum Waschbecken, kratzte sich am Kopf und stützte sich ab, um angespannt in den Spiegel zu starren.

>Bleib ruhig, Joey!<, dachte er sich angespannt. >Lass die Zeit entscheiden. Lass es einfach auf dich zukommen.<
 

Ruhig bleiben?

Als sich Joey am nächsten Tag auf den Weg zur Schule machte, zitterten seine Hände. Den gesamten gestrigen Tag hatte er sich den Kopf zerbrochen. Was sollte er Kaiba sagen? Gar nichts. Kaiba hatte Blödsinn gemacht und Joey hatte wie schon erwähnt, keine Lust, hinter ihm her zu rennen und zu betteln. Kaiba sollte sich seines Fehlers bewusst werden und selbst kommen. Oder auch nicht. Das alles mochte zwar sehr einfach klingen, das war es aber nicht.

Und das wurde Joey jetzt auch klar. Er zog ein schrecklich betrübtes Gesicht, konnte es nicht verbergen und wollte es auch nicht. Während er seine Freunde näher kommen sah, hatte er Kaibas Bild vor Augen. Kaiba, wie er schmunzelte. Ein seltener und äußerst entzückender Anblick. In seiner Gegenwart hatte er es des Öfteren getan.

"Joey!" Yugi war höchst erfreut, ihn wieder zu sehen. Er winkte und war sofort auf den Beinen. Auch die anderen wandten sich ihm zu und begrüßten ihn mit denen für sie typischen Gesten. Bakura sah ihn nur an, Tea lächelte, Tristan grinste und Duke? Der steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Joey erwiderte nichts dergleichen. Er blieb kurz stehen, erwiderte ihre Blicke kurz und ließ den Kopf hängen, um tief einzuatmen. Dann blickte er auf und schlenderte weiter.

>Es tut mir so leid, sie nach dieser langen Zeit in der wir uns nicht gesehen haben, mit diesem langen Gesicht zu quälen.<

Vor ihnen blieb er stehen und hob die Hand.

"Hi."

"Und?" Yugis Grinsen verlor an Kraft. "Wie geht es dir?"

"Jetzt überhäufe unseren Joey doch nicht gleich mit so vielen Fragen!" Duke legte den Arm um seinen Hals. "Lasst ihn erst einmal Luft holen."

"Hey." Tristan und Tea traten näher. "Alles klar?"

Joey verschränkte die Arme vor dem Bauch und seufzte leise.

"Nichts ist klar."

"Oh." Duke löste die Umarmung und trat zur Seite um sich dieses trübsinnige Gesicht näher zu betrachten. "Was ist denn los?"

"Fühlst du dich nicht gut?", fragte Yugi. "Hast du dich von gestern schon wieder erholt?"

"Ja, ich..." Joey fuchtelte mit den Händen.

>Oh Gott!<, dachte er sich nebenbei. >Jetzt fehlen mir wieder die Worte.<

"Du siehst ja schlimm aus." Tea hob die Hand und rieb seine Schulter. "Hattest du Ärger mit Kaiba?"

"Hm?" Joey sah auf, traf auf ihren Blick. "Ja, du triffst den Nagel auf den Kopf."

"Herrje." Yugi seufzte.

"Und worum ging es?", erkundigte sich Duke.

"Ach, nichts weltbewegendes", erwiderte Joey sofort.

>Er will nur einen Mord begehen und ich weiß nicht, wie ich ihn davon abhalten soll. Scheiße, ich könnte heulen.<

Und so sah er vermutlich auch aus. In der heiteren Runde war eine merkwürdige Atmosphäre ausgebrochen. Alle schienen sich von der Niedergeschlagenheit angesteckt zu haben. Joey ließ sich auf der Bank nieder und rieb sich das Gesicht.

"Ist... es sehr schlimm?" Yugi trat zögerlich näher.

"Ach, ich mache das schon." Joey lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Viele besorgte Blicke hafteten an ihm.

"Ach Joey." Duke seufzte. "Vielleicht hast du ja einen Fehler begangen, in dem du die Freundschaft mit ihm gesucht hast."

Joey öffnete die Augen und starrte nachdenklich auf den Himmel.

>Bereue ich es?<

"Warum machst du dir denn Sorgen?", meldete sich plötzlich Bakura zu Wort, der neben ihm stand und sich einen feinen Riegel schmecken ließ. "Beziehungskrisen gibt es doch immer."

Joeys Herz machte einen entsetzten Sprung. Dennoch blieb er reglos sitzen und ließ sich nichts anmerken und das eher unbewusst. Was hatte Bakura da gesagt? Die anderen fassten diese Bemerkung mit Humor auf. Sie lachten, wurden jedoch schnell wieder ernst, da sie Joey nicht noch trauriger machen wollten. Doch dessen Trübsal war wie weggeblasen, war etwas anderem gewichen, das zurzeit viel wichtiger war. Nach wenigen Sekunden richtete er sich langsam auf und starrte Bakura mit großen Augen an. Der junge Mann mampfte genüsslich und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Den anderen fiel Joeys Reaktion auf den "Scherz" nicht auf, denn sie machten sich ihre eigenen Gedanken, suchten nach einem Grund für diesen Streit. Sie alle kamen jedoch zum selben Schluss: Kaiba war der Böse, so wie immer. Langsam richtete sich Joey auf, kam die auf die Beine, packte Bakura vorsichtig am Ärmel und zog ihn etwas zur Seite.

"Huch?" Beinahe fiel Bakura der Riegel auf den Boden. Doch er rettete ihn rechtzeitig und kam nicht einmal ins Stolpern. Joey zog ihn so weit, bis sie weit genug entfernt waren. Bakura verstand diese Aufregung augenscheinlich nicht. Etwas verwundert blieb er stehen und hob abwartend die Augenbrauen. Joey erwiderte seinen Blick ernst, atmete tief ein und stützte die Hände in die Hüften.

"Okay. Beziehungskrisen. Wie hast du das gemeint?"

"Hm." Bakura schob sich den Rest des Riegels in den Mund. "Wie foll iff ef denn gemeint haben?"

"Wie..." Joey steckte in der Klemme. "Na, ich weiß nicht."

>Ich darf mich nicht verraten<, ging es ihm durch den Kopf.

"Na." Bakura kaute hinter und rieb die Hände aneinander. "Ich meine, du und Kaiba, ihr seid doch irgendwie... so zusammen, oder?"

"Was...?" Joey betete darum, sich verhört zu haben. "Wie kommst du denn darauf...?"

"Ist nicht zu übersehen", verriet Bakura locker. "Ich könnte dir viel aufzählen, hab aber keinen Lust."

"Du... weißt es?" Joey glaubte umzufallen. All die Anstrengungen... umsonst?

Bakura wusste es. Er wusste alles!

"Klar." Bakura zuckte mit den Schultern. "Aber es ist mir egal. Es ist nicht mein Problem und du kannst ja machen, was du willst. Aber sag mal, warum... bist du so blass?"

"Seit wann weißt du es?"

"Schon länger." Bakura begann nach einem weiteren Riegel zu suchen. "Na ja, ist noch was?"

"Ja, ähm..." Joey wurde hektisch. Er bekam Angst bei dem Gedanken, die Neuigkeit würde sich herumsprechen. Und ehrlich, dafür würden sich sehr viele interessieren. Vor allen Dingen die Presse! Er musste nicht unbedingt darauf verlassen, dass Bakura Stillschweigen wahrte. "Moment, ich... weiß es noch jemand?"

"Weiß nicht." Bakura suchte weiter. "Frag doch einfach mal na..."

"Nein!" Es sprudelte nur so aus Joey heraus. "Es muss unbedingt geheim bleiben! Niemand darf es erfahren, verstehst du? Nie-mand! Keine Menschenseele! Es ist sehr wichtig! Wichtig für mich und vor allem noch wichtiger für Kaiba! Es wäre einfach nur schrecklich, wenn andere davon erfahren würden! Ich verlasse mich auf dich, Bakura! Bitte versprich es mir!"

Bakura wirkte verdutzt, verstand Joeys Aufregung nicht.

"Ich wüsste nicht, warum ich es irgendjemandem erzählen sollte. Ich meine, ist doch nicht meine Sache."

"Du behältst es also für dich?"

"Klar, warum nicht?" Endlich wurde Bakura fündig. Er zückte einen weiteren Riegel und begann ihn sofort zu bearbeiten.
 

Kaiba kam nicht. Eigentlich hätte Joey es sich denken können.

Auf der einen Seite freute sich Joey, dass er ihn nicht sah. Auf der anderen Seite machte er sich jedoch auch große Sorgen. Was war wenn Kaiba seinen Plan in die Tat umsetzte, während er im Unterricht saß? Infolgedessen konnte er sich nicht konzentrieren und lag während der gesamten sieben Stunden auf seiner Bank. Nicht, dass das etwas Außergewöhnliches wäre...

Diesmal schlief er jedoch nicht, nein, auch er plante. Irgendetwas musste er tun. Er wusste alles, es würde ihm sehr schwer fallen herumzusitzen, ohne einen Finger krumm zu machen. Seine Freunde luden ihn zu einem gemütlichen Picknick im Park ein, doch er sagte ab und machte sich auf den direkten Weg nach Hause. Er hatte etwas Wichtigeres zu tun. Zu Hause verbrachte er nicht allzu viel Zeit. Er stopfte sich etwas in den Mund, zog sich um und ging los. Es gab nur eines, was er tun konnte.

In eiligen Schritten machte er sich auf den Weg zu einer Anwaltskanzlei, die in der Nähe lag. Er war schon einmal dort gewesen; sein Vater hatte einmal eine Anzeige erhoben und er hatte ihn begleitet. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als er die Stufen zu dem Gebäude

hinaufstieg. Er kannte einen Staatsanwalt, der hier arbeitete, der gut mit seinem Vater befreundet war. Bei ihm würde er sich Rat einholen. Nachdem er eine Weile nach ihm gesucht hatte, fand er ihn. Und glücklicherweise fand er ihn in der Cafeteria. Er machte soeben Pause und war gern dazu bereit, Joey ein Ohr zu leihen. Dieser ließ sich ihm gegenüber nieder, lehnte sich zurück und atmete tief ein.

"Willst du einen Kaffee?", erkundigte sich der ältere Mann, der sich Kotogawa nannte und hohes Ansehen unter den Anwälten genoss.

"Nein." Joey schüttelte den Kopf und richtete sich wieder auf, etwas unentschlossen, was er jetzt direkt fragen könnte.

"Na gut." Kotogawa nickte. "Also? Was hast du auf dem Herzen?"

"Ich schreibe eine Geschichte", begann Joey zu erzählen. "Die Geschichte handelt sich um einen jungen Mann, der kurz davor ist, einen Mord zu begehen."

Kotogawa hob die Augenbrauen.

"Seit wann schreibst du Geschichten?"

"Nur so." Joey zuckte mit den Schultern. "Es ist so, der Mann hat einen Feind, der ihm das Leben zur Hölle macht. Er hat schon einen Anschlag auf ihn verübt, wollte ihn umbringen. Aber der Mann hat überlebt und deshalb begann sein Feind, sich an seinen Familienmitgliedern und Freunden zu vergreifen. Er hat sie verletzt, um ihm Schaden zuzufügen, sich an ihm zu rächen."

Kotogawa griff nach seiner Tasse und grinste.

"Da hast du dir aber etwas Spannendes ausgedacht."

"Ja." Joey schluckte und begann seine Hände zu reiben. "Jetzt sieht es jedenfalls so aus, dass der Mann seinen Feind umbringen will. Er ist sehr wütend und lässt sich von anderen nicht ins Gewissen reden. Seine Freunde machen sich natürlich große Sorgen um ihn. Und jetzt möchte ich Sie fragen, wie es weitergehen soll. Wenn er diesen Mord wirklich verübt, was würde

passieren? Würde der Richter Gnade walten lassen, weil das Opfer ihn bedroht hat? Weil er einen Anschlag auf ihn verübt und sich dann sogar an Unschuldigen vergriffen hat?"

"Nein." Kotogawa schüttelte ohne zu überlegen den Kopf. "Einen Mord entschuldigt nichts. Höchstens, wenn er aus Notwehr begangen wird und sich das nachweisen und beweisen lässt. Aber selbst wenn dieser Mann die Freunde und Familienmitglieder umgebracht hätte, besitzt der, der darunter zu leiden hat, nicht das Recht, einen Mord an ihm zu begehen. Er muss Anzeige gegen ihn erheben, ihn vor Gericht stellen."

"Hm." Joeys Gesicht verfinsterte sich verbissen. "Und wenn er den Mann doch umbringen würde... was für eine Strafe würde er erhalten?"

"Bei einer Geldstrafe würde es nicht bleiben", antwortete Kotogawa. "Er würde geradewegs ins Gefängnis wandern, ganz egal, wer er ist oder welchen Rang er in der Bevölkerung hat. Und man sollte sich nicht darauf verlassen, dass er irgendwann wieder auf freien Fuß kommt."

"Oh man." Joey rieb sich trübsinnig das Gesicht. "Sind Sie sich sicher?"

"Natürlich", sagte Kotogawa sofort. "Ich habe mich schon einmal mit so einem Fall beschäftigt. Und? Was denkst du? Genau, der Mann bekam lebenslänglich aufgebrummt, weil er den Mann umgebracht hat, der seine Tochter vergewaltigte."

Joey nickte langsam.

"Und?" Kotogawa griff nach der Gabel. "Wie soll deine Geschichte enden, nun, da du es weißt?"

Joey zögerte mit der Antwort. Bekümmert starrte er vor sich auf den Tisch und blickte erst nach einigen Sekunden auf.

"Ich meine, der Mann musste viel durchmachen. Er macht sich große Sorgen um seine Freunde, die im Krankenhaus liegen. Der eine ist sehr schwer verletzt. Aber ich will, dass er sich trotzdem von seinen Freunden helfen lässt. Ich will, dass er den Mord vergisst und sich an dem Mann rächt, indem er ihn anklagt. Er muss sich helfen lassen und wieder zur Vernunft kommen. Nur weißt ich nicht, wie ich... wie seine Freunde das schaffen sollen."

"Dann bring doch etwas Spannung und Dramatik hinein." Kotogawa begann zu essen. "Das Einzige, was den Mann vielleicht wieder zur Vernunft bringen kann, ist ein grausames Geschehnis, das ihn ablenkt und ihn zu der Einsicht führt, dass er einen Fehler begangen hätte."

Jetzt blickte Joey noch betrübter drein.

"Sie meinen, es bringt nichts, mit ihm zu reden."

"Bestimmt nicht." Kotogawa stocherte in seinem Salat. "So, wie du mir die Geschichte und den Mann geschildert hast, wird er wohl kaum mit sich reden lassen. Da kann nur ein Schock etwas bewirken."

"Aha." Joey schluckte schwer und zwang sich ein Grinsen auf. "Danke für Ihren Rat. Ich werde mich danach richten."

"Kein Problem." Kotogawa nickte und Joey erhob sich. "Ach..."

"Ja?" Der Blonde hielt inne und der Anwalt wendete den Löffel in der Hand, betrachtete sich nachdenklich den Tisch und sah ihn dann geradewegs an.

"Versuch deinen Kumpel zur Vernunft zu bringen, damit ich ihn nicht eines Tages vor Gericht kennen lerne."

Joey öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wandte dann jedoch das Gesicht ab und räusperte sich leise.

"Mm...", er biss sich auf die Unterlippe, nickte und ging.

>Eine Geschichte<, dachte er sich verbissen, als er das Gebäude verließ. >Wäre es doch nur eine Geschichte, die ich nach meinen Vorstellungen umschreiben könnte. Ich würde vieles anders machen, vieles verändern.<

Ohne sich einmal umzudrehen, verließ er die Anwaltskanzlei und machte sich auf den Weg nach Hause. Seine Knie waren etwas weich, das Herz raste in seiner Brust. Er spürte die Schläge im gesamten Körper.

Es war grausam von Kaiba, ihm diese Verantwortung zu überlassen!

Dachte er wirklich, er würde Däumchendrehen?

War er wirklich der Meinung, er würde nichts tun und warten, bis der Mordprozess gegen Seto Kaiba in ganz Domino auf den Bildschirmen lief? Wenn dem so war, dann musste er wirklich verrückt sein.

>Was soll ich nur machen?!< Die Verzweiflung stieg in Joey höher und höher, er hatte das Gefühl, als kämen ihm jederzeit die Tränen. >Was ist nur mit Kaiba los?! Was erwartet er von mir?!<

Joey blieb stehen, drehte langsam das Gesicht zur Seite und erblickte eine Telefonzelle. Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten.

>Ich sterbe durch die Angst um ihn!< Nachdenklich starrte er auf das Telefon. >Ich will nicht, dass er sich sein junges Leben durch diese unüberdachte Tat versaut.< Er zögerte noch kurz, dann trat er an die Zelle heran, grabschte nach dem Hörer und wühlte ich seiner Tasche. Kurz darauf schob er ein paar Münzen durch den engen Spalt und wählte flink eine Nummer. Kaibas Nummer, die er in der Zwischenzeit auswendig kannte. Er wartete ohne zu wissen, was er überhaupt sagen sollte.

"Hey, komm Kaiba. Lass uns noch einmal darüber reden." Oder: "Ich habe gerade mit einem Bekannten gesprochen. Weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst?".

Natürlich wusste Kaiba um die Folgen und dennoch wollte er es tun! War das blödsinnig oder mutig! Als es klingelte, hielt Joey die Luft an und krallte sich an den nächstbesten Gegenstand, der in diesem Fall das dicke Telefonbuch war. Es klingelte. Einmal, zweimal, dreimal, viermal...

Mit jedem Klingeln wurde Joey nervöser. Und er wartete lange, doch niemand meldete sich. Langsam ließ er den Blick sinken und biss sich auf die Unterlippe.

"Scheiße..." Ächzend ließ er sich nach vorne fallen und lehnte am Telefon. Es klingelte immer noch, doch eine Hoffnung existierte schon längst nicht mehr. Vermutlich hockte Kaiba Tag und Nacht in der Firma und brütete über einen Plan, der an Boshaftigkeit nicht zu übertreffen war. Verzweifelt schloss Joey die Augen und ließ den Hörer sinken.

Kaiba konnte ein durchaus angenehmer Zeitgenosse sein, oh ja. Er konnte zärtlich und sogar lustig sein, sanft… aber bei Gott, es gab Dinge, die ihn in Rage brachten. Und wenn das erst einmal geschehen war, dann war er durch nichts und niemanden aufzuhalten. Dann machte

er kurzen Prozess und handelte ohne nachzudenken. Mit einer stockenden Bewegung hängte Joey den Hörer zurück, stemmte sich ab und trottete mit hängendem Kopf weiter. Seine Hände waren verkrampft ineinander gefaltet, seine Augen starrten verbissen auf den Asphalt.

>Was soll ich tun? Was soll ich tun? Was soll ich tun?<, zog es ihm wie eine Endlosschleife durch den Kopf. >Nichts kann ich tun...< Vor der Wiese den großen Parks blieb er stehen und

atmete tief ein. >Er hat mich der Hilflosigkeit überlassen. In so einer Situation! Das werde ich ihm nie verzeihen können.< Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und trottete schwerfällig durch das Gras. >Oh Gott, ich fühle mich, als müsste ich heulen! Das ist alles so unglaublich! Und natürlich trifft mich dieser ganze Mist wieder! Als ob ich es verdient hätte!<

Er begann zu straucheln, seine Schritte wurden unsicherer, sein Hals begann zu schmerzen. Glückliche Zeiten hatten ihren Preis. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis so ein Zwischenfall sein Leben verdunkelte. Seine Augen begannen zu brennen, er schluckte schwer.

"Jooooey!"

Sofort blieb er stehen und blickte auf. Plötzlich erspähte er Yugi, Tristan, Duke, Tea und Bakura, die keine zehn Meter entfernt, auf einer Decke saßen und ihn anstarrten.

Wo kamen die denn her?!

Joey starrte mit geröteten Augen zurück. Sie starrten alle. Dann erhob sich Yugi.

"Was machst du denn hier?"

"Ich..." Joey fehlten die Worte. Nebenbei spürte er, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Schnell hob er die Hand und wischte sie mit dem Ärmel fort.

"Hey, Joey?" Yugi hob die Hand, berührte die seine.

"Ich..." Joey wandte den Blick ab. "Ich war nur kurz..."

"Joey, was ist denn mit dir?" Auch Tea war schnell auf den Beinen und eilte zu ihm.

>Oh Gott, jetzt fange ich wirklich an zu heulen!< Joey biss verkrampft die Zähne zusammen. >Ich kann nicht anders. Es ist einfach so...<

Er schnappte nach Luft und schluckte erneut, seine Finger spreizten sich, dann ballte er die Hände wieder zu Fäusten, ließ den Kopf sinken und biss sich auf die Unterlippe. Seine Knie wurden immer weicher, er fühlte sich schwach. Erschöpft von alle den Strapazen, die nun wieder auf seinen Schultern lasteten.

"Joey?" Yugi war besorgt. Er versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu werfen, doch Joey presste das Kinn auf seine Brust und schloss die Augen. Eine Träne rollte über seine erhitzte Wange. Stille. Ein Beben fuhr durch seinen Körper, es stieg in ihm höher, bis er sich nicht mehr halten konnte. Plötzlich kam dieses grausame Gefühl und er versuchte es nicht zu unterdrücken. Er schluchzte laut auf und neigte sich nach vorn. Nur wenige Momente stand er dort, bis er sich auf die Knie fallen ließ.

"Joey!" Duke sprang auf.

Ächzend neigte sich Joey nach vorn, seine Hände schoben sich zitternd durch das Gras, krallten sich darin fest. Er schluchzte immer weiter, konnte sich nicht mehr halten. Die Tränen tropften von seiner Nasenspitze, die Augen hielt er verkrampft geschlossen.

"Ich kann nicht mehr...!", presste er zwischen den heftigen Atemzügen hervor. "Ich kann..."

"Joey." Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, Yugi hatte sich neben ihn gehockt. Er hörte, wie Tea entsetzt nach Luft schnappte. Bakura legte den Kopf schief, wusste nichts dazu beizutragen.

"Hey!" Duke kauerte sich vor ihn, beugte sich nach vorn und legte beide Hände auf seine Schultern. "Hey, was ist denn?!"

Joey antwortete mit einem leisen Wimmern und kroch weiter in sich zusammen.

"Das ist zuviel... das ist... gemein...!"

Er konnte kaum sprechen, hatte das Gefühl, als würde sich sein Hals zuschnüren. Duke rieb seine Schultern, seufzte leise und sah auf, um einen kurzen Blick in die Runde zu werfen. Tristan starrte Joey erschüttert an, Tea presste sich beide Hände auf den Mund und Yugi wusste nicht so recht, was er tun sollte. Und Bakura? Der saß nur da und verfolgte das Geschehen mit nachdenklicher Aufmerksamkeit. Als Joeys Körper unter lautem Schluchzen erbebte, wandte er sich ihm wieder zu, schob die Hände von seinen Schultern unter die Arme und drückte den jungen Mann hoch. Joeys Finger lösten sich aus dem Gras, langsam und stockend richtete er sich auf, behielt das Gesicht jedoch stets gesenkt.

"Komm her." Duke rutschte näher an ihn heran, schob die Hände über seinen Rücken und umarmte ihn. Sofort hob Joey die Arme und presste sich an ihn. Das Gesicht drückte er an Dukes Hals, seine Finger krallten sich in die rote Weste. Und er schluchzte weiter, ließ seinem inneren Schmerz freien Lauf.

"Tsch... ist ja gut." Duke warf Yugi einen Anteilnehmenden Blick zu und begann Joeys Rücken zu reiben. "Beruhige dich erst einmal."
 

Sich zu beruhigen, fiel Joey nicht sehr leicht. Er krallte sich noch lange an Duke, bis er dazu im Stande war, seine Tränen zu unterdrücken. Dann ließ Duke ihn los und er bekam ein Taschentuch und eine Cola in die Hand gedrückt. Anschließend wurde er zur Decke gezerrt und gezwungen, sich zu setzen. Seine Augen brannten immer noch und seine Hände zitterten, als er die Dose hielt und das Taschentuch anstarrte.

Die anderen ließen sich neben ihm und vor ihm nieder, bildeten einen Kreis und starrten ihn an. Yugi und Tea sahen etwas blass aus, Duke jedoch, neigte sich nach vorn und reichte Joey eine kleine Packung.

"Kaugummi?"

"Hm." Joey griff danach, schien jedoch nicht vorzuhaben, ihn dazu zu gebrauchen, wozu er geschaffen worden war. Er ließ ihn sinken und blickte mit trüben Augen auf. Viele Blicke trafen ihn. Anteilnehmende, Besorgte, zugleich auch Fragende. Natürlich, jetzt warteten sie auf eine Erklärung. Joey musterte jeden in der Runde, Bakura dabei besonders gründlich. Aber der junge Mann sehnte sich wohl mehr nach seinen geliebten Riegeln als nach einer Erklärung, einer Beichte, wie man es in diesem Fall nur nennen konnte. Merkwürdig war dieser Bakura. Er schien sich lediglich für seine Welt zu interessieren. Und dennoch war er ein netter und äußerst angenehmer Zeitgenosse. Er erwiderte Joeys Blick unverfälscht, dann wandte er sich zur Seite und begann in seiner Tasche zu wühlen, scheinbar auf der Suche nach einem neuen Riegel. Joey räusperte sich und ließ den Blick sinken.

"Also." Alle dachten es und Duke sprach es aus. "Was ist los."

>Ich kann ihnen unmöglich die gesamte Wahrheit sagen<, dachte sich Joey und wischte sich die letzten Tränen von den Wangen. >Belügen möchte ich sie aber auch nicht. Das Letzte was ich jetzt gebrauchen kann, ist ihr Zorn. Das würde ich nicht aushalten. Ich werde nicht die Wahrheit sagen, aber auch nicht unehrlich sein.<

"Es ist so", begann er nach weiteren Überlegungen. "Mokuba hatte einen Unfall."

"Einen Unfall?" Yugi erschrak.

"Hm." Joey nickte. "Es ist aber nicht so schlimm, denn er ist nicht schwer verletzt. Kaiba war trotzdem sehr sauer. Er... nun ja... er hat dem Mann die Schuld gegeben, der auf ihn aufpassen sollte. Ich habe diesen Mann verteidigt und deshalb bekamen wir uns in die Haare."

>Tut mir Leid, Pikotto.< Joey seufzte.

"Und deshalb geht es dir so schlecht?" Duke schraubte eine Augenbraue hoch, machte den Anschein, zu zweifeln. "Kann dieser Streit denn wirklich so arg gewesen sein, dass du derart leidest?"

"Ich mache mir nur Sorgen um unsere Freundschaft", warf Joey schnell ein und schickte Bakura einen prüfenden Blick. Dieser ließ sich seinen Riegel schmecken und schien nicht vorzuhaben, seinen Senf dazuzugeben. "Kaiba war wirklich rasend vor Wut, und ja, es war eine arge Meinungsverschiedenheit."

"Und du denkst wirklich, dass Kaiba dir wegen so etwas die Freundschaft kündigen könnte?", fragte Tea verwundert.

"Weiß nicht."

"Aber du machst dir trotzdem Sorgen, ist es nicht so, Joey?" Yugi nickte mitfühlend. "Das ist ein gutes Zeichen. Das ist eine wahre Freundschaft. Weißt du, in der Freundschaft gibt es immer einmal Streit. Aber wenn man an den anderen glaubt, dann nimmt man es nicht so schwer und verträgt sich bald wieder."

"Moment mal." Duke richtete sich auf. "Nimm's mir nicht übel, Joey. Aber ich glaube nicht, dass du so ausrastest, nur weil du dir Sorgen um die Freundschaft machst."

"Sie ist mir aber sehr wichtig." Joey wurde nervös, fühlte sich, als säße er im Kreuzverhör.

"Das mag zwar sein, aber..."

"Jetzt beschmeiß ihn doch nicht mit so vielen Fragen!" Tristan schubste ihn zur Seite. "Wir müssen ihm Trost spenden und nicht gnadenlos auf ihn einreden!"

"Wenn es aber so ist?" Duke schnitt ihm eine Grimasse und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Duke!" Auch Tea war von dem Benehmen des jungen Mannes nicht angetan. Sie schickte ihm einen funkelnden Blick und rückte näher an Joey heran. "Dann musst du eben mal mit Kaiba sprechen. Vielleicht war ja alles nur ein Missverständnis? Vielleicht hat er es nicht so gemeint und will sich wieder mit dir vertragen?"

"So, wie ich Kaiba kenne, würde sein Stolz darunter leiden, wenn er zu dir käme, den Anfang machen würde." Tristan legte grübelnd den Kopf schief. "So ist er nun einmal. Und das heißt, dass du dich aufopfern musst, wenn du dich wieder mit ihm verstehen willst."

"Oder du...", meldete sich Bakura plötzlich zu Wort. Sofort richteten sich alle Augen auf ihn und Joey biss sich nervös auf die Unterlippe, in der Hoffnung, Bakura würde nichts Falsches sagen. Der junge Mann ließ kauend den Riegel sinken und sah sich verdattert um. War es denn so überraschend und außergewöhnlich, dass er auch etwas sagen wollte?

"Ach...", er schluckte hinter und hob die Augenbrauen, "... nichts."

"Du solltest dir keine weiteren Gedanken darüber machen, Joey." Wandte sich Tea an ihn und tätschelte seine Schulter. "Sicher ist es gar nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst."
 

Natürlich. Es war eigentlich überhaupt nicht so schlimm. Er hatte keinen Grund, sich zu plagen und sich in seinem Zimmer zu verkriechen. Er hatte keinen Grund, bis zu seiner Erschöpfung zu grübeln und zu fluchen. Er hatte keinen Grund, seinen Vater von sich zu stoßen, als dieser zu ihm kam.

Er hatte keinen Grund, sich zu plagen. Alles war in Ordnung.
 

Reglos lag er auf dem Bauch, die Decke hatte er über sich gezogen. Er lag auf seinem Bett und starrte auf seine Hände, als könnten sie all das Grauen beenden. Seine Augen wirkten trüb, müde, und das nicht, weil er wieder eine Nacht damit verbracht hatte, zu grübeln, sich zu sorgen und sich verrückt zu machen. Nein, er war völlig mit der Situation überfordert. Er wusste nicht, wo er beginnen sollte, wollte nicht wissen, wo es enden würde. Bei jeder Bewegung verspürte er das Gefühl, als würden Gewichte auf all seinen Gliedern liegen, ihm das Gehen erschweren. Sein Körper war geschwächt. Geschwächt durch die Krankheit. Geschwächt auch durch die seelische Verzweiflung. Die Niedergeschlagenheit, die er tief in seinem Inneren spürte, ging auf seinen Körper über, setzte ihm zu. Joey war müde.

Er wollte schlafen, würde den Schlaf mit offenen Armen empfangen, doch er wagte es nicht. Er saß hier und unternahm nichts und doch hatte er Angst davor, dass etwas passieren konnte, während er sich ausruhte. Draußen begann es zum Morgen zu dämmern. Joey blieb liegen, schenkte dem gleißenden Licht, das zu ihm in den Raum fiel, keine Beachtung. Er würde nicht in die Schule gehen. Was brachte es ihm denn?

Kaiba war nun gegen ihn und auch Kotogawa hatte ihm nicht weiterhelfen können.

Ein gut gemeinter Rat zur falschen Zeit.

Ein Schock muss ihn zur Vernunft bringen?

Toll, Joey war gerettet. Es dürfte nicht all zu schwer werden, Kaiba einen gehörigen Schock zu versetzen. Joey blieb liegen, bis es helllichter Tag war. Dann begann sich die Decke zu bewegen und er wühlte sich ins freie. Sein Gesicht war blass, die Augen gerötet. Auch den Bewegungen fehlte es an Kontrolle, als er sich träge aus dem Bett rollte, die Füße auf den Boden setzte und auf die Beine kam. Sein Vater war jetzt auf Arbeit, er würde erst spät in der Nacht wiederkommen. Joey musste sich etwas zu Essen holen, damit er nicht verhungerte. Denn er hatte wieder vor, den gesamten Tag in seinem Zimmer zu verbringen, um die Welt zu bemitleiden, sich natürlich eingeschlossen. Langsam drehte er den Schlüssel im Schloss, drückte die Klinke hinab und öffnete die Tür. Die Wohnung war still, trostlos. Er war alleine. In unsicheren Schritten trottete er in die Küche und dort auf den Kühlschrank zu. Er öffnete ihn, griff lahm nach einem Jogurt und schob die Tür mit der Hüfte zu. Seine Augen starrten flimmernd ins Leere, als er auch nach einer Wasserflasche griff und in sein Zimmer zurückkehrte.

‚Pass auf, was du sagst! Wie kannst du es wagen! Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst, also halt die Klappe!!’

Er erinnerte sich an den Streit zurück, als er an seinem Fenster hockte, träge auf der Fensterbank fläzte und den Tag vorbeiziehen sah. Die Menschen, die sich lachend und schäkernd auf der Straße tummelten, bedachte er nur mit verächtlichen Blicken.

‚Ja, verstehst du es endlich?? Er war es, der mich angefahren hat!! Ja, zur Hölle, er war es und ich habe nichts unternommen, war doch wirklich der Meinung, mir Zeit nehmen zu können! Doch jetzt…! Jetzt wollte er Mokuba umbringen!!’

>Hat sich Kaiba mir das erste Mal von seiner wahren Seite gezeigt? Hat er sich während unserer schönen Zeit nur verstellt? Er ist so unberechenbar, dass es mir Angst macht. Hat ihm die erste Nacht gar nichts bedeutet? Ich weiß nicht, was ich von ihm denken soll. Ich war doch wirklich der vorschnellen Meinung, ihn zu kennen, oder allmählich kennen zu lernen. Im Krankenhaus wurde er grob, hat mich wieder wie einen Haufen Dreck behandelt… so, wie früher. Auf der einen Seite verstehe ich ihn. Er muss nicht bei Sinnen gewesen sein, muss unter diesem Schock gelitten haben. Mokuba, der ihm alles bedeutet... verletzt. Wie konnte er

da Rücksicht auf mich und meine Gefühle nehmen? Er war zerstreut, völlig perplex und außer sich.<

Diese Gedanken wiederholten sich wie eine Endlosschleife. Joey kam nicht weiter, nein, kein Stück. Wie eine Salzsäule verbrachte er den Rest des Tages damit, auf die Straße hinabzustarren oder die Wolken zu betrachten. Er sehnte sich nach Ablenkung, wenigstens kurz. Doch nicht einmal diese Freude gönnte man ihm. Er beobachtete die Sonne, wie sie ihren Zenit erreichte und in den späteren Stunden hinab sank, letztendlich hinter den Häusern verschwand und dem Mond ihren Platz überließ. Da wurde es stiller auf den Straßen. Joey blieb sitzen. Katzen miauten in der Dunkelheit, in den Gassen raschelte es, hier und da schrie

ein Betrunkener. Die Zeit verging und es war wohl zehn Uhr, als sich Joey endlich zu regen

begann. Er richtete sich auf, stützte sich vom Fensterbrett ab und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, die ihm etwas verzottelt zu Berge standen. Er brauchte frische Luft. Also schlüpfte er in seine Schuhe, stülpte sich einen weiten Kapuzenpullover über und verließ die Wohnung. Auf den Straßen war es etwas frisch, also zog er sich die Kapuze über und ließ die Hände in den Taschen des Pullovers verschwinden. Kaum ein Mensch war noch unterwegs,

jedenfalls traf Joey niemanden auf seinem spontanen Spaziergang. Doch damit war er zufrieden. Einen Yugi, der zeternd an seiner Hose hing, konnte er nicht gebrauchen.

‚Geht es dir gut? Geht es dir gut? Geht es dir gut??’

Yugis Sorgen in allen Ehren, doch nun brauchte er Ruhe, um nachzudenken oder es zumindest zu versuchen. Das Letztere traf wohl eher zu und der Versuch war zum scheitern verurteilt, bevor Joey ihn gestartet hatte. Den Blick trübsinnig auf den Boden gerichtet, schlenderte er über die menschenleere Straße und trat eine Dose zur Seite. Sie rollte scheppernd über den Asphalt und schlug letzten Endes gegen die Bordsteinkante. Ein leiser Schall zog durch die Gegend und verebbte schnell. Joey entfernte sich immer weiter von zu Hause, achtete nicht mehr auf die Umgebung. Als er nach ungefähr zehn Minuten aufblickte, erspähte er ein riesiges Hochhaus, das sich weit bis über die normalen Wohnhäuser erstreckte. Er blieb stehen und besah es sich nachdenklich. Es war fast so hoch wie das Firmengebäude der Kaiba-Corporation. Joeys Augen richteten sich unweigerlich auf das Dach. Er seufzte schwer und setzte seinen Weg fort. Er benutzte den Weg einer schmalen Gasse, schlängelte sich durch die Mülltonnen und kletterte sogar über einen Maschendrahtzaun, nur, um irgendwie weiterzukommen. Ein Ziel hatte er sich heute Nacht nicht gesetzt. Er betrat eine

breite Hauptstraße, blieb auf der linken Fahrspur der Autos stehen und sah sich nach beiden Seiten um. Nicht weit von hier befand sich das Lawell. Und gegenüber?

>Ich habe eine Möglichkeit<, kam ihm ein Gedanke. >Ich könnte die Polizei auf Kaiba aufmerksam machen, ohne irgendetwas von seinen Plänen zu verraten. Vielleicht lässt er sich dadurch einschüchtern?< Joey saugte an seinen Zähnen. >Blödsinn!<

Er atmete tief ein und legte den Kopf in den Nacken. Sein warmer Atem beschlug in der kühlen Nachtluft. Dann setzte er seinen Weg fort, trödelte gedankenverloren über die Straße und räumte gleich etwas auf, indem er leere Dosen zur Seite trat. Er machte sich nicht Gedanken über das Hier und Jetzt, so wie er es sonst immer tat. Nun war er gezwungen, anders zu denken. Wie würde es weitergehen, wenn das alles vorbei war? Und vorbei sein würde es irgendwann, auf welche Art und Weise auch immer. Joey spürte eine kalte Gänsehaut auf seinen Armen.

>Das ist eine hübsche Straße<, dachte er sich verbissen, um sich abzulenken. >Sicher war es sehr anstrengend, sie zu bauen!<

Er murmelte etwas Verworrenes, schüttelte den Kopf und fügte noch einen leisen Fluch hinzu. Fluchen, ja. Was sollte er denn anderes machen? Er begann die breite Straße hinabzuschlendern. Es kamen ihm nur zwei Wagen entgegen. Aber die Fahrer waren vermutlich so betrunken, dass sie nicht einmal den jungen Mann bemerkten, der nur wenige Meter an ihnen vorbeischlenderte. Doch das Desinteresse war beiderseitig. Joey driftete wieder ab, während er auf den dunklen Asphalt starrte und langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Er ging und ging, die Straße schien kein Ende zu nehmen. Er dachte an nichts, in seinem Kopf herrschte eine gähnende Leere und sie tat ihm gut. Langsam zogen die parkenden Autos an ihm vorbei, die Nachtruhe nahm immer weiter zu, bis kaum noch Geräusche ertönten. Joey atmete tief ein, blinzelte... und blieb stehen. Die Hände behielt er weiterhin in seinem Pullover verborgen, der Blick haftete noch immer auf der finsteren Straße, löste sich jedoch von ihr. Joey richtete sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und starrte eine schwarze Figur an, die nur wenige Meter vor ihm, über die Straße eilte. Er sah ihr nach, bis auch sie inne hielt. Sie blieb im Schatten einer Laterne stehen und wandte sich ihm zu, doch Joey brauchte nichts zu sehen, um zu wissen, wem er soeben begegnet war.

Eine leise Sehnsucht zeichnete sich in seinen Gesichtszügen ab, als er wieder blinzelte und langsam den Kopf schief legte, zögernd, unentschlossen, was nun zu tun war. Er starrte die Gestalt an, bis sie sich wieder zu bewegen begann. Langsam näherte sie sich dem hellen Schein einer Laterne und tauchte in ihn ein. Sie standen auf der dunklen Straße, inmitten der Nacht, inmitten der Stille.

Auch Kaiba schien von Joeys Anblick überrascht zu sein. Und merkwürdigerweise brachte er es auffällig zum Ausdruck. Er verzog die Augenbrauen, sein Mund öffnete sich einen Spalt weit… sprachlos. Keine große Distanz trennte die beiden, sie bewegten sich nicht. Eine leichte Brise presste sich gegen Joeys Rücken.

"Joseph?" Kaiba brach die Stille, beinahe war es nur ein Flüstern und doch verstand Joey ihn. Mit gemischten Gefühlen sah er ihn an, besah sich seine Augen genau.

>Ich kann nicht in ihnen lesen. Sie sind mir verschlossen und werden es immer bleiben.<

"Wo warst du?" Nun sprach Kaiba deutlicher, lauter, doch ein leichtes Schwanken in seiner sonst so unerschütterlichen Stimme verriet, das hinter der Frage wahres Interesse steckte.

"Wo warst DU?", erwiderte Joey verbittert in dem Versuch, kühl zu klingen.

"Du warst nicht in der Schule." Kaiba ließ die Hand sinken.

"Gestern war ich es", murmelte Joey, noch immer reglos verharrend.

Kaiba wusste nichts zu erwidern. Er starrte ihn an, dann schüttelte er den Kopf, gefangen in einer gnadenlosen Verbitterung. Vermutlich sah er ein, dass er einen Fehler begangen hatte. Dann wandte er den Blick ab, als wolle er flüchten, als vertrüge er es nicht, Joey zu sehen. Er starrte auf den Asphalt, grübelnd. Joey beobachtete ihn, drehte langsam das Gesicht und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Nun suchte Kaiba nach Worten.

Würde er die Passenden finden?

>Was ist los, Kaiba? Sonst warst du es immer, der im Besitz der Schlagfertigkeit war. Meine Aufgabe war es, zu stottern und nervös zu sein.<

Er schwieg und wartete, dass Kaiba fortfuhr, doch darauf schien er lange warten zu können, denn Kaiba machte den Anschein, zu einer stummen Salzsäule zu erstarren. Joeys Augen hafteten aufmerksam an ihm, wanderten dann jedoch ein kleines Stück zur Seite. Er sah an ihm vorbei, erblickte die Konturen eines Mannes, der sich Kaiba langsam näherte. Er war weit von ihm entfernt und doch konnte Joey sein Gesicht erkennen, als er durch den Schein einer Laterne schlich. Er hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen, schenkte ihm dadurch keine

weitere Beachtung und richtete den Blick wieder auf Kaiba. Dieser atmete tief ein und blickte auf.

"Wo warst du gestern?", stellte Joey eine Frage an ihn.

Kaiba zögerte mit der Antwort, seine Lippen bewegten sich, ohne dass ihnen ein Ton entrann. "Hast du deinen Plan schon in die Tat umgesetzt?" Joeys Miene veränderte sich, nahm beinahe eine leise Verachtung an. "Stehe ich in diesen Augenblicken einem Mörder gegenüber?"

"Nein." Langsam schüttelte Kaiba den Kopf, senkte ihn. "Ich habe es nicht getan."

Joey erwiderte nichts. Wieder richtete sich sein Blick auf den Mann, der stetig näher kam, sich ein direktes Ziel gesetzt zu haben schien. Diesmal musterte er ihn jedoch inniger. Der Mann taumelte etwas, seine Schritte wirkten unsicher. Vermutlich hatte er zu tief in die Flasche geschaut.

Kaiba drehte sich nicht um, achtete nur auf Joey, dieser achtete auf den Mann. Sein Gesicht verblieb reglos, doch dann setzte er sich in Bewegung, ging los und näherte sich Kaiba in

langsamen Schritten. Dieser blickte auf, als er ihn näher kommen sah. Joey würdigte ihn keines Blickes, machte den Anschein, an ihm vorbeiziehen zu wollen. Doch dann blieb er kurz vor ihm stehen, Kaiba betrachtete ihn von der Seite. Aufmerksam hafteten Joeys Augen an dem Mann, der sich ihnen weiterhin näherte, nicht vorzuhaben schien, einen anderen Weg zu wählen. Joey besah sich sein Gesicht. Es war verzerrt, gerötet und von einem dicken Schweißfilm bedeckt.

Joey packte eine leichte Nervosität und er lugte flüchtig zu Kaiba. Dieser erwiderte seinen Blick sofort, schien etwas in seinen Augen zu erkennen und drehte sich um.

Nur kurz streiften sich die Blicke der beiden und Joey stockte der Atem, als der 'Betrunkene' in einer merkwürdig zielstrebigen Bewegung seine Jacke aufriss, hineingriff und eine Pistole hervorzog. Mit geweiteten Augen starrte Joey auf den blanken Lauf, stockend zog er die Hände aus den Taschen und öffnete den Mund. Kaiba jedoch, reagierte weniger fassungslos. Nur knapp traf sein Blick auf die Pistole, bevor er sich auf das Gesicht des Mannes richtete. Brennend starrte er seinen Gegenüber an, während der Blonde still die Lippen bewegte und die Augen nicht von der Waffe lösen konnte. Joeys Herz raste beinahe schon schmerzhaft in

seiner Brust, eine kalte Gänsehaut zog sich über seine Arme und er wagte es nicht, sich zu regen.

"Katagori!" Ein humorloses, eiskaltes Grinsen zerrte kurz an Kaibas Mundwinkeln und verschwand so schnell, wie es gekommen war. "Sieh mal einer an."

Katagori schnaubte, schnappte nach Luft und umfasste die Pistole sicherer. Zitternd wies der schimmernde Lauf in die Richtung des Brünetten.

"Guten Abend...", Katagori verengte die Augen, seine Stimme zitterte, "... Chef! Schön, Sie wieder zu sehen!"

"Du gottverdammter kleiner Hurensohn..." lauernd tat Kaiba einen Schritt nach vorn und widersprüchlich der zitternden Stimme, trat Katagori auf ihn zu, schnitt ihm den Weg ab und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen.

"Nur weiter so!", fauchte er. "Ich bitte Sie, geben Sie mir einen Grund, um Sie zu erschießen!"

"Gründe hast du doch nicht nötig!" Kaiba ging mit der Situation kontrolliert um. Er geriet nicht in Panik und die Tatsache, dass ein Lauf auf ihn gerichtet war, änderte daran nichts. Langsam ließ er die Hände sinken und ballte sie zu Fäusten; Joey stand gleich einer Statue neben ihm, verfolgte das Geschehen mit bleicher Miene. "Was interessiert sich eine jämmerliche Kreatur wie du für Gründe!"

"Halts Maul!!", krächzte Katagori mit heiserer Stimme, zielgerichtet hob sich sein Daumen zum Hahn der Waffe. "Als ob dir Gründe wichtig wären, bevor du handelst! Du und deine wahnsinnigen Launen! Du hast mich doch nur gefeuert..."

"Oh... ja!" Als würde die Erinnerung ihn amüsieren, grinste Kaiba, während er ihn unterbrach. "Gründe besitze ich nie, wenn ich handle. Wobei es ganz gleichgültig ist...", er starrte ihn an, "... ob du restlos unqualifiziert, faul und unbrauchbar bist!"

Katagori rang nach Atem, ein Röcheln drang aus seinem Hals und das mechanische "Klick", als er den Hahn spannte.

"Was ist?" Kaiba betrachtete sich die Waffe einschätzend. "Warum noch reden, wenn du auch einfach nur abdrücken kannst? Feige?"

>Halt dein gottverdammtes Maul!< Keuchend fuhr Joey zu dem Brünetten herum und starrte ihn an. >Wenn du ihn provozierst, wird es ihm noch leichter fallen! Auf was zur Hölle bist du aus?!<

Der kalte Schauer durchflutete seinen gesamten Körper, seine Knie bebten. Das war zuviel!

Kaiba fuhr nicht fort, man könnte meinen, er habe Joeys Gedanken gelesen. Er stand nur dort und fixierte Katagoris Augen, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Die Pistole lag unsicher in dessen Hand, konnte jede Sekunde losgehen. Auch Katagori schwieg, nur sein rasselnder Atem war zu hören und Joey meinte, mit seinem Herz wäre es ebenso. Er hielt die Luft an, um das Keuchen zu unterdrücken, dann starrte er in die Augen des Mannes.

Oh... nein, nein, nein, diese Entschlossenheit gefiel ihm nicht!

Fahrig leckte er seine Lippen und schluckte schwer. Und die Tatsache, dass sich Kaiba und

Katagori mehrere Augenblicke schweigsam gegenüberstanden, machte es ihm nicht leichter.

Eine Bewegung lenkte Joeys Aufmerksamkeit auf sich... hastig suchten seine Augen in der Dunkelheit und folgten einer Katze, die sich geduckt über die Straße flüchtete. Ein schmerzhafter Druck breitete sich in seinem Hals aus, als er die Finger spreizte und dem Tier auch weiterhin nachsah. Kurz darauf verschwand es zwischen den parkenden Autos und zögernd blickte der Blonde zu den beiden zurück...

Was taten sie...?

Joey verzog die Miene und zitterte am ganzen Leib, als er sich Katagori betrachtete. Er zögerte, er schoss nicht, er konnte es nicht... nein, er durfte nicht...

Ein schmerzhaftes Stechen erfasste seine Herzgegend, als ein lautes Scheppern die Stille durchschnitt. Die Katze rutschte auf den lockeren Deckeln einer Mülltonne ab, sprang sofort weiter und ließ dabei einen der Deckel zu Boden gehen. Laut durchbrach es die Stille und für wenige Augenblicke war ein jeder von ihnen perplex. Zu Tode erschrocken drehte sich Katagori um, zielte auf die leere Straße und suchte ächzend nach dem möglichen Feind. Hastig riss er die Pistole von einer Seite zur anderen und gerade erst hatte er sich umgedreht, da erwachte Kaiba zum Leben. Joey sah seine Bewegungen nur aus den Augenwinkeln.

Wie er vortrat, gedachte, Katagori zu erreichen... und dessen Aufmerksamkeit unterschätzte.

Unerwartet ließ sich Katagori ablenken und noch ehe Kaiba den zweiten Fuß nach

vorn gesetzt hatte, wirbelte er zu ihm herum. Ein abgehacktes Ächzen drang aus Kaibas Hals, als er stolperte und sich der Lauf abermals auf seinen Kopf richtete. Mit geweiteten Augen erfasste er ihn, sah den Finger, der sich hastig gegen den Abzug presste... doch die Sicht versperrte sich ihm, als Joey zu ihm hastete, sich ihm um den Hals warf und gegen ihn presste.

Laut hallte der Schuss in den Straßen wider. Kaiba spürte, wie Joey, von der Wucht des Geschosses erfasst, nach vorn gestoßen wurde, wie ein heftiges Zittern durch seinen Körper fuhr, sich seine Finger schmerzhaft in seinen Nacken krallten. Ihm versagte der Atem, als er Joeys Wärme auf seiner Haut spürte, sein Gesicht, wie es sich gegen seinen Hals presste. Ein lauter Schrei dröhnte in seinen Ohren. Joey...

Nein, er war es, der schrie. Vom Entsetzten gepackt und so laut er konnte. Er schrie, bis ihm die Luft ausging und fand unsicheren Halt aus den Beinen. Er drohte zu stolpern, die Wucht hatte sie beide aus dem Gleichgewicht gebracht, doch stand Joey noch immer aufrecht vor ihm. Die Schultern des Blonden hoben sich unter einem hastigen Atemzug, der als heiseres Röcheln wieder aus seinem Hals drang. Die blauen Augen waren auf einen nicht existenten Punkt gerichtet, seinem Körper fehlte es an jeder Beweglichkeit und erst als Joeys Umarmung an Kraft verlor und die Knie des jungen Mannes nachließen und er hinab sank, erwachte er zum Leben. Er hob die Hände zu seinem Rücken, versuchte ihn festzuhalten. Joeys Arme rutschten von seinen Schultern, dann brach er zusammen. Kaiba versuchte ihn zu fassen, doch seinen Armen fehlte es an Stärke. Zusammen mit Joey sank er auf die Knie und kauerte auf dem kühlen Asphalt. Beinahe entglitt der Blonde seinem Griff, doch schnell verfestigte er ihn und zog ihn mit stockenden Bewegungen höher. Joeys Gesicht sackte nach vorn und lehnte an

seiner Brust. Die Züge des jungen Mannes wirkten entspannt und ausdruckslos... leblos... doch plötzlich begann er sich langsam zu räkeln, zu ächzen, zu röcheln. Ungläubig ließ Kaiba den Blick sinken, starrte ihn an. Durch den Ärmel seines rechten Arms fraß sich eine warme Flüssigkeit, sie benetzte auch seine Hand. Zögerlich löste er diese von Joeys Rücken und besah sie sich mit bodenlosem Entsetzten. Das Blut haftete an seiner Haut.

Katagori schenkte er keine Beachtung. Zitternd ließ er die Hand wieder auf Joeys Rücken sinken, hielt ihn so fest wie er nur konnte. Joeys Oberkörper lag auf seinem Schoß, seine Arme hingen reglos im Leeren.

>Nein...< Langsam schüttelte Kaiba den Kopf, seine Finger krallten sich in den blutdurchtränkten Stoff des Pullovers. Kurz blieb Joey leblos liegen, dann erzitterte sein Körper unter einem verzweifelten Versuch, Luft zu holen. Es klang, als hätte sich seine Lunge zugeschnürt, als bekäme er keine Luft. Er wand sich benommen in Kaibas Armen, die ihn zitternd hielten. Katagori betrachtete sich die Szene mit kurzer Verwirrung. Die Pistole hatte er sinken gelassen. Doch nun kehrte die Sicherheit in seine Augen zurück, die Finger krallten sich um die Pistole und dann bewegte er sich mit langsamen Schritten auf Kaiba zu. Dieser hatte das Kinn auf seine Brust, auf Joeys Schopf gepresst. Immer wieder erbebte dessen Körper, die Bewegungen erschienen immer unkontrollierter, verkrampfter. Auch Kaiba hatte das Gefühl, als würde ihm der Atem wegbleiben. Krampfhaft schloss er die Augen und verstärkte die Umarmung so sehr er konnte.

Als ein leises, all zu bekanntes Geräusch ertönte, schreckte er auf. Erschüttert richteten sich die geröteten Augen auf den Mann, der nun direkt vor ihm stand, gnadenlos auf ihn herabblickte. Kaiba spürte, wie sich Joeys Arm zu regen begann, wie seine Finger flüchtig über seinen Mantel glitten.

"Du hast mir etwas sehr Wichtiges genommen, Kaiba." Langsam hob Katagori die Pistole, richtete sie direkt auf seine Stirn. Und Kaiba bewegte sich nicht. "Jetzt werde ich dasselbe tun. Der hier scheint auf jeden Fall wichtig genug sein, damit du dein Pokerface verlierst."

Abermals wurde der Hahn gespannt und gemächlich näherte sich der Lauf dem Gesicht des Brünetten. Dieser kauerte zusammengesunken auf dem Boden, hielt Joey im Arm und Katagori, stolz aufgerichtet, stand vor ihm.

"Ich bin also zu feige, ja?" An den Mundwinkeln des Mannes zerrte ein höhnisches Grinsen. "Dass ich nicht lache!"

Er ließ Kaiba leiden, näherte sich dem Abzug nur sehr langsam mit dem Zeigefinger und legte ihn davor, beinahe schon bedächtig. Kaiba regte sich nicht von der Stelle.

"Ich werde dir zeigen, zu was ich im Stande bin!" Katagori lachte laut auf... und der Abzug klickte erneut... Er lachte, doch kein weiterer Schuss erschallte. Augenblicklich erstarb sein Geläster und verwirrt richteten sich seine Augen auf die Pistole. Kaibas Augen folgten dem Lauf apathisch.

"Verflucht!" Hastig richtete Katagori die Waffe erneut auf ihn und drückte ab. Stockend blinzelte der Brünette, als erneut das leere "Klick" ertönte. Immer und immer wieder drückte Katagori ab, doch das Magazin war nur mit einer einzigen, der einen heiligen Kugel bestückt gewesen. Die Miene des Mannes verfinsterte sich, als er die Waffe endlich sinken ließ. Wieder brach eine Zeit des Schweigens und der Reglosigkeit über sie herein, bis Katagori gemächlich nickte.

"Das Schicksal muss dich lieben, Kaiba", spuckte er wie einen Fluch aus und wandte sich träge zum Gehen ab. "Aber es ist besiegelt. Du wirst sterben, wann und wie auch immer."

Stumm trafen sich ihre Blicke ein letztes Mal, bis Katagori sich von dem für ihn amüsanten Anblick losriss und sich endgültig umdrehte. Er ging ruhig, schien sich Zeit zu nehmen und Kaibas Mimik verharrte noch immer im demselben Ausdruck, während er ihm nachsah. Joey begann leise zu würgen, hustete erstickt und presste etwas Unverständliches hervor, doch Kaiba fixierte sich nur auf Katagori. Er sah ihm nicht lange nach und plötzlich verzerrte sich

seine Miene wuterfüllt. Er schluckte schwer, biss die Zähne zusammen und löste eine Hand von Joeys Rücken. Flink schob er sie unter seinen Mantel, griff hinterrücks in seinen Gürtel und zog ebenfalls eine Pistole hervor. Auch sie zitterte, als sie sich auf Katagoris Rücken richtete. Verkrampft krallten sich die blutigen Finger um den Griff, der Zeigefinger ruhte bereits auf dem Abzug. Kaibas Atem begann zu rasen, als er hastig den Hahn spannte und höher zielte.

‚Weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst??’, hörte er plötzlich Joeys Stimme in seinem Kopf.

Er erinnerte sich...

‚Mokuba und Pikotto ist nicht geholfen, wenn du bis zum Ende deiner Tage im Gefängnis hockst und zur Hölle, das wirst du, wenn du diese Sache wirklich durchziehst!!’

Zittrig zog Kaiba die Nase hoch, öffnete den Mund und stieß einen bebenden Atem aus. Die Pistole begann immer stärker zu zittern, sein Gesicht verzerrte sich zusehends.

‚Ich habe aber das Gefühl, dass du irgendeinen Fehler begehst, irgendeinen Blödsinn machst, wenn ich dich jetzt gehen lasse.’

Erschöpft rang er nach Sauerstoff, dann unterbrach ihn ein scharfes Keuchen. Seine Finger lockerten sich, die Pistole sank tiefer, bis sie endgültig der Hand entglitt und auf dem Boden landete. Ächzend ließ sich Kaiba nach vorn sinken, presste die Hand auf Joeys Rücken und beugte sich hinab, bis die blonden Strähnen sein erhitztes Gesicht kitzelten. Joey atmete schnell und röchelnd, beinahe hyperventilierte er. Sein Körper begann zu zucken, bevor er

ein gedrungenes Schluchzen hervorwürgte.

"Es… tut weh..."

Kaiba presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen, die blutige Hand schob sich höher, schob sich in Joeys Schopf. Der junge Mann quälte sich, kämpfte mit Schmerzen, die man sich nicht vorstellen konnte. Kaiba spürte den heißen Atem auf seiner Haut, die Tränen, die sich durch den Stoff seines Hemdes fraßen.

"Ich...!", panisch kämpfte Joey nach Sauerstoff, seine Hände versuchten sich wieder in seinen Mantel zu krallen. Doch es fehlte ihm die Kraft, seine Finger glitten ab, "... ich… will nicht… sterben!"

"Du wirst nicht sterben", presste Kaiba leise hervor, er war kaum noch Herr seiner Stimme. Sie geriet ihm außer Kontrolle, zitterte so sehr, dass er kaum noch zu verstehen war. "Du darfst es nicht, verstehst du..."

Joey stieß ein erschöpftes Ächzen aus und zog die Nase hoch.

"Ich will nicht sterben...!", röchelte er wieder.

Kaiba spürte, wie immer mehr Blut seinen Ärmel durchnässte, wie sich die warme Flüssigkeit auf seinen gesamten Arm legte. Joeys Rippen! Das Geschoss hatte seine Rippen getroffen...

"Hilf mir..." Joeys Stimme war nun nicht mehr als ein klägliches Wimmern.

"Halt durch." Auch Kaibas Stimme gab nicht mehr viel her. Er konnte sich nicht bewegen, blieb auf der Straße kauern und presste Joey an sich. Er blieb im Licht der Laterne hocken. Um ihn herum, herrschte Stille.
 

*~*~*~*~
 

Leise ging der Regen auf die düstre Gegend hinab. Ein angenehmer Geruch lag in der Luft, außer dem Rauschen herrschte Stille. Es war in den Nachmittagsstunden und die Sonne stand noch immer am Himmel, doch diese Gegend... sie war düster.
 

Reglos stand Kaiba dort. Er tat es seit geraumer Zeit, seine Augen waren ausdruckslos auf einen Grabstein gerichtet. Der teure weiße Marmor war sauber, bisher nicht verwachsen oder gar vergraut. Er befand sich noch nicht lang an diesem Ort; erst vor zwei Tagen hatte eine Beerdigung stattgefunden. Zum erneuten Mal las Kaiba die verschnörkelte goldene Schrift, mit der der Name in den Marmor eingraviert worden war. Noch immer konnte er nicht glauben, was passiert war, konnte die Situation, in der er steckte, noch immer nicht

realisieren. Langsam öffnete er den Mund und atmete tief aus. Doch seine Augen glänzten nicht, nicht eine Träne vergoss er an diesem Grab. Seine Hände begannen sich zu bewegen, tauchten aus den tiefen Taschen des dunklen Mantels auf und ballten sich zu Fäusten.

Warum musste es nur so weit kommen?

"Hey, Seto!", ertönte plötzlich eine Stimme und endlich erwachte er vollends zum Leben. Er blinzelte und drehte das Gesicht zur Seite. Dort stand ein Junge, der sich auf zwei Krücken stützte und grinste. "Wie lange willst du das Grab noch anstarren? Wir kannten die Frau doch gar nicht. Komm, wir müssen Joey besuchen."

Nachdenklich besah sich Kaiba seinen kleinen Bruder, dann nickte er, warf dem Grabstein einen letzten Blick zu und wandte sich ab. Er folgte dem humpelnden Mokuba über den Friedhof und verließ ihn nach wenigen Minuten. Das Krankenhaus war nicht weit entfernt; Kaiba hatte jedoch darauf bestanden, den Friedhof zu besuchen. Er wollte allein sein. Mit sich und seinen finsteren Gedanken. Zurzeit gab es viel, worüber er nachdenken musste. Gestern und vorgestern war er mit Mokuba im Krankenhaus gewesen.

Was hatte er dort getan?

Mokuba war stets der Einzige gewesen, der zu Joey gegangen war, Kaiba hatte vor dem Zimmer gewartet. Joey schlief seit knapp zwei Tagen, musste sich erholen, von der Operation und der Schwäche. Kaiba wollte ihn nicht sehen. Und der wahre Grund war ihm nicht bekannt. Vielleicht glaubt er, er würde seinen Anblick nicht ertragen, denn er trug allein die Schuld daran, dass ihm Schlimmes widerfahren war. Schuldgefühle... lange hatte er sie nicht verspürt. Hatte er denn je unter ihnen gelitten?

Hatte er sich je die Schuld für irgendetwas zugeschrieben?

Eigentlich nicht... dieses Gefühl war eine neue Erfahrung für ihn, eine sehr unangenehme. Er fühlte sich schrecklich und wusste nicht, was er tun sollte. Nie hätte er geglaubt, in einer Situation festzustecken, ohne deren Ausweg zu kennen. Er hatte immer alles gewusst, sich durch nichts beirren lassen.

Woher sollte er denn wissen, wie man mit so etwas umzugehen hatte?

Als Kaiba hinter Mokuba das Krankenhaus betrat, verschlechterte sich seine Laune zusehends. Er starrte düster gen Boden und niemand wagte es, ihn anzusprechen. Keiner der Ärzte wusste, wie es passiert war. Niemand wusste, warum man Joey eine Kugel aus dem Rücken entfernen musste. Und Kaiba hatte ihnen alles geboten, damit sie keine Fragen stellten. Und das taten sie auch nicht.

Man musste Kaiba nur sehen und schon wusste man, dass ihn diese Sache so schwer traf, dass er niemandem Rede und Antwort stehen würde. Mokuba hatte er mit seinen Selbstbemitleidungen verschont. Der Junge hatte den Unfall bereits vergessen, für ihn war ein

gebrochenes Bein keine große Sache. Hauptsache war für ihn, dass er Joey und Pikotto besuchen konnte. Wie in den letzten beiden Tagen auch, fuhren sie mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage. Schon am selben Tag der Einlieferung war Joey von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

In gewisser Hinsicht...

Dann humpelte Mokuba schneller und steuerte geradewegs auf eine bestimmte Tür zu, kämpfte mit den Krücken, um sie zu öffnen und verschwand flink im dahinter liegenden Raum. Er hatte nie gefragt, warum Kaiba ihn nie begleitete. Er war viel zu besessen darauf, Joey zu sehen und ihn zu tätscheln, so als würde dadurch alles besser werden. Oder er saß eben nur da und starrte ihn an.

Kaiba hatte seine Schritte verlangsamt und sich letzten Endes in eine kleine Warteecke gesetzt, die sich nicht allzu weit entfernt, befand. Dort saß er nun und starrte, wie die beiden Tage zuvor auch, auf eine kleine Wanduhr.

Wie lange würde es diesmal dauern, bis Mokuba zurückkehrte?

Langsam und kraftlos ließ er sich tiefer in den Stuhl sinken und streckte die Beine von sich. Es kam nicht selten vor, dass er in zwei Tagen nicht einmal im Bett lag und es dazu benutzte, wozu es gefertigt worden war. Es war keine Seltenheit, dass er zwei Tage ohne Schlaf verbrachte, doch diesmal war er müde und das war durchaus eine Seltenheit. Tausendmal hatte er sich alles durch den Kopf gehen lassen. Und letzten Endes war er doch immer der Meinung gewesen, an allem Schuld zu sein. Das war einfach so und daran würde sich nichts ändern, so viel er auch grübelte und sich plagte. In schnellen Schritten erschien der behandelnde Arzt neben ihm im Gang, erspähte ihn und blieb stehen. Kaiba blickte nicht auf, schenkte ihm keine Beachtung und doch ließ er die Unterlagen sinken und trat näher. Neben ihm blieb er stehen und besah sich Kaiba anteilnehmend.

"Darf ich mich setzen?"

Noch immer reagierte Kaiba nicht. Er starrte weiterhin auf die Uhr und schwieg. Also seufzte der Arzt leise und ließ sich neben ihm nieder.

"Sind Sie wieder mit Ihrem Bruder hier?", fragte er sogleich und lehnte sich zurück, von der Arbeit erschöpft, was eigentlich stets Kaibas Job gewesen war. Dieser nickte leicht und unscheinbar, ließ den Blick sinken und starrte auf seine Hände, die entspannt ineinander gefaltet waren. Der Arzt hatte Fragen aufgegeben, die sich darum drehten, warum er ihn nicht sehen wollte. Und so kam er zum medizinischen Teil und runzelte die Stirn.

"Hören Sie", sagte er die Unterlagen überfliegend. "Ihr Freund hat wirklich großes Glück gehabt. Er ist kräftig gebaut, hat starke und gesunde Knochen. Die Kugel ist zwischen seinen Rippen stecken geblieben, wurde aufgehalten, so dass sie sich nicht dem Herzen nähern konnte, das direkt dahinter liegt. Und wenn das passiert wäre, hätten wir nichts mehr für ihn tun können."

Kaiba blinzelte, seine Hände begannen sich langsam zu bewegen.

"Die Knochen sind kaum gesplittert, wichtige Organe wurden nicht verletzt. Die Operation verlief so gut, besser hätte es nicht laufen können. Hören Sie, die Sache sieht schlimmer aus, als sie ist. Sie müssen sich keinerlei Sorgen machen. Es bestand nie Lebensgefahr für ihn. Er muss unter einem Schock und unter den Schmerzen gelitten haben, diese Sache hat Ihnen sicher eine große Angst bereitet. Doch glauben Sie mir, nachdem er aufgewacht ist, braucht er vielleicht eine Woche, bis er allmählich wieder auf die Beine kommt."

"Warum sollte ich Ihnen nicht glauben", antwortete Kaiba endlich, seine Hände verblieben wieder reglos. "Natürlich bin ich froh darüber aber die Hintergründe verstehen Sie nicht. Wenn es nur die Verletzung wäre..." Kaiba brach ab und atmete tief ein.

Der Arzt grübelte kurz, dann nickte er und seufzte erneut.

"Nun gut, ich wollte Ihnen nur sagen, dass der gesundheitliche Zustand Ihres Freundes nicht der Schlimmste ist." Mit diesen Worten nickte er Kaiba verabschiedend zu und erhob sich. "Er dürfte nicht mehr lange schlafen", sagte er dann noch und ging weiter, um sich den anderen Patienten zuzuwenden. Kaiba sah ihm nicht nach, starrte weiterhin auf seine Hände und wurde erst aufmerksam, als er eine bekannte Stimme vernahm. Langsam drehte er das Gesicht zur Seite, richtete sich auf und warf einen knappen Blick in den Gang. Yugi,

Tea, Tristan, Bakura, Duke und Opa Mûto schienen ebenfalls auf den Gedanken gekommen zu sein, Joey zu besuchen. Die Nachricht von Joeys geheimnisvollem Unfall hatte sich schnell herumgesprochen. Kaiba besah sich die Gruppe nur kurz, dann erhob er sich aus dem Stuhl, ließ die Hände in den Manteltaschen versinken und schlenderte davon. Er wollte ihnen nicht begegnen. Also ging er in die entgegengesetzte Richtung, zog an einer gewissen Tür vorbei und steuerte auf die nächste Ecke zu. Es war unglaublich, wie viele kamen, wenn es hieß, sich

Sorgen um Joey zu machen. Würde er im Krankenhaus liegen, wäre es wahrscheinlich nur Mokuba und vielleicht auch Pikotto, die ihn besuchen kämen.
 

Es war nicht so, dass er vor seinen Joeys Freunden floh, nein, er wollte seine Ruhe haben und niemandem irgendetwas erzählen.

Nach wenigen Schritten bog er um die nächste Ecke, blieb stehen und lehnte sich hinterrücks gegen einen Getränkeautomaten, der dort stand. Dann verschränkte er die Arme vor dem Bauch und starrte auf den Boden. Oft hatte Joey davon gesprochen, was man wohl Schicksal nennt.

War das das Schicksal, das ihn erwartete?

Das Leben ist relativ, das Glück ist relativ...

Was sollte man tun, wenn das Schicksal eines Menschen so unsicher war?
 

"Sicher geht es ihm heute besser", sagte Yugi, als sie vor der Tür stehen blieben. "Vielleicht ist er ja auch schon wieder wach?"

Tea seufzte leise und faltete die Hände vor der Taille.

"Schauen wir doch nach?", schlug Tristan vor.

"Geht ihr schon mal vor." Mit einem Schritt löste sich Duke aus der Menge. "Ich hol mir kurz etwas zu trinken, dann komme ich nach."

"Ist gut." Yugi griff nach der Klinke und öffnete die Tür. Duke wandte sich inzwischen ab und schlenderte davon. Während er auf die Ecke zusteuerte, hinter der sich sogleich der Automat befand, begann er in seiner Tasche nach irgendetwas zu wühlen, mit was er das Getränk bezahlen konnte. Er wühlte und wühlte und bog letzten Endes um die Ecke. Dann schlenderte er weiter und blickte auf. Und sofort, als er Kaiba erspähte, blieb er stehen. Auch Kaiba hatte ihn schnell bemerkt, wandte das Gesicht zur Seite und schickte ihm einen

knappen Blick. Duke starrte zurück, zog die Hand aus der Hosentasche und legte den Kopf schief.

"Du auch hier?"

Kaiba wandte den Blick ab. Mit verschränkten Armen blieb er am Automaten stehen und starrte wieder auf den Boden.

"Sieht ganz danach aus."

Es missfiel ihm, Duke zu begegnen. Es missfiel ihm auch, dass Joeys Freunde hier waren, obgleich er es nicht einmal gewagt hatte, ihn zu sehen.

"Ja", erwiderte Duke leise und trat näher. "Und? Wie geht es ihm? Warst du schon bei ihm?"

"Wüsste nicht, was dich das angeht", antwortete Kaiba.

Knapp vor ihm blieb Duke stehen, stützte langsam die Hände in die Hüften und besah sich Kaibas Gesicht. An diesem konnte man deutlich erkennen, was er sich in diesen Sekunden wünschte, doch Duke wurde seinen Wünschen nicht gerecht, ließ ihn nicht allein. Stattdessen verzog er säuerlich das Gesicht.

"Manchmal widerst du mich richtig an, Kaiba", sagte er und musterte ihn genauer, eine Reaktion abwartend. "Mit diesem entsetzlichen Gesicht hältst du alle von dir fern, die du nicht leiden kannst. Du stößt sie von dir und schmeißt ihnen üble Dinge an den Kopf, wenn sie sich dir nähern. Aber Joey hast du über die Mauer klettern lassen, die du um dich aufgebaut hast. Und nun frage ich mich... wieso? Sag nicht, dass es mich nichts angeht. Es geht mich sogar sehr viel an." Duke legte den Kopf schief. "Denn Joey ist auch mein Freund und er ist der

Beste, den ich je hatte. Was zwischen euch passiert ist, geht mich wirklich nichts an, das gebe ich zu und dir gebe ich in diesem Fall recht, aber...", Duke atmete ein, in ihm wuchs der Zorn und Kaiba regte sich nicht von der Stelle, würdigte ihm nicht einmal eines Blickes, "... wenn so etwas passiert, wie das hier, wenn sich in deiner Gegenwart so schwer verletzt und uns niemand sagen will, was passiert ist, dann hast du mir nicht zu sagen, dass es mich nichts angeht!" Seine Miene verfinsterte sich. Kaiba jedoch, zuckte mit keiner Wimper, während er auf den Boden starrte. "Joey hat geweint, verstehst du? Er war völlig außer sich und konnte sich nicht mehr unter Kontrolle halten! Und das nur, weil er sich Sorgen um dich gemacht, unter dem Streit gelitten hat, von dem er uns erzählt hat! Er ist zu uns gekommen, du

warst scheinbar nicht für ihn da!" Endlich zeigte Kaibas Miene eine kurze Regung. Er blinzelte und flüchtig pressten sich die Lippen aufeinander. "Er hat uns die Geschichte von dem Unfall von Mokuba erzählt, wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob es überhaupt

stimmt oder ob er uns wichtige Details vorenthalten hat! Doch wenn dem so ist, dann kannst du dich verdammt glücklich schätzen, denn er hat es für dich getan! Er tut sehr viel für dich und du?!" Plötzlich wurde Kaiba am Kragen gepackt und nach vorn gezogen. Duke hielt ihn fest und seine Stimme schwoll weiterhin an. "Warum hast du ihn nicht beschützt?! Du sagst doch immer, dass du so unglaublich perfekt und stark bist!!"

"Lass mich los, verdammt!" Kaiba schlug Dukes Hände zur Seite und stieß ihn zurück. "Du hast keine Ahnung wovon du sprichst, also halt deine verfluchte Klappe, Devlin!"

"Du hast Recht!" Duke richtete sich langsam auf. "Ich kann nur davon sprechen, was ich mitbekommen habe! Joey ist über lange Zeit bei dir, hat sich eben mal erkältet, woran überhaupt nichts auszusetzen ist! Doch dann!" Duke trat wieder näher und Kaiba sah ihn unbeeindruckt an. "Dann begannen mich einige Dinge stutzig zu machen. Etwas muss zwischen euch passiert sein! Zuerst geratet ihr in einen Streit wegen Mokuba und dem Unfall, am nächsten Tag kommst du nicht in die Schule und am darauf folgenden fehlt Joey. Er verkriecht sich in der Wohnung, lässt niemanden an sich heran und geht nicht einmal ans Telefon! Ich habe mir auch Sorgen gemacht, verstehst du?!" Verzweifelt presste sich Duke

beide Hände auf die Brust. "Wehe dir, wenn du daran schuld bist, dass er gelitten hat! Aber es kommt noch besser! Ja, am nächsten Tag bekomme ich zufällig mit, dass Joey auf der Intensivstation liegt und dass mir keiner der Ärzte sagen will, wie es dazu kam! Was zur Hölle soll ich denn da denken?! Dich werde ich bestimmt nicht danach fragen!" Duke stöhnte

qualvoll auf und raufte sich die Haare. "Er war so glücklich, dass er eine Freundschaft mit dir aufbauen konnte. Glaub mir, er hat keine Partys deshalb gefeiert aber ich kenne ihn. Er hat mehr gelacht als sonst, aber die Freundschaft zu dir muss mit vielen Gefahren verbunden sein! Ich sage dir", Duke blickte auf und hob drohend den Zeigefinger, "wenn du Joey auch nur noch einmal in irgendwelche Schwierigkeiten bringst, dann bekommst du es mit mir zu tun! Und ich sage es, mit mir ist nicht zu spaßen!"

Gemächlich verschränkte Kaiba die Arme vor dem Bauch.

"Du magst Joey doch auch, oder?" Duke wurde leiser. "Natürlich. Weshalb hättest du ihn sonst an dich heran gelassen. Vielleicht bedeutet dir diese Freundschaft nicht so viel wie Joey, aber..."

"Was?!" Kaiba fuhr zu ihm herum und diesmal wurde Duke grob am Kragen gepackt. "Wie kannst du es wagen, so etwas behaupten! Du hast doch keine Ahnung, wovon du sprichst!"

"Ja, verflucht!" Duke versuchte sich loszureißen, doch es misslang. "Vielleicht weiß ich es wirklich nicht aber da niemand mit mir spricht, da mir niemand sagt, was vorgefallen ist, muss ich wohl davon sprechen, was ich mitbekommen habe. Es tat weh, Joey so zu sehen, verstehst du?!" Duke krallte ich um Kaibas Hände und biss die Zähne zusammen. "Joey ist mir sehr wichtig! Und wenn er plötzlich in Tränen ausbricht, dann will ich auch den Grund erfahren!"

Endlich ließ Kaiba ihn los und er stolperte zurück.

"Au." Kurz rieb er sich den Hals, dann sah er wieder auf und traf auf Kaibas Blick. Er biss die Zähne zusammen und brach den Blickkontakt dann ab. "Wir freuen uns alle, dass Joey in dir einen neuen Freund gefunden hat", sagte er dann. "Aber wenn wir ihn dir anvertrauen, dann möchten wir uns sicher sein, dass du es ernst mit ihm meinst, dass du deine Zeit mit ihm verbringst, weil du ihn leiden kannst, nicht etwa, weil dir langweilig und Joey so anhänglich ist." Er räusperte sich und blickte abermals auf, um Kaiba direkt anzusehen. "Wenn Joey so oft bei dir ist, dann will ich, dass du auch auf ihn aufpasst, denn er ist verletzlicher, als es den Anschein hat."

Mit diesen Worten atmete er tief durch, nickte langsam und wandte sich zum gehen ab. Kaiba sah ihn mit nachdenklicher Miene nach und sah ihn kurz vor der Ecke stehen bleiben.

"Ach, Kaiba." Er wandte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. "Geh zu ihm. Dich braucht er in dieser Zeit auch."

Dann verschwand er und ließ Kaiba dort stehen.
 

Als sich Kaiba nach geraumer Zeit mit Mokuba auf den Nachhauseweg machte, gingen ihm immer und immer wieder Dukes Worte durch den Kopf.

‚... er ist verletzlicher, als es den Anschein hat.’

Ein Beschützer sollte er sein?

Bisher hatte er in dieser wohl Rolle kläglich versagt.

Das meinte er zumindest in seiner Verzweiflung. Als Joey in der Klemme saß, hatte er ihn vom Dach geholt und ihm anschließend das Leben gerettet, indem er ihn aus der Badewanne gezogen hatte. Er hatte ihn zu sich nach Hause geholt, um ihn zu pflegen, hatte ihn durch die halbe Schule getragen, nachdem er zusammengebrochen war und als er Fieber gehabt hatte, hatte er lange an seinem Bett gesessen. Den Beschützer hatte er bisher immer unbewusst gespielt.

Was wäre Joey ohne ihn gewesen?

Er hatte immer auf ihn aufgepasst… und nun versagt.

Versagt, in der Situation, in der er gedacht hatte, Joey nicht beschützen zu müssen. Er hatte nicht über alle Möglichkeiten nachgedacht, als die Pistole auf ihn gerichtet worden war. Obwohl das nur zu verständlich war, machte er sich Vorwürfe.

Auch Mokuba hatte er nicht beschützen können. Und Pikotto.

Was sollte er denn machen?

Er konnte Joey nicht unter die Augen treten.
 

Sobald er zu Hause war, schickte er Mokuba zum Spielen und zog sich zurück. Er kauerte sich auf das Sofa, auf dem Joey so gern saß oder schlief. Er brachte den Kamin schnell zum brennen, zog die Vorhänge vor die Fenster und begann dann, eine Flasche Whisky zu leeren. Währenddessen rauchte er eine Zigarette nach der anderen und starrte abwesend vor sich hin. Noch nie hatte er sich betrunken oder aus Frust eine ganze Schachtel an einem Abend geraucht. Nun meinte er jedoch, der richtige Zeitpunkt wäre gekommen. Ohne auch nur einmal über irgendetwas nachzudenken, füllte er ein Glas nach dem anderen und griff

letzten Endes nach der Flasche. Sicher bot er einen jämmerlichen Anblick und nachdem die leere Flasche über das Sofa rollte, hatte er das erste Mal das Gefühl, Joey nicht würdig zu sein, ihn nicht verdient zu haben. Es war Mitternacht, als sich ihm alles drehte... und als sich das Telefon meldete. Da blickte er auf und drehte das Gesicht zur Seite. Er hatte keine Lust

abzunehmen... auf der anderen Seite hatte er jedoch das Gefühl, dass es wichtig sein könnte. Also rappelte er sich langsam auf, stützte sich auf der Sofalehne ab und trottete schwankend auf das Telefon zu. Er hatte keine Lust, mit irgendjemandem zu sprechen, wollte sich eine zweite Flasche Whisky krallen und trinken, bis er umfiel. Er musste zweimal nach dem Hörer greifen, bevor er ihn zu Fassen bekam. Dann richtete er sich langsam auf und lehnte sich hinterrücks gegen den Schreibtisch, den Hörer lustlos zum Ohr hebend.

"Ja..."

"Herr Kaiba?", meldete sich eine nur allzu bekannte Stimme und plötzlich war Kaiba wach. Er schnappte nach Luft und biss sich auf die Unterlippe, ein kalter Schauer fuhr durch seinen gesamten Körper. Es war der Arzt aus dem Krankenhaus!

"Hm", murmelte er etwas verworren und fuhr sich über das Gesicht.

"Ich freue mich, Ihnen die Nachricht überbringen zu dürfen. Er ist endlich aufgewacht. Und er möchte Sie sehen."

"Was?" Kaiba hatte mit so etwas gerechnet und doch wusste er nun nicht, was er sagen sollte. Also murmelte er etwas vor sich hin und versuchte seinen Atem zu beruhigen, der von einer auf die andere Sekunde schneller fiel. "So... spät noch?"

"Natürlich, ich bin dazu bereit, eine Ausnahme zu machen. Sie können sofort kommen."

"Ich will nicht kommen", sprach Kaiba endlich das aus, was er dachte.

Stille in der Leitung, der Arzt schien zu grübeln.

"Herr Kaiba", seufzte er dann. "Er wünscht es."

Kaiba krallte sich an die Tischkante, damit er nicht umkippte. Nun, da er aufgestanden war, breitete sich allmählich ein mörderischer Schwindel in seinem Kopf aus. In diesem Zustand wollte er Joey schon gar nicht unter die Augen treten.

"Dann sagen Sie ihm, dass Sie mich nicht erreicht haben."

"Herr Kaiba, ich..."

"Sagen Sie es ihm!"

"Das... ähm... nun ja." Der Arzt räusperte sich und Kaiba verdrehte die Augen. "Er sitzt neben mir."

"Was?" Kaiba erschrak, verlor den Halt und kippte zur Seite. Er knickte einfach um und fand sich wenige Sekunden später auf dem Boden wieder. Dort grabschte er hastig nach dem Telefon und atmete tief ein. "Aber ich..."

"Moment... warten Sie kurz." Der Arzt brach ab und leise Geräusche ertönten.

Verdattert verzog Kaiba das Gesicht.

Was war denn jetzt los?

Erschöpft und müde schloss er die Augen, schob sich zurück und lehnte sich gegen den Schreibtisch. Dort winkelte er die Beine an und wartete. Der Arzt schien auch nicht zu wissen, was er wollte...

Noch immer ertönten leise Geräusche. Doch dann wurde es wieder leiser und Kaiba vernahm einen tiefen Atemzug.

"Hey... bist du dran?"

>Joseph!< Sofort war Kaiba wach. Er fuhr in die Höhe und blickte sich perplex um. Damit hatte er nicht gerechnet! Joeys Stimme hatte etwas müde geklungen, eben so, als wäre er gerade aufgewacht. Aber es versteckte sich keine Trauer in ihr, nicht einmal die kleinste Depression. Sie war einfach nur etwas leise und gedrungen. Kaiba antwortete nicht, versuchte sich verzweifelt zu konzentrieren und nachzudenken. Perplex fuhr er sich über das Gesicht und atmete tief ein.

"Warum...", leises Husten, "... sagst du denn nichts?"

"Ja, ähm...", Kaiba presste die Lippen aufeinander und richtete sich stockend auf, "... ja, ich bin dran."

>Ich kann mich doch nicht ewig davor drücken<, dachte er sich unterdessen. >Dass es so schnell passiert, hätte ich jedoch nicht geglaubt.<

"Das ist schön", kam die leise Antwort. "Kommst du zu mir?"

"Ich...", Kaiba kam auf die Beine. Sollte er ihm sagen, dass er es nicht wollte. Also sagte er einfach: "Ich weiß nicht."

"Warum weißt du es denn nicht?" Joey hörte sich verwundert an. "Willst du mich nicht sehen?"

"Doch, natürlich", rutschte es Kaiba heraus.

"Also, wo liegt denn dann das Problem?"

Naiv, wie eh und je. Konnte sich Joey gar nicht denken, wie es ihm...

"Du kannst dich nicht hinter Schuldgefühlen verstecken!" Plötzlich klang Joey fast schon barsch und Kaiba versetzte das scheinbare Verständnis einen Schlag. "Ich habe dich jetzt... ähm..."

"Zwei Tage", murmelte der Arzt im Hintergrund.

"Ich habe dich jetzt zwei Tage nicht gesehen." Joey machte eine kurze Pause, ein leises Seufzen. "Und du mich auch nicht."

>Dieser verfluchte Arzt!< Kaiba stützte sich auf den Schreibtisch. >Er hat ihn bereits aufgeklärt!<

Vorerst antwortete er nicht, überlegte, wie er sich entschuldigen könnte. Er biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen, seine Finger krallten sich um das Telefon. >Was erwartet er denn jetzt von mir?!<

Auch Joey schwieg, Stille herrschte. Vermutlich dachte auch er jetzt nach.

>Wenn ich jetzt nein sage, werde ich mich auch morgen nicht zu ihm wagen! Und über die nächsten Tage will ich mir erst gar keine Gedanken machen. Besser ist es, wenn ich jetzt gleich alles regle. Dann muss ich mir keine Sorgen...<

Er brach die Gedanken ab, als ein leises Brummen in der Leitung ertönte, Joey schien ungeduldig zu werden.

"So kommen wir nicht weiter." Joey stöhnte. "Du bewegst jetzt deinen Hintern und machst, dass du herkommst!"

Dann wurde aufgelegt.

Kaiba hob verstört die Augenbrauen und lauschte dem gleichmäßigen Tuten. So ging es auch. Jetzt konnte er erst recht nicht zu Hause bleiben. Er stöhnte und ließ das Telefon sinken. Jetzt musste er nur noch diesen grausamen Rausch loswerden. In dieser Verfassung wäre es sehr unklug, zu Joey zu gehen.

>Ich werde einfach abwarten, was er zu sagen hat<, dachte er, als er sich etwas benommen auf den Weg zur Tür machte. >Wütend hörte er sich anfangs aber nicht an. Letzten Endes ist es aber egal, was er denkt. Ich weiß, dass ich die Schuld an diesem Vorfall trage.<
 

~*to be continued*~

Wenn es der Tod nicht ist...

Er wusste nicht, wie man in Kürze nüchtern wurde, hatte noch nie so etwas Blödes gemacht, also hielt er zuerst den gesamten Kopf unter den Wasserhahn, scheuchte seinen Arzt aus dem Bett und zwang den armen Mann, ihm etwas Schnelles zu mixen. Dieses Gemisch, was immer es auch war, schmeckte grausam, hatte jedoch eine außerordentlich befriedigende Wirkung. Vielleicht war es einfach nur der schreckliche Geschmack, der den Beschwipsten wach werden ließ?

Das Krankenhaus erreichte er erst viertel nach zwölf. Die Gegend war stockfinster, keine Menschenseele war mehr auf den Straßen. Ja, es war die richtige Atmosphäre für ein Drama, wie Kaiba es erwartete. Dennoch waren seine Schritte sicher, als er die Stufen zur Eingangstür hinaufstieg und dann vor dem Klingelschild stehen blieb. Das Gebäude war

bereits abgeschlossen. Also klingelte er einfach und wartete, bis ihm die Tür geöffnet wurde. Den Weg kannte er ja.

Und als er die Treppen hinaufstieg, kam das mulmige Gefühl. Besser zu spät, als nie.

Was sollte er denn sagen?

Und was sollte er tun, wenn Joey schwieg?

Es war eine verdammt komplizierte Angelegenheit, in der er nun feststeckte.

Leise betrat er die zweite Etage und blieb stehen.

‚Joey hat geweint, verstehst du??’ Dukes Worte kamen ihm ins Gedächtnis zurück. ‚Er war völlig außer sich und konnte sich nicht mehr unter Kontrolle halten! Und das nur, weil er sich Sorgen um dich gemacht, unter dem Streit gelitten hat, von dem er uns erzählt hat! Er ist zu uns gekommen, du warst scheinbar nicht für ihn da!’

Kaiba atmete tief ein und sah sich um. Nun war er ihm so nah, da konnte er noch kurz warten und sich sammeln.

‚Er war so glücklich, dass er eine Freundschaft mit dir aufbauen konnte. Glaub mir, er hat keine Partys deshalb gefeiert, aber ich kenne ihn!’

Was war, wenn Joey diese Beziehung so wichtig war, dass er ihm vergab, nur, damit er nicht fort ging? Was war, wenn er doch darunter litt und sauer war?

Würde er lügen, um sich weiterhin der Beziehung sicher zu sein?

Das wollte Kaiba nicht. Er wollte, das Joey sagte, was er dachte. Er würde schon damit

fertig werden.

‚Wenn Joey so oft bei dir ist, dann bitte ich dich, pass auf ihn auf, denn er ist verletzlicher, als es den Anschein hat.’

Ja, Kaiba wandte sich zur Seite und ging weiter. Was würde er nicht alles für Joey tun?

Er ließ die Warteecke, in der er die letzten beiden Tage gesessen und trübsinnig auf die Uhr gestarrt hatte, hinter sich und näherte sich der gewissen Tür.

>Nun, wo es so weit ist, kann ich es kaum erwarten, ihn zu sehen.<

Ohne zu zögern, griff er nach der Klinke, drückte sie hinab und öffnete die Tür. Im dahinter liegenden Zimmer brannte nur ein schwaches Licht. Es wirkte angenehm auf Kaiba, als er die Tür hinter sich schloss und sich umdrehte. Er war etwas nervös, das erste Mal seit langem, als er Joey erblickte. Der junge Mann lag gemütlich in einem der zwei Betten, drehte nun das Gesicht zur Seite und sah ihn an. Die Decke wärmte ihn erst ab der Hüfte. Sein Oberkörper war nackt, lediglich von einer dicken Binde umschlungen. Er sah etwas blass und kränklich aus, auch sein Blick wirkte müde, als er sich auf Kaiba richtete. Mit der rechten Hand hing er an einem Tropf. Kaiba musterte die Binde, dann den Tropf und letzten Endes sah er wieder den Blonden an. Dieser begann sich nun zu regen. Mit großen Umständen richtete er sich etwas auf, lehnte sich nach vorn und streckte Kaiba die Hand entgegen. Er reckte und streckte sich, biss sich auf die Unterlippe und schnitt eine Grimasse, als er seine Schwerfälligkeit erkannte.

"Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich dir eine reinhauen…!", zischte er und ließ sich kraftlos in das Kissen zurücksinken. "Wie konntest du mir so einen Schreck einjagen! Ich dachte, das Herz würde mir stehen bleiben, bei dem, was der Arzt mir erzählt hat!"

Er atmete tief ein, stöhnte und begann mit der Hand zu fuchteln, immer darauf bedacht, sich die Nadel nicht aus der Haut zu reißen.

"Komm schon, oder willst du da stehen bleiben?" Er lugte zur Seite und beobachtete Kaiba, wie er näher trat und letzten Endes neben seinem Bett stehen blieb. Ihre Blicke trafen sich und diesmal, zum ersten Mal, schien es Kaiba zu sein, der sich unsicher fühlte. Joey spürte, wie er versuchte, in seinen Augen zu lesen. Es schien ihm zu misslingen, ganz im Gegenteil zu Joey. Er sah ihn lange nachdenklich an, besah sich das Gesicht, in dem sich eine leise Trauer verbarg. Jetzt musste er ihn also wieder aufheitern. Er lächelte, soweit er dazu im Stande war, hob die Hand und tastete nach der von Kaiba. Diese griff nur zögerlich zu, hielt die seine nur locker umschlossen.

"Also?" Joey rutschte sich kurz zu Recht und blinzelte. "Wie geht es dir?"

"Wie es mir geht?" Endlich fand Kaiba zur Sprache zurück. Er ächzte leise und ließ den Kopf sinken, um sich Joeys Hand zu betrachten. Diese fühlte sich erhitzt an, konnte den vorsichtigen Druck kaum zu erwidern. "Die Frage möchte ich dir stellen."

"Ich frage dich trotzdem", erwiderte Joey und zog seine Hand näher zu sich. "Ich bin seit ungefähr einer Stunde wach. Seitdem habe ich nachgedacht und mir Sorgen um dich gemacht."

"Warum."

"Weil du mich nicht besucht hast", antwortete Joey etwas vorwurfsvoll. "Wieso nicht? Du warst doch immer da, wenn es mir nicht gut ging."

"Hat es dir der Arzt gesagt?", fragte Kaiba leise, den Blick noch immer gesenkt haltend.

"Ja", hörte er ihn sagen. "Aber er hätte es nicht tun müssen. Glaub mir, ich hätte bemerkt, wenn du bei mir gewesen wärst. Aber du warst nicht da, von Anfang an nicht."

"Mm..." Kaiba saugte an seinen Zähnen.

"Und dann muss ich sogar noch laut werden, damit du endlich kommst!" Joey brummte unzufrieden. "Was zur Hölle ist denn mit dir? Du machst dir doch nicht etwa wirklich Vorwürfe, oder?"

"Ob ich mir Vorwürfe mache?" Endlich blickte Kaiba auf und starrte Joey an, dieser hob die Augenbrauen. "Natürlich habe ich es, was denkst du denn! Ich war es, der Katagori gefeuert hat, ohne auf die Folgen zu achten! Du hattest doch mit alledem nichts zu tun! Ich habe dich in diese Situation gebracht!"

"Und ich habe mich freiwillig verletzen lassen, okay?" Joey blieb ruhig. Er zerrte etwas an Kaibas Hand und brummte erneut, doch er blieb ruhig. "Natürlich war es nicht deine Absicht aber ich habe es mir so ausgesucht! Also lass diesen Blödsinn!"

"Und wenn ich Katagori nicht gefeuert hätte, dann wäre das alles nicht passiert!"

"Und würde es den Mond nicht geben, dann gäbe es keine Gezeiten." Joey stöhnte. "Was ist? Sind wir hier bei dem Wettbewerb 'Wer trägt die meiste Schuld'?"

"Es ist nun einmal so." Kaiba ließ sich nicht klein kriegen. "Du kannst mir das nicht ausreden."

"Na gut?" Joey ließ seine Hand los und verschränkte die Arme langsam auf dem Bauch. "Dann geh doch an deinen Schuldgefühlen zu Grunde."

Kaiba starrte ihn an und Joey zuckte mit den Schultern.

"Natürlich könnte ich dir Vorwürfe machen, dir die ganze Nacht die Ohren voll heulen, wie schlecht es mir doch geht. Aber ich tu es nicht, denn der Arzt hat gesagt, dass es nicht so schlimm ist. Bald bin ich wieder auf den Beinen und dann ist alles wieder in Ordnung. Außerdem habe ich keine Lust, dir die Schuld zuzuweisen, weil du nicht daran schuld bist! Ich habe mir die ganze Sache selbst eingebrockt. Und sicher habe ich es nicht getan, damit du jammerst! Ich habe es auf mich genommen, damit du nicht verletzt wirst. Durch diesen Schuss wärst du höchstwahrscheinlich ums Leben gekommen und das weißt du so gut, wie ich! Ich bin aber nur leicht verletzt. Und jetzt will ich mich erholen und dich dabei an meiner Seite haben! Das bist du mir schuldig!"

Kaiba stand der Mund offen. Sicher hatte er solche Worte nicht von Joey erwartet. Dieser linste prüfend zu ihm, hob die Augenbrauen.

"Was ist? Ich will den Kaiba um mich haben, den ich kennen gelernt habe. Dieses Selbstmitleid passt nicht zu dir. Ich bin genug bedient, will dich nicht auch noch trösten müssen."

>Er macht es sich zu leicht!< Kaiba ließ den Blick sinken, zog einen Stuhl zu sich und ließ sich auf ihm nieder. >Er versteht es nicht!<

"Glaubst du wirklich, dass es vorbei ist?", fragte er, als er sich nach vorn beugte und sich mit den Ellbogen auf die Bettkante stützte. "Katagori weiß, dass ich lebe. Und die Tatsache, dass er einen Unschuldigen verletzt hat, wird ihn von seinem Rachefeldzug nicht abbringen."

"Wo zur Hölle ist das Problem?" Allmählich wurde es Joey zu bunt. "Zeig ihn an, lass ihn von der Polizei suchen und einsperren. Du hast Beweise, verstehst du? Pikotto, Mokuba, außerdem noch die gesamte Klasse und die Lehrer, die dabei waren, als Katagori den Anschlag verübte. Viele haben es gesehen und viele können aussagen, ich eingeschlossen. Du kannst ihn hinter schwedische Gardinen bringen, ohne dich großer Anstrengung auszusetzen! Du kennst dich doch mit diesen Rechtsdingern aus, oder? Weißt doch sicher, wie das im Gericht läuft."

"Natürlich, aber du sagst das so einfach." Kaiba schüttelte den Kopf und Joey gähnte.

"Puh, du machst mich müde."

"Katagori ist vielleicht dumm, aber nicht unvorsichtig. Er wird sich nicht so einfach finden lassen."

"Ja, aber", Joey hob matt die Hand, "aber wenn er gesucht wird, dürfte es ihm sehr schwer fallen, weitere Anschläge auf dich zu verüben. Er kann sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen und so."

"Er findet andere Wege."

"Ah ja?" Joey blähte die Wangen auf und besah sich die Nadel, die in seiner Hand steckte. Kaiba schwieg, starrte abwesend vor sich hin und begann nebenbei an der Decke zu zupfen. "Weißt du was?" Er atmete tief ein und rollte sich langsam zur Seite, so, dass er Kaiba gemütlich ansehen konnte. "Hey, Kaiba. Hey?" Er griff nach seinem Ärmel und zupfte sachte daran. "Hey, hörst du mich? Seto."

Da blickte Kaiba auf und Joey lächelte matt.

"Na also." Vorsichtig griff er nach seinen Händen und hielt sie fest. "Wir stehen das zusammen durch, ja? Ich stecke jetzt auch in dieser Sache drin, ob ich es will oder nicht. Wir machen das schon. Und wenn es mal gefährlich wird?" Joeys Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen. "Hündchen Wheeler kann beißen!"

Kaiba starrte ihn an und Joey rollte entkräftet mit den Augen.

"Man, ich bin es, der aufgeheitert werden muss. Hör endlich auf, mich so anzuschauen, mir geht es nicht viel besser, als dir."

"Hm."

"Entweder wir spielen jetzt beide die Leidvollen, oder wir vergessen die Sache erst einmal." Joeys Blick wirkte flehend, als er sich wieder auf Kaiba richtete. "Ich kann dein langes Gesicht nicht ertragen. Mach mir Mut, ja?"

"Warum sollte ich dir Mut machen, wenn es keinen Grund dazu gibt", murmelte Kaiba.

"Dann tu doch wenigstens so", bettelte Joey. "Ich habe Schmerzen, weißt du? Seit ich aufgewacht bin. Und ich habe mir erhofft, dass du mich tröstest. Stattdessen muss ich die Aufgabe wieder übernehmen. Mir fehlt zurzeit die Kraft, um mich durchzusetzen."

"Devlin sagte, dass er sich darauf verlässt, dass ich auf dich aufpasse“, erwiderte Kaiba leise und Joey hob die Augenbrauen.

"Du hast mit Duke gesprochen?"

"Hm." Kaiba nickte. "Ich werde seinen Anforderungen scheinbar nicht gerecht."

"Und du machst mich gerade wieder wütend", entgegnete Joey. "Wie kannst du nur behaupten, dass du nicht auf mich aufpasst?"

"Hätte ich auf dich aufgepasst, dann wäre das nicht passiert."

Am Rande der Verzweiflung schloss Joey die Augen.

"An deiner Seite fühle ich mich so sicher, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich fühle mich so gut, wenn du bei mir bist. Du hast dich immer um mich gekümmert, hast mir sogar das Leben gerettet. Doch du kannst nicht alles verhindern." Der Druck seiner Hände verstärkte sich. "Ich mache eben, was ich will. Und ich habe es nicht zugelassen, dass dich die Kugel trifft. Ich lebe mein Leben und das war meine Entscheidung."

Kaiba starrte noch immer auf die Decke und Joey löste eine Hand und hob sie, um den Zeigefinger unter das Kinn zu legen, sein Gesicht höher zu drängen.

"Hey, ich liebe dich."

Wieder trafen sich ihre Blicke, dann nickte Kaiba.

"Und?" Joey hob die Augenbrauen. "Du musst jetzt auch etwas sagen."

Kaiba grübelte eine ganze Zeit, dann schüttelte er jedoch den Kopf und Joey erschrak.

"Was ist?"

"Ich liebe dich nicht nur", antwortete Kaiba und hielt den Blick entschlossen auf ihn gerichtet. "Du stellst eine der wichtigsten Personen in meinem Leben dar."

"Das beruht auf Gegenseitigkeit", ächzte Joey mit einer sichtlichen Erleichterung. "Also dann? Hilf einer der wichtigsten Personen in deinem Leben, glücklich zu sein und wieder auf die Beine zu kommen."

Kaiba legte den Kopf schief und atmete tief ein.

"Ich weiß nicht, wie ich das..."

"Jetzt hör doch wenigstens einmal damit auf!" Joey rupfte matt an seinen Händen. "Ich bin nicht böse auf dich, bin außerdem bald wieder auf den Beinen. Ich bin zufrieden mit mir und der Welt und du solltest das auch sein!"

"Ja." Endlich richtete sich Kaiba auf und sofort erhellte sich Joeys Miene.

"Ja, echt?"

"Ja", wiederholte Kaiba nickend. "Vorerst werde ich die Sache ruhen lassen. Und ich werde Katagori suchen lassen."

"Und du machst dir keine Vorwürfe mehr, ja?" Joey lächelte, doch Kaiba zögerte mit der Antwort, drehte den Kopf zur einen Seite, zur anderen und grübelte.

"Gut", entschied er sich dann und für Joey war die Welt wieder in Ordnung. "Von nun an werde ich noch besser auf dich aufpassen, damit dir nichts mehr passiert."

"Oh." Joey grinste keck. "Ein privater Bodyquard?"

"Hm." Kaiba kratzte sich die Stirn.

"Und ich passe auf dich auf, abgemacht?"

"Ich kann auf mich selbst aufpassen."

"Na klar." Joey rollte mit den Augen. "Jetzt halt den Mund und komm her."

Kaiba sah ihn kurz nachdenklich an, dann erhob er sich vom Stuhl und beugte sich über das Bett. Joey fischte sogleich nach ihm, legte die Arme entkräftet um seinen Hals und hielt sich an ihm fest. Entgegenkommen konnte er ihm jedoch nicht, da er nicht mehr die Kraft besaß, sich aufzurichten. Also neigte sich Kaiba zu ihm hinab, streifte seine Wange zärtlich mit der Nasenspitze und tastete nach seinen Lippen. Diese fühlten sich rau und trocken an, als er sie

zu küssen begann. Und sie bewegten sich kaum, öffneten sich nur bereitwillig. Joey blieb einfach liegen und genoss es. Er spielte mit Kaibas Zunge, kostete diesen Moment so sehr aus, wie nur möglich. Er überließ Kaiba die gesamte Arbeit, genoss dessen Wärme und ließ sich treiben.
 

Sofort, als die Schule zu Ende war, machte sich die Clique auf den Weg zum Krankenhaus. Sie waren guter Laune und doch besorgt.

"Was ist, wenn Joey immer noch schläft?", fragte Yugi, als sie das große Gebäude betraten. "Ich meine, es kann doch nicht normal sein, dass man drei Tage schläft, oder?"

"Ne", ketschte Duke. "Normal ist das nicht."

"Schade, dass Herr Mûto heute nicht mitkommen konnte", seufzte Tea.

Als sie durch die Gänge des Krankenhauses schlenderten, läutete es soeben zur Besuchszeit.

"Ich hoffe, dass Joey wach ist", seufzte Tea wieder, als sie die Tür näher kommen sah.

"Ja." Yugi nickte. "Das hoffe ich auch."

Duke nickte beipflichtend und griff nach der Türklinke, doch dann stoppte er: Aus dem Raum drangen Stimmen zu ihnen.

"Das funktioniert nicht so", hörten sie Joey sagen und wechselten sofort triumphierende Blicke. "Herz oder Dame."

"Das ist ein blödes Spiel", meldete sich eine unzufriedene, brummende Stimme zu Wort. "Das ist der größte Blödsinn, den ich je..."

In dieser Sekunde drückte Duke die Klinke hinab und öffnete die Tür. Sofort streckten alle die Köpfe in den Raum und erspähten Joey, der gemütlich im Bett lag und verzweifelt versuchte, die Karten zu ordnen, die er in viel zu großer Anzahl in der Hand hielt. Und neben ihm, auf dem Nachbarbett, saß doch wirklich Kaiba im Schneidersitz. Er trug einen lockeren Pullover und eine Jeans, bemerkte sie und ließ die Karten sinken.

"... gesehen habe", murmelte er und schob die Karten zur Seite, um den störenden Besuchern einen grantigen Blick zu schicken. Joey jedoch, war weniger abgeneigt. Sofort, als er seine Freunde erkannte, erhellte sich sein Gesicht und die Karten wurden einfach weggeworfen.

"Halloooo!"

"Joey!" Tea drängelte sich durch den Türrahmen, stürmte auf den jungen Mann zu und betrachtete ihn sich von Kopf bis Fuß. "Du bist ja wach?!"

"Wie geht es dir?" Auch Yugi erschien neben seinem Bett und lächelte. "Hast du Schmerzen?"

"Mensch Alter!" Tristan lachte. "Da bin ich ja erleichtert! Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr aufwachen!"

"Hallo." Bakura hob die Hand und sah sich anschließend im Zimmer um. Während Yugi, Tea und Tristan, Joey betüddelten, wandte sich Duke ab und schickte Kaiba einen knappen Blick, den dieser sofort giftig erwiderte. Nun, scheinbar war er wieder ganz der Alte. Duke hatte seine Arbeit getan und musste sich nun keine Sorgen mehr machen. Kaiba überließ Joey den vielen Fragen, rutschte vom Bett und schlürfte an dem quasselndem Haufen vorbei.

"Hey, Seto?" Joey lehnte sich etwas zur Seite und Kaiba blieb im Türrahmen stehen. "Wohin gehst du?"

"Kaffee holen."

"Bringst du mir einen mit?"

"Nein", kam die Antwort. "Ärztliche Anordnung."

"Ich habe gehofft, die hättest du vergessen." Joey zog ein langes Gesicht und Kaiba verschwand im Gang. "Och mann."

Seinen Freunden hatte es jedoch die Sprache verschlagen. Etwas verunsichert sahen sie zur Tür und nahmen ihn anschließend wieder unter die Lupe.

"Seit wann nennst du ihn Seto?" Alle dachten es und Duke sprach es mal wieder aus.

"Seit heute Morgen", erwiderte Joey etwas müde und zog die Decke höher. "Er ist gegen Mitternacht zu mir gekommen und dann nicht mehr von meiner Seite gewichen." Er grinste. "Ich finde diesen Namen viel besser. Und ich habe seine offizielle Erlaubnis, ihn so nennen zu dürfen."

"Er ist gegen Mitternacht gekommen?", hakte Duke nach. "Ich wusste gar nicht, dass es so spät noch Besuchszeiten gibt."

"Gibt's auch nicht", verriet Joey.

"Und er durfte auch über Nacht hier bleiben?" Duke mopste den anderen die Fragen und so blieb diesen nichts anderes übrig, als dazustehen und zustimmend zu nicken.

"Ja, er wollte nicht gehen." Joey wunderte sich sehr über das plötzliche Interesse der anderen.

"Und habt ihr euch ausgesprochen?", fragte Duke weiter.

"Jaha." Joey nickte langsam. "Es ist alles in Ordnung. Wir haben alle Unklarheiten beseitigt und sind wieder heiter und des Lebens froh."

"Aha", sagte Yugi, weil er einfach mal etwas sagen wollte.

"Ja." Wieder nickte Joey.

In dieser Sekunde kehrte Kaiba zurück. Wie auf Befehl drehten sich alle um und starrten ihn an. Mit einer Tasse in der Hand, blieb er stehen und starrte zurück.

"Was!"

"Och nichts." Duke wackelte mit dem Kopf und Kaiba schickte Joey einen prüfenden Blick. Doch dieser hob schnell die Hände.

"Ich war artig."
 

Eine Woche verflog wie im Nu. Ohne dass es Kaiba bewusst war, endete der siebte Tag, den er im Krankenhaus verbrachte. Joey erholte sich schnell und war auf den Beinen, bevor der Arzt damit einverstanden war. Der Aufenthalt im Krankenhaus gefiel ihm überhaupt nicht, doch Kaiba verbot ihm, sich davon zu schleichen. Und teilnehmen an der Flucht würde er schon gar nicht, denn er hatte keine Lust, Joey zurückzuschleppen, wenn dieser einen Rückfall erlitt und umkippte, wie er es in der Zeit vor dem Unfall so gern getan hatte. Natürlich hörte Joey auf ihn und da es nur noch wenige Tage waren, die er hier bleiben musste, war es auch nicht so schlimm. Nach insgesamt fünf Tagen stand er auf und ging im

Krankenhaus spazieren. Auch Pikotto besuchte er oft, ob nun mit Kaiba oder allein. Auch dieser erholte sich sehr schnell und die Tatsache, dass er nur noch fröhliche Gesichter sah, ließ es ihm noch besser gehen. Kaiba verließ das Krankenhaus nur selten. Er hatte sich bei Joey einquartiert und die Ärzte hatten sich mit einem Veto zurückgehalten. Dann neigte der Achte und somit der vorletzte Tag des Krankenhausaufenthaltes seinem Ende entgegen.
 

Joey hockte auf seinem Bett und drückte ein Kissen an sich. Da er nicht die ganze Zeit halb nackt herumrennen wollte, hatte er sich ein langes weißes Hemd übergezogen. Sonst trug er nur noch Shorts und bot somit einen äußerst lustigen Anblick. Er war wieder zu Kräften gekommen und hatte wieder mehr Farbe im Gesicht. Dieses sah zurzeit jedoch alles andere als zufrieden aus. Seit sieben Tagen hockte er in diesem Zimmer...

Er war doch ein Mensch, der viel Bewegung und Spaß brauchte. Und jetzt? Deprimiert holte er Luft und vergrub das Gesicht tief in dem Kissen. Kaiba stand am Fenster und telefonierte mit dem zweitrangigen Stellvertreter der nun in der Kaiba-Corporation das Sagen hatte.

>Es ist wirklich nett von ihm, dass er hier bei mir geblieben ist.< Joey seufzte. >Ohne ihn würde ich sterben. Aber wenn ich hier nicht bald rauskomme, dann sterbe ich trotzdem. Ich fühle mich wie ein Hund in einem viel zu kleinen Zwinger.<

"Führe die Kalkulationen noch heute durch." Mit diesen Worten legte Kaiba auf, wandte sich ihm zu und erkannte das zusammengesunkene Häuflein auf dem Bett. Er sah ihn jedoch nur kurz an, trat dann näher und hockte sich langsam vor das Bett. Joey regte sich nicht, seufzte erneut und murmelte etwas Verworrenes. Kaiba neigte sich nach vorn, verschränkte die Arme auf der Matratze und legte das Kinn auf den Unterarm, dann beobachtete er Joey von unten.

"Hey", murmelte er nach langem Grübeln. "Alles in Ordnung?"

Joey begann sich regen, wühlte das Gesicht aus dem Kissen frei und unterdrückte ein Gähnen.

"Ich will hier raus", nuschelte er und begann in Kaibas Ärmel zu pulen. "Ich habe keine Lust mehr, herumzuliegen und mich zu langweilen."

"Was denkst du, wie es mir geht", antwortete Kaiba brummig. "Ich hätte auch Besseres zu tun."

"Und", Joey hob die Augenbrauen, "warum bist du dann noch hier?"

In einer leisen Verzweiflung schloss Kaiba die Augen und legte den Kopf zur Seite. Joey wandte in der Zwischenzeit den Blick ab und sah aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel. Er nahm die Wanduhr unter die Lupe. Es war schon neun Uhr und im Krankenhaus herrschte Ruhe. Kaum jemand war noch unterwegs. Er blähte die Wangen auf und begann wieder Kaiba zu beobachten. Auch dieser schien etwas mitgenommen zu sein.

"Bist du müde?", fragte Joey nach einer Zeit.

"Nein." Kaiba behielt die Augen trotzdem geschlossen, schien schon zu schlafen. Joey runzelte die Stirn, wirschte das Kissen etwas zur Seite und fuhr mit beiden Händen durch Kaibas Schopf. Dieser brummte leise und räkelte sich kurz. Verträumt begann Joey mit einzelnen Strähnen seiner Haare zu spielen. Er streichelte ihn zärtlich, zupfte hier und zupfte da. Kaiba hob unterdessen die Hand und legte sie auf sein Knie. Eine lange Zeit genossen die beiden diese wohlige Atmosphäre. Sie saßen da, lauschten der Stille und sonst nur den

Atemzügen des anderen. Joey war es, der die Stille brach. Er ließ die Hände in seinem Schopf und ein Grinsen umspielte seine Lippen.

"Du bist nicht müde und ich bin es auch nicht."

"Hm", brummte Kaiba, vermutlich darauf aus, weitere Streicheleinheiten genießen zu können. Doch Joey zog die Hände zurück und warf das Kissen nun endgültig weg. Kaiba richtete sich erst auf, als sich Joey zur Seite schob und von der Matratze rutschte. Verwundert drehte er das Gesicht mit ihm, doch da griffen zwei Hände behutsam nach seinem Kragen und zogen ihn nach oben. Kaiba stand auf und Joey ging an ihm vorbei, die Hände lösten sich aus dem Stoff, sanken hinab und legten sich auf seine Brust.

"Weißt du was?" Joeys Pupillen wechselten heimlich von einer Seite zur anderen. "Die Ärzte beginnen ihren Rundgang erst in einer halben Stunde."

"Ach ja...?" Ein leichtes Schmunzeln zog an Kaibas Mundwinkel. "Und?"

"Lass es uns tun." Joeys Blick richtete sich entschlossen auf ihn. "Hier und jetzt."

Da spürte Kaiba schon die Kante des Bettes hinter sich. Doch anstatt dass Joey voranging, drückte er ihn hinterrücks auf die Decke. Nur langsam ließ sich Kaiba nieder und Joey stieg mit einer gekonnten Bewegung auf seinen Schoß.

"Was hast du vor", erkundigte sich Kaiba, als Joey ihn zum Kissen zurück tränkte und ihn hinabdrückte.

"Was ich vor habe?" Joey grinste, richtete sich auf und machte es sich auf seiner Hüfte gemütlich. "Ist doch ganz klar, jetzt bin ich dran." Er stützte die Hände in die Hüfte und blickte hochnäsig auf Kaiba herab. Dieser wusste nicht so recht, was er davon halten sollte.

"Entspann dich." Joey lachte leise und legte den Kopf schief. "Überlass die ganze Arbeit ruhig mir." Anschließend warf er einen kurzen Blick zu der Uhr. "Uns bleibt eine halbe Stunde."

"Und du..."

"Scht." Joey beugte sich zu ihm hinab und brachte ihn zum Schweigen indem er einen kurzen Kuss auf seinen Lippen platzierte. Und noch während er dies tat, wanderten seine Hände zu den Knöpfen und begann sie flink aus den Löchern zu drehen.

>Komm schon, du blöder Knopf!< Endlich hatte er es geschafft. Eilig streifte er das Hemd zu beiden Seiten des Bauches hinab, küsste Kaiba erneut und schnappte dann seiner Unterlippe. Kaiba nuschelte jetzt schon wieder etwas, doch Joey achtete nicht darauf. Geschwind fuhren seine Hände über Kaibas Bauch, über die Brust, dann legten sie sich auch um seinen Hals und zogen ihn höher. Da Joey äußerst gekonnt vorging, wollte dieser keine weiteren Fragen stellen und beteiligte sich. Er schlang die Arme um Joeys Hals, umarmte ihn fest und erwiderte die Küsse fordernd. Joey musste wissen, auf was er sich einließ. Und wenn er zu schwach wäre, hätte er den ganzen Spaß sicher nicht begonnen.

Joey lachte leise, rutschte auf seiner Hüfte hin und her und beugte sich noch tiefer, um sich an ihn schmiegen zu können. Doch genau in dieser Sekunde geschah das, was kommen musste. Im Gang ertönten Schritte und die beiden hielten inne. In derselben Pose verharrend, lauschten sie den Schritten und hörten sie näher kommen.

"Ach...", Joey seufzte gebrochen, "... so ein Mist."

Noch bevor die Schritte ihre Tür erreicht hatten, war er vom Bett gesprungen und hatte sich auf das andere gesetzt. Auch Kaiba hatte sich aufgerichtet und das Hemd zugezogen. Und es dauerte wirklich nicht allzu lange, da öffnete sich wirklich die Tür und der Arzt streckte den Kopf in das Zimmer. Er grinste, was man von den anderen beiden jedoch nicht behaupten konnte.

"Ich wollte nur schauen, wie es dir geht und dir deine Medikamente bringen“, sagte er guten Mutes und trat ein.

"Das finde ich ja nett", brummte Joey und wandte grimmig den Blick ab, Kaiba lehnte sich in der Zwischenzeit wieder zurück und streckte die Beine von sich.

Der Arzt zog an ihm vorbei und gesellte sich zu Joey, der immer noch murrte und jammerte.

"Gleich kannst du wieder deine Ruhe haben." Der Arzt grinste und stellte ein Tablett auf den Nachttisch. Dort rollten so einige Tabletten herum. Während Joey griesgrämig auf die Wand starrte, reichte der Arzt ihm ungefähr ein paar Tabletten und ein Glas Wasser.

"So, es geht ganz schnell."

Joey griff danach, stopfte alles in den Mund und setzte das Glas an die Lippen. Der Arzt hatte ja keine Ahnung, von was er ihm soeben abgehalten hatte! Der sollte sich nur schämen. Dann reichte er dem Arzt das Glas zurück und dieser zückte eine Spritze.

"Und... morgen kann ich nach Hause?", erkundigte sich Joey, als der Arzt nach seinem Arm griff und den Ärmel seines Hemdes höher zog.

"Ich denke schon." Der Arzt desinfizierte eine kleine Stelle und griff dann nach der Spritze. "Dir scheint es gut zu gehen. Besser, als ich erwartet hätte."

"Tja." Das schien Joey zu besänftigen. Er grinste und legte den Kopf zur Seite. "Eigentlich könnte ich auch sofort wieder gehen."

"Das glaube ich gern." Der Arzt zog die Hülle von der Nadel und stach sie in Joeys Oberarm.

"Und wann genau?" Joey beobachtete die Nadel, wie sie in seiner Haut versank. "Morgens? Oder erst am Abend."

"Das werden wir sehen."

"Okay." Der Druck verstärkte sich dann wurde die Spritze herausgezogen und bei Seite gelegt.
 

Ja, es war der Morgen des nächsten Tages, an dem Joey das Krankenhaus endgültig verlassen durfte. Er war bester Laune, schlenkerte mit den Armen und pfiff leise vor sich hin. Das Wetter war auch wundervoll. Es war nicht zu heiß, angenehm jedoch, und die Vögel zwitscherten. Sobald er die Treppen vor dem Krankenhaus hinab gestiegen war, blieb er stehen, streckte beide Arme von sich und atmete die frische Luft ein.

Er hatte noch eine Spritze gegen die Schmerzen bekommen und fühlte sich nun etwas schummrig. Doch er war froh, denn normalerweise litt er doch etwas unter der noch nicht verheilten Schusswunde. Neben ihm blieb Kaiba stehen, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sah sich um. An seiner Miene konnte man deutlich erkennen, was ihn für Arbeit erwartete. Die acht Tage, die er nicht in der Firma gewesen war, würden ihre Folgen haben.

"Ist das nicht schön?", seufzte Joey schwelgend.

"Ja, schön." Kaiba drehte das Gesicht zur anderen Seite.

"Herr Kaiba!", ertönte plötzlich eine Stimme. Mit finsterer Miene erspähte Kaiba eine Reporterin, die angerannt kam und einen Kameramann hinter sich herzerrte. "Beantworten Sie uns bitte einige Fragen!"

Kaiba brummte, packte Joey am Arm und zog ihn weiter, auf die Limousine zu, die schon dort stand. Verwirrt sah sich Joey um und wurde dann ebenfalls auf die Fernsehmenschen aufmerksam. Sofort hob er die andere Hand und winkte.

"Huhuuu!"

"Idiot, lass das!" Kaiba riss die Tür auf, schob ihn in den Wagen und stieg ebenfalls ein, bevor die Typen ihn erreichen konnten. Er zog die Tür zu, lehnte sich stöhnend zurück und fuhr sich mit beiden Händen über die Stirn. Joey betrachtete sich in der Zwischenzeit das platt gedrückte Gesicht der jungen Frau an der Fensterscheibe.

"Warum waren Sie im Krankenhaus? Herr Kaiba? Bitte warten Sie!"

"Nun fahren Sie schon!", maulte Kaiba und der Chauffeur spurte. Verwundert richtete sich Joey auf und sah aus dem Rückfenster.

Diese Tante rannte der Limousine doch wirklich noch ein Stückchen nach!

"Was wollten die denn von dir?", fragte er, als die aufgebrachte Frau hinter einer Ecke verschwand und er sich zurücksetzte.

"Was wohl." Kaiba lugte zu ihm. "Die interessieren sich doch für alles! Ich bringe dich nach Hause, okay?"

"Ja, danke." Joey ließ sich tiefer in den Sitz rutschten und streckte die Beine von sich.

>Da war ich ja auch lange nicht mehr.<
 

Gesagt, getan. Und sobald Joey seine Wohnung betrat, ließ er sich ein Bad ein, um den grauenerregenden Krankenhausgeruch zu bekämpfen. Dieser sterile Gestank war wirklich nicht auszuhalten, außerdem auch eine Belastung für die Menschen in seinem Umfeld. Herr Wheeler war natürlich wieder einmal auf Reisen. Und man konnte sagen, dass er wirklich etwas verpasst hatte. Was er wohl sage würde, wenn er erfuhr, dass sein Sohn vor kurzem angeschossen wurde? Nein, Joey hatte nicht vor, es ihm zu sagen. Der würde wieder sonst was denken und sich grundlos Sorgen machen. Es war Sonntag, der einzige schulfreie

Tag, den die Schüler Japans genießen konnten. Außerdem war es wie schon erwähnt, wundervolles Wetter. Da musste man doch etwas unternehmen. Obwohl Joey sich etwas schwach fühlte, nahm er sich vor, die Sache in die Hand zu nehmen. Genüsslich planschte er in dem warmen Wasser, lehnte sich gemütlich zurück und griff dann nach dem Telefon. Er zog es zu sich, grübelte kurz und wählte dann eine Nummer. Während er das Telefon dann gegen das Ohr legte, hob er den Fuß aus dem Wasser und besah ihn sich. Er hatte das Wasser nicht zu hoch eingelassen, nur knapp bis zum Rücken, denn er trug noch immer die dicke

Binde und es wäre nicht ratsam, wenn diese nass wurde.

"Ach... hallo Yugi.", meldete er sich dann und grinste. "Ja, ich bin es. Was? Ja, ich bin draußen und... nein, ich wollte dir das sagen... außerdem wollte ich fragen, ob du heute Zeit hast? Hm? Ja, na ja, weiß nicht. Wir könnten ein schönes Picknick im Park machen. Hm? Ja? Okay. Gut, rufst du Tea und Bakura an? Ich sage Duke und Tristan Bescheid. Ach ja, noch etwas." Joey hielt nachdenklich inne und biss sich auf die Unterlippe. "Hättest du etwas dagegen... wenn ich... Kaiba mitbringe? Ich meine, er ist doch eigentlich ganz... was? Du bist

einverstanden? Gut! Was? Ja... öhm... ich denke schon, dass er Zeit und Lust hat. Informierst du auch Tea und Bakura darüber? Ja? Danke. Also bis dann, ich rufe noch einmal zurück. Muss noch ein bisschen rumtelefonieren. Tschau." Mit diesen Worten legte er auf und atmete tief ein. Puh, das war ja schon einmal gut gegangen. Jetzt wusste er aber nicht, wie er Duke davon überzeugen sollte. Also fing er erst einmal mit Tristan an und dieser hatte nicht wirklich Einwände. Joey tratschte nicht lange mit ihm und wählte dann sogleich Dukes Nummer. Überall kam er gut durch, er erreichte alle und brauchte nicht lange, um sie zu überzeugen. Nur Duke zickte etwas, sagte dann jedoch auch zu. Am Ende, das hieß, nach ungefähr einer viertel Stunde, wählte Joey die Nummer der Kaiba-Corporation. Das war das größte Hindernis, das Einzige, an dem er nun noch scheitern konnte. Kaiba hatte sich wegen ihm acht Tage frei genommen.

Konnte er ihn einen weiteren Tag für sich beanspruchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Er war zugegeben etwas nervös, als er dem Rufsignal lauschte. Dann meldete sich der nette Herr von der Empfangsstelle. "Ja, hallo hier ist Joey. Können Sie mir sagen... wie bitte? Ach ja? Nun... wo ist er denn dann? Dreizehnte Etage? Ja, verbinden Sie mich bitte." Joey stöhnte und legte den Hinterkopf auf den Wannenrand. Bis er Kaiba in der Leitung hatte,

könnte schon so einige Zeit vergehen. Es war nicht sehr leicht, ihn zu erwischen. Es dauerte nicht allzu lange, da meldete sich wieder jemand. Diesmal wie schon gesagt aus der dreizehnten Etage, den Computerräumen. "Ist Kaiba da?", stellte er dieselbe Frage und bei der Antwort, die er erhielt, wurde sein Gesicht länger und länger. "Gerade weg, ja? Und wo ist er

hin? Nein, die Empfangsstelle hatte ich gerade dran und die haben mich mit Ihnen verbunden. Ach... schon in Ordnung. Danke." Somit legte Joey auf und stöhnte. "Na toll." Wieder wählte er eine Nummer. Diesmal war es die Nummer von seinem Büro. Dort war er jedoch sowieso nur selten. Aber vielleicht hatte er ja Glück? Er dauerte keine all zu lange Zeit, da wurde abgenommen. Die Stimme hörte sich jedoch nicht nach Kaiba an. Es war der zweite Stellvertreter, der sich meldete.

"Hier ist Joey", sagte er seinen Text auf und rollte mit den Augen. "Wissen Sie, wo Kaiba steckt? Nein, mit der dreizehnten Etage und der Empfangsstelle habe ich schon telefoniert. Dort ist er nicht. Tja, ich habe auch keine Ahnung, deshalb frage ich ja. Eh? Ja, er soll mich zurückrufen. Joey, er weiß schon, wer ich bin. Ja... na dann... was? Er kommt gerade?" Joey richtete sich auf. "Ja, geben Sie ihn mir bitte!"

War das zu fassen?

Nach nur drei Anrufen hatte er wirklich Kaiba in der Leitung.

Er hörte schnelle Schritte, laute Geräusche und dann einen kurzen Dialog.

"Ja, was denn?", ertönte dann endlich die Stimme, die Joey hören wollte. Er legte den Kopf schief, grinste und besah sich seinen anderen Fuß, der schon ganz schrumpelig war.

"Was... machst du so?", fragte er hinterlistig.

"Dies und das", kam die aufschlussreiche Antwort, wieder ertönten leise Geräusche; Kaiba schien wieder irgendwo zu wühlen.

"Hast du viel zu tun?", erkundigte sich Joey und biss sich angespannt auf die Unterlippe.

"Nein, eigentlich nicht. Warum?"

Herrje, jetzt kam das Schlimmste.

Joey schloss die Augen und sammelte Mut.

"Och, nichts Besonderes", sagte er zögernd. "Ich wollte nur fragen... ob wir etwas... na ja... zusammen machen könnten?"

"Wir?", fragte Kaiba.

"Jooo." Joey zuckte mit den Schultern. "Nur du und ich.... und Yugi, Tea, Tristan, Duke und Bakura."

"Du nimmst mich auf den Arm." Kaiba brummte und Joey zog eine Grimasse.

"Nein, tu ich nicht", maulte er. "Ich meine es wirklich ernst! Wir wollen ein Picknick machen... öhm... ähm... im Park!"

"Picknick, ja?", wiederholte Kaiba, als wäre ihm dieses Wort bislang unbekannt.

"Ja." Joey nickte hastig. "Wäre doch schön, oder?"

"Na, wenn es so ist," Kaiba seufzte und Joey grinste, "dann habe ich wohl doch keine Zeit."

"Wa... was?" Joey fuhr in die Höhe. "Das ist unfair!"

"Ja, und ich habe das dumme Gefühl, dass du mich mit deinen Typen verkuppeln willst!", kam die genervte Antwort. "Da habe ich wirklich besseres zu tun."

"Aber im Krankenhaus habt ihr euch doch gut vertragen?", stammelte Joey.

"Ja", antwortete Kaiba. "Weil wir nicht miteinander gesprochen haben."

"Ja, aber du musst dich doch nicht mit ihnen anfreunden." Joey tat sein Bestes. "Hauptsache ist, dass du dabei bist. Wir können ja auch etwas für uns sein, wenn du willst."

"Warum ist es dir so wichtig, dass ich dabei bin?"

Joey blähte die Wangen auf und planschte grimmig im Wasser.

"Was machst du denn?", fragte Kaiba, als er die merkwürdigen Geräusche vernahm.

"Ich bade." Joey grinste genüsslich und streckte sich wieder aus. "Und außerdem, die anderen wissen schon bescheid. Du musst also mitkommen."

"Wie schön, dass du für mich entscheidest", stöhnte Kaiba.

"Also? Was ist?"

Stille.

"Komm schon, du wirst es überleben."

"Das stelle ich in Frage."

"Stell dich nicht so an!" Joey knurrte. "Du musst ja auch nicht zu lange bleiben. Kannst gehen, wann du willst. Aber zu früh nun auch wieder nicht."

"Na... toll."

"Büdde." Joey schluchzte geschauspielert.

"Damit bekommst du mich nicht klein", kam die kühle Antwort.

>Seit wann denn das?< Joey runzelte die Stirn. >Dann versuche ich es eben anders.<

"Was ist? Bist du zu feige?"

"Das funktioniert auch nicht."

"Doch, sag mal, warum willst du nicht mitkommen?"

"Weil ich Besseres zu tun habe, als Blümchen zu pflücken und herumzuhüpfen! Außerdem kann ich Picknick nicht ausstehen!"

"Du warst doch noch nie bei einem Picknick!"

"Na und?"

"Ich wünsche es mir." Joey seufzte am Ende seiner Kräfte, wenn Kaiba jetzt ‚nein’ sagte, dann gab er auf. "Ich möchte dich dabei haben, weil ich dich gern sehe. Und das so oft, wie nur möglich."

"..."

"Außerdem musst du auch etwas an die frische Luft kommen und dich entspannen."

"Dazu hatte ich acht Tage Zeit."

"Im Krankenhaus kann man sich nicht entspannen", berichtigte Joey ihn. Wieder herrschte eine kurze Stille in der Leitung, dann stöhnte Kaiba gebrochen. Auch er besaß nicht die Kraft, weiterhin stur zu sein.

"Gut..."

"Juhu!“ Joey lachte triumphierend. "Um zwölf am See, neben der Brücke."

"Hm."

"Findest du dahin?"

"Hoffentlich nicht."

"Man", murrte Joey. "Also, streng dich an. Wir sehen uns."

"Ja, gut."

"Ich liebe dich." Joey gluckste, dann legte er auf und streckte das Telefon von sich. >Bingo! Das war ein glatter Sieg!!<
 

Pünktlich traf man sich, pünktlich breitete man die Decke aus und machte es sich auf ihr gemütlich. Wieder wurde Joey von allen Seiten betüddelt. Alle wollten wissen, wie es ihm ging, ob er Schmerzen oder irgendeinen Wunsch hätte. Joey antwortete auf fast alle Fragen, sah sich nebenbei jedoch nachdenklich um.

Es waren auch andere Fragen, die an ihn gerichtet wurden… kleine Anspielungen, meistens aus Dukes Richtung. Die Clipue war der Ungewissheit überlassen worden. Aus gutem Grund und mit allen Mitteln versuchte sich Joey um die Wahrheit herumzuwinden, bis Duke abgelenkt wurde.

Er lutschte einen Lolli und hatte sich in einen gemütlichen Schneidersitz gesetzt. In der anderen Hand hielt er eine Büchse und seine Augen waren überall, nur nicht bei seinen Freunden.

"Der kommt schon noch." Alle dachten es und Duke sah sich wieder dazu gezwungen, es auszusprechen.

"Ja." Yugi nickte beipflichtend. "Ich denke, dass er seine Versprechen hält."

"Natürlich tut er das." Joey zog sich den Lolli aus dem Mund und schmatzte. "Vielleicht hat er sich ja verlaufen?"

"Musstest du sehr auf ihn einreden, damit er kommt?", erkundigte sich Tea, während sie an ihrem Lunchpaket rupfte.

"Öhm..." Joey legte den Kopf schief. "Ach nein. Er war sofort einverstanden."

Zweifelnde Blicke trafen ihn von allen Seiten, doch daran sollte es nicht liegen. Er zuckte mit den Schultern, betrachtete den Lolli von allen Seiten und ließ ihn dann wieder in seinem Mund verschwinden.

"Es wird ihm sicher gefallen", warf Yugi hoffnungsvoll ein. "Falls er irgendwann kommt."

"Er komm schon noch." Joey sah sich wieder um und Duke wechselte hinterhältige Blicke mit Tristan. Dieser grinste und kurz darauf, rutschte Duke näher und stupste ihn mit der Schulter an.

"Hm?" Joey wandte sich ihm zu.

"Sag mal." Duke rieb sich grüblerisch das Kinn. "Kaiba war wirklich während der gesamten Zeit im Krankenhaus bei dir?"

Joey nickte nichtsahnend.

"Und..." Duke lachte leise. "Was habt ihr so... gemacht?"

Tristan brach in lautes Gelächter aus und Duke schloss sich ihm an. Joey jedoch, runzelte die Stirn. Toller Witz, wirklich!

>Leider nicht allzu viel<, dachte er sich. >Eine Kreatur namens "Arzt" hat uns das Leben unbewusst zur Hölle gemacht! Ich könnte mich immer noch darüber aufregen!<

"Ha ha." Er lachte kurz mit und drehte den Lolli im Mund. "Habt ihr nichts Besseres zu tun?"

"War doch nur Spaß!" Duke puffte ihn vorsichtig und rutschte wieder weg, und da ließ Tea das Paket sinken und hob die Augenbrauen.

"Da kommt er."

Wie auf Befehl drehten sich alle um und starrten. Ja, da kam wirklich Kaiba. Mit einem lustlosen Gesicht kam er dahergeschlendert und nahm sich dabei alle Zeit der Welt. Vermutlich hatte er es nicht eilig, die Gruppe zu erreichen. Er trug wieder eine lässige Hose und ein lockeres Sweatshirt, was in den anderen eine große Verwunderung hervorrief. Immerhin waren sie diesen Stil nicht von Kaiba gewohnt. Tea murmelte etwas leises, Yugi winkte und Duke steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Mit den Händen in den Taschen, trödelte Kaiba näher, trat einem Gänseblümchen den Kopf ab und blieb letzten Endes neben der Decke stehen. Und an seinem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass er lieber woanders wäre. Egal wo, aber nicht hier.

"Du kommst spät." Joey legte den Hinterkopf in den Nacken und sah ihn von unten her an. "Ganze zehn Minuten, das ist ungewöhnlich für Sie, Herr Kaiba."

Kaiba verzog den Mund und sah sich kurz um, vermutlich nach Reportern Ausschau haltend. Bei dem Picknick wollte er sich sicher nicht fotografieren lassen. Während er die Gegend inspizierte, wurde er von vielen angestarrt.

"Komm schon." Joey griff nach hinten und zerrte an seiner Hose. "Setz dich."

"Ja, setz dich zu uns", sagte Yugi sofort und winkte.

Tea grinste leicht verunsichert, Duke beobachtete Kaiba im Geheimen und Tristan schien mit dessen Anwesenheit keinerlei Probleme zu haben. Er benahm sich wie immer und Bakura war

schon seit langem mit Essen beschäftigt und konnte deshalb nicht auf die Vorkommnisse achten. Kaiba besah sich kurz die Decke, suchte nach Dreck. Erst, als er keinen fand, ließ er sich neben Joey nieder, winkelte die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Anschließend sah er sich wieder um und Joey nutzte diese Gelegenheit, um sich etwas zurückzulehnen und sich das Tattoo anzuschauen, das nun wieder zu sehen war. Als sich Kaiba dann ihm zuwandte, richtete er sich schnell wieder auf und hob die Büchse zum Mund.

"Ich habe vorhin mit dem Arzt telefoniert." Kaiba war nicht darauf bedacht, die anderen nicht an ihrem Gespräch teilnehmen zu lassen. Er sprach in normaler Lautstärke und achtete nicht auf die heimlichen Beobachtungen, die größtenteils von Duke ausgingen. "Pikotto wird in zwei Tagen entlassen."

"Ja?" Joey ließ die Büchse sinken und grinste. "Als ich vorgestern bei ihm war, ging es ihm auch schon besser."

Die anderen verstanden zwar jedes Wort, konnten aber trotzdem nicht mitreden. Kaiba und Joey schienen sich eine eigene Welt aufgebaut zu haben. Und an der konnten sie nicht teilnehmen. Also beschäftigten sie sich erst einmal anderweitig. Kaiba brach jedoch ab, ließ den Kopf sinken und vergrub das Gesicht zwischen den Armen. Joey hob verwundert die Augenbrauen.

"Was ist denn?"

"Mach keine auffälligen Bewegungen", warnte Kaiba ihn. "Bleib einfach sitzen…!"

"Was sollte ich denn sonst machen?" Dennoch sah Joey sich um und erspähte nach nur kurzer Suche ein Fernsehmobil, das vor dem Park stehen blieb. "Herrje..."

Auch Duke und die anderen wurden darauf aufmerksam. Sie besahen sich den Wagen, starrten ihn so lange an, bis er weiterfuhr. Dann wandten sie sich wieder ab.

"Ist schwer, eine so prominente Persönlichkeit zu sein, hm?", griente Duke.

"Er ist weg." Joey tätschelte Kaibas Schulter und dieser richtete sich wieder auf. Sofort richtete sich sein Blick auf Duke, dieser grinste noch immer auf seine kecke Art und Weise.

"Nicht so schwer, wie du vielleicht denkst, Devlin."

>Herrje!< Joey schnitt eine Grimasse. >Duke stellt eine einfache Frage und schon fängt er an zu stänkern!<

Duke nahm es jedoch mit ungewöhnlicher Geduld. Er lachte und machte sich dann über Teas Lunchpaket her. Auch Joey bediente sich und Yugi reichte dem finster dreinblickenden Kaiba eine kleine Schachtel.

"Willst du?"

Kaiba richtete sich etwas auf und warf einen kurzen Blick hinein.

"Was ist das."

"Sushi." Yugi grinste guten Mutes, doch Kaiba verzog das Gesicht.

"Esse ich nicht."

Yugi ließ die Schachtel sinken. "Du magst kein Sushi?"

"Ich sagte nicht, dass ich es nicht mag", knurrte Kaiba. "Ich esse es nur nicht."

Jetzt reichte es!

Unauffällig griff Joey nach seinem Shirt und krallte sich mit aller Kraft in seine Haut. Kaiba regte sich jedoch nur kurz, lugte zu ihm und runzelte die Stirn. Joey grinste unschuldig und zog die Hand zurück.

"Gut." Kaiba nickte und Yugi drückte ihm sofort die Schachtel in die Hand.

"Es schmeckt wirklich gut."

"Hm." Kaiba nahm von Tea zwei Stäbchen entgegen und begann lustlos in den Röllchen zu stochern. Joey wandte sich unterdessen wieder ab.

"Er hat viel Arbeit", lachte er aufgesetzt und stupste Kaiba mit der Schulter an, dieser brummte. "Ist ein wenig gereizt, das müsst ihr entschuldigen."

Yugi nickte sofort einsichtig und Joey sackte in sich zusammen.

>Vielleicht war es ja doch eine schlechte Idee, ihn mitzubringen? Er strahlt schlechte Laune aus, steckt uns sicher bald damit an.<

"Woran arbeitest du denn so?", erkundigte sich Duke und Joey war ihm dankbar.

"Ich habe ein neues Programm entwickelt", ließ sich Kaiba erstaunlicher Weise auf das Gespräch ein. "Zurzeit bin ich nur damit beschäftigt, es zu überprüfen und zu verbessern."

"Was für ein Programm ist das?", fragte Duke weiter.

Herrje, jetzt ging es wieder in die Richtung, die Joey nicht verstand. Egal, die Hauptsache war, dass Kaiba etwas tratschte. Doch dieser zögerte mit der Antwort, schnappte sich ein Sushi, besah es sich und hob es dann zum Mund.

"Software", murmelte er dann und Duke hob die Brauen, nickte beeindruckt. Kaiba kaute. Es sah doch wirklich so aus, als gäbe Duke ihm eine Chance. Sogleich fühlte sich Joey besser und machte sich wieder ans Essen.

>Doch keine schlechte Idee<, dachte er sich guten Mutes.

"Und wozu ist das Programm gut?"

"Man kann übersichtliche Dateien damit entwerfen und konfigurieren. Alles läuft über die manuelle Datenerfassung, halbautomatische Datenerfassung und vollautomatische Datenerfassung. Mann kann wählen, ich habe auch Barcodes erstellt. Hinzu kommt eine strukturierte Zusammenfassung von Daten."

"Oho." Duke weitete die Augen. "Ist vielmehr ein kleiner Schritt für die leichtere Arbeit." Kaiba schnappte sich das nächste Sushi. "Nichts Besonderes."

"Ja, manche Dinge sind einfach zu umständlich und zu kompliziert. Da ist es schon besser, wenn man sich die Arbeit leichter macht, nech?"

"Hm."

"Ich hörte auch, dass du ein neues Anti-Virusprogramm entwickelt hast." Duke griff nach einer Büchse und drückte ihren Deckel ein. Kaiba stöhnte leise, scheinbar fühlte er sich durch diese ganze Fragerei überfordert.

"Das Programm erkennt Viren, noch bevor sie auch nur eine einzige Datei befallen und zerstören können."

"Wann kommt es auf den Markt?"

"Gar nicht." Kaiba schubste ein Sushi um und ließ die Schachtel sinken. "Habe es für mich entwickelt."

Duke stöhnte und lehnte sich zurück. Joey warf Duke einen prüfenden Blick zu, doch dieser schien jetzt nicht gekränkt zu sein. Also seufzte er genießerisch und lehnte sich zurück.

"Ist das Wetter nicht wundervoll?"

"Oh ja", stimmte Yugi sofort zu und grinste die Sonne an. "Ein Picknick ist das Beste, was man bei diesem Wetter machen kann."

"Du hast Recht", stimmte Tea zu. "Es ist schön, wie wir alle so beieinander sitzen."

"Ja." Tristan nickte und schob sich einen Keks in den Mund.

"Nur schade, dass wir morgen wieder Schule haben", stöhne Duke. "Dasselbe könnte ich morgen gleich noch einmal machen. Wie steht's mit dir, Bakura?"

"Höm... ja."

Dann lugte er zu Kaiba, der gerade von Joey eine Büchse in die Hand gedrückt bekam. Er starrte sie an, als hätte er so etwas noch nie zuvor gesehen.

"Und du?"

Kaiba reagierte nicht, wendete die Büchse flott in der Hand und besah sie sich weiterhin.

"Hey, Kaiba." Duke lehnte sich nach vorn.

"Was!" Der Angesprochene warf Duke einen knappen Blick zu und drückte dann den Deckel ein.

"Findest du es nicht auch schön?"

"Was soll ich schön finden."

"Na, das alles."

>Sag nichts unüberlegtes.< Joey schickte ihm einen scharfen Blick. >Es ist zu deinem eigenen Schutz!<

"Ja, schön." Kaiba nickte mit einem Anflug von Sarkasmus und setzte die Dose an den Mund.
 

Joey zwang Kaiba zwar, sich einigermaßen zu benehmen und doch verlor er nach zwei Stunden auch die Lust, dort zu sitzen und immer wenn Kaiba den Mund aufmachte, zu beten, dass nichts Abscheuliches herauskam. Doch Kaiba blieb auf seine eigene Art und Weise höflich, was man keinesfalls als wirkliche Höflichkeit ansehen durfte. Nach diesen zwei Stunden erbarmte er sich, und nahm sich vor, ihn zu erlösen. Also grinste er und erhob sich. Der Abschied fiel nicht all zu schwer, denn auch die anderen hatten sicher nicht vor, noch viel

länger hier zubleiben.

"Wir gehen dann mal", sagte Joey und Kaiba war sofort auf den Beinen, konnte es wohl kaum erwarten, endlich zu verschwinden, obwohl er sich mit Duke noch lange über Computer unterhalten hatte. Während Joey noch winkte und lachte, brummte er nur etwas Zustimmendes, griff den jungen Mann am Arm und zog ihn weg.

"Huch?" Joey stolperte hinter ihm her und drehte sich noch einmal kurz um, um erneut zu winken, ein letztes Mal. Dann wandte er sich an seinen grimmigen Begleiter. "Siehst du? Du lebst noch."

"Trotzdem habe ich nicht vor, dieses Ereignis zu wiederholen." Wieder trat Kaiba nach einem Blümchen. "Nichts gegen dich, aber einige deiner Freunde stellen eine Gefahr für meinen psychischen Zustand dar."

"Nur einige?", witzelte Joey und puffte ihn kameradschaftlich an. "Was heißt denn das? Gibt es etwa jemanden, gegen den du plötzlich nichts mehr einzuwenden hast?"

Wieder ließ Kaiba die Hände in den Hosentaschen verschwinden, aber er brummte nur und Joey lachte.

"Hast du Duke ins Herz geschlossen?"

"Mach dich nicht lächerlich."

"Okay, okay." Abwehrend hob Joey die Hände und seufzte. "Was machen wir jetzt?"

"Erst einmal bringen wir uns in Sicherheit", antwortete Kaiba und betrat einen breiten Schotterweg, von dem die Limousine zu sehen war. Dort blieb er stehen, warf dem Wagen einen knappen Blick zu und wandte sich an Joey.

"Was ist?", fragte er. "Hast du Lust, heute bei mir zu schlafen?"

"Bei dir schlafen?", wiederholte Joey skeptisch. "Könnten wir nicht etwas mehr draus machen?"

"Na dann?" Kaiba schmunzelte knapp, taute wieder auf und schien sich schnell von dem

grauenhaften Erlebnis zu erholen. "Dann sollten wir wohl aufbrechen."

"Ja, bevor wieder irgend ein Arzt auftaucht und uns stört." Joey lachte heiter und schlenderte drauf los.
 

Yugi und Co blieben doch noch etwas. Sie saßen herum und beseitigten die Süßigkeiten und eben den restlichen Fresskram, den sie mitgebracht hatten. Und nebenbei dachten sie nach. Sie alle dachten an dasselbe...

"So habe ich Kaiba noch nie erlebt." ... und Duke sprach es aus.

"Hm." Tea nuckelte an einer Dose und starrte auf den hellblauen Himmel. "Ich hätte nie gedacht, dass er so etwas tun würde."

"Was meinst du?", fragte Yugi.

"Na, das er mit uns ein Picknick veranstalten würde", half Tristan aus. "Also mal ehrlich, wenn ich dir das vor einem Jahr erzählt hätte, dann hättest du mir doch nie geglaubt, oder?"

"Hast Recht."

"Im Grunde ist Kaiba kein schlechter Typ", gab Duke seinen Senf dazu, während er die Existenz der Gummibärchen auslöschte. "Er ist nur etwas verzogen und verklemmt. Aber sonst? Ich denke, es hat ihm Spaß gemacht."

"Dann sollten wir es so schnell wie möglich wiederholen", schlug Yugi mit hoffnungsvoll leuchtenden Augen vor. "Er muss öfter kommen und dann werden wir Freunde."

"Ach, das glaube ich weniger." Duke ließ sich nach hinten fallen und streckte sich gemütlich aus. Sofort hatten sich alle Blicke auf ihn gerichtet und Duke sprach weiter, bevor irgendjemand eine Frage stellen konnte. "Es ist so. Kaiba ist ganz in Ordnung aber zu uns wird er nie ganz gehören. Uns trennen einfach Welten, versteht ihr?"

Ein leises Raunen ging durch die Reihen, nur Bakura vergnügte sich, in dem er an den Grashalmen rupfte.

"Unser Joey ist der Einzige und wird es immer bleiben. Joey ist der Einzige, den er an sich heran lässt", fuhr Duke nachdenklich fort. "Ich glaube, eine Feindschaft gibt es nun nicht mehr zwischen uns, aber eine Freundschaft? Nein, die existiert nicht. Wir können uns auf Distanz halten, und wenn er es zulässt, klar warum nicht? Kaiba hat nichts mit uns gemeinsam. Nur in Joey hat er einen Menschen gefunden, an dem er Gefallen findet, auf welche Art und Weise auch immer. Wir sollten uns nicht all zu viele Hoffnungen machen. Außerdem glaube ich... dass Kaiba nie von alleine gekommen wäre."

"Das wissen wir doch", murmelte Tristan.

"Nein, nein, so meinte ich das nicht." Duke schnitt eine Grimasse. "Ich wollte damit sagen, das Joey sicher sehr auf ihn einreden musste. Kaiba war höchstwahrscheinlich nicht von dieser Idee entzückt. Das hat man ihm doch deutlich angesehen, oder?"

"Ja." Yugi seufzte. "Aber ich finde das traurig."

"Hm." Duke wackelte mit dem Kopf. "Auf der anderen Seite wird sich nichts verändern. Mal ist Joey bei ihm, und mal bei uns. Na ja, in der nächsten Zeit wohl öfter das Erstere. Aber das mit uns? Das würde nicht funktionieren. Kaiba fühlt sich in unseren Kreisen überhaupt nicht wohl. Seine Gesten wirkten aufgezwungen, seine Antworten so lustlos. Und ich glaube, dass er nie Freude daran finden wird, Zeit mit uns zu verbringen."

Jetzt hatte er es geschafft.

Jetzt saß die kleine Gruppe deprimiert da, nur Bakura ließ sich nicht stören. Aber warum waren sie eigentlich deprimiert? Was hatten sie für einen Grund? Sie hatten doch nicht etwa wirklich damit gerechnet, das Kaiba sich bei ihnen einfand! Duke hatte Recht. Sie trennten

Welten, wenn das überhaupt genügte, um die Situation zu beschreiben.

"Kaiba ist nun einmal Kaiba." Duke besah sich den Himmel, die weißen Wolken, die langsam über sie hinweg zogen. "Er lebt in seiner Welt, zusammen mit Joey. Wir werden sie nie betreten, dürfen uns auch nicht darauf verlassen, dass Joey uns den Schlüssel besorgt. Wir müssen die Dinge so nehmen, wie sie eben sind. Alles kommt, wie es kommen muss. Das ist es wohl, was man Schicksal nennt..."
 

Entkräftet ließ sich Joey in Kaibas Arme sinken und schloss die Augen. Beide saßen, in weiße Decken gehüllt, auf dem Bett, Joey saß auf Kaibas Schoß und schnappte nun nach Sauerstoff. Kaiba hielt ihn fest im Arm, hatte es ganze Zeit über getan. Auch sein Atem fiel schwer, der Schweiß haftete glänzend auf seiner Haut. Zärtlich fuhren seine Fingerkuppen über Joeys

Rücken, über die Binde. Er streichelte sie behutsam, ließ den Kopf sinken und schmiegte das Gesicht an seinen Hals. Joey keuchte, klammerte sich entkräftet an ihn. Das Gefühl hielt noch immer an. Dieses unglaubliche Prickeln, das seinen Körper durchflutete. Es würde dauern, bis es nachließ. Langsam öffnete Joey den Mund und stieß einen heißen Atem aus. Der erste Versuch war für ihn voller Qualen gewesen. Doch nun? Bei Jehosaphat! Er hätte nie gedacht,

wie schön es sein konnte, wenn ihn die Schmerzen nicht plagten und er sich voller Lust den Berührungen und der Verschmelzung hingeben konnte. Der Verschmelzung mit Kaiba, den er abgrundtief liebte. Nun war er Teil von etwas Neuem geworden. Einem neuwertigen Erlebnis in seinem Dasein, das ihm das Leben noch süßer erscheinen ließ. Er spürte die Hitze, die noch immer von Kaibas Körper ausging, das Herz, welches aufgeregt in dessen Brust schlug. Er spürte es, als er sich fester an ihn presste, die Umarmung verstärkte und sich an ihn schmiegte.
 

>Was kann uns passieren, wenn wir weder Tod noch Hölle fürchten?

Was für eine Gefahr kann Verrat für uns darstellen, wenn wir ihn aufrichtig und gemeinsam bekämpfen?

Kann die Unsicherheit nach uns greifen, wenn wir stets die Gegenwart des anderen spüren?

Können Sorgen uns zermürben, wenn wir den positiven Prinzipien des Lebens entgegenblicken können?

Wie könnten wir folgenreiche Fehler begehen, wenn der eine dem anderen ein Lehrer ist?

Hat die Angst Macht über uns?

Was ist schon der Tod, wenn wir gemeinsam sterben?

Das Leben erstrahlt in seiner vollen Pracht, wenn wir es gemeinsam genießen.

Wer will uns trennen?

Wer könnte diese unbegreifliche Unwissenheit besitzen?

Wenn es der Tod nicht ist, der diese Macht besitzt, was ist es dann?

Vor was müssen wir uns fürchten?

Wenn es der Tod nicht ist... was ist es dann?<
 

« Du kennst mich nicht und doch hasst du mich »
 

~*TO BE CONTINUED*~



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (104)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11]
/ 11

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hellsingel
2009-10-26T18:51:50+00:00 26.10.2009 19:51
Hallo
Mal vorne Weg, ich habe deinen zweiten Teil seit gut einem halben Jahr in meiner Favo-Liste.
Angefangen mit dem ersten Teil habe ich vor ca. einem 3/4 Jahr und denn zweiten habe ich vor 2 - 3 zuende gelesen.
Und erst jetzt schreib ich ein Kommi^^ Ich weiß voll schnell nicht XD

Als ich den ersten Teil angefangen habe, hatte ich eigentlich nicht wirklich gewusst was auf mich zukommt. Jedoch habe ich schnell bemerkt, dass diese Ff was besonderes ist, etwas ganz besonderes.

Weißt du, die meißten Ff zu dem Pairing Seto x Joey sind mehr als... bescheiden. Kaiba wird meißtens als krankhaft gemein dargestellt und wenn er dann erstmal in einer Beziehung mit Joey ist, ist er dann plötzlich der kitchige, der ständig nur rumschmust O.o Joey ist hingegen der völlige Tollpatsch, dessen IQ unter dem von Paris Hilton liegt...

Nun endeckte ich aber deine Ff und... ich war begeistert^^
Ich habe noch nie eine solche - ich weiß gar nicht wie ichs beschreiben soll - perfektion gesehen. Kaiba ist ein Gefrieschrank gleichzeitig so professionel und dann wieder diese Art von Zufriedenheit und Sanftheit die er später zeigt. Du hast Seto so einen individualistischen Charakter gegeben, ohne das er irgendwie OoC wurde.
Bei den anderen Charaktern wie Joey, Duke und Ryou ist es ähnlich.
Theoretisch müssten alle anderen Ff mit Seto x Joey einen riesigen OoC-Stempel bekommen...

Aber nicht nur bei den Charaktern, sonder überhaubt, hast du genial Arbeit geleistet^^
Dein Schreibstil ist wirklich sehr schön und die Handlung in deiner Ff ist ebenfalls gut gelungen. Die Idee von Katagori und seinem Wahn sich an Kaiba zu rechen ist mehr als gut umgesetzt^^

Zu Anfang hat es mich etwas schockiert, wie krass du Kaiba darstellst, als er Joey dort so fertig macht. Natürlich musste das der Beginn einer Veränderung sein. Es war wirklich interessant diesen Prozess
mitzuverfolgen, wie sich Joey bemüht, einerseits um wirklich was zu ändern, andererseits um Kaiba zu gefallen, was er ja anfangs selbst kaum merkt, wobei seine eigene Veränderung wohl mehr im Vordergrund steht.
Leider muss ich sagen, dass in diesem Teil deiner Ff die Handlung so ein bisschen monoton war. Die Freundschaft und später die Beziehung kamen ja erst sehr langsam ins Rollen und so erlahmte die Handlung ein bisschen.
Ok, dass find ich jetzt. Aber das ist auch nur ein kleine Kritik im Vergleich zum Ganzen.
Die Beziehung zwischen den beiden war wirklich lustig mitanzusehen.
Joey ist nun mal doch ein zimliches Gegenteil von Kaiba, was sich an machen Stellen gezeigt hat. Trotzdem war die Stelle, wo sie auf der Toilette rumknutschten, trotz der Umgebung >Toilette<, sehr süß. Auch das mit dem Referat fand ich gut^^
Am besten war aber immer noch der Teil, wo sich Joey die Grippe eingefangen hatte. Kaiba war so führsorglich^^

Etwas schockiert hat es mich, als Kaiba, der ja sehr professionell ist, auf einmal die Idee hat Katagorie zu erschießen, nach dessen Angriff auf Mokoba und Pikotto. Da zeigte sich bereits das auch Kaiba gewisse Schwächen hat.
Pikotto habe ich ja noch gar nicht erwähnt O.O Ganz ehrlich... ich hatte schon lange keinen so gut gemachten eigenen Charakter gesehen^^
Der Höhepunkt deiner Ff, also das Zusammentreffen von Seto, Joey und Katagori, war vielleicht etwas kurs, aber durch das Opfer von Joey, nicht weniger dramatisch.
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass du schon 2 weitere Teile geschrieben hast und schon am 4 sitzt.
Demnach dachte ich, dass die Ff bald zuende wäre und hatte wirklich Angst, dass Joey jetzt stirbt *heul*
Hier fand ich vor allem die Stelle, wo Seto kurz davor war Katagori zu erschießen und Joey in davon abhielt, sehr überzeugend.
Das letzte Kapi war dann auch ein super Übergang zum Ende. Ich fand das sehr schön, dass du die Charaktere wieder in den Alltag gebracht hast und nicht einfach -> Joey hat überlebt und das wars <-
Vor allem dieser letzte Absatz mit:
>Was kann uns passieren, wenn wir weder Tod noch Hölle fürchten? [...]
find ich sehr schön. Es passt einfach, vor allem wenn man noch die Ereignisse aus dem zweiten und dritten Teil hinzuzieht.

Zum Schluss kann ich mich eigentlich nur wiederholen, dass deine Ff mehr als gut ist. Ich lese eigentlich erst seit gut einem Jahr Ff, habe aber schon mehr als nur genug verschlungen^^ Leider kann ich die wirklich herausragenden Ff und Autoren an zwei Händen abzählen. Du zählst aber auf jeden Fall dazu.
Hoffe mein Kommi gefällt dir^^ werde auch noch eines zum zweiten Teil und zum dritten, wenn ich ihn jemals fertig lese - bin gerade bei Kapi 3 - schreiben. Aber erst morgen, habe jetzt einfach keine Kondition mehr XD
mfg
Von: abgemeldet
2009-03-22T20:48:54+00:00 22.03.2009 21:48
*_____________________________________________________________*
es ist PASSIERT!! und kaiba wars!!
ich freu mich so!!
Von: abgemeldet
2009-03-22T20:36:36+00:00 22.03.2009 21:36
Bakura mag ich in deiner story auch total! =)der ist mir davor auch nicht richtig aufgefallen aber hier ist der total süß und ich will ihn knuddeln!
Von: abgemeldet
2009-03-15T18:53:51+00:00 15.03.2009 19:53
Halli hallo Schwesterherz,
ich hab deine Geschichte ja schon gelesen und hab gedacht, dass ich dir mal ein Kommi zu deiner Geschichte schreibe.
Oft habe ich geguckt auf Mexx ob ich ne schöne Kaiba Joey Story finde und ich sag dir ich bin daran verzweifelt.

Ich hätte nie gedacht, dass es so miese Geschichten gibt, doch die Welt ist grausam und ich hab viele Geschichten gefunden die mich fast zum ausrasten gebracht haben (oder zum Lachkrampf).
In der einen Geschichte wird Kaiba zwar als gefühlskalt beschrieben, aber die braunen Augen des soooooooo tollen schönen Jungens bringen ihn zum schmelzen. Ohhhhh wie romantisch. "°_________0"
Oder welche Geschichten ich noch schlimmer finde, sind die wo Joey als total verblödet hingestellt wird, ich hasse es einfach nur.
Es gibt einige Storylienes die ähnlich sind.
Zum Beispiel,
dass Joey von seinem Vater geschlagen wird....
Ich habe nichts gegen diese Art von Geschichten, es macht mich nur traurig, wenn ich sehe wie es manche Schreiber umsetzten.
Von wegen Kaibe macht sich über Joey Sorgen, Joey rennt zu ihm, heult sich aus, Kaiba verbindet seine Wunden, sie schlafen miteinander und das wars.
Ahhhhhhhhhhhh das kann ich gar nicht ab. *Gesicht verzieh*
Aber naja, ich bin ja nicht hier um über andere zu schreiben.
Ich finde deine Geschichte genial, alls ist nachvollziehbar, Kaiba ist super getroffen,
er wird keineswegs verweichlicht.
Und Joey nicht als dumm abgestemmpelt.

Man sieht wie die Beiden leben, die Annäherung ist ganz langsam, es Kommt heraus warum sich die Beiden gehasst haben.
Ich finde deinen Schreibstil wunderbar, alls ist sehr gut beschrieben, bis auf die kleinste Einzelheit.
Und man merkt auch, dass es dir nicht darum ging die Beiden miteinander schlafen zu lassen und fertig ist die Geschichte.
Das ist das was ich eigentlich am meisten hasse, wenn man merkt das der Schreiber nur auf das hinaus will.
Ich bin dir ganz groß dankbar, dass du mich darauf gebracht hast auch zu schreiben, was ich jetzt sehr gerne mache.^^
Es ist zwar schon etwas länger her, aber ich habe diese Geschichte gerade zu verschlungen.
Und das muss man bei mir erst einmal hinbekommen, denn wenn die ersten 50 Seiten nicht spannend sind wird meist das Buch auch nicht weiter gelesen.
Du hast es geschafft immer wieder Spannung aufzubauen, die Charaktere sind niemals langweilig geworden und das ist eine beachtliche Leistung.
*Hut vom Kopf zieh*
In herzlichen Grüßen deine Mizu

PS: Ich möchte noch allen anderen eins sagen was man BITTE beachten muss, wenn man über Kaiba schreibt und zwar.
Um Gottes Willen, KAIBA KICHERT NICHT!!!
*räusper*
Nun ja das musste einfach raus.
Ich werde für immer geprägt sein von diesen schrecklichen Geschichten, wo Kaiba strahlt, kichert und fröhlich lacht(min.20 mal pro Tag).
*wein*
Q______________Q
CIA

Von:  Junichi
2009-03-06T01:55:24+00:00 06.03.2009 02:55
Hi :)
Endlich komme ich mal wieder zum Lesen *freu* Auch wenn ich eigentlich Hausaufgaben machen sollte <_<

Der Titel „Annäherung“ hört sich ja schon mal sehr viel versprechend für ein kleines Fangirly an *g*

Gleich zu Anfang muss ich mich fragen, was das hardcore-Arbeitstier KAiba dazu bewogen hat, sich zwei (!!) Tage frei zu nehmen xD Das ist ja eine mittelgrosse Sensation.
Mir gefällt sein Verhalten gegenüber dem verletzten Joey. Also sein Verhalten ist natürlich mies, aber ich finde es gut, dass er hier nicht OoC wird, in dem er plötzlich den Drang danach hat, zu helfen, weil er jetzt doch ein ganz lieber Kaiba geworden ist, der Joey im Grunde doch mag. Ich mein, klar muss sich nach dem geschehenen und dem neuen Bild über Joey bie ihm was regen, aber ich finde gut, wie du das regelt hast. Ein bisschen Einsicht, aber bloss nicht zu viel Fürsorge. Für die Annäherung zwischen den beiden hast du wirklich wunderbar viel Zeit eingeplant, so dass wirklich ein langwieriger Prozess erkennbar ist. Echt super.

Und lachen musste ich auch wieder. Joey liegt mit starken Schmerzen am Boden und quält sich offensichtlich und Kaiba frage nur “Hey, geht’s dir nicht gut?“ *lol* Die Szene ist schon etwas erheiternd ^^ Überhaupt der ganze Dialog ist schon wieder… genial. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie das abläuft. Ein Anime über deine FF wäre manchmal echt toll. Zumindest, wenn dann alles so aussehen würde, wie ich mir das grade vorstelle xD

Na ja, für Hurt/Comfort-Fans wie mich, ist der Anfang dieses Kapitels jedenfalls nicht grade gefundenes Fressen, was wieder dafür spricht, dass du einfach keine 08/15-Autorin bist. Es ist einfach nicht vorhersehbar, was passiert. Du gestaltest die Charas mMn wirklich unberechenbar, nicht im Sinne von gemein-gefährlich, sondern eben… unvorhersehbar (<-- ja genau, gutes Wort).

Wobei mir Joey schon ein wenig Leid tut, als er in Kaibas Limousine sitzt und im Grunde wirklich seine Geschichte los werden will (er hat damals im Lawell ja wirklich sehr gut reagiert) und Kaiba behandelt ihn so minderwertig. Das hat er wirklich nicht verdient. Aber wie gesagt, sehr lobenswert, dass dein Kaiba nicht innerhalb von ein paar tausend Wörtern zu einem sich kümmernden Weichei mutiert.

Was von zeitlichen her etwas merkwürdig ist: Kaiba wartet (für ihn unerhörte) fünf Minuten und dann berichtet sein Chauffeur, dass Joeys Diagnose mehr oder minder schon steht. Das müssen entweder Ärzte mit Superkräften sein, oder das Krankenhaus liegt in einer Art Raum-Zeit-Verschiebung, so dass die Zeit in der „Aussenwelt“ bei Kaiba einfach langsamer verläuft ;) So schnell gibt es einfach keine Diagnose, auch nicht, wenn die Notaufnahme aus merkwürdigen Gründen leer sein sollte. Aber vlt bin ich auch einfach nur zu pingelig, dann tut’s mir Leid ^^

Aber Kaiba hätte ihn dann trotzdem nach Hause fahren können, oder? Verlangt ja keiner von ihm, „bei sich eine Teeparty“ für Joey zu veranstalten. Auf die Idee Joey in sein eigenes Zuhause zu fahren, hätte er aber ruhig kommen können. Arsch! Aber in der folgenden Szene kommt wieder das grossartige Chara-Design zum tragen. Dein Kaiba ist einfach klasse geworden. Er ist so süchtig nach Terminen, dieser furchtbare Workaholic. Aber es passt so gut. Es ist so in character und überhaupt. Einfach gute Arbeit von dir.

Später im Café ist Mokuba aber ganz schön lange auf der Toilette, wenn sich die beiden erst lange und dann noch mal einige Minuten anschweigen *g* Aber ich muss manchmal so lachen über die kleinen Details, die du so beschreibst. Zum Bespiel, dass Kaiba gelangweilt eine Wasserschnecke beobachtet. Ich weiss auch nicht, warum ich das lustig finde, aber es liest sich so amüsant. Vlt tick ich einfach nicht richtig.
Aber ansonsten hat sich Kaiba ja mal ganz erträglich hier verhalten ^^

Am nächsten Tag fällt mir was auf, was ich gerne wissen würde: dieses "Endergebnis: Wir räumen nicht auf!": sagt Kaiba das einfach so in den Raum, zur Sekretärin oder wirklich zu Joey? Jedenfalls sagt er „wir“ xD Und danach verbringen sie sogar freiwillig Zeit miteinander. Das hast du so super gemacht. Also das Zeitmanagement, wann was zwischen den beiden passiert. Jetzt ist der Zeitpunkt für neutralen Umgang bis Hauch von Freundlichkeit gekommen. Sehr ergreifend *_*

Oh Gott, und dann die Stelle im Garten. Die ist ja so toll. Also die beiden jeweils meinen, der andere solle nicht einfach etwas über ihn behaupten, da er ihn gar nicht kennt und so und dass Kaiba dachte, Joey interessiere sich nicht für existentielle Fragen und andersherum, dass Joey dachte, Kaiba täte dies. Wow, da sieht man, wie wahnsinnig ähnlich sich die beiden in ihrem Verhalten sind und dass sie vom anderen wirklich keine Ahnung haben. An der Stelle wird die bisherige Geschichte zwischen den beiden ja fast schon tragisch. Tragisch in dem Sinne, wie sich zwei Menschen, die im Grunde so ähnlich sind, sich (grundlos) so sehr bekriegen müssen. Wie viel Leid Kaiba Joey schon grundlos zuteil kommen liess. Allein schon, als er sich in seiner Wohnung so daneben benommen hat oder als er Joey einfach im Krankenhaus gelassen hat. Und jetzt merkt man erstmals, wie arg sinnlos das eigentlich die ganze Zeit ist. Dass da im Grunde ausschliesslich Behauptungen, Annahmen und Vorurteile zwischen den beiden existieren. Ich finde diese Stelle schon irgendwie ergreifend.

Na ja, wie auch immer. Ist schon beeindruckend, wie ähnlich sie sich bei ihren Handlungen sind, aber wie gegensätzlich im Verhalten. Joey, immer offen und laut und Kaiba verschwiegen und zurückgezogen. Und trotzdem ähneln sie sich sehr.

Na ja, das Ende des Kapitels muss aus der Sicht von Joeys Clique ja schon einigermassen verstörend gewesen sein. Aber was soll’s. Hauptsache das zwischen Joey und Kaiba bewegt sich in die richtigen Bahnen. Ach, und es ist die bestens gelungen, Yugi als kleines nerviges Anhängsel darzustellen. Ich nehme mal an, dass das dein Plan war?

Na gut, du hörst bzw. liest im nächsten Kapitel wieder von mir.
Hochachtungsvoll,
dein Fan Junichi xD

Von: abgemeldet
2009-02-23T16:43:15+00:00 23.02.2009 17:43
Okaaaaaaaay JETZT bin ich begeistert!!
Dass du dir soviel Zeit lässt wenn sich die beiden annähernd isr so Wahnsinn! sonst geht das meisten ganz schnell und die landen in der ksite! XDDDDDDDDDDDDDDDD
Von: abgemeldet
2009-02-23T16:30:07+00:00 23.02.2009 17:30
Hab nur kurz aufgepasst <- so geil.=D
Er beobachtet kaiba ja die ganze zeit und schaut,was er macht. Das zeigt ja dass er irgendwie doch an ihm interessiert ist, seh ich so. Und Kaiba wie immer kaltschnäuzig.
Von: abgemeldet
2009-02-23T16:19:57+00:00 23.02.2009 17:19
SETO DAS SCHWEIN!!
Das der so unhöflich ist, hatte ich schon mitgekriegt aber sich in ner fremden Wohnung zu benehmen is ja wohl das LETZTE!!
Wenn ich Joey wäre, ich hätt den rausgekloppt! XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Der macht echt ne menge mit. Ist halt echt zu lieb!!

Von: abgemeldet
2009-02-23T16:13:33+00:00 23.02.2009 17:13
Also ich bin ja nicht son Fan von yugioh oder von den diesem Pairing aber glaub mir, das hat mich trotzdem voll gebannt. Bei deinen anderen Geschichten hatte ich das auch schon bemerkt wie saugeil du schreibst und bestimmt lern ich das auch lieben,wenn ich weiterlese,was ich mir heute fest vorgenommen hab!
Von:  Junichi
2009-02-18T21:55:23+00:00 18.02.2009 22:55
Tam tam, ich bin’s wieder…

Ich möchte erstmal etwas anmerken, das mich schön öfter beschäftigt hat. Und zwar kritisiert Kaiba ja unter Anderem, dass Joey immer ein langes Gesicht zieht. Aber selbst ein desinteressierter Seto Kaiba kommt doch nicht drum herum, auch mal Joeys andere Seite mitzukriegen, allein schon wenn Joey mit Tris und Duke rumalbert, oder? Das ist mir noch nicht so ganz klar geworden.

Auf jeden Fall liebe ich diese Fanfic *_* Sie hat einfach alles: Spannung, Action (die Sache mit Katagori), Dramatik (wenn Joey angeschossen wird und später in den folgenden Teilen sowieso), Romantik (na ja, zumindest dann irgendwann mal; jetzt ist davon eher noch kein Fünkchen in der Luft xD) und WITZ! Und zwar guten! Dieses alltägliche, wie es mir selber mit meinen Freunden auf jeden Tag passiert. Manche Dialoge bringen mich einfach voll zum lachen, weil das genauso gut heute in meiner Schule gewesen sein könnte xD Erst der Schock: Joey weiss etwas. Kanns sogar begründen. Die Suche nach der Antwort. Interessiert er sich für Architekturepochen? Ja, das muss es sein. Nein, ist es nicht. Was dann? Er hat in Kunst aufgepasst. Das ist es also. Moment… aufgepasst? Das kann eigentlich auch nicht sein. Also Joey, ist das Klassizismus? Da! Die Erleichterung. Er hat nur kurz aufgepasst. Sozusagen ein Versehen. Also doch alles beim Alten. Der Puls normalisiert sich wieder. *lol* Einfach genial. Ich liebe es.

Hm, wie sehr der Joey es dem Seto zeigen will xD Das ist schon irgendwie niedlich. Aber irgendwie muss das doch wirklich heissen, dass er schon irgendwo in seinem Unterbewusstsein was für ihn übrig hat. Er ändert sich ja wirklich für ihn. Er zeigt ihm ja nicht nur, wie er wirklich ist, sondern ÄNDERT sich wirklich. Wie Duke meinte, war er ja anscheinend immer zufrieden, mit dem, was er hatte. Nun nicht mehr, weil er mit Kaiba’s Meinung über sich nicht zufrieden ist. Niedlich, aber irgendwie auch un-joey-like.

Ach ja, ich mag deinen Mokuba. Ich finde, er ist ziemlich in-character. Ist zwar ewig her, dass ich YGO! Geguckt habe, aber ich erinner mich, dass er an sich ein aufgedrehter, offener Junge war, eben ungefähr so wie hier. Ok, ein bisschen nervig erscheint er mir schon, aber ich denke, das liegt daran, dass ich Einzelkind bin. Ich hab’s nicht so mit Kindern ._. Aber jetzt abgesehen von meiner persönlichen Kindermeinung ist er dir sehr gut gelungen :) Wobei es mir auch immer wieder schwer fällt zu glauben, dass Seto Kaiba eben diesen Bruder hat, der so anders ist und Kaiba ist eh nicht der ‚Geschwistertyp’ aus meiner Sicht. Also damit meine ich, dass ein Bruder einfach nicht zu ihm passt. Dieses Fürsorgliche Mokuba gegenüber ist einfach ein zu krasser Gegensatz zu seinem sonstigen Verhalten. Also zum Beispiel zu seinem Verhalten in Joeys Wohnung, nachdem dieser ihn auch noch gerettet hat. Das ist einfach zu krass oO

Nun gut, wieder zu dem, was du hier fabriziert hast. OMG, und natürlich arbeitet Joey in Kaibas Stammcafé. Wo auch sonst. Die Welt ist ein Dorf. Gott sei Dank ^^ Als Kaiba an diesem Tag das Café betritt, ist für mich so ein Schlüsselstelle für alles Folgende. Sozusagen DER Moment xD Wenn er wüsste, zu was das alles noch führen wird :)

Okay, dann kommt eine Stelle, die mich wieder nachdenklich gemacht hat. Wahrscheinlich auch nur, weil ich die FF ja schon kenne und weiss, wie Seto später ist. Bzw wie er generell zu sein scheint. Ich finde es passt nicht zu Seto, dass er so ein grosses Desinteresse an der Welt zeigt. Als er grübelt, warum r sich seine Zeitung überhaupt gekauft hat, weil er sich ja eh für nichts interessiere, als seine Firma.
Ich weiss nicht, aber später in der Geschichte scheint er nicht mehr so… uninteressiert an allem anderen zu sein. Also ich finde, er ist eigentlich der Typ, der von allem ein bisschen Ahnung hat und ein Grundinteresse am Weltgeschehen etc. So ignorant-isoliert wirkt er später einfach nicht mehr. Na ja, was soll’s. Wollt nur mal bemerken, dass mich das beschäftigt hat.

Man, ich krieg immer Lust, eine zu rauchen, wenn Kaiba sich eine ansteckt xD

Heh, nachdem Joey dann an seinem Tisch war, gibt Kaiba selber zu, dass es bei ihm selbst eine Art Angewohnheit ist, in Joeys Anwesenheit grimmig zu schauen. Unglaublich. Und Joey genau wegen der selben „Angewohnheit“ zur Sau machen oO Dabei ist Joey so cool, wie er seine Arbeit in dem Café erledigt. Man, du schreibst so toll. An manchen Stellen könnte ich mir richtig gut vorstellen, wie die Szene als Anime aussehen würde *_*

Uh, und dann wieder so ein bedeutungsschwerer Satz: "Und dann könnt ihr ja ganz dicke Freunde werden." Auch noch von Tristan. Ach ja, wenn die alle wüssten… xD Aber das ist auch wieder so eine Sache. Immerhin liegt es ja mehr oder weniger an diesem einen Satz, dass Joey erstmals überhaupt die Wörter Freunde und Kaiba in einem Gedankengang verwendet oO

Ähm… Müssen die Winkel in einem Dreieck nicht zusammen 180° ergeben, anstatt 90°? 90° hat ja der rechte Winkel in einem rechtwinkligen Dreieck, denn müssen nur die anderen beiden zusammen noch einmal 90° ergeben. Oder hab ich grad einfach nur falsch verstanden, worum es Überhaupt geht? Innenwinkel… oder?

Ah, dieser Schreibstil *_* Das ist auch so cool. Joey kommt eben durch Tris auf den Gedanken Freundschaft mit Kaiba und guckt natürlich zu ihm hin. Und dann schreibst du darüber, was Kaiba macht (eben den Lehrer korrigieren [wobei das mMn trotzdem falsch ist oO]) und dann geht’s zurück zu Joey Gedanken. Das ist wie im Film, wenn zwei über etwas reden, dieses Etwas dann eingeblendet wird und sie denn weiter darüber reden. Ich find das einfach super geschrieben.

Uh, eine traumhafte Fangirly-Stelle. Vor’m schlafen denkt Kaiba doch tatsächlich an Joey und dessen zweite Seite =) Niedlich. Und wieder ein klarer Beweis dafür, dass auch Kaiba sich schon immer mehr mit Joey als mit anderen beschäftigt hat. Jemand, der einem am A**** vorbei geht, kommt einem vor’m schlafen gehen nicht in den Sinn.

So, dann kommt der nächste Morgen und Mokuba versucht Kaiba auf eine absolut knuffige Art zu wecken. Wobei das Langschläfer-Dasein irgendwie nicht mit der sonstigen Seto Kaiba-Disziplin zusammenpasst. Nachvollziehen kann ich es trotzdem. Schlaaafen *_*

Und dann geht’s gleich weiter mit den Gedanken über Joey. Also falls er in dieser Nacht irgendwas geträumt hat, weiss ich schon, wer im Traum vorkam. Man man, das ist ja schon recht offensichtlich… dass Kaiba das nicht selbst merkt oO
Und dann der Dialog mit Mokuba, der eigentlich von seinem Schulfreund spricht und nicht von Joey. Zum schreien komisch. Göttlich.

Und denn treffen sie auch noch aufeinander. Das ist ja schon wieder fast zuviel der Zufälle. Kaiba scheint ja sonst nie an einer Tankstelle zu sein und nun ist er genau an der, wo Joey arbeitet und auch noch zu einer Zeit, wo dieser arbeitet.
Aber ich versteh nicht so recht, wie er denn auf die Idee kommt, Joey tue das wegen ihm. Er konnte doch nun beim besten Willen nicht damit rechnen, dass Kaiba dort mal auftauchen würde.

Nun ja, also mein Fazit dieses Kapitels: Joey und Kaiba sind schon jetzt füreinander bestimmt xD Und Kaiba passt weder in die „grosser-Bruder“-Rolle, noch in die Langschläfer-Rolle. Aber so hat jeder seine Besonderheiten :)

Klasse Geschichte, ich kann sie nur immer wieder loben *_*

LG,
Junichi



Zurück